Chronik der Schotten-Crainfelder Familie Spamer/E-Book
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Chronik der Schotten-Crainfelder Familie Spamer | |
Autor(en): | Hermann Spamer |
Titel: | Chronik der Schotten-Crainfelder Familie Spamer |
Untertitel: | mit vorangehender Studie zur Chronik der Schottener Familie Spamer und mit nachfolgenden Gedichten und Aufzeichnungen seines Vaters Christian Spamer, Pfarrer in Hermannstein |
Druck: | von Münchow'sche Hof- und Universitätsdruckerei (Otto Kindt.) |
Ort: | Gießen |
Jahr: | 1904 |
Umfang: | 255 Seiten |
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der Schotten-Crainfelder Familie
Spamer
mit vorangehender Studie zur
Chronik der Schottener Familie Spamer
und mit nachfolgenden Gedichten und Aufzeichnungen
seines Vaters Christian Spamer, Pfarrer in Hermannstein
Seite | ||
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Studie zur Chronik der Schottener Familien Spamer | 1 | |
Chronik der Schotten-Crainfelder Familie Spamer | 7 | |
Autobiographie Christian Spamer's | 107 | |
Studenten und Soldatenstreit in Gießen am 4. März 1821 von Christian Spamer | 151 | |
Die drei Rosen von Christian Spamer | 163 | |
Wahre und wunderbare Erlebnisse, aufgezeichnet für seine Kinder, von Christian Spamer | 235 |
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Studie zur Chronik der Schottener Familien Spamer.
Bei den Ermittelungen über die Geschichte der Familien Spamer[1] und die Entstehung ihres Namens hat man sich wohl zunächst daran zu erinnern, daß bezüglich aller Familien, für deren Genealogie nicht besondere alte Urkunden vorliegen, nachträgliche geschichtliche Feststellungen erst mit der Bildung ihres Familiennamens und auf Grund vorhandener Kirchenbücher beginnen können. Die Einführung der bürgerlichen Familiennamen nun war in Deutschland nicht früher als im 15. Jahrhundert soweit vorgeschritten, daß die Familien zu bleibenden Namen gelangten. Sehr vielfach wurden diese bürgerlichen Familiennamen von der Heimat der Betreffenden entlehnt, doch auch Beschäftigung, persönliche Eigenschaften ec. gaben hierzu die Veranlassung.
Fragt man nun bezüglich des Namens Spamer, wie seine Entstehung zu erklären sein könnte, so führt keine der gegebenen Entstehungsweisen zu einer Erklärung der heutigen Form dieses Namens, und mußte deshalb bislang angenommen werden, daß die Entstehungsform desselben eine andere war als die heutige Form Spamer. Diese Annahme ist nun neuerdings aus den Kirchenbüchern der Stadt Schotten[2] als völlig zutreffend nachgewiesen.
Vor Eingehen hierauf möchte ich indes auf die Stadt Schotten als auf diejenige Örtlichkeit hinweisen, in welcher die Entstehung des Namens Spamer schon aus äußeren Wahrscheinlichkeitsgründen angenommen werden muß.
Diese Wahrscheinlichkeit beruht auf folgenden Tatsachen:
Der seltene, außerhalb des Großherzogtums Hessen für nur wenige Familien vorkommende Name Spamer ist allein in der Stadt Schotten ein viel vertretener. Zur Zeit gibt es in der Kirchengemeinde-Vertretung der etwa 2000 Einwohner zählenden Stadt 20 Wahlberechtigte, demnach auch ca. 20 Familien dieses Namens. Es sind dies durchweg kleinbürgerliche, alteingesessene Familien. Demnächst ist der Name auch in der näheren Umgegend Schottens häufiger zu finden, er wird aber mit der wachsenden Entfernung von dort seltener, und weiterhin sind nur wenige Familien Träger desselben. Diese jedoch, soviel deren mir bekannt geworden, sind auch durchweg solche, welche ihren ehemaligen Wohnsitz auf die Stadt Schotten oder die umliegenden Kreise Schotten und Nidda[3] zurückführen. Als Lehrer, Geistliche, Forstleute ec. sind frühere Glieder dieser Familien in die Beamtenlaufbahn und höhere bürgerliche Stellungen eingetreten, womit die Verschiebung ihrer Wohnsitze auf größere Entfernungen naturgemäß Hand in Hand ging. Die Mitteilungen, welche ich diesbezüglich von meinen Herren Namensvettern erhalten habe, sind nun
zwar sehr verschieden in ihrer Ausführlichkeit, doch enthalten, wie gesagt, alle Nachweise für die Abstammung ihrer Familien aus der Stadt Schotten und deren Umgegend.
Geheimer Regierungsrat Adolph Spamer in Bingen führt seinen Stammbaum zurück auf seinen Ahn in der 6. Generation Jacob Spamer, Einnehmer in Ulfa (Kreis Schotten), geb. ca. 1650; diesem folgten in chronologischer Reihe vom Vater zum Sohn:
Valentin Spamer, Präzeptor in Ober-Mockstadt (Kreis Nidda), geb. 1680;
Johann Wilhelm Spamer, Schulmeister in Ulfa, geb. 1704;
Johann Spamer, Schulmeister in Langd (Oberamt Nidda);
Konrad Spamer, Pfarrer und geistlicher Inspektor in Kirtorf (Kreis Alsfeld), geb. 21. Juni 1764, gest. 6. Februar 1832;
Gustav Spamer, Kreisrat in Wimpfen, geb. 8. April 1807, gest. 5. April 1870;
Adolph Spamer, Geh. Reg.-Rat in Bingen, geb. 8. August 1834; ihm folgt sein einziger Sohn
Carl Gustav Spamer, Kreisamtmann in Friedberg, geb. 21. November 1871. —
Gymnasial-Oberlehrer K. Spamer in Wiesbaden führt seinen Stammbaum auf seinen 4. Ahn, den Vater seines Urgroßvaters, zurück, welcher seinen Wohnsitz in Langd (Oberamt Nidda) hatte;
Oberstabsarzt Dr. Hermann Spamer in Worms teilte mir mit, daß seine Vorfahren in Schotten lebten und noch sein Großvater dortiger Bürger war;
Verlagsbuchhändler Hugo Spamer in Berlin, Sohn des bekannten Verlagsbuchhändlers und Jugendschriftstellers
Otto Spamer in Leipzig, schreibt, daß er einer älteren Schottener Linie entstamme, welche ihre Vorfahren bis auf den Ausgang des 30jährigen Krieges verfolgen könne; dieselbe habe später in Darmstadt und dem Kreise Starkenburg gelebt. Ein Urahn solle dem Landgrafen Philipp von Hessen bei einer Saujagd das Leben gerettet und aus Dank dafür eine Erbförsterei erhalten haben. Dadurch sei es zur Familientradition geworden, daß der älteste Sohn Forstmann werden müßte, und erst sein Vater habe sich, nachdem er in Gießen einige Semester Forstwissenschaft studiert, derselben entzogen. Als seine nächsten Vorfahren führt Hugo Spamer an: seinen Ururgroßvater Oberforstmeister und französ. Oberst Spamer in Lorsch oder Germersheim,
Urgroßvater Geh. Forstrat Joh. Philipp Spamer, geb. in Darmstadt,
Großvater Geh. Forstrechnungs-Provisor Helfrich Joh. Spamer, geb. in Darmstadt,
Vater Verlagsbuchhändler Franz Otto Spamer in Leipzig, geb. in Darmstadt am 29. August 1820 —
dann folgt Hugo Spamer, Verlagsbuchhändler in Berlin, geb. in Leipzig; er hinterläßt, nachdem sein Sohn Otto, der ein Pate des Fürsten Bismarck war, gestorben ist, nur noch seine am 7. Oktober 1883 geborene Tochter Rosamunde. Auch sein Bruder Otto hinterläßt keinen Sohn. Es lebt noch ein Stiefonkel von ihm, Wilhelm Spamer, der jüngste Sohn seines Großvaters aus dritter Ehe. Hugo Spamer starb (nach Abfassung dieser Schrift) am 30. Januar 1901 in Berlin im Alter von 54 Jahren.
Oberlehrer Dr. Albert Spamer in Düren, welcher sich schon vor 5 Jahren an den oben genannten Namensvetter in Bingen um Aufschluß über den Stammbaum der Familie Spamer gewandt hat, besaß zur Zeit einen Großonkel und Paten
Gustav Spamer in Nidda. Dr. Albert Spamer, vormals Oberlehrer an der Oberrealschule in Düren, starb, nach Niederschrift dieses, am 2. September 1901 in Gießen im 43. Lebensjahre. Als Hinterbliebene betrauerten ihn
Else Spamer, geb. Scheuern,
Konrad Heinrich Spamer, Reallehrer i. P.
Für meine nach meinem in Schotten geborenen Großvater
Christian Spamer, Pfarrer in Crainfeld, Kreis Schotten, sich außerhalb Schottens verzweigende engere Familie habe ich deren Vorfahren als Schottener Bürger neuerdings bis Mitte des 17. Jahrhunderts — also ebenfalls bis Ausgang des 30jährigen Krieges — zurück verfolgen können und will ich am Schlusse dieses meinen Stammbaum von Vater zu Sohn anfügen.
Nach Aufzählen dieser Mitteilungen, welche auf die Stadt Schotten als den Ort hinweisen, an welchem aller Wahrscheinlichkeit nach alle Familien Spamer ihren gemeinsamen Ursprung gehabt haben, möchte ich wieder zur Erörterung über die Entstehungsform des Namens Spamer zurückkehren.
Vor etwa 8 Jahren, während mein Sohn Karl das Gymnasium in Celle besuchte, wurde ihm von seinem Lehrer Dr. Zimmermann, einem tüchtigen Etymologen, gelegentlich eines Vortrags über die Entstehung der Familiennamen, dessen Ansicht dahin ausgesprochen, daß der Name Spamer aus Spanheimer und danach Spanemer entstanden sein werde. Und schon früher war mir von meinem jetzt verstorbenen Onkel Karl Spamer mitgeteilt, daß unser Name früher Spanemer gesprochen worden sei.
Nun fand ich in Übereinstimmung hiermit unlängst in der Gießener Universitäts-Matrikel aus den Jahren 1664 bis 1706, welche in den Jahrgängen 1890/4 der Mitteilungen des Oberhessischen Geschichtsvereins in Gießen erschienen sind, folgende Schottener Namen unter den Immatrikulierten:
- 1664 Johannes Justus Spanheimer, Schottensis 15. April,
- 1664 Johannes Henricus Spanemer, Schottensis 14. Oktober,
- 1697 Johannes Adamus Spaenemerus, Schotta-Hassus 3. September,
- 1706 Johannes Nicolaus Spanemer, Schottensis-Hassus 12. Mai.
Hieraus war ersichtlich, daß in Schotten im 17. Jahrhundert außer der ersten Namensform Spanheimer auch die abgeleiteten Formen Spanemer und Spaenemer in Gebrauch waren; und es erübrigte, um obige Mitteilung meines Onkels und Schlüsse des Etymologen als richtig festzustellen, nur noch den Nachweis zu erbringen dafür, daß diese Formen in die heutige kürzeste Form Spamer übergegangen sind.
Ich wandte mich zu diesem Zwecke, wie ich das schon früher bezüglich meines Stammbaumes getan hatte, an Herrn Dekan Münch in Schotten, dessen Güte ich folgende Auskunft verdanke:
- „Schotten, 8. November 1900.
Die Kirchenbücher dahier gehen zurück in Betr. der Getauften bis 1647, in Betr. der Kopulierten und der Verstorbenen bis zum Jahre 1629; doch sind sie unvollständig, es fehlen in verschiedenen Jahren Einträge, wahrscheinlich sind diese durch den Tod oder die Versetzung des Geistlichen veranlaßt. Die beiden
„Johann Konrad Spamer“ des 17. Jahrhunderts kommen im Taufbuch vor und zwar unter folgendem Eintrag:
Johann Konrad, Söhnlein des
Johann Spanemers des Glöckners, bapt. d. 3. Mai 1653, Pathe H. M. (Magister) Johs. Koch, Pfarrer zu Wingershausen.
Joh. Konrad, Söhnlein des Johannes Spamers, des Jüngeren, bapt. d. 29. Nov. 1669, Petter: Konr. Rieck. —
Was die Schreibart des Namens anlangt, so finden sich in den hiesigen Kirchenbüchern fünf Formen: 1. Spanheimer, 2. Spenemer, 3. Spanemer, 4. Sponemer, 5. Spamer.
Die 1. Form „Spanheimer“ kommt im Kopulations-Protokoll vom Jahre 1632 vor, nämlich: den 18. Juli 1632 ist Johann Spanheimer und Katharina, Konr. (?) Lehmanns filia getraut worden. Vom Jahre 1633 an wird der Name im Kopulations-Protokoll „Spenemer" und „Spanemer" geschrieben und zwar von der Hand desselben Pfarrers (den 18. Febr. 1633 ist Johann Spenemer und Sabine, weiland Herrn Magisters Johs. Gerhard's, gewesenen Pfarrers zu Breungeshain, relicta filia copuliert worden). Kurz darauf wird schon geschrieben „Spanemer“ (den 13. Martii 1633 ist Konrad Spanemer und Elisabethe, Johs. Schu- (?) relicta filia copuliert worden). Die 4. Form „Sponemer“, obwohl das „o“ ziemlich deutlich geschrieben ist, scheint mir nur ein Schreibfehler zu sein, da dieselbe nur ein einzigmal, nämlich 1649, vorkommt, doch wäre auch diese Form möglich, da in Eigennamen oft das „a“ in „o“ übergeht.
Es kommt diese Namensform „Sponemer“ im Taufbuche vor und zwar, wie folgt: Baptizati 1649. 3) d. 6. Januar Henrich Sponemers, des Stadtschreibers, Töchterlein, Großgevatterin: Georg Rahn's uxor Catharine von Altenhain.
Die kurze Form „Spamer“ kommt im Taufbuch zum erstenmal im Jahre 1648 vor, darauf folgt aber wieder einigemal die längere Form „Spanemer“, im Kopulations-Protokoll kommt die kurze Form „Spamer“ zum erstenmal im Jahro 1661 vor (den 7. Juni 1661 ist Nickels Spamer und Lehna, Heinrich Useners S. rel. ? ? getraut worden).
Was die in den alten Gießener Matrikeln verzeichneten 4 Schottener Spamer anlangt, so habe ich, obwohl ich die Geburts-Einträge von 1647—1687 durchsucht habe, nur den Geburtstag des letzten, des Johann Nicolaus Spanemer, gefunden; die beiden ersten sind wahrscheinlich vor 1647, dem Beginn des Geburts-Registers, geboren; der Geburtstag des dritten (Joh. Adamus Spaenemerus, Schotta-Hassus) muß in eine der erwähnten Lücken des Kirchenbuchs fallen. „Der Johannes Nicolaus Spanemer Schottensis-Hassus (1706 matrik) ist getauft in Schotten als der Sohn des Hans Caspar Spamer der Löber, den 3. Februar 1687, Nicolaus Usner ist Petter gewest.“ —
Stellt man aus diesen höchst interessanten Mitteilungen des Herrn Dekan Münch die gebrauchten Namensformen in chronologischer Reihe zusammen, so traten auf die Formen
- im Kopulations-Protokoll:
- Spanheimer 1632 als Johann Spanheimer, vielleicht der Vater des 1664 immatrikulierten Joh. Justus Spanheimer,
- Spenemer 1633 als Johann Spenemer,
- Spanemer 1633 als Konrad Spanemer,
- Spamer 1661 als Nickels Spamer (erstes Auftreten dieser Form im Kopulations-Protokoll).
- im Tauf-Protokoll:
- Spamer 1643 erstes Auftreten dieser Form im Tauf-Protokoll,
- Sponemer 1649 als Henrich Sponemer,
- Spamer 1653 als Joh. Konrad Spamer, Sohn von Johann Spanemer, dem Glöckner,
- Spanemer folgt hiernach einige Male,
- Spamer 1669 als Joh. Konrad Spamer, Sohn von Joh. Spamer dem Jüngeren,
- Spanemer 1687 als Joh. Nicolaus Spanemer, Sohn des Hans Caspar Spamer, und 1706 in Gießen immatrikuliert.
Hieraus geht m. E. zweifellos hervor, daß aus dem ursprünglichen Namen Spanheimer die Abkürzungen und Lautveränderungen Spenemer, Spanemer, Sponemer und Spamer entstanden sind, und daß die gebräuchlichsten Formen Spanemer und Spamer nicht etwa zum Unterschiede einzelner Zweigfamilien unter einander, sondern in derselben Einzelfamilie abwechselnd gebraucht wurden.
Sollten die seltenen, im Vokal abweichenden Formen Spenemer und Sponemer zum Unterschiede für einzelne Zweigfamilien gebraucht und festgehalten worden sein — was aber wenig wahrscheinlich ist — so müßte, da diese Namensformen später verschwinden, angenommen werden, daß die Träger derselben ihren Stamm nicht weiterhin erhalten haben. Die heutige Form Spamer, welche im Kopulations-Protokoll im Jahre 1661, im Taufbuch im Jahre 1648 zum erstenmal auftritt, hat offenbar wegen ihrer Kürze über die ältere Form Spanemer den Sieg der allgemeinen und dauernden Anwendung davon getragen. — Ist man nach diesem allem berechtigt, als Tatsache anzunehmen, daß der Name Spamer in Schotten selbst aus Spanheimer entstanden ist, so erklärt und bestätigt sich damit auch wiederum die vorher besprochene Erscheinung, daß alle oben angeführten Spamer aus der Stadt Schotten und weiterhin aus deren Umgegend herstammen.
Um nun fernerhin den ersten Namen Spanheimer zu deuten, so weist derselbe wohl ohne Zweifel darauf hin, daß mit demselben ein solcher Mann belegt wurde, welcher aus der früheren Grafschaft Sponheim stammte, die im 17. Jahrhundert, wie a. a. O. aus Merian, Topographia Hassiae et regionum vicinarum 1655 ersichtlich, Spanheim genannt wurde.
Diese häufig geübte Bildung der Familiennamen nach Heimatsorten war inzwischen nur dann eine bezeichnende, wenn auf den Benannten allein der betreffende Heimatsname paßte, und wird deshalb zugleich anzunehmen sein, daß es zur Entstehungszeit der Familiennamen nur einen Mann in Schotten gab, welcher aus der Grafschaft Spanheim stammte.
Übrigens finden sich im 17. und 18. Jahrhundert auch anderwärts Familiennamen, welche auf die Grafschaft Sponheim bezw. Spanheim als den Heimatsort ihrer Träger zurückweisen. Im Kirchenbuche der Pfarrei Heuchelheim bei Gießen z. B. sind verzeichnet: Johannes Sponheimer, welcher am 26. März 1694 ein Töchterchen taufen ließ, und ein Johann Eberhard Sponheimer, der am 15. April 1717 ebenfalls ein Töchterchen zur Taufe brachte und am 7. Oktober 1767 fast 80 Jahre alt gestorben ist. Diese Eintragungen des Namens Sponheimer im Heuchelheimer Kirchenbuch sind vereinzelt geblieben.
Ferner finden sich in Meyers Konversationslexikon verzeichnet die beiden als Staatsrechtslehrer und Kirchenhistoriker bedeutenden Gebrüder Spanheim, welche in den Jahren 1629 und 1632 in Genf geboren wurden und in Leyden studierten. Ersterer starb 1710 als preußischer Gesandter in London, letzterer als Professor der Theologie in Heidelberg.
Um hier einiges über Belegenheit und Geschichte des Ursprungslandes der Spanheimer bezw. Spamer einzuschieben, so lag die frühere Grafschaft Sponheim zwischen Nahe, Mosel und Rhein, stand unter Pfalzgrafen, war reichsunmittelbar und gehörte zu dem oberrheinischen Kreise. Als Erster seines Geschlechts ist Graf Stephan von Sponheim im Jahre 1075 hervorgetreten. Er nannte sich nach der bei dem Dorfe Sponheim, etwa 12 Kilometer westlich von Kreuznach gelegenen Burg Sponheim und stiftete im Jahre 1101 mit seinem Sohne Meginhard auf dem nahen Feldberg ein Mönchskloster — die Abtei Sponheim. Diese wegen ihres gelehrten Abtes Trithemus ihrer Zeit berühmte Abtei unterstand dem Erzbischof von Mainz und wurde 1124 mit 12 Mönchen der Benediktiner-Abteien St. Alban und St. Jakob bei Mainz besetzt. Nach der Reformation 1565 erfolgte die erste Aufhebung des Klosters.
Indessen später im 30jährigen und dann im orleanischen Kriege wurde das Kloster den Benediktinern wieder eingeräumt und fristete sein Dasein noch bis zur französischen Revolution, in welcher seine Aufhebung erfolgte. — Von Burg Sponheim ist heute nur noch ein mächtiger viereckiger Turm übrig geblieben — einer der ältesten, wenn nicht der älteste und wohl auf die Zeit der Karolinger zurückzuführende Burgbau am Rhein —, der fünf Stockwerk hoch aus einem Trümmerhaufen emporragt. (Schnegans, Geschichte des Nahetals.)
Im Jahre 1437 starb mit Graf Johann V. von Sponheim das Geschlecht aus und fiel die Grafschaft nach langen bis ins 18. Jahrhundert dauernden Streitigkeiten zu 3/5 an Baden und zu 2/5 an Kurpfalz. Im Jahre 1801 kam sie an Frankreich, 1814 an Preußen, das sie 1817 an Oldenburg abtrat, mit dessen Fürstentum Birkenfeld sie zum Teil zusammenfällt.
Fragt man nun endlich, zu welcher Zeit und aus welchem Grunde ein Spanheimer sich in Schotten niedergelassen haben mag, so ist man bei dem nicht weit genug zurückgehenden Bestehen der Schottener Kirchenbücher zur Zeit nur auf Vermutungen und Schlußfolgerungen beschränkt.
Bezüglich der Zeit muß man annehmen, daß dies vor Bestehen der Familiennamen, also etwa im 14. Jahrhundert geschehen ist, weil der Eingewanderte seinen Familiennamen Spanheimer ja erst in Schotten, nach seiner früheren Heimat, erhielt bezw. annahm. Auch wird aus der ersten Namensform „Spanheimer“ geschlossen werden dürfen, daß die Niederlassung in Schotten zu jener Zeit erfolgte, in welcher als Name der Grafschaft Spanheim, nicht, wie später, Sponheim üblich war. Der Grund der Zuwanderung dürfte sich am natürlichsten in dem Reisetrieb finden lassen, welcher ja in früherer Zeit die jungen Leute aller Künste und Gewerbe zu ihrer Lust und Ausbildung auf die Wanderschaft führte und ihr Verbleiben in der Fremde gewiß oft genug zur Folge hatte.
Hierfür darf ja auch das Auftreten des wohl auf die gleiche Weise entstandenen Namens Sponheimer in Heuchelheim als Beispiel angeführt werden. Als ein besonderer Grund aber zu solchem Verbleiben in Schotten dürfte die Erbauung der heutigen Schottener Stadtkirche gelten können, welche nach geschichtlichen Feststellungen in der Zeit von 1340—1360 zur Ausführung kam.
Indem ich nun noch meinen Stammbaum hier folgen lasse, so ist als ältester meiner Vorfahren festgestellt der in dem zitierten Briefe des Herrn Dekan Münch vorkommende
- Johann Spanemer, Glöckner in Schotten; ihm folgen von Vater zu Sohn
- Johann Konrad Spamer in Schotten, getauft am 3. Mai 1653;
- Johann Heinrich Spamer in Schotten, getauft am 17. April 1679;
- Johann Peter Spamer, Stadtknecht und Tuchmacher (Wollenweber) in Schotten, getauft am 14. September 1705;
- Jacob Spamer, Stadtleutnant und Tuchmacher in Schotten, geb. am 18. Juli 1738, gest. am 16. Februar 1800;
- Christian Spamer, Pfarrer in Crainfeld, geb. in Schotten am 12. August 1770, gest. in Crainfeld am 30. März 1847;
- Joh. Heinr. Georg Christian Spamer, Pfarrer in Hermannstein, geb. in Burkhards am 2. Februar 1803, gest. in Wetzlar am 29. April 1886;
- Hermann Spamer, Hüttendirektor in Groß-IIsede, jetzt Rentner in Gießen, geb. in Hermannstein am 3. Juni 1839;
- Karl Spamer, einziger Sohn, z. Z. Gerichtsreferendar in Göttingen, geb. in Groß-Ilsede am 9. März 1874.[4]
Gießen, den 4. Dezember 1900.
- H. Spamer (7 ≡)
- H. Spamer
Chronik der Schotten-Crainfelder Familie Spamer.
Mit obigem Namen glaube ich die Familie Spamer, welcher ich angehöre, bezeichnen zu dürfen. Eine Verzweigung derselben, so lange ihre Glieder in Schotten wohnten, ist nicht bekannt. Erst von meinem in Schotten geborenen und als Pfarrer in Crainfeld gestorbenen Großvater Christian Spamer ab hat eine Verzweigung und zwar in drei Zweige stattgefunden. Dementsprechend werden diese drei Zweiglinien getrennt, dem Alter der Kinder meines Großvaters folgend, im Nachstehenden aufgeführt.
Wie aus der allgemeinen Chronik der Familien Spamer ersichtlich, trug der älteste im Kirchenbuch nachweisbare Ahn der Schotten-Crainfelder Linie den Namen
also die zweite Form des aus Spanheimer entstandenen Familiennamens Spamer. Derselbe ist im Schottener Taufbuche, gelegentlich der Taufeintragung seines Sohnes, „der Glöckner“ genannt. Er scheint hiernach mit dem städtischen Glöcknerdienste betraut gewesen zu sein. Sein Sohn
wurde am 3. Mai 1653 in Schotten getauft. Sein Pate war Magister Johs. Koch, Pfarrer zu Wingershausen. Joh. Konrad Spamer ist der Erste der Schotten-Crainfelder Linie, welcher die heutige, kurze Namensform Spamer trägt, nachdem dieselbe im Jahre 1648 zum ersten Male in die Schottener Kirchenbücher eingetragen ward. Es folgte ihm sein Sohn
Von diesem enthält das Taufbuch Folgendes: „den 17. April 1679 Konrad Spamer ein Söhnlein Johann Heinrich taufen lassen; ist Heinrich Burk, der Becker, Petter.“ Joh. Heinrich Spamer verheiratete sich am 31. Juli 1704 mit Elisabethe Leunig, und folgte aus ihrer Ehe
welcher am 14. September 1705 getauft ward. Gevatter war Peter Spamer. Wie aus der nachfolgenden Taufeintragung seines Sohnes hervorgeht, war Joh. Peter Spamer Stadtknecht und Wollweber oder Tuchmacher, wie man die Wollweber, zum Unterschiede von den Leinewebern, nannte. Die Weberei war zu jener Zeit ein in kleinen Städten sehr verbreitetes Gewerbe; auch von Alsfeld und Gießen wird dies berichtet. Unter Stadtknecht hat man sich wohl den Magistratsdiener vorzustellen, und unter dem mit dessen Obliegenheiten Betrauten einen in bescheidenen Erwerbsverhältnissen lebenden, aber zuverlässigen Mann. Joh. Peter Spamer verheiratete sich am
27. November 1732 in zweiter Ehe mit Anna Margarete Bixberger, und wurde ihm von dieser am 18. Juli 1738 sein Sohn
als einziges Kind geboren. Über die Taufe dieses letzteren weist das Schottener Taufbuch folgenden Eintrag auf: „den 18. Juli 1738 Peter Spamer, der Stadtknecht und Wollweber, taufen lassen; mater: A. Marg. geb. Bixbergerin; bei der den 19. Juli geschehenen Taufhandlung war Petter: Jacob Schütz, Bürger und Rothgerber allhier“. Jacob Spamer betrieb, hierin seinem Vater folgend, die Wollweberei und stand, wie man aus seiner Wahl und Bestätigung zum Offizier der Schottener Bürgerschaft schließen darf, in gutem Ansehen. Nach der damaligen hessischen Kriegsverfassung formierten die wehrfähigen Bürger (alte und junge Mannschaft) besondere Kompagnieen. Die Offiziere und Unteroffiziere derselben wurden von den Bürgersoldaten aus ihrer Mitte gewählt und bedurften der Bestätigung der Regierung bezw. des Landesherrn. Solcher Bestätigungen für Jacob Spamer sind in den Familienpapieren noch zwei enthalten: 1. seine Ernennung durch Landgraf Ludwig IX. vom Adjutanten zum Fähndrich bei der Bürgerschaft zu Schotten, datiert den 16. Oktober 1789; und 2. seine Ernennung durch Landgraf Ludwig X., späteren Großherzog Ludwig I., vom Fähndrich zum Lieutenant, datiert vom 23. Oktober 1799. — Am 29. Oktober 1765 ward Jacob Spamer getraut mit Anna Elisabethe Stoffel, Tochter des Bürgers und Hufschmieds Joh. Wilhelm Stoffel in Schotten, welche, ohne Kinder zu hinterlassen, starb und am 12. Juni 1767, im Alter von 27 Jahren 9 Monaten, begraben wurde. Am 1. September 1769 heiratete er seine Schwägerin Agnesa Margaretha Stoffel und brachte sie ihm zwei Söhne: Christian und Georg Wilhelm. Der letztere, jüngere, ward geboren am 31. Januar 1781, eodem getauft, starb aber schon im Alter von 7 Monaten und ward am 6. September 1781 begraben. Jacob Spamer starb am 16. Februar 1800, seine zweite Frau am 9. Juli 1813 im Alter von 63 Jahren 7 Monaten und 9 Tagen an der Wassersucht. Die Eltern der letzteren waren der schon genannte Joh. Wilhelm Stoffel, geboren am 2. Januar 1708, gestorben am 2. Juni 1763 im Alter von 55 Jahren 5 Monaten, und dessen Ehefrau Anna Elisabethe, gestorben am 18. Januar 1793, 85 Jahre und 11 Monate alt. Dieselben hatten, außer den beiden Töchtern, noch einen Sohn, den Hufschmied Wilhelm Stoffel, der unter dem Namen Schmied's Wilhelm als ein außergewöhnlich starker Mann bekannt war. Einst warf er einen französischen Reiter, welcher ihm auf dem Fußpfad nicht ausweichen wollte, samt dem Gaul in den nebenherlaufenden Hohlweg, mußte sich dafür aber auch einige Zeit im Walde versteckt halten. Der ältere und nach dem frühen Tode seines Bruders einzige Sohn von Jacob Spamer war
Pfarrer in Crainfeld, geboren in Schotten am 12. August 1770 und am 14. August getauft. Sein Pate war Christian Stoffel, Hausmeister im Armenhaus in Fstb (?), dessen Stelle Hufschmied Joh. Wilhelm Stoffel, der Großvater des Täuflings, vertrat. Christian Spamer erwählte sich den geistlichen Beruf und erhielt zur Vorbereitung für sein Studium beim Pfarrer in dem etwa ¾ Stunden abgelegenen Einartshausen Unterricht im Latein. Mit dem Cornelius Nepos als Lektüre beschäftigt, bezog er die Universität Gießen. Er wohnte daselbst in dem Neubauer'schen Stift, einem alten weitläufigen Gebäude in Nähe der Schulstraße, welches in den 1850er Jahren noch bestand, später aber der Erweiterung dieser Straße zum Opfer gefallen ist. Musikalisch beanlagt, liebte es Christian Spamer, sich zum Gesange mit der Harfe zu begleiten und nahm er dies sein Lieblingsinstrument auch zur Universität mit. Ein, wie anzunehmen ist, wenige Jahre später angefertigter und noch erhaltener Schattenriß stellt ihn uns — wohl als Schottener Rektor —
mit seiner Harfe vor Augen. Daß sich bei ihm schon während seiner Studienzeit einzelne graue Haare zeigten, mag, als eine in der Familie weiter vererbte Erscheinung, hier berichtet sein.
Über seinen Lebensgang und insbesondere seine Amtstätigkeit ist nach seinem Tode in der „Allgemeinen Kirchenzeitung“ 1847, Nr. 98, Seite 831 und 832, später auch im Nekrolog der Deutschen[5], ein von Pfarrer Lehr verfaßter Nachruf erschienen, der in seiner warm geschriebenen und gewiß auch zutreffenden Weise zunächst hier wörtlich folgen mag:
evangelischer Pfarrer zu Crainfeld im Großherzogtum Hessen, geb. den 12. August 1770, gest. den 30. April 1847[6]. Der Verstorbene war der Sohn einer armen, aber braven bürgerlichen Familie zu Schotten. Nach Vollendung seiner Studien wurde ihm am 30. Dezember 1789 die Rektoratsstelle an der Stadtschule zu Schotten, am 21. Januar 1797 die Pfarrstelle zu Burkhards, am 7. April 1815 die zu Crainfeld übertragen, welche er bis zu seinem Tode bekleidete. Spamer zeichnete sich zwar nicht durch theologische Gelehrsamkeit und literarische Tätigkeit aus, wohl aber durch eine während der langen Reihe von 57 Dienstjahren bewährte musterhafte Amtstreue und segensreiche Wirksamkeit. Sein schlichter, bescheidener, frommer Sinn, sein biederer und sanfter Charakter erwarb ihm die Achtung und Liebe seiner Amtsgenossen und der ihm anvertrauten Gemeinden. Seine musterhafte Amtstreue wurde bei der im Jahre 1840 stattgehabten Feier seines 50jährigen Dienstjubiläums von der kirchlichen Behörde auf ehrende Weise anerkannt, wie auch die Amtsgenossen und das Kirchspiel ihm Beweise ihrer Anhänglichkeit und Achtung bei dieser Gelegenheit gaben. Der 70jährige Greis hielt es indeß für seine Pflicht, in dem Berufe, an welchem er mit ungeteilter Liebe hing, fort zu wirken so lange es seine Kräfte nur irgend gestatteten, und er wirkte in ihm mit solcher Treue, daß ihm die kirchliche Oberbehörde vor zwei Jahren nach einer abgehaltenen Kirchenvisitation abermals ihre besondere Zufriedenheit zu erkennen gab, und sich in seinem Kirchspiele die musterhafte kirchliche Ordnung und der kirchlich fromme Sinn bis an seinen Tod ungeschwächt erhalten hat. Wie seine Predigten und sein ganzes Wesen ein biblisch frommer Sinn durchdrang, so blieb ihm die Bibel immer das liebste Erbauungsbuch, aus welchem er sich, als er im Anfange dieses Jahres die Abnahme seiner Kräfte fühlte, im Vorgefühl seines nahen Todes auf sein Lebensende vorbereitete. Unter allgemeiner Teilnahme seines Kirchspiels, für welches mit seinem Tode ein schönes, wahrhaft patriarchalisches Leben sich auflöste, wurde am Charfreitage seine irdische Hülle dem Schoße der Erde übergeben, wobei Pfarrer R. über Hiob 4.3.4. eine ergreifende Predigt in der Kirche hielt, Pfarrer B. eindringliche Worte am Grabe sprach. Für die Kirche ist in ihm ein treuer Diener, für die Gemeinde ein würdiger Seelsorger, in welchem sie den treuen Hirten ehrte, und den sie wie einen Vater liebte, heimgegangen.“
Wie auch aus diesem Nachrufe ersichtlich, wurde dem von der Universität zurückgekehrten, erst im 20. Lebensjahre stehenden Kandidaten theologiae die Rektoratsstelle seiner Vaterstadt übertragen, welche Stelle bestimmungsgemäß mit Theologen besetzt werden mußte. Sieben Jahre später erhielt er die Pfarrstelle in Burkhards und führte am 5. Mai 1797 seine Braut Katharina Barbara Rühl, die ältere Tochter des Bürgers und Metzgermeisters Johann Konrad Rühl in Schotten, zur Trauung und in sein Pfarrhaus heim. Da zu jener Zeit österreichische und französische Kriegsvölker zwischen Schotten und dem etwa 2 Wegstunden entfernten Burkhards feindlich gegenüber lagerten und den Fahrweg sperrten, so mußten die jungen Eheleutchen des Abends zu Fuß, und begleitet von Dienstboten, welche den nötigsten Hausrat auf dem Kopfe trugen, in aller Stille ihre Heimstätte aufsuchen. Diese Heimstätte nun, das freundliche Burkhardser Pfarrhaus, hatten sie, wie auch die Pfarrpfründe, während der ersten zehn Jahre ihres Dortseins noch mit dem schwer gichtkranken Vorgänger, Pfarrer Schuchard, zu teilen. Derselbe bewohnte
mit seiner Familie das Obergeschoß. Doch flossen diese zehn, wie auch die ferneren acht Jahre ihres Verbleibens in Burkhards abgesehen nur von Verdrießlichkeiten, welche die öftere Einquartierung französischer Truppen mit sich brachte, glücklich und ohne ernste Sorgen dahin. Drei gesunde Söhne erhöhten das Glück der Eltern. Es wurde ihnen Theodor am 10. Februar 1798, Christian am 2. Februar 1803 und Karl am 3. Februar 1810 geboren. Auch war, nach dem am 16. Februar 1800 in Schotten erfolgten Tode des Vaters Jacob Spamer, dessen Witwe Agnesa Hausgenossin ihrer Kinder in Burkhards. — Förster Schmidt, Amtmann Geist, Schullehrer Schmehl in Burkhards bildeten den engeren, die Pfarrer Schmidt in Herchenhain, Löber in Breungeshain und andere den weiteren Bekannten- und Freundeskreis der Familie. Bei Gesprächen und Solospiel, denen die Frauen als fleißige Spinnerinnen beiwohnten, wurde mancher gesellige Abend verbracht. Doch trug auch die musikalische Begabung des Hausvaters, dem Fertigkeit auf Klavier, Harfe und Flöte zu Gebote stand, oft und viel zur Freude im engeren häuslichen Kreise bei. Es ließen dann der Vater, seine zwei älteren Söhne und Schullehrer Schmehl im Konzert Klavier, zwei Geigen und den Baß (des Sohnes Christian's Teil) erklingen, zuweilen in Begleitung ihrer eigenen Singstimmen, sowie derjenigen der Frau Pfarrin und der mit hohem Sopran begabten Frau Schullehrer Schmehl. — Eine gerne gepflegte Beschäftigung Christian Spamer's war die Wiederinstandsetzung von Uhren, zu welchem Zwecke er sich besonderen Handwerkszeugs bediente. Vielleicht besaß er diese Geschicklichkeit in mechanischen Dingen als ein Erbstück aus der Beschäftigung seiner Vorfahren. — Als der älteste Sohn Theodor konfirmiert war und einen Beruf ergreifen sollte, wünschten seine Eltern, daß derselbe auf der Papiermühle seines Onkels Dornemann in Kesselbach die Papiermacherei erlerne, und ward auch der Anfang hiermit gemacht. Doch konnte Theodor mit dieser Beschäftigung sich durchaus nicht befreunden. Er kam wieder nach Hause zurück und ward nun der Entschluß gefaßt, daß die beiden älteren Söhne studieren sollten. Nachdem zu diesem Behufe der Vater einige Zeit die Söhne im Latein unterrichtet, brachte er sie Ostern 1815 nach Breungeshain in das Institut des Pfarrers Löber. Christian besuchte hier auch die Christenlehre, wurde jedoch Ostern 1816 zu Crainfeld, wohin die Eltern inzwischen als Pfarrleute übergesiedelt waren, konfirmiert. Nach 1 ½ jährigem Verbleib in Breungeshain, also zu Herbst 1816, bezogen die beiden Brüder die Sekunda des Pädagogs zu Gießen. Theodor, weil er fünf Jahre älter war, ward in die erste, Christian in die zweite Ordnung dieser Klasse gesetzt. Zu Ostern 1820 erhielten beide von der Prima zweiter Ordnung ab, auf Grund einer abgelegten Prüfung, das Zeugnis der Reife für die Universität und bezogen diese als studiosi theologiae. — Auch ihrem jüngsten Sohne Karl gewährten die Eltern später die Mittel, sich dem Studium zu widmen.
Mit dem Beziehen der Hochschule seitens ihrer Söhne wurden die geldlichen Opfer der treusorgenden Eltern naturgemäß größer. Ihre einfache und sparsame Lebensweise, wie das unausgesetzte Streben, ihre Vermögenslage zu bessern, hatten sie indes glücklicherweise in den Stand gesetzt, ihren Söhnen dauernd die nötige finanzielle Stütze zu sein. So war, auch als sorgender Familienvater, der Crainfelder Pfarrherr ein nachahmenswertes Beispiel, und wurde er bei dieser Fürsorge in hohem Maße unterstützt von seiner fleißigen und tatkräftigen Gattin. Die Vermögenslage seiner Eltern war eine nur bescheidene gewesen, und wohl allein aus dem Umstande, daß Jacob Spamer das einzige Kind seiner Eltern war, und sich dies bei dem Sohne Christian (nachdem ein Brüderchen Georg frühe gestorben) wiederholte, entfloß die Möglichkeit, daß Jacob Spamer seinem Sohne die Mittel zum Studium hatte gewähren können. In günstigerer Lage befand sich Joh. Konrad Rühl, der Schwiegervater Christian Spamer's, welcher seiner Tochter, außer dem Hausrat, 600 Gulden als Mitgift aussetzen konnte. Auch ist anzunehmen, daß aus dessen Hinterlassenschaft später ein verhältnismäßig erheblicher Vermögenszuwachs für die Familie
seines Schwiegersohns erfolgte. — Die Pfarrei Burkhards, deren Einkünfte zudem während der ersten zehn Jahre noch zur Hälfte an den pensionierten Vorgänger abgegeben werden mußten, stand bezüglich ihrer Besoldung zweifellos der Crainfelder Pfarrei nach, und letztere brachte, nach einer Aufstellung Christian Spamer's, jährlich nur rund fl. 900, oder Mk. 1540.— ein. Trotzdem haben die haushälterischen Pfarrleute es verstanden, außer den zum Studium ihrer drei Söhne nötigen Aufwendungen, ein für jene Zeit und Umstände erkleckliches Vermögen zu erwerben. Über die Aufwendungen für seine Kinder gibt eine Vermögensbestimmung Christian Spamer's Aufschluß, welche aus dem Jahre 1840 in den Familienpapieren vorliegt. Schon wegen der geübten korrekten Rechnungsführung verdient dieselbe hier Platz zu finden. Sie lautet:
- „Geschehen: Crainfeld, den 22. Januar 1840.
Ich habe beschlossen, im Laufe des Jahres 1840 meine beiden Söhne Christian und Karl und die Kinder meines verstorbenen Sohnes Theodor, rücksichtlich des von mir bisher erhaltenen Vermögens, gleich zu stellen. Ich werde also die zu machenden drei Teile jeden auf die Summe von viertausendfünfhundertundfünfzig Gulden (4550 fl.) festsetzen und beziehungsweise erheben.
Mein verstorbener Sohn Theodor, und dessen Familie, hat bis Ende des
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NB. Diese Ueberzahlung von 131 fl. 25 kr. soll demselben, im Laufe dieses Jahres, an dem von mir zu erhaltenden ¼ der gesammten Kapitalzinsen in Abzug gebracht werden.
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Indem ich obige Berechnung als richtig anerkenne, bemerke ich zugleich, daß ich von den Gesammtzinsen meiner ausstehenden Kapitalien, vom 1. Januar 1840 an und fernerhin, jedem meiner Söhne ¼ der wirklich erfolgten Zinseneinnahmen und ebenso der Familie meines verstorbenen Sohnes ¼ derselben verabreichen will. Dreiviertel meiner Kapitalzinsen werde ich also fortan abgeben und Einviertel für mich behalten. Gegenwärtige Berechnung und Entschließung habe ich nebst meiner Frau, mit deren Bewilligung dieses geschehen ist, und meinen beiden noch lebenden Söhnen Christian und Karl eigenhändig unterschrieben.
- Ch. Spamer, Pfarrer allda
- Catharina Barbara Spamer
- Johann Heinrich Georg Christian Spamer
- Johann Karl Wilhelm Friedrich Spamer.“
Nach einer Abrechnung, welche Christian Spamer seinem Sohne Christian am 18. Januar 1841 erteilt hat, belief sich der Betrag der eingegangenen Kapitalzinsen im Jahre 1840 auf 941 fl. 33 kr., und betrug die bezügliche Summe im folgenden Jahre 1841 937 fl. 5 kr. oder rund Mk. 1600.— Es entspricht dies, bei einem Zinsfus von 4%, einem Kapitale von Mk. 40 000.— als Errungenschaft der Eltern, nachdem sie für Studium, Ausstattung usw. ihrer
Söhne bezw. Enkel rund Mk. 23 350.-- verausgabt hatten. Dieser wirtschaftliche Erfolg ihrer Lebensführung gereicht den beiden Ehegatten sicherlich zur Ehre.
Wohl als Ausfluß seines Strebens, sich weiter zu bilden, pflegte Christian Spamer mit Vorliebe die in der Nähe stattfindenden Bücherauktionen zu besuchen und seine Bibliothek zu bereichern. Hierbei erstand er mit der Zeit recht viele Bücher, so daß seiner Frau derselben zu viele wurden. Als nun wieder mal ein Büchernachlaß, und zwar der eines benachbarten Kollegen, zur Versteigerung kam, worunter ein Buch, welches er gerne haben wollte, führte dies zu folgendem ergötzlichen Auftritte. Die Frau Pfarrin, fürchtend, daß ihr Eheliebster nicht nur das eine Buch, sondern eine Reihe derselben ersteigern würde, schlug vor, Sohn Christian möge zur Auktion gehen und das Gewünschte erwerben. Dieser übernahm den Auftrag und bot auf das bewußte Buch zum ersten Male und zum zweiten Male ohne Mehrgebot zu erfahren. Da ward er, kurz vor dem Zuschlag, von einem just Eintretenden überboten, und als er zusah, war es sein Vater. Dieser, von dem Wunsche getrieben, das Buch sicher zu erhalten, war doch nachgekommen und ließ, als er dasselbe ausrufen hörte, ohne weiteres ein Mehrgebot ertönen. „Nun, wenn Sie mich überbieten, lieber Vater“, rief Christian ihm lachend zu, „will ich stille sein!“
Es mögen nunmehr aus den mir vorliegenden, aus den Jahren 1823—1842 stammenden Zuschriften und Briefen Christian Spamer's an seinen Sohn Christian in Hermannstein — meinen Vater — Auszüge folgen, welche Denkungsart und Gemüt des Crainfelders Pfarrers und seiner Gattin, sowie den im Hause derselben waltenden Sinn erkennen lassen.
Am 2. Februar 1826 widmet der Vater seinem noch in Crainfeld weilenden Sohne zu dessen 23. Geburtstagsfeste folgende herzliche Verse:
- Es sind heut 23 Jahre, da Du das Licht der Welt erblickt.
- Ich freue mich, da ich erfahre, daß Du zu dem Beruf geschickt,
- Wozu ich Dich bestimmet hab, Dir Gott geschenket seine Gab'.
- Fahr' fort, Verstand und Herz zu bilden zu größerer Vollkommenheit,
- Geh' auf den irdischen Gefilden als Weiser stets zur Ewigkeit!
- Dann wartet Deiner nach der Zeit des Himmels große Herrlichkeit!
- Empfehle alle Deine Sachen dem Vater, der im Himmel thront,
- Stets wird er es mit Dir so machen, wie er den guten Kindern lohnt,
- Die ihm gehorchen, ihm vertrau'n, und fest auf seine Güte schau'n.
- Er leite Dich durch dieses Leben an seiner treuen Vaterhand,
- Sollt' er Dir Kreuz zu tragen geben, so sei es Dir ein Unterpfand
- Von seiner Weisheit, Lieb' und Güt', die Dich dadurch zum Himmel zieht.
- Führt er Dich auf des Glückes Wegen zur höheren Vollendung hin,
- Dann danke ihm für seinen Segen und brauche ihn zu dem Gewinn
- Auch Andern damit beizustehn, und ihre Freude zu erhöhn.
- So suche dann Dein übrig Leben, das Dir Dein Gott noch ferner gönnt,
- Nur ihm alleine zu ergeben, und zwar bis einst Dein Ende kömmt,
- Dann geht Dir auf bei Deinem Tod des Himmels schönes Morgenroth!
- Und wenn wir uns dereinstens trennen, wenn unser Todestag erscheint,
- Wenn wir uns nicht mehr sehen können, wenn Einer um den Andern weint,
- Dann trösten wir uns jener Welt, wo keine Trennung mehr vorfällt. (13 ≡)
- Dort werden wir uns wiederfinden, in jener ganz vollkommnen Welt,
- Dort werden wir ganz frei von Sünden, in jenem hohen Sternen-Zelt,
- Den Ewigen mit Preiß erhöhn und ewig Himmels Wege gehn.
- Erinn're Dich bei diesen Zeilen, die Dir Dein bester Vater schreibt,
- So oft Du dabei wirst verweilen, wenn seine Asche längst verstäubt,
- An ihn, der Dich so sehr geliebt — und der für Dich gern Alles giebt.
- Zum Schlusse will ich diesen Abend mit Dir mich meines Lebens freun,
- Recht heiter, fröhlich und auch labend genießen ein Glas guten Wein;
- Ergreif das Glas, stoß mit mir an! Beglückt sei stets mein Christian!“
In einem Briefe vom 11. August 1827, der bereits nach Hermannstein gerichtet war, lautet eine Stelle: „Morgen Abend, zwischen 9 und 10, zähle ich 57 Lebensjahre! Wie viele wird mir die Vorsehung noch hinzusetzen? — ich bin nicht ängstlich darum besorgt; sondern denke wahrhaftig, mit Gottergebenheit: „Herr, wie Du willst, so schicks mit mir!“ - Da ich indessen, in Rücksicht meiner Lebenskraft, bis jetzt noch nicht die mindeste Abnahme spüre: so läßt wohl dieses, zwar nicht mit Gewißheit, noch auf mehrere Jahre hoffen; und in dieser Hinsicht bin ich Willens, künftigen Montag oder Dienstag mir in Schotten, auf dem Sommermarkt, ein schönes Füllen zu kaufen, und es zu einem Reitpferd für mich zu erziehen. — Denn da ich in meiner Jugend gegangen habe: so darf ich ja wohl in meinem Alter reiten! wie das Sprüchwort erlaubt.“
Hierbei möge bemerkt sein, daß zur Pfarrei Crainfeld zwei Filialdörfer gehörten: Grebenhain, in etwa 1 ½ Kilometer, und Bermuthshain, in etwa 2 ½ Kilometer Entfernung, daß ferner die öfter zu besuchende Kreisstadt Schotten in der Luftlinie 22 Kilometer von Crainfeld entfernt liegt, — also, da alle diese Orte andernfalls zu Fuß erreicht werden mußten, die Beschaffung eines Reitpferdes wohl am Platze war. — An dieser Stelle möge auch der Beginn eines launigen Briefes eingefügt sein, welcher am 15. Juli 1828 an die Verwandten auf der Rabenauer Papiermühle in Kesselbach gerichtet ist:
„Mein lieber Herr Schwager, liebe Frau Schwägerin, lieber Herr Schwiegervater, liebes Katharinchen und Christianchen! Euch Allen herzlichen Gruß, Kuß und Händedruck von meiner Frau und mir! Indem ich dieses schreibe, sitze ich ganz allein in der Stube, vor der warmen Ofenplatte — und thue mir dadurch recht Bene! — mein liebes Weib, das eine weit hitzigere Complexion hat, als ich, sitzt mit dem Emilchen in der anderen kleinen Stube, wo es kalt ist, und strickt; Jene an einem Strumpf und dieses an einem Strumpfbändel, und sind dabei blau gefroren! — Doch genug davon! — denn wer das Angenehme verachtet, empfindet nicht unbillig das Unangenehme! — wahrscheinlich wird auch bei Euch der heutige Tag ein kalter Regentag sein?! — Es regnet hier immer fort, — es schlägt gerade Zwölf im Mittag; — und heute Nachmittag um 4 Uhr muß ich doch nach Bermuthshain und ein Mädchen daselbst taufen; — ich fürchte mich vor dem Wetter! — Doch ich muß es so machen, wie die Nürnberger, die gehen, wann's daselbst regnet, unter dem Regen hin! — falls es also fort regnen sollte: so hänge ich meinen langen grauen Mantel um mich, und gehe gestiefelt und den Regenschirm über mir haltend, getrost nach Bermuthshain, — und dabei bleibt's! - Ey, ey! das ist schlecht Zeug, das der Mann jetzt schreibt, werdet Ihr sagen!? — sagt was Ihr wollt! man muß auch manchmal gerade so schreiben, wie man eben gelaunt ist, wie es geht, was man thut, - und thun will, — und wie's im menschlichen Leben unter einander geht! und gehen kann; bald trocken, bald naß. Soeben ruft mir meine Frau, indem sie in die kleine kalte Stube geht: der Kaffee ist fertig! — ich will also hinüber gehen und denselben mit ihr trinken; - in der
Hoffnung, daß er gut sein wird! Nach dem Kaffeetrinken will ich besser schreiben! — Der Kaffee ist getrunken; es war aber nichts Sonderliches daran! obgleich meine Frau versicherte: sie habe zwei Mäschen Kaffeebohnen genommen; sie giebt die Ursache des nicht angenehmen Geschmacks in der geringen Güte der Kaffeebohnen an; — wovon ich auch selbst überzeugt bin, obgleich das Pfund davon „32 kr.“ in Frankfurt gekostet hat. — Jetzt geht eine ernstere Schreiberei an!“
Am 23. November 1828 richtet der Vater folgenden Freudenbrief an seinen Sohn in Hermannstein, nach dessen, am 24. Oktober genannten Jahres, erfolgter Verlobung mit Katharina Dornemann:
„Mein Allerliebster! Du wirst Dir leicht vorstellen können, welches Freudengefühl Dein Schreiben vom 31. v. M. das Herz Deiner Dich so zärtlich liebenden Eltern erregte! Diese Stunde, in welcher wir den so wichtigen Entschluß, für das Glück Deines Lebens, von Dir erfuhren, ist eine der glücklichsten Stunden unseres Lebens gewesen; und zwar um so mehr, weil Dein eigenes Gefühl, Deine eigene Ueberzeugung so ganz mit unserem Wunsche und unserer Ueberzeugung überein gestimmt hat. Du kannst daher des herzlichsten Beifalls und des zärtlichsten Segens Deiner Eltern, die Dich so innig lieben, in dieser wichtigen Angelegenheit Deines Lebens, gewiß versichert sein! Katharinchen hat sich bei dieser so wichtigen Sache sehr vortheilhaft benommen, welches uns, so wie Dir, recht erfreuend gewesen ist! Du schreibst: „auch gegen die scheinbare Verzögerung des K. bis auf künftige Ostern, wünschtest Du den Vollzug dieser Sache zu beschleunigen“. — Es kommt also ganz auf Dich an: zu welcher Zeit und an welchem Tage Du und ich auf der Rabenau in dieser Absicht zusammen kommen wollen, um das zu diesem Zweck Erforderliche einzuleiten, zu bereden und zu schreiben. — Auf heute bin ich der Amtsarbeiten herzlich statt: ich habe heute vor der Morgenkirche eine Privatbeichte, dann Predigt, Abendmahl, wieder drei Privatcommunionen gehabt, Personalien geschrieben, Betstunde gehalten und eine Taufe gehabt, — und morgen habe ich wieder eine Leichenpredigt in Bermuthshain zu halten. Manchmal kommen die Arbeiten mit Haufen — daß man beinahe unwillig werden muß! — doch gut, daß es nicht jeden Tag so gehet! — Ich empfehle Dich dem Schutz des Allerhöchsten! - sehe einem baldigen Schreiben von Dir entgegen, — grüße, küsse und drücke Dich an mein Herz! — und das Nämliche thut auch Deine treue, Dich herzlich liebende Mutter!“
- Zum 2. Februar 1831 überbringt der väterliche Geburtstagsbrief dem Sohne folgende Verse:
- Der Monat Februar ist wichtig für mein Leben;
- Vor acht und zwanzig Jahr, da hat er mir gegeben
- Den Sohn, an dem ich stets mit ganzem Herzen hing,
- Weil er mir folgsam war und Tugendwege ging.
- Mariä Reinigung, dies war der Tag der Freude,
- An dem geboren ward der, den ich liebe heute —
- Und bis in Ewigkeit: mein zweiter braver Sohn,
- Der Himmel gebe ihm stets seinen besten Lohn!
- Gott lasse ihn noch lang auf dieser Erde leben,
- Er leite ihn so fort, dem Guten nachzustreben
- Wie er's bisher gethan in allem seinem Thun,
- So wird auf ihm allzeit der Gottheit Segen ruhn.
- In seinen, Amte laß ihn Deinen Segen spüren,
- Daß Deines Wortes Lehr' in Kirch' und Schul' mög' rühren
- Zu Deines Namens Ruhm und zu der Menschen Heil,
- Sie Alle, die daran von Herzen nehmen Theil. (15 ≡)
- Und wenn sein Lauf vollbracht, wenn seine Kräfte schwinden,
- So bringe ihn zur Ruh', befreit von allen Sünden,
- In jene bess're Welt, den Ort der Seligkeit,
- Wo er dann glücklich ist durch alle Ewigkeit.
- Dort werden wir vereint mit Gattinnen und Kindern,
- Uns trennet kein Geschick, nichts wird die Freude mindern
- In unsers Vaters Haus, dort vor des Höchsten Thron,
- Da scheidet ewig nichts den Vater und den Sohn.“
Am 11. Dezember 1831 schreibt Christian Spamer seinem Sohne als Erwiderung eines Geburtstags-Angebindes des letzteren für seine Mutter und mit Bezug auf Beendigung des Vikariats der Pfarrei Blasbach, welches der Hermannsteiner Pfarrer während eines Interimistikums in jener Nachbargemeinde übernommen hatte:
„Lieber Christian! Durch Dein Angebinde hast Du vielen Dank bei Deiner Mutter verdient, welchen ich, in ihrem Namen, Dir hiermit zu erkennen geben soll. Auch haben uns Allen — Kühn, dem Theodor, Deiner Mutter und mir, — und noch Mehreren — Deine Verse, womit der Löffel begleitet war, sehr wohl gefallen! — Deßwegen holte ich auch den alten Baß aus dem Schwarzzeug-Kämmerchen und bezog ihn mit 4 neuen Saiten, — welche ich nach seinem Schnurren und Rasseln wieder abgezogen, und ihm wieder sein altes Logis angewiesen habe. — Deine Mutter nebst Theodor und ich freuen uns recht sehr, daß Du nunmehr von der Pfarrei Blasbach entbunden bist. Wie wohl wird es Dir thun, wenn Du des Sonntags Morgen hübsch ausschlafen — gemächlich Deinen Kaffee trinken — ein Pfeifchen Tabak in bona pace rauchen — über Deinen Vortrag noch ruhig nachdenken kannst; und dann in 10 — 15 Schritten aus dem Pfarrhaus in der Kirche bist! — Dann mag das Wetter sein, wie es will; Du kannst zufrieden damit sein. Werden gleich Deine Einkünfte durch den Verlust von Blasbach etwas vermindert, so hast Du in Rücksicht der Bequemlichkeit — des Aufwandes an Kleidern — und Schonung Deiner Gesundheit, mehr gewonnen, als jener Verlust werth ist; zumal da Du auch ohne den Zuschuß von Blasbach dennoch als ein ehrlicher Mann bestehen und leben kannst!“
Der nächste, am 17. Januar 1832 geschriebene, Crainfelder Brief hat folgenden gemüthlichen Eingang:
„Ihr Lieben in Hermannstein! Wie oft reden wir von Euch — besonders wann wir bei den langen Winterabenden so ganz allein bei dem warmen Ofen sitzen und uns mit allerlei Gesprächen die Zeit verkürzen. Mich deucht, es müßte Euch deßwegen manchmal vor Eueren Ohren klingeln! — und geschieht dieses zuweilen (wie ich sicher vermuthe) — so denkt: jetzt denken und reden unsere besten Freunde in Crainfeld an und von uns! — Bei den schönen Tagen, die wir vor einiger Zeit hatten — und jetzt wieder haben, hatten wir zuweilen die angenehme Vorstellung: vielleicht kommt der Christian jetzt einmal! — und wir vergnügten uns an diesem bloßen Gedanken! Ja, wann Er jetzt käme, sagte gestern meine Frau, und hätte seinen kleinen Karl auf dem Rücken hangen!“
Der Crainfelder Pfarrer legte, wie viele seiner Amtsbrüder damaliger Zeit, besonderen Wert auf eine gute Tasse Kaffee, was sich, außer in manchen anderen Briefstellen, auch deutlich im Anfange seines Briefes vom 17. Oktober 1832 ausdrückt:
„Lieber Sohn! Bei der günstigen Witterung, die wir haben, ist alle Herbstarbeit gut von statten gegangen, und Alles nach Wunsch eingeerntet worden. Obgleich die Kartoffeln nicht so dick waren wie das vorige Jahr, so sind sie doch recht gut; wir haben 143 Säcke voll bekommen. Aber wahrscheinlich war auf das Kaffee-Surrogat — die gelben Rüben — ein
Mehlthau gefallen; denn diese sind über alle Beschreibung schlecht, so klein und dünn, daß wir nie dergleichen gehabt haben: doch auch dieses kann auf der anderen Seite die gute Folge haben, daß nicht viele Rüben zum Kaffee können genommen werden, und folglich der Kaffee desto besser werden wird.“
Der Wunsch, auf einer besser dotierten Pfarrstelle, als es die Crainfelder war, seine Einnahme zu erhöhen, was er als die Pflicht eines treuen Familienvaters ansah, veranlaßte Christian Spamer mehrfach, und auch noch in vorgerückten Jahren, sich um solche bessere Stellen zu bewerben. Doch nahm er es mit Gleichmut auf, wenn eine solche Bewerbung ohne Erfolg blieb. So schreibt er am 24. Februar 1833:
„Lieber Christian und liebes Katharinchen! Der vormalige Pfarrer Dippel dahier schrieb oft in dem alten, die Pfarrgüter, Besoldungen ec. enthaltenden Buche, zu seiner Erheiterung:
- Wie's Gott gefällt, so lauf's hinaus,
- Ich lasse die Vögelein sorgen;
- Kommt mir das Glück nicht heut zu Haus,
- So kommt's, ob Gott will, morgen.
- Was mir ist beschert, bleibt unverwehrt,
- Ob sich's schon thut verziehen:
- Dank Gott mit Fleiß, — soll's sein, so sei's,
- Er kann mein Glück wohl fügen!
Dieses Verschen steht, von 1622 an, vor jedem folgenden Jahreswechsel in dem Buche. So denke ich auch bei meinem Wunsche — noch in meinem Alter auf eine andere Pfarrstelle zu kommen. Ich kann mich über das Glück durchaus nicht beschweren; dasselbige ist mir schon lange in's Haus gekommen; ich erkenne es dankbar an und bin auch wahrhaft zufrieden! — Hingegen hat der Mensch — es mag so gut mit ihm stehen, als er es nur verlangen kann, — immer noch Wünsche zum Besseren. — Nun, wie's Gott gefällt, so lauf's hinaus!“
Am 30. Januar 1834 schreibt der Vater seinem Sohne unter anderem auch über einen heftigen Anfall von Rheumatismus, dieses erblichen Familienübels, von welchem auch der Hermannsteiner Pfarrer in der Folge lange und schmerzhaft heimgesucht wurde:
„Mein lieber Sohn! Deine Kinder haben uns Traurigkeit und Freude verursachet: Traurigkeit durch ihre Leiden; Freudigkeit durch die glückliche Befreiung von denselben. — Auch ich habe seit dem 12. d. M. mein altes Uebel im Rückkreuz wieder! — Jedoch es hat schon viel von seiner Stärke verloren; und ich habe gegründete Hoffnung, in wenigen Tagen ganz davon befreit zu werden. Ich hatte mir solches durch Erkältung zugezogen. Seit Anfang dieses Kirchenjahres predige ich nämlich über das 5te, 6te und 7te Kapitel Matthäi, oder die sogenannte Bergpredigt, und bin bis jetzo gekommen bis zu Ende des 16. Verses im 5. Kapitel. Bei diesem Stande der Dinge kann ich also keine Zuflucht zu meinem alten Schatzkästchen nehmen, sondern es muß jeden Samstag Abend eine neue Disposition ausgearbeitet werden, welches mir wahres Vergnügen macht. Allein — bald werde ich damit früher, bald später fertig, und am 11. d. M. beschäftigte mich diese Ausarbeitung bis zum Sonntag Morgen 2 ½ Uhr. Während der Nacht war es nun kalt in der Stube geworden, weil ich in der Andacht an's Feuerschüren nicht gedacht hatte. Durch das Stillsitzen und durch die kalte Stube war mein Körper aber so kalt wie Eis geworden, welches ich erst merkte, wie ich mit der Arbeit fertig war und aufstehen wollte: wo ich dann auch zu gleicher Zeit eine große Steifheit im Rückkreuz empfande. — Der nämliche Fall trat nun abermal in der Nacht vom vorigen Samstag auf den Sonntag ein: — und so wurde dieses Uebel auf den höchsten Punkt gesteigert: dennoch hielt ich am vorigen Sonntag
meine Morgenpredigt, die Betstunde, und hatte auch noch eine Kindtaufe in einem hiesigen Hause. Aber am Sonntag Abend traten nun alle erdenklichen Schmerzen in meinem Rückkreuz mit solcher Heftigkeit auf, daß ich's nicht genug beschreiben kann. — Doch genug davon! — Was schadet, das lehret! - In Zukunft will ich meine Predigtdisposition des Samstag Nachmittags, nach dem Kaffeetrinken, beginnen, — dann brauche ich nicht mehr so lange in der Nacht daran zu arbeiten. — Lerne auch Du daraus: nicht zu lange in der Nacht zu studieren — damit Dir nicht vielleicht etwas Aehnliches passiren möge! — Könnten wir dann nicht wohl bald wieder einmal etwa auf der Rabenau eine Zusammenkunft haben? — Deine Mutter hat ein herzliches Verlangen, Euch und Euere lieben Kinder zu sehen. Ich würde diesesmal hier bleiben und Karl und seine Mutter könnten dahin kommen. Ich besuchte Euch dann v. d. in Hermannstein auf eine andere Zeit in diesem Jahre! Wäre ich doch künftigen Sonntag bei Dir, um Dir auf Deinen 31ten Geburtstag recht herzlich Glück wünschen zu können! — Wie innig wollten wir uns freuen! — Nun, wir wollen Deinen und den Geburtstag des Karl, auf künftigen Sonntag des Nachmittags und Abends zusammen dahier feiern, und dabei die Gläser des Sonntags Abends um 8 Uhr auf Dein Wohl dergestalt anstoßen, daß Ihr den Schall davon in Euerer Stube in Hermannstein hören sollt! — Wir Alle grüßen Euch herzlich und ich insbesondere bleibe Dein treuer Vater Ch. Spamer.“
Das Hermannsteiner Pfarrhaus mit seinen meterdicken Mauern und meist voll Wasser stehenden Kellern war eine ungesunde Wohnung, und geschah es wohl mit aus diesem Grunde, daß die Crainfelder Großeltern, nach dem schon am 9. August 1834 erfolgten Tode ihrer Hermannsteiner Schwiegertochter, deren zweiten Sohn Eduard, einen besonders schönen und geweckten, aber zarten Knaben, zur Pflege mit sich nach Crainfeld nahmen. Der damals 2 Jahre alte Eduard war der Liebling seines Vaters und wurde auch bald die besondere Freude seiner Großeltern. Dies kommt in den Briefen des Crainfelder Großvaters an seinen Hermannsteiner Sohn aus jener Zeit vielfach zum Ausdruck. Am 6. September nahmen die Großeltern ihr Enkelchen nach Crainfeld mit und schon am 17. jenes Monats meldet ein großväterlicher Brief folgendes über Reiseverlauf und Befinden des lieben Pfleglings nach Hermannstein:
„Gott zum Gruß! An den Christian und die beiden Karls! Es ist Zeit, daß ich Euch Nachricht ertheile, vom 6. bis 17. d. M. Den 6. kamen wir wohl und gesund, Abends um 6 Uhr in Crainfeld an, ohne daß uns Eduard auf der Reise im Geringsten incommodirt hätte, vielmehr war er äußerst zufrieden und recht munter; nur äußerte er einiges Mißfallen über die Trennung seines Vaters von ihm: „Vater fort!“ sagte er mehrmal, und machte mit ausgestreckten Aermchen ein Fäustchen: „Du Du Vater! haue!“ - Hierauf fragten wir ihn, bist Du denn deinem Vater nicht gut? soll er gehauen werden? Da verwandelte sich sogleich seine Heftigkeit in Lächeln und Liebe, und er sagte: „Vater gut, nicht hauen!“ — Dieses hat er mehrere Tage lang noch so geäußert. Wir zeigten ihm des Vaters Silhouette unter dem Spiegel; hierüber gerieth er in die größte Freude, schmeichelte dem Bildniß mit rührender Zärtlichkeit, küßte es mit Heftigkeit oft und vielmal — und wir Alle mußten es auch mehrmals küssen. Aber was sagt Ihr dazu? so wie ihm Euere Mutter das Gemälde des Vaters auf der oberen Stube gezeigt und ihn gefragt hatte, wer ist denn das? „Vater“ war sogleich die Antwort, und hatte er es herbeigezogen und drunter und drüber geküßt und geschmeichelt. Mein Gemälde hatte er auch sogleich erkannt „Großvater!“ Euerer Mutter Gemälde hatte er aber für seine Goth gehalten. — Nur einigemal habe ich ihm die Kupferstiche von Goethe, Klopstock, Schiller, Wieland, Gellert, Beethoven und Kühnöl genannt, und schon lange nennt er jedes Bildniß mit dem rechten Namen, mag man ihn fragen in oder außer der Reihe, wie sie an der Wand hängen. Der Name Klopstock war ihm gleich zum erstenmal, wie ich ihn nannte, äußerst auffallend — und er sah mich, wie ich ihn ausgesprochen hatte, etwas schüchtern und furchtsam an. Ich sagte ihm aber
sogleich, sieh das soll kein Klopstock sein, womit man schlägt, sondern der Mann heißt Klopstock, so wie du Eduard Spamer heißt; du brauchst dich vor ihm nicht zu fürchten! Nun sage, Klopstock! — Hierauf sagte er herzhaft „Klopbock!“ — und lachte laut dabei. Die anderen Namen der oben genannten Bildnisse aber spricht er deutlich aus — bis auf Kühnöl, welcher noch nicht recht fließen will. So oft er aber den Namen „Klopbock“ nennt, so oft lacht er darüber. — Eduard ist sehr einnehmend bei Allen, die ihn noch gesehen haben; an meiner Frau, mir und Theodor hängt er am meisten und liebsten. Ich muß ihn, wann ich auf dem Klavier spiele, auf den Schooß nehmen, — er spielt — und, wann ich dabei singe, singt er auch mit. - Er bekommt von Zeit zu Zeit (Anfangs täglich) mehrmalen etwas guten Wein; übrigens ißt und trinkt er Alles mit gutem Appetit, was man ihm giebt, und was wir essen und trinken; kurz Hausmannskost ist ihm dienlich; und die Kartoffeln mit Butter darauf (Butterbrod drauf, sagt er) ißt er besonders gerne; auch zieht er Brodbröckchen zum Kaffee dem mürben Weck vor. Um 12 Uhr des Mittags — wann wir gegessen haben, wird er (der Fliegen wegen) auf die Oberstube auf's Bette gelegt; und hier schläft er ruhig 2, 3 auch manchmal 4 Stunden lang. Meine Frau hat ihm die Wiege zurecht gemacht, welche des Abends aus der Kammer in die Wohnstube gestellt wird; darin schläft er die ganze Nacht recht ruhig, unter leichter Bedeckung; und des Morgens, wann er in seiner Wiege aufwacht, ist gewöhnlich sein erstes Wort, das er hören läßt: „Paffee (Kaffee) esse“. — Sogleich steht seine Großmutter auf, nimmt ihn, zieht ihn an und macht in seiner Gesellschaft Kaffee; ein „Bomp“ (Brocken Zucker) muß alsdann mehrmalen in's Kaffeeköpfchen unter die Weck- und Brodbröckchen geworfen werden; und so trinkt und ißt er sein Portionsköpfchen voll mit vieler Zufriedenheit aus, — und dann spricht er „satt!“ — Um diese Biographie in's Kurze zu ziehen, versichere ich Euch, daß die Vogelsberger Luft, Kost und Behandlung bisher einen so günstigen Einfluß auf ihn gehabt haben, daß er hier schon beträchtlich zugenommen, festes Fleisch bei ihm hervorgebracht, und ein rothes, gesundes Aussehen an seinem vorher blassen Gesichtchen bewirkt hat. Kurz, wir freuen uns recht herzlich über ihn! Er läßt Euch grüßen! ec.“
Hierzu sei bemerkt, daß die im obigen Briefe angeführten und noch heute im Familienbesitze befindlichen Oelgemälde der Crainfelder Pfarrleute und ihres Hermannsteiner Sohnes im Jahre 1834 vom Maler Volkmar angefertigt wurden.
Ein Brief vom 30. Mai 1835 erzählte dem Hermannsteiner Sohne von Eduard folgendes: „Eduard wird uns, wenn wir ihn nicht mehr hier haben werden, gewiß unbeschreiblich leid thun, — denn er hat zuweilen solche naive Einfälle, die uns Wochen lang, wenn wir uns daran erinnern, recht herzlich erfreulich sind; e. g. vor einigen Wochen ließ der hiesige Bürgermeister durch den Ortsdiener bekannt machen: wer dem Sebastian Franz seine Güter kaufen wolle, der sollte gleich zum Bürgermeister kommen; — sowie der Ortsdiener nach dem Zeichen mit der Schelle dieses bekannt gemacht und ausgeredet hatte, — und meine Frau zufällig mit dem Eduard an der Hinterthüre des Pfarrhauses (nach der Straße zu) steht, so ruft Eduard dem Ortsdiener zu: „Eduard kauft keine Güter, der Bürgermeister mag sie behalten!“ — Hierauf fragt ihn meine Frau: ja weißt du denn auch, was Güter sind? — darauf sagte er gleich: „Aecker und Wiesen“. — Sodann wollte er vor einigen Wochen meinen Hut und Stock haben; ich gab ihm beides; — er setzte den Hut auf seinen Kopf, nahm den Stock in die Hand, und ging nach der Stubenthüre, die ich ihm aufmachen sollte. Ich fragte ihn, wo willst du denn mit meinem Hut und Stock hin? — Ganz ernstlich erwiderte er: „ich will nach Bermuthshain und ein Kind taufen!“ — Kurz, es ist ein allerliebster Bube, dem Jedermann, der ihn siehet und beobachtet, gut ist. — Wenn wir ihn nicht mehr hätten, würden wir wenig lachen und froh sein; so aber macht er uns gar oft ein recht fröhliches Herz!“
Am 5. November 1835 schreibt Christian Spamer unter Anderem: „Daß Karl das Minchen (die 2. Frau Christian Spamer's II) schon respectirt, wie Du schreibst, ist ein gutes Omen! — auch Eduard ist seiner neuen Mutter gut und hält bei ihr; e. g.: Vor einigen Tagen war die Hindel (Löb Stein's Frau) bei uns, wo zufällig die Rede von Minchen war. Eduard hörte dem Gespräch meiner Frau und der Hindel zu. Die Hindel sagte nun zum Eduard: Dein Vater hat die neue Mutter fort gejagt und ist ihr gar nicht mehr gut. Mit der lautesten Stimme rief ihr sogleich Eduard entgegen: „Du lügst, Hindel!“ und wie die Hindel solches wiederholte, rief ihr Eduard mit grimmiger Miene und noch lauter zu: „Du lügst wieder! der Vater ist der neuen Mutter gut!“ — Bist du ihr denn auch gut? sagte Hindel; „ja ich bin ihr auch gut!“ war die Antwort. Wir freuten uns Alle über diese unverstellte und herzliche Liebe Eduards zu seiner neuen Mutter.“
Ein Brief vom 12. März 1836 theilt dem lieben Sohne und dem lieben Minchen mit, daß die Crainfelder Eltern ihr Ackerland verpachtet, somit von dem lästigen Ackerbau befreit seien, und sich nur Wiesen zum nötigen Gefütter für drei Stück Rindvieh vorbehalten hätten. Eduard sei, zeitweiligen Husten und Schnupfen abgerechnet, gesund und lasse herzlichst grüßen. Doch im Mai desselben Jahres wurde Eduard von seiner Großmutter und Onkel Karl in's väterliche Haus zurück gebracht. Der folgende Brief seines Großvaters, dem außerdem noch betrübende Nachrichten betreffs seines jüngsten Sohnes zugekommen waren, zeigt, wie schmerzlich er den Verlust des geliebten Enkels empfand:
„Crainfeld, den 30. Mai 1836. Lieber bester Sohn! Die Last, die ich seit der Abreise des lieben Eduard — und seit dem 28. d. M. Abends, wo Constantin von der Rabenau zurückkam, zu tragen habe, ist unbeschreiblich schwer!!! Denn die Abwesenheit dieses lieben Kleinen, an dem mein ganzes Herz hing, und der meine einzige Freude war, -— hat mich unbeschreiblich traurig und mißvergnügt gemacht. — In dieser traurigen Gemüthsbewegung kam nun Constantin (Enkel) am vorigen Samstag Abend, und mußte mir von der Rabenau etwas sagen, — es fehlte nicht viel daran, daß ich nicht ohnmächtig zu Boden sank! — Grüße an Euch Alle — denn hoffentlich wird Eduard nebst sicherer lieber Begleitung bei Dir angekommen sein, — küsse ihn statt seines Crainfelder Großvaters — und schreibe mit erster Post Deinem treuen — unglücklichen Vater Ch. Spamer.“
Leider mußten Christian Spamer und seine Frau an ihrem ältesten und jüngsten Sohne Betrübnis erleben. Beide vollendeten, zumeist wegen zu früher, den Eltern unerwünschter Heiraten, ihre Studien nicht, und mußten danach, obgleich es ihnen an Begabung zu Besserem keineswegs fehlte, mit unbefriedigenden Lebensstellungen und Verhältnissen vorlieb nehmen. Christian allein hat den Herzen der Eltern nur Freude bereitet. — Nach der Rückkehr seiner Frau und seines Sohnes Karl, welche Eduard nach Hermannstein geleitet hatten, meldet dieses dem Vater Eduard's ein längerer Brief Christian Spamer's vom 25. Juni 1836, der mit folgenden Sätzen beginnt:
„Mein lieber Sohn! Vorerst benachrichtige ich Dich, daß Deine Mutter und Karl am 14. d. M. Abends um ¾ auf 11 wieder glücklich angekommen sind: der Postbote hatte wegen noch zwei anderen Personen aus Schotten, welche von Giessen in der Chaise mitgefahren, und anderen Sachen, welche nicht leicht gewesen, nur sehr langsam fahren können — und sie waren erst des Nachmittags um 5 Uhr in Schotten angelangt; wo dann Beide nach 6 Uhr den Weg von da nach Crainfeld zu Fuß angetreten — und Deine Mutter so ermüdet nach Hause kam, daß sie nichts von essen und trinken hören wollte, sondern sich augenblicklich auszog und in's Bette legte. — Der Umstand, daß sie von Eduard keinen Abschied hatte nehmen können — und der Umstand wegen Karl, hatte sie hart, hart angegriffen. —- Hingegen wird die Zukunft hoffentlich das Alles bei meiner Frau und mir, wo nicht ganz vertilgen, doch nach und nach erträglicher machen.“
Einem vom 26. Februar 1838 datierten Briefe an den Hermannsteiner Sohn, welcher zu jener Zeit mit seiner späteren dritten Frau, meiner Mutter, verlobt war, entnehme ich Folgendes:
„Lieber Sohn! Wir hofften schon im vorigen Jahre auf einen Besuch von Dir, und da dieser nicht erfolgte: so glaubten wir gewiß, daß Du doch zu Anfang dieses Monats zur Feier Deines Geburtstages bei uns eintreffen würdest. Wir ließen deßwegen auch 2 Bretzeln backen; mit der Einen solltest Du, mit der anderen Dein Bruder Karl angebunden werden. Da Du indessen bis zum 2. d. M. nicht eintrafest: so haben wir am Abend des besagten Tages, in Gesellschaft einiger guten Freunde, doch Deinen Geburtstag gefeiert — und auf Dein Wohlsein getrunken. — Nach dieser schon so langen Erwartung auf Deine Ankunft, freut es uns nun um so mehr, daß wir demnächst, nach deiner Versicherung vom 12. d. M., auf Deinen Besuch — und zwar in Gesellschaft Deiner Geliebten, ganz sicher rechnen können. — Mein Schwager auf der Rabenau schrieb mir, er hoffe, daß Du ihn demnächst besuchen — und von da nach Crainfeld reisen würdest, wo er in Deiner Gesellschaft mit hierher kommen werde. Wenn Du derowegen Deinen Hierherweg über die Rabenau einrichten willst und kannst, so gebe meiner Schwägerin den ernstlichen Wunsch zu erkennen, daß sie, sowie mein Schwager dahier erwartet würden. — Auch bemerke ich, daß ich auf Martini v. J. angefangen habe, täglich nur drei Pfeifen Tabak zu rauchen, nämlich des Morgens nach dem Kaffeetrinken eine, des Nachmittags nach dieser Arbeit eine und des Abends nach dem Essen eine. — Nur der Sonntag ist von dieser Regel ausgenommen, an welchem Tage ich vier rauche — die zweite nach gehaltener Morgenpredigt, vor dem Mittagessen. Vom 11. November v. J. bin ich diesem Vorsatz bis jetzt treu geblieben und werde auch in Zukunft dabei bleiben. — Dein Karl befindet sich wohl und hat seine besondere Freude am Lesen. Er hat zwei kleine Büchlein, „die Beatushöhle“ und „das Blumenkörbchen“ ganz durchgelesen. Daß Ihr eine Kirchenorgel bekommt, freut mich sehr! Uebrigens unseren herzlichsten Gruß von Haus zu Haus und besonders von Deinem Vater Chr. Spamer.“
Am 19. September 1838 berichtet der Vater einen erlittenen schweren Unfall, dessen Folgen der bereits 68jährige Mann jedoch glücklich überwunden hat. Er schreibt:
„Lieber Sohn! Ich hatte mir vorgenommen erst nach Verlauf von etwa 8—14 Tagen an Dich zu schreiben und Dir mein Schicksal bekannt zu machen, mit dem ich heimgesucht worden bin; allein ich habe mich besonnen, und will es doch nun früher thun, damit die gewöhnlich übertreibende Fama nicht möglicher Weise die Sache auf eine vergrößerte Art früher zu Deinen Ohren bringen möge, als die Nachricht von mir bei Dir anlangt. Höre also die traurige, — und doch noch äußerst glücklich abgelaufene Begebenheit: Am 4. d. M. Nachmittags zwischen 5—6 Uhr gehe ich in die hiesige Pfarrscheuer und will zwei Gerüstbalken, welche beim Heuabladen von dem Fuhrmann aufgehoben worden waren, wieder an ihre Stelle legen (dieses habe ich alle Jahre gethan); — ich stieg also die Tennleiter hinauf auf das Gerüste. Indem ich nun mit dem rechten Fuß auf dem letztliegenden Gerüstbalken stand, und mit dem linken Fuß auf einen Riegel an der Seitenwand trat — und glaubte mit diesem linken Fuß einen sicheren Tritt zu thun: so hatte sich der Pantoffel, den ich anhatte, von dem Fuß handbreit verschoben, welches ich nicht gefühlt noch bemerkt hatte; der Pantoffel kam nun wohl richtig auf den Riegel, aber der Fuß war nicht gehörig darin; mithin ging der linke Fuß augenblicklich aus dem Pantoffel heraus, und ich fiel 16 Schuhe hoch von da herab in's leere Tenn. (Hätte ich Schuhe oder Stiefel angehabt, worin der Fuß nicht zurück gehen konnte, so wäre mein Tritt sicher gewesen — und ich wäre nicht gefallen.) Ich fiel nun gerade auf die posteriora, doch vorzüglich auf den rechten Theil. Es war Niemand weder in der Scheuer noch in dem Haus; meine Frau war bei dem Gerstenbinden am Rödchen beschäftigt; die Emilie und Magd waren im Feld, und der Karl war den nämlichen Tag des Morgens nach Schotten vor's Landgericht in Sachen verschiedener
Schuldner. — Ich versuchte sogleich nach dem Fall aufzustehen — um zu erfahren, ob ich nichts entzwei gefallen hätte; und da ich nahe an der Tennwand lag, so gelang es mir, mittelst des Haltens an der Wand; Ich spürte nun, daß ich wahrscheinlich nichts entzwei gefallen, denn auf dem linken Bein konnte ich sicher stehen, aber das rechte Bein wollte mich nicht tragen; ich konnte es zwar heben und vor- und rückwärts bewegen, aber darauf treten — oder damit fortgehen war mir unmöglich. — Da stand ich nun, mich an die Wand haltend, auf dem linken Bein — und konnte nicht weiter. Zum Glück hing ein Dreschflegel an der Tennwand, den ich mit Mühe ergreifen konnte, ihn herunter nahm und mich mittelst desselben nach einem Stuhl arbeitete, der in der Scheuer stand. Ich setzte mich auf denselben und mußte warten bis mir Jemand zu Hülfe kam. Nach 10 Minuten ungefähr kam meine Frau vom Gerstenbinden, und da ich durch deren alleinige Hülfe nicht fortkommen konnte, so holte sie unseren Nachbar Heinrich Müller, der mich auf seinem Rücken in unsere Stube auf's Bett trug. Meine Frau bähete nun das Kreuz und den Ort, darauf ich gefallen war, mit warmem Kampferspiritus, und den 5. d. M. ließ ich den Herrn Dr. Bork kommen. Dieser magnetisirte mich auf dem Rücken, Kreuz und an dem Bein, welches vorzüglich Noth gelitten hatte, um durch's Magnetisiren die gequetschten Muskeln und Fasern wieder in Thätigkeit zu bringen. Alles Bähen sollte aufhören, und den 7. wollte er wieder kommen. Er kam, magnetisirte wieder, wie das vorige mal, und ordnete nun an, daß mich meine Frau 3-4 mal des Tags mit ganz kaltem Bachwasser auf dem Kreuz, dem Bein — und wo mir's weh thäte, waschen und jedesmal gehörig abtrocknen solle. Dieses Waschen bekommt mir sehr wohl; die innere Hitze wird dadurch abgekühlt, und die Haut und Muskeln werden gestärkt. Den 13. d. hat er mich zum 3. mal magnetisirt, — und er meint nun, es sei genug — das Waschen aber soll noch immer fortgesetzt werden — welches auch bis jetzt geschieht — und noch länger geschehen wird. Die Schmerzen, die ich bei der geringsten Bewegung des Körpers empfunden habe, kann ich nicht beschreiben - besonders in den ersten Tagen; Tag und Nacht konnte ich nicht schlafen, wodurch ich sehr entkräftet wurde; ja es ging mir einmal in der Nacht, wie es Hiob ging, ich wünschte mir vor Ungeduld den Tod. (Gott möge es mir verzeihen!) Seit dem 9. aber haben sich die Schmerzen täglich vermindert, und seit diesem Tage bin ich jederzeit den ganzen Tag über außer Bette. Den 13. spielten Bork, Karl und ich 2 Stunden lang Tarok. Auch kann ich nun schon seit 3 Nächten wieder ziemlich schlafen, wodurch meine Kräfte wieder merklich zunehmen. Ich ließ mir den 10. d. 2 Krücken machen, damit ich nach und nach wieder durch ihre Unterstützung Bewegung und Leben — und das rechte Bein wieder allmählig Kraft zur Tragung des Körpers bekommen möchte. Diese Krücken haben mir gute Dienste geleistet; jedoch habe ich sie nun schon einige Tage gänzlich bei Seite gestellt, und gehe jetzo mit 2, auch oft mit einem Stock in der Stube langsam hin und her, und das rechte Bein erhält jeden Tag wieder mehr Kraft: so daß ich hoffe in Zeit von 14 Tagen wieder ohne Stock, durch Gottes Hülfe, gehen zu können. Soviel für diesmal von meinem Unfall. Wir alle grüßen Dich, Dein liebes Weibchen, den lieben Karl (dessen Briefchen uns viel Spaß machte), wie auch die Lieben zu Aßlar ec. Dein guter Vater Chr. Spamer.“
Am 15. Juni 1839 erfolgte die Erwiderung auf eine Hermannsteiner Geburtsanzeige.
Liebster Sohn! Dein Schreiben vom 4. d. M., worin Du uns die glückliche Niederkunft Deines lieben Weibchens mit einem gesunden Knaben bekannt machtest, hat uns um so mehr recht herzlich gefreut, je besorgter wir seit einigen Wochen wegen diesem Ereigniß für Carolinchen waren. Gott sei Dank! daß Alles so gut und erwünscht ausgefallen ist. Hoffentlich wird auch noch Alles wohl stehen! — Ich und Deine Mutter haben nun schon 14 Enkel erlebt, wovon noch 9 am Leben — und 5 in eine bessere Welt versetzt worden sind. Es soll uns überaus freuen, wenn wir wenigstens Antheil an der Gevatterschaft nehmen, und zu der Anzahl der
Gevattern eingeladen werden; — — möchte doch der liebe Kleine wieder ein Eduard werden; dem Namen und der Person nach!!!“
Einen ferneren Brief vom 18. Januar 1841 schließt der gute Großvater mit folgenden freundlichen Worten für seine beiden Hermannsteiner Enkel:
„Der liebe Karl in Hermannstein und Hermann freuen uns recht sehr, — wegen dem Fortschritte Karls in den Schulwissenschaften — und der sicheren Hand, welche Hermann in seinem Schreiben an uns bewiesen hat; überhaupt stehet Hermann, wegen seiner Herzensgüte, — bei meiner Frau und der Emilie in besonders gutem Andenken: (Mein Christkindchen und Neujahr für Beide wird bei unserer persönlichen Gegenwart auch nicht vergessen werden).“
Der zweitfolgende Brief vom 5. Mai 1841 bezieht sich unter Anderem auf die im Hermannsteiner Pfarrhause erfolgte Ankunft einer Enkelin, und verdient in seinem Haupttheile hier Platz zu finden, wie folgt:
„Lieber Sohn! Wir Alle in unserem Hause haben uns über Dein Benehmen, die Melbacher Präsentationsgeschichte betreffend, recht herzlich gefreut. Du hast Alles gethan, was Dir zukam, Deine Absicht zu erreichen; und wenn dies durch allerlei niedrige Kunstgriffe Anderer nicht gelungen ist, so kann Dir dennoch Deine rechtliche Bemühung in dieser Sache in Zukunft zu einer anderen guten Pfarrstelle verhelfen: weil Dein neuer Kirchenpatron diesen Gegenstand der Gnade unseres Großherzogs recht schön empfohlen hat — und auch den Ministerialräthen solches schreiben will. — Ich erinnere mich hierbei recht wohl, daß der nunmehr verewigte Hauptmann von Schenck ein ähnliches Verfahren bei der Präsentation des Kleeberger nach Melbach beobachtete; indem er diesem, und nicht seinem Pathen Rau, die Präsentation ertheilte; — und Rau erhielt nach einigen Jahren die gute Pfarrstelle in Odernheim. Wenn demnach in Zukunft eine beträchtlich gute Pfarrei erledigt wird, so melde Dich um solche, und ersuche den neuen Herrn Patron von Schenck, die Ministerialräthe an sein ehemaliges Empfehlungsschreiben auf's neue zu erinnern; dann ist wahrscheinlich ein guter Erfolg zu hoffen. — Daß Du den Karl in's Gymnasium nach Wetzlar gethan hast, ist recht wohl gethan, und es freut mich herzlich, daß es ihm in demselben gut gefällt. Sollte in der Zukunft die Lust zur Erlernung der gelehrten Sprachen und übrigen Wissenschaften nicht abnehmen und zu erwarten sein, daß Karl gründliche Kenntnisse darin erlangen werde, so kann er sich irgend einer besonderen Wissenschaft, der Theologie, der Jurisprudenz ec. widmen, zu welcher er die vorzüglichste Lust, Anlage und Vorbereitungs-Kenntnisse hat. Sollte aber diese Lust an dem trockenen gelehrten Kram dieser Wissenschaften in Zukunft bei ihm vergehen, so kann er ja zu einem anderen Berufe ausgebildet werden. Auf jeden Fall — und auch in der letzten Hinsicht — ist ihm aber der Besuch des Gymnasiums nützlich. — Die erwünschte Nachricht von der glücklichen Ankunft Deiner Tochter, und von ihrem und ihrer lieben Mutter Wohlbefinden, hat uns recht sehr erfreuet. Der Himmel segne auch fernerhin Dein liebes Weibchen, Deine lieben Kinder, Dich und alle Mitglieder unserer Familien! Es wäre zu wünschen gewesen, daß die liebe Kleine ihre Ankunft nur noch um einen Tag verzögert hätte; dann würde sie mit Karl — nur 11 Jahre später — auf den nämlichen Datum und Sonntag in dieser Welt angekommen sein. Zu Gevattern — oder Mitgevattern erbieten wir — und gewiß auch die Emilie in Aßlar — uns mit dem aufrichtigsten Wunsche! — Heute sind es 44 Jahre, da ich und Deine Mutter unseren Ehestand angetreten haben. Wir haben Ursache, Gott zu danken, der uns bisher so väterlich in frohen und traurigen Tagen geleitet hat; und haben das feste Vertrauen zu ihm, daß seine Gnade über uns walten werde in Ewigkeit! Wir haben nun schon 16 Enkel erlebet, wovon 5 in die bessere Welt versetzt worden sind. — Es wäre möglich, daß wir noch unsere goldene Hochzeit feiern könnten! — Nun, wie Gott will, so ist mir's recht!“
Zum Schlusse dieser Auszüge aus Christian Spamer's Briefen an seinen Hermannsteiner Sohn möge noch Anfang und Ende des am 12. Januar 1842 verfaßten Briefes hier mitgeteilt sein:
„Lieber Sohn! Sehr häufige Amtsgeschäfte und Schreibereien, welche ich im vorigen Monate bis heute unaufschieblich zu besorgen hatte, haben mich verhindert eher an Dich zu schreiben. Dein letzter Brief im November v. J. hat uns allerlei bekannt gemacht, was uns angenehm und erfreulich war; — besonders ist uns das schöne Betragen der Hermannsteiner Frau gegen ihren alten Vater — und die deßfalsige Leichenpredigt, die Du gehalten hast, höchst erfreulich und rührend gewesen; und ebenso die Wünsche und Ergießungen Deines Herzens gegen Deine treuen Eltern. Deine Mutter dankt Dir, daß Du so viel Gutes ihr auf ihren 65. Geburtstag und fernerhin wünschest; wie auch insbesondere für das Pelzchen, welches sie im Winter um ihren Hals gebunden, warm halten soll. Sie hat schon dessen gute Wirkung in der Crainfelder Kirche lobend erwähnt, wie sie nach Haus kam. Unsere Wünsche für Dich, Dein liebes Weibchen und Deine Kinder zum angefangenen Jahre, sind die Besten, die aus dem Herzen treuer Eltern kommen können: Gott segne Euch mit allerlei leiblichem und geistlichem Wohlergehen, so viel Euch gut und nützlich ist, nicht nur in diesem Jahre, sondern auch in Euerem ganzen irdischen Leben! — Die 2 Hausfrauen im hiesigen Pfarrhause (Frau und Schwiegertochter) haben diesen Winter schon zu 60 Ellen leinen breites Tuch gesponnen und wollen von jetzt an diesen Winter noch zu 60 Ellen leinen Schmaltuch spinnen. Die Magd hat Wolle gesponnen und Ahnschwingen — und grobes wirken Garn, das verkauft wird. — Was dünkt Dich von dieser Spinnerei? sind diese fleißigen Leute nicht alles Lobes würdig?! — Zuletzt noch das Wichtigste! Wir sind alle, Gott sei gedankt! noch recht gesund und ich kann meine Amtsgeschäfte noch so munter und kräftig wie vor 20 Jahren versehen. Wie oft wünschen wir, daß wir zu Zeiten bei Euch — oder Ihr nebst Eueren lieben Kindern bei uns sein könnten! Doch, nicht hier — sondern in einer anderen Welt werden unsere Wünsche besser erfüllt werden!
Unsre Wünsche, unser Sehnen, Alles, Alles wird erfüllt!“
Ich schließe mit den herzlichsten Begrüßungen von uns Allen zu Euch Allen und an Dich ganz vorzüglich, und bleibe
- Dein treuer Vater
- Ch. Spamer.“
- Dein treuer Vater
Von einem Besuche, den meine Crainfelder Großeltern im Sommer 1842 in Hermannstein ausführten, stammt meine einzige persönliche Erinnerung an meinen Großvater, die freilich nur die eines 3jährigen Kindes ist. Doch sehe ich ihn noch als eine mittelgroße, schlanke Erscheinung, und erinnere mich besonders deutlich seiner schwarzen Strümpfe und gleichfarbigen Kniehosen, welche Kleidung er nach alter Weise beibehalten hatte.
Am 30. April 1847, fünf Tage vor dem 50jährigen Hochzeitstage der Ehegatten, setzte Altersschwäche dem langen treuen Leben und Wirken Christian Spamer's ein Ziel.
Unter den „Todesanzeigen durch blindlings gegriffene Bibelstellen“, welche sein Sohn Christian verzeichnet hat, findet sich als dritte die folgende:
„Im Gefühle der schnellen Abnahme seiner Kräfte wünschte mein guter Vater nur noch seinen goldenen Hochzeitstag, den 5. Mai 1847, zu erleben. In Bezug auf diesen Wunsch griff er, während die letzte Stunde des Jahres 1846 ertönte, ebenfalls mit geschlossenen Augen einen Bibelvers; und welchen hatte sein rechter Daumen gefaßt? Es war: Jesaias 38. 1. „So spricht der Herr: Bestelle dein Haus; denn du wirst sterben und nicht lebendig bleiben!“ — Hierauf sprach mein Vater: „Ich werde meinen goldenen Hochzeitstag nicht erleben“.
Als er auf seinem Sterbelager die treue Gattin um ihn weinen sah, tröstete er sie, ihr voraussagend, daß, ehe zwei Jahre vergingen, sie ihm folgen werde — eine wahr gewordene Vorhersage. — Christian Spamer erreichte ein Alter von 76 Jahren 8 Monaten und 18 Tagen. Er war nicht nur seinen Pfarrkindern, sondern war und bleibt auch seiner eigenen Familie, welcher er den Weg zu höheren Lebensberufen eröffnet hat, das schönste Vorbild eines wahrhaft frommen, pflichtgetreuen Mannes und liebevollen, fürsorgenden Gatten und Vaters.
Noch heute bezeugen zwei aufbewahrte Ehrengaben, welche ihm zur Feier seines 50jährigen Dienstjubiläums im Jahre 1840 überreicht worden sind, die Liebe und Verehrung, welche er sich in seinen Gemeinden, wie auch in weiteren Kreisen erworben hat: eine Prachtbibel mit der Widmung „Ehrengeschenk am Jubelfeste des Herrn Pfarrers Spamer von seinen Gemeinden“, und das Diplom, in welchem seine Vaterstadt Schotten ihn zu ihrem Ehrenbürger aufgenommen hat. — Seine Witwe zog am 16. Oktober 1847 zu ihren Kindern nach Hermannstein. Leider wurde sie, die noch rüstig war an Körper und Geist, schon im nächsten Frühjahre von der Grippe ergriffen. Zu dieser Krankheit gesellte sich Lungenentzündung und mußte sie am 23. April 1848, im Alter von 71 Jahren 4 Monaten und 29 Tagen, diesem Leiden erliegen. Katharina Barbara Spamer, geb. Rühl, war, wie dies in ihres Sohnes Christian Autobiographie vielfach geschildert ist, eine besonders kräftige, energische, kluge Frau und eine treue, liebevolle Mutter. Ihrer hohen, schlanken Gestalt erinnere ich mich noch wohl aus ihrer im Hermannsteiner Pfarrhause verbrachten letzten Lebenszeit; — ihre sterbliche Hülle ist auf dortigem Friedhofe zur Ruhe bestattet.
Am 25. November 1776 in Schotten geboren, verheiratete Katharina sich in ihrem 21. Lebensjahre; sie war die ältere zweier Schwestern, der einzigen Kinder von Johann Konrad Rühl. Dieser letztere wurde am 20. Januar 1749 in Schotten geboren, am 21. eodem getauft, und starb am 30. April 1831 auf der Papiermühle bei Kesselbach, im Hause seiner jüngeren Tochter Dorothea Dornemann, in Folge eines Schlagflusses. Er erreichte ein Alter von 82 Jahren 3 Monaten und 10 Tagen. Eine Erinnerung an ihn sind 2 in meiner Münzsammlung befindliche Augsburger Konventionstaler, welche er s. Z. seinen Enkeln Christian Spamer in Hermannstein und Katharina Dornemann als Brauttaler geschenkt hat und von meinem Vater aufbewahrt worden sind.
Von seinen Vorfahren sind noch bekannt:
1. seine Eltern: Joh. Peter Rühl, Bürger und Metzgermeister in Schotten, und Anna Elisabetha Margaretha Hofmann, getraut am 30. November 1747;
2. seine Großeltern: Joh. Konrad Rühl, getraut mit Katharina Spamer am 17. November 1702 in erster Ehe und mit Anna Dorothea Spamer am 13. Februar 1727 in zweiter Ehe. Welche dieser beiden Schwestern die Stammmutter war, ist unbekannt. Interessant für die Wiederkehr der Namen ist es, daß die zwei Urenkelinnen einer dieser beiden Schwestern Katharina Barbara und Anna Dorothea Rühl, — die beiden Töchter des 1749 geborenen Joh. Konrad Rühl — mit den Vornamen ihrer Urgroßmutter und Urgroßtante benannt sind, und eine dieser Urenkelinnen, Katharina Barbara Rühl, wieder einen Spamer geheiratet hat.
Der ältere Joh. Konrad Rühl hatte einen Bruder Ernst Rühl, deren gemeinsame Mutter war Elise Margaretha, geb. Schwalb, und deren Mutter war Anna Kunigunde Schwalbin.
Die Mutter von Katharina Barbara Rühl, Ehefrau des Pfarrers Christian Spamer in Crainfeld, war Eva Gertraud Bechtold, geboren am 11. November 1751 in Schotten, gestorben am 25. Mai 1803; und waren deren Eltern: Joh. Heinrich Bechtold, Bürger und Leineweber in Schotten, und Katharina Barbara, geb. Becker, so daß die Vornamen der Crainfelder Pfarrin auch die ihrer Großmutter mütterlicherseits gewesen sind.
Zum Abschiede nun von den lieben Crainfelder Pfarrleuten, Christian und Katharina Spamer, möge hier noch eine poetische Spende ihres Sohnes Christian folgen, die ihnen derselbe am 75. Jahrestage ihrer Hochzeit gewidmet hat:
- Den Manen meiner Eltern
- am 5. Mai 1872.
- 1.
- O, kämet Ihr aus elysäischen Feldern
- Doch heute hernieder, vortreffliche Eltern!
- Wie würden sich Enkel und Urenkel freun,
- Auf Eurer demantenen Hochzeit zu sein!
- Denn heute sind's fünfundsiebzig der Jahre,
- Seitdem Euch in Schotten, nicht vor dem Altare,
- Herr Limpert als Bräutigam und als Braut
- Des Abends hat in seiner Wohnung getraut!
- 2.
- Dann gingt Ihr zusammen als eben Vermählte,
- Von denen sich Jedes das Andere wählte,
- Sogleich in der maiigen bräutlichen Nacht, —
- Weil Schotten war damals sehr strenge bewacht
- Von Oestreichs und Frankreichs sich feindlichen Scharen,
- Durch welche die Straßen versperret Euch waren, —
- Auf Umwegen schleichend in lautloser Ruh'
- Nach Burkhards, dem künftigen Heimathsort, zu!
- 3.
- Und weil auch nicht durfte passiren ein Wagen,
- So ließ't Ihr von Mädchen das Nöthigste tragen
- In Körben, soviel als zum Anfange Ihr
- Nicht konntet entbehren im neuen Quartier!
- Dort fandet ganz leer Ihr die Zimmer und Wände,
- Und wonach auch griffen die suchenden Hände,
- das Alles, das Alles war eben nicht da!
- Doch fandet das Beste Ihr, selber Euch, ja!
- 4.
- So dürftig in Burkhards Ihr an auch gefangen,
- So hat's Euch doch niemals dort übel gegangen;
- Im Gegentheil bald Euch die Liebe bewies:
- „Wo Ich bin, da ist auch das Paradies!“
- Und hat es auch nicht an der Schlange gemangelt,
- Die fleißig nach Dir, liebe Mutter, geangelt,
- So fand der bezauberte Offizier
- Doch keine verführbare Eva an Dir! (26 ≡)
- 5.
- Du gabst seine zärtlichen Briefchen dem Gatten,
- Bei welchem dieselben die Wirkung nur hatten,
- Daß er Deine Treue aus ihnen erkannt,
- In seinem Vertrauen nun felsenfest stand.
- „So lange Du“, sprach er, „die Briefchen mir zeigest,“
- „Und keine mir von seinen Reden verschweigest,“
- „So lange, lieb' Weibchen, ist Alles ja gut.“
- „Drum laß mir nicht sinken den fröhlichen Muth!“
- 6.
- Als lang das Quartier schon der Fremde verlassen,
- Da konntet Ihr manchmal darüber noch spassen,
- Wie sehr er sich bei einer Frau von dem Land
- Die lüsternen Finger doch habe verbrannt!
- Die achtzehn Jahre, in Burkhards verlebet,
- Die haben Euch immer vor Augen geschwebet
- Als rosige, goldene Jugendzeit;
- Im Alter noch habt Ihr Euch ihrer gefreut!
- 7.
- Dann seid Ihr, durch bess're Besoldung bewogen,
- Von Burkhards zusammen nach Crainfeld gezogen,
- Wo wieder sich Jedes im eigenen Kreis
- Hochachtung erworben und Liebe und Preis!
- Dort habt Ihr in zweiunddreißig Jahren
- Zusammen mitunter zwar Kummer erfahren;
- Doch waret Ihr einig und frisch und gesund,
- Und danktet dem Schöpfer mit Herz und mit Mund!
- 8.
- Du wolltest mit all Deinen Lieben und Theuern
- Dein goldenes Hochzeitsfest gerne noch feiern,
- Mein theuerer Vater, doch ehe es kam,
- Dein himmlischer Vater Dich zu sich schon nahm!
- Und Du auch lagst leider im folgenden Jahre
- In Hermannstein auf der Todtenbahre,
- Du, theuerste Mutter! die himmlischen Lohn
- verdienet sich hatte an jeglichem Sohn!
- 9.
- Du bist schon, nachdem Du Dir diesen erworben,
- Vor vierundzwanzig Jahren gestorben!
- Und noch ein Jahr früher ging Dir voran
- Dein biederer, theuerer Ehemann!
- Der sagte Dir: „Du wirst nicht lang um mich trauern!“
- „Dein Leben wird keine zwei Jahre mehr dauern!“
- Als das er Dir sagte, da sprach ich zwar: „nein!“
- Das aber, was Er sagte, traf hernach ein! (27 ≡)
- 10.
- Heut werdet Ihr freilich in seliger'n Höhen
- Nun Eure demantene Hochzeit begehen!
- Doch wohntet noch hier Ihr auf unserem Stern,
- Wie wollten wir mit Euch sie feiern so gern!
- Wie wollten zum ewigen Angedenken
- Wir innigste Liebe zusammen Euch schenken!
- Wie wollten wir Alle sammt Kindeskind
- Vergelten Euch, was wir Euch schuldig sind!
- 11.
- O, niemals so lange ich athmen noch werde
- Auf dieser von Euch schon verlassenen Erde,
- Wird sterben mir je in dem Herzen und Sinn
- Die Dankbarkeit, welche Euch schuldig ich bin!
- Und komme ich zu Euch in höhere Sphären,
- So wird mir mein Schöpfer die Wohlthat gewähren,
- Daß auch noch persönlich Euch danken ich kann
- Für Alles, was je Ihr mir Gutes gethan!
- Euer dankbarer Sohn
- Christian Spamer
- Der auch, wie es heute zum Feste sich schickt,
- Mit Maiblumen Euere Bilder geschmückt. D. O.
Lehrer und Organist in Crainfeld. Er wurde am 10. Februar 1798, Mittags zwischen 12 und 1 Uhr, in Burkhards geboren und am 12. eodem getauft, wobei sein Großvater Jacob Spamer und seine Tante, Fräulein Anna Dorothea Rühl aus Schotten, Paten waren. Wie aus früherem hervorgeht, bezog er zu Ostern 1820, im Alter von 22 Jahren, mit seinem jüngeren Bruder Christian die Universität Gießen als stud. theologiae, und schlossen dort beide Brüder sich der landsmannschaftlichen Verbindung Constantia an. In der Autobiographie des jüngeren Bruders und in dessen Beschreibung des am 4. März 1821 in Gießen stattgefundenen Streites zwischen Studenten und Soldaten, bei welchem der Angriff der letzteren sich besonders gegen die Constantia richtete, sind viele gemeinsame Erlebnisse der beiden Brüder aus ihrer Jünglings- und Studienzeit ausführlich und lebhaft geschildert. Theodor Spamer tritt uns in ihnen allen als ein an Leibeshöhe und Körperkraft, wie an Mut und treuester Bruderliebe ausgezeichneter Mann entgegen. Wahrhaft heldenmütig ist der Kampf zu nennen, welchen in obengenanntem Streit er allein gegen eine aufgeregte Soldateska aufnahm, um seinen Bruder aus der von letzterer umlagerten und gestürmten Kneipe der Constantisten zu befreien; ein Kampf, in welchem er erst, nachdem seine Säbelklinge gesprungen und schwere Pflastersteine seine Brust getroffen hatten, gewichen ist. Doch hatte derselbe zur Sicherung des eingeschlossenen Bruders und seiner Genossen wesentlich beigetragen. Diese seine mutige, von Bruderliebe eingegebene Tat sollte jedoch von schweren Folgen für ihn sein. Nach längerem Untersuchen und Beraten verhängte die Behörde, wegen der ausgeteilten Blessuren, über Theodor eine Karzerstrafe. Dieser aber wollte er sich nicht unterziehen, und da er sich zugleich
mit seiner späteren Frau, der Tochter eines Gießener Steuerbeamten, bereits so weit eingelassen hatte, daß er sein Verhältnis zu ihr nicht lösen mochte, so brach er mit dem Jahre 1821 seine Studien unvollendet ab und ging nach Crainfeld zu seinen Eltern zurück. — Hier mußte er, nebst seiner inzwischen gegründeten Familie, mit der nur gering dotierten (fl. 241) Stelle des Lehrers und Organisten vorlieb nehmen, und ward ihm auch diese erst im Jahre 1834, am 2. November, durch Dekret definitiv übertragen. Wenn er nun auch, bei dem starken Anwachsen seiner Familie, im Vaterhause treue Hilfe und Stütze fand, so hatte er doch leider durch unzufriedenes und zänkisches Wesen seiner Frau vielen Kummer zu bestehen. Dieses häusliche Mißbehagen in Verbindung mit einer warmblütigen Natur, trieb den, übrigens verständigen Mann, oft und mehr, als es seiner Gesundheit zuträglich war, auf die Jagd und zum Glase. — Hierdurch stellte sich ein böses, dauerndes Halsleiden bei ihm ein, welches seine Kraft erschöpfte und den früher so starken Mann am 28. Januar 1837, im Alter von nicht ganz 39 Jahren, auf die Totenbahre streckte.
Rührend ist der Brief, in welchem er, drei Monate vor seinem Tode, die Fürsorge für seine Kinder dem Hermannsteiner Bruder übertrug, und wert, hier wiedergegeben zu werden. Er lautet:
„Theuerster Bruder! Meine schwache Hand mag mir jetzt eine unsichtbare Hand führen, daß ich Dir einige meiner letzten Wünsche — ja Bitten an Dich recht nachdrücklich und ernst machen kann. Es ist der letzte Brief, den ich an Dich schreiben kann; wegen meiner Schwäche wird es wahrscheinlich das letzte Schreiben in dieser Welt sein. Dich setze ich, nächst meinem lieben Vater, zum Verwalter und Vormund über mein Vermögen und über meine Kinder — und sollte unser Vater mir auch bald nachkommen, dann, theuerster Christian! — wird die Last allein auf Dich fallen. Aber keineswegs sollst Du nach den gewöhnlichen Formen Vormund werden, sondern ohne Landgericht, ohne einen Eid der Treue, ja ohne ein Handgelöbniß sollst Du der sein, wozu ich Dich hierdurch eingesetzt habe — der Eid unserer Treue steht von Jugend auf in unseren Herzen, und heißt: Echte Bruderliebe. -- Du wirst denken — das ist ein unangenehmes und schweres Geschäft. — Aber sage mir, wem außer Dir kann ich diese Sache übergeben? Sage mir — wer außer Dir wird meinen Kinderchen ein treuer Vater und Rather sein, wenn ich nicht mehr bin?? Ach Herzensbruder! es ist die letzte Bitte Deines treuen Bruders Theodor — schlage sie nicht ab, Du würdest sonst die wenigen Tage, die ich noch da bin, mit großem Kummer füllen. Ach Bruder! ich kann schon jetzt mit Recht sagen mit David: — Meine Leiden gehen über mein Haupt ec. — Meine Kraft hat mich verlassen. — Ach Du Herr, wie so lange! — Du aber lebe noch viele, viele Jahre gesund, glücklich und zufrieden mit den Deinigen — bis Du auch zu Deinen Vätern versammelt wirst. — O! wie herzlich wird dann unser Wiedersehen sein; dann wird uns nichts mehr trennen. Ein schwerer Abschied muß kurz sein — daher sage ich Dir und den lieben Deinigen hiermit Adieu! Lebet wohl! nimm Dich meiner Kinder an — behalte mich in gutem Andenken!
- Dein auch jenseits treuer Bruder
- Crainfeld auf Simon Judä 1836.
- Th. Spamer.“
Diesen Zeilen Theodors an seinen Bruder in Hermannstein fügte der Vater Christian Spamer eine Nachschrift an, welche mit folgendem Satze begann:
„Lieber Sohn! Du wirst den Wunsch Theodors nicht wohl ablehnen können; schreibe ihm also baldmöglichst, daß Du seine Bitte erfüllen wollest, damit er wenigstens in dieser wichtigen Sache, ganz beruhigt, aus der Zeit in die Ewigkeit gehen kann.“
Auch die Antwort des Hermannsteiner Bruders möge hier noch folgen:
„Hermannstein, den 3. November 1836. Lieber Theodor!
Deinen eben erhaltenen Brief will ich sogleich mit einigen Worten beantworten, und Dir sagen, daß ich Deinen Wunsch rücksichtlich Deiner Kinder herzlich gerne erfüllen will. Der Gott Deiner Väter und Kinder sei mit Dir und mache es mit Dir nach seinem Wohlgefallen; denn so muß es am Besten sein. Er lasse Dich hier oder dort, wo es möglich ist und sein soll, recht bald das reichste Maaß seiner Vaterliebe genießen. Verlasse Dich auf Ihn! Er verläßt die Deinen nicht! Sollte ich Dich nicht diesseits wiedersehen, nun so gehe voran in's Vaterhaus zu unseren lieben Vollendeten und sei selig in ihrer Gesellschaft, bis wir, die wir noch im Leibe wallen, den Pilgerstab auch niederlegen und zu Euch hinauf genommen werden! Ach, es ist mir sehr wehe!! Doch diese Thränen des Abschieds werden sich in Freudenthränen des Willkommens verwandeln! Was haben wir hienieden Seligeres zu erwarten, als das Ende aller Leiden und den Anfang reinster Freuden! Grüße mir, irdisch zu reden, unsere Lieben jenseits! Sei männlich und getrost, hoffe, glaube, und zweifle nicht! Denke auch dort an uns im Besten; Dein etwaiger Abschied von hier werde mir sogleich gemeldet! Gott mit uns!
- Dein treuer Bruder Christian.“
Theodor Spamer war verheiratet mit Katharina Stein aus Gießen, geboren in Darmstadt den 10. April 1800, gestorben in Philadelphia am 6. April 1872. Ihr Vater war zuerst Stabsquartiermeister in Darmstadt, danach Acciser in Gießen und zuletzt Steuereinnehmer in Biedenkopf. Aus ihrer Ehe entsproßten 5 Söhne und 3 Töchter: Christian, Emilie, Constantin, Karl, Henriette, Theodor, Katharina, Christiane und Theodor II.
- Der älteste Sohn Theodor Spamer's in Crainfeld war:
- Christian Spamer
in Brooklyn bei New-York, geboren am 18. April 1821 in Gießen. Er erlernte die Buchbinderei und ließ sich, um dieselbe zu betreiben, Anfang 1842 in Crainfeld nieder, verlegte seinen Wohnsitz jedoch schon im April desselben Jahres nach dem größeren Orte Altenschlirf, wo er bis zum Jahre 1844 verblieb. Danach war er sieben Jahre Geschäftsführer einer Witwe Ernst in Andreasberg im Harz. Im Jahre 1851 reiste er mit seinem jüngeren Bruder Constantin nach Nordamerika, kehrte aber in demselben Jahre zurück und wanderte 1854 mit seiner Mutter, seinem jüngsten Bruder Theodor und seinem Vetter Wilhelm Spamer aus Altenschlirf für immer nach den Vereinigten Staaten aus. Dort ließ er sich zunächst in der Stadt Philadelphia nieder. 1857 heiratete er obgenannte Witwe Ernst, welche mit Familie nach Nordamerika übergesiedelt war, und erhielt von ihr am 23. Dezember 1858 eine Tochter, die jedoch schon am 8. Juli 1859 starb. — Im Jahre 1878 ging Christian Spamer — inzwischen Witwer geworden — infolge eines günstig lautenden Engagements nach New-York und heiratete dort im Jahre 1884 seine zweite Frau Anna, geborene Oechsner. Diese Ehe brachte ihm einen Sohn, der indes ebenfalls wieder frühe verstorben ist. Leider wurde Christian Spamer, dessen Verhältnisse sich inzwischen gebessert hatten, durch den Konkurs des Hauses, in welchem er beschäftigt war, in gedrückte Lage versetzt. Dazu kam, daß im Jahre 1894 ein Hitzschlag ihn lähmte und zur Arbeit unfähig machte. In dieser traurigen Lage war ihm seine gute und fleißige Frau eine treue Stütze. Sie pflegte ihn bis zu seinem in Brooklyn am 19. August 1899 eintretenden Tode. Nach einem Leben von 78 Jahren 4 Monaten und 1 Tage ward er am 22. August genannten Jahres zur Ruhe bestattet.
Ich erinnere mich dieses meines ältesten Vetters persönlich vom Jahre 1851 her, als mein Bruder Karl und ich mit ihm in Altenschlirf im Hause unseres Onkels Karl Spamer zusammen zu Besuch waren. Er hat mir in einem lieben Briefe vom 2. Februar 1896
diese Erinnerung auch seinerseits bestätigt, und fügte dabei hinzu, wie er mich schon als 2½ jährigen Jungen in Hermannstein gesehen und abgemalt habe. Dies Bildnis fand ich auch in des Crainfelder Großvaters Briefschaften noch vor.
Sein zweiter und letzter Brief an mich datiert vom 23. Juli 1898. Aus beiden Briefen entnahm ich großenteils obige kurze Biographie. Christian Spamer war eine große, kräftige Erscheinung, wie dies auch eine noch in meinem Besitze befindliche Silhouette zeigt. Aus seinen Briefen spricht ein treuer, gemütvoller Sinn, erinnernd an seinen Vater. Auch Lust und Anlage zu poetischen Ergüssen war ihm aus seiner väterlichen Familie überkommen. Mehrere seiner Gedichte, welche in einer deutschen, in Philadelphia erscheinenden Zeitung abgedruckt wurden, sind in meiner Hand, und soll eines derselben zur Erinnerung an ihn, dem ich ein treues Gedenken bewahre, hier folgen:
Vögleins Kummer. | |
1. | 2. |
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3. | 4. |
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5. | 6. |
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7. | 8. |
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9. | |
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Das 2. Kind Theodor Spamer's in Crainfeld ist
- Emilie Spamer,
Witwe des Lehrers Otto in Darmstadt. Sie wurde am 20. Oktober 1822 in Crainfeld geboren und war bis zu ihrer Verheiratung in verwandten Familien: zuerst im großväterlichen Hause in Crainfeld, danach bei den Schwiegereltern ihres Hermannsteiner Onkels in Aßlar, zuletzt bei ihrer Großtante auf der Papiermühle in Kesselbach, im Haushalte eine willkommene Hilfe und Gesellschafterin.
Am 20. Oktober 1861 verheiratete sie sich mit Lehrer Eduard Otto, geboren den 31. Mai 1835 und verstorben in Darmstadt am 29. Juni 1902.
Aus ihrer Ehe gingen hervor 1. Georg Karl Theodor Emil Eduard Otto, geboren am 4. Juli 1862, Schuldirektor, und 2. Henriette Elisabeth Wilhelmine Johanne Katharine Emilie Otto, geboren am 9. September 1863, verheiratet mit Professor Leidolf am 25. März 1899.
- Das 3. Kind Theodor Spamer's in Crainfeld ist
- Constantin Spamer
- Das 3. Kind Theodor Spamer's in Crainfeld ist
in Philadelphia, geboren am 24. November 1823 in Crainfeld. Er erlernte in Schotten, wohin sein Crainfelder Großvater ihn am 22. August 1837 zu diesem Behufe brachte, die Bäckerei und wanderte im Jahre 1851 nach Nordamerika aus. Dort ließ er sich in Philadelphia nieder und heiratete eine aus Württemberg stammende Katharina Bessemer. Ein Sohn und vier Töchter gingen aus ihrer Ehe hervor, von welcher der Sohn und eine Tochter starben. Drei Töchter, deren eine den Namen Elise trägt, haben sich mit Amerikanern verehelicht.
- Das 4. Kind Theodor 5pamer's in Crainfeld war
- Heinrich Karl Spamer,
- Das 4. Kind Theodor 5pamer's in Crainfeld war
geboren zu Crainfeld am 29. Juli 1826, gestorben daselbst am 29. September 1832. Er war ein aufgeweckter freundlicher Knabe, eine besondere Freude seines Vaters.
- Das 5. Kind Theodor Spamer's in Crainfeld war
- Henriette Spamer,
- Das 5. Kind Theodor Spamer's in Crainfeld war
geboren in Crainfeld am 28. Oktober 1829. Nachdem sie, vom 3. Januar 1844 ab, längere Zeit im Hause ihres Onkels Christian Spamer in Hermannstein zur Hilfe gewesen war, ging sie am 11. Oktober 1847 die Ehe ein mit dem damals in Heisters angestellten Lehrer Friedrich Leithäuser. Derselbe wurde später als Lehrer nach Alten-Buseck und danach nach Butzbach versetzt, wo er am 1. April 1890 zum Oberlehrer daselbst ernannt wurde. Sie hatten drei Kinder: Eduard Leithäuser, welcher nach Illinois in Nordamerika verzog, Theodor Leithäuser, der ebenfalls nach Nordamerika auswanderte und am 24. September 1881 in New-York verstarb, und Emilie Leithäuser. Letztere ist seit dem 24. September 1887 mit Lehrer J. Wehrheim in Butzbach verheiratet und seit dem 15. Juli 1888 Mutter einer Tochter: Henriette Emilie Elisabeth Wehrheim. — Henriette Leithäuser, geb. Spamer, starb am 9. Juni 1893, ihr Gatte Friedrich Leithäuser am 12. Februar 1896 in Butzbach. — Zur Zeit ihres Wohnens in Alten-Buseck habe ich von Gießen aus Vetter und Bäschen Leithäuser mehrmals besucht und stets sehr freundliche Aufnahme bei ihnen gefunden. Besonders gerne erinnere ich mich des treuherzigen, heiteren Wesens meiner guten Kousine.
- Das 6. Kind Theodor Spamer's in Crainfeld,
- Ludwig Wilhelm Theodor Spamer,
- Das 6. Kind Theodor Spamer's in Crainfeld,
starb schon in frühem Kindesalter; sein Leben dauerte nur vom 24. April 1832 bis zum 4. Januar des folgenden Jahres.
- Das 7. Kind Theodor Spamer's in Crainfeld war
- Katharina Christiane Spamer,
- Das 7. Kind Theodor Spamer's in Crainfeld war
geboren in Crainfeld am 9. Dezember 1833. Von ihrem 22. Lebensjahre ab war Käthchen zumeist, mit ihrer älteren Schwester Emilie, im Haushalte ihrer Großtante Dornemann in Kesselbach im Hauswesen behilflich, verlobte sich dort mit dem Bergverwalter Heinrich Karl Maximilian Kinzenbach in Wetzlar und wurde am 20. Juni 1858 in der Pfarrkirche zu Londorf mit demselben getraut. In ihrem Wohnsitze zu Wetzlar sind ihnen sieben Kinder geboren worden: 1. Johann Christian Theodor, geboren am 12. Februar 1859, zur Zeit Amtsrichter in Rüdesheim; 2. Gustav Emil Karl, geboren am 10. September 1860; 3. Henriette Johanne
Auguste, geboren am 10. Mai 1862, gestorben am 27. Juli 1864; 4. Johannette Katharina Marie, geboren am 19. April 1863 (gestorben); 5. Friederike Christiane Johanne, geboren den 24. November 1865; 6. Elisabeth Wilhelmine Emilie, geboren am 31. Mai 1867; 7. Wilhelm Eduard Otto, geboren am 28. August 1868. — Katharina Kinzenbach, geb. Spamer, starb in Wetzlar am 21. November 1869 in dem noch frühen Alter von 35 Jahren 11 Monaten und 12 Tagen und wurde am 24. eodem zu Grabe geleitet. Ihr Gatte starb 1889.
Käthchen, wie meine Kousine in der Familie genannt ward, verband mit einer anmutigen Erscheinung ein sehr sympathisches, herzliches Wesen und wird ihrer wohl niemand anders, als in Liebe gedenken.
- Das 8. Kind Theodor Spamer's in Crainfeld war
- Friedrich August Theodor Spamer,
geboren in Crainfeld als posthumus, am 22. August 1837. Er wanderte mit seiner Mutter und ältestem Bruder im Jahre 1854 nach Nordamerika aus, zunächst nach Philadelphia, wo er sich verheiratete. Nach dem Tode seiner Mutter (1872) verzog er nach Mount Holly im Staate New-Jersy und ist dort, Mitte der 1890er Jahre, auf einer Jagdpartie am Herzschlage plötzlich verschieden. Er hinterließ als einziges Kind eine Tochter, und so wird, da auch seine älteren Brüder Söhne nicht hinterlassen, bezw. hinterlassen haben, die Familie Theodor Spamer, Crainfeld, mit dem zweitältesten Sohne Constantin in männlicher Linie aussterben.
- Der zweite der drei Söhne Christian Spamer's in Crainfeld war
- Johann Heinrich Georg Christian Spamer,
Pfarrer in Hermannstein, mein Vater. Er wurde geboren zu Burkhards am 2. Februar 1803, morgens zwischen 7 und 8 Uhr und am 6. desselben Monats getauft. Gevattern waren Förster Schmidt in Burkhards, Frau Pfarrer Löber zu Ilbeshausen, Pfarrer Diefenbach zu Ostheim und Papierfabrikant Christian Dornemann zu Lauterbach.
Der Lebensgang unseres Christian Spamer bis zum Bezuge der Hochschule ist bereits in den Mitteilungen über seinen Vater Christian Spamer in Crainfeld im wesentlichen mitenthalten. Wir sehen daraus, daß er, nach seiner zu Ostern 1816 in Crainfeld stattgefundenen Konfirmation, im Herbst genannten Jahres, also im Alter von 16½ Jahren, in die 2. Ordnung der Sekunda des Gießener Pädagogs eintrat. Wir sehen ferner, daß er zu Ostern 1820, mit dem Zeugnis der Reife versehen, zum Studium der Theologie auf die Landesuniversität überging. Das noch vorhandene Reifezeugnis ist vom 23. März 1820 datiert; auch liegt noch eine Monatszensur des Scholaren Spamer II. in Sekunda vom 22. September 1817 vor, welche im Betragen, Fleiß und Ausarbeitungen das Prädikat „Gut“ aufweist. Vor Fernerem darf ich nun hier hinweisen auf die Autobiographie meines Vaters, in welcher er besonders die Erlebnisse seiner Jugend, vom Vaterhause an und während seiner Studenten- und Kandidatenzeit, in Versen für seine Kinder beschrieben hat, wie auf seine metrische Beschreibung des im Jahre 1821 in Gießen stattgefundenen Studenten- und Soldatenstreites, in welchen die beiden Brüder Spamer verwickelt wurden. Wie wir aus diesen beiden Schriften ihn als jungen Mann in seinem ganzen Denken, Fühlen und Tun lebenswahr kennen lernen, ebenso ist dies für sein zunächst folgendes Mannesalter der Fall aus seinen „drei Rosen“, diesen schönen poetischen Erinnerungsschriften an seine drei Frauen. Es mögen darum auch aus seinem dichterischen Nachlasse diese Schriften der vorliegenden Chronik angefügt werden. Und es soll dies um so mehr und lieber geschehen, als auch die so dankenswerten Aufzeichnungen der drei Rosen zwar gewiß in erster Linie dem treuen Andenken an seine von ihm ebenso hoch verehrten, als innig geliebten Frauen entsprungen sind, aber doch zugleich auch dem liebevollen Wunsche des Vaters, durch die Schilderung des Wesens seiner Frauen und
des mit ihnen Erlebten — hohen Glückes und tiefen Leides — ein innigeres Band der Erinnerung zwischen Eltern und Kindern zu knüpfen.
Zum Lebenslaufe Christian Spamer's uns weiter wendend, so erfolgte seine Inskription als akademischer Bürger am 24. März 1820, unter dem Rektorate Diefenbachs, und besuchte er in den vier Semestern bis Herbst 1822 die theologischen und kirchengeschichtlichen Vorlesungen der Professoren D. Palmer, D. Diefenbach und Dr. Schmidt. In welchem Maße er es dabei verstand, die Freuden des Studentenlebens mit untadelhafter Führung und ernstem Studium zu verbinden, möge aus den nachstehenden Zeugnissen hervorgehen, welche ihm, nach abgelegtem Fakultätsexamen, bei seinem Abgange von Gießen ausgestellt worden sind. Chronologisch einander folgend, lauten dieselben:
1.
„Daß der stud. theol. Christian Spamer aus Crainfeld sich während seines Aufenthaltes auf der hiesigen Universität eines ordentlichen und gesitteten Lebenswandels befleißigt habe, und daß dem unterzeichneten Gerichte nichts bekannt geworden sei, was ihm zum Nachtheil gereichen könnte, wird demselben hierdurch auf Verlangen öffentlich bezeugt.
Giessen, den 5. May 1823.
- Großherzl. Hessisches akadem. Disciplinar-Gericht daselbst
- gez. Dr. August Friedr. Wilh. Crome
- d. 3. Rector der Academie.“
- gez. Dr. August Friedr. Wilh. Crome
- Großherzl. Hessisches akadem. Disciplinar-Gericht daselbst
2.
„Der stud. theol. Herr Christian Spamer aus Crainfeld ist zwar Mitglied der dahier bestandenen landsmannschaftlichen Verbindung unter dem Namen Constantia gewesen, hinsichtlich politischer Verbindungen und Umtriebe fällt indessen Demselben nichts zur Last.
Giessen, den 7. Mai 1823.
- gez. Dr. Ahrens
- als
- gez. Dr. Ahrens
- Gr. Hess. Reg. Commissarius bei der Universität Giessen.“
3.
„Der Candidat der Theologie Christian Spamer, aus Crainfeld, hat sich der vorgeschriebenen Prüfung bei der Fakultät unterworfen. Er hat in der Exegese des Alten und neuen Testaments, in der Kirchengeschichte, Dogmatik, Moral und Symbolik sehr gut bestanden. Dieses wird durch gegenwärtiges mit dem Siegel der Fakultät versehene Zeugniß bekundet.
Giessen, d. 14. May 1823.
- Der Dekan und die übrigen Doktoren und
- Professoren der theologischen Fakultät.“
Mit diesen ehrenden Zeugnissen verließ Christian Spamer im Mai 1823 Gießen und kehrte, bis zum Erhalt einer amtlichen Berufung, ins Elternhaus zurück. Hier widmete er sich zunächst der Vorbereitung seines Bruders Karl zum Eintritt in das Gymnasium, betrat öfter, zur Aushilfe seines Vaters und benachbarter Geistlichen, die Kanzel und lebte auch seiner Neigung zur Dichtkunst und Musik, deren Musen mit gütigen Händen an seiner Wiege gestanden hatten.
In seiner Autobiographie sagt Christian Spamer:
- „Sonst hab' in den Candidatenjahren
- Ich der Dichtkunst und Musik gelebt,
- Und nicht selten auch an mir erfahren,
- Wie ein schönes Kind das Herz erhebt.
- Damals sah ich Dora mit Entzücken,
- Denn sie war bewundernswürdig schön,
- Und aus ihren zauberischen Blicken
- Konnt ich, was ich wünschte, leicht ersehn.“
So möge denn auch eines seiner jugendlichen Gedichte aus jener Zeit hier Stelle finden, welches gewiß einer begeisternden Liebesempfindung sein Entstehen verdankte. Es ist überschrieben
- Der liebende Jüngling.
- „Zum Gott erhebt den Jüngling seine Liebe,
- In ihrem eignen Himmel sieht er sich;
- Er tauschte nicht mit einem Gott die Triebe,
- Und wer wär' es, dem er an Größe wich?!
- Er schätzt gering alltägliche Gedanken,
- Er will und muß ein höh'res Wesen sein;
- Sein Geist entschwingt sich kühn des Körpers Schranken,
- Nur eine Göttin kann den Gott erfreun!
- O nur Ein Band verknüpft ihn dieser Erde,
- Nur Eine Sehnsucht schwellt den edlen Sinn;
- Er fühlt etwas, dem gleichet nichts an Werthe,
- das gäb' er nicht um tausend Welten hin:
- „Der sanfte Zug, der freie Seelen bindet,
- „das Luftgespräch, das durch die Myrte weht,
- „Die Allgewalt, womit sich's ihm verkündet;“
- Das ist das Band; so stark zieht kein Magnet!
- Es widerstrebt sein Zartgefühl der Holden,
- Die an Cytherens Gängelband ihn zieht,
- Die seines Himmels Azur soll vergolden,
- Die fern er sucht und in der Nähe flieht.
- Sieht er Sie an, so hat er schon gestanden,
- Was er Ihr doch nicht zu gestehen wagt,
- Und wenn er meint, sein Blick sei halb verstanden,
- Wird er so froh — deßhalb, und so verzagt!
- Sein Leben, das doch Ihr allein gehöret,
- Das gäb' er augenblicklich für Sie hin, —
- Doch, daß er Ihr nur mündlich Liebe schwöret, —
- Das kann er nicht, da fehlen Muth und Sinn!
- Am weitsten ist er Ihr, wenn Sie zugegen.
- Am nächsten, wann er einsam Blumen pflückt;
- Da schwört er Ihr, da ist er nicht verlegen
- Und weiß sich zu benehmen, wie's sich schickt. (35 ≡)
- Drum wandelt er zu den bekannten Orten,
- Und setzt sich hin, wo er Sie sitzen sah;
- Er wiederholt gedächtnißtreu in Worten,
- Was auf der heil'gen Stätte einst geschah,
- Er sucht die Spur, die Ihre Sohle drückte,
- Er kennt sie noch, wenn Sie schon längst verschwand,
- Er sieht den Fuß, der diese Spuren schmückte,
- Und bleibet stehn, weil Sie ja auch hier stand!
- Sein Blick durchschweift nun jenen Himmelstempel,
- Der Thau auf Ihre Pfade niedergießt,
- Und glückberauscht fühlt er der Gottheit Stempel
- In einem Herz, das jetzt sich selbst vergißt.
- Kein größ'res Glück erheischt er sich hinieden: —
- Zufriedenheit vollendet die Natur, —
- Ja Götterlust genießt er so in Frieden;
- Zum Gott erhebt den Jüngling Liebe nur!
Am 14. Dezember 1826 erließ der Großherzogliche Kirchen- und Schulrat der Provinz Oberhessen an den Kandidaten Spamer in Crainfeld die Aufforderung, das Pfarrvikariat zu Hermannstein zu übernehmen. Am 6. Februar 1827 traf letzterer, dieser Aufforderung folgend, in Hermannstein ein, hielt am 11. Februar seine erste Predigt daselbst und wurde am 11. März von Inspektor Brumhard ordiniert. Danach folgte am 19. April noch eine feierliche Verpflichtung vor dem gesamten Kirchenrate in Gießen. — Vom Mai ab übernahm Christian Spamer auch das Vikariat der damals unbesetzten Pfarrei Blasbach, und zwar bis zu der nach 4½ Jahren eintretenden Wiederbesetzung desselben. — Am 2.Juli starb der bisherige Inhaber des Hermannsteiner Pfarramtes, Herr Steinberger, und erhielt Christian Spamer von dem zeitigen Kirchenpatron, Herrn Hauptmann von Schenck, die Präsentation zu der erledigten Stelle zugesagt, nachdem schon zuvor eine Deputation der Gemeinde bei genanntem Herrn hierum eingekommen war.
Die definitive Anstellung zum Pfarrer in Hermannstein erfolgte durch Dekret vom 7. Januar 1828 folgenden Wortlauts: „Ludwig, von Gottes Gnaden Großherzog von Hessen und bei Rhein p. p. Nachdem Wir den von Unserem Patrimonialgerichtsherrn Hauptmann Freiherrn von Schenck zu Schweinsberg auf Hermannstein, zum Pfarrer in Hermannstein präsentirten bisherigen Candidaten der Theolgie und Pfarr-Vicar Christian Spamer aus Crainfeld, kraft dieses landesherrlich gnädigst bestätigt haben, so ist sich hiernach in Unterthänigkeit zu achten. Urkundlich Unserer eigenhändigen Unterschrift und des beigedruckten Staatssiegels.
- Darmstadt am 7. Januar 1828.
- gez. Ludwig
- von Grolman.“
- gez. Ludwig
- Darmstadt am 7. Januar 1828.
Am 17. Februar 1828 ward Christian Spamer durch Inspektor Brumhard und Landrat Ouvrier der Gemeinde als Pfarrer vorgestellt.
Das Einkommen seiner Pfarrei betrug in runder Summe fl. 1000; das Pfarrhaus stand zu seiner alleinigen Verfügung, und so entschloß er sich dann auch noch im selbigen Jahre, derjenigen, welche ihm von allen Jungfrauen die liebste und beste erschien, Herz und Hand anzutragen. Es war dies sein Geschwisterkinds-Bäschen Katharina Dornemann auf der Papiermühle in Kesselbach, und der 24. Oktober 1828 war der Tag, an welchem er ihr seine Liebe erklärte. — Katharina Dorothea Dornemann war geboren in Kesselbach am 2. Juli 1804 als Tochter
des Papierfabrikanten Friedrich Jacob Dornemann und dessen Ehefrau Anna Dorothea geborene Rühl daselbst. Die Dornemann'schen Familiennachrichten sind der Chronik Christian Spamer's angeschlossen. Bezüglich des Näheren über Katharina Dornemann verweise ich auch hier auf „die drei Rosen“ meines Vaters, deren erste er ihr, seiner ersten Frau, zum Andenken geschrieben hat. Am 30. Juni 1829 wurde Christian Spamer mit Katharina Dornemann von dem befreundeten Pfarrer Oeser in Londorf in dortiger Kirche getraut, und am 25. April des folgenden Jahres erschien als erster Sproß ihr Karl, ein prächtiger, gesunder Junge. Am 26. kündigt der junge Vater dies den Verwandten auf der Rabenau mit folgenden frohen und dankerfüllten Zeilen an:
- Geliebte Freunde!
„Ich beeile mich, die frohe Begebenheit, welche unsere Herzen einer großen Angst entrissen und dem freudigsten Danke gegen Gott hingegeben hat, so bald als möglich mitzutheilen; damit Sie mit uns außer Sorge sein und sich mit uns Fröhlichen freuen können, über die Ankunft des gesunden, wohlgebildeten Sohnes, von welchem mein geliebtes Katharinchen, nach langen Schmerzen, jedoch ohne ärztliche Hilfe, gestern um 5¾ Uhr des Abends glücklich entbunden worden ist. Gott sei Dank, daß er alle früheren Besorgnisse und Schmerzen durch seine leitende, schützende Vaterhand in hohe Freude und Gesundheit umgewendet hat! Möge Er diesen lebendigen Beweiß seiner unschätzbaren Gnade mit derselben Liebe im Leben fortführen, mit welcher er ihn in dasselbige eingeführt hat! Möge Er unseren neugeborenen Liebling einst in das zweite Dasein versetzen, wie er ihn unschuldig und vollkommen in unserer Mitte erscheinen ließ!
Des Erbpringen Heidnische Majestät geruhen aber noch in fremden heidnischen Tönen dero hohen Befehle zu erlassen. Ich selbst muß sehr aufpassen, wenn ich seine Sprache verstehen will. Das habe ich indessen deutlich verstanden, daß er mir aufgetragen hat, ihm doch seinen Urgroßpapa, Großvater und Dlle. Tante recht schön zu grüßen und Sie zu versichern, daß er für seine Person dieselbe Freundschaft mit Ihnen anknüpfen und forthalten wolle, deren Sie seine Eltern gewürdigt hätten. Er selbst könne noch nicht Deutsch schreiben —; sobald er Sie aber das Vergnügen hätte zu sehen, würde er Sie alles dessen mündlich versichern.
- Personalien des Prinzen:
- Alter: 1 Tag netto,
- Größe: 5 und ½ Viertel Elle — neues Darmstädter Maaß,
- Schwere: 8 Pfund netto — neues Darmstädter Gewicht,
- Farbe: eine gesunde, frische, rothe,
- Haare: blond,
- Augen: blau,
- Nase: mannhaft stark,
- Mund: schön, mit zierlich erhobener Oberlippe,
- Hände: wohlgestaltet und kräftig,
- Füße: gerade,
- Stimme: durchdringend,
- Appetit: gut,
- Betragen: keine Klage,
- Besondere Zeichen: keine.
- In fidem: Dorothea Dornemann
- Katharina und Christian Spamer.“ (37 ≡)
- Katharina und Christian Spamer.“
- In fidem: Dorothea Dornemann
Nach Verlauf von etwas über zwei Jahren, am 11. August 1832, erhielt Karl ein Brüderchen: Eduard. Doch sollte leider das so glückliche Familienleben schon nach Verlauf von abermals zwei Jahren zerstört werden. Im Juli 1834 erkrankte die junge, blühende Frau und Mutter an Störungen des Blut- und Nervensystems, welche Appetitlosigkeit und Abnahme der Kräfte zur Folge hatten und am 9. August abends 6 Uhr ihren frühen Tod herbeiführten.
Die Großherzoglich Hessische Zeitung vom 19. August 1834 brachte die Anzeige des Todes in folgenden Worten:
„Am 9. d. Mts. nahm mir der Herr meine tugendhafte, theuere Gattin, Katharina, eine geborene Dornemann, im 31sten Jahre ihres Lebens, im 6sten unserer glücklichen Ehe, am 17ten Tage ihres Krankenlagers. Zwei verwaiste Knaben wissen ihren Verlust noch nicht zu schätzen. Wer aber meinen unnennbaren Schmerz aus näherer Bekanntschaft mit der Frühvollendeten zu würdigen vermag — dem widme ich diese Anzeige.
- Hermannstein, am 13. August 1834.
- J. H. G. C. Spamer, Pfarrer.“
- Hermannstein, am 13. August 1834.
Auch die Gesundheit Eduards ließ zu wünschen übrig. Die nach Hermannstein gekommenen Crainfelder Großeltern nahmen denselben deshalb zu besserer Pflege auf ihrer Rückreise mit nach Crainfeld. So wurde dem trauernden Vater auch die Freude an diesem besonders geliebten Kinde beschränkt. Doch gedieh, wie derselbe am 11. November 1834 an seine Schwiegermutter Dornemann schrieb, die großmütterliche Pflege gut an Eduard und gab der Großvater Spamer, wie wir schon aus dessen Briefen an seinen Hermannsteiner Sohn sahen, auch öfter und gerne Nachricht über Befinden und Entwicklung des von Allen, die ihn kannten, geliebten Knaben. — Im Hermannsteiner Pfarrhause aber waren nur Sohn und Bruder Karl, welch letzterer zur Zeit theologischen Studien oblag, die Hausgenossen des vereinsamten Gatten.
Zu den Familien in Hermannstein und Umgegend, mit welchen Chr. Spamer schon vor seiner Verheiratung freundschaftlich verkehrt hatte, gehörte diejenige des Kreisbürgermeisters Emmelius in dem ½ Wegesstunde dillaufwärts gelegenen Aßlar. Außer dem Elternpaare und einer älteren unverheirateten Schwester des Bürgermeisters, der Tante Bethchen, gehörten zur Zeit dem Familienkreise zwei Töchter, Wilhelmine und Caroline, und zwei Söhne an. Der ältere Sohn Wilhelm sollte das väterliche Gut übernehmen, der jüngere, Karl, Kaufmann werden, und nahm letzterer auch eine Zeit lang an Privatstunden teil, welche der junge Hermannsteiner Pfarrer einer Anzahl Kinder der besser gestellten Familien erteilte. Die älteste Tochter des Hauses, Henriette, war mit dem Hofgerichts-Advokaten Ludwig Steinberger in Gießen verheiratet, der älteste Sohn, Louis, in die preußische Richterlaufbahn eingetreten. — Es hatte nun schon, während dieses früheren Verkehrs mit der Familie Emmelius, die ältere Tochter Wilhelmine tieferen Eindruck auf das Herz Chr. Spamers gemacht, wenn auch, bei der Wahl seiner Frau, die ihm näher stehende Rabenauer Kousine die Palme erhielt. So lag es nahe, daß Wilhelmine Emmelius diejenige war, welche in dem jungen Witwer zuerst und allein den Wunsch erweckte, sich und seinen Kindern eine glückliche Häuslichkeit zurückzugewinnen. — Nachdem er am 9. September 1835 das Jawort der Geliebten, und folgenden Tages, durch ihre Vermittlung, dasjenige ihrer Eltern erhalten hatte, fand am 14. Januar 1836 seine Trauung mit Jeannette Wilhelmine Jacobine Emmelius statt. Pfarrer Niedermayer von Aßlar führte die Feier aus, und waren der Vater, beide Brüder und der erste Schwiegervater des Bräutigams bei derselben zugegen. Wilhelmine war am 26. April 1806 in Aßlar geboren als Tochter des Kreisbürgermeisters Ludwig Ernst Emmelius und dessen Ehefrau Justine Philippine, geb. Remy, daselbst. — Der 26. November brachte den jungen Ehegatten nun zwar das gewünschte Töchterchen, welches den Namen der Mutter, Wilhelmine erhielt; leider mußte aber, infolge der Niederkunft, auch
diese junge Mutter nach kurzer Zeit, am 11. Dezember 1836, im Tode erblassen — ein tief trauriges Geschick! Zum zweitenmale, in weniger Jahre Zeit, traf den zurückbleibenden Gatten dieser betäubende Schlag, zum zweitenmale ward ihm ein sein ganzes Herz erfüllendes Glück zerstört!
Die Großherzoglich Hessische Zeitung vom 16. Dezember 1836 brachte die Anzeige dieses Todes in folgenden Worten:
„Heute Morgen nach 6 Uhr schlummerte meine Gattin Wilhelmine, eine geborene Emmelius, an den Folgen der Niederkunft, zu einem höheren Dasein hinüber. — Ihr Leben war ihre Krone, ihre Liebe mein Stolz, und ihr Tod, der im 31. Jahre ihres Alters und im ersten unserer vollkommen glücklichen Verbindung erfolgte, ist darum die härteste Prüfung der Vorsehung für mich. Gott lasse ihren Geist auf dem Mädchen ruhen, welches sie mir zum Pfande ihrer Liebe hinterläßt.
- Hermannstein, den 11. Dezember 1836.
- Christian Spamer, Pfarrer.“
- Hermannstein, den 11. Dezember 1836.
Und noch ruhte die Hand des Todes nicht um den schwer Geprüften. Das kleine Minchen, obgleich es in Aßlar, besonders von seiner Tante Caroline, sorgsamst behütet und gepflegt ward, folgte seiner Mutter schon am 22. Juli 1837 im Tode nach, nachdem am 4. desselben Monats auch Eduard einer tückischen Krankheit in wenigen Tagen erlegen war. Über diese Trauerfälle enthält obgenannte Zeitung vom 10. Juli und 9. August 1837 nachstehende Anzeigen:
„Gestern in der Mittagsstunde starb, nach achttägigem Unwohlsein und zweitägigem Krankenlager, mein zweiter Sohn Eduard an der häutigen Bräune, welche er, nebst anderen schweren Krankheiten, früher glücklich überstanden hatte. Er war 4 Jahre, 10 Monate und 23 Tage alt.
Wer ihn kannte, liebte ihn als einen durch äußere Anmuth, innere Reinheit und Geistesfähigkeit ausgezeichneten Knaben. Das holde Lächeln der Unschuld umschwebt noch verklärend die Züge der theueren Leiche, die nun bald die letzte Ruhestätte an der Seite der beiden vorangegangenen Mütter finden wird. Diese drei Lieblinge meines Herzens, nebst mehreren Blutsfreunden, nahm mir der unerforschliche Vater in einem Zeitraume von nicht vollen drei Jahren. Wer ein Herz hat, zu empfinden, der empfinde.
- Hermannstein, am 5. Juli 1837.
- Christian Spamer, Pfarrer.“
- Hermannstein, am 5. Juli 1837.
„Vorgestern Abend um 8 Uhr starb mein Töchterchen Wilhelmine, acht Monate weniger 4 Tage alt, an den Folgen der falschen Bräune, der Mundfäule, des weißen Friesels und anderer aus diesen hervorgegangenen Krankheiten.
Von diesem wiederholten Schlage eines unbegreiflichen Geschicks, das innerhalb acht Monaten zum drittenmale über mich verhängt wird, stehe ich betäubt an der zum Todtenbette gewordenen Wiege des theueren einzigen Mädchens, in welchem seine gebeugten Großeltern und Freunde mit mir den Leib, wie die Seele der frühe verklärten Mutter bisher noch, als in einem lebendigen Bilde, fortlieben konnten.
- Hermannstein, am 24. Juli 1837.
- Christian Spamer, Pfarrer.“
- Hermannstein, am 24. Juli 1837.
Hätte sich in Chr. Spamer mit einem liebevoll fühlenden Herzen nicht auch ein starker Geist und ein festes Gottvertrauen vereinigt, die Wucht der Schicksalsschläge hätte wohl vermocht, in ihm die Kraft der Wiederaufrichtung zu ertöten. Er stand nun allein mit seinem siebenjährigen
Söhnchen Karl, der wohl mit ihm weinen, aber nicht die unendliche Leere erfassen noch erfüllen konnte, welche der Vater, der so viel des Beglückenden verloren hatte, um sich fühlte.
In der Familie seiner nahe wohnenden Schwiegereltern in Aßlar, bei den dortigen gleichgestimmten Herzen suchte und fand er zumeist die wohltuende Aussprache und Beruhigung. So kam besonders seine anmutige Schwägerin Caroline, die schon seine Frau Wilhelmine in aufopferungsvoller, schwesterlicher Liebe gepflegt und danach, in gleicher Liebe, die Pflege des kleinen Minchens übernommen hatte, in der gemeinsamen Trauer um die Gestorbenen seinem Herzen nahe. Und es knüpfte sich hierbei ein Herzensbund, der anfänglich im Stillen empfunden und genährt, doch in nicht langer Zeit zur Verbindung fürs Leben und zu einem Erstehen neuen Ehe- und Familienglücks für Chr. Spamer geführt hat.
Am 3. Juli 1838 wurde er in der Kirche zu Aßlar durch Herrn Pfarrer und Vetter Reinhard mit Friederike Louise Jeanette Caroline Emmelius, der am 31. Mai 1815 zu Aßlar geborenen Tochter des obgenannten Ehepaares Emmelius, meiner lieben Mutter, getraut.
Von der Familie Emmelius besitze ich einen Stammbaum, der bis ins 16. Jahrhundert zurückreicht, und auf welchen ich bezüglich der Familienverzweigungen verweise. Die Reihe der direkten Voreltern meiner Mutter ist, im Anschlusse an die genealogischen Nachrichten der Familie Dornemann, in diese Chronik aufgenommen.
Caroline Spamer, die neue Hausfrau im Hermannsteiner Pfarrhause, war, wie es in der letzten Rose heißt, „nicht eine hochragende Statur, sie war nur eine kleine, doch kräftige Natur“. Und ferner ist dort der Ausspruch einer Frau über sie eingeflochten: „hat sie nicht Mannesgröße, hat sie doch Mannesverstand“. So bezeugt auch an dritter Stelle ihr Eheherr selbst, daß er sie oft in Amtsgeschäften um Rat befragt und denselben jederzeit gut befunden habe. Vom Elternhause brachte sie Freude am Hauswesen und an der Landwirtschaft mit. Es war ihre Lust zu letzterer so groß, daß der Gatte auf ihren Wunsch einige Acker des übrigens verpachteten Pfarrgutes zurück behielt, welche sie dann mit Hilfe eines braven Hermannsteiner Ackerbürgers selbst bewirtschaftete. Emsig und fleißig von früh bis spät, suchte sie stets die Güter des Hauses zu mehren. - Häufig pilgerten die Ehegatten nach Aßlar ins vertraute Elternhaus, und wie dies — es war am 3. Juni 1839 - der Pfarrin etwas schwer werden wollte, schickten die Aßlarer ihre Chaise zum Abholen. Da geschah es, abends gegen 9 Uhr, daß das erste Kind dieser Ehe, Hermann, im Preußenlande geboren und danach auch getauft ward. Hermannstein gehörte damals zum Großherzogtum Hessen und ist erst 1866 zu Preußen gekommen. — Im folgenden Jahre 1840, zur Zeit der Entwöhnung Hermanns, machten, wie Chr. Spamer in seiner dritten Rose erzählt, die Eltern eine Reise über Frankfurt, Darmstadt, Heidelberg, Wiesbaden und Rhein abwärts bis Neuwied — großenteils zum Besuche von Verwandten. Bei ihrer Rückkehr habe Hermann seine Mutter zuerst nicht wiedererkannt und dadurch sehr betrübt, bis in gemeinsamem Weinen sich dieser Schmerz gelöst habe. — Von Ostern 1841 ab besuchte der nunmehr elfjährige Sohn Karl das Gymnasium zu Wetzlar und wenige Tage danach, am 24. April, erschien ein gesundes, munteres Mädchen, „mit dunkelbraunen Augen und rabenschwarzem Haar“, an die verstorbene Wilhelmine erinnernd, und ward darum auch Wilhelmine genannt.
Wie einst im Burkhardser und Crainfelder Pfarrhause, so wurde auch, und zwar besonders nach Carolinens Einzug, in demjenigen zu Hermannstein Musik und Gesang gerne gepflegt. Beide Gatten waren musikalisch im Klavierspiel und Gesang, und bezeugte eine große Zahl geschriebener wie gedruckter Noten und Lieder den Umfang dieser gemeinsamen musikalischen Unterhaltungen. Auch erweiterten sich dieselben seit Anfang 1843, durch den Hinzutritt zweier befreundeter Fräulein Meyer aus dem von Schenck'schen Pachthofe und des Schulvikars Vogel,
zu einem Spinn- und Singverein, an dessen frohes Bestehen Chr. Spamer noch in späterer Zeit sich gerne erinnerte.
Der 6. April 1843 brachte den Eltern ihren zweiten Sohn, der auf der Mutter Wunsch nach ihrem Vater Ludwig Ernst getauft wurde, auch in seinen ersten Lebensjahren eine sichtliche Ähnlichkeit mit seinem Aßlarer Großvater zeigte. Ihm folgten am 7. April 1845 die Schwester Caroline und am 16. September 1847 die Schwester Anna, beide zur Freude der Eltern gesunde Kinder. Eine heitere Episode aus jenen Jahren, in welcher sich zugleich die Beliebtheit der Pfarrin ausdrückt, bildete eine Schlittenfahrt nach Aßlar. Schöne Schneebahn und ein großer, einsitziger Schlitten waren vorhanden, — es fehlte aber am nötigen Pferde im Stalle. Da rief Vogel seine Schulbuben zusammen, spannte sie vor den Schlitten, und in frischem Laufe brachten diese, den Schulvikar zur Seite, ihre Pfarrersfrau nach Aßlar hin. — Am 30. März 1847 hatte Chr. Spamer den Tod seines von ihm hochverehrten Vaters zu beklagen und war es ihm, des vorliegenden Osterfestes wegen — die Beerdigung fand am Charfreitage statt — auch nicht mäglich, denselben auf seinem letzten Wege zu begleiten. — Diesem schmerzlichen Todesfalle sollten leider in den beiden nächsten Jahren zwei fernere folgen: Am 23. April 1848 starb in Hermannstein, wohin sie zu ihren Kindern verzogen war, die Mutter Chr. Spamer's, und am 12. September 1849 ereilte ihn das Bitterste, was ihn treffen konnte: Bei der Geburt eines toten Knäbchens wurde ihm auch seine liebe, dritte Frau Caroline durch einen Nervenschlag entrissen. — Ich erinnere mich noch jener schrecklichen Nacht. Halb im Schlafe hatte ich während derselben den Vater sich ankleiden und weinen sehen mit der Klage, nun schon zum dritten Male im Verlaufe dreier Jahre solches Leid erleben zu müssen. Am Morgen — wir lagen Alle noch zu Bette — sagte er uns Kindern, es wäre das Schrecklichste geschehen, was wir uns denken könnten. Da rief ich aus: „die Mutter ist gestorben!“ und brach mit meinen jüngeren Geschwistern in lautes Weinen aus. Verstanden wir Kinder auch nur unvollkommen, wieviel wir an unserer vortrefflichen, lieben Mutter verloren hatten, so war der arme Vater um so schwerer getroffen. Zum drittenmale war ihm sein Liebstes auf Erden genommen, das häusliche Glück vernichtet worden. — In schlichten Worten teilte er in der Darmstädter Zeitung die Trauerkunde mit:
„Heute früh um ein Uhr starb während der Entbindung von einem toten Knäbchen am Nervenschlage meine gute Gattin Caroline, geborene Emmelius.
- Hermannstein, am 12. September 1849.
- Spamer. Pfarrer.“
- Hermannstein, am 12. September 1849.
Meine liebe Mutter, am 31. Mai 1815 geboren, erreichte ein Alter von nur 34 Jahren, 3 Monaten und 12 Tagen. Am 14. September, morgens 10 Uhr, haben wir sie zur letzten Ruhe geleitet. Mit ihr und ihrem kleinen Söhnchen umschloß die gemeinsame Grabstätte nunmehr die Mutter, drei Frauen und drei Kinder des erst 46 Jahre alten Vaters.
Zur Fortführung seines Haushaltes mußte Chr. Spamer nun eine Haushälterin — Fräulein Amalie Fuchs ward hierzu gewählt — annehmen. — Hermann, den er bislang selbst im Latein unterrichtet hatte, brachte er Ostern 1850 zu seiner weiteren Ausbildung nach Gießen, und im Hause von Schwager und Schwägerin Steinberger unter. Karl war schon im Jahre 1846 von dem Wetzlarer auf das Gießener Gymnasium übergegangen. — So blieben die vier jüngsten Kinder noch um ihn, bis er im Herbste 1855 auch seinen Sohn Ludwig nach Gießen, zum Besuche des Gymnasiums, und im Jahre 1856 seine älteste Tochter Minchen — nach deren Konfirmation — in die Pension des Fräuleins Spitz nach Hanau brachte. — Ehe dies letztere geschah, und zwar am 28. November 1855, traf das Herz des Vaters ein neuer Schlag in dem plötzlichen Tode seines ältesten Sohnes Karl, der, nach seinen theologischen Studien, auf dem Gute
seiner Großmutter Dornemann zur Landwirtschaft übergegangen war. In seinem 26. Lebensjahre kam der jugendlich starke Mann beim Heimfahren von Bauholz aus dem Walde durch Umstürzen des Wagens zu Tode. — Zu diesen wiederholten seelischen Erschütterungen waren für Chr. Spamer schon seit dem Jahre 1847 heftige körperliche Schmerzen hinzugetreten; rheumatische Leiden in Rücken, Hüften und dem linken Beine, die einen ungewöhnlich hohen Grad erreichten und keinem Mittel weichen wollten. Er entschloß sich darum im Frühjahre 1857, nach zurückgelegtem 30. Dienstjahre, seine kirchliche Behörde um Zuweisung eines Vikars zu bitten und erhielt einen solchen am 10. Mai jenes Jahres in der Person des Pfarrvikars Fr. Krauß.
Die ihm hierdurch gewordene freie Zeit benutzte er nun bald zur Ausführung einer Badekur in Salzhausen für sich und seine Tochter Lina. Dies liebe, sanfte Kind war bis zu seinem 10. Jahre ein gesundes kräftiges Mädchen. In jenem Alter jedoch wurde sie, nach vorausgegangener Frosterscheinung, von einer Krankheit befallen, die, erst nach längerer Behandlung, als von inneren Drüsen herrührend, erklärt ward und der Kunst zweier Ärzte widerstand. Nach halbjährigem, vergeblichem Medizinieren war Lina nur schwächer geworden, das Einstellen desselben schien Besserung zu bringen, und war die Badekur in Salzhausen auch wesentlich von dem Wunsch aus beschlossen, Linas Gesundheit zu fördern. Wie gerne und zuversichtlich der Vater auf ihre Genesung hoffte, zeigt folgender, zu jener Zeit an seine beiden in Gießen weilenden Söhne gerichteter, gereimter Brief:
- „Liebe Söhne, ich will Euch schreiben,
- Wie wirs jetzo mit Lina treiben,
- Damit Ihr dies sollt selber wissen
- Und der Tante sagen mit unsren Grüßen.
- Dem Doctor erklärte ich heut vor acht Tagen,
- Ich wollte nun seinen Mixturen entsagen,
- Nachdem ich ein halbes Jahr sie gebraucht
- Und gesehen hätte, daß sie nichts getaugt.
- Der Doctor war dies sogleich zufrieden,
- Und so sind wir nun von ihm geschieden.
- Seit Freitag nimmt Lina, sowie fortan
- Noch Emser Wasser und Leberthran;
- Dagegen mit anderer Arzenei
- Ist es seit jenem Tage vorbei.
- Und wie hat Lina seit jenen Stunden
- Sich ohne Arzeneien befunden?
- Als hätte es abgeschnitten ein Messer,
- So wards vom Tage an mit ihr besser;
- Seitdem sie nicht mehr medizinirt
- Hat sie sich täglich wohler gespürt;
- Und gestern ging sie schon wiederum
- Im Hofe und Clausengarten herum,
- Und pflückte da einen Veilchenstrauß;
- Und wer sie erblickte außer dem Haus,
- Der blieb bei der seltnen Erscheinung stehn
- Und freute sich über ihr Wohlergehn.
- Sechs Stunden schon bleibt sie außer Bette,
- Und brauchen wir keinen Doctor, so wette (42 ≡)
- Ich nun mit Jedem, der Lust dazu hat,
- Sie wandelt auch fort den Genesungspfad.
- Mit dieser Hoffnung will ich jetzt schließen,
- Und Euch von uns allen recht herzlich grüßen.
- Dem Bruder Louis läßt Lina danken,
- Daß er so viel Gut's gesendet der Kranken;
- Sie habe sich innig darüber gefreut,
- Und vergesse es nicht in Ewigkeit.
- Lebt wohl! Wie's weiter geht, schreibt Euch spater,
- Wenn er's erst selber weiß,
- Euer Vater.“
Am 9. Juli 1857 ward, wie die von Vater und Tochter geführten Badejournale berichten, die Reise nach Salzhausen ausgeführt und am folgenden Tage die Trink- und Badekur begonnen. Lina befand sich zuerst auch verhältnismäßig wohl bei ihrer Kur, doch zeigte sich leider schon bald wieder eine Anschwellung ihres einen Knöchels, welche sie schmerzte und auch, nach der am 7. August erfolgten Rückkehr nach Hermannstein, noch bestand. Diese glaubte der Arzt durch Einreibung einer Salbe rasch beseitigen zu können. Es trat aber das Umgekehrte des erhofften Erfolges leider ein: Lina mußte bald, weil sie das Bein nicht mehr gebrauchen konnte, das Bett aufsuchen — um nicht wieder zu gesunden. Nach einem über Jahresfrist geduldig ertragenen Krankenlager ward sie von Gehirnentzündung ergriffen, die ihr das Bewußtsein nahm und am 6. September 1858 das frühe Ende der liebevollen Tochter und Schwester herbeiführte. Ihr irdisches Teil ruht als das letzte, das achte, in der Grabstätte unserer Lieben auf dem Hermannsteiner Friedhofe. In der Darmstädter Zeitung vom 8. September erschien die Anzeige ihres Todes in folgenden Worten:
„Den heute frühe ¼ vor 6 Uhr im 14. Jahre ihres Alters erfolgten Tod meiner guten Tochter Caroline zeige ich meinen auswärtigen Freunden und Bekannten hiermit an.
- Hermannstein, am 6. September 1858.
- Christian Spamer, Pfarrer.“
- Hermannstein, am 6. September 1858.
Schon im Jahre 1857, nach Verheiratung der ersten Haushälterin, hatte Minchen, die aus der Pension zurückgekehrte nun 16jährige Tochter, die Führung des väterlichen Haushaltes übernommen und es in trefflicher Weise verstanden, den ihr übertragenen Pflichten gerecht zu werden. Gar bald aber wurde das liebliche, frohherzige Pfarrerstöchterchen dem Vaterhause entführt. Am 30. Dezember 1857, auf einem Kasinoballe in Wetzlar, knüpfte sich ein Herzensband zwischen ihr und Julius Kellner, welcher, aus Roßleben in Thüringen stammend, vor nicht langer Zeit ein Tuch- und Bankgeschäft in Wetzlar erworben hatte. Der Vater gab, wenn auch nach Bedenken wegen der Tochter Jugend, dem liebenswürdigen und geachteten Bewerber seine Zustimmung. Die Hochzeit wurde am 17. Oktober 1858 in Hermannstein, und wegen der Trauer um Tochter Lina, in stiller Weise gefeiert.
Die Führung des Haushaltes ward nunmehr einer Frau Pauli übertragen; ihr folgte Fräulein Brauneck und von März 1863 bis 1864 Fräulein Emilie Loeber, letztgenannte die Tochter einer befreundeten Familie. Dem Vater blieb, nach Minchens Heirat, nur mehr sein jüngstes Töchterchen Anna im Hause zurück, und wanderte er mit ihr nun auch oft ins Haus seiner Wetzlarer Kinder, wo sie ein immer mit Freude empfangener Besuch waren. Auch für die Folgezeit und alle Familienglieder bot das gastliche Haus Kellner einen stets lieben und oft besuchten Aufenthalt. — Zu Ostern 1858 hatte Hermann zum Studium bergwissenschaftlicher Fächer die Universität Gießen bezogen, Ludwig besuchte noch das Gymnasium; beide aber
verließen zu Herbst 1859 Gießen, um sich in praxi für ihre gewählten Berufe, ersterer für das Berg- und Hüttenwesen, letzterer für die Landwirtschaft auszubilden.
Am 11. Mai 1861 verlor Chr. Spamer seine gute Schwiegermutter Dornemann, eine ihm auch als Schwester seiner Mutter liebe Verwandte. Dieselbe hatte beabsichtigt, ihrem Schwiegersohne, welcher der Erbe seines Sohnes Karl — des letzten Nachkommen der Familie Dornemann — geworden war, zum alleinigen Erben ihrer Hinterlassenschaft einzusetzen, und den Familien ihrer Neffen Theodor und Karl Spamer in Crainfeld und Altenschlirf nur Legate auszusetzen. Auf die Bitte Chr. Spamer's änderte sie ihr Testament zu dessen Ungunsten dahin ab, daß dieser nur 4/6 und die genannten Familien seiner Brüder je ⅙ ihres Nachlasses als Miterben erhalten haben. Der Anteil Chr. Spamer's, von welchem er 5 % an Kollateralsteuern mit 1 976 fl. 2 kr. zu bezahlen hatte, betrug hiernach fl. 39 520.— oder Mk. 67 737.
Im selben Jahre 1861 wurde Anna in Hermannstein konfirmiert und brachte der Vater diese seine liebe jüngste Tochter nach Hanau in die früher von Minchen besuchte Pension, holte sie auch am 21. Oktober des folgenden Jahres wieder nach Hause zurück. — Die Jahre 1859 bis 1862 brachten für Chr. Spamer viele einsame Stunden; das Jahr 1858 hatte ihm seine beiden älteren Töchter von der Seite genommen und in 1861 und 1862 mußte er auf Jahresfrist auch noch die jüngste im Hause entbehren. Zudem war durch den im Jahre 1857, am 16. Juli, erfolgten Wegzug der Familie seines Schwagers Karl Emmelius von Aßlar, zunächst nach Neuwied, 1861 nach Gießen, ein oft und gern besuchtes Haus aus seinem Nahverkehre ausgeschieden. So ergingen seine Gedanken sich um so öfter und lieber in den Erinnerungen an seine verstorbenen Lieben und seine verflossene Lebenszeit. Es haben uns diese Jahre darum auch die umfangreichsten und schönsten seiner dichterischen Aufzeichnungen gebracht. Ich meine hier vor Allen seine schon an früheren Stellen erwähnten drei Rosen, diese gemütvollen, poetischen Erinnerungsschriften an seine drei Frauen. Er schrieb dieselben im Jahre 1859 nieder und sammelte im folgenden Jahre die den einzelnen Rosen noch zugehörenden und im Druck angefügten Blätter. Im Jahre 1862 vollendete er seine Autobiographie; ebenso trägt seine metrische Beschreibung des Studenten- und Soldatenstreites zu Gießen das Datum des 4. März 1862. War ihm sonach die Muse der Dichtkunst eine freundliche Gefährtin, besonders in diesen einsamen Jahren, so blieb sie ihm auch treu bis in sein höheres Alter. Zwei dicke Bücher, von seiner Hand geschrieben, bewahren die vielen schönen Gedichte auf, mit welchen er Viele, vornehmlich aber seine Kinder und Enkel, zu festlichen Tagen ihres Lebens beschenkte und erfreute. Sie alle reden die Sprache seines treuen, liebevollen Herzens, seines frohen, Gott vertrauenden Gemütes. — Zudem waren die Freude am Schönen, Humor und sinniges Empfinden Grundzüge von Chr. Spamer's Eigenart. Sie offenbarten sich nicht zum wenigsten in seiner Vorliebe an Gartenpflege und Blumenzucht. In dem von hoher Mauer umschlossenen, die hintere Hausseite begrenzenden Clausengarten, wie in dem von ihm angelegten Hofgärtchen, verbrachte er mit Jäten, Pflanzen, Beschneiden und Begießen gar manche angenehme Stunde. Im Clausengarten erblühten alljährlich weiße Lilien, die in den Linien K, W und C gepflanzt, die Anfangsbuchstaben der Namen seiner drei Frauen darstellten. Von Außen umpflanzte er sein Pfarrhaus mit Rosen, die an Spalieren, teils bis zur Dachkante aufgerankt, zur Blütezeit eine herrliche Zierde bildeten. Im Innern schmückte er gerne die Zimmer mit Bildern, vorzüglich mit denjenigen seiner Lieben, Verwandten und Freunde, die im Wohnzimmer die Wände fast völlig bedeckten, und immer zeigten zur Zeit der Blumenblüte die Bilder seiner Eltern und Frauen durch ihren Schmuck die treu gedenkende Liebe des Gatten und Sohnes. Ende Mai 1862 kam dem einsamen Pfarrherrn längerer lieber Besuch ins Haus: Tochter Minchen mit ihren beiden Kindern Julius und Anna. Größere bauliche Veränderungen in dem großen und stattlichen, aber, besonders in dem Erdgeschoß, den
zeitigen Ansprüchen nicht entsprechenden Kellner'schen Hause, ließen es am besten erscheinen, daß Mutter und Kinder während der Bauzeit nach Hermannstein übersiedelten. Mit Freuden empfangen, waren sie dort dem Vater und Großvater, und später der heimgekehrten Schwester und Tante Anna eine liebe Hausgenossenschaft bis zum 20. Februar 1863, an welchem Tage Strohwitwer Kellner die Seinigen in einer Chaise wieder heimholte.
Frühe am Morgen, wie in der Abenddämmerstunde pflegte Chr. Spamer sich ans Klavier zu setzen, und oft erweckte ein von ihm gespielter Choral die noch schlummernden Hausgenossen; manchmal begleitete er auch mit Gesang die gespielte Weise. — Schon im Jahre 1857 hatte er sich, an Stelle des ersten, alt gewordenen, ein neues gutes Instrument beschafft, und als nun im Oktober 1862 Anna aus der Pension zurückgekehrt war, lebten die früher so gerne geübten musikalischen Abendunterhaltungen von neuem auf. Die Montag- und Donnerstagabende wurden für Lesekränzchen, die Dienstag- und Freitagabende für Solokränzchen, die Mittwoch- und Sonntagabende für musikalische Unterhaltungen ausersehen, und fanden sich zu letzteren, außer Insassen der Häuser Spamer und Kellner, Fräulein Mathide Kißner, sowie zur Zeit Fräulein Emma Eckstorm aus dem Pachthofe ein. Mathilde Kißner und Anna spielten dabei vierhändig oder wechselten in ihren Vorträgen ab, beides zur Freude der Zuhörer; besonders aber gefiel Annas Spiel durch sympathischen Anschlag und Ausdruck. — Vom Jahre 1864 ab nahm, während ihrer Besuchszeit, auch Hermine Vomhof, Hermanns musikalische Braut, an diesen Aufführungen tätigen und vollwertigen Anteil.
Im Juni des letztgenannten Jahres wurde der Haushalt im Hermannsteiner Pfarrhause, durch Aufgeben der bis dahin noch betriebenen Landwirtschaft, vereinfacht und nach Weggang der Haushälterin in die Hände der ebenso emsigen, wie verständigen Tochter Anna gelegt. Im Juli 1864 beendete Hermann seine akademischen Studien in Leoben, erbat sich noch von dort aus die väterliche Einwilligung zu seiner Verlobung mit Hermine Vomhof, und erhielt am 28. genannten Monats auch in Burbach die Einwilligung von Herminens Mutter. Vater und Bruder Ludwig hatten ihn dorthin begleitet. Bis zum Frühjahr 1867 war Hermann, zwei längere Aufenthalte auf Hütten im Harz und im Dilltale abgerechnet, wieder im Vaterhause, und da zur gleichen Zeit zwei Gymnasialfreunde desselben, erst Koch, später Reitz, als Vikare des Vaters amtierten, so gestaltete sich das häusliche Leben um Chr. Spamer lebhaft genug. Wenigstens zweimal wöchentlich pilgerte er, von seinem Vikar und Sohne, oft auch von Anna begleitet, nach dem nahen Wetzlar ins Haus Kellner, oder zu einem Glase Bier, und schlossen sich dort zwei junge befreundete Ärzte, Dr. E. Groos und Dr. A. Reinhard, den Hermannsteinern öfter an. Diese beiden Herren ließen sich auch manchmal als abendlicher Besuch im Hermannsteiner Pfarrhause sehen, doch — die Folgezeit ließ es erraten — wohl nicht allein dem Herrn des Pfarrhauses zu Liebe. — In diesen Jahren kam oft auch das Kartenspiel, und zwar fast ausschließlich der Solo, als anregende Abendunterhaltung zu seinem Rechte. Chr. Spamer liebte dies Spiel und war dabei der beste Spieler und der eifrigste. Längere Unterhaltungen neben dem Spiele her und nachlässiges Betreiben desselben mochte er nicht leiden; Spielfehler aber rügte er meist nur im Spiele mit seinen Kindern, deren Lehrmeister er war - andere ließ er lieber mit einem Kopfschütteln durch.
Im Jahre 1865, zur Sommerszeit, führte Chr. Spamer mit dem Ehepaare Kellner, seiner Tochter Anna und Mathilde Kißner eine achttägige Reise in die Schweiz aus. Vom 4. bis 11. August ging die wohl allzu hastige Fahrt über Basel, Bern, Thun, Interlaken, Grindelwald, Brienz, über den Brünig nach Luzern, auf den Rigi, über Küßnacht nach Luzern zurück, dann nach Schaffhausen zum Rheinfall und über Basel, Mühlhausen, Straßburg nach Hause. Hermann hütete inzwischen Haus und Kinder seiner Wetzlarer Geschwister.
Im folgenden Jahre 1866 brachte der, glücklicher Weise rasch verlaufende, deutsche Krieg mancherlei Aufregung. Im Dill- und Lahntale fanden Truppendurchzüge und Einquartierungen seitens der beiden sich gegenüber stehenden Streitkräfte, speziell der Preußen und Badenser, statt. Die Hermannsteiner Pfarre hatte einmal mit der Gemeinde einer Abteilung Badenser „Zugebröd“ zu liefern und später einige Zeit preußische Landwehr-Kavallerie ins Quartier zu nehmen. Hermannstein, damals noch hessisch, und Wetzlar gehörten getrennten Lagern an, und wenn auch der Verkehr zwischen den Häusern Spamer und Kellner keinerlei Störung erlitt, so stand doch ein jedes derselben auf der Seite seines Landesherrn. In den Köpfen und Herzen des hessischen Volkes wohnte noch zu fest der großdeutsche Gedanke, und war die Notwendigkeit der Ausscheidung Österreichs aus dem deutschen Bunde noch zu wenig erkannt, als daß man sich mit dem Kriege gegen letzteres hätte einverstanden fühlen können. Übrigens war Chr. Spamer kein eifernder Politiker und blieb stets ruhigen Urteils in dem Widerstreit der Meinungen. — Der Friedensschluß brachte Hermannstein mit dem sogenannten hessischen Hinterlande an Preußen, und Chr. Spamer in den preußischen Untertanenverband und Staatsdienst. Hierbei wurde den nach Preußen übertretenden Pfarrern die Zusage gemacht, daß sie ohne Beeinträchtigung ihrer bisherigen Rechte aufgenommen werden sollten. — Selbstverständlich wurden durch die Annexion ihres Geburtsortes auch die drei noch unselbständigen Kinder, wie Minchen schon früher durch ihre Heirat nach Wetzlar, preußische Staatsangehörige. Auch der zeitige Pfarrvikar Reitz trat nach Preußen über und behielt seine Stelle in Hermannstein bei.
Ludwig hatte, nach seinem Abgange vom Gymnasium, bis zum Jahre 1861 eine zweijährige Lehrzeit in Appenborn und danach die landwirtschaftliche Schule zu Friedberg absolviert. Später war er auf verschiedenen Gütern in Hessen und Thüringen praktisch tätig und studierte in den Jahren 1866 und 1867, zur Vollendung seiner Ausbildung, drei Semester auf der landwirtschaftlichen Akademie in Halle. Hermann fand Anfang April 1867, nach lange vergeblichem Bemühen, eine Volontärstelle auf dem Neubrücker Eisenwerk bei Finnentrop, und am 10. Dezember genannten Jahres eine Anstellung als technischer Direktor der Aktiengesellschaft Ilseder Hütte zu Groß-Ilsede in der Provinz Hannover. — Als nun der von Halle nach Hause zurückgekehrte Sohn Ludwig am 11. Januar 1868 zu seinem Vetter Wilhelm Steinberger, auf dessen neugepachtetes Klostergut Thron, übersiedelte, blieb von Chr. Spamer's Kindern wieder nur Anna im Vaterhause zurück. Doch war oder wurde es deshalb keineswegs stille oder eintönig in demselben. Das warme Herz und der heitere Sinn des Hausvaters führten ihm und seinem lieben jüngsten Töchterchen, nach wie vor, häufig und gerne den Besuch der Wetzlarer und Gießener Verwandten und Bekannten ins Haus, und eben so gerne wurden diese Besuche von den Hermannsteinern erwidert. Manche Briefe an die auswärtigen Söhne bezeugen jene frohen Besuchstage.
Am 11. Mai 1868 wurde die Hochzeit Hermanns und Herminens in Burbach, im zahlreichen Kreise beiderseitiger Verwandten und Freunde, sehr vergnügt gefeiert. Chr. Spamer übergab dabei seiner Tochter Hermine eine goldene Uhr und Kette als Hochzeitsgeschenk, nebst nachfolgenden festlichen Versen an beide jungen Ehegatten:
- Zum elften Mai 1868.
- 1.
- Erlaubt mir Apollo den Pegasus nicht,
- So mache ich doch, ihm zum Trotz, ein Gedicht,
- Und singe zu Fuße zur Leier;
- Denn da ich Freund Hymen versprochen ein Lied,
- So liefere ich es dem Hochzeitenschmied
- Auch pünktlich zur heutigen Feier! (46 ≡)
- 2.
- Was wäre auf dieser so bräutlichen Erd'
- Für mich eines froheren Sanges wohl werth,
- Wenn ich sie auch ringsum besehe,
- Als — was für uns Alle, wie selber Ihr wißt,
- Doch heute das Neuste und Wichtigste ist —
- Herminchens und Hermännchens Ehe?
- 3.
- Ich freue zwar jeglicher Hochzeit mich schon,
- Doch, feiert die seine der eigene Sohn,
- Dann ist erst die Freude vollkommen!
- Besonders da er — die so lang er zuvor
- Mit dauernder Treue dazu sich erkor —
- Hermine zur Gattin genommen!
- 4.
- Denn wenn sich zwei Leutchen, wie unsere zwei,
- Vorher schon so lange gehalten die Treu',
- So ist das das sicherste Zeichen,
- Daß sie von derselben dann nach der Hand,
- Wann fest sie umschlungen das ehliche Band,
- Auch selbst in Gedanken nicht weichen!
- 5.
- Deswegen empfinde im Herzen auch heut
- Ich eine noch um so viel größere Freud',
- Weil immer, wann rückwärts ich blicke,
- Ich da schon verbürget die Zukunft erspäh',
- Und daß es in ihr ihnen ebenso geh',
- Zu ihrem nur steigenden Glücke!
- 6.
- Zwar zeiget schon heute ihr inniger Blick
- Nicht Mangel an einem noch höheren Glück,
- Doch will ich es ihnen verkünden,
- Weil Liebe nur wächset von Jahr zu Jahr
- Bei jeglichem christlichen Ehepaar,
- Wie später sie werden empfinden!
- 7.
- Und sollte auch lächeln so Mancher hierbei
- Und denken, daß gerade es umgekehrt sei,
- Das wäre alltäglich zu sehen;
- So stößt die Erfahrung noch lange darum
- Die Richtigkeit meiner Behauptung nicht um;
- Ich sprach ja von christlichen Ehen! (47 ≡)
- 8.
- Und daß eine solche am elften des Mai
- Vor unseren Augen geschlossen hier sei,
- Das ist ja mein festes Vertrauen;
- Das ist auch der einzige sichere Grund,
- Worauf ich bei diesem erfreulichen Bund
- Will glückliche Hoffnungen bauen!
- 9.
- Der Mai wird der Monat der Wonne genannt,
- Und ist als ein solcher uns Allen bekannt,
- Er sei's auch den eben Getrauten!
- Vor all seinen übrigen ihnen auch mag
- Sein elfter verbleiben der wonnigste Tag,
- Wann längst ihre Haare ergrauten!
- 10.
- „Beatrix“ oder Glückselige heißt
- Derselbe, wie der Kalender beweist,
- Und hat er den Namen vergebens?
- O, nennt ihn das strahlende Angesicht
- Der eben Vermählten uns Allen denn nicht
- Den seligsten Tag ihres Lebens?!
- 11.
- Drum nehmet auch Alle am Glücke und Heil
- Herminens und Hermanns den innigsten Theil!
- Und wünschet auf all ihren Wegen
- Denselben vom heutigen Trauungsaltar
- Bis einst zu der spätesten Todtenbahr',
- Des Höchsten vollkommensten Segen!
- 12.
- Wenn des Vaters Segen auch Häuser erbaut
- Den Kindern, wie Jeder aus Sirach erschaut;
- So wird er an Euch es beweisen!
- Und nicht zu befürchten — das wißt Ihr genug -
- Habt wahrlich Ihr beide der Mutter Fluch,
- Der nieder sie wieder kann reißen.
- 13.
- Zum Andenken daran, was heut sie erfuhr,
- Geb' jetzt meiner Tochter ich Kette und Uhr
- Für künftige Jahre zu eigen;
- Die Kette soll ihr auf die Treue im Bund,
- Die Uhr aber nie eine andere Stund',
- Als gold'ne im Ehestand zeigen! (48 ≡)
- 14.
- Noch Ein Wunsch liegt mir für Euch in dem Sinn,
- Und der, meine Kinder, bestehet darin:
- Genießet als Lebensgefährten,
- Bis spät Ihr erreicht Euer irdisches Ziel,
- Der nicht zu beschreibenden Freuden so viel,
- Als mir meine Frauen gewährten!
- Amen!
- Christian Spamer.“
Wie aus diesen Versen, so spricht auch aus folgenden Zeilen, mit welchen der Vater den ersten aus Ilsede eingetroffenen Brief Herminens beantwortet, die treue, herzliche Liebe desselben:
- Hermannstein, am 22. Mai 1868.
- Meine liebe glückliche Tochter!
- Hermannstein, am 22. Mai 1868.
Außer den zwei Briefen, in welchen mir mein Minchen und Carolinchen die Versicherung gaben, daß sie für das ganze Leben mein sein wollten, und dem, in welchem mir Hermann seine feste Anstellung meldete, habe ich nie einen empfangen, der mir so große Freude gewährt hätte, als der Deinige vom 16. c. Mit inniger Rührung und Freudenthränen habe ich ihn gelesen, da er mir und uns Allen bewieß, in welch einem hohen Grade Du Dich glücklich fühlst. Und was könnte auch mich im Leben noch mehr beglücken, als eben die volle Ueberzeugung von Euerem wahren Glücke, die ich aus jeder Zeile Deines ersten Briefes aus Euerem so reizend geschilderten neuen Standquartiere gewinnen muß! Kein Wunder, daß Dich der wahrhaft fürstliche und herzliche Empfang der lieben Ilseder so gewaltig ergriff, daß Du Deiner übergroßen Freude darüber durch einen Thränenstrom Luft machen mußtest! Wie konnten diese, in so hohem Grade nicht erwarteten Ehrenbezeigungen, die Dir, einer Fremden, von lauter Dir noch Fremden dargebracht wurden, anders als verwirrend, erschütternd und überwältigend auf Dein Herz einwirken! Und wie wohl muß es Dir gethan haben, daß Du gerade um Hermanns willen solcher ausgezeichneter Ehren gewürdigt wurdest! Sprach sich dadurch nicht allgemeine Liebe und Achtung gegen ihn aus? Und was könnte Dir lieber sein? Wir hätten Euch hier keinen so glänzenden Empfang bereiten können, wiewohl Du an unserem besten Willen dazu nicht zweifeln wirst! Möge die Freude der Ilseder, die sie über Deinen Eintritt in ihre Mitte so unzweideutig an den Tag legten, oder vielmehr in der Nacht leuchten ließen, ein nachhaltiges Freundschaftsverhältniß zur Folge haben! Ihr werdet gewiß gerne das Eurige dazu beitragen, und „Wie man in den Wald ruft, so schallt's heraus!“ In dieser Beziehung bin ich deswegen ohne Sorgen. Du bist auch ganz entzückt über Euere schöne Wohnung und deren Umgebung, und hast um so mehr Grund dazu, da die Beschaffenheit des Hauses auf die Gesundheit und Gemüthsstimmung seiner Bewohner einen nicht zu unterschätzenden Einfluß hat. Zwar „ist in der kleinsten Hütte“ ec., aber in einem großen Hause ist doch noch mehr Raum für ein glücklich liebend Paar, und wenn ihm ein solches zu Theil wird, so soll es sich darüber um so mehr freuen, als das meist nur vom Glücke abhängt. Mit Freude denke ich schon an den Tag, an welchem meine Augen Euer Domicil und Euch in demselben sehen werden; aber ich werde Euch nicht beneiden; denn ich habe auch in meiner Clause sehr, sehr glücklich gelebt, und setze es, so gut es gehen will, noch fort. Noch gestern war eine kreuzfidele, aus 21, meist weiblichen Personen bestehende Gesellschaft in meiner Conventstube versammelt, die wir kaum darin placiren konnten. Es waren nämlich theils durch Ansagen, theils durch Einladung bei uns erschienen: Cropps Mutter und Frau, Fräulein Sturm mit 2 Küchlein, Kellners sämmtlich, Frau Meyer, die Fräulein Mathilde Kißner, Eckstorm
Louise Meyer, Anna Drescher, die kleine Cropp, die Gymnasiasten Eckstorm und 2 Staudinger. Reitz war von seinem Schwager in den Schützengarten beordert und darum abwesend. Als der Maiwein eine höhere Stimmung hervorgerufen und Fräulein Sturm Euere 2 Hochzeitsgedichte gelesen hatte, brachte sie Euere Gesundheit aus, was mit solchem Enthusiasmus aufgenommen und mit solchem Klingen und Klirren der Gläser accompagnirt wurde, daß Ihr es bei günstigem Winde auf der Ilseder Hütte gehört haben müßt. Sodann wurde abwechselnd 2 und 4 händig gespielt und von Louise gesungen, bis wir die 2 Gießer zum letzten Zug auf den Bahnhof begleiteten. Hieraus bitte ich abzunehmen, daß wir noch recht wohl sind. — Daß Hermann mit Arbeit so überhäuft ist, daß er seine junge Frau fast halbetagelang allein sitzen lassen muß, ist zwar allerdings sehr traurig; aber tröstet Euch mit der Hoffnung, daß die Zeiten auch wohl wieder leichter für ihn und gesellschaftlicher für Dich kommen werden.
- Gott sei allezeit bei Euch, wie die Liebe
- Eueres Vaters
- Christian Spamer.“
- Eueres Vaters
- Gott sei allezeit bei Euch, wie die Liebe
Im Anschlusse hieran möge auch der zweitnächste Brief Chr. Spamers an seine Ilseder Kinder hier Platz finden, in welchem er eine Fahrt mit Anna in den Vogelsberg beschreibt und seine Erlebnisse gelegentlich der Einweihung des Lutherdenkmals in Worms, welcher er beiwohnte, aufgezeichnet hat.
- „Hermannstein, am 6. Juli 1868.
- Ihr lieben jungen Ehe- und Directorsleute!
Da wir durch unsere liebe Ilseder Correspondentin von Zeit zu Zeit in den Stand gesetzt werden, daß wir uns über Euere Erlebnisse von Herzen mitfreuen können, so wollen wir Euch die unsrigen nicht minder gern mittheilen. Am 30. Mai c. fuhr ich mit Anna über Niederwöllstadt nach Altenschlirf, wo wir am 31. den Geburtstag meines Carolinchens, am 3. Juni den ihres Erstgeborenen feierten, und bis zum 13. recht vergnügte Ausflüge nach Schadges, Herbstein, Stockhausen, Landenhausen, Crainfeld und Grebenhain machten. In Schadges gefielen uns die Menschen und Verhältnisse sehr gut, bis wir in der Nacht auf einem mit lauter lustigen Leuten angefüllten Leiterwagen, auf welchem fast fortwährend heitere Lieder ertönten, zurück gefahren wurden. In Stockhausen, bei Pfarrer Stock, dem Oheim des Bräutigams Thomas Stock, und in Landenhausen bei Pfarrer Windecker und seinem Louischen, sowie bei dem Gastwirth und Großhändler Tuchert in Stockhausen und seinem weit schöner und stärker gewordenen Minchen, dem ehemaligen Minchen Weber von Londorf, und nicht weniger bei Pfarrer Bernbeck und seinem Weibchen in Altenschlirf amüsirten wir uns herrlich und erhielten auch von Allen, mit Ausnahme Windeckers, die freundlichsten Gegenvisiten. Am 13. frühe um 3 Uhr waren wir, nachdem wir die Altenschlirfer gesund verlassen hatten, per pedes schon in Herbstein, und fuhren von da mit der Post über Ulrichstein und Grünberg nach Gießen und per Bahn hierher.
Am 24. Juni fuhr ich mit dem jungen Pfarrer Allmenröder und von Friedberg auch mit meinem Vikar nach Worms. Karten zu den Concerten à 1 fl., zur Tribüne E. Sitzplatz Nr. 48 und 49 während der Enthüllungsfeier à 2 fl., und zum Essen mit 1 Schoppen Wein in der Festhalle à 2 fl. 42 kr. hatten wir uns vorher kommen lassen, auch die Zusicherung eines freien Logis. Nun holten wir uns bei dem Einweihungscomité Legitimationskarten als Ehrengäste gratis, mit dem Bemerken unserer Wohnung bei Herrn Chr. Beckerle in Pfiffligheim, ½ Stunde vor Worms, und daß wir frei mit der Bahn nach Worms und zurück fahren könnten. Damit begaben wir uns, um feierlich begrüßt zu werden, in die Dreifaltigkeitskirche, wo wir den begrüßenden Superintendenten Schmitt von Mainz im dichtesten Menschengedränge kaum sehen
und noch weniger verstehen konnten. Weshalb wir uns sogleich wieder in die freie Luft retteten, und zur Festhalle eilten, wo ich die 2 Pfarrer von Wetzlar, Professor Hesse von Gießen, Kühn von Schotten, Marx von Echzell, Nebel, Wolf, Groh, Koch von Londorf, der mir sagte, daß er große Hoffnung habe, nächstens Pfarrer in Obbornhofen zu werden, und mit seinem Weibchen höchst glücklich lebe, Briegleb von Heuchelheim mit Tochter, Hofmann von Altenstadt mit Tochter, Bernbeck von Altenschlirf, Prälat Zimmermann, den jungen Drescher von Gießen, Dr. Beck von Darmstadt und andere Bekannten sah. Mit einigen Tausenden trieben wir uns in der hinlänglich geräumigen Halle umher, machten vorübergehende Bekanntschaften, hörten auf die Musik und die von ihrer Bühne begrüßenden Redner, namentlich den Vicepräsidenten Dr. Eich und Professor Schenkel von Heidelberg, der eine sehr kernige, äußerst begeisterte Rede über Luthers Verdienste und die Notwendigkeit, in seinem Geiste und Werke fortzufahren, hielt; worüber Manche, die aller ferneren Reformation abhold sind, zu murren, ihre Antipoden aber ein so lautes, anhaltendes Bravo begannen, und: „Touche! Touche!“ riefen, daß der Redner nach den Worten: „Ja, Luther hats gut, sehr gut gemacht! Und wenn er jetzt käme, so würde er es noch besser machen!“ unter dreimaligem Touche als gefeierter Sieger die Bühne verließ. Ein Amerikaner und ein Russe traten auch als Redner auf, konnten aber ihre Worte nicht mehr an den Mann bringen, da man, allgemein, des Zuhörens müde, sie sogleich mit schallenden Bravo's unterbrach und zum Schweigen nöthigte. Ebenso konnte Prälat Zimmermann nach mehrmaligen vergeblichen Versuchen durchaus nicht zum Worte kommen. Gegen Mitternacht fuhren wir per Bahn in Gesellschaft Kühns, der mir seinen Schwiegersohn vorstellte, und Bernbecks gen Pfiffligheim, wo unser guter Wirth Beckerle, wohlhabender und nicht ungebildeter Landmann, schon in Morpheus Armen von des Tages Last und Hitze ausruhte, seine beiden Töchter uns aber freundlich empfingen, die jüngere auf meine Bitte noch einige Clavierstücke vortrug und uns dann unsere 2 aneinander stoßenden Schlafzimmer, mit schönen Sophas, Wandgemälden, und weichen Betten versehen, anwies. Am 25. um 6 Uhr tranken wir mit der Familie guten Kaffee, aßen mürben Kuchen dazu, und eilten zum Bahnhöfchen, um nach Worms zu fahren; der heranbrausende Zug war jedoch überfüllt und lieber, als wir seine Rückkehr abwarteten, gingen wir an dem festlich beflaggten Lutherbaum, eine majestätische Ulme, vorüber nach Worms, aus dessen Thor uns die katholische Bevölkerung entgegenströmte, um sich durch ihr Dableiben bei dem Ketzerfeste ums Leben nicht zu verunreinigen. Um 7½ Uhr hörten wir in der übervollen Dreifaltigkeitskirche den Hofprediger Hofmann von Berlin, der sein Möglichstes that vor den Augen und Ohren unseres Königs, des von Württemberg, des Großherzogs von Hessen, der sehr wohl, fast jugendlich aussahe, unseres Kronprinzen und vieler von Gold strotzenden Herrn, auch einer Dame, die als Inhaberin eines Regiments in der Fürstenloge mit Obristen-Epauletten auf beiden Achseln sich präsentirte; ob dieser weibliche Heros unsere Kronprinzessin oder die Erbgroßherzogin Alice von Darmstadt war, weiß ich nicht, wohl aber, daß mir an Herrn Epauletten weit besser gefallen. Um 9 Uhr sollte der Festzug nach dem Monumente beginnen, wurde aber durch das längere Frühstück der Allerhöchsten Herrschaften sehr verspätet. Da angeschlagene Placate die Inhaber der Karten zu bestimmten Sitzplätzen ermahnten, ihre Plätze lieber vor Eröffnung des Zuges einzunehmen, wenn sie derselben gewiß sein wollten, so folgten wir diesem Rathe, und nahmen am Zug der Geistlichen nicht Theil. Endlich setzte sich der Zug unter dem Geläute aller evangelischen Glocken in Bewegung und zog durch das prachtvolle gothische Portal in den weiten mit Schranken und 50 hohen Masten (an welchen die Wappen und Flaggen aller Nationen, die zu dem Denkmal gesteuert, prangten) umgebenen Festplatz, wo er von unserer Tribüne aus mit einem von vielen Gesangvereinen angestimmten und mit Blasinstrumenten accompagnirten Hallelujah empfangen wurde. Als sich die Fürsten in ihren Pavillon und die Geistlichen an ihre Plätze begeben hatten,
begann der Biograph Ritschels zu reden, den man von unserem Platze, da das gänzlich eingehüllte große Monument zwischen uns und dem Rednerstuhl stand, gar nicht sehen und fast ebenso wenig hören konnte. Ihm folgte mein alter Freund Keim, der Präsident des Vereins, mit einer langen Rede, der einigemal mit dem Rufe „Schluß“ unterbrochen ward, und antwortete: „Ich lasse mir nicht vorschreiben!“ Mit dem Schlusse seiner Rede sank, wie mit einem Schlage, die Umhüllung und das Reformationsdenkmal, das auf Erden nicht seines gleichen hat, stand im brennenden Sonnenglanze vor den erstaunten Augen vieler Tausenden, die in enthusiastischen, anhaltenden Jubel und Bravos ausbrachen, die von Böllersalven begleitet wurden. Und als in diesem feierlichsten Momente der vieltausendstimmige, aus voller Brust und Begeisterung gesungene Choral „Ein feste Burg ist unser Gott“ pp. alle Blasinstrumente unhörbar machte, da sah man in vielen, auch in meinen Augen Freudenthränen glänzen, und eine ansteckende, nie wiederkehrende Exaltation bemächtigte sich der ganzen Versammlung. Nach dieser Culmination des Gefühls mochte ich die nachfolgenden Reden des Prälats Zimmermann und Bürgermeister von Worms, der katholisch ist, aber Luthers Verdienste öffentlich anerkannte, nicht mehr hören, und begab mich, Hörens satt, in die Halle um meinen leiblichen Durst zu löschen. Zwar kam Dr. Beck, der als Mitglied des Darmstädter Singvereins in meiner Nähe war, auf der Tribüne zu mir und ließ mich einen kräftigen Zug aus seinem Weinfläschchen thun; aber dieser Schluck konnte doch nicht lange vorhalten, bei dieser enormen Hitze, auch nicht bei ausgespanntem Regenschirm. Das Essen um 3 Uhr hätte nach dem Gelde besser, der Wein kühler, die Kellnerinnen, deren an jedem Tische drei waren, erfahrener sein sollen. Eine stellte z. B. 3 Schüsselchen mit Caviar vor mich hin. Da sagte ich: Gutes Kind, das ist mir zu viel, vertheilen Sie doch diese Schüsselchen auf der ganzen Tafel. Sie dankte für die Zurechtweisung. Später tranken wir Liebfrauenmilch und Kattenlöcher, der zwar besser, aber nicht vom besten war. Nach Keim suchte ich vergebens, er war nicht in der Halle, vielleicht krank vor Aufregung oder Aerger. Um Mitternacht wanderten wir nach unserem Quartier. Am 26. nahmen wir nach dem Kaffee dankbaren Abschied von unseren freundlichen Wirthsleuten, und hörten um 7½ Uhr auf dem Festplatze die Predigt des Hauptpastors Baur von Hamburg über Ephes. 2, 19—22, unstreitig die Krone sämmtlicher Festpredigten, die aus warmem Herzen und heiligem Geiste entsprang, allgemein verständlich und mit dem bekannten Feuer des Redners vorgetragen, in alle Herzen Licht und Wärme ergoß. Dr. Beck sagte zu mir: „Ich mache mir sonst gerade nicht so viel aus Predigten; aber vor dieser habe ich allen möglichen Respect!“ „Nun Freundchen“, sagte ich, „gehen Sie doch zuweilen in die Kirche, um Aehnliches zu hören!“ Er schüttelte ungläubig lächelnd das Haupt, nahm mich am Arme und eilte mit mir zur Probe des Oratoriums „Paulus“. Kaum gelang es uns, noch in die Kirche einzudringen. In der Kirche nahm ich eine Eintrittskarte à 30 Kr. Die 10 Singvereine, 350 Sänger und Sängerinnen, mit Musikbegleitung unter Lachners Direction machten einen überwältigenden Eindruck auf Ohr und Gemüth. Vorzüglich gefiel mir die Solistin von Mannheim und der Solist Hill. Jene durch die Flötenstimme, die sie bis zur äußersten Höhe und dem stärksten Fortissimo anschwellen und bis zum kaum hörbaren Pianissimo dämpfen und hinsterben lassen konnte, dieser durch seinen klaren markigen Baß, bei dem man jedes Wort verstand. Trotz allem Gefallen ging ich, ehe die Probe zu Ende war, mit Koch aus der Kirche um das Denkmal ungestört zu betrachten. Mündlich und schriftlich sollt Ihr nähere Beschreibung desselben von mir erhalten, wann ich zu Euch komme. Jetzt nur Folgendes: Das Ganze macht einen so großartigen, imposanten Eindruck auf den Beschauer, den dieser weder mit Worten wiedergeben, noch der bloße Leser empfangen kann; er ist über jede Beschreibung und Vorstellung erhaben und unvergeßlich. Unglaublich ist's, daß die Kunst die verschiedenen Gemüthsbewegungen so charakteristisch, sprechend und lebendig in starres Erz gießen kann, wie man hier mit Augen sieht.
Besonders hat mich der Anblick der 3 schönen Frauengestalten in Bronce tief ergriffen und gerührt. Mit der trauernden Magdeburg hätte ich sicher geweint, wenn ich ohne Beobachter bei ihr gewesen wäre. Die protestirende Speier drückt in Stellung und Mienen die Unabänderlichkeit ihres Protestes so deutlich aus, daß jede Erklärung weniger sagt, als das Standbild selbst. Das ganze Monument ist die beste Reformationspredigt für die Mit- und Nachwelt. Der Ausdruck der 10½ Fuß, mit dem Postament 27½ Fuß, hohen Lutherstatur ist, da sie nach Oben sieht, in der Nähe weniger erkennbar, als aus der Ferne. Die Reihen von Damen, die in der Nähe des Festplatzes, nach ausgehobenen Ziegeln aus den Dächern bis an die Brust hervorsahen, haben wahrscheinlich seine Physiognomie deutlicher geschaut, als wir in der Nähe, doch sieht auch Jeder in der Nähe deutlich den eisernen Gottesmann. — So geschmückt, wie Worms an den 3 Festtagen war, wird nicht leicht eine Stadt erscheinen. — Am 26. nach 12 Uhr fuhren wir frei zurück bis Frankfurt, und Abends 6 Uhr war ich völlig gesund und befriedigt bei meiner Anna. Am 29. Juni waren Reinhards mit dem Dr. und der Witwe Diehl, Emmelius mit Frau, Tochter und Schwägerin, Jettchen und Hermann Steinberger mit Fräulein Hensler, Kellner mit Minchen und Treff bei uns. Am 27. setzte Kellner ¼ Ohm Wiener d. h. Gießer Bier, das wir mit den Dr. Reinhard, Groos, Schleicher, Neubauer, Schenk und Kreisrichter Theobald leerten. Am 30. dachte ich an meine 39jährige Copulation, am 2. Juli an den 64. Geburtstag meiner ersten und am 3. an den 30jährigen Copulationstag mit meiner letzten Frau. Am 1. und 3. Juli wurde der 50jährige Einzug der Garnison in Wetzlar mit Essen und 2 Bällen gefeiert. Kellners nahmen Theil, wir nicht. Louis will das Feldbergs- und Schützenfest mitmachen. Dazu sandte ich ihm am 1. c. Kleiderstoff und 20 Thaler. Wir sind gesund, wünschen auch Euch diese Gabe Gottes, und es hofft Euch mit Anna bald zu sehen
- Euer Vater
- Christian Spamer.“
- Euer Vater
Im August 1868 machte der Vater mit Anna seinen Ilseder Kindern die Freude dieses in Aussicht gestellten ersten Besuches und begrüßte auf der Rückreise von der Hütte die befreundeten Familien Assessor Eckstorm in Homberg a. d. Ohm und Pfarrer Georgi in Ehringshausen, wonach er am 13. September seine und Annas glückliche Heimkunft nach Ilseder Hütte meldete.
In demselben Briefe machte er auch folgende, seine Pensionierung betreffenden Mitteilungen: „Am 10. c. schrieb mir unser Landrath von Strauß vertraulich: Da er gehört, daß ich die Absicht geäußert habe, um meine Pensionirung einzukommen, möge ich in diesem Falle meine Wünsche ihm bald mittheilen. Ich wisse, daß Hermannstein eine sehr arme Gemeinde sei, und da ich sonst nicht unvermögend sei, werde sich wohl die Sache für alle Theile annehmbar arrangiren lassen. Heute sandte ich ihm die Antwort: H. am 13. September 1868. Hochwohlgeborener, Hochgeehrter Herr! Auf Ihre verehrliche Frage vom 10. c. antworte ich, daß ich weder die Absicht hatte, um meine Pensionirung einzukommen, noch eine Aeußerung in dieser Beziehung gethan habe, und zwar um so weniger, da mein bisheriges Verhältniß ebenso angenehm für mich war, als der Abzug von einem Orte, wo ich über 41 Jahre gelebt und 8 Familienmitglieder begraben habe, unangenehm für mich sein muß. Indessen kann und will ich deswegen meiner Pensionirung nicht entgegen sein, und gerne eine Summe, die der Haltung eines Vicars entspricht, an meinen Nachfolger abgeben. Im Uebrigen, denke ich, müsse jegliche Pensionirung nach allgemeinen Gesetzen und Normen erfolgen, welche Ew. Hochwohlgeboren besser bekannt sein werden, als mir, der ich die Ehre habe, mit vollkommenster Hochachtung zu zeichnen
- Ew. Hochwohlgeboren gehorsamster
- Spamer, Pfarrer.“ (53 ≡)
- Spamer, Pfarrer.“
- Ew. Hochwohlgeboren gehorsamster
Nun muß ich abwarten, was er, wenn er nächstens herkommt, dazu und weiter sagt. Während wir bei Euch waren, hat er schon mit dem Vicar und Gemeinderath dahier über die Sache gesprochen; was, weiß ich nicht und frage auch nicht, da ich es doch erfahren muß. Minchen wird es wohl recht sein, da es mich schon öfter zu bereden suchte, um meine Pensionirung einzukommen und nach Wetzlar zu ziehen. Ich bin auch nicht an die alten Steine meiner ungesunden Clause angebunden; möchte sie aber doch nur bei annehmbarer Pension mit einer gesünderen Wohnung vertauschen, und so geht es auch Anna. Kellner ist derselben Ansicht, und mit Minchen habe ich in der letzten Zeit nicht darüber sprechen können, was jedoch morgen geschehen soll.“
Nach hessischem Gebrauch und Herkommen durfte Chr. Spamer, wie hier erwähnt werden muß, erwarten, daß er auch fernerhin in Hermannstein verbleiben und die Pfarrei durch einen Vikar werde verwaltet werden. Das Königliche Konsistorium zu Wiesbaden wünschte jedoch eine andere Regelung herbei zu führen und erließ zunächst folgende Verfügung:
- „Wiesbaden, den 23. October 1868.
In Folge Verfügung des Großherzogl. Hessischen Oberconsistorii vom 7. April 1857 wurde dem Pfarrer Spamer zu Hermannstein aus Rücksicht auf seine Gesundheit nach seinem Antrage ein Vicar beigegeben. Obwohl diese Vergünstigung selbstredend nur eine vorübergehende sein konnte, so besteht dieses Verhältniß doch gegenwärtig noch fort. Es liegt aber auf der Hand, daß durch den häufigen Wechsel der Vicaren das kirchliche Leben der Gemeinde nicht gefördert werden kann. Erlaubt es die Gesundheit des Pfarrers Spamer, so wird er daher seinem Pfarramte nunmehr wieder selbst vorzustehen haben, andernfalls haben wir beschlossen, einen Vicar, wenn möglich, cum spe succedendi, zu bestellen. Diesem Vicar hat der Pfarrer, nach den bestehenden Bestimmungen, neben freier Wohnung, durchaus freie Station oder eine entsprechende Geldentschädigung zu gewähren. Mit Rücksicht auf die gesteigerten Preise der Lebensmittel und die durch Zeitverhältnisse bedingten Ansprüche, müssen wir die an Stelle der freien Station zu gewährende Entschädigung von 3—400 Gulden bestimmen. Euer Hochwürden wollen daher mit dem Pfarrer Spamer darüber verhandeln, ob er im Stande ist, sein Pfarramt selbst wieder zu übernehmen, oder ob er bereit ist, dem zu bestellenden Vicar die bezeichnete Entschädigung zu gewähren und seine Emeritirung nachzusuchen. Euer Hochwürden Anzeige sehen wir binnen 14 Tagen entgegen.
- An den Decan Herrn Korndörfer Königl. Consistorium.
- Hochwürden Gladenbach.
- An den Decan Herrn Korndörfer Königl. Consistorium.
Wird S. p. r. dem Herrn Pfarrer Spamer zu Hermannstein zur Einsicht und Erklärung auf die obigen Fragen innerhalb 8 Tagen mitgeteilt.
- Gladenbach d. 26. October 1868. Korndörfer, Decan.
Hierauf antwortete Christian Spamer:
- Hermannstein, am 30. October 1868.
In Folge verehrlicher Verfügung des Königlichen Consistoriums zu Wiesbaden vom 23 c. und der des Königlichen evangelischen Decanats Gladenbach vom 26. c. antworte ich, unter Beischluß des Communicats, daß ich hiermit gehorsamst um meine Emeritirung nachsuchen und dem Vicar an Stelle der freien Station eine Entschädigung von dreihundet Gulden gewähren will.
- Christian Spamer, Pfarrer allda.“ (54 ≡)
- Christian Spamer, Pfarrer allda.“
In weiterer Folge lief im Januar 1869 durch das Dekanat folgendes Schreiben des Konsistoriums in Hermannstein ein.
- Wiesbaden, den 7. Januar 1869.
Die uns unter dem 2. Nov. a. p. vorgelegte Erklärung des Pfarrers Spamer zu Hermannstein vom 30. Oct. a. p., wonach derselbe dem künftigen Pfarrverwalter eine Besoldung von 300 ft. zahlen will, nehmen wir an, insoweit damit die in baarem Gelde zu leistende Vergütung angegeben ist. Da aber zur Anstellung eines Pfarrverwalters, der längere Zeit der Gemeinde als Seelsorger diene, was wir für ein dringendes Bedürfniß erachten, eine Familienwohnung für denselben beschafft werden muß, so wollen Eure Hochwürden dem Pfarrer Spamer eröffnen, daß derselbe dem Pfarrverwalter außer den 300 fl. noch das Pfarrhaus nebst Hofraithe zu überlassen habe. Euer Hochwürden wollen uns die Erklärung des Pfarrers Spamer baldigst zugehen lassen.
- Königliches Konsistorium
- v. Prittwitz.“
- Königliches Konsistorium
- Die Erwiderung hierauf war folgende:
- „Hermannstein, am 13. Januar 1869.
- Die Erwiderung hierauf war folgende:
Ob ich gleich bei meinem Uebertritte ins Preußische und bei der Versicherung, daß die übertretenden Beamten mit ihren Rechten übernommen würden, nicht vermuthen konnte, daß ich bei meiner Emeritirung genöthigt werden würde, das Pfarrhaus nebst der Hofraithe zu verlassen, so will ich doch, nach der verehrlichen und hiermit zurückerfolgenden Verfügung des Königlichen Consistoriums zu Wiesbaden vom 7. c., auch dieses thun, sobald ich die dazu erforderlichen Vorkehrungen getroffen haben werde.
- Christian Spamer, Pfarrer allda.“
In dem Briefe, mit welchem Chr. Spamer obiges seinen Ilseder Kindern mitteilte, fügte er folgendes hinzu:
„Da ich und Anna demnach aus unseren Klostercellen ausgeräuchert werden, und kein anderes Logis in Wetzlar schnell finden, so will uns, vor der Hand wenigstens, Minchen, aus angestammter Warm- oder Barmherzigkeit unter sein Obdach aufnehmen. Wir wollten schon nicht mehr backen und schlachten, ehe wir von unserem Abzuge von hier wußten, und ich denke, wir werden uns beide leicht in die neue Ordnung der Dinge finden. Bei Minchen werden wir Mittags- und Abendessen einnehmen; den Kaffee wird Anna extra brauen und für Früh- und Spätstück sorgen. So dachten wir heute Abend vorläufig. Kommt Zeit, kommt Rath. Wir sind so heiter und wohlgemuth, wie vorher. Reitz ist 50% lustiger und hoffnungsreicher, und wir gönnen es ihm von Herzen. Dieser Nachfolger ist uns jedenfalls angenehmer, als ein fremder, und seinem Mathildchen wünsche ich auch das Häubchen. Am Mondtage frühe ging Louis, nachdem er die alte Uhr im Hausflur wieder gehen und schlagen gelehrt, und 2 Schellen für die Magd angebracht, auch eine alte Sackuhr von mir für den Knecht für 4½ fl. gekauft hatte, wieder nach Thron, und eine Stunde später empfing ich obiges Consistorial-Rescript. Am 7. Januar 1828 ward ich decretirt, am 7. Januar 1869 exquartiert als Pfarrer.“
Am 6. März 1869 teilte Chr. Spamer das ihm inzwischen zugegangene Emeritierungsdekret seinem Sohne Hermann mit. Es hatte folgenden Wortlaut:
- Wiesbaden, den 22. Februar 1869.
Wir versetzen hierdurch den Pfarrer Christian Spamer zu Hermannstein, auf seinen desfallsigen Antrag, vom 1. März d. J. an in den Ruhestand und entbinden ihn von seinen
pfarramtlichen Functionen. Pfarrer Spamer verbleibt unter den nachfolgenden, von ihm angenommenen Bedingungen und Verpflichtungen in dem Genusse seines Pfarr-Einkommens:
- 1. derselbe überläßt dem Pfarr-Vicar unentgeltlich die alleinige Benutzung des gesammten Pfarrhauses nebst der zugehörigen Hofraithe und dem zugehörigen Garten.
- 2. Dem Pfarr-Vicar werden durch den Einnehmer der Pfarr-Einkünfte jährlich dreihundert Gulden aus dem Pfarr-Einkommen und zwar quartaliter postnumerando ausgezahlt.
Diese anderweitige Regelung der dem Pfarr-Vicar für die Versehung des Pfarrdienstes zu gewährende Vergütung tritt, was die Zahlung der Geldentschädigung betrifft, mit dem 1. März c., hinsichtlich der Ueberlassung des Pfarrhauses mit Zubehör, jedoch erst mit dem 1. April d. J. in Wirkung.
- Königliches Consistorium
- v. Prittwitz.
- Königliches Consistorium
Noch vor Ende März 1869 siedelte Chr. Spamer, unter Beihilfe seines Sohnes Ludwig, mit Anna nach Wetzlar über ins Haus Kellner, in welchem Minchen ihnen einige Zimmer mit schöner Aussicht in Stadt und Umgegend eingerichtet hatte. Auch fühlten beide Emigranten sich sehr wohl in ihrem neuen Heim und ihrer lieben Umgebung.
Am 30. März langte die telegraphische Nachricht von Groß-IIsede an, daß dort ein Töchterchen eingetroffen sei, und am 14. April reiste, einer Bitte der jungen Eltern folgend, Großvater Spamer, in Begleitung seiner Tochter Minchen, nach Ilseder Hütte, wo er am 25. April, mit Großmutter Vomhof, die Enkelin Hermine über die Taufe hob. Bis zum 23. Mai erfreute er seine Ilseder Kinder durch seine Anwesenheit und zugleich mit folgenden Gedichten, welche sich beziehen auf deren Hochzeitstag und Namen, auf seine am 31. Mai geborene dritte Frau und auf seine Rückreise.
- 1. Die Bedeutung des Elften im Mai.
- Wer kann mir verrathen am Elften im Mai,
- Von welcher Bedeutung derselbige sei? —
- Wer’s nicht kann errathen, betrachte einmal,
- Wie 11 wird mit Ziffern geschrieben die Zahl!
- Da siehet er anfänglich 1 nur allein,
- Dann aber stellt noch 1 daneben sich ein,
- Und wenn sich nun Beide so haben vereint,
- Im gleichen Momente ein Paar ihm erscheint,
- Weil immer die Beiden zusammen nun stehn,
- Wie das ja an 11 ist gar deutlich zu sehn,
- Und wird er am Elften im Mai es gewahr,
- So ist an demselben entstanden das Paar.
- Doch was für ein Paar ist von allen gemeint?
- Auch dieses an 11 ihm ganz deutlich erscheint,
- Indem es, damit auch kein Zweifel mehr bleibt,
- Sogar ihm den Namen des Paares beschreibt.
- Zum Zeichen des Paares es völlig genügt,
- Daß man einen Querstrich dazwischen nur fügt,
- Denn aus dem Verbindungsstrich wird es ihm klar,
- Daß vor ihm erscheint ein verbundenes Paar. (56 ≡)
- Steht nun zwischen 11 der verbindende Strich,
- So sage mir weiter, wie zeiget es sich?
- Gewiß doch nur so, wie ich immer es sah,
- Es bildet ein großes lateinisches H,
- Und diese Vereinigungssignatur
- Bezeichnet Hermine und Hermann nur,
- Weil weit ja und breit, soviel mir ist bekannt,
- Kein anderes Paar mehr mit H wird genannt.
- Drum stellt dieser Buchstab die Beiden hier dar,
- Die heute sind netto vermählet ein Jahr.
- Der Strich jedoch, welcher verbindet sie quer,
- Das saget mir noch, was bedeutet denn der?
- O, dieser bedeutet ihr sichtbares Band,
- Christiane Luise, Hermine genannt!
- Die Tochter, die Mutter und auch der Papa
- Sind drei und doch Eins in dem einigen H,
- Und wenn es ihr immerhin glücklich ergeht,
- Erfüllt sich mein Wunsch für die H-Trinität.
- Kehrt also nun wieder der Elfte des Mai,
- So wißt Ihr, von welcher Bedeutung er sei!
- Wem habt Ihr es aber zu danken alsdann,
- Daß er Euch dies Alles zu wissen gethan? —
- Ilseder Hütte, am 11. Mai 1869. C. S.
- 2. Welches Blümchen?
- Ich kenne ein Blümchen im schattigen Hain,
- Das möchte ich haben von allen allein.
- Und suche mit großem Verlangen die Spur,
- Auf der ich es finde in freier Natur.
- Was zieht an dem Blümchen so mächtig mich an?
- Hat das wohl sein Farbengepraenge gethan?
- O, nein, denn es trägt, wie euch Allen bekannt,
- Nur immer ein einfaches weißes Gewand.
- Und weil es beständig in Weiß ist gehüllt,
- Ist's mir von der Unschuld der Engel ein Bild,
- Und wenn ich sein schneeweißes Röckchen gesehn,
- So kann ich dem Blümchen nicht mehr widerstehn.
- Doch ist es noch nicht mit der Farbe genug,
- Es hat auch den würzigsten besten Geruch,
- Und wenn es noch diesen entgegen mir weht,
- Kein anderes Blümchen darüber mir geht. (57 ≡)
- Und daß so bescheiden zurück es sich zieht,
- Und gerne so still im Verborgenen blüht,
- Bei all seiner lieblichen Unschuld und Kraft,
- Das hat ihm die Gunst meines Herzens verschafft.
- Drum nahm ich das Blümchen, erblühet im Mai,
- Und liebte es innig und liebe es treu,
- Es ward mir so theuer, es ward mir so werth,
- Daß nimmer ich habe ein andres begehrt.
- Ein plötzlicher Sturm in der schrecklichsten Nacht
- Hat mich um das herzige Blümchen gebracht,
- Er hat's mir entrissen, ich suche es nur,
- Und finde doch nirgends auf Erden die Spur.
- Ich habe euch nicht seinen Namen genannt,
- Doch habt ihr wohl Alle das Blümchen erkannt,
- Wir haben es heut in den Garten gesetzt,
- Wo nun es uns jährlich von Neuem ergetzt.
- Ilseder Hütte, am 15. Mai 1869.
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Am 31. Mai meldete der Vater den Ilsedern seine glückliche Rückkehr nach Wetzlar und Tochter Anna zugleich ihr Eintreffen auf der Hütte zum 3. Juni. In den Zeilen des ersteren stand die Mitteilung, daß Anna von einem Herrn in Wetzlar einen Heiratsantrag erhalten, denselben aber, weil sie nicht mehr frei sei, abgelehnt habe. Und Anna legte einen Brief bei mit der Bitte, denselben nach Wunstorf weiter zu befördern. Dieser Brief war gerichtet an ihren späteren Gatten, den Stabsarzt Dr. Emil Groos aus Wetzlar, der damals in Wunstorf stationiert war. Die beiden Leutchen hatten sich schon in Hermannstein und Wetzlar kennen und lieben gelernt; der geschehenen Aussprache war inzwischen noch eine Bedenkzeit gefolgt, und hatte Anna nunmehr ihren treuen Liebhaber zur Feier der Verlobung nach Ilsede gebeten. Ein sehr liebes und glückliche Paar ist aus ihnen beiden geworden. Daß Emil dem Vater ein willkommener Schwiegersohn war, bezeugt er seiner Tochter Anna in folgendem Gedicht, welches er ihr nebst einem Erbauungsbuche und zwei Blumenstöcken am 16. September 1869, ihrem 22. Wiegenfeste, als Geburtstagsgabe überreichte:
- „Liebe Anna! Dieses Buch empfehle
- Gern ich Deiner jungfräulichen Seele,
- Denn es hält sie fern von Muckerei,
- Macht sie gläubig und von Unsinn frei.
- Als sie zweiundzwanzig Jahre zählte,
- Die zur letzten Gattin ich erwählte,
- Schrieb ich ihr an ihrem Wiegenfest,
- Was Ihr in der „letzten Rose“ lest.
- Vierzehn Monde und drei Tage später
- Trat sie, weil ich weit sie vorzog Jeder,
- Fröhlich mit mir zu dem Traualtar,
- Und so wurden wir ein glücklich Paar.
- Wiederum empfinde ich auch heute
- Eine hohe, innigliche Freude,
- Daß die Tochter, die sie mir gebar,
- Froh erreichte zweiundzwanzig Jahr'.
- Und da nicht sie suchet zu verhehlen,
- Daß sie nächstes Jahr sich will vermählen,
- Schenke, Gott, des Herzensglücks so viel
- Doch, wie uns, auch Anna und Emil!
- Nur laß ihre Ehe länger dauern,
- Als die unsere, daß Keins mit Trauern
- Lang beweinen muß des Andern Tod,
- Darum bitte ich Dich, lieber Gott!
- Denn, Wer je ein solches Herz besessen,
- Ueber das er Alles gern vergessen,
- Fühlt, wenn es ihm plötzlich wird geraubt,
- Einen Schmerz, den nur Erfahrung glaubt! (59 ≡)
- Drum verschone gütig Beider Herzen
- Mit dem schrecklichsten von allen Schmerzen!
- Laß zusammen Beide künftighin
- Lang vereint wie Blumenstöcke blühn!
- Nicht wie diese zwei in irdnen Scherben,
- Die nach wenig Wochen schon verderben,
- Nein, wie ihrer Herzen Lieb' und Treu',
- Unverwelklich ihre Blüthe sei!
- Nicht mehr lang wirst Du Dich Spamer schreiben,
- Aber immer meine Tochter bleiben!
- Mache auch Emil Dich zur Frau Groos;
- Ziehst Du nur mit ihm das große Loos!
- Suchst Du ihm zu jeder Zeit auf Erden,
- Was mir Deine Mutter war, zu werden,
- Wird ihm Euer ehlicher Verein
- Auch auf Erden schon der Himmel sein!
- Und Du wirst ja immer bei ihm wohnen,
- Also auch in seinem Himmel thronen,
- Wo Ihr mit einander preiset gern
- Diese Erde als den schönsten Stern!
- Laß Dir nicht vor Deiner Zukunft bangen!
- Mit Emil bin oft ich umgegangen,
- Und ich habe stets ihn so erkannt,
- Daß ich ihn von Herzen Sohn genannt.
- Mit dem Manne, den Du Dir erwählet,
- Kannst Du, bist Du erst mit ihm vermählet,
- Muthig künft'ger Zeit entgegen schaun,
- Und Dich seinem Schutze anvertraun!
- Was in eines Mannes Kräften lieget,
- Er gewiß zu Deinem Besten füget!
- Was dem lieben Weibchen Freude macht
- Freut noch mehr den Mann, der es erdacht!
- Aber — daß es lieb und werth sich mache,
- Das ist freilich stets des Weibchens Sache!
- Und wenn dieses Eine ihm gelingt,
- Preise ich es selig unbedingt.
- Mehr, als selig, willst Du doch auf Erden
- Auch als Weibchen, denk' ich, niemals werden?
- Da ich Dir das Mittel nun genannt,
- Brauch' es, liebe Anna, mit Verstand! (60 ≡)
- Jene Liebe, die Dir stets erschienen
- In des Liebsten Augen, zu verdienen,
- Das sei täglich Deines Strebens Ziel
- Und zugleich Dein wonnigstes Gefühl!
- Wirst Du diesen Weg in Zukunft wallen,
- Wirst Du täglich ihm noch mehr gefallen,
- Und mein Wunsch ist dann für Euch erreicht,
- Daß kein Glück das Eure übersteigt!
- Wie ein treues Weib mit Seelenblicken
- Den geliebten Gatten kann entzücken,
- Wünsche ich Emil, dem lieben Sohn,
- Blicke als bewährter Treue Lohn.
- Denn was kann der Mann bei allen Gaben
- Dieser Welt von Herzen lieber haben,
- Als der Auserwählten Wonneblick,
- Der ihm sagt: Du bist mein volles Glück?!
- Dieses Glück mag Gott im Erdenleben
- Beiden Euch bis an das Ende geben!
- Und vereint setzt es im Himmel dort
- Dann durch alle Ewigkeiten fort!
- Amen.
Eine ganze Reihe sinniger Gedichte Chr. Spamer's liegen aus jener Zeit vor, in denen sich seine heitere Lebensauffassung, die Zufriedenheit und der Humor seines Gemüts aussprechen, köstliche Gaben, die sich gründen auf sein festes und dankbares Vertrauen auf Gottes Liebe und gütige Führung. Zu seinem Geburtstage 1870 schrieb er folgende frohgelaunte Verse nieder:
- Glücklich sollt' ich werden, wie ich glaube,
- Da ich hatte eine Westerhaube
- Bei dem ersten Eintritt in das Leben,
- Die mir dafür Bürgschaft sollte geben.
- Heute zähle ich schon siebenundsechzig;
- Deshalb, meine Freunde, aber ächz' ich
- Nicht, wie viele von so alten Leuten,
- Die erstorben sind für alle Freuden!
- Nein, mit frohem Dank schau' ich zurücke
- Nach dem unaussprechlich großen Glücke,
- Das in diesem ziemlich langen Leben
- Mir der Herr des Lebens hat gegeben.
- Ehe noch ich konnte an ihn denken,
- War so gütig er, mich zu beschenken
- Mit den besten Eltern, deren Trachten
- Immer war, daß sie mich glücklich machten. (61 ≡)
- Längst schon ruhen sie im süßen Frieden,
- Und ich konnte ihnen nicht vergüten
- Ihre unaufhörlich treue Liebe,
- Die mir bis an ihren Tod verbliebe.
- Läßt sich solche Liebe je vergelten,
- Will ich's gerne thun in jenen Welten,
- Wo sie hin mir sind vorangegangen,
- Um den Lohn schon früher zu empfangen.
- Da sie längst zum Himmel sind erhoben,
- Will ihr Sohn auf Erden sie nicht loben;
- Dennoch glaubt er, daß sich über Beide
- Auch ihr Vater in dem Himmel freute.
- Als ihr zweiter, lieber Ehesprosse
- Ich von Kindesbeinen an genosse
- Ungehindert und in vollen Zügen
- Jedes ländlich-kindliche Vergnügen.
- Was das Vaterhaus mir all gewährte,
- Fühlte erst ich, als ich es entbehrte,
- Als elfjährig Abschied ich genommen,
- Und heraus nach Breungeshain gekommen.
- Da begann mein zweites Herzensleiden;
- Denn das erste fiel in jene Zeiten,
- Als die Drobenmutter von mir schiede,
- Und ich in Verzweiflung fast geriethe.
- Jetzo aber, trotz der Heimath Nähe,
- Ueberfiel nach ihr mich solches Wehe,
- Daß ich dachte, fern von meinen Alten
- Wär's in Breungeshain nicht auszuhalten.
- Doch allmählig konnt' ich mich gewöhnen,
- Als verschwunden war das bange Sehnen,
- Und wie ehemals in Burkhards heiter
- Scherzte nun in Breungeshain ich weiter.
- Außer meinen lieben Mitscholaren
- Noch zwei Mädchen es hauptsächlich waren,
- Die mir durch ihr kindlich-frommes Lieben
- Da die Zeit so angenehm vertrieben.
- Doch das schönste Röschen blieb mein Bäschen,
- Das ich hatte und behielt im Näschen.
- Von demselben will ich jetzo schweigen,
- Und auf meine erste Rose zeigen.
- Auch in meinen drei Studentenjahren
- Habe süße Freuden ich erfahren
- Und in den drei folgenden auch thaten
- Sie noch wohl dem jungen Candidaten.
- Meine Herzensangelegenheiten
- Aus den freien Candidatenzeiten,
- Die das Blut mir oft in Wallung trieben,
- Habe anderwärts ich schon beschrieben.
- Soviel will ich nur davon erzählen,
- Daß ich doch nicht überall konnt wählen,
- Und da doch ich überall willkommen,
- Mir das Herz war öfters sehr beklommen.
- Deutlicher will ich nicht weiter malen,
- Auch nicht mit Eroberungen prahlen,
- Sondern nur den Hauptschluß daraus ziehen,
- Daß ein seltnes Glück mir war verliehen.
- Dieses Glück ist mir auch treu geblieben,
- Als ich ward nach Hermannstein beschrieben,
- Kaum elf Monde hatt' ich vicariret,
- Ward ich da als Pfarrer decretiret.
- Doch das Glück, das ich bis hierher priese,
- War der Vorhof nur zum Paradiese,
- Das in Hermannstein ich sollte schauen
- In den Augen der drei liebsten Frauen.
- Worin dieses Paradies bestanden,
- Schon die Leser meiner „Rosen“ fanden,
- Und ich schaue stets nach ihm zurücke,
- Als dem allerhöchsten Menschenglücke.
- Als dem Glücke, das noch fort bestehet
- Und in keiner Ewigkeit vergehet,
- Das ich selbst, so oft ich daran denke,
- Mir auf’s Neue immer wieder schenke.
- Kann in diesen oder spätern Tagen
- Ueber Mangel ich an Glücke klagen,
- Da ich stets des Glückes beste Gabe
- Durch Erinnerung und Hoffnung habe? (63 ≡)
- Und die Freude noch an meinen Kindern,
- Sollte diese wohl mein Glück vermindern?
- Oder wenn die Enkel mit mir lachen,
- Sollte das mich etwa mürrisch machen?
- Oder wenn ich sehe treue Freunde,
- Die der Herzenszug mit mir vereinte,
- Oder auch auf meine ganze Lage;
- Habe dann ich Ursach' wohl zur Klage?
- Oder weil ich diesem Freudenleben
- Muß wahrscheinlich bald den Abschied geben;
- Sollte der Gedanke mich betrüben?
- Schau' ich nicht ein seligeres drüben?
- Muß nicht immer Eines nach dem Andern
- Meiner Liebsten nach der Heimath wandern?
- Dürfte ich auch ewig hier verweilen;
- Würde ich nicht doch zu ihnen eilen?
- Darum muß man nicht von mir verlangen,
- Daß ich heut den Kopf soll lassen hangen;
- Nein, ich hebe lieber ihn nach oben,
- Wo wir Alle einst den Vater loben.
- Deshalb mag mir Jedes gratuliren,
- Und, wie ich, ein fröhlich Leben führen;
- Und, daß es ihm möge auch gelingen,
- Darauf laßt die Gläser hell erklingen!
Am 7. Juni 1870 versammelte Chr. Spamer seine Kinder, nahen Verwandten und Freunde im Schützengarten zu Wetzlar zum Hochzeitsfeste seiner Tochter Anna mit Stabsarzt Dr. Emil Groos. Unter den Fröhlichen einer der Fröhlichsten mischte der Hochzeitsvater sich, mit seinem Enkeltöchterchen Herminchen auf dem Arme, unter die tanzenden Paare, und gerne durfte jeder Teilnehmer des schönen Festes gedenken.
Auch zu Anfang des folgenden Monats erschallten Festklänge am gleichen Orte, denen Chr. Spamer zuhörte. Es wurde, wie überall in preußischen Landen, der Jahrestag der siegreichen Schlacht von Königgrätz gefeiert. Aber wenige Tage später schon klopfte der neue, schwerere Krieg an die deutschen Türen und scheuchte auch das junge Wunstorfer Ehepärchen aus seinem kaum begonnenen Zusammensein auf. Am 16. Juli erhielt Emil den Befehl, sich am 23. als stellvertretender Regimentsarzt bei den schwarzen Husaren in Braunschweig einzustellen, und Anna besuchte, nach ihres Mannes Abmarsch aus Braunschweig und Aufgabe des eigenen Haushaltes, zunächst ihre Geschwister in Ilsede. Hier traf später auch der Vater von Wetzlar ein, mußte aber, der durch die Kriegstransporte gestörten Personenbeförderung wegen, die Reise über Köln ausführen. Zuvor war er, anfangs wegen Kellner's Abwesenheit, welcher eine Kur in Karlsbad gebrauchte, und danach wegen der schweren, leider mit dem Tode endigenden Erkrankung seines Enkelchens Emil, noch einige Zeit bei Minchen geblieben. Am 27. Juli hatte der Vater den Tod des lieben Kleinen seinem Sohne Hermann mitgeteilt, mit den Schlußzeilen:
„Wir unterwerfen uns auch seinem (des Todes) Erscheinen in unserer Mitte mit dem Troste, daß der, der ihn sandte, es wohl mit uns macht in diesem und jenem Leben. Diesen festen Glauben und Trost wünscht auch Euch in diesem und jedem ähnlichen zukünftigen Falle Dein Vater.“ Und dieses Trostes sollten seine Ilseder Kinder leider auch bald bedürftig werden, denn schon am 3. Oktober hatten sie, mit dem anwesenden Großvater, den Verlust ihres ersten, nur 13 Tage alten Söhnchens zu betrauern.
Am 3. November mit Anna nach Wetzlar zurückgekehrt, machte Chr. Spamer am 5. die Ilseder brieflich mit den neuesten Erlebnissen aus Wetzlar bekannt. Seine Mitteilungen schlossen mit folgenden Zeilen: „In diesem Augenblick wurde Anna die Koblenzer Zeitung vom heutigen Tage, und zwar von Koblenz aus, übersandt, in welcher folgender Artikel zu lesen ist: „Wetzlar, 4. Nov. Mit dem Eisernen Kreuze wurde ebenfalls dekorirt der früher in unserer Stadt als Arzt thätige und beliebte Dr. E. Groos, jetzt stellvertretender Regimentsarzt im Braunschweigischen Husarenregiment Nr. 17. Mit eigener Lebensgefahr zeichnete er sich in verschiedenen Schlachten durch Eifer und Sorgfalt für die Verwundeten aus.“ Um Euch diese Neuigkeit sobald als möglich zukommen zu lassen, will ich mein Schreiben schließen mit dem herzlichsten Dank für Alles, seit langer Zeit bei und von Euch empfangene und genossene Liebe und Gute, mit den herzlichsten Grüßen von Louis und der gesammten Kellnerei, mit väterlichem Kusse an Dich und Hermine, und mit großväterlichem Kusse an meinen Schatz, Herminchen Spamer, der aber von den lieben Aeltern in meinem Auftrage und Namen alle Tage wenigstens Einmal zu wiederholen und zu appliciren ist, damit die kleine Herzensmaus ihren Opapa nicht vergessen möge, sondern täglich von Neuem an ihn erinnert werde, bis dieses äußere Erinnerungszeichen nicht mehr nöthig ist.“
An dem ganzen Verlaufe des deutsch-französischen Krieges nahm Chr. Spamer, wie aus seinen Briefen jener Zeit hervorgeht, warmen patriotischen Anteil. Seine Freude an der gewonnenen Einheit des deutschen Vaterlandes spricht er z. B. in einigen Versen aus, welche in dem 1871er Geburtstagsgedicht an seine Tochter Hermine enthalten sind:
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- Baiern, Badener und Schwaben,
- Alle einen Kaiser haben!
- Lange, lange lebe noch
- Unser deutscher Kaiser hoch!
Und am 7. März jenes Jahres schreibt er nach Ilsede: „Ich hätte Euere lieben Briefe vom 19. Februar gewiß früher beantwortet, wenn sich nicht in der letzten Zeit bei uns Fest an Fest gedrängt und eine so große und allgemeine Aufregung der Gemüther durch nationale Interessen kund gethan hätte, bei welcher eine ruhige Berücksichtigung der Privat- und Familienangelegenheiten nothwendig momentan in den Hintergrund treten mußte. Wer hätte seine Gedanken zum Briefschreiben sammeln und ordnen können, während die Pistolen, Flinten und Böller durch alle Straßen donnerten und alle Fenster erzitterten? während die patriotischen Toaste auf dem Buttermarkt und im Herzoglichen Hause erschollen? die Züge mit Fackeln, bunten Laternen und Musik durch die Stadt auf- und ausgeführt wurden? alle Häuser mit Sieges- und Friedensfahnen geschmückt, alle Fenster zur Verherrlichung der Großthaten illuminirt und alle
Stadtbewohner, ihre Vaterlandsliebe und Vaterlandsfreude mit möglichstem Effect, Jubel und Pomp zu zeigen, innerlich und äußerlich animirt werden mußten?“
Den Monat August 1871 verbrachte Chr. Spamer bei seinen Kindern Groos in Wunstorf und beschrieb in Prosa und Versen die vergnügten Ausflüge, welche er mit denselben nach dem Steinhuder Meer und dem Badeort Eilsen im Wesergebirge ausgeführt hatte. — Nach Wetzlar zurückgekehrt, empfand er dann besondere Freude an seiner neu erschienenen Enkelin Lina Kellner; auch lobt er in seinem Briefe vom 3. November deren Geschwister Anna und Otto darob, daß sie sich selbst zum Lernen antrieben. Von letzterem, dem damals siebenjährigen, schreibt er: „Otto, das schmale, blasse Kerlchen, spricht gerne von „durchhauen, durchwamsen“ und bildet sich nicht wenig darauf ein, daß er secundus in seiner Ordnung ist; übrigens ist er ein gutes Jüngelchen.“
Am 7. Dezember des in Rede stehenden Jahres sandte Chr. Spamer seinen Wunstorfer und Ilseder Kindern den Vertrag zu, welchen sein Sohn Ludwig mit dem Ökonom Ernst Heller, Pächter des Kinzigheimer Hofes bei Hanau, abgeschlossen hatte. Dieser Vertrag setzte die Übergabe-Bedingungen der Pachtung genannten Domänen-Vorwerks an Ludwig Spamer fest und bestimmte als Termin dieser Übergabe den 23. Januar 1872.
Der Umstand nun, daß der Vater seinem Sohne Ludwig zur Übernahme genannter Pachtung eine größere Geldsumme übergeben mußte, und mehr noch sein Wunsch, von einer tatsächlichen Steuerüberbürdung befreit zu werden, veranlaßten ihn zu jener Zeit, eine Vermögens-Abtretung an seine Kinder vorzunehmen. Er verband hiermit eine Gleichstellung derselben, und ging mit der Vermögensabgabe so weit, daß seine fernere jährliche Gehalts- und Zinseneinnahme den damals zur Heranziehung zur sogenannten klassifizierten Einkommensteuer erforderlichen Betrag von tausend Thalern nicht erreichte. Nach seinen Aufzeichnungen hatten bis dahin für Ausbildung und Aussteuer empfangen: Hermann fl. 10 572; Minchen fl. 6 712; Ludwig (abgesehen von fl. 26 240. — Pachtübernahmegeldern) fl. 7 044; und Anna fl. 7 541. — Zur Gleichstellung mit ihrem Bruder Hermann hatten sonach zunächst zu erhalten: Minchen fl. 3 860; Ludwig fl. 3 520 und Anna fl. 3 030. — Zusammen: fl. 10 418. — Zur Verteilung im Ganzen sollten gelangen:
an Wertpapieren, zum Tageskurs berechnet: fl. 20.801.— eine Buchforderung an J. Kellner, Wetzlar fl. 7.583.— obige Forderung an Ludwig fl. 26.240.— zusammen fl. 54.624.— Hiervon obige Ausgleichssumme von fl. 10.418.— in Abzug gebracht, blieben übrig fl. 44.206.— oder pro Vierteil: fl. 11.051½.—
- Hiernach erhielten insgesamt bei dieser Abtretung:
Hermann fl. 11.051.30 kr. Minchen fl. 11.051.30 kr. und fl. 3860 = fl. 14.911.30 kr. Ludwig fl. 11.051.30 kr. und fl. 3528 = fl. 14.579.30 kr. Anna fl. 11.051.30 kr. und fl. 3030 = fl. 14.081.30 kr.
Da die Auszahlung an Ludwig dessen Anteil um (26.240—14 579.30) fl. 11 660.30 kr. überstieg, wurde er zu je einem Drittel dieser Summe Schuldner seiner drei Geschwister. Bemerkt mag hierzu noch werden, daß der Vater am 1. Juli 1872 fernere 5000.— Taler nominal Rumänische Eisenbahnaktien zur gleichmäßigen Verteilung brachte, welche vorher zinslos gewesen
waren und nun wieder einen Kurswert von 48½% erlangt hatten. — Im Laufe des Jahres 1872 besuchte Chr. Spamer seine außerhalb Wetzlars wohnenden Kinder nach der Reihe und zwar zuerst den neuetablirten Landpfleger Ludwig auf dem Kinzigheimer Hofe. Im Monat Mai dort eingekehrt, verblieb er bis über das Pfingstfest. Am 17. Mai schrieb er von dem Hofe nach Ilsede: „Mir gefällt es hier so gut, daß ich es bis an das Ende meiner Tage nicht besser verlange.“ Nur wünschte er seinem nunmehr bestallten Sohne, dessen Umsicht und rastlosen Fleiß er lobte, nun auch bald eine liebe Hausfrau, und lautete es in den letzten Zeilen jenes Briefes: „Ich weiß selbst noch nicht, wie lange ich hier noch bleibe; es geht schnell ein Tag wie der andere herum, und geht mir keiner verloren, bei welchen von meinen Kindern ich ihn auch verleben mag. So lange aber L. das beste Theil noch nicht erwählet und im Hause hat, meine ich, wäre es meine Schuldigkeit, ihm die Fehlende durch meine Gesellschaft wenigstens einigermaßen zu ersetzen. Möchte er diesen ungenügenden Ersatz bald nicht mehr nöthig haben.“
Während seines damaligen Aufenthaltes in Kinzigheim schrieb er auch folgendes schöne Erinnerungsgedicht an seine dritte Frau nieder:
- Vor meines Carolinchens Bilde
- am 31. Mai 1872.
- Vergeht mir auch kein Tag, an dem ich Dein nicht dächte;
- Der Dein geliebtes Bild mir nicht vor Augen brächte;
- So ist alljährlich doch der allerletzte Mai
- Der Tag, an dem ich mehr, als sonst, mich seiner freu'!
- Ja, theures Linchen, heut an Deinem Wiegenfeste
- Seh ich Dich selbst in ihm, Du dritte Allerbeste;
- Wie ich Dich ehemals als heißgeliebte Braut
- Vor 34 Jahr' in Wirklichkeit geschaut!
- Die goldne Kette da, mit der ich Dich gebunden,
- Hielt ebenso wie hier Dich damals schon umwunden!
- Den gold'nen Ring, den Dir an Finger ich gesteckt,
- Man hier zwar mit der Hand im Bilde nicht entdeckt.
- Das breite Rosaband hatt'st selber ungezwungen,
- So wie im Bilde hier, Du um den Hals geschlungen!
- Gewiß auch hattest Du nicht ohne Vorbedacht
- Dir eine Schlinge aus dem Rosaband gemacht!
- Damit dies zarte Band, das Zeichen treuer Liebe,
- Ganz unauflöslich sei und fest geheftet bliebe,
- Gab diese Nadel ihm von Silber sichern Halt,
- Und Steine blitzten drin von Diamantsgestalt!
- Dies schwarze seidne Kleid mit zierlich weißem Kragen,
- So wie es ziemte Dir, der Pfarrersbraut, zu tragen,
- Umschloß der Jungfrau Leib, den es wie hier im Bild
- So züchtig immer hat bis an den Hals verhüllt! (67 ≡)
- Dies lange schwarze Haar, in einen Zopf gewunden,
- Die Locken hinterm Ohr, die Dir so reizend stunden,
- Und zwischen diesem Haar der Wangen frisches Roth;
- Dies Alles, Dich zu sehn, mir jederzeit gebot!
- Doch lag der höchste Reiz für mich in diesen Augen,
- In die mit Wonne ich die Blicke durfte tauchen!
- Aus ihnen strahlte mich ein Herz voll Liebe an,
- Das ich verehren stets, doch nie beschreiben kann!
- So sah'st Du damals aus, vor vierunddreißig Jahren!
- Ach, und nur elfe wir zusammen glücklich waren!
- Doch lieber wurdest Du mir stets in dieser Zeit,
- Und bleibest mir es auch in alle Ewigkeit!
Noch vom Kinzigheimer Hofe aus wünschte Chr. Spamer seinen Kindern in Wunstorf und Ilsede Glück zu der am 12. und 14. Juni erfolgten Ankunft je eines Enkelchens, und am 18. Juli vertrat er in Ilsede Patenstelle, für seinen Sohn Ludwig, bei der Taufe der kleinen Anna Spamer. Folgenden Monats setzte er seine Reise fort nach Wunstorf zu seinen Kindern Groos und beschreibt in einem Briefe vom 3. September die dort ausgeführten Ausflüge nach Hagenburg, wie nach den Bädern Rehburg und Nenndorf. Leider grassierte zu jener Zeit in Wunstorf die Ruhr und wurde auch, nach einem bei kühlem Wetter im Freien getrunkenen Glase Bier, der 69jährige Vater von dieser gefährlichen Krankheit ergriffen. Erst nach längerem Krankenlager siegte, unter treuer Sorge und Pflege, seine gute Natur, unterstützt, wie er selbst sagte, durch die kräftigende Wirkung des von Emil ihm verordneten Ruster Weines. Den weißen Vollbart, welcher ihm während dieser Krankheitsdauer gewachsen war, trug er bis an sein Lebensende weiter. Am 21. Oktober war sein Befinden wieder der Art, daß sein Sohn Julius Kellner ihn von Hannover, wo am Tage vorher seine Wunstorfer und Ilseder Kinder nochmal um ihn versammelt waren, nach Wetzlar zurückholen konnte. — Bald darauf vermochte er beim Treppensteigen wieder, wie vordem, zwei Stufen auf einmal vorzunehmen. — Am 29. Dezember jenes Jahres teilte er in seinem Neujahrsbriefe nach Ilsede mit, daß, nach Anna's Brief, die Familie Groos sich in Northeim, wohin Emil inzwischen versetzt worden war, wohl fühle, und ferner, daß er, zu seiner Befriedigung, auf seine Steuerreklamation hin, von der Bezirkskommission in Koblenz aus der 5. in die 1. Stufe der klassifizierten Einkomensteuer zurückversetzt worden sei.
Die zufriedene, frohe Gemütsstimmung Chr. Spamer's spricht sich, wie in früheren Gedichten, auch wieder aufs neue in einer schönen, längeren, poetischen Niederschrift aus, mit welcher der Siebzigjährige zum 2. Februar 1873 seine Kinder beschenkte. Er lenkt darin, von der erreichten Lebenshöhe aus, den Blick gerne hin auf die lange Reihe seiner vergangenen Jahre, gedenkt Gottes gütiger Führung und gedenkt der guten und treuen Seelen, in deren Verbindung er das Glück seines Lebens gefunden habe: seiner Eltern, Frauen, Kinder, wie auch derer, die ihm sonst in Freud und Leid zur Seite gestanden haben, und spricht sein Vertrauen aus auf ein Wiederfinden derselben jenseits des Grabes. Dabei tritt er den materialistischen, Gott, Seele und Unsterblichkeit leugnenden Anschauungen, welche in den Schriften von Strauß sich damals hören ließen, ausführlich entgegen und bekennt sich als überzeugter Anhänger der Lehre Christi in ihrer von fremden Zutaten reinen Gestalt. Er sagt von ihr:
- Die Wahrheit seines Worts bezeugt
- Vernunft mir und Gewissen,
- Und wer's zu halten ist geneigt
- Und jederzeit beflissen,
- Der hat auch in sich den Beweis,
- Daß es ist göttliches Geheiß,
- Weil es ihn bessre, tröste
- Und von den Sünden löste.
Die beiden letzten der 61 Verse des Gedichts lauten:
- Daß Gott vor siebzig Jahren schon
- Mich wunderbar bereitet
- Und auch als einen lieben Sohn
- Bis heute hat geleitet,
- Das dank' ich ihm mit Herz und Mund,
- Und habe deshalb guten Grund,
- Ihm ferner zu vertrauen
- vom Glauben bis zum Schauen.
- Nachdem ich nun mich ausgeruht
- Auf meiner Lebenshöhe,
- Ergreif ich wieder Stock und Hut,
- Damit ich weiter gehe;
- Ich gehe nun den Berg hinab,
- Bis daß ich komme an das Grab,
- Und auf der andern Seite
- Erwart' ich Euch mit Freude.
Auch ein humoristisches Gedicht stammt aus dem Januar 1873. Es ist überschrieben: „Die Himmelfahrt des Goethehutes“ und beschreibt in launigem Tone, wie zwei vergnügte Trinkgenossen in spätnächtlicher Stunde der in Wetzlar vor dem Dome stehenden barhäuptigen Goethebüste einen alten Hut aufgesetzt hatten, wie der Wächter des Gesetzes diesen Hut entdeckte und an der Hand des corpus delicti die Täter ermitteln wollte, ein heftiger Windstoß aber ihm den Hut entriß und über alle Dächer entführte.
Im Februar jenes Jahres bereitete leider eine schwere Erkrankung Minchens, eine Folge ihrer Entbindung von einem Knäbchen, dem liebevollen Vater große Sorge; doch konnte er glücklicherweise schon nach sieben Tagen die Freudenbotschaft der Genesung seinen übrigen Kindern kund tun.
Im folgenden Mai bis zum 5. Juni besuchte Chr. Spamer seinen Sohn auf dem Kinzigheimer Hofe und verweilte vom 28. Juni bis Anfang August bei seinen Kindern in Groß-Ilsede und Northeim. Von letzterer Stelle aus unternahm er, teils mit Emil und Anna, teils mit Emil allein, Ausflüge in die Umgegend, namentlich nach den Burgruinen Hardenberg und Scharzfels. — In seinem Weihnachtsbriefe vom 19. Dezember an Hermann schreibt er bezüglich seiner Weihnachtsgabe:
„Als Freund der Bequemlichkeit, der nicht gerne Schachteln packt und die Post mit denselben belästigt, suche ich mir auch dieses Geschäft möglichst leicht zu machen, und händigte deshalb gestern Kellner Dein Christkindchen ein, bei welchem Du dasselbe jeden Tag haben und
heben kannst, sowie auch die früheren 500 Gulden, welche ich ihm am 20. November zur Gutschrift für Dich völlig ausbezahlt habe. Dein Christkindchen besteht aber, wie jedes von den dreien für Deine Geschwister, in 100 Gulden, so daß Du nun bei Kellner über 600 fl. zu verfügen hast.“
Außer den bereits von ihm abgetretenen und den seinen Rückbehalt bildenden Wertpapieren, besaß Chr. Spamer noch Papiere, von welchen keine Zinsen gezahlt, jedoch Kapitalrückzahlungen geleistet wurden. Diese Beträge pflegte er mit seinen Ersparnissen, meist gelegentlich des Weihnachtsfestes, seinen Kindern geschenkweise zu übergeben.
Vom Jahre 1874 ab empfingen Julius und Minchen Kellner zu Anfang Februar jeden Jahres, in liebenswürdiger, gastlicher Weise, ihre auswärtigen Geschwister, — soweit diesen ihre häuslichen und dienstlichen Pflichten die Reise erlaubten, — zur Feier des väterlichen Geburtstages und mehrtägigem frohem Zusammensein. An dem Geburtstage selbst, dem 2. Februar, stellten sich in der Regel noch Verwandte aus den Familien Emmelius und Steinberger zur Festfeier ein, und verlief diese stets vergnügt, meist mit Klavierspiel und Gesang. Die Kinder des Jubilars blieben, wie gesagt, mehrere Tage im Hause Kellner um denselben versammelt, freuten sich seines heiteren, liebevollen Sinnes und schieden mit dem ausgesprochenen Wunsche, ihn im Laufe des Jahres im eigenen Heim empfangen zu können. — Dieser Wunsch wurde ihnen, wie in den Vorjahren, so auch wieder im Jahre 1874 erfüllt. Vom 12. Mai ab besuchte der Vater seinen Kinzigheimer Sohn. Am Himmelsfahrtstage fuhr er mit demselben nach Aschaffenburg zur Besichtigung vornehmlich des Schlosses und Pompejaneums, und später, nachdem Ludwig eine mit heftigem Kopfweh verbundene Erkältung glücklich überwunden hatte, zu Wagen nach dem idyllisch gelegenen Wilhelmsbad. Am 28. Mai gedachte er in einem Briefe von Kinzigheim wieder des nahen Geburtstages seiner dritten Frau, und schrieb an seinen Sohn in Ilsede: „Wenn Deine liebe Mutter am 31. c. noch lebte, so wäre sie 59 Jahre alt; aber sie ist schon seit beinahe 25 Jahren in die überirdische Heimath eingegangen; doch werde ich am letzten Mai wenigstens ihr theueres Bild mit frischen Vergißmeinnicht bekränzen. O, wie schön, wie tröstlich und beseligend ist es, daß wahre Liebe zu den Guten nimmer stirbt! Wenn mir eine von meinen Frauen, es sei, welche es wolle, im Traume erscheint, so sehe und höre ich sie immer gerade so wie ehemals mit mir lachen und verkehren, und so behalte ich sie im Geiste immer und verliere ihre Liebe nimmer. Sollte dieß, wann die Seele ihre irdische Hülle verläßt, anders werden können? Sind wohl die Hoffnungslosen zu beneiden? Gewährt die Hoffnung nicht sehr oft ein weit größeres Glück, als die Wirklichkeit selbst? Darum laßt uns festhalten an der Hoffnung eines ewigen Lebens!“
Nachdem er dann im Monat Juli auf der Ilseder Hütte, wo am 9. März sein Enkelchen Karl eingetroffen war, einen lieben Besuch abgestattet hatte, reiste er am 2. August von dort nach Northeim zu seinen Kindern Emil und Anna. Die Gesundheit der letzteren ließ damals, durch Blutarmut und anstrengende Pflege ihres Hermännchens veranlaßt, sehr zu wünschen übrig. Eine Ausspannung und Kräftigung in frischer Waldluft war für sie sehr wünschenswert, und so entschloß sich der Vater, seine liebe Tochter nach Lauterberg in die Sommerfrische zu begleiten. Am 6. August von Emil in genanntem Kurort gut untergebracht und von demselben öfter besucht, verlebten die beiden in dem von Wald und Bergen umgebenen Harzstädtchen drei ebenso angenehme, wie für Annas Befinden wohltuende Wochen. — Am 31. August langte der Vater glücklich wieder in Wetzlar an. — Von dort sandte er im September von seiner reichen, vom Hermannsteiner Pfarrgut erhaltenen, Äpfelernte je vier Körbe voll nach Ilsede und Northeim, und schrieb dabei: „Da ich nun Aepfel und keine Zähne habe, Ihr aber Zähne und keine Aepfel habt, so übersende ich Euch das genannte Quantum mit dem Wunsche, daß Ihr es unbeschädigt erhalten,
gesund verzehen und dabei in Liebe denken möget an den emeritirten Pfarrer von Hermannstein Christian Spamer.“ — Im selbigen Herbste hatte er auch eine Wiederverpachtung des Pfarrgutes vorzunehmen. — Folgenden Jahres, 1875, nahm Karl Spamer von Altenschlirf an dem Geburtstagsfeste seines älteren Bruders Christian in Wetzlar teil. — Anfang Juni finden wir letzteren mit seiner Tochter Anna und deren beiden Söhnchen, Wilhelm und Hermann, auf dem Kinzigheimer Hofe zu Besuch. Auch Emil, welcher zur Zeit eine Kur in Wiesbaden gebrauchte, erschien dort, und führten der Vater und das Groos'sche Ehepaar einen Ausflug nach Frankfurt aus, wo sie sich photographiren ließen und danach mit der befreundeten Frau Landrichter Eckstorm und deren Tochter im Palmengarten zusammentrafen. Von der damaligen in kleinem Format ausgeführten und wohlgetroffenen Aufnahme wurden später die großen Photographieen Chr. Spamers, welche denselben im Vollbarte darstellen, durch Vergrößerung erhalten. Am 28. Juni nahm der Besuch wieder Abschied vom Kinzigheimer Landpfleger und kehrte in Wetzlar ein, wo die Familie Groos noch bis zum 12. Juli, dem Tage ihrer Heimreise nach Northeim, verblieb. — Im September erfreute der Vater seine Ilseder Kinder mit seinem zugesagten Erscheinen und brachte die beiden Wetzlarer Enkel, Anna und Otto, als Ferienkinder mit. — Nicht lange zuvor hatte die Einweihung des Hermanndenkmals auf der Grotenburg im Teutoburger Walde stattgefunden, und wurde nun von Vater und Sohn Hermann der bereits geplante Besuch desselben zur Ausführung gebracht. Der erste Tag führte die beiden mit der Eisenbahn über Hannover nach Schieder und von dort mit der Post nach Detmold, wo Nachtquartier genommen wurde. Anderen Morgens früh erstiegen sie die Grotenburg, welche ihren Gipfel etwa 375 Meter über das Meer erhebt, und das auf demselben errichtete 26 Meter hohe Sandsteinpostament, von welchem aus der mächtige, von Bandel in Kupfer getriebene Hermann mit gen Himmel erhobenem Schwerte hinaus schaut in das waldige Bergland, und seine Landsleute aufzurufen scheint zur Vernichtung der eingedrungenen Feinde. — Von der Höhe leitete der nach Schieder zurückführende Weg hinab, zunächst nach den Externsteinen, einer steil aufgerichteten, malerischen Felsengruppe, in deren Nähe ein gutes Hotel den Wanderern Mittagsrast, Speise und Trank darbot. Wie die bisherige, so legte der Zweiundsiebzigjährige auch die bis zur Eisenbahnstation noch verbleibende Wegestrecke — im ganzen etwa 20 Kilometer — rüstigen Fußes und ohne Beschwerden zurück. Sonnenschein erhöhte den Reiz der schönen, waldreichen Gegend. — In Hannover wurden die Ausflügler von Frau Hermine und ihrem Neffen Otto in Empfang genommen und noch selbigen Abends nach Ilsede zurück begleitet. — Im späteren Verlaufe des Jahres 1875 übergab der Vater seinen Kindern je dreizehnhundert Mark aus bereits in obigem bezeichneten, besonderen Einnahmen. — Am 23. Dezember wurde Chr. Spamer durch die Geburt eines Enkelsöhnchens in Northeim erfreut und, wie auch seine Kinder in Wetzlar, Kinzigheim und Groß-Ilsede, von den Eltern Groos eingeladen, den 1876er väterlichen Geburts- und Familientag mit der Taufe ihres Neuerschienenen in Northeim zusammen zu feiern. Die freundliche Einladung ward allerseits gern angenommen, leider aber der kleine Knabe schon am 28. Januar seinen Eltern wieder genommen. So mußte dieses schön geplante Zusammensein unterbleiben, wie auch die Feier des 2. Februar in Wetzlar hierdurch Einbuße erlitt. Außer den Hannoverschen Kindern nahm auch die Familie Emmelius, und zwar leider wegen Erkrankung beider Eltern, besonders des Vaters, vom Erscheinen am Geburtstage Abstand. Um so mehr schriftliche Glückwünsche liefen bei dem Geburtstäger ein, und verbrachte er sein Wiegenfest im lieben Kreise des Kellner'schen Hauses, zu welchem sich noch sein Kinzigheimer Sohn gesellt hatte, in vergnügter Weise. Der Monat Februar gab ihm auch Veranlassung, der Geburtstage anderer in freundlichen Versen zu gedenken. So schrieb er seiner Tochter Hermine zum 15. Februar 1876 das Folgende:
- Meine liebe, gute Tochter!
- Wie das Bächlein über Kiesel rinnet
- Sanft und munter, ungetrübt und klar,
- Fließe Dir das Leben, das beginnet
- Mit dem heute angetretnen Jahr!
- Wie das Fischlein im gewohnten Bache
- Sich der Frische und Gesundheit freut,
- Fühle Du Dich unter Deinem Dache
- Recht behaglich wohl zu jeder Zeit!
- Wie das Vöglein unter grünen Zweigen
- Seinem Schöpfer Dankeslieder singt,
- Mag Dein Mund durch Freudentöne zeigen,
- Daß Dein Herz dieselben Opfer bringt!
- Wie das Kindlein seiner Mutter trauet,
- Und zu ihr sich flüchtet in der Noth,
- Traue Dem, der liebend auf Dich schauet,
- Und Dich führet über Welt und Tod!
- Wie das Bienlein nicht des Dankes wegen
- Fleißig ist für seinen ganzen Schwarm,
- Bist Du's für Dein ganzes Haus; dagegen
- Sei sein Dank dafür doch immer warm!
- Wie das Bienlein, Süßigkeit zu saugen,
- Gerne auf bekannten Blumen weilt,
- Labe ich mich gern an treuen Augen,
- Welche Freud und Leid mit mir getheilt!
- Wenn ich nur in Deine Augen blicke,
- Und Du schauest mir in's Angesicht,
- Sehen beide wir zu unserm Glücke:
- Uns're alte Liebe rostet nicht!
- Ist denn uns're Liebe alt zu nennen?
- O gewiß, sie könnt' nicht älter sein!
- Denn im Nu, als wir uns lernten kennen,
- Zog sie schon in uns're Herzen ein!
- Heute vor elf Jahren hatten beide
- Wir sie auch schon schriftlich uns erklärt,
- Und sie ward seitdem von keiner Seite
- Auch nur einen Augenblick gestört!
- Nein, sie wuchs seit ihrer ersten Stunde,
- Da sie täglich neue Nahrung fand,
- Auf der vollen Achtung warmem Grunde,
- Wo sie vor Erkältung sicher stand! (72 ≡)
- Und so lange uns're Herzen schlagen,
- Bleibt sie auch gewiß darin zu Haus;
- Niemals wird ein Feind sie draus verjagen,
- Und von selber zieht sie auch nicht aus!
- Aber Einmal muß sie doch im Jahre
- Oeffnen ihren sonst verschwiegnen Mund,
- Daß sie wenigstens im Februare
- Die Geburtstagswünsche thue kund!
- Da der Tag nun wiederum erschiene,
- Der vor zweiunddreißig Jahren Dich
- Hat an's Licht gebracht für uns, Hermine!
- Siehe, darum gratuliere ich
- Dir und mir und Allen, die verbunden
- Sind mit uns durch treuer Liebe Band!
- Und ist meine Zeit dahin geschwunden,
- Drücke ich im Himmel Dir die Hand!
- Lebe wohl mit allen Deinen Lieben!
- Und wenn ich bis heute übers Jahr
- Unter den Lebendigen geblieben,
- Bringe ich Dir neue Wünsche dar!
- Dein treuer Vater Christian Spamer.“
Am 7. Mai 1876 mußte Chr. Spamer seinen guten Schwager Karl Emmelius in Gießen, der, erst im 58. Lebensjahre stehend, einem unheilbaren Magenleiden erlegen war, zu Grabe geleiten, nachdem er eine Woche zuvor Abschied für's Leben von ihm genommen hatte.
Die Besuche bei seinen Kindern begann er, der Regel folgend, bei seinem Kinzigheimer Sohn Ludwig, am 21. Mai. Wie er schreibt, gefiel es ihm dort wieder so wohl, als es bei einem Solitär möglich sei, und kehrte er am 18. Juni nach Wetzlar zurück. Am selben Tage war er noch mit Ludwig und Emil, welch letzterer sich in Wiesbaden zur Kur aufhielt, in Frankfurt zusammen gewesen und hatte mit denselben den zoologischen Garten, wie auch das zooplastische Kabinett mit großem Interesse besucht. — In Wetzlar traf am 1. Juli auch Tochter Anna mit ihren Knaben zu Besuch ein, ebenso später Emil von Wiesbaden; und reiste der Vater in deren Begleitung am 13. Juli nach Northeim, und folgenden Tags allein auf die Ilseder Hütte, um zunächst dort Rast zu machen. Diesen Besuch des lieben Vaters benutzten Hermann und Hermine zur Ausführung einer Vergnügungsreise mit demselben nach Hamburg und Kiel. Die ersten drei Reisetage wurden Hamburg gewidmet, das Alsterbassin mit Uhlenhorst, der Hafen, zoologische Garten besucht und eine Fahrt nach Blankenese unternommen. Der vierte Tag brachte die Reisenden in noch früher Zeit nach Kiel und dort, nach Durchwandern der Stadt, auf einem kleinen Dampfer nach dem am Ausgang der Bucht in die offene See gelegenen Laboe. Auf der Rückfahrt stiegen sie unterhalb Bellevue aus und kehrten, über diesen herrlichen Aussichtsort und auf dem schönen Wege durch Düsternbrook, zu Fuß nach der Stadt zurück. Nach guter Unterkunft im Hotel Germania schloß die vergnügt verlaufene Reise am fünften Tage mit der Rückreise zur Hütte. Bei seiner späteren Abreise von dort wurde der Vater von seinen
Ilsedern nach Hannover begleitet und in Northeim von Emil am Bahnhofe in Empfang genommen. Dort verweilte er bis zum 24. August, nahm, außer an kleineren Ausflügen mit den Seinigen, an einer Wagenfahrt in größerer Gesellschaft nach Mariaspring[7] teil und bestieg dort die oberhalb gelegene Ruine Plesse. Nach Wetzlar zurückgekehrt, brachte er am 28. August seinem ältesten Jugendfreunde, dem Gymnasialdirektor Dr. Geist in Gießen, zu dessen 50jährigen Doktorjubiläum, persönlich seinen Glückwunsch dar. Zugleich übergab er ihm ein Gratulationsgedicht, worüber dieser so froh und gerührt ward, daß er den alten Freund und Gratulanten ans Herz drückte und küßte. Am 25. November, dem hundertjährigen Geburtstage seiner Mutter, empfing Chr. Spamer zu seiner Freude den Besuch seines Bruders Karl, der mit ihm diesen Gedenktag feiern wollte, und auch von Ilsede traf die Depesche ein: „Froh gedenkt heutigen Säcularfestes Dein Hermann.“
Im folgenden Jahre 1877, zum 2. Februar, fanden sich Hermann, Ludwig und Anna wieder im Kreise der Familie Kellner ein und begingen in und mit derselben das Geburtstagsfest des lieben Vaters in mehrtägigem frohem Zusammensein. Im kommenden Monat Mai nahm letzterer diesmal Ilsede zu seinem ersten Reiseziel, und folgte ihm gegen Ende desselben Monats der Kinzigheimer Landpfleger dorthin nach. In jener, von landwirtschaftlichen Arbeiten freieren Zeit, beabsichtigte letzterer zugleich an einer Reise nach Berlin teilzunehmen, welche der Vater und seine Ilseder Kinder ins Auge gefaßt hatten. Nach dem Pfingstfest kam dieser Plan zur Ausführung. Im Hotel Kaiserhof fanden die vier Reisenden gute Wohnung und besuchten von hier aus die Sehenswürdigkeiten der Metropole und ihrer näheren Umgebung. Namentlich wurden in Berlin selbst die Kunstschätze der Museen, in Charlottenburg das Mausoleum besucht, im Schauspielhause: Minna von Barnhelm, im Opernhause: die Hugenotten, in Krolls Garten ein Lustspiel gesehen, und eine Rundfahrt nach Babelsberg, dem Pfingstberg, Marmorpalais, Sanssouci und Potsdam unternommen. Am fünften Tage, nach Besichtigung vieles Schönen, doch nun des Sehens müde, kehrten die Ausflügler über Magdeburg zur Ilseder Hütte zurück. Hier blieb Chr. Spamer noch bis zum 6. Juni und wurde an diesem Tage von seiner zu Besuch eingetroffenen Tochter Anna nach Northeim ins Groos'sche Heim begleitet und eingeführt. Dort langte am folgenden Tage die Ernennung Emils zum Oberstabsarzt und seine Versetzung nach Düsseldorf an, und wurde dieses Ereignis, mit dem auf denselben Tag fallenden siebenjährigen Hochzeitstag des Groos'schen Ehepaares, bei einer Bowle gefeiert. Infolge dieser Versetzung mußte indes der neue Oberstabsarzt nun ohne Zeitverlust seinen und seiner Familie Überzug nach Düsseldorf in die Wege leiten, und so setzte Chr. Spamer seine Reise schon am 9. Juni nach Wetzlar fort. — Am 22. Juli fuhr er, von seinem Sohne Julius Kellner nach Frankfurt begleitet und dort von Ludwig abgeholt, auf den Kinzigheimer Hof zur sommerlichen Visite und verlängerte diese gerne[8] bis zum letzten Sonntage des August. Dann kehrte er wieder nach Wetzlar heim. Nach längerem Verweilen dort unternahm er am 2. November mit Ludwig, der zu jener Frist seine Erntearbeiten erledigt hatte, eine Reise nach Düsseldorf, zum Besuche der Familie Groos. Die geräumige, bequeme Wohnung der letzteren, die schöne Stadt mit ihren reizenden Anlagen und Kunstgenüssen, besonders aber auch der Verkehr mit den liebenswürdigen Familien Martin, Soest und Meffert machten ihnen, unter der Fürsorge Emils und Annas, den Aufenthalt dort sehr angenehm. Sie verließen Düsseldorf und ihre lieben Wirte erst am 17. November wieder zur Rückkehr über Neuwied nach Wetzlar, bezw. Kinzigheim. Das folgende Weihnachtsfest, zu welchem auch Ludwig sich eingefunden hatte, verlief im Hause Kellner besonders vergnügt. Alle waren erfreut über die am 22. Dezember erfolgte Versetzung des ältesten Sohnes Julius in die erste Ordnung der Sekunda, und das ihm dabei erteilte gute Zeugnis, welches ihn für den einjährig-freiwilligen Militärdienst reif erklärte. Chr. Spamer schrieb hierüber und über die ihm
von seinen Kindern verehrten Weihnachtsgeschenke am letzten Sonntage des Jahres nach Ilsede. Den Schluß dieses Briefes bildet folgender freundlicher Vers:
- „Für die große Tabaksrolle
- Meinen Herzensdank ich zolle;
- Für die schönen 40 Nüsse
- Ich im Geist den Dichter küsse;
- Für das mancherlei Confect,
- Welches wie Ambrosia schmeckt,
- Für die ganze Weihnachtsspende
- Ich Euch hundert Thaler sende.
- Euer Vater und Großvater Christian Spamer.“
Am nächsten 2. Februar, im Jahre 1878, vollendete Chr. Spamer sein 75. Lebensjahr. Seine zu diesem Feste herbeigeeilten drei auswärtigen Kinder hatten wieder die Freude, ihn gesund und heiter anzutreffen. Sie verlebten in der Familie der heimischen Geschwister wiederum schöne Tage. — Seine Gegenbesuche begann der Vater am 30. Mai, - nachdem er noch vorher seine Kinder von neuem, mit je dreihundert Mark, beschenkt hatte, — und zwar fand er sich zuerst bei Ludwig in Kinzigheim ein. Hermann, welcher im Vorjahre längere Zeit an rheumatischen Schmerzen zu leiden hatte, reiste wenige Tage später zur Kur nach Wiesbaden und so wurde ein Zusammentreffen an letzterem Orte, an welchem, außer den beiden Kinzigheimern, auch Minchen teilnehmen wollte, verabredet. Am 21. Juni erhielt Hermann in Wiesbaden eine väterliche Karte des Inhalt: „Gestern holten wir Ibbi (Minchen) in Hanau ab, und Dienstag, den 25. c. wollen wir mit ihm zu der von Dir vorgeschlagenen Stunde Dich sehen. Ein Zimmer mit einem und eins mit zwei Betten willst Du auf drei Tage für uns belegen.“ Diese drei Tage waren von schönem Wetter begünstigt. An einem derselben führte das vierblätterige Kleeblatt die bekannte, landschaftlich so schöne Tour über Schlangenbad, das zu Wagen erreicht wurde, Eltville und Biebrich aus. Leider wurde in Schlangenbad die ins Auge gefaßte Postverbindung verfehlt und der lange, für alle, besonders den Vater, ermüdende Weg von Schlangenbad nach dem Rheinboot zu Fuß zurückgelegt. Als Kuriosum aber, und zum Beweise des verdienten Namens, sahen die Touristen in einem Hause jenes Bades eine zahme Schlange in Zimmer und Flur sich frei umher bewegen. — Wegen dieses Zusammenseins mit seinem hannoverschen Sohne in Wiesbaden sah Chr. Spamer von einem diesjährigen Besuche auf der Hütte ab und verbrachte den Sommer ganz in Wetzlar. — Am 15. September berichtete er nach Ilsede über schön verlaufene Ausflüge, welche er mit Kellners auf den Gleiberg und nach Nidda ausgeführt hatte. — Seinen Besuch in Düsseldorf stattete er vom 30. September bis 14. Oktober ab. Dort sah er mit Anna im Theater Figaros Hochzeit. Haus und Ausstattung fanden seinen Beifall, von dem Gesang und Hergang der Handlung konnte er aber nur so wenig verstehen, daß er sich vornahm, nie wieder in eine Oper zu gehen. Dagegen erfreute er sich sehr an dem vierhändigen Klavierspiele Annas und deren Freundin Fräulein Hahn, sowie an den gemütlichen, teils mit Kartenspiel verbrachten Abenden in der Familie Martin. - Am 17. Oktober feierten Julius und Minchen Kellner ihren zwanzigjährigen Hochzeitstag und überreichte der Vater ihnen zu diesem Feste nachfolgendes herzliche Gedicht:
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- Wünsche ich dem treuen Paare
- Wenigstens noch 30 Jahre,
- Daß es fröhlich feiern mag
- Seinen gold'nen Hochzeitstag!
Leider sollte durch den zu frühen Tod des lieben Sohnes der treue väterliche Wunsch nicht in Erfüllung gehen.
Zum Weihnachtsfeste ließ der Vater jedem seiner Kinder wiederum zweihundert Mark bescheeren.
In Gesundheit und Frische konnte Chr. Spamer auch sein Wiegenfest des Jahres 1879 begehen, und hatten Hermann, Ludwig und Anna sich wiederum zu demselben in Wetzlar eingefunden. Wieviel der Vater zu jener Zeit seiner Widerstandskraft noch zumuten durfte, zeigen zwei Gänge, die er, ohne Schädigung seiner Gesundheit, am 11. Februar und 13. März nach Hermannstein unternahm, um dort die gelieferte Pachtfrucht dem Käufer zuzuwiegen. Zur ersteren Zeit hatte die Lahn große Teile des tiefer liegenden Talgeländes überschwemmt, und fand Chr. Spamer auf seinem Wege auch ein Stück der Chaussee unter Wasser stehen. Um zur zugesagten Stunde in Hermannstein zu sein und im Vertrauen auf seine neuen Schaftstiefel watete er 122 Schritte bis fast zu den Waden durch das Wasser hin und später zurück. Die neuen Stiefel hatten ihn zwar vor nassen, doch gewiß nicht vor kalten Füßen bewahrt. - Seinen zweiten Weg beschreibt er selbst mit folgenden Worten: „Am 13. c. ging ich durch einen Schneesturm nach Hermannstein, wobei mir der eiskalte Nordwind den Schnee dergestalt ins Angesicht schlug, daß ich zuweilen die Augen schließen mußte; bald faßte er mit solcher Gewalt meinen flatternden Mantel, als wolle er mich vom Chaussedamm herabstürzen; bald schlug er mir den Mantelkragen über dem Kopfe zusammen, daß ich nichts sehen konnte und Mühe hatte, den Kragen zu ordnen und Aussicht zu gewinnen; kurz, ich mußte alle Kraft aufbieten, um gegen den konträren Orkan, der Manchen unterwegs zurückjagte, durchzudringen; und da der Schnee in meinem Barte hängen blieb und mein gefrorner Hauch hinzukam und mit ihm zusammenschmolz, so verwandelten sie meinen Bart nach und nach in einen förmlichen Gletscher.“ — Zum 36. Geburtstagsfeste (6. April) seines Sohnes Ludwig, welchem er so sehr eine Frau wünschte, schrieb er demselben:
- „Sechs mal sechs ist Sechsunddreißig,
- So gewiß und glücklich heiß' ich
- In dem Alter einen Mann,
- Der ein liebes Weib gewann!“ (76 ≡)
- Und ferner folgendes Akrostichon:
- „Lustig wünsche ich das Mädchen
- Und gesund an Geist und Leib,
- Das Du als Dein Herzensblättchen
- Willst zu Deinem Eheweib!
- Ist es mit Dir gleichen Sinnes,
- Gehe zu ihm und gewinn es!
- Schauen werdet dann Ihr Beide
- Plötzlich schöner diese Welt;
- Alles wandelt sich in Freude,
- Mehr, als Ihr Euch vorgestellt;
- Erst als Ehegatten eben
- Reift Euch volles Glück im Leben!“
Am 8. Juni folgte er der Einladung Ludwigs auf den Kinzigheimer Hof und am 24. schrieb er von dort den Ilsedern, daß er in etwa acht Tagen mit Ludwig bei ihnen eintreffen, und den Tag der Ankunft noch genauer anzeigen werde. Diese Zusage wurde auch erfüllt und der Aufenthalt in Ilsede von Vater, seinen beiden Söhnen und Hermine benutzt, eine zweitägige Tour in den Harz auszuführen. Die Fahrt ging nach Thale und auf die Roßtrappe, im bekannten Hotel Zehnpfund wurde Logis genommen, und anderen Tags über den Hexentanzplatz, Victorshöhe und Ballenstedt der Rückweg gefunden. — Hatte Ludwig dem Vater auf der Reise zur Hütte Gesellschaft geleistet, so erschien später Minchen mit ihrem Töchterchen Lina in Ilsede zu Besuch, und begleiteten sie ihn Ende August nach Düsseldorf zur Einkehr bei Anna und Emil. Diese unternahmen dann mit ihren Gästen gemeinsam Ausflüge nach Grafenberg und Neuß, und, nach Minchens und Linas am 8. September erfolgter Heimreise, auch nach Kaiserswerth. Am 17. September begleiteten Emil und Anna nebst ihren zwei älteren Söhnen den Vater, bezw. Großvater, nach Deutz, zur Rückkehr in sein Winterquartier Wetzlar, wo er am Bahnhofe von Minchen und Lina mit Freuden empfangen wurde. — Im Laufe des Jahres hatte Chr. Spamer, nach Rückzahlung einer Obligation, jedem seiner Kinder neunhundert Mark bei J. Kellner gutschreiben lassen.
Wie meist zu Anfang eines neuen Jahres, so kam auch am 4. Januar 1880 ein liebes Schreiben des Vaters bei seinen Ilseder Kindern an, in welchem er ihnen zum neuen Jahre Glück wünschte und für die erhaltenen kleinen Christgeschenke dankte. Diesmal hatte ihm die Übersendung eines Pfeifenkopfes, welcher die Photographie seiner Ilseder Enkelin Lina zeigte, besondere Freude gemacht. Sein Glückwunsch hatte folgenden Wortlaut:
„Möget Ihr mit Eueren lieben Kindern das Jahr Christi 1880 gesund und mit fröhlichen Herzen und frohen Hoffnungen angefangen haben, fortsetzen und beschließen, und mir in demselben die Gefühle und Gesinnungen aus den vergangenen Jahren in treuen Herzen bewahren! Der Herr der Zeit und Ewigkeit lasse sein väterliches Angesicht freundlich über Euch leuchten und schenke Euch seinen Segen und Frieden in diesem neuen und allen folgenden Jahren, so lange Ihr hier auf seiner Erde wandelt! Amen!“
Zu seinem Geburtstage, an welchem der Siebenundsiebzigjährige in vollem Wohlbefinden das Alter seines Vaters überschritten hatte — dieser erlebte nur 76 Jahre 7 Monate 18 Tage — waren seine Kinder wieder um ihn versammelt gewesen, und in der zweiten Maiwoche stellte er sich bei seinem Kinzigheimer Sohne zu Besuch ein. Dort erschien am 3. Juni auch Hermann, welcher zuvor einen Kommers seines Gießener Korps in Bingen mitgefeiert hatte, zu mehrtägigem
Verbleiben. Am liebsten hätte derselbe auf seiner Rückreise nach Ilseder Hütte den lieben Vater mit heim genommen. Er fand aber zur Zeit mit seiner Bitte noch kein Gehör, besonders weil für den Sommer von den Töchtern Hermine und Anna Besuche in Wetzlar geplant waren. Doch erfüllte der Vater etwa 4 Wochen später den Wunsch der Ilseder und verweilte bei ihnen bis zum 24. Juli. An diesem Tage fuhr er, von Hermine und seinen Enkelchen Anna und Karl Spamer begleitet, nach Düsseldorf ins Quartier Groos. Dieses hatte im laufenden Sommer auch manchen anderen Besuch zu empfangen aus Anlaß einer großen Industrie-Ausstellung, welche in der rheinischen Provinzialhauptstadt abgehalten wurde. So sah man auch den Großvater Spamer mit seinem Enkel Karl in den Ausstellungsräumen umher wandeln und bei einem Glase Bier der Ruhe pflegen. Nach etwa 14tägigem Verweilen unter den Fittichen der Familie Groos reiste Chr. Spamer nach Wetzlar zurück und empfing dort im Hause Kellner seine Reisegefährten von Ilsede wieder, welche eine Woche vor ihm Düsseldorf verlassen und inzwischen bei ihren lieben Verwandten in Elberfeld, Köln und Burbach Einkehr gehalten hatten. In Wetzlar gefiel es denselben noch fernerhin, bis am 14. August die Zeit ihrer Rückkehr zur Hütte gekommen war. Zwölf Tage später hatte der Vater dann die Freude, seine Tochter Anna mit ihren zwei ältesten Jungen ins Haus Kellner einziehen und eine Woche verbleiben zu sehen. — Später, im Oktober, erhielt er zweimal den Besuch Bruder Karls. — Doch auch betrübende Erlebnisse brachte das Jahr 1880 für ihn: seine von ihm sehr verehrten Schwägerinnen Henriette Steinberger und Sophie Emmelius starben am 23. Juli, bezw. am 8. September, und am 23. November schied Frau Friederike Schmidt, die liebenswerte Schwester Julius Kellners, mit welcher ihn herzliche Freundschaft verband, aus diesem Leben. Ein treuer Besucher und Gesellschafter blieb ihm sein Neffe Hermann Steinberger in Gießen, mit dem er gerne und öfter verkehrte, wie auch dieser ihm stets eine aufrichtige Anhänglichkeit bewies. — Die Zuschüsse, welche der Vater seinen Kindern zuwandte, erreichten im besprochenen Jahre, durch Rückzahlung einer seiner Rabenauer Obligationen erhöht, den Betrag von je achthundert Mark.
Am 2. Februar 1881 überreichte Chr. Spamer seinen Kindern, die sich gerne zur gewohnten Feier um ihn eingefunden hatten, nachfolgende schönen Verse, in denen er die, trotz mancher geschwundenen, ihm noch verbliebenen Freuden seines Alters schildert:
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- Christian Spamer.“ (79 ≡)
- Christian Spamer.“
Daß diese 1881er Geburtstagsfeier, an welcher Emil, welcher seine Gattin begleitet hatte, und Hermann Steinberger teil nahmen, sehr vergnügt verlief, bestätigt der Vater selbst in seinem zum 15. Februar an Hermine in Ilsede gerichteten Geburtsgedicht. Es heißt darin:
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In seinen nach Ilsede gesandten Märzbriefen erzählt er, wie Minchen und ihre Tochter Anna, um einmal einen Maskenball im Schützengarten zu besuchen, sich im Geheimen zwei gleiche Dominos, weiß mit grünem und silbernem Besatze, mit eben solchen hochgewölbten Kopfbedeckungen und dazu passenden Masken, Handschuhen, Sonnenfächern p. p. verschafft und in diesen Costümen unerwartet sich vorgestellt hätten — zur großen Heiterkeit. Auf dem Balle wäre Vieles nett und zum Lachen gewesen, doch hätten die zwei Dominos sich vor der Demaskirung wieder aus dem Staube gemacht. — Ferner schrieb er von der am 4. März angeregt verlaufenen Geburtstagsfeier Hermann Steinbergers in Gießen, an welchem Tage es gerade 60 Jahre waren, seit der Briefschreiber und sein älterer Bruder Theodor, bei dem Streit der Studenten und Soldaten in Gießen, mehrmals in augenscheinlicher Lebensgefahr schwebten. Als das Geburtstagskind immer mehr, zuerst von seinem guten, und dann von seinem noch besseren Wein in die Gläser gegossen und zum Austrinken animirt habe, sei Schreiber ersucht worden, die 60jährige Geschichte des Tages und namentlich seine Erlebnisse an demselben zum Besten zu geben. Es sei dies auch aus treuem Gedächtnis in etwas höherer Stimmung geschehen zur nicht uninteressanten Unterhaltung des Auditoriums. Dieses habe, außer dem Geburtstäger, aus Karl Spamer, dem zu Besuch in Wetzlar weilenden Bruder Chr. Spamers, aus Otto Kellner und Heinrich Emmelius bestanden, und sei in majorem gloriam des Gefeierten bis abends 8¾ Uhr recht heiter zusammen geblieben. - Am 6. Juni, dem ersten Pfingsttage, trafen, nach vorheriger Übereinkunft, von Wetzlar, Kinzigheimer Hof, Düsseldorf und Ilseder Hütte die geschwisterlichen Familien mit dem Vater im Hotel Schirmer in Kassel ein, um diesen und den folgenden Tag gemeinsam zu verleben. Noch am Nachmittag des ersten Tages fand der Aufbruch nach Wilhelmshöhe und, nach dem auf der Schloßterrasse eingenommenen Kaffee, der Gang zum Herkules bei schönem Wetter statt. Von dort folgte die Gesellschaft den Wasserspielen zu Tal, verlor aber leider, in der an jenem Tage herbeigeströmten Menschenmenge, und in der Eile, den Wassern zu folgen, den Vater ganz aus den Augen. Trotz eifrigen Suchens konnte er im ganzen Parke nicht gefunden werden, und so war es eine Freude für die besorgten Seinigen, ihn bei Rückkehr ins Hotel, dort wohlgemut
wieder anzutreffen. Er hatte, als er sich allein sah, und wohl des Umhergehens müde, die Rückfahrt nach Kassel einem längeren Verweilen vorgezogen. Am Morgen des zweiten Tages wurden die Sehenswürdigkeiten der alten kurhessischen Residenz gemeinsam besichtigt, und bot dabei die herrliche Aussicht von der Terrasse des hoch über dem Fuldatale gelegenen Felsenkellers einen besonderen Genuß. Nach dem Mittagsmahle schlug die Scheidestunde. Ludwig blieb die kommende Nacht in Wetzlar und nahm folgenden Tages den Vater als lieben Gast mit nach Kinzigheim. — Chr. Spamer verfolgte auf dem Gutshofe stets mit Interesse die landwirtschaftlichen Arbeiten, den Stand der Felder und Früchte seines Sohnes, und machte diesmal mit demselben zwei Wagenausfahrten, nach Marienborn zu der verwandten Familie Koch und nach Wilhelmsbad. Am 30. Juni holten Vater und Sohn die Tochter und Schwester Minchen, welche ihren Otto, zum Lehreintritt bei dem Bankhause Nikolaus Schmidt, nach Frankfurt geleitet hatte, vom Bahnhofe Hanau nach dem Hofe ab, und entführte diese, nächsten Tages, den Vater wieder nach Wetzlar. — Vom 6. bis 17. August verweilte Anna von Düsseldorf mit ihrem kleinen Ludwig, und vom 14. bis 16. auch Ludwig von Kinzigheim bei den Wetzlarer Lieben. — Bald nachher zog dann im Hause Kellner neue Freude ein durch die Verlobung der beiden ältesten Kinder Julius und Anna. Adele Müller von Düsseldorf, die Braut des Julius, wie auch Annas Verlobter, Dr. chem. Hans Wiesinger, gewannen das Gefallen Chr. Spamers, und war Wiesinger von seinem damaligen Wohnsitze Fechenheim aus ein häufiger Besuch im Hause seines Bräutchens. - Eine Reise nach Ilsede oder Düsseldorf lehnte der Vater fürs laufende Jahr ab, weil man mit einem zweimaligen Zusammensein darin zufrieden sein müsse. — Zum Enkeltöchterchen Klärchen, welches ihm am 2. Dezember in Ilsede erschien, wünschte er Glück, und lud die Mutter herzlich ein, zur Lichtmesse des folgenden Jahres, bei seinem Geburtstage, nicht fehlen zu wollen. — Seine letzten Zeilen aus dem Jahre 1881 nach Ilsede, vom 19. Dezember, schließt er mit folgendem Reim:
- „Ich will Euch gern bescheeren;
- Die Kasse ist nicht stark
- Und kann nicht mehr entbehren,
- Als nur zweihundert Mark!
- Das Christkind.“
Der erste Tag des neuen Jahres 1882 brachte für Chr. Spamer eine große Freude durch die Verlobung seines Sohnes Ludwig mit Fräulein Marie Klingspor in Wetzlar, welche Verbindung schon längst der sehnliche Wunsch des Vaters gewesen war. Seitdem er die nunmehrige Braut als kleines Mädchen zum ersten Male gesehen, hatte sie ihm wegen ihrer anziehenden Lieblichkeit, Geradheit und Freundlichkeit wohl gefallen, und, so oft er sie seitdem gesehen, hatte ihr Anblick und Umgang ihn von neuem erfreut. So gestaltete sich auch die Feier des 2. Februar, an welcher drei Ehe- und drei Brautpaare als Kinder und Enkel den neunundsiebzigjährigen Jubilar umgaben, zu einer besonders fröhlichen. Der Gefeierte las dabei einen auf die drei Brautpaare gedichteten Toast vor mit folgenden Worten:
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Auch erfreute der Jubilar an diesem Tage sein neues Töchterchen Marie mit goldner Uhr und Kette, in Begleitung nachstehender Verse:
- „Weil ich immer habe mein Vergnügen
- An dem kleinen goldenen Mariechen,
- Will ich heute ihm zum Angedenken
- Diese gold'ne Uhr und Kette schenken.
- Zeige stets die Uhr ihm gold'ne Stunden!
- Und die Kette, die mit ihr verbunden,
- Stets den Bund der Liebe und der Treue,
- Dessen ich so herzlich mich erfreue! —“ (82 ≡)
Am 20. Mai wurden zwei der Brautpaare: Ludwig Spamer=Marie Klingspor und Hans Wiesinger=Anna Kellner in Wetzlar getraut, und fand nach der Trauung im Herzoglichen Hause ein festliches, frohes Mahl statt, an dem, neben vielen anderen Angehörigen der jungen Paare, Chr. Spamer und seine Kinder, mit Ausnahme der bei einer erkrankten Schwester weilenden Hermine, alle teilnahmen.
Nachdem Ludwig und Marie von ihrer Hochzeitsreise nach dem Süden zurückgekehrt und daheim völlig eingewohnt waren, erhielten sie am 12. Juli den Besuch des Vaters. Im folgenden Monat fuhr letzterer, in Begleitung Minchens, von Wetzlar zu den Hüttenleuten in Groß-Ilsede. Nach Minchens Heimkehr langte Anna von Düsseldorf zum Besuche bei Vater und Geschwistern in Ilsede an, und wurde während ihres Bleibens eine gemeinsame Fahrt zu vier nach Harzburg und dem dortigen Burgberg ausgeführt. Anfangs Oktober, nach frohem Zusammensein und Annas Heimfahrt, kehrte Chr. Spamer wieder zur alten Reichsstadt an der Lahn zurück. — Im Laufe des Dezember machte ihm das Kinzigheimer Ehepaar seinen ersten Besuch, und begleitete Ludwig den Vater nach Hermannstein, um in gewohnter Weise bei Abnahme der Pachtfrucht behilflich zu sein.
Im Jahre 1883 wurde der Geburtstagsfeier Chr. Spamers die Hochzeitsfeier seines Enkels Julius Kellner angeschlossen, und da letztere in Düsseldorf, dem Wohnorte der Braut, stattzufinden hatte, sah der 2. Februar den Vater, seine Söhne und Töchter, wie auch seine Wetzlarer und Düsseldorfer Enkel im Hause Groos vereinigt. Am folgenden Tage ward die Hochzeit des jungen Paares festlich begangen. — Wenn Chr. Spamer auch an beiden Festen gerne in seiner freundlichen Weise teilnahm, so unterlag die Stimmung des nunmehr Achtzigjährigen leider doch einer sichtlichen Trübung, welche wohl seinem fortschreitenden Alter zugeschrieben werden mußte. Indes ging zur Freude der Seinigen diese betrübende Erscheinung in kurzer Zeit wieder vorüber. Am 7. März schrieb er in einem Briefe an seine Tochter Hermine: „Ihr wünscht zu erfahren, wie ich mich befinde, und ich sage Euch: Besser, viel besser, als Ihr mich in Düsseldorf gesehen habt. Dort lag, wie Du bemerkst, ein schwerer Druck auf meiner Seele, von dem ich aber jetzt nichts mehr spüre; und weil ich von ihm befreit bin, hoffe ich auch auf dem Wege der Besserung weiter fort zu schreiten: deswegen macht Euch um mich keine Sorgen.“ — Am 24. Mai kam sein erstes Kinzigheimer Enkelkind, die kleine Else Spamer zur Welt. Er, wie auch sein Sohn Hermann, wurden zu Paten derselben gebeten und reiste der Vater bereits am 5. Juni ins Heim der jungen Eltern ab. Einen Monat später ging die Tauffeier der Kleinen, zu welcher auch Oheim und Tante aus Ilsede erschienen waren, in vergnügter Weise vor sich. — Von hier begleitete der Vater, einer früheren, lieben Zusage gemäß, seine Kinder Hermann und Hermine nach Ilsede. Die Fahrt ging zunächst, und zwar in freundlicher Gesellschaft Ludwig Spamers und Otto Kellners, nach dem Niederwalddenkmal und Bingen, von wo die drei Ilsede-Reisenden anderen Tages auf dem schönen Rhein zu Tale fuhren und in Rolandseck ausstiegen. Dort wurde Nachtquartier genommen und am dritten Reisemorgen zuerst der Rolandsbogen erstiegen und dann nach Königswinter, wo Emil und Anna von Düsseldorf eintrafen, übergesetzt. Ein frohes Zusammensein mit ihnen auf dem Drachenfels und später auf der Veranda des am Rhein gelegenen Gasthauses währte bis zur Abendstunde. Der vierte Tag brachte die drei Ilseder, ohne weitere Unterbrechung, an das Ziel ihrer Reise. — Während des nun folgenden Aufenthaltes auf der Hütte hatte der Vater sich guten Wohlseins zu erfreuen. Er nahm gerne Teil an Ausflügen nach Hannover und Braunschweig, und hatte viele Freude an dem kleinen, munteren Klärchen, welches gleichfalls bei seinem lieben „Upapa“ gerne verweilte. Auch konnten die unruhigen Gedanken, welche ihm zuweilen die in Aussicht stehende Neuverpachtung des Hermannsteiner Pfarrgutes bereitete, durch eingehende Besprechungen zerstreut werden. — Leider
kehrte aber im November wieder eine gedrückte Stimmung bei ihm ein, und seine brieflichen Mitteilungen wurden spärlicher. Hierüber schreibt er am 24. November nach Ilsede: „Nehmt mir auch nicht übel, daß ich Euch so lange Zeit gar nicht geschrieben habe! Dies geschah nicht aus Mangel an väterlicher Liebe zu Euch, sondern wegen des niederdrückenden Gefühls der schnellen Abnahme meiner Körper- und Geisteskräfte, durch welches sich meine frühere heitere Gemütsstimmung verlor, ohne die man auch zum Briefschreiben nicht aufgelegt ist. Es ist ja natürlich und ich murre auch nicht darüber, daß der Achtzigjährige an Körper und Geist, an allen Sinneswerkzeugen immer schwächer wird; aber es ist darum doch nicht angenehm für ihn, wenn er nicht mehr hört oder versteht, was andere in seiner Nähe sprechen; oder wenn er das Gehörte und Erlebte bald nicht mehr weiß; oder wenn er das, was ihm vorher leicht ward, nur schwer oder gar nicht mehr tun kann, wie es mir jetzt ähnlich mit dem Schreiben ergeht.“ Doch sagt er im weiteren Verlaufe des Briefes, daß das gemeinschaftliche Bestreben aller seiner Kinder, ihn heiterer zu stimmen, auch wieder eine bessere Stimmung der Saiten seines Gemüts zur Folge gehabt habe. — Die Neuverpachtung des Hermannsteiner Pfarrgutes führte er im September aus, ließ aber die Abnahme und Verwertung der später gelieferten Pachtfrucht diesmal durch Pfarrer Engel in Hermannstein besorgen. — Am 25. Dezember dankte der Vater in einer lieben Karte für die ihm dargebrachten Weihnachtsgaben, nachdem er selbst in Mitte des Jahres jedem seiner Kinder zweihundert Mark zum Geschenk gemacht hatte. — Zum väterlichen Geburtstage des Jahres 1884 waren die Geschwister wiederum in froher Runde um den lieben Jubilar vereinigt, der, wenn auch die Beschwerden des Alters ihn nicht mehr verlassen wollten, doch in heiterer Stimmung unter ihnen war. Besonders erfreute ihn noch Gesang und Klavierspiel, wie auch ein Solospiel im Familienkreise. — Eine Geschwulst am linken Fuße, welche ihn belästigte, verlor sich durch Einreibungen im Laufe des Frühjahrs wieder. Am Geburtstagsfeste hatte der Vater seinen Kindern diesmal je tausend Mark zum Geschenk gemacht. — Als Ende Juli Hermann und Hermine, welche mit ihren Düsseldorfer Geschwistern eine Reise ins Berner Oberland unternommen hatten, auf ihrer Rückfahrt in Wetzlar Rast machten, gab der Vater ihrer Bitte, sie nach Ilsede zu begleiten, freundlich nach, wenn ihm der Entschluß zur Reise auch nicht mehr leicht ward. Die Beschwerde der langen Eisenbahnfahrt zu mindern, blieben die Reisenden einen Tag in Kassel und besuchten auf einer Wagenfahrt im Sonnenschein wiederum gerne den schönen Park um Wilhelmshöhe. — Im August trafen auch Minchen und ihre Lina zum Besuch auf der Hütte ein. In seinem Verlaufe ward eine gemeinschaftliche Fahrt nach Braunschweig ausgeführt, wo zu den fünf Ilsedern sich noch gesellten Otto Kellner, von einer Reise nach Goslar kommend, und Herminchen Spamer, die zur Zeit in Braunschweig eine Pension besuchte. In Holst's Garten und später im Wilhelmsgarten, wo eine Zigeunerkapelle spielte, war die Gesellschaft vergnügt zusammen. Noch in demselben Monat kehrte der gerne noch länger festgehaltene Wetzlarer Besuch wieder nach Hause zurück, von den Hüttenleuten noch bis Hannover begleitet. — Kurz nachher stattete Anna von Düsseldorf mit ihren drei Söhnen einen lieben Besuch in Wetzlar ab. — Nachdem schon am 8. Juni für Chr. Spamer in Wetzlar ein Urenkeltöchterchen, die kleine Anna Wiesinger, angekommen war, wurde ihm am 18. November durch die Ankunft seines ersten Kinzigheimer Enkelsohnes, Ludwig Spamer, eine große Freude zu teil. — Leider jedoch empfand er in jenem Monat wieder in stärkerem Grade Beschwerden des Alters. In seinem am 28. November nach Ilsede gerichteten Briefe schreibt er auf Herminens Anfrage nach seinem Befinden: „Ihr kennt ja meine leiblichen und geistigen Altersschwächen und Gebrechen: der Kopf will nicht mehr klar denken, der Mund nicht mehr gerne reden, die Hand nicht schreiben, die Ohren wollen nicht recht hören, die Füße nicht mehr gehen, das Gedächtnis will nichts behalten, der Atem geht zuweilen kurz und
beschwerlich, auch Schlaflosigkeit und Krämpfe stellen sich bisweilen ein; dies Alles ertrage ich mit Geduld, und bin meist auf meiner Stube, wo ich lese. Wenn Du mir nun da Euer liebes, liebes Klärchen zur Gesellschafterin brächtest, wie würde mich das freuen und zerstreuen! Welches Plaisir für mich, wenn ich das liebliche Gesicht des theueren Kindes und alle seine zierlichen Bewegungen und Beschäftigungen sehen und seinen Gesang von dem kohlpechrabenschwarzen Mohr hören könnte! Leider aber werde ich die herzige junge Sängerin hier sobald noch nicht hören und sehen, weil sie erst am 2. Dezember in ihr viertes Lebensjahr eintritt, zu welchem ich ihr hiermit zugleich von Herzen gratulieren und alles Gute wünschen will, was ihr ihre treuen Eltern wünschen werden.“
Da bereits im Frühjahr 1883 das junge Ehepaar Julius und Adele Kellner, und zu Anfang des folgenden Jahres auch Hans und Anna Wiesinger ihren Wohnsitz in Wetzlar aufgeschlagen hatten, so war der Verkehr im Hause Kellner und um Chr. Spamer ein recht lebhafter geworden; ein Umstand, welcher dazu beitrug, daß es zur Zeit seines Geburtstages auch im Jahre 1885 recht munter und vergnügt zuging. Außer Marie, welche durch ihren Jüngstgeborenen in Kinzigheim festgehalten wurde, waren alle Kinder mit ihren Ehegatten um den lieben Vater versammelt, und traten dadurch für ihn die Schwächen seiner hohen Jahre mehr in den Hintergrund zurück. — Auch sendet er zum 15. Februar und 9. März noch schriftliche Geburtstagswünsche für Hermine und seinen Enkel Karl nach Ilsede; sie waren aber leider die letzten Zeilen, welche von seiner Hand dort angekommen sind. Ihr Wortlaut möge darum hier wiedergegeben werden:
- „Zum 15. Februar 1885.
- Liebe Hermine!
- „Zum 15. Februar 1885.
- Was Dich froh und glücklich machen kann,
- Finde stets auf Deiner Lebensbahn!
- Alle Deine Lieben und Getreuen
- Werden dann sich herzlich mit Dir freuen.
- Möge Gott, um seiner Liebe willen
- Diesen meinen Wunsch an Dir erfüllen!
- Und Du selber magst mir freundlich grüßen
- Alle, welche hoch Dich leben ließen!
- Dein Vater Christian Spamer.“
- „Zum 9. März 1885.
- Lieber Karl!
- „Zum 9. März 1885.
- Das reinste Glück, das Gott verleiht auf Erden,
- Das lasse er auch dir zu Teile werden!
- Und lasse mit Dir alle Deine Treuen
- Von ganzem Herzen sich darüber freuen!
- Mit herzlichem Gruß und Kuß an Euch Alle
- Dein Großvater
- Christian Spamer.“
- Dein Großvater
Gerne hätte er noch ferner diese Liebeszeichen gespendet, fand sich aber dazu außer Stande, und bat nun Minchen vor jedem Geburtstage seiner auswärtigen Kinder und Enkel, für ihn seine Glückwünsche zu übermitteln.
Am 23. Mai fuhr Chr. Spamer in Begleitung seiner beiden Wetzlarer Enkeltöchter, Anna und Lina, nochmal auf den Kinzigheimer Hof, um seine Lieben, und besonders seinen jüngsten Enkel Ludwig, dort zu sehen. Er kehrte aber schon nach einer Woche, von seinem Sohne Ludwig begleitet, nach Wetzlar zurück, wo auch Hermann, eine Reise nach Bingen unterbrechend, zu kurzem Zusammensein eintraf. Zu einer Fahrt nach Ilsede oder Düsseldorf fühlte der Vater sich leider nicht mehr kräftig genug. So schwer es ihm auch ankam, mußte er doch die dahin gehenden Bitten ablehnen. Und so erfreuten ihn Ludwig mehrfach, Anna im August, Emil im November auf einige Tage mit ihrem Besuche in Wetzlar. Minchen suchte stets in treuer Liebe den Vater aufzuheitern und bewog ihn, sich an nahen Spaziergängen, wie an Ausfahrten nach Hermannstein und Blasbach zu beteiligen. Wenn ihm dies nun auch stets wohl bekam und auch sein Aussehen ein gutes war, so belästigten ihn doch in wechselndem Grade die schon im Vorjahre aufgetretenen Beschwerden. Dazu kam eine größere Schwäche in den Füßen und Unsicherheit beim Gehen, welche ihm das Treppensteigen und jeden Ausgang erschwerten. Auch die Pfeife, seine vorher ungern vermißte Begleiterin, fand jetzt nur mehr seltenen Gebrauch. So wurde das Leben des lieben, guten Greises immer stiller und verlief, wenn nicht durch Besuch eine besondere Anregung kam, meist in seinem Zimmer bei Lektüre. — Seinen vier Kindern hatte er im Laufe dieses Jahres je vierhundert Mark übergeben. —
Zur Feier des 2. Februar 1886 hatten sich Hermann und Hermine von Ilsede, Ludwig vom Kinzigheimer Hofe und von Düsseldorf Anna mit ihrem damaligen Pflegetöchterchen Herminchen Spamer bei Vater und Geschwistern in Wetzlar eingefunden. Emil und Marie waren leider verhindert, die Kinder aus dem Hause Kellner aber alle zugegen. Inmitten der ihn froh Umgebenden war auch Chr. Spamer heiterer Stimmung; namentlich erfreute er sich, wie im Vorjahre, am vierhändigen Klavierspiel seiner Töchter Anna und Hermine, wie an dem schönen Gesang seiner Enkelin Adele Kellner. Auch beschenkte er wiederum seine Kinder mit je dreihundert Mark, welche Gaben er gerne vorher in Gold bereit legte. — Doch wurde bei den Befürchtungen, welche die zunehmende Schwäche des Dreiundachtzigjährigen erwecken mußte, der Abschied zwischen Vater und Kindern diesmal ein besonders bewegter. — Leider waren diese Befürchtungen auch nicht unbegründet. Zwar lautete die Nachricht, welche Minchen am 10. April nach Ilsede gelangen ließ, noch nicht bedenklich in den Worten: „Vater geht es ziemlich gut, doch waren seine Füße wieder mehr geschwollen. Ich machte ihm ein Fußbad und rieb ihn dann hauptsächlich um die Reihen und Knöchel mit Franzbranntwein ein; Tags darauf rieb ich ihn nochmals ein und sah man schon nach dem ersten Einreiben, daß die Geschwulst gefallen war. Vater legt seine Füße jetzt mehr hoch, doch will ich ihn nachher nochmal einreiben.“ Doch folgte schon drei Tage später eine Karte Julius Kellners mit dem Besorgnis erregenden Inhalte: „Heute Mittag überfiel auf der Treppe beim Heruntergehen den Vater eine arge Schwäche, so daß er allein nicht weiter konnte. Minchen und ich brachten ihn zu Bett, ließen heizen und den Doktor holen, welcher eine Luftröhrenentzündung konstatirte, nicht eben bedenklich, abgesehen freilich vom hohen Alter. Anna in Düsseldorf habe ich nahe gelegt, ob sie nicht vielleicht mal kommen will. Bei Veränderung erhälst Du sofort Nachrichten.“ — Und am 14. schrieb Minchen wieder: „Vater ist heute wieder viel klarer, teilnehmender, und kann sich selbst wieder etwas aufrichten im Bett; ich meine, es geht ihm entschieden besser, als gestern. Dr. Herr sagt, der Schleim sitzt noch fest, er muß mehr lösende Medizin nehmen; bei Vaters Alter könne man immer noch Befürchtung haben.“ — Da in den nächsten Tagen mit Phantasieren verbundenes starkes Fieber eintrat, wurden noch Dr. Ploch und Professor Dr. Riegel von Gießen zugezogen, die aber, wegen des hohen Alters des Kranken, nur Besorgnis äußerten. — Hiervon telegraphisch benachrichtigt, eilte, wie zuvor schon Ludwig und Anna, auch Hermann an das Krankenbett des
Vaters und wurde von ihm, den das Fieber verlassen hatte, wieder klaren Geistes und mit noch kräftigem Händedruck empfangen. Die gerne noch festgehaltene Hoffnung auf fernere Erhaltung des teueren Lebens mußte aber leider, bei der immer zunehmenden Schwäche des Körpers und der zeitweise sich einstellenden Benommenheit des Bewußtseins, schwinden und der Erkenntnis des gewissen Verlustes Raum geben. In den Stunden klaren Bewußtseins trat das Nachlassen in den Lebensfunktionen auch deutlich vor die Seele des Kranken; einmal bedrängte ihn, wie er klagte, die Furcht vor dem nahenden Tode, und in seinem Ausrufe: „Herr, nimm mich mit!“ lag seine Bitte um ein Ende des peinlichen Hinsterbens. Lange Tage jedoch widerstand noch die kräftige Natur ihrer Auflösung. Hermann mußte nach zehntägigem schmerzlichen Verweilen wieder nach Hause zurückkehren, während Anna sich noch ferner an der Pflege des lieben Vaters, zu welcher Emil einen tüchtigen Heilgehilfen von Düsseldorf geschickt hatte, beteiligen konnte. Sie sandte auch, nach Hermanns Abreise, zwei Karten nachstehenden Inhalts nach Ilsede:
- „Wetzlar, den 27. April 1886.
Gestern Abend dachten wir, das Ende käme, so setzte der Atem aus; ebenso war dies in der Nacht einmal der Fall. Jetzt liegt Vater so ruhig und friedlich, wie gestern. Er kennt eigentlich nur Minchen, und freut sich, wenn es kommt; ist aber fast immer in traumhaften Phantasien, jedoch ruhig, sein Blick oft vergnügt in die Ferne gerichtet. Man wird immer noch einige Tage gefaßt sein müssen; wenn er nur so schmerzlos und ruhig bleibt! Er meinte heute Morgen, daß er die Nacht ganz gut geschlafen habe, fragte auch, was hat der Arzt gesagt? Oft spricht er unverständlich und thut es einem dann leid, ihn nicht verstanden zu haben. Der Schleim ist natürlich recht störend, der Husten aber immer noch locker.“
- „Wetzlar, den 28. April 1886.
Mit dem lieben Vater geht es ziemlich gleich, er ist sehr matt, meist nicht klar, ganz klar überhaupt wohl nicht. Gestern Abend hatte er starkes Fieber und bekam wieder zehn Tropfen Morphium. Herminens Kommen ist in der Beziehung nicht nötig, als sie gegenseitig nichts von einander haben und ich diese Woche noch hier bleiben will. Will sie den Vater gern noch einmal sehen, so kann sie mich jeden Tag ablösen; man weiß nicht, wann es zu Ende geht.“ —
Am folgenden Tage jedoch, dem 29. April, einem Donnerstag, Mittags um 2 Uhr endigte dies langsame Erlöschen des Lebens in einem ruhigen, schmerzlosen Tode. —
Unter der Begleitung seiner vier Söhne, seines Bruders, vieler Verwandten, Freunde und Bekannten wurde die sterbliche Hülle Chr. Spamers am 2. Mai auf dem Friedhofe zu Wetzlar zur letzten Ruhe bestattet. Pfarrer Schöler legte seiner hierbei gehaltenen Rede den Spruch zu Grunde: „Mir ist Barmherzigkeit widerfahren,“ und ist dieser Spruch, der auf den begnadeten Lebensgang und das hierfür so dankerfüllte Herz des Verstorbenen treffend hinweist, auch auf dem Grabmale wiedergegeben, welches seine Kinder ihm in Liebe errichtet haben.
Chr. Spamer war in der Tat eine besonders begnadete Persönlichkeit. Neben ungewöhnlicher Körperkraft und schöner männlicher Erscheinung, waren ihm hohe Gaben, zugleich des Verstandes und des Gemütes verliehen. — Seiner in Frohsinn und ernstem Streben verbrachten Jugend folgte schon frühe eine dreißigjährige, segenbringende Amtstätigkeit, und an diese schlossen sich noch fast 29 Jahre freundlich verlaufenen Ruhestandes an, von welchen nur die drei letzten ihn die Beschwerden des Alters empfinden ließen. In theologischer Hinsicht stand er fest in der Lehre Christi und war von der göttlichen Wahrheit derselben durchdrungen, lehnte es aber ab, Hinzugefügtes, soweit es seiner Vernunft widersprach, als Dogma anzuerkennen, und
bildlich ausgedrückte Bibelstellen ihrem Wortlaute nach für wahr zu halten. Er selbst hat am 29. April 1861 als seine theologische Ansicht folgendes niedergeschrieben:
- „Wer ist der wahre Christ?
- Du Rationalist? —
- Hältst Jesum Du für Gottes Sohn,
- Glaubst fest an seine Mission,
- Und fehlt es Dir an Wärme nicht,
- So leuchtet Dir das wahre Licht!
- Irrationalist!
- Bist Du der rechte Christ?
- Sei noch so warm in Deiner Zunft,
- Du glaubst und lehrst die Unvernunft,
- Und schließest dem den Himmel zu,
- Der nicht auf's Jota glaubt, wie Du!
- So fromm die Augen Du verdrehst,
- Weil Haß Du statt der Liebe sä'st,
- Kannst Du bei noch so heil'gem Schein
- Ein wahrer Christ unmöglich sein!
- Nur wo sich Licht und Wärme eint,
- Die wahre Sonne Christi scheint!! —“
In seinem Familienleben hat Chr. Spamer neben hohem Glück auch tiefes Leid erfahren. Drei innig geliebte und verehrte Frauen, zwei Söhne und zwei Töchter verlor er in dem kurzen Zeitraume von vierundzwanzig Jahren, und schon in seinem siebenundvierzigsten Lebensjahre wurde er zum drittenmale Witwer. — Doch trug er an die Dahingeschiedenen, zeit seines Lebens, ein treues, liebevolles Andenken im Herzen; ja er lebte in Gedanken mit seinen verklärten Frauen fort. In den drei Rosen kleidete er seine Erinnerungen an sie in schöne, innig empfundene Poesien, an den Geburtstagen gedachte er ihrer in Versen treuen Angedenkens und schmückte ihre Bilder mit Blumen. Oft erschienen sie ihm in freundlichen Träumen und, wie er auf ein Wiedersehen mit ihnen fest vertraute, so nahten sie ihm auch in den traumhaften Gesichten seines Sterbelagers. — Den überlebenden Kindern wird er, mit seinem männlich edelen Charakter, seinem heiteren Gemüt und treuen, liebereichen Herzen, für immer das beste Vorbild und ein fester Hort ihrer Liebe und Verehrung bleiben.
Will man zuletzt noch einen Rückblick werfen auf die finanziellen Mittel Chr. Spamers, soweit er dieselben seinen Kindern zur Ausbildung außerhalb des Elternhauses, zur Aussteuer und als Vermögensabgabe in Geld und Wertpapieren zugewendet, bezw. hinterlassen hat, so ergibt sich, in Markrechnung aufgestellt, folgendes Gesamtbild:
1. Ausgaben für Karls Ausbildung und Studium |
Mk. 6.395,— |
2. Ausgaben für Ausbildung, bezw. Studium, und Ausstattung für Hermann, Minchen, Ludwig und Anna (Einzelbeträge in Obigem
zu ersehen) |
Mk. 54.625,— |
3. Vermögensabgabe in 1872, bei welcher eine Gleichstellung der vier Kinder erfolgte | Mk. 100.900,— |
4. Geldgeschenke in den Jahren 1875 bis 1886 an die vier Kinder zu gleichen Teilen | Mk. 27.712,— |
5. Nachlaß Chr. Spamers an Geld und Wertpapieren | Mk. 37.678,— |
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Mk. 227.310,— |
Zieht man von dieser Summe die Ausgabe für den schon 1855 verstorbenen ältesten Sohn Karl ab, so entfallen auf jedes der vier überlebenden Kinder, als Aufwendung und Vermögensanteil, Mk. 55 229.—. Bei der, zu Chr. Spamers Zeit, auf nur etwa Mk. 1800 veranschlagten Besoldung der Pfarrei Hermannstein, wäre demselben, auch bei der stets geübten Sparsamkeit, die Ansammlung eines solchen Vermögens nicht möglich gewesen, wenn ihn nicht die Hinterlassenschaften seiner Eltern und Schwiegereltern, und zwar überwiegend diejenige seiner Schwiegereltern Dornemann, hierbei erheblich unterstützt hätten.
- Familie Dornemann.
Als Vorfahren der Katharina Dorothea Dornemann, Chr. Spamers in Hermannstein erster Frau, sind bekannt:
Der Großvater Joh. Gottfried Dornemann, Papierfabrikant in Kesselbach bei Londorf, auf der Rabenau, geboren am 24. August 1731, gestorben am 13. März 1824, im Alter von 92 Jahren 6 Monaten 18 Tagen. Er hatte elf Kinder, worunter ein Zwillingspaar. Die Eltern: Friedrich Jakob Dornemann, das vierte Kind des Vorgenannten, Papierfabrikant in Kesselbach, geboren am 9. März 1774, gestorben am 16. Mai 1839; und Anna Dorothea Rühl, geboren in Schotten am 20. März 1784, als Tochter des Bürgers und Metzgermeisters Johann Konrad Rühl daselbst, geboren am 20. Januar 1749 in Schotten, gestorben am 30. April 1831 in Kesselbach (über 82 Jahre alt), und dessen Ehefrau Eva Gertraud Bechtold, geboren am 11. November 1751, gestorben am 25. Mai 1803 in Schotten. Die Geschwister von Katharina Dorothea Dornemann, ihr an Geburtsalter folgend, waren: Christiane Elisabethe Dornemann, geboren 16. Oktober 1807, gestorben 2. September 1834, Gottfried Dornemann, geboren 5. August 1811, gestorben 6. April 1813, Georg Wilhelm Dornemann, geboren 21. April 1818, gestorben 21. Februar 1855, Christian Dornemann, geboren 15. November 1822, gestorben 1. Dezember 1825. — Katharina Dorothea ist auf dem Friedhofe in Hermannstein, ihre Eltern und Geschwister, sowie ihr Großvater Rühl, sind auf dem Friedhofe in Londorf zur Ruhe bestattet.
Ihre Mutter Anna Dorothea, eine kräftige, kernige Frau, starb, als die letzte der Familie, am 11. Mai 1861 auf der Papiermühle in Kesselbach, an der Lungenentzündung, im Alter von 77 Jahren 1 Monat und 21 Tagen. Sie mußte ihren Mann, alle ihre Kinder und Enkel vor sich hinsterben sehen, kein Nachkomme ist ihr geblieben. Von dem vielen Leid, das sie dieserhalb getragen, sagt noch der auf ihrem Grabsteine stehende Spruch aus den Klageliedern, Kap. 1 Vers 12: „Euch sage ich allen, die ihr vorüber gehet: Schauet doch und sehet, ob irgend ein Schmerz sei, wie mein Schmerz, der mich betroffen hat.“ —
- Familie Emmelius.
Von der Familie Emmelius, welcher die zweite und dritte Frau Christian Spamers in Hermannstein, Wilhelmine und Karoline, angehörten, liegt ein, von meinem Vetter Louis Emmelius aufgestellter, Stammbaum vor und ist in meinem Besitz, welcher bis zum 16. Jahrhundert zurück geht, und auf welchen ich bezüglich der Familienverzweigung verweise. Hier mögen nur die Ehepaare der direkten Voreltern von Geschlecht zu Geschlecht folgen:
- 1. Johannes Emmelius, Regierungsrat in Braunfels, um 1550, und Elisabethe von Pappenheim, geboren zu Wölfersheim;
- 2. Nikolaus Emmelius, Inspektor und Hofprediger in Greifenstein, geboren 1586, gestorben am 30. November 1668, im Alter von 82 Jahren, und Anna Margarethe Pfeffers von Grüningen; eingesegnet am 14. Juli 1644; (89 ≡)
- 3. Joh. Jakob Emmelius, Pfarrer in Fleißbach bei Herborn, getauft am 25. September 1646, gestorben im Jahre 1691, und Katharina Boerberg von Dillenburg;
- 4. Joh. Justus Petrus Emmelius, Präzeptor in Nieder-Girmes, getauft am 17. Januar 1683, gestorben am 10. Februar 1760, und Elise Margaretha, gestorben am 22. November 1747;
- 6. Ludwig Ernst Emmelius, Kreisbürgermeister zu Aßlar, geboren am 5. Februar 1776, gestorben am 11. April 1843, vermählt am 23. November 1803 mit Justine Philippine, geborene Remy aus Grenzhausen[9], geboren am 24. Januar 1780 daselbst, gestorben am 29. Januar 1848 in Aßlar.
Diese waren die Eltern von Wilhelmine und Karoline Emmelius, der 2. und 3. Frau Christian Spamers.
Die Geschwister dieser Frauen waren folgende:
Marie Henriette Wilhelmine Emmelius, geboren am 24. September 1804, verehelicht mit Ludwig Steinberger, Hofgerichtsadvokat in Gießen, geboren am 10. Juli 1800 in Hermannstein, gestorben am 24. April 1864 in Gießen;
Louis Emmelius, Kreisrichter in Neuwied, geboren am 29. Januar 1808 in Aßlar, gestorben am 16. September 1857 in Gießen;
Wilhelm Emmelius, Landwirt in Aßlar, geboren am 10. April 1812, gestorben am 4. Oktober 1843 in Aßlar;
Joh. Karl Emmelius, Zigarrenfabrikant in Gießen, geboren am 11. Juli 1818, gestorben am 5. Mai 1876 in Gießen, vermählt am 1. Juni 1849 mit Sophie Luise Friederike Remy, geboren am 3. Februar 1827, gestorben am 8. September 1880 in Gießen;
Ferdinand Emmelius, geboren am 3. Februar 1821, gestorben am 31. März 1822 in Aßlar.
Die Eltern der Mutter, Justine Philippine, geborene Remy, waren Johannes Remy, Handelsmann und Gerichtsschöffe, und seine Ehefrau Anna Maria in Grenzhausen.
Das älteste Kind von J. H. G. Christian Spamer in Hermannstein (aus 1. Ehe) war Johann Friedrich Christian Karl Spamer, Landwirt auf der Papiermühle in Kesselbach bei Londorf, geboren am 25. April 1830, abends 5¾ Uhr, in Hermannstein, getauft am 24. Mai eodem. Taufzeugen waren: Johann Konrad Rühl aus Schotten, z. Z. in Kesselbach (Urgroßvater); Friedrich Jakob Dornemann, Papierfabrikant zu Kesselbach (Großvater), Christian Spamer, Pfarrer zu Crainfeld (Großvater). — Karl Spamer besuchte von 1841 ab das Gymnasium in Wetzlar, von 1846 ab dasjenige in Gießen und bezog nach bestandenem Maturitätsexamen zu Ostern 1851 die Universität Gießen als stud. theologiae. Von Herbst 1852 bis Ostern 1853 studierte er in Heidelberg, kam dann wieder nach Gießen auf die Hochschule zurück und verließ dieselbe Herbst 1854, um sich auf dem Gute seiner Großmutter Dornemann in Kesselbach der Landwirtschaft zu widmen. Nachdem dort am 21. Februar 1855 sein Oheim Wilhelm Dornemann gestorben war, übernahm er die Bewirtschaftung des Gutes. Leider sollte dies nur für kurze Zeit geschehen sein: am 28. November desselben Jahres stürzte er, auf einem mit Bauholz beladenen Wagen aus dem Walde zurückkehrend, an einer beeisten, schrägen Wegestelle mit dem Wagen um und ward von der schweren, auf ihn fallenden Ladung getötet. Auf dem Londorfer Friedhofe wurde er zur letzten Ruhe bestattet. Tief betrübte Verwandte und mit ihnen viele seiner Korpsbrüder von der Teutonia in Gießen, der er in Treue und Ehren angehört hatte, folgten trauernd dem Sarge des so früh verblichenen, starken und allgemein geliebten Mannes. Sein
Korpsbruder und Studiengenosse Wilhelm Pauli, später Pfarrer und Dekan in Alsheim, widmete ihm folgenden poetischen Nachruf:
„Es ist mir leid um Dich, mein Bruder Jonathan; ich habe große Freude und Wonne an Dir gehabt; Deine Liebe ist mir sonderlicher gewesen, denn Frauenliebe ist. 2. Samuel 1, 26.
- So klagte einst ein königlicher Sänger
- Als seines Freundes Aug' im Tode brach;
- So klag' auch ich, so klag' ich immer länger,
- Denk' ich dem Schicksal meines Spamer nach,
- Denn er erlag dem Tod in seinen schönsten Tagen,
- In früher Jugend wurde er zu Grab getragen.
- Von gleichem Streben waren wir durchdrungen,
- Nach einem Ziele eilten wir hinan;
- In trautem Kreise ward das Band geschlungen,
- Und manche Freude teilten wir auf uns'rer Bahn,
- Die wir, ach! nur zu kurz zusammen wallten,
- Denn Dich begrüßen jetzo edlere Gestalten.
- Was Du mir warst, Genosse froher Stunden,
- In jener Tage wechselvollem Glück,
- Die wir, durch Brudertreue eng verbunden
- Zusammen lebten, o denk ich daran zurück:
- So netzen Wehmutszähren meine Wangen,
- Daß Dich der Tod so frühe mußt umpfangen.
- Dein treues Auge glühte stets für Wahrheit,
- Es sah sein Glück in seiner Freunde Heil,
- Es sprühte Feuer, leuchtete in Klarheit
- Und nun ist jäher Tod sein früher Teil.
- O, Freund, mit Wehmut denk ich Dein und Trauern,
- Daß Dich der Tod so jäh ereilt mit seinen Schauern.
- So leb' denn wohl, Du liebe, treue Seele,
- So lebe wohl, die Erde sei Dir leicht.
- Ich sehe Dich, wenn auf des Herrn Befehle
- Die letzte meiner Stunden ist erreicht.
- Erinnerung soll Dein Gedächtnis ehren,
- Wenn auch vermischt mit herben Abschiedszähren.“
Seit dem 19. August 1856 zeigt ein Marmorkreuz die letzte Ruhestätte Karl Spamers. Sein Leben währte nur 25 Jahre, 7 Monate und 2 Tage.
Das 2. Kind von J. H. G. Christian Spamer in Hermannstein (aus 1. Ehe) war Wilhelm Christian Eduard Spamer, geboren zu Hermannstein am 11. August 1832 und getauft am 26. August daselbst. Seine Taufzeugen waren: Joh. Karl Wilhelm Friedrich Spamer, stud. theologiae, aus Crainfeld (Oheim) und Christiane Elisabetha Dornemann, des Papierfabrikanten Friedr. Jakob Dornemann in Kesselbach Tochter (Tante). Nach dem frühen Tode
seiner Mutter, im Jahre 1834, nahmen die Großeltern Spamer den zweijährigen Eduard zur Pflege mit nach Crainfeld und gewannen ihn so lieb, daß sie im Mai 1836, als der Vater ihn zurückwünschte, sich nur mit Leid von ihm trennen konnten. Die in Vorstehendem wiedergegebenen Briefe des Großvaters an seinen Sohn in Hermannstein aus den Jahren 1834 bis 1836 sind voll der Freude an dem lieben Enkel. Doch schon am 4. Juli 1837 wurde, zum großen Schmerze seines Vaters und seiner Großeltern, der an Schönheit des Leibes und der Seele besonders begabte Knabe vom Tode ereilt. Er starb, noch ehe er sein 5. Lebensjahr vollendet hatte, infolge der häutigen Bräune.
Das 3. Kind von J. H. G. Christian Spamer in Hermannstein, und zwar das einzige Kind aus der 2. Ehe, war Luise Philippine Christiane Katharina Wilhelmine Spamer, geboren in Hermannstein am 26. November 1836, getauft am 15. Dezember eodem. Ihre Paten waren Ludwig Ernst Emmelius, Kreisbürgermeister in Aßlar (Großvater); Philippine, des Vorigen Ehefrau; Christian Spamer, Pfarrer zu Crainfeld (Großvater) und Katharina Barbara, des Vorigen Ehefrau. Einziges Kind ihrer Mutter Wilhelmine, geborenen Emmelius, überlebte sie dieselbe, welche am 11. Dezember infolge ihrer Niederkunft sterben mußte, nur um 7 Monate und 10 Tage. Schon am 22. Juli 1837 hatte der Vater den Verlust dieses Kindes zu betrauern.
Das 4. Kind von J. H. G. Christian Spamer in Hermannstein, und zwar das 1. Kind aus 3. Ehe, ist: Wilhelm Christian Eduard Ludwig Philipp Hermann Spamer, Hüttendirektor in Groß-Ilsede, später Rentner in Gießen, geboren am 3. Juni und getauft am 23. Juni 1839 in Aßlar, im großelterlichen Hause, in welchem seine Mutter Caroline, geborene Emmelius, ihre erste Niederkunft erlebte. Pfarrer Niedermayer vollzog die Taufe und waren Paten: Christian Spamer, Pfarrer in Crainfeld; Katharina Barbara, des Vorigen Ehefrau; Ludwig Ernst Emmelius, Kreisbürgermeister in Aßlar; Philippine, des Vorigen Ehefrau (die 4 Großeltern), und Fräulein Elisabetha Emmelius (Großtante). Nachdem seine gute Mutter leider schon am 12. September 1849 sterben mußte, kam Hermann zu Ostern 1850 nach Gießen, in das Haus seines Onkels Steinberger, in die Obhut seiner guten Tante, die Mutterstelle an ihm vertreten hat — zu seiner dortigen weiteren Ausbildung. Er besuchte bis Ostern 1853 das Steinmetz'sche Institut, von da ab das Gymnasium und wurde am 16. Mai 1853 von den Herren Superintendent Fr. Simon und Kirchenrat Dr. Engel in der Stadtkirche zu Gießen konfirmiert. Zu Ostern 1858 bezog er nach bestandenem Maturitätsexamen die Hochschule in Gießen, wo er zur Vorbereitung für das Berg- und Hüttenfach drei Semester naturwissenschaftliche Vorlesungen hörte. Zugleich trat er in das Korps Teutonia ein. Am 12. Januar 1860 ging Hermann, zu seiner praktischen Ausbildung in dem erwähnten Fache, zuerst nach Burbach bei Siegen, und am 1. Oktober von da nach Müsen, Siegen, Ems, Dortmund, Bochum, Essen und Stolberg bei Aachen. Von Herbst 1861 bis dahin 1863 absolvierte er auf der Bergakademie zu Freiberg und von Dezember 1863 bis Juli 1864 auf der Bergakademie zu Leoben in Steiermark seine hüttenmännischen Fachstudien, legte auch gut zensierte Prüfungen in der allgemeinen Hüttenkunde, sowie der Eisenhütten- und der Probierkunde ab. Hierauf kehrte er ins Vaterhaus zurück und holte sich am 28. Juli, in Begleitung seines Vaters und Bruders, bei Frau Luise Vomhof in Burbach die Einwilligung zu seiner Verlobung mit deren Tochter Hermine. Erst nach dreijährigen Bemühungen um eine Anstellung in seinem Fache, und nach Volontärbeschäftigung auf der Josephshütte bei Rottleberode am Harz, der Neuehoffnungshütte bei Sinn und dem Neubrücker Eisenwerk bei Finnentrop, erhielt er am 10. Dezember 1867 die Stelle des technischen Direktors der Bergbau- und Hütten-Aktiengesellschaft Ilseder Hütte zu Groß-Ilsede in der Provinz Hannover. Am 11. Mai 1868 feierten Hermann Spamer und Hermine Vomhof ihr Hochzeitsfest in Burbach im fröhlichen Kreise vieler
Verwandten, Freunde und Freundinnen. Hermine Sophie Vomhof ist am 15. Februar 1844 in Burbach geboren; ihre Eltern waren Christian Vomhof, Kaufmann in Burbach, geboren am 10. Dezember 1800 in Burbach, gestorben am 29. Januar 1858, und Luise, geborene Pauly, geboren in Altenkirchen am 15. April 1808, gestorben in Herborn am 1. April 1883. Der Stammbaum der Familie Vomhof, bis zum Jahre 1701 zurückreichend, ist in meinem Besitze und im späteren Verlaufe dieser Schrift auszugsweise mitgeteilt. — Der Ehe von Hermann und Hermine Spamer sind, wie nachstehend berichtet wird, sechs Kinder entsprossen, von denen heute nur mehr vier leben. - Nach 31jähriger Dienstzeit in Groß-Ilsede gab Hermann Spamer seine Stelle auf, zog am 31. Dezember 1898 als Rentner nach Gießen in sein neuerbautes Haus und ward im Frühjahre 1899 von der Generalversammlung in den Aufsichtsrat der Aktiengesellschaft Ilseder Hütte gewählt. Auch wurde ihm nach seinem Abgange von Groß-IIsede der Rote Adlerorden 4. Klasse verliehen.
Das erste Kind Hermann Spamer's ist: Hermine Christiane Luise Spamer, geboren am 30. März 1869 und getauft am 25. April in Groß-Ilsede. Taufpaten waren: Christian Spamer, Pfarrer emeritus in Wetzlar (Großvater) und Luise Vomhof, Witwe des Kaufmanns Christian Vomhof in Burbach (Großmutter). Vom 8. April 1875 bis Ostern 1882 besuchte Hermine die Hüttenschule in Neu-Oelsburg, vom 17. April letztgenannten Jahres ab das Pensionat der Fräulein Müller und die Schule der Fräulein Morich in Braunschweig. Sie trat in die Klasse IIb letzterer Schule ein, wurde Ostern 1883 in die Klasse IIa, Ostern 1884 in die Klasse Ib versetzt, am 20. April desselben Jahres in der Magni-Kirche in Braunschweig von Pastor Clemen konfirmiert, und verließ am 28. März 1885 Schule und Pension. Hierauf verweilte sie zu Hause bis zum 28. September desselben Jahres, an welchem Tage sie zur ferneren Ausbildung in Handarbeiten, Musik und Malerei zu Oheim und Tante Groos nach Düsseldorf ging. Am 21. April 1886 kehrte sie ins Elternhaus zurück. Bereits im folgenden Jahre, am 26. Mai verlobte Hermine sich mit ihrem Vetter Otto Kellner in Wetzlar und wurde am 27. Mai 1889 in der Kirche zu Groß-Ilsede mit demselben getraut. Sie wohnt seitdem in Wetzlar, wo Otto Kellner in das Bankgeschäft seines Vaters Julius Kellner, welchem Geschäft er seit seines Vaters Tode allein vorsteht, eingetreten war. Ihrer Ehe sind entsprossen:
1. Elisabeth Christiane Hermine Wilhelmine Julie Kellner, geboren am 1. Juli 1890, getauft am 20. Juli in Wetzlar; ihre Paten waren die vier Großeltern: Julius Kellner, Bankier in Wetzlar, dessen Ehefrau Wilhelmine, geborene Spamer; Hermann Spamer, Hüttendirektor in Groß-Ilsede und dessen Ehefrau Hermine, geborene Vomhof;
2. Anna Caroline Christiane Kellner, geboren am 18. Februar 1895 und getauft am 17. März in Wetzlar. Taufzeugen waren: Anna Groos, Ehefrau des Oberstabsarzts Dr. E. Groos in Düsseldorf (Großtante); Max van der Straeten, Hütteningenieur in Porz am Rhein (Oheim); Karl Spamer, stud. jur. aus Groß-Ilsede (Oheim) und Fräulein Lina Kellner aus Wetzlar (Tante);
3. Hilde Helene Mathilde Caroline Kellner, geboren am 13. Januar 1897 und getauft am 11. März in Wetzlar. Ihre Paten waren: Mathilde Hauzenröder, geborene Spamer, von Mansfield; Fräulein Lina Spamer von Groß-Ilsede (Tante) und Frau Regierungsrat von Rittgen aus Wetzlar. Leider starb die liebe Kleine schon am 21. April 1899 an Gehirnhautentzündung und ward am 23. desselben Monats zur Ruhe bestattet;
4. Margarethe Minna Anna Clara Wilhelmine Kellner, geboren am 12. Juli 1899, getauft am 1. Oktober in Wetzlar. Als Taufpaten waren zugegen: Mina Haberkorn, Ehefrau des Medizinalrats Dr. J. Haberkorn in Gießen; Anna Wiesinger, Ehefrau des Dr. chem. H. Wiesinger; Fräulein Clara Spamer in Gießen (Tante) und Wilhelm Völker, Hütteningenieur in Siegburg (Oheim);
5. Otto Ernst Hermann Heinrich Kellner, geboren am 15. Juli 1901, abends 6 Uhr, und getauft am 10. September in Wetzlar. Seine Paten waren: Gymnasialdirektor Neuber von Saarbrücken; Regierungsrat Bödecker von Münster in Westfalen und Rechtsanwalt Schulze von Delitsch.
Das zweite Kind Hermann Spamers war ein Söhnchen, geboren am 20. September 1870 in Groß-Ilsede; dasselbe starb leider schon am 3. Oktober und ward am 6. desselben Monats zur Erde bestattet.
Das dritte Kind Hermann Spamers war: Anna Alwine Luise Spamer, geboren am 12. Juni 1872 und getauft am 18. Juli in Groß-Ilsede. Ihre Paten waren: Ludwig Spamer, Domänenpächter auf Kinzigheimer Hof (Oheim) und Alwine Diehl, geborene Vomhof in Burbach (Tante). Vom 29. April 1878 bis Ostern 1885 besuchte Anna die Hüttenschule in Neu-Oelsburg, ging am 15. April letzteren Jahres in die Pension der Fräulein Müller in Braunschweig und trat in die Klasse IIb der Morich'schen Schule daselbst ein. Ostern 1886 in die Klasse IIa und Ostern 1887 in die Klasse Ib versetzt, wurde sie zu Ostern 1888, am 8. April, in der Magnikirche in Braunschweig von Pastor Clemen konfirmiert und kehrte sodann nach Hause zurück. Am 31. Oktober desselben Jahres wurde sie von ihrer Mutter in das Haus eines Verwandten derselben, des Admiralitätsrats Vogler in Berlin, begleitet, wo sie bis zum 28. März 1889 zu ihrer weiteren Ausbildung in Handarbeiten und Musik verweilte, und kehrte danach nach Groß-Ilsede zurück. — Am 21. August 1890 verlobte Anna sich mit dem Hütteningenieur Max van der Straeten aus Köln, geboren am 7. Juli 1861, und verheiratete sich mit demselben in Groß-Ilsede am 19. April 1892. Das junge Paar schlug seinen Wohnsitz in Porz am Rhein auf, wo Max eine technische Vetriebsstelle als Assistent des Direktors an dem dortigen Hochofenwerke „Adelenhütte“ bekleidete. Leider mußte schon nach kurzer, glücklicher Ehe die liebenswerte, junge Frau bei der Geburt eines toten Knaben, infolge von Herzlähmung, aus diesem Leben scheiden. Der 5. Juli 1893 war ihr Todestag. Am 8. Juli wurde sie mit ihrem Söhnchen auf dem Friedhofe in Melaten bei Köln, in der Familienbegräbnisstätte ihres Mannes beigesetzt, schmerzlich betrauert von ihren Angehörigen und allen, die ihr nahe standen.
Das vierte Kind Hermann Spamers ist: Wilhelm Emil Karl Spamer, geboren am 9. März und getauft am 28. April 1874 in Groß-Ilsede. Seine Taufpaten waren: Frau Betriebsinspektor Emma Rüger, geborene Vomhof aus Deutz (Tante); Frau Bankier Wilhelmine Kellner, geborene Spamer aus Wetzlar (Tante) und Oberstabsarzt Dr. Emil Groos aus Düsseldorf (Oheim). Karl trat am 5. April 1880 in die Hüttenschule zu Neu-Oelsburg und am 29. April 1886 in die Quarta des Gymnasiums zu Celle ein, wurde am 14. April 1889 in der dortigen Stadtkirche durch Konsistorialrat D. Frommel konfirmiert und bestand zu Ostern 1894 das Maturitätsexamen unter Befreiung von der mündlichen Prüfung. Hierauf bezog er zum Studium der Rechte die Universität Gießen und ließ sich zugleich am 1. April 1894 als Einjährig-Freiwilliger in das 116. Infanterie-Regiment „Kaiser Wilhelm“ einstellen. Ende März 1895 trat Karl als Unteroffizier und mit dem Befähigungszeugnis zum Reserveoffizier aus dem aktiven Militärdienst aus und verließ Anfang August 1896 die Hochschule zu Gießen. Während dieser fünf Semester war er im Korps Teutonia aktiv und bekleidete zwei Semester lang die erste Charge desselben. Am 12. Oktober 1896 bezog er die Hochschule zu Berlin, besuchte dieselbe bis zum 31. Juli 1897, bereitete sich danach in Celle zum Referendarexamen vor und absolvierte dieses daselbst am 9. März 1898, seinem 24. Geburtstagsfeste. Am 28. März zum Gerichtsreferendar ernannt, wurde Karl dem Amtsgericht in Peine überwiesen und am 30. Januar 1899 an das Landgericht in Hannover (Strafkammer I) versetzt. In demselben Jahre, am 1. März, verlobte er sich mit Fräulein Else Scheuch, geboren am 21. März 1880 als Tochter des Schuldirektors Fritz Scheuch
und dessen Ehefrau Adolphine, geborenen Brandt in Peine. — Vom 19. Februar 1900 ab arbeitete er an der Staatsanwaltschaft in Hannover und ward am 19. Juni zu den Geschäften des Rechtsanwalts Thomann, sowie des Rechtsanwalts und Notars Dr. Beyer in Göttingen zugelassen. Danach erfolgte am 21. Dezember seine Versetzung an das Amtsgericht in Göttingen und am 1. Oktober 1901 diejenige an das Oberlandesgericht in Celle. Hier am 3. Mai 1902 aus dem Vorbereitungsdienst mit einem guten Zeugnis entlassen, meldete er sich zum Assessorexamen und erledigte die beiden schriftlichen Arbeiten desselben in Göttingen. Am 13. August siedelte er nach Berlin über, zunächst zum Besuch des Cornel'schen Repetitoriums, und sodann zum Eintritt in das mündliche Examen, welches er am 5. November gut bestand. Die hierauf erfolgende Ernennung zum Gerichtsassessor wurde, wegen des durch die Ableistung seines Militärdienstjahres erlittenen Zeitverlustes, vordatiert und zwar auf den 5. März 1902. Zugleich wurde er dem Königlichen Amtsgericht in Hannövrisch-Münden überwiesen. — Am 10. Dezember 1902 wurde Karl Spamer in der Stadtkirche zu Peine von Superintendent Küster mit seiner lieben Else getraut. Der Traurede war, wie s. Z. derjenigen seiner Eltern, der Spruch zu Grunde gelegt: „Sei getreu bis in den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben.“ Der kirchlichen Feier folgte ein schönes Hochzeitsfest. — Nach einem etwa zweiwöchigen Aufenthalte in Berlin verbrachte das junge Paar seine noch übrige freie Zeit bei den Eltern in Peine und Gießen, und siedelte am 8. Januar 1903 nach Münden über. Am 10. Januar trat Karl seinen Dienst auf dem dortigen Amtsgericht an. — Bezüglich seines Militärverhältnisses ist hier noch nachzutragen, daß Karl Spamer am 25. Mai 1896 zum Vizefeldwebel und, mit Patent vom 27. Januar 1899, zum Leutnant der Reserve in der Infanterie ernannt wurde, wonach seine Zuteilung zum 168. Infanterie-Regiment erfolgte.
Das fünfte Kind Hermann Spamers ist: Caroline Emilie Hermine Ida Spamer, geboren am 27. August und getauft am 7. November 1877 in Groß-Ilsede. Ihre Paten waren: Frau Emilie Christ, geborene Vomhof aus Elberfeld (Tante); Frau Ida Vering, geborene Vomhof aus Hannover (Tante) und Hofgerichtsadvokat Hermann Steinberger aus Gießen. — Am 9. April 1883 in die Hüttenschule zu Neu-Oelsburg eingetreten, verließ Lina dieselbe zu Ostern 1890 und kam am 15. April desselben Jahres in die Pension der Frau Pastorin Aßmann zu Braunschweig und in die Klasse IIb der Morich'schen Schule daselbst. Wegen ungünstiger Gesundheitsverhältnisse im Bereich genannter Pension, ward Lina zu Michaelis 1890 nach Celle bei Frau Major Deneke in Pension gegeben und zugleich in die III. Klasse der dortigen höheren Töchterschule aufgenommen. Ostern 1891 in die II. Klasse, Ostern 1892 in die I. Klasse versetzt, wurde sie aus letzterer am Palmsonntag, den 26. März 1893, von Herrn Oberkonsistorialrat Hartwig in der Stadtkirche zu Celle konfirmiert. Sie verblieb sodann zu Hause bis zum 2. Oktober desselben Jahres, an welchem Tage ihre Mutter sie in das Institut des Fräulein Chambordon nach Weimar brachte. Von dort kehrte sie zu Ostern 1894 nach Hause zurück. — Am 3. August 1897 verlobte Lina sich mit Hütteningenieur Wilhelm Völker aus Dresden, geboren in Kreuznach am 13. April 1866, welcher in der Königlichen Geschoßfabrik in Siegburg als technischer Betriebsleiter angestellt war. Das letzte Quartal 1897 verbrachte Lina im Hause von Onkel und Tante Groos in Düsseldorf zu ihrer ferneren Ausbildung in Handarbeiten, und wurde sie am 25. Juli 1898 in der Kirche zu Groß-Ilsede mit ihrem Verlobten getraut. Nach einer Reise über Kopenhagen ins südliche Norwegen kehrten die beiden in ihr Siegburger Heim ein und behielten dies inne bis Mitte des Jahres 1902, zu welcher Zeit Wilhelm Völker seine Stelle mit derjenigen des technischen Direktors der Firma Martin und Pagenstecher, Fabrik feuerfester Steine in Mülheim am Rhein, vertauschte. Wegen des hierdurch bevorstehenden Umzugs reiste Lina vor der Zeit ihrer ersten Entbindung nach Gießen zu ihren Eltern und wurde, da sich
eklamptische Anfälle einstellten, in dortiger Frauenklinik durch Professor Dr. Pfannenstiel schwer, aber glücklich entbunden. Es war dies am 10. Juni 1902. Von den beiden erschienenen, wohlgebildeten Knaben wurde leider nur einer lebend zur Welt gebracht. — Am 20. Juli empfing derselbe im Hause seiner Großeltern durch Pfarrer Euler die heilige Taufe und hierbei die Namen Roland Hermann Franz Johannes. Taufzeugen waren seine vier Großeltern: Franz Völker, Bildhauer in Dresden, dessen Ehefrau Johanna, geborene Braubach; Hermann Spamer, Rentner in Gießen und dessen Ehefrau Hermine, geborene Vomhof. — Nachdem Lina sich in einem vierwöchigen Aufenthalte in Langenschwalbach von den Folgen ihrer Niederkunft erholt hatte und nach Gießen zurückgekehrt war, erkrankte sie leider am 3. September schwer an Influenza und Unterleibsentzündung. Nach drei Wochen genas sie hiervon, vermochte am 26. desselben Monats an der Hochzeit ihrer Schwester Clärchen teil zu nehmen und reiste am 5. Oktober mit Mann und Kind nach Mülheim hin. Dort wohnt die Familie Völker seit Juli 1903 in ihrem eigenen behaglichen Hause.
Das sechste Kind Hermann Spamers ist: Bertha Ernestine Lydia Clara Spamer, geboren am 2. Dezember 1881, morgens 7 Uhr, getauft am 17. Februar 1882 zu Groß-Ilsede. Ihre Taufpaten waren: Frau Bertha Schramm, geborene Vomhof aus Herborn (Tante); Frau Lydia Börner, geborene Vomhof aus Münster i. W. (Tante) und Direktor Ernst Mette in Peine (Oheim). Am 9. April 1888 trat Clärchen in die Hüttenschule zu Neu-Oelsburg ein und verließ zu Ostern 1894 die höhere Nebenklasse derselben, um bis Ostern 1895 im Elternhause durch eine Hauslehrerin weiter unterrichtet und für den Lehrplan der später zu besuchenden Schule vorbereitet zu werden. Sodann wurde sie in diese Pension und Schule des Fräuleins von Hern in Hildesheim und zwar in die III. Klasse der letzteren, aufgenommen, ward Ostern 1896 in die II. und Ostern 1897 in die I. Klasse derselben versetzt. Von Ostern bis Herbst 1897 unterbrach sie, zu ihrer Kräftigung und zwecks eines vierwöchigen Kurgebrauchs in Kreuznach, ihren Aufenthalt in Hildesheim, kehrte danach aber wieder in ihre dortige Pension und Schule zurück. Zu Ostern 1898 verließ sie dieselben definitiv und wurde am 17. April in der Lambertikirche in Hildesheim durch Pastor Bartels konfirmiert. Danach kehrte Clärchen nach Hause zurück und zog Ende 1898 mit ihren Eltern nach Gießen. Hier verlobte sie sich am 9. Dezember 1900 mit dem praktischen Arzte Dr. Karl Ploch in Gießen, und wurde am 26. September 1902 in der Johanneskirche daselbst von Pfarrer Euler mit ihrem Verlobten getraut. Karl Ploch wurde geboren am 23. Februar 1872 als Sohn des praktischen Arztes Dr. Fritz Ploch und dessen Gattin Bertha, geborenen Limpert in Gießen. Nach dem Hochzeitsfeste trat das junge Paar eine Reise in die Schweiz und Oberitalien an und zog danach in sein Gießener Heim ein. — Im folgenden Jahre, am 26. Juni 1903, erschien in demselben ein gesundes Töchterchen und wurde am 12. August — dem 133. Geburtstage ihres Ururgroßvaters Spamer in Crainfeld — von Pfarrer Schlosser auf den Namen Ilse Hermine Bertha getauft. Patenstelle vertraten ihre Großeltern: Hermann Spamer, Rentner in Gießen, dessen Ehefrau Hermine, geborene Vomhof, und Frau Dr. Bertha Ploch, geborene Limpert in Gießen.
Die Familie Vomhof, früher vom Hof, welcher Hermine, die Frau Hermann Spamers angehört, stammt, soweit kirchenbuchlich bestätigte Nachrichten vorliegen, aus Laasphe. Sie soll, wie mündliche Familientradition berichtet - hierüber vorhanden gewesene schriftliche Nachrichten sind verloren gegangen — nach Aufhebung des Edikts von Nantes (1688), aus der französischen Schweiz nach Deutschland eingewandert sein und den Namen de la Cour geführt haben. Nach Mitteilung des Oberpfarrers Groos in Laasphe wird in den dortigen Kirchenbüchern der Name
bis zum Jahre 1783 getrennt, entweder Vom Hof, oder vom Hof, seit 1783 zusammenhängend und als ein Wort Vomhof geschrieben. Wie ein meinerseits aufgestellter Stammbaum ausweist, teilte sich in der 2. Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts die Familie in die Burbacher und Hombresser Linie. Letztere behielt die getrennte Schreibweise des Namens bei, während die ältere Burbacher Linie ihren Namen Vomhof schreibt. Genaueres über diese Familien ist aus dem in meinem Besitze befindlichen Stammbaum zu ersehen; hier mögen nur die direkten Voreltern von Hermine Spamer, geborenen Vomhof, sowie ihre Geschwister folgen:
- 1. Joh. Jacob vom Hof, Meister in Laasphe, getraut am 12. Juni 1708 mit Anna Gertraud Hammer;
- 2. Joh. Philipp vom Hof, Meister in Laasphe, geboren am 8. November 1709, verehelicht mit Anna Margarethe Hahn;
- 3. Johann Jacob vom Hof, Bürgermeister in Laasphe, geboren am 4. Oktober 1743, gestorben am 24. März 1795, verheiratet in erster Ehe mit Alexandra Concordia Balthasar, geboren am 31. Dezember 1748 als Tochter des Forstmeisters Gustav Balthasar, gestorben am 28. November 1771;
- 4. Leopold Vomhof, Kaufmann in Burbach, geboren in Laasphe am 18. März 1768, gestorben in Burbach am 10. Januar 1829, und Katharina Elisabeth Bieler, geboren am 26. April 1777 als Tochter des Bürgermeister Albertus Bieler in Burbach, und gestorben daselbst am 2. Dezember 1815;
- 5. Jacob Christian Vomhof, Kaufmann in Burbach, geboren am 10. Dezember 1800, gestorben am 29. Januar 1858 in Burbach, und Luise Katharina Pauly, geboren am 15. April 1808, als Tochter des Bürgermeisters Nicolaus Pauly in Altenkirchen, gestorben am 1. April 1883 in Herborn.
Diese waren die Eltern von Hermine Christiane Henriette Sophie Vomhof, Hermann Spamers Frau, welche selbst am 15. Februar 1844 in Burbach geboren ward. Ihre Paten waren: Frau Sophie Thomas in Burbach; Frau Henriette Bierbrauer aus Altenkirchen; Auktionskommissar Gläser in Burbach und Rentner Christian Wagner daselbst. — Herminens Geschwister sind, bezw. waren:
- Dorothea Wilhelmine Christine Vomhof, geboren am 16. Juli 1831, gestorben am 27. Februar 1832 in Burbach;
- Alwine Christiane Wilhelmine Vomhof, geboren in Burbach am 1. Februar 1833, vermählt mit Kaufmann Ludwig Diehl in Wahlbach, gestorben am 28. Juni 1882 in Burbach;
- Emma Charlotte Katharina Franziska Vomhof, geboren in Burbach am 25. September 1834, vermählt mit Betriebsinspektor Heinrich Rüger in Deutz, gestorben am 20. Februar 1902 in Godesberg;
- Emilie Caroline Wilhelmine Friederike Vomhof, geboren in Burbach am 30. Juli 1836, verehelicht mit Kaufmann Adolf Christ in Elberfeld, gestorben am 11. November 1885 in Elberfeld;
- Ida Ludovika Margarethe Vomhof, geboren in Burbach am 31. Mai 1839, verehelicht mit Kommerzienrat Karl Vering in Hannover;
- Rosalie Caroline Vomhof, geboren am 12. Juli 1841, gestorben am 17. Dezember 1842 in Burbach;
- Bertha Wilhelmine Christine Vomhof, geboren am 23. Mai 1846 in Burbach, verehelicht mit Lederfabrikant Eduard Schramm in Herborn;
- Laura Vomhof, geboren am 15. Juni 1849 in Burbach, verehelicht mit Direktor Ernst Mette in Eschweiler; (97 ≡)
- Wilhelm Christian Leopold Vomhof, geboren am 14. April 1854, gestorben am 14. Dezember 1856 in Burbach.
Das 5. Kind von J. H. G. Christian Spamer in Hermannstein, und zwar das 2. Kind aus 3. Ehe, ist: Henriette Caroline Antonette Emilie Wilhelmine Spamer, geboren am 24. April und getauft am 13. Juni 1841 in Hermannstein. Ihre Taufpaten waren: Henriette Steinberger, Ehefrau des Hofgerichtsadvokaten Ludwig Steinberger aus Gießen (Tante); Karl Spamer aus Altenschlirf (Oheim); Karl Emmelius aus Aßlar (Oheim); Fräulein Antonette Windecker aus Gießen und Fräulein Emilie Spamer aus Crainfeld (Bäschen). Zu Pfingsten 1855 wurde Minchen in der Hermannsteiner Kirche von ihrem Vater konfirmiert und kam Mitte 1856 zu ihrer weiteren Ausbildung auf etwa 5/4 Jahre in das Pensionat des Fräuleins C. Spitz nach Hanau. Nach Hause zurückgekehrt, verlobte sie sich bereits am 30. Dezember 1857 mit dem Kaufmann und Bankier Joh. Heinrich Julius Kellner in Wetzlar, Sohn des zu Roßleben, im Regierungsbezirke Merseburg, verstorbenen Gutsbesitzers Joh. Christian Andreas Kellner, und dessen Ehefrau Maria Rosina Friederike Weileb aus Roßleben. Derselbe war geboren am 12. April und getauft am 23. April 1828 in Roßleben. Seine Taufpaten waren: Gottlob Nasemann; Heinrich Erlemann und Frau Gesine aus Artern. Konfirmiert wurde er am 3. April 1842. — Am 17. Oktober 1858 fand die Vermählung der Verlobten in der Kirche zu Hermannstein durch Pfarrvikar Krauß statt und sind aus ihrer Ehe entsprossen folgende neun Kinder:
als 1. Kind: Theodor Friedrich Christian Ferdinand Julius Kellner, geboren am 17. November 1859, getauft am 19. Dezember in Wetzlar. Paten waren: Frau Dorothea Dornemann aus Kesselbach (Urgroßtante); Pfarrer Christian Spamer aus Hermannstein (Großvater); Frau Friederike Kellner aus Roßleben (Großmutter) und Amtmann Ferdinand Schmidt aus Burgholzhausen in Thüringen (Oheim). Am 3. Februar 1883 heiratete Julius Fräulein Adele Müller aus Düsseldorf, geboren am 16. Juni 1864. — Ihre Ehe blieb kinderlos;
als 2. Kind: Friederike Hermine Mathilde Anna Kellner, geboren am 3. März, getauft am 31. März 1861 in Wetzlar. Taufzeugen waren: Frau Friederike Schmidt aus Burgholzhausen (Tante); Hermann Spamer aus Hermannstein (Oheim); Fräulein Anna Spamer aus Hermannstein (Tante); Fräulein Mathilde Kißner aus Hermannstein und Rechtsanwalt Hermann Steinberger aus Gießen. Anna wurde am 9. April 1876 konfirmiert, besuchte danach die Pension der Frau Pfarrer Reinhard in Neuwied, und heiratete am 20. Mai 1882 den Dr. chem. Hans Wiesinger in Fechenheim, geboren am 7. November 1851 in Untermagerbein in Bayern. Die Kinder derselben sind: 1. Christiane Wilhelmine Agnes Anna Wiesinger, geboren am 8. Juni 1884 in Wetzlar und getauft am 17. Juli daselbst. Ihre Paten waren: Pfarrer emerit. Christian Spamer aus Wetzlar (Urgroßvater); Frau Wilhelmine Kellner aus Wetzlar (Großmutter); Frau Konsistorialrat Professor Dr. Agnes Wiesinger aus Göttingen (Großmutter) und Herr Professor Richard Zöpfel aus Straßburg (Oheim). — 2. Hans Wiesinger, geboren am 27. April und getauft am 19. Juni 1887 in Elze. Seine Taufzeugen waren: Julius Kellner, Bankier in Wetzlar (Großvater); Konsistorialrat Professor Dr. August Wiesinger aus Göttingen (Großvater) und Dr. med. August Wiesinger in Hamburg (Oheim);
als 3. Kind: Ernst Louis Kellner, geboren am 21. Februar, getauft am 23. März 1862 in Wetzlar. Pate war: Ludwig Spamer von Hermannstein (Oheim). Louis starb bereits am 12. April 1862;
als 4. Kind: Karl Heinrich Ludwig Otto Kellner, geboren am 19. Januar und getauft am 14. Februar 1864 in Wetzlar. Seine Paten waren: Kaufmann Karl W. Eckhard aus Gotha, früherer Prinzipal seines Vaters; Frau Henriette Steinberger, geborene Emmelius aus Gießen (Großtante) und Frau Sophie Emmelius, geborene Remy aus Gießen (Großtante). Otto besuchte das Gymnasium in Wetzlar bis Ostern 1881 und verließ dasselbe mit dem Befähigungszeugnis zum einjährig-freiwilligen Militärdienste versehen, um sich dem Kaufmannsstande zu widmen. Seine Lehrzeit begann er Ende Juni 1881 im Bankhause Nikolaus Schmidt in Frankfurt a. M. und beendete sie daselbst im Jahre 1883. Nach einem vorübergehenden Aufenthalte auf dem, damals seinem Vater gehörigen Gute Neuenhain, absolvierte er sein einjähriges Militärdienstjahr von Oktober 1884 bis 1885 bei dem 10. Jägerbataillon in Goslar und trat hierauf, zu längerem Verbleib, bei der Nordhäuser Bank in Nordhausen als Volontär ein. Von dort aus verlobte er sich am 26. Mai 1887, bei einem Familienzusammensein in Wetzlar, mit seinem Bäschen Hermine Spamer, Tochter seines Oheims Hermann Spamer und dessen Ehefrau Hermine, geborene Vomhof in Groß-Ilsede. Nach seinem Abgange von Nordhausen nahm Otto eine Stellung beim Bankhause Ludwig Peters in Braunschweig an, und verließ dieselbe im Jahre 1888, um in Wetzlar im väterlichen Bankgeschäft als Buchhalter einzutreten. Dort führte er die doppelte Buchführung ein. Am 27. Mai 1889 wurde er mit seiner Braut in der Kirche zu Groß-Ilsede getraut. Nach einer vierwöchigen Reise in die Schweiz kehrten die jungen Ehegatten in Wetzlar häuslich ein. Im Juli des folgenden Jahres fand Otto seinen bis dahin an dem Geschäft beteiligten älteren Bruder Julius durch eine Geldentschädigung ab, trat an dessen Statt als Teilhaber in das väterliche Geschäft ein und übernahm, nach seines Vaters Tode im Februar 1895, die Firma Julius Kellner, unter Kapitalbeteiligung seiner Mutter als alleiniger Inhaber. — Bezüglich seines Militärverhältnisses sei noch erwähnt, daß Otto Kellner, s. Z. zum Leutnant[10] der Reserve im 10. Jägerbataillon ernannt, in lebhafter Freude am militärischen Dienste und Leben, an den Offiziersübungen auch nach Verlegung seines Bataillons nach Colmar im Elsaß und nach seiner Versetzung in das 11. Jägerbataillon in Marburg bis in letztere Zeit teilgenommen hat. — Ende 1898 vertauschte die Familie Otto Kellner ihre bis dahin inne gehabte, zwar traulich gelegene, aber beschränkte Mietwohnung mit einem selbsterbauten schönen Hause. Die Kinder derselben sind bereits unter dem Namen der Mutter Hermine, geborene Spamer, verzeichnet;
als 5. Kind: Pauline Albertine Antonie Caroline Kellner, geboren am 25. März, getauft am 24. April 1866. Ihre Taufzeugen waren: Fräulein Pauline Domer aus Frankfurt a. M.; Dr. med. Albert Reinhard aus Wetzlar und Frau Apotheker Antonie Braun, geborene Steinberger, aus Nidda. Caroline starb leider schon am 12. Oktober 1867;
als 6. Kind: ein Söhnchen; es ward geboren am 22. November 1868, starb jedoch schon am folgenden Tage und ward am 25. November beerdigt;
als 7. Kind: Hermann Louis Emil Kellner, geboren am 25. Oktober und getauft am 25. November 1869 in Wetzlar. Die Taufzeugen waren: Frau Hüttendirektor Hermine Spamer aus Groß-Ilsede (Tante); Kaufmann Louis Treff aus Wetzlar und Oberstabsarzt Dr. Emil Groos aus Düsseldorf (Oheim). Emil starb am 30. Juli 1870;
als 8. Kind: Friederike Wilhelmine Luise Caroline Kellner, geboren am 30. August und getauft am 26. September 1871. Sie wurde aus der Taufe gehoben von: Gutspächter Friedrich Koch aus Marienborn; Premierleutnant Wilhelm Groos; Fräulein Mina Emmelius aus Gießen und Fräulein Luise Meyer aus Hermannstein. — Lina wurde am 18. April 1886 in Wetzlar konfirmiert und besuchte im folgenden Jahre die Pension des Fräuleins Wulsten in Kassel, sowie im Winter 1889 auf 1890, zu ihrer weiteren gesellschaftlichen Ausbildung, das
Familienpensionat der Frau Regierungsrat Brüggemann in Hannover. Seit ihrer Rückkunft von dort weilt Lina im Elternhause;
als 9. Kind: ein Söhnchen; es wurde geboren am 14. Februar 1873 in Wetzlar, starb schon am 16. und ward am 19. desselben Monats zu Grabe getragen.
Am 23. Februar 1895 mußte der Vater Julius Kellner, dessen Gesundheit schon seit längeren Jahren durch ein organisches, seine Ernährung erschwerendes Halsleiden gelitten hatte, einem Schlaganfalle erliegen. In seinen gesünderen Jahren von frischem Geiste und gern vergnügten Sinnes, legte ihm späterhin sein Leiden und die Abnahme seiner Kräfte große Entsagung an allen geselligen Freuden auf. Sein liebenswürdiges Wesen erhielt er sich aber auch in dieser für ihn schweren Zeit und hat dieses wiederum auch ihm viele Liebe erworben. — Minchen, die das Andenken an ihren geliebten Gatten in treuem Herzen bewahrt, hat in ihrer Tochter Lina eine gute und getreue Hausgenossin behalten.
Das 6. Kind von J. H. G. Christian Spamer in Hermannstein, und zwar das 3. Kind 3. Ehe, ist: Ludwig Ernst Spamer, Oberamtmann auf Kinzigheimer Hof bei Hanau und später in Darmstadt, geboren am 6. April und getauft am 17. April 1843 in Hermannstein. Seine Paten waren: Kreisrichter Louis Emmelius in Bendorf (Oheim) und Fräulein Luise Sturm in Wetzlar. Ludwig kam Herbst 1855 in die Quarta des Gymnasiums zu Gießen, wurde am 1. Juni 1857 in der dortigen Stadtkirche durch Pfarrer Landmann konfirmiert und verließ Herbst 1859, nach noch halbjährigem Besuche der Sekunda, das Gymnasium, um sich praktisch und theoretisch für die Landwirtschaft auszubilden. Einer zweijährigen Lehrzeit auf dem Hofgute Appenborn bei Londorf folgte 1861/62 der Besuch der landwirtschaftlichen Schule in Friedberg und von 1863 bis 1866 praktische Tätigkeit als Verwalter auf thüringischen Gütern zu Guthmannshausen, Roßleben und Ostramondra. Hiernach besuchte Ludwig drei Semester 1866/67 die mit der Universität Halle verbundene landwirtschaftliche Akademie. Nach fernerer Tätigkeit auf Gütern und informatorischen Reisen pachtete er Ende Januar 1872 das Domänenvorwerk Kinzigheimer Hof bei Hanau. Erst am 1. Januar 1882 verlobte er sich, und zwar mit Fräulein Marie Klingspor in Wetzlar, geboren am 8. September 1859 als Tochter des Pfarrers Heinrich Klingspor und dessen Ehefrau Lina, geborene Groos, zu Koppelweide bei Gummersbach. Am 20. Mai 1882 wurden die Verlobten in Wetzlar von Pfarrer Schöler getraut. Dem Hochzeitsfeste, welches zugleich mit demjenigen von Anna Kellner und Dr. Hans Wiesinger gefeiert wurde, ließen sie eine Reise in die Schweiz und nach Oberitalien folgen. Am 1. August 1874 wurde Ludwig durch den damaligen Oberpräsidenten von Bodelschwing zum Standesbeamten von Bruchköbel und drei naheliegenden Orten, im Mai 1886 durch die Regierung in Kassel zum Gutsvorsteher ernannt, wonach er auf seinen Antrag, von dem zeitigen Landrat in Hanau, Grafen Wilhelm von Bismarck, vom Standesamtsdienst enthoben ward. Am 27. März 1889 erhielt Ludwig das Patent als Königlicher Oberamtmann durch den damaligen Preußischen Minister für Landwirtschaft, Freiherrn Lucius, einen Charakter, welcher bei befriedigendem Verlaufe des Pachtverhältnisses nach einer 18jährigen Pachtzeit verliehen werden kann, die Treue zum Königlichen Hause und Förderung des Staatswohls verlangt und Schutz der damit verbundenen Rechte zusagt. — Nach 26 Jahren mehr und weniger schweren Kampfes mit widrigen Verhältnissen, welche er auf die Dauer nicht zu überwinden vermochte, gab Ludwig Ende 1898 seine Pachtung ab und zog am 23. Januar 1899 mit seiner Familie nach Darmstadt. Dort verlor er leider schon am 31. Juli desselben Jahres seine fleißige, treu waltende Gattin, welche gar manche Sorge und Mühe mit ihm getragen und, bei ihrer nicht starken Konstitution, den Überzug aus der Landwirtschaft zur Stadt wohltuend empfunden hatte. Sie mußte einem schon länger bestandenen Frauenleiden erliegen, welches sie standhaft ertrug, und welches die ärztliche Kunst nicht
beseitigen konnte. Ihrer Asche wurde auf dem Friedhofe zu Darmstadt eine Erbstätte bereitet. Der Ehe Ludwigs und Marie Spamers sind entsprossen:
als 1. Kind: Else Marie Luise Spamer, geboren am 24. Mai und getauft am 5. Juli 1883 zu Kinzigheimer Hof. Ihre Paten waren: Christian Spamer, Pfarrer emerit. aus Wetzlar (Großvater); Hermann Spamer, Hüttendirektor aus Groß-Ilsede (Oheim); Emilie Groos, Witwe des Pfarrers Christian Groos, aus Wiesbaden (Urgroßmutter); Caroline Klingspor, Witwe des Pfarrers Heinrich Klingspor, aus Wetzlar (Großmutter) und Fräulein Johanne Klingspor aus Wetzlar (Tante). Else führt nach dem Tode ihrer Mutter den väterlichen Haushalt in Darmstadt und bildet zugleich ihr schönes musikalisches Talent auf dem dortigen Konservatorium aus, um dasselbe im Klavierunterricht zu verwerten;
als 2. Kind: Ludwig Wilhelm Emil Heinrich Spamer, geboren am 18. November 1884 und getauft am 31. Januar 1885 zu Kinzigheimer Hof. Seine Taufpaten waren: Frau Wilhelmine Kellner, Ehefrau des Bankiers Julius Kellner aus Wetzlar (Tante); Dr. med. Emil Groos, Oberstabsarzt aus Düsseldorf (Oheim) und Heinrich Klingspor, früher Pfarrer, z. Z. Direktor aus Mannheim (Oheim). Nachdem Ludwig das Gymnasium in Hanau und die Hofmann'sche Handelsschule in St. Goarshausen besucht hatte, trat er ins Gymnasium in Darmstadt ein. Er verließ dasselbe mit dem Befähigungszeugnis für den einjährig-freiwilligen Militärdienst, um sich auf der dortigen technischen Hochschule in Maschinenbau und Elektrotechnik abzubilden;
als 3. Kind: Hermann Spamer, geboren am 28. April und getauft am 3. Juni 1886 zu Kinzigheimer Hof. Er wurde aus der Taufe gehoben von: Frau Direktor Auguste Berendt Witwe, geborene Groos, aus Düsseldorf (Großtante); Adolf Klingspor, Mechanikus aus Berlin (Oheim); Julius Kellner, Kaufmann aus Berlin (Vetter) und Frau Dr. Anna Wiesinger aus Wetzlar (Bäschen). Hermann besuchte zuerst das Gymnasium in Hanau und hierauf dasjenige in Darmstadt bis zum Erhalt des Befähigungszeugnisses für den einjährig-freiwilligen Militärdienst. Danach trat er, um sich kaufmännisch auszubilden, in einer Buchhandlung in Darmstadt als Lehrling ein.
Das 7. Kind des J. H. G. Christian Spamer in Hermannstein, und zwar das 4. Kind 3. Ehe, war: Luise Johannette Henriette Caroline Spamer, geboren am 7. April, abends 8 ¾ Uhr und getauft am 4. Mai 1845. Ihre Taufzeugen waren: Luise, Ehefrau des Kaufmanns Wilhelm Henn aus Grenzhausen[11] im Herzogtum Nassau; Luise, Ehefrau des Kaufmanns Fritz Henn aus Mogendorf im Herzogtum Nassau; Johannette, Tochter des weiland Pachters Georg Konrad Meyer in Hermannstein; Henriette, Tochter des weiland Organisten Theodor Spamer aus Crainfeld (Bäschen) und Peter Vogel, Schulvikar aus Hermannstein. Lina, ein Kind von besonders liebevollem, sanftem Charakter, wurde schon in jugendlichem Alter nach längerem Leiden, zu dem sich Gehirnentzündung gesellte, am 6. September 1858, morgens 5 ¾ Uhr, den Ihrigen durch den Tod entrissen. Über den Verlauf ihres Leidens ist ausführlich in der Chronik ihres Vaters aus dem Jahre 1857 geschrieben und möge darum hier auf jene Stelle verwiesen sein. Auf dem Friedhofe zu Hermannstein ist sie zur Ruhe bestattet.
Das 8. Kind des J. H. G. Christian Spamer in Hermannstein, und zwar das 5. Kind 3. Ehe, ist: Anna Elisabetha Wilhelmine Caroline Spamer, geboren am 16. September und getauft am 17. Oktober 1847 in Hermannstein. Gevattern waren: Elisabetha, Tochter des Pfarrers Franz Niedermayer aus Aßlar; Caroline, Tochter des Hofgerichtsadvokaten Ludwig Steinberger aus Gießen (Bäschen) und Wilhelm Dornemann, Papierfabrikant aus Kesselbach, Kreis Grünberg. — In Hermannstein am 20. Mai 1861 konfirmiert, besuchte Anna vom 21. Juli 1861 bis zum 21. Oktober 1862 das Pensionat des Fräuleins C. Spitz in Hanau, kehrte dann nach Hause zurück und führte von 1864 ab den väterlichen Haushalt. Im Juni 1869
besuchte Anna ihre Geschwister in Groß-Ilsede und verlobte sich dort mit Dr. med. Emil Groos, welcher z. Z. in Wunstorf, Provinz Hannover, als Stabsarzt in Garnison lag. Dieser ward geboren am 7. Januar 1838 zu Berleburg, Kreis Wittgenstein, als Sohn des Geheimen Regierungsrats Wilhelm Friedrich Groos und dessen Ehefrau Christiane Amalie, geborene Martin aus Erndtebrück. — Am 7. Juni 1870 wurden Anna und Emil in Wetzlar von Pfarrer Schöler getraut und zogen danach in ihren Wohnsitz zu Wunstorf ein. Nach der Trennung, welche ihnen der kurz darauf ausbrechende Krieg gegen Frankreich auferlegte, blieben sie noch bis 1872 in Wunstorf und schlugen danach bis zum Juni 1877 ihr Quartier in Northeim auf. Zu letztgenannter Zeit ward Emil als Oberstabsarzt nach Düsseldorf versetzt und verzog die Familie Groos nunmehr nach dieser schönen Rheinstadt, in welcher sie sich nach einigen Jahren, zu voraussichtlich dauerndem Verbleib, ein eigenes Heim erworben hat. - Emil Groos studierte, nach dem auf dem Gymnasium in Wetzlar abgelegten Maturitätsexamen, von Herbst 1857 bis August 1861 in Berlin Medizin und war Mitglied des dortigen Korps Normannia. Im August 1861 zum Dr. med. promoviert, und im Mai des folgenden Jahres zum praktischen Arzt ernannt, wurde er, von seiner ersten militärischen Stellung als Assistenzarzt, 1867 zum Stabsarzt, 1877 zum Oberstabsarzt II. Klasse und 1887 zum[12] Oberstabsarzt I. Klasse befördert. Aus Gesundheitsrücksichten erbat er im Oktober 1888 seinen Abschied und ward ihm dieser am 31. genannten Monats mit Pension bewilligt. — Seit dieser Zeit widmet er sich der Privatpraxis und, nach seiner am 1. Januar 1893 erfolgten Wahl zum Stadtverordneten, den städtischen Angelegenheiten Düsseldorfs. 1897 wurde ihm der Charakter als Sanitätsrat verliehen. — Emil machte den Krieg gegen Österreich 1866 und den französischen Krieg 1870/71, ersteren als stellvertretender Stabsarzt in der 16. Division, letzteren als Feldregimentsarzt im Braunschweigischen Husarenregiment Nr. 17 mit, und wurde hierbei durch Verleihung des Eisernen Kreuzes II. Klasse, sowie des Braunschweigischen Ritterkreuzes des Ordens Heinrich des Löwen ausgezeichnet. Außerdem schmücken der Rote Adlerorden IV. Klasse und das Dienstauszeichnungskreuz, nebst drei Erinnerungsmünzen und Medaillen seine Brust.
Der Ehe von Emil und Anna Groos sind entsprossen:
1. Wilhelm Christian Paul Groos, geboren in Wunstorf am 14. Juni 1872. Seine Taufpaten waren: Geheimer Regierungsrat Wilhelm Friedrich Groos aus Wetzlar (Großvater); Pfarrer emerit. Christian Spamer aus Wetzlar (Großvater); Frau Wilhelmine Kellner, geborene Spamer, aus Wetzlar (Tante) und Fräulein Pauline Groos in Lennep (Tante). Wilhelm besuchte von Ostern 1882 bis dahin 1887 das Königliche Gymnasium, von Ostern 1887 bis dahin 1891 das Städtische Gymnasium zu Düsseldorf, verließ dasselbe nach abgelegtem Maturitätsexamen und bezog sodann, zur Pflege juristischer Studien, die Universität Lausanne. Nach einjährigem Verbleib auf derselben, trat er am 1. April 1892 als Fahnenjunker in das 2. Rheinische Feld-Artillerie-Regiment Nr. 23 in Koblenz ein, ward am 17. Januar 1893 zum Leutnant ernannt und von hier 1899 bis 1900 zur Artillerie-Ingenieurschule nach Berlin kommandiert. Im Frühjahre 1901 trat Wilhelm in das Lehr-Regiment der Feld-Artillerie in Jüterbog, zu Oktober 1901 in das 2. Westfälische Artillerie-Regiment Nr. 22 (Münster) ein und wurde er zur Kriegs-Akademie in Berlin kommandiert. Am 18. Mai 1901 erfolgte seine Ernennung zum Oberleutnant;
2. Hermann Christian Otto Groos, geboren am 11. September 1873 in Northeim und daselbst von Pfarrer Höpfner getauft. Seine Taufpaten waren: Frau Geheime Regierungsrat Christiane Groos, geborene Martin, aus Wetzlar (Großmutter); Hüttendirektor Hermann Spamer aus Groß-Ilsede (Oheim) und Buchhändler Otto Groos, später Privatgelehrter in Marburg (Oheim). Hermann frequentierte von 1882 bis 1887 das Königliche Gymnasium, von da bis Ostern 1892 das Städtische Gymnasium in Düsseldorf und bezog, nach bestandenem Maturitätsexamen,
für die Zeit vom 1. April bis Herbst 1892 die Universität Lausanne. Am 1. Oktober 1892 trat er in das Nassauische Feld-Artillerie-Regiment Nr. 27 in Mainz ein, ward am 17. Mai 1894 zum Leutnant befördert, 1899 und 1900 zur Artillerie-Ingenieurschule kommandiert und steht jetzt beim 2. Nassauischen Feld-Artillerie-Regiment Nr. 63 in Mainz. Seit dem 1. Oktober 1901 ist er auf die Kriegs-Akademie in Berlin kommandiert. — Am 4. April 1903 verheiratete Hermann Groos sich mit Fräulein Sophie Glaser, Tochter des Professors Dr. Glaser, Oberlehrer am Gymnasium in Homburg v. d. H., und seiner Gattin Elise, geborene Goebel;
3. Ludwig Friedrich Hermann Groos, geboren in Northeim am 23. Dezember 1875 und daselbst gestorben am 28. Januar 1876;
4. Ludwig Wilhelm Gustav August Groos, geboren am 3. Juli und getauft am 18. August 1878 in Düsseldorf. Taufpaten waren: Oberamtmann Ludwig Spamer vom Kinzigheimer Hof (Oheim); Hauptmann Wilhelm Groos, Batteriechef im 23. Feld-Artillerie-Regiment aus Jülich (Oheim); Frau Auguste Kraemer, geborene Hagen, aus Ameln bei Jülich und Gustav Martin aus Düsseldorf (Großoheim). Nach abgelegtem Maturitäsexamen am Städtischen Gymnasium in Düsseldorf, welches er von Ostern 1888 bis 1897 besuchte, bezog Ludwig als stud. juris am 1. April 1897 für 2 Semester die Universität Lausanne. Das Sommersemester 1898 verbrachte er auf der Universität in München, das Wintersemester 1898/99 auf derjenigen in Berlin, studierte von Ostern 1899 bis dahin 1900 in Bonn und ging danach, zur Vorbereitung fürs Referendarexamen, nach Köln. Er bestand dasselbe beim dortigen Ober-Landesgericht am 11. Juni 1900. Im folgenden August im Bezirk des Landgerichts Düsseldorf angestellt, ward er zunächst dem Amtsgericht zu Gerresheim und später dem Landgericht in Düsseldorf zur Beschäftigung am Landgericht, bei der Staatsanwaltschaft und der Rechtsanwaltschaft überwiesen. Was sein Militärverhältnis angeht, so diente Ludwig Groos vom 1. Oktober 1900 bis dahin 1901 als Einjährig-Freiwilliger in dem 2. Rheinischen Feld-Artillerie-Regiment Nr. 23 in Köln und absolvierte in den Jahren 1902 und 1903 seine erste und zweite Übung. Am 9. Oktober 1903 wurde Ludwig in Rostock zum Dr. juris promoviert;
5. Eduard Wilhelm Hermann Groos, geboren am 20. Juli 1888 und getauft in Düsseldorf. Seine Taufpaten waren: Hofrat Eduard Groos aus Laasphe; Frau Hüttendirektor Hermine Spamer, geborene Vomhof, aus Groß-Ilsede (Tante) und Wilhelm Groos aus Düsseldorf (Bruder). — Eduard trat Ostern 1898 in das Städtische Gymnasium ein und Ostern 1899 in die Städtische Ober-Realschule in Düsseldorf über, in welcher er jetzt die Unter-Sekunda besucht.
Der jüngste der drei Söhne Christian Spamers in Crainfeld war: Joh. Karl Wilhelm Spamer, Einnehmer in Altenschlirf. Er wurde am 3. Februar 1810, morgens zwischen 4 und 5 Uhr in Crainfeld geboren und am 12. eodem getauft. Gevattern waren: Frau Pfarrer Caroline Scriba aus Wingershausen; Jungfer Wilhelmine Schuchard; Joh. Konrad Rühl aus Schotten (Großvater) und Friedrich Jacob Dornemann aus Kesselbach (Oheim). Karl Spamer kam, nachdem er von seinem Bruder Christian, während des letzteren Kandidatenzeit, in Crainfeld vorunterrichtet war, in das Gymnasium in Gießen und blieb darin bis Herbst 1827. Sodann verließ er diese Anstalt ein halbes Jahr und bereitete sich zu Hause für den Eintritt in das Gymnasium in Wetzlar vor. In dasselbe aufgenommen unterzog er sich nach 1½ Jahren der Aufnahmeprüfung zum Bezuge der Universität Gießen mit Erfolg und ward auf letzterer am 9. Dezember 1829 als stud. theologiae inskribiert. — In einem Briefe seines Vaters an dessen Hermannsteiner Sohn Christian vom 19. Januar 1830 heißt es: „Karl bildet sich nicht wenig auf den Student ein; — Deiner Mutter war sein Anzug zu pomphaft; — doch ist er weit lebhafter geworden, als er vorher als Klassik (Gymnasiast) war; auch hat er versprochen, künftige Ostern für mich und Kühn einmal zu predigen.“ — Wenn Karl Spamer nun auch in der Folgezeit
mehrfach, und zur vollen Zufriedenheit seines Vaters und anderer, die Kanzel betreten hat und ein durchaus befähigter Kopf war, so fehlte es ihm leider doch wohl an der nötigen Energie, sein Studium zum guten Ende zu führen. Er zog am 18. August 1833, ohne sich zum Examen gemeldet zu haben, von Gießen ab. Als ein Jahr später sein Bruder Christian in Hermannstein durch den frühen Tod der ersten Frau schwer getroffen war, zog Karl Spamer zu demselben über um ihn aufzuheitern und um zugleich unter dessen Anleitung und Mitarbeit sich zum Examen weiter vorzubereiten. Doch auch hiernach unterzog er sich der Fakultätsprüfung nicht. — Hierzu kam nun leider die noch zu frühe begonnene Liebschaft mit seiner späteren Frau, und, wohl mit infolge hiervon, sein definitives Aufgeben des Studiums. — In dieser trüben Lage blieb ihm das Vaterhaus eine treue Hilfe und Zufluchtsstätte, in welcher er seine Familie gründen und bis zum Tode seines Vaters erhalten konnte. — Nachdem dieser Tod im Jahre 1847 eingetreten war, kaufte Karl Spamer sich in dem nahen größeren Pfarrdorfe Altenschlirf an, welches zu jener Zeit Landgericht, Arzt und Apotheke enthielt und angenehmeren gesellschaftlichen Verkehr bot. Er übernahm die Ortseinnehmerei und bewirtschaftete, unterstützt von seiner guten und fleißigen Frau, die von ihm angekauften Grundstücke in eigener Hofraithe. — Karl Spamer war ein anregender Gesellschafter, hatte lebhaftes Interesse an religiösen und politischen Fragen, wie an schöngeistiger Literatur. Er verstand es vorzüglich Erzeugnisse der letzteren vorzulesen. Sein Wesen neigte jedoch überwiegend zu passiver Betrachtung hin. Ein Umstand, der ihn zwar leider wenig zu ersprießlicher Tätigkeit kommen, aber auf der anderen Seite, in seinem kleinen Wirkungskreise, durch lange Jahre hin, ein zufriedenes Leben finden ließ. — Nach dem Tode seiner treuen Gattin und nachdem, bis auf die jüngste Tochter, alle Kinder das Vaterhaus verlassen hatten, gab er im Jahre 1876 seinen Wohnsitz in Altenschlirf auf. Er zog nach Gießen zu seiner verheirateten ältesten Tochter Katharine; ging indes am 4. Juni 1879 wieder nach Altenschlirf zurück und verblieb daselbst bis 1885, von welcher Zeit bis zum Jahre 1888 er bei seinem Sohne Friedrich in Friedberg seinen Aufenthalt nahm. Nach dem Tode der Frau des letzteren verlegte er seinen Wohnsitz wieder nach Gießen in das Haus seiner Tochter Katharine, wo er am 6. Februar 1890, im Alter von 80 Jahren und 3 Tagen an Alterschwäche verschieden ist. Seine Frau Elisabeth, geborene Lang aus Odenhausen auf der Rabenau, war am 23. Dezember 1809 geboren und starb in Altenschlirf am 29. November 1869. — Es wurden ihnen acht Kinder geboren.
Das älteste Kind des Joh. Karl Wilhelm Friedrich Spamer in Altenschlirf war: Leonhard Spamer, geboren in Odenhausen und früh daselbst gestorben;
hierauf folgte als zweites Kind: Wilhelm Spamer, geboren in Odenhausen am 27. April 1838. Derselbe wanderte, wie schon an früherer Stelle mitgeteilt, im Jahre 1854 nach Nordamerika aus, ließ sich in Philadelphia als Wagenbauer nieder und heiratete 1865 Hermine Ernst, Stieftochter seines mit ihm nach Amerika verzogenen Vetters Christian Spamer. Wilhelm hatte einen Sohn mit Namen Karl, welcher in Philadelphia ebenfalls Wagenbauer ist und vier brave, fleißige Töchter, von denen 1898 die älteste mit einem Amerikaner gut verheiratet war. Er selbst, ein treuer, ehrenhafter Charakter, starb in noch zu frühen Jahren am 11. Mai 1881;
das dritte Kind des Joh. Karl Wilhelm Friedrich Spamer in Altenschlirf war Katharine Spamer, geboren in Crainfeld am 30. März 1840. Sie heiratete den zuerst in Schlitz, später in Gießen ansässigen Gastwirt Christian Jungblut und hatte mit demselben einen Sohn und vier Töchter, alle in Schlitz geboren. Die zweitjüngste Tochter, Philippine, kam am 7. Juni 1870, die jüngste Tochter, Marie, am 30. September 1871 zur Welt. In Gießen verlor Katharine ihren einzigen Sohn durch Ertrinken in der Lahn noch in jugendlichem Alter, ihre Töchter sind alle verheiratet. Nachdem sie, die kräftige und freundliche Frau, ihren Vater in seinen letzten Jahren treu gepflegt hatte, wurde sie selbst von einem schweren Augenleiden
ergriffen; sie starb schon am 28. Oktober 1897, sieben Jahre nach dem Tode ihres Vaters und wurde auf dem alten Gießener Friedhofe zur Ruhe bestattet;
das vierte Kind Joh. Karl Wilhelm Friedrich Spamers in Altenschlirf ist: Mathilde Spamer, geboren am 26. Mai 1842 in Crainfeld. Sie folgte im Jahre 1868 ihrem älteren Bruder Wilhelm nach Nordamerika, heiratete dort ihren gleichfalls ausgewanderten Verlobten Leonhard Hauzenröder von Herbstein, und ließen sich dieselben in Mansfield, Staat Ohio, nieder. Dort hat Hauzenröder als Zigarrenmacher es von kleinem Beginn zu guten Verhältnissen gebracht. Ihrer Ehe sind 4 Söhne und eine Tochter entsprossen, letztere mit Namen Emma. Eine treue und liebevolle Tochter hat Mathilde, besonders in den ersten Jahren nach Verlassen der Heimat, sehr an Sehnsucht nach den Ihrigen und in erster Linie nach ihrem Vater gelitten — die Mutter starb bereits im ersten Jahre nach der Tochter Abreise — und rührend ist die Stelle eines Briefes, welchen sie im Oktober 1872 an ihren Vater richtete: „Du hast Recht, mein lieber Vater, wenn Du mich in Deinem Briefe (wegen meiner allzu großen Sehnsucht) tadelst, und doch kommt sie manchmal plötzlich und ganz gegen meinen Willen; denn was soll alles Wünschen und Wollen (nach Deutschland zurückzukehren) wenn man nicht kann. Daß Du jedoch glaubst, Leonhard theile die Sehnsucht nicht, darin bist Du im Irrthum, zwar nicht in einem solchen Grade wie bei mir; und wir wollen, wenn Leonhard Bürger des freien Amerika ist, unser Heil in Deutschland versuchen. Wenn es gar nicht mehr gehen sollte, dann müssen wir wieder zurück, dann haben wir wenigstens die Beruhigung es probirt zu haben. So lange, mein lieber Vater, wird es wohl noch währen, bis wir uns wieder sehen. O, mein Vater, Wiedersehen! welches Glück, und welche Qual, daß es noch so lange hinausgeschoben werden muß! O, könnte ich doch bei Dir bleiben mein Leben lang! Du schreibst, wenn wir uns nicht wiedersehen sollten, so wollen wir uns in Demuth und Gehorsam in Gottes Willen schicken. O, er wird es nicht wollen, ich könnte mich nicht in Demuth beugen; Gott hat mich meine Mutter nicht wiedersehen lassen, er wird gnädig sein und nicht noch mehr fordern. Deine Liebe zu mir ist unveränderlich, das weiß ich und ich hoffe und glaube sie auch zu verdienen; ich wollte, ich könnte es Dir durch die That beweisen.“ — — Sie hat ihm ihre Liebe auch sowohl durch ihren späteren Besuch, als auch durch ihre spendende Hand treulich bewiesen. — Auch der in seinen letzten Lebensjahren in bedrängter Lage lebende Vetter Christian in Brooklyn schreibt mit großer Dankbarkeit von der helfenden Güte seiner lieben Kousine Mathilde. — Möge es ihr stets wohlergehen!
Das fünfte Kind Joh. Karl Wilhelm Friedrich Spamers in Altenschlirf ist: Friedrich Spamer, geboren in Crainfeld am 18. Juli 1843, Pate seines Onkels Christian Spamer in Hermannstein. Zum Landwirt ausgebildet, war Friedrich lange Jahre Verwalter eines von Helmolt'schen Gutes in Friedberg und verheiratete sich dort mit Fräulein Emma Scheuermann, Tochter des Pfarrers Scheuermann in Höringhausen. Er hat aus seiner Ehe zwei Söhne: Karl, geboren am 17. Mai 1874 und Friedrich, geboren am 25. Januar 1876. Dieselben sind beide nach Amerika verzogen, ersterer nach Brasilien als Farmer, letzterer nach New-York mit der Absicht Apotheker zu werden. Friedrich Spamers Frau starb und lebt er jetzt mit seiner jüngsten Schwester Emma in Münzenberg, im Besitze einer Wirtschaft mit Kolonialwarengeschäft. Der Gute und Treugesinnte hat leider manchen Kummer in der Familie erleben müssen;
das sechste Kind Joh. Karl Wilhelm Friedrich Spamers in Altenschlirf war: Elisabeth Spamer, geboren in Crainfeld am 29. November 1844 und gestorben Ende August 1874 in Schadges. Sie war verheiratet mit Thomas Stock in Schadges und hatte mit ihm einen Sohn und zwei Töchter. Nach ihrem frühen Tode zog Stock mit den Kindern nach St. Louis in Nordamerika;
das siebente Kind Joh. Karl Wilhelm Friedrich Spamers in Altenschlirf ist: Karl Spamer, geboren in Altenschlirf am 14. August 1848. Er wanderte 1867 nach Nordamerika
aus, ließ sich in Mansfield als Zigarrenmacher nieder, heiratete und ist Vater geworden von einem Sohne und sechs Töchtern;
das achte Kind Joh. Karl Wilhelm Friedrich Spamers in Altenschlirf ist: Emma Spamer, geboren in Altenschlirf am 9. Mai 1851. Als jüngste Tochter blieb sie bei ihrem Vater, so lange dieser in Altenschlirf wohnte, und führte ihm den Haushalt. Danach war sie — und zwar von 1877 bis 1879 — auf dem Albacher Hofe und später längere Jahre auf dem von ihrem Bruder Friedrich verwalteten von Helmolt'schen Gute als Wirtschafterin tätig. Nach dem Tode ihrer Schwägerin stand sie dem Haushalte Friedrichs vor und begleitete denselben zu gleicher Tätigkeit nach Münzenberg, wo sie beide nun als die einzigen ihrer in Deutschland verbliebenen, lebenden Geschwister friedlich zusammen wohnen.
- Gießen, den 9. Dezember 1903.
- H. Spamer. (107 ≡)
- H. Spamer.
Autobiographie
Christian Spamers, Pfarrers in Hermannstein.
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Der Studenten- und Soldatenstreit
vorgefallen zu Gießen am 4. März 1821
und metrisch beschrieben von einem Augenzeugen.
Hermannstein, am 4. März 1862.
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- 233. Meinen Lesern wollte ich
- Wahrheit nur erzählen,
- Und mit ihr will ich auch mich
- Ihnen jetzt empfehlen.
- Christian Spamer. (163 ≡)
- Christian Spamer.
Die drei Rosen.
Die Erste Rose.
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- Hermannstein, am 15. März 1859.
- Christian Spamer. (175 ≡)
- Christian Spamer.
- Im Jahre 1824.
- KATHARINCHEN! Holdes Bäschen!
- Auf Dein Glück und Wohlergehn
- Trink' ich gern mein volles Gläschen.
- Ha, wie bist Du doch so schön! —
- Ach, als ich zuletzt Dich sah,
- Reizend standst Du vor mir da
- In der Anmuth Zauberkleide! —
- Nach derselben Augenweide
- Christians Herz — es ist von Eisen —
- Heftig Dein Magnet will reißen!
- Es erglüht schon von Verlangen,
- Nächstens an ihm fest zu hangen!
- Am 21. Juli 1824.
- Allerliebste!
- Glücklich und gesund bin ich wiederum zu Haus,
- Doch so glücklich, als bisher, sehe ich nicht aus;
- Denn die Freuden, die ich fand, als bei Dir ich war,
- Sind, das will ich gern gestehn, hier auf Erden rar!
- O, wie hatt' ich mich so sehr auf die schöne Zeit,
- Die ich neulich bei Dir war, schon voraus gefreut!
- Ach, sie war so schnell dahin! Und ich glaub' es kaum,
- Denn ich lebe noch in ihr, wie in einem Traum. —
- Und wie lieblich ist der Traum! Würd ich nur nicht wach!
- Zum Erwachen fühle ich jetzt mich noch zu schwach! (176 ≡)
- Träumt' ich nur noch Jahre fort, aber gradeso;
- O, dann wär' ich stets bei Dir! wäre immer froh!
- Schelte mir nun Niemand mehr auf die Träumerei!
- Mag sie eitel sein; sie macht selig doch dabei!
- Wachend kann ich ja Dich jetzt nicht mit Augen sehn!
- Doch im Schlafe seh ich Dich reizend vor mir stehn!
- Ach, Du bist ein schönes Kind! machst den Kopf mir warm!
- Und seit ich nicht bei Dir bin, ist mein Herz so arm! —
- Freilich — könnte ich nach Wunsch immer bei Dir sein,
- Könnt' ich dann auf's Wiedersehn mich so herzlich freun? —
- Unsre Trennung seh' ich drum als Bedingung an,
- Daß die Zukunft desto mehr mich beglücken kann!
- Und aus diesem Hoffnungsquell schöpfe ich die Kraft,
- Zu bezähmen durch Vernunft meine Leidenschaft!
- Unterm Monde sind ja oft Freunde lang getrennt,
- Wenn auch einer noch so sehr für den andern brennt.
- Beide bindet, obgleich frei, doch ein festes Band,
- Und im Wunsche kennen sie keinen Unbestand;
- Wenn ein Dritter sie auch gleich weit geschieden meint,
- Fühlen sie, sich noch so fern, dennoch sich vereint.
- O, Gedächtniß, Phantasie und Einbildungskraft,
- Wie viel Trost und Linderung habt ihr schon verschafft
- Dem, der die Geliebte schon lange heiß begehrt,
- Und ihr dieses doch bisher nie noch hat erklärt! —
- Weil er nicht besitzen kann sie im Augenblick,
- Hält im Herzen er sein Wort mit Gewalt zurück.
- Ach, sie wird — so denkt er — auch meinen Blick verstehn!
- Und in diesem kann sie ja meine Seele sehn!
- Längst durchdrang ihr Zauberblick schon mein ganzes Herz!
- Wie kann ihr verborgen sein meiner Sehnsucht Schmerz?
- O, ich sehe es ihr an: sie weiß, was ich will.
- Darum schweige ich auch jetzt gänzlich davon still. —
- Auf den Schotter Sommermarkt willst Du kommen her!
- Ach, wenn dieser liebe Markt doch schon morgen wär!
- Süßes Mädchen! halte Wort! denn ich sag' Adieu
- In der Hoffnung, daß ich Dich baldigst wiederseh!
- Tausend Grüße sende ich an das ganze Haus,
- Theile sie, ich bitte Dich, nach Belieben aus!
- Doch Wem wird der zärtlichste und der wärmste sein? —
- Der ist grade so wie ich, folglich ist er Dein! (177 ≡)
Die Rose, die uns heut entzückt;
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Wenn mit holden Feen
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- 5.
- Ach, wenn in süßer Stund',
- Hymen! Dein Rosenbund
- Bald meinem Trauerspiel
- Setzte ein Ziel;
- Dann hätt', bei meiner Ehr',
- Ich keine Wünsche mehr!
- Dann läg' mir weich und warm
- Tinka im Arm! (179 ≡)
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- 9.
- Mach' zur Reise Dich fertig,
- Meiner Ankunft gewärtig!
- Bleib' mir frisch und gesund!
- Bald — das wirst Du schon wissen —
- Mußt Du mich tausendmal küssen!
- Spitz' einstweilen den Mund! (180 ≡)
- Spitz' einstweilen den Mund!
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Mel.: Guter Mond ec. | |
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- Im Clausengärtchen.
- Nimmer, Gärtchen, hab' ich dich so verwildert gesehen!
- Nie noch botest du mir solch ein trauriges Bild!
- Hier auf dem Kiesweg schreitet der Fuß über wucherndes Flechtgras,
- Kaum sind noch von dem Sand einige Spuren zu schau'n;
- Da ersticken im Unkraut die Ländchen sammt den Rabatten,
- Nur mit Mühe gewahrt man noch das edle Gepflänz;
- Dort ist der Rosenstrauch vom schützenden Pfahle gerissen,
- Hingesunken in Staub — mir ein ergreifend Symbol!
- So riß mir von der Seite der Sturm die herrlichste Rose! —
- Hinsank sie in den Staub! — Einsam stehet der Pfahl! —
- Da die Laube, worin so oft wir Kaffee getrunken, —
- Die zum Schirme sich wölbt gegen den glühenden Strahl,
- Leer ist sie, und wie könnt' allein ich drinnen verweilen,
- Seit die Erinnerung mich aus ihrer Nähe verbannt? —
- Hier die Beete, die Sie nach der Schnur mit dem zierlichen Füßchen
- Abtrat: Wer sieht noch Accuratesse daran?
- Da die Blumen und dort die mancherlei Küchengewächse —
- Wie bedürften sie doch Ihrer pflegenden Hand!
- Neben Aurikeln prangt die hochgewachsene Nessel,
- Und die Raupe verzehrt ruhig den herrlichen Kohl. —
- Georgine! du hast die schönen, goldenen Kronen
- Hingelegt in den Staub; fühlst du Ihren Verlust?
- Aber ihr, Levcojen! geschmückt mit dem Kleide der Hoffnung,
- Scheinet mir lustig und froh; und ihr waret es doch,
- Die Sie mir anempfahl, schon hingeworfen auf’s Lager,
- Nicht zu vergessen und oft wohl zu begießen mit Fleiß! —
- Undankbares Gezüchte! Auf Ihr Wort einzig gedeiht ihr;
- Denn ich hätte euch sonst nimmer mit Wasser erquickt!
- Doch — Sie hatte euch lieb; drum will ich nimmer euch hassen,
- Hättet ihr mich auch noch mehr, als es geschehen, gekränkt!
- Aber indem ich euch oft mit labendem Tranke erfrischte,
- War ich nimmer im Stand, Ihr zu löschen den Durst!
- Und indem ihr euch hobet empor zu sonnigen Lüften,
- Sank Sie leider hinab in stockfinstere Gruft! —
- Kinder des Gartens, Sie hat auch euch mit Liebe gepfleget!
- Trauert alle mit mir! klaget: Sie kommt nicht mehr!
- Nimmer, Gärtchen, hab' ich dich so verwildert gesehen!
- Aufblick zu den Sternen.
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- Mein Veilchen.
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- Räthst Du, Leser, wie es hieß? —
- Nur die Anfangszeichen
- Dieser funfzehn Verse lies,
- Die dem Namen gleichen! (185 ≡)
- Die dem Namen gleichen!
- Räthst Du, Leser, wie es hieß? —
Rosen- und Lilienstöckchens.
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- Nunmehr sehe ich wohl, daß ich von der Erde geschieden,
- Aus der Liebenden Kreis, welche mein Lager umstehn.
- Reichlich fließen gewiß um mich der Verlassenen Zähren,
- Und ich kann nicht hinab, schnell sie mit Trost zu erfreu'n;
- Denn wie die Feder den Grund des Flusses nimmer erreichet;
- Wie das lichte Gewölk' nimmer zur Erde sich senkt;
- Also bemühte ich mich vergebens, wollte ich sinken,
- Da ich leichter als Luft tauche zum Lichte hinauf.
- Aber was sehe ich dort, dem Regenbogen vergleichbar?
- Und was zieht mich dahin? welche magnetische Kraft?
- Sicher ist es das Thor zum Hause des himmlischen Vaters!
- Auf denn, eile, mein Geist, schöneren Wohnungen zu!
- Lieblicher weht es mich an, je näher der Pforte ich komme;
- Das ist der Seligen Luft, welche entgegen mir strömt!
- Siehe, auch eine Gestalt in herrlich strahlendem Kleide
- An dem Eingange steht! Winkt sie mir nicht mit der Hand?
- Und was hält ihre Linke empor? wie glänzt es von weitem!
- Horch, sie ruft mir, und weiß auch meinen Namen sogar! —
- Nunmehr sehe ich wohl, daß ich von der Erde geschieden,
- Ihr Großvater.
- (Eine Krone ihr entgegen haltend.)
- Komme, Gesegnete, her! Ich wollte zuerst Dich begrüßen!
- Diese Krone hat Dir unser Erlöser gesandt!
- Er gebot mir, damit die Enkelin gleich zu beehren!
- Komme, Gesegnete, her! Ich wollte zuerst Dich begrüßen!
- (Indem er ihr die Krone aufsetzt.)
- So — — nun habe ich Dich, habe mich selber gekrönt!
- Oft schon hielte ich Dir die nämliche Krone vor Augen!
- Ehmals freilich geschah's, daß Du nur rängest darnach!
- Heil Dir, daß Du es thatst im Lande des kindlichen Glaubens!
- Selig schauest Du hier, weil Du auf Erden geglaubt! —
- Käthchen.
- Was für Töne sind das! Wie klingt so bekannt mir die Stimme,
- Welche als Kind mich berief, heilige Wege zu gehn!
- Großvater! o, ich weiß, Du bist's, wenn auch die Verklärung,
- Welche Dich jetzo umstrahlt, mir noch verblendet das Aug'!
- Was für Töne sind das! Wie klingt so bekannt mir die Stimme,
- Ihr Großvater.
- Doch sobald Du gelangst durch diese erhabene Pforte,
- Wirst Du im eigenen Glanz ohne Verblendung mich seh'n!
- Komme deßwegen nur mit, zum Himmel, vollendete Tochter,
- Daß ich Dich führe sogleich selig den Seligen zu!
- Doch sobald Du gelangst durch diese erhabene Pforte,
- (Während sie Hand in Hand in den Vorhof der Seligen hinüberschweben.)
- Käthchen.
- Welch' eine Himmelsmusik, welch' wonnig verschmelzende Töne
- Rühren mein trunkenes Ohr! Ist das der Engel Gesang? (187 ≡)
- Rühren mein trunkenes Ohr! Ist das der Engel Gesang?
- Welch' eine Himmelsmusik, welch' wonnig verschmelzende Töne
- Ihr Großvater.
- Ja, sie haben sich längst gesehnt nach Deiner Gesellschaft;
- Drum bereiten sie Dir jetzo auch diesen Empfang!
- Ja, sie haben sich längst gesehnt nach Deiner Gesellschaft;
- Käthchen.
- O, hier ist's gut sein! Hier möchte ich ewig verweilen,
- Im harmonischen Strom unterzutauchen mit Lust!
- O, hier ist's gut sein! Hier möchte ich ewig verweilen,
- Ihr Großvater.
- Möchtest Du aber nicht auch die freundlichen Sänger beschauen?
- Siehe, da kommen schon zwei, die Du auch früher gekannt!
- Möchtest Du aber nicht auch die freundlichen Sänger beschauen?
- Käthchens Neffen, Karl und Theodor.
- Sei willkommen uns hier in des Himmels Wonnegefilden,
- Liebste Tante! Wie bald bist Du uns beiden gefolgt!
- Aber Du zürnest doch nicht auf den gütigen Engel des Todes,
- Weil er Dich frühe, wie uns, zur Vollendung geführt?
- Sei willkommen uns hier in des Himmels Wonnegefilden,
- Käthchen.
- Vormals klagte ich mit, als Ihr von der Erde verschwandet!
- Doppelt freu' ich mich nun unseres sel'gen Vereins!
- Lasset uns Hand in Hand des Himmels Wunder beschauen!
- Hallelujah erschall bis zu dem Throne des Herrn!
- Vormals klagte ich mit, als Ihr von der Erde verschwandet!
- Alle.
- (Indem sie weiter schweben.)
- Heilig und herrlich allein ist Gott der Vater des Lichtes!
- Seligkeit findet allein, Wer ihn im Geiste verehrt!
- Heilig und herrlich allein ist Gott der Vater des Lichtes!
- Käthchens Schwester.
- (Die Vorigen im Fluge einholend.)
- Heilig und herrlich allein ist Gott, der Vater des Lichtes!
- Seligkeit findet allein, Wer ihn im Geiste verehrt!
- Heilig und herrlich allein ist Gott, der Vater des Lichtes!
- Alle.
- Lasset uns loben den Herrn mit wonnebebenden Lippen!
- O, wie hat er es doch wohl mit uns Allen gemacht!
- Freunde, preiset ihn laut! Die Liebe soll ewig verbinden!
- Rühmet ihn, Zebaoth! Danket, Aeonen, dem Herrn!
- Treu ist er, und erfüllt, was er den Menschen verheißet:
- Ewiges Wiedersehn, Meer des Entzückens darin!!! (189 ≡)
- Ewiges Wiedersehn, Meer des Entzückens darin!!!
- Lasset uns loben den Herrn mit wonnebebenden Lippen!
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- Eros, das lose Bübchen,
- Erwählte, lachte sie,
- Der Wangen Schelmengrübchen
- Zum bleibenden Logis.
- Das runde Kinn entzückte
- Am reizenden Oval,
- Und wenn sie's niederdrückte,
- Sah man es noch einmal.
- Die Oehrchen schlüpften beide
- Aus Scham, daß sie so klein,
- Geschwind auf jeder Seite
- Zum Haare ganz hinein.
- An beiden Schläfen hingen
- Der Locken drei herab,
- Das waren Amors Schlingen,
- Und meiner Freiheit[13] Grab.
- Sie schnürte ihre Taille
- Nicht à la Wespe dünn,
- Drum blieb sie in Bataille
- Auch immer Siegerin.
- Von aller Reize Fülle,
- Dem Gatten nur geweiht,
- Schweig' ich auch mäuschenstille,
- Die deckt' ein züchtig Kleid.
- In schöner Frauen Kreise,
- Bewegte sie sich d'rin,
- Sagt' ich mir immer leise:
- „Sie ist die Königin!“
- Wie, wenn die Sonn' sich zeigte,
- Der Sterne Glanz vergeht,
- So der der Frau'n erbleichte
- Vor ihrer Majestät.
- Als meine erste Sonne
- Vollendet ihren Lauf,
- Ging diese mir mit Wonne
- Am Horizonte auf.
- Zwar war sie erst versprochen,
- Ganz gegen Passion,
- Ich weiß nicht, wie viel Wochen,
- Mit einem Herren von......
- Man hatt' von allen Seiten
- Ihr wacker zugesetzt;
- Gesagt: „Du wirst schon leiden
- Ihn können noch zuletzt!“
- Allein sie mußt' entdecken,
- Daß täglich ihr Degout
- Sich steigerte zum Schrecken,
- Und Abscheu kam dazu.
- Da fing sie an zu weinen
- Die schönen Augen roth,
- Und sah' sie ihn erscheinen,
- So stieß sie an der Tod.
- Drum sagt' sie ohn' Verschieben
- Und ohne Heuchelei
- Ihm, daß ihn je zu lieben,
- Ihr ganz unmöglich sei.
- Zu ihrer beider Glücke
- Gäb' drum sein Wort sie ihm
- Und bäte ihr's zurücke
- Mit schuldiger Estime.
- Da fiel das Band vom Herzen,
- Das es so hart gepreßt;
- Von allen ihren Schmerzen
- War plötzlich sie erlöst.
- Der Freude Purpur malte
- Die Wangen wunderhold;
- Das freie Auge strahlte
- Das reinste Sonnengold.
- Hast du die junge Rose
- Im Morgenthau geseh'n?
- So sah' die Bräut'gamslose
- Ich jetzo vor mir steh'n.
- War's da denn wohl ein Wunder,
- Daß, als ich näher ging,
- Mein Wittwerherzenszunder
- Auf's Neue Feuer fing? —
- Ach, sicher wär' mir Armen
- Das Herz im Leib' verkohlt,
- Hätt' sie nicht voll Erbarmen,
- Brandsalbe drauf geholt.
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- Drum harr' ich ohne Eifer,
- Bis einst in jenen Höh'n
- Ich selbst zum Himmel reifer
- Sie werde wiederseh'n.
- Leb' wohl in jenen Räumen,
- Du Herzenslust und Weh!
- Und laß mich von Dir träumen,
- Bis ich Dich wiederseh'! —
- Drum harr' ich ohne Eifer,
- Hermannstein am 26. April 1859.
- Christian Spamer. (203 ≡)
- Christian Spamer.
gesammelt 1860 von Christian Spamer.
Fräulein Minchen Emmelius, am 4. November 1835. Bitte um gut Wetter. | |
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am 17. Februar 1837.
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- Die Letzte Rose.
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- Stumm durfte ich nicht bleiben
- An ihrem Wiegenfest;
- Drum fing ich an zu schreiben
- Ihr, was ihr weiter les't:
- Stumm durfte ich nicht bleiben
- „Eine Caroline gilt nun zwei!
- „Zwei und zwanzig Jahre nämlich sind es,
- „Seit dem ersten Tage dieses Kindes!
- „Keine bess're Tochter bringt der Mai!
- „Eine Caroline gilt nun zwei!
- Chasset Trübsinn und Gram! nicht paßt er, ein Fest zu begehen.
- Alles freut sich der Zeit, ehe sie schwindet von hier.
- Rasch wird der wonnige Mai sammt seinem Gefolge verwehen;
- O drum freuet euch schnell! freuet euch Alle mit mir!
- Lina empfange mit Dank, was Freundschaft und Liebe ihr bieten!
- Jegliches opfere heut was ihm die Seele bewegt!
- Nicht der geringste Wunsch, noch bald verwelkende Blüthen
- Auf den Weihealtar seien von mir auch gelegt! —“ (209 ≡)
- „CAROLJNE! heute kommen Dir
- Alle mit dem besten Wunsch entgegen;
- Rings beeilen sich die Lieben hier
- Offen, was sie fühlen, darzulegen:
- Laß auch mich, wiewohl im stillen Sinn,
- Jeden Wunsch der Andern mit empfinden!
- Nur den Einen laß mich laut verkünden:
- Ewig sei mir gut, wie ich Dir bin! —“
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- Gang nach der Eisenhütte.
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- So hatte ich in Prose
- Am dritten Weihnachtstag
- An meine Letzte Rose
- Geschrieben. Dabei lag:
- So hatte ich in Prose
- Zur Vorfeier des Jahres 1838.
- Theures Linchen!
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- Gehoffte Bedeutung der Jahreszahl 1838.
- 1 bedeute mir Eins, das theuerste Mädchen auf Erden!
- Tausend gilt es und ist's werth, wie die Stellung beweist.
- 8 ich keins mehr so hoch, so muß gar leicht Dir es werden,
- Zu errathen, Wer's ist, wie die Bedeutete heißt!
- 3 fach wäre mein Glück, wenn sie mit Myrten gezieret,
- Mir an Hymens Altar reichte die brautliche Hand!
- 8 nur dessen mich werth, o Lina! so hat mich geführet
- Das nächstfolgende Jahr bald in das rosige Land.
- Selig bin ich dann und preis' ich Achtzehnhundertachtunddreißig!
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- Die Blume bringt dem Bienchen
- Den Honig nicht in's Haus,
- Drum eben flog nach Linchen
- Ich jeden Abend aus.
- Wornach ich mich gerichtet
- Bei diesen Flügen hab',
- Ein Liedchen noch berichtet,
- Das ich dem Liebchen gab.
- Die Blume bringt dem Bienchen
- Meine Leitsterne.
- So freundlich, wenn ich zum Liebchen geh',
- Mir Venus leuchtet hernieder;
- Sie fraget mit Lächeln aus himmlischer Höh':
- Ei, Freundchen! kommst Du schon wieder?
- Ja, Schönste des Himmels. Wer folgte nicht gern.
- Uranias lieblichem Abendstern!
- So freundlich, wenn ich zum Liebchen geh',
- Und trübt sich der Himmel, und zeigt sich kein Stern
- Auf meinem allnächtlichen Pfade,
- Was schadet's? ich weiß ja, daß nimmer ich fern
- Vom richtigen Wege gerathe.
- Das Herz — als säh' es in finsterer Nacht —
- Hat immer mich grade zum Liebchen gebracht.
- Und trübt sich der Himmel, und zeigt sich kein Stern
- Ein wunderlich Ding auch das Herz verbleibt,
- Daß nur nach dem Liebchen es angelt!
- So gut man auch immer die Zeit ihm vertreibt,
- Was hilft's, wenn's Liebchen ihm mangelt?
- Bei Zucker, Rosinen und Marzipan
- Bleibt dann es verdrießlich und rührt's nicht an.
- Ein wunderlich Ding auch das Herz verbleibt,
- Versuch' es, zu legen das liebende Herz
- In Ketten und eiserne Banden,
- Du wirst es nicht halten in Fesseln und Erz,
- Gewalt und List wird zu Schanden;
- Zum Herzen fliegt heimlich ein Herzchen heraus,
- Und findet den Weg auch nach Liebchens Haus. (216 ≡)
- Und findet den Weg auch nach Liebchens Haus.
- Versuch' es, zu legen das liebende Herz
- Zwei Sterne erglänzen an Liebchens Stirn,
- Die mächtigsten aller Gewalten,
- Zerreißen die festesten Stricke wie Zwirn,
- Drum ist auch das Herz nicht zu halten;
- Sie ziehen und binden und halten so fest,
- Daß nimmer das Herz von dem Liebchen läßt.
- Zwei Sterne erglänzen an Liebchens Stirn,
- Räthsel selbst gestanden
- Gerne und vertraut,
- Wie ich lag in Banden
- Meiner lieben Braut.
- Räthsel.
- Mit a — möcht' ich mich stets an Deinen Blicken!
- Mit e — möcht' ich in Ewigkeit mit Dir!
- Mit ie — kannst Du allein mich nur beglücken!
- Mit o — muß ich fürwahr dieß selbst an mir.
- Mit au — o, nehmt uns auf in eure Schatten,
- Ihr Wonnetempel treu geliebter Gatten!
- Dann fließt's mit e — gewiß uns beiden froh
- Und schnell dahin mit a — und ie und o —.
- Charade.
- Die erste S y l b e.
- Als Mavors noch die alte Welt regierte,
- Und mir der erste Rang mit Recht gebührte,
- Da ging ich allen meinen Brüdern vor,
- Und öffnete des neuen Jahres Thor.
- Allein, was änderte nicht Zeit und Sitte?
- Zurückgesetzt bin jetzt ich nur der dritte,
- Und kehre in der Reihe meiner Brüder
- Alljährlich mit den letzten Sylben wieder.
- Als Mavors noch die alte Welt regierte,
- Die letzten.
- Des jungen Lenzes allbeliebte Kinder
- Erscheinen wir mit ihm zu gleicher Zeit.
- Man liebt uns mehr, erscheinen wir geschwinder;
- Man lobt an uns auch die Bescheidenheit.
- Des jungen Lenzes allbeliebte Kinder
- Das Ganze.
- Was meine Theile kund Dir thaten,
- Läßt Dich mein Ganzes leicht errathen.
- Bald werde ich — o, welch' Vergnügen! —
- An Deinem warmen Busen liegen.
- O, komm'! und ist's auch mein Verderben,
- Süß ist's an Deinem Herzen sterben! (217 ≡)
- Süß ist's an Deinem Herzen sterben!
- Was meine Theile kund Dir thaten,
- Logogryph.
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- Nimmst du mir 1, 3 und 7,
- Bin ich doch mir gleich geblieben,
- Und dann kannst du leicht ergründen,
- Wen du sollst im Ganzen finden.
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- Schlittenfahrt.
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- Hermannstein, am 12. September 1859.
- Christian Spamer. (235 ≡)
- Christian Spamer.
Wahre und wunderbare Erlebnisse
aufgezeichnet für seine Kinder
von
Christian Spamer 1872.
I.
Prophetische Träume.
1. Mein Orgeltraum in Hermannstein 1835.
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Im Anfang des genannten Jahres, als mein Vater Pfarrer in Burkhards war, hatte meine Mutter daselbst folgenden, sehr lebhaften Traum: Es pochte in der Nacht an das Fenster, an welches ein auf der Freitreppe stehender Mann hinanreichen konnte, mehrmals so stark, daß sie nicht nur erschreckt aus dem Schlafe auffuhr, sondern auch dachte: Was mag das für ein Flegel sein, der so unverschämt an das Fenster schlägt. Mit dem Vorsatze, demselben einen Verweis geben zu wollen, eilte sie aus dem Bette an das Fenster, und als sie es öffnet, steht vor demselben Wilhelm Stophel von Schotten, der Bruder der Mutter meines Vaters, und spricht zu ihr: „Ich wollte Ihnen nur schnell die traurige Nachricht bringen, daß Ihr Schwiegervater vor zwei Stunden dem Herrn entschlafen ist, und will mich nun sogleich wieder nach Schotten zu meiner verlassenen Schwester zurückbegeben!“ — Hierauf träumte es meiner Mutter alsbald weiter, daß sie ganz deutlich das Lied singen höre, welches am Grabe meines Großvaters gesungen würde.
Beim Erwachen erzählte sie meinem Vater diesen Traum genau, und nannte ihm auch namentlich das Lied, welches sie habe singen hören. Mein Großvater war damals noch nicht krank, starb jedoch nach kurzer Krankheit in der Nacht des 16. Februar 1800. In derselben Nacht brachte derselbe Bote mit denselben Worten und ganz auf dieselbe Weise die Todesnachricht meiner Mutter nach Burkhards; auch wurde am Grabe meines Großvaters dasselbe Lied gesungen, welches meine Mutter im Traume gehört hatte. —
Am 9. Juli 1813 starb in Burkhards meines Vaters Mutter. Ehe dieselbe erkrankte, hatte meine Mutter folgenden Traum: Meine oben erwähnte Großmutter fiel unvermuthet und ganz erschöpft auf sie zu, und sprach: „Ach, wie ist mir! ach, wie ist mir!“ —
Am folgenden Sonntage wurde dieselbe aus der Kirche, wo es ihr plötzlich schwach geworden war, von der Schullehrerin Schmehl nach Hause geführt, wo sie fast ohnmächtig meiner Mutter in die Arme sank mit den Worten: „Ach, wie ist mir! ach, wie ist mir!“
Sie wurde sogleich in das Bett gebracht, und stand nie wieder aus demselben auf. —
Im Jahr 1854 hörte meine Mutter zwei, bald auf einander folgende Schüsse, wie aus einer Doppelflinte, im Traume, welche ihr beide durch das Herz gingen und einen unaussprechlichen Schmerz verursachten. Sie fuhr aus dem Schlafe auf mit dem Angstrufe: „Ach Gott, ach Gott, was gibt's für ein großes Unglück!“
Am Morgen erzählte sie ihren schrecklichen Traum mit dem Bemerken, daß sie den im Schlafe empfundenen Schmerz noch immer fühle, und daß gewiß zwei, ihr höchst schmerzliche Todesfälle bald nach einander folgen würden.
Am 9. August 1834 starb mein liebes Käthchen und, ehe noch ein Monat weiter verging, auch seine Schwester, Christiane Dornemann.
5. Noch 4, auf den Tod meines lieben Käthchens beziehliche Träume
gebe ich hier wieder, wie ich sie vor 35 Jahren für mein liebes Linchen niedergeschrieben habe.
A. |
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B. |
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C. |
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D. |
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- In meinem Geburtshause, dem Pfarrhause in Burkhards, konnte man, so lange wir darin wohnten, in der Neujahrsnacht zwischen 11 und 12 Uhr an gewissen Zeichen jedesmal hören,ob in dem neuen Jahre Jemand von den Hausbewohnern oder ihren nächsten Anverwandten sterben werde.
- Als Beweis dafür gebe ich hier folgende Vorzeichen an:
- In der Neujahrsnacht von 1799—1800 hörte mein Vater zwischen 11 und 12 Uhr deutlich eine Lawine vom Dache des Hauses herabrollen und mit dem eigenthümlichen, dumpfen Tone, den eine solche hervorzubringen pflegt, auf die Erde niederstürzen. Während er nun sogleich nach dem Fenster eilt, um die herabgefallene Schneemasse zu sehen, fällt ihm ein, daß noch kein Schnee auf dem Dache liegt und er sieht auch keinen auf der Erde liegen. — (241 ≡)
Erstaunt über dieses sonderbare Ereigniß geht er in das andere Zimmer, um es sogleich meiner Mutter mitzutheilen. Da sagt ihm diese: Und Ich habe so eben da oben im Kamin einige hell schallende Peitschentöne gehört, die gerade so lauteten, als wenn ein Fuhrmann etliche Mal mit der Peitsche laut geklatscht hätte. —
Beide hatten gute Ohren; wußten sich aber das Gehörte nicht zu erklären, bis am 16. Februar 1800 mein Großvater Jakob Spamer in Schotten starb, wo sie es für zwei gleichbedeutende Vorzeichen seines Todes ansahen. —
In der oberen Etage des Pfarrhauses wohnte noch die Familie des emeritirten Pfarrers Schuchard, welcher schon 13 Jahre von der Gicht ganz zusammengekrümmt im Bette lag, wie ein kleines Kind alle Nahrung von Andern empfangen mußte, dabei aber doch einen so gesunden Appetit hatte, daß man sein baldiges Ende noch nicht vermuthete! In der untern Etage wohnten wir.
Eine halbe Stunde vor dem Anfang des Jahres, in welchem der Pfarrer Schuchard starb, hörte mein Vater einen Eimer voll Wasser über die Treppe herabrollen, von Stufe zu Stufe aufschlagen, das Wasser herniederrauschen, den Eimer mit eisernen Reifen über die ganze mit Sandsteinen geplättete Hausflur fortrollen und endlich an die Hausthüre anstoßen und liegen bleiben. Damit sich die Magd am andern Morgen, wenn es noch dunkel sei, nicht an diesen, wahrscheinlich von dem Hunde umgestoßenen und herabgefallenen Eimer stoßen oder darüber fallen möge, ging mein Vater hinaus, um denselben bei Seite zu stellen. Aber — es war weder ein Eimer, noch eine Spur von Wasser in der Hausflur zu entdecken. — Meine Aeltern vermutheten alsbald, daß im Lauf des Jahres der Pfarrer Schuchard als Leiche über die Treppe herabkommen werde; was auch geschah. —
In der Scheidestunde des Jahres 1812 hörte meine Mutter, daß der Ofenkrabben, die Ofengabel und das Blasrohr, welche am Ofenloche zusammenstanden, dreimal so kräftig aufgestoßen wurden, daß besonders der eiserne Ofenkrabben hell erklang. Es kam ihr so vor, als wolle Jemand durch dieses dreimalige, nachdrückliche Aufstoßen jener Geräthschaften erklären: Da sollt ihr nun stehen bleiben; ich brauche euch nicht mehr! — Weil nun meine Großmutter damals das Feuer im Ofen fast ausschließlich anzündete, schürte und unterhielt, und nicht leiden konnte, daß ihr sonst Jemand in dieses Handwerk fiel, kam meine Mutter augenblicklich auf den Gedanken, daß sie wahrscheinlich ein Vorzeichen des Todes meiner Großmutter gehört habe; und diese starb auch am 9. Juli 1813. —
In der zwölften Stunde einer anderen Neujahrsnacht, in welcher meine Mutter und die Magd eben darüber sprachen, ob sich wohl wieder etwas Außerordentliches vernehmen lassen werde, hörten sie das Thürchen des Kochofens in demselben Zimmer dreimal auf- und zugehen. Die Magd rief alsbald in großer Angst: „Ach, das bedeutet mich, weil ich am meisten dieses Thürchen auf- und zumache!“ Und während ihr meine Mutter diesen Gedanken auszureden suchte, klopfte es dreimal stark an die Bettlade, in welcher die Magd eben lag. Da sprang dieselbe auf und jammerte laut darüber, daß sie schon sterben solle. Meine Mutter suchte sie nun damit zu beruhigen, daß dieses Klopfen ja auch einem ihrer Verwandten gegolten oder auf irgend etwas Anderes Bezug haben könne. Dieß war jedoch nur ein geringer Trost für die Magd. Dieselbe starb auch nicht in dem neuen Jahre, aber doch ein von ihr innigst geliebter Bruder in seinen schönsten Jünglingsjahren. —
Ein ähnliches Todesvorzeichen hörte ich und mein liebes Käthchen im Pfarrhause zu Hermannstein. Wir waren noch keine zwei Jahre verheirathet, schliefen unten in der Kammer und unser Kind in seiner Wiege vor unserem Bette, als mich Käthchen ängstlich am Arme anfaßte und mit den Worten weckte: „Spamer, Spamer, hör' einmal, wie das Kind wimmert! Es ist doch nicht aus der Wiege gefallen?“ Ich fühlte sogleich, daß das Kind ganz ordentlich in der Wiege lag, hörte und fühlte es ruhig athmen, und erwiederte deswegen: „Du hast nur ängstlich geträumt; das Kind schläft ja ganz sanft in seiner Wiege!“ „Ach, dann ist es ein anderes Kind;“ sprach K. „hörst Du denn nicht sein Gejammer?“ Jetzt hörte ich dasselbe auch, aber als sei es in der anstoßenden Stube. Da ward mir auch unheimlich zu Muthe; ich stand rasch auf, um ein Licht anzuzünden, und indem ich nach den Schwefelhölzchen um den Tisch herumging, hörte ich unter demselben ein Kind so kläglich jammern, daß mir dieser Ton durch Mark und Bein ging und Schaudern und Zittern verursachte: und als ich an der Stubenthür vorüberging, krachte dieselbe so laut, als solle sie von außen mit aller Gewalt eingedrückt werden.
Sobald ich ein brennendes Licht hatte, hatte das Gejammer aufgehört, und ich leuchtete vergeblich nach einem Kinde in dem ganzen Zimmer herum. Dann ging ich in die Kammer zu K. und sprach: „In der Stube ist kein Kind, dafür bürge ich Dir; aber im Hause sind Diebe, die eben mit Gewalt die Thür eindrücken wollten! Deswegen bleibe Du, mein Schätzchen, ganz ruhig in Deinem warmen Nestchen, und ich will einmal allein eine Hausvisitation halten!“ Ich nahm sofort 2 gespannte Pistolen und das Licht, öffnete die Thür vorsichtig und ging, da ich Niemand sahe, immer mit Vorsicht weiter, und so von einem Zimmer zum andern, vom obersten Speicher bis in die Keller, in der Voraussetzung, es müßten sich Spitzbuben irgendwo versteckt haben; allein es war im ganzen Hause keiner zu finden. Als ich wieder zu meinem Weibchen kam, sprach es: „Ach, wie bin ich so froh, daß Du wieder da bist!“ Ich erwiederte: „Das glaube ich Dir; weil Du Dich nun nicht mehr fürchtest und mich auch lebendig wieder hast! Ich habe aber im ganzen Hause bei der genausten Nachforschung durchaus nichts Verdächtiges angetroffen, und frage Dich nun: „Was denkst Du von dieser ganzen Geschichte?“ —
K. antwortete: „Es hat gewiß ein leidendes, mit uns verwandtes Kind an uns gedacht und sich hier angezeigt.“ Das glaubte ich auch, und völligen Aufschluß hofften wir bald zu bekommen.
Kurz nachher zeigte uns mein Bruder Theodor in Crainfeld schriftlich an, daß sein, an Körper und Geist ausgezeichnetes Söhnchen, welches mir mit besonderer Liebe zugethan war, in derselben Nacht gestorben sei, und mehrmals den Wunsch ausgesprochen habe: „Ach, wenn ich nur meinen Hermannsteiner Onkel noch einmal sehen könnte!“
Der Tod dieses allbeliebten Kindes, welches äußerlich und innerlich einem Engel glich, wurde auch seinem Vater, meinem Bruder, während er in den letzten Nächten immer bei ihm wachte, voraus angezeigt. Mein Bruder selbst erzählte mir dieses also:
„In der drittletzten Nacht hörte ich in der Oberstube, welche gerade über uns und menschenleer war, ein dreimaliges starkes Pochen, welches ich mir nicht zu erklären wußte. In der zweitletzten Nacht hörte ich dasselbe Pochen, aber nur zweimal. Da dachte ich schon, daß mir durch die Zahl des Pochens die Zahl der noch übrigen Lebenstage meines Lieblings angezeigt werden solle; und so war es auch; denn in der letzten Nacht, in welcher er starb, pochte es noch Einmal.“
Während ich am zweiten Weihnachtsmorgen des Jahres 1837, meine Predigt memorirend, in der Conventstube des Hermannsteiner Pfarrhauses auf- und abging, stand plötzlich meine in Aßlar befindliche Schwägerin Caroline Emmelius auf kaum drei Schritte Entfernung so klar und deutlich, wie sie leibte und lebte, vor meinen Augen, sodaß ich nicht bloß alle Theile ihres Angesichts und ihre ganze Gestalt von dem Kopfe bis zu den Füßen, sondern auch ihren ganzen Anzug ganz genau und mit frohem Erstaunen betrachtete. Nachdem ich sie einige Secunden, so angeschaut und zugleich über die Möglichkeit oder Unmöglichkeit ihrer Erscheinung nachgedacht hatte, schritt ich auf sie zu, um mich handgreiflich zu überzeugen, ob ich die Lebendige oder ihr Spiegelbild vor mir habe. Als ich noch Einen Schritt bis zu ihr hatte, verschwand sie. Mit verworrenen Sinnen und Gefühlen sahe ich nun wieder auf meine Predigt, um das unterbrochene Memoriren derselben fortzusetzen. Sobald ich aber meinen Blick wieder von derselben erhob, traf er auch wieder auf dieselbe allerliebste Erscheinung, welche sich jetzt nach eben so kurzer Zeit abermals in unsichtbares Nichts auflöste und nicht wieder zum Vorschein kam. —
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Am dritten Weihnachtstage schrieb ich ihr deswegen ausführlich, wie sie mich Tags zuvor durch ihr Spuken nur geäfft habe, und daß sie mir dafür nun unverweilt ihr liebes Händchen versprechen möge; was sie auch an demselben Tage noch that, wie aus ihrem Briefe und aus meiner „Letzten Rose“ zu ersehen ist.
Uebrigens muß ich noch hinzufügen, daß ich an jenem zweiten Weihnachtsmorgen nur an meine Predigt, und nicht an meine Geliebte gedacht hatte, ehe sie sich mir selbst präsentirte. —
Der ehemalige Pfarrer Jungk in Wieseck lag eines hellen Morgens wach in seinem Bette, als der Vorhang desselben langsam von einander gezogen und zwischen demselben die Gestalt seines in der Ferne lebenden Vaters sichtbar wurde. Er meinte, seinen heimlich angekommenen Vater wirklich vor sich zu haben und derselbe reichte ihm auch so freundlich wie gewöhnlich die Hand über das Bett. Als aber der Sohn die dargereichte Hand drücken wollte, drückte er dieselbe noch leichter als Baumwolle zusammen, und in demselben Momente war die ganze Vision verschwunden.
Bald darauf erhielt der Pfarrer einen Brief, in welchem ihm der in jener Stunde erfolgte Tod seines Vaters angezeigt ward. —
Während einst der Superintendent Ouvrier in Gießen eine Vorlesung hielt, und mein Vater Zuhörer war, ging die Thüre auf, und trat doch Niemand ein. Ein Student machte die Thüre zu. Sie ging nochmals auf, und der Student machte sie wieder zu. Als sie sich zum dritten Mal öffnete, ging Ouvrier vom Katheder, um zu sehen, wer diesen Unfug treibe. Er ging vor das Zimmer hinaus, kam bald, aber consternirt zurück, und sprach: „Meine Herrn! ich muß Ihnen einen sonderbaren Vorfall mittheilen, der mir so eben begegnet ist. Als ich mich
auf der Universität von meinem intimsten Freunde trennen mußte, gaben wir uns gegenseitig das feste Versprechen, daß derjenige von uns, welcher zuerst sterben würde, wo möglich dem andern seinen Tod sogleich selbst anzeigen wolle. Als ich nun eben vor die Thüre trat, stand jener treue Freund so lange vor mir, bis ich ihn genau wieder erkannt hatte, und dann war er verschwunden. —
In einer der folgenden Collegstunden, die mein Vater ebenfalls besuchte, machte er auch seinen Zuhörern bekannt, daß sein Freund wirklich in jener Stunde seiner Erscheinung aus diesem Leben geschieden sei. —
Eine Freundin der ehemaligen Frau Pfarrerin Schuchard in Burkhards erzählte derselben: „Ich hatte meine beste Freundin Albertine so lange nicht gesehen, daß ich ein wahres Heimweh nach ihr hatte. Als ich nun eben einmal am Fenster saß, sahe ich dieselbe mit schnellen Schritten auf unser Haus zu kommen. In der größten Freude lief ich ihr entgegen, sahe sie schon mitten auf der Treppe und mit offenen Armen und dem Ausrufe: „Albertine! Albertine!“ wollte ich ihr eben um den Hals fallen; da war sie in demselben Augenblicke mir entschwunden, und leider auch, wie ich nachher erfuhr, für immer aus dieser Welt.“ —
Todesanzeigen durch blindlings gegriffene Bibelstellen.
Erste Anzeige.
Diese gebe ich hier so wieder, wie ich sie im Jahre 1837 niedergeschrieben habe.
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Nachdem ich am 9. August 1834 mein liebes Käthchen in seinem Alter von 30 Jahren durch den Tod verloren hatte, sollte ich auch am 11. December 1836 mein eben so liebes Minchen in seinem Alter von 30 Jahren durch den Tod verlieren.
Ich wollte und konnte gar nicht glauben, daß auch dieses geschehen könne; ich wollte und konnte es noch nicht glauben, als mir Minchen selbst, dem ich doch sonst Alles aufs Wort glaubte, schon ganz bestimmt gesagt hatte, daß es mich nun sehr bald verlassen müsse; ja, ich wollte und konnte selbst da noch nicht glauben, als es schon feierlichen Abschied für dieses Leben von mir genommen hatte. Da noch trieb mich die Herzensangst und Verzweiflung an, nochmals die Bibel um Rath und Entscheidung zu fragen. Wer am Ertrinken ist, greift auch nach einem Strohhalm, um sich durch ihn zu retten. Ich schlug mit geschlossenen Augen die Bibel auf und erschrack zum Tode, als ich sahe, daß mein rechter Daumen wieder den Vers: Lucä 10, 9 gefaßt hatte. Da erlosch plötzlich der letzte, schwache Strahl meiner Hoffnung. —
Es bedurfte freilich keiner göttlichen Offenbarung mehr, um über das nahe bevorstehende Ende dieser beiden geliebten Frauen gewiß zu werden; denn Jedermann war schon fest davon überzeugt, außer mir. Mir selbst aber wurde erst durch die gegriffene Bibelstelle diese Ueberzeugung gegeben und die Hoffnung genommen.
Ist übrigens nicht Das allein schon unerklärlich und wunderbar genug, daß ich dreimal eine und eben dieselbe Stelle blindlings mit dem rechten Daumen gegriffen habe??? —
Im Gefühle der schnellen Abnahme seiner Kräfte wünschte mein guter Vater nur noch seinen goldenen Hochzeittag, den fünften Mai 1847 zu erleben. In Bezug auf diesen Wunsch griff er, während die letzte Stunde des Jahres 1846 ertönte, ebenfalls mit geschlossenen Augen einen Bibelvers; und welchen hatte sein rechter Daumen gefaßt? Es war: Josa 38, 1: „So spricht der Herr: Bestelle Dein Haus; denn Du wirst sterben, und nicht lebendig bleiben!“ —
Hierauf sprach mein Vater: „Ich werde meinen goldenen Hochzeittag nicht erleben.“ Er starb am 30. März 1847. —
Das Pfarrhaus in Hermannstein, welches vor Zeiten ein Nonnenkloster war und „Cluse“ hieß, woran noch die Namen „Clausenstube“ und „Conventstube“ erinnern, stand schon lange vorher, ehe ich am 6. Februar 1827 in dasselbe kam, in dem Rufe, daß es darin wandere und spuke. Anfangs lachte ich darüber, wie gewöhnlich Jeder thut, der noch keine Spukerei erlebt hat, bis ich mich überzeugte, daß doch jenes Gerede keineswegs aus der Luft gegriffen sei, sondern allerdings auf Wahrheit beruhe. Ich bin seitdem oft, auch von guten Freunden gefragt worden, was ich denn eigentlich und namentlich in diesem Hause erfahren habe, was der gesunde Menschenverstand
nicht erklären und begreifen könne, und will auf diese Frage hier antworten, ohne dabei chronologisch zu verfahren.
Zuerst bemerke ich im Allgemeinen, daß ich in dem genannten Hause sehr oft, sowohl allein, als auch gemeinschaftlich mit Andern Mancherlei gehört habe, was Niemand aus bekannten, natürlichen Ursachen erklären kann. Dahin gehört besonders das Wandern in manchen Zimmern, welches ganz deutlich den Ton eines hin und her gehenden Menschen verursachte, ohne daß zu derselben Zeit ein Mensch in jenen Zimmern war; ferner häufiges Pochen und Thüren-Zuschlagen, welches ebenfalls von keinem Menschen, Thüre, Zugwinde oder sonst einer begreiflichen Ursache herrühren konnte, und endlich das Abziehen der Bettdecke oder der Versuch desselben in Nächten, in welchen außer den im Bette Liegenden Niemand in demselben Zimmer war.
Exempla illustrant, sagt man mit Recht, deswegen will ich das im Allgemeinen Angeführte anschaulicher zu machen suchen durch nachfolgende Beispiele.
Im Jahr 1827 wurde ich eines Sonntagsmorgens, als es noch ziemlich dunkel war und ich in der oberen Stubenkammer schlief, durch Schritte in der anstoßenden Stube aufgeweckt. Ich dachte, die Magd habe mir schon Waschwasser gebracht, um mich im Schlafe nicht zu stören, die Schuhe ausgezogen, und gehe in den Strümpfen in der Stube herum. Da sie mir jedoch für dieses Geschäft zu lange im Zimmer zu verweilen schien, und die Schritte auch so kräftig und schwer wurden, daß die Fenster zitterten und klirrten, kam mir der Gedanke: es könne auch ein Dieb im Dunkeln da herumtappen. Deshalb ergriff ich den am Bette stehenden Husarensäbel, um damit einem etwaigen Eindringlinge in die Kammer einen guten Morgen bieten zu können, und war, da ich nicht in die Stube sehen konnte, eben im Begriffe aufzustehen und nachzusehen, als ich die Stubenthüre zugehen hörte. Nun spitzte ich die Ohren, um zu hören, ob Jemand die Treppe hinabgehen würde, was ich um so gewisser hätte hören müssen, weil der eine Treppling, wenn man darauf trat, laut krachte. Ich hörte aber nichts, bis in der nächsten Minute die Frau Pfarrerin Steinberger die Hausthüre aufriegelte und die Magd, welche auswärts schlief, in das Haus ließ. Da hörte ich, daß sich beide „guten Morgen“ sagten, und wußte nun, daß die Magd nicht in meiner Stube gewesen sein konnte. Auch war kein Dieb im Hause und kein Fenster offen.
Wer war nun aber so lange und mit schweren Schritten in meiner Stube herumgewandert? —
Vom August 1834 an war mein Bruder Karl ungefähr ein Jahr lang bei mir, theils um sich bei mir auf sein theologisches Examen vorzubereiten, theils um mich in meiner Traurigkeit über den Verlust meines lieben Käthchens nicht allein zu lassen. Erzählte ich ihm die Spukgeschichten im Hause, so sprach er: Ich glaube Dir zwar das Alles aufs Wort; aber ich möchte es doch auch selbst einmal mit meinen eigenen Ohren hören.
Eines Abends, als wir beide allein im Hause und eben in der Wohnstube mit der Exegese des Briefes an die Römer beschäftigt waren, vernahmen wir beide zugleich, daß Jemand mit starken Schritten in dem Zimmer über uns hin und her ging. Mein Bruder sah mich an mit einer Miene, als sei er plötzlich aus den Wolken gefallen. Ich mußte darüber lachen, und sprach: Hast Du's nun mit Deinen eigenen Ohren gehört? Ja, erwiderte er, jetzt habe ich's selbst gehört, und nun wollen wir's auch auf der Stelle untersuchen. Wir eilten alsbald mit dem Lichte in das Spukzimmer, fanden aber darin weder einen Wanderer, noch sonst irgend etwas, was einer Untersuchung werth gewesen wäre, oder uns den geringsten Aufschluß über die Ursache des Gehörten hätte geben können. Nach gegenseitigem Eingestehen des Unerforschlichen und Unbegreiflichen gingen wir wieder hinunter und setzten uns wieder an unsern Römerbrief. —
Als noch zu Käthchens Lebzeit eines Abends die Familie des Pächters Meyer in unserer Wohnstube zum Kaffee bei uns und in der oberen Etage Niemand war, hörten wir bei lebhafter Unterhaltung doch Alle, daß die Eckstubenthür im oberen Stockwerke laut zugeschlagen wurde. Meyer sprach sogleich zu mir: Aber, Herr Pfarrer, an Ihrer Stelle würde ich doch das einmal genau untersuchen! Kommen Sie, Herr Meyer, sagte ich, wir wollen's sogleich gemeinschaftlich untersuchen! Die ganze Gesellschaft eilte sofort mit einigen Lichtern an die erwähnte Thür, fand sie zugemacht, öffnete sie, und entdeckte weder in der Stube, noch im ganzen Hause Jemand, der die Thüre hätte zuschlagen können. Auch ein Thier konnte es nicht gethan haben und eben so wenig der Wind, weil kein Fenster offen stand.
Nun, Herr Meyer, sprach ich, soll ich denn nun immer herauf laufen und untersuchen, wenn ich unten diese Thüre wieder zuschlagen höre? Nein, das will ich Ihnen nun nicht mehr zumuthen, sagte er, und ich erwiderte: Ich thue es auch nicht, weil wir das schon gar oft gehört, aber noch nie eine natürliche Ursache davon entdeckt haben. —
So lange meine Aeltern in Crainfeld lebten, besuchte ich sie alljährlich auf 8—14 Tage, und ließ während meiner Abwesenheit den Schullehrer Köhler im Pfarrhause schlafen. Dieß war schon öfter geschehen und dem Schullehrer war dabei nichts Außerordentliches begegnet. Als ich jedoch wieder einmal von Crainfeld zurückkehrte, sprach er: Aber, Herr Pfarrer, dießmal ist mir in Ihrem Hause etwas passirt, was mir sonst in meinem ganzen Leben noch nicht passirt ist! Und was denn? frug ich. Da sprach er: Es wollte mir einmal in der Nacht mit Gewalt die Bettdecke nehmen; ich trat sie aber mit den Füßen so fest unten an das Bettbrett, und hielt sie auch oben mit beiden Händen so fest, daß ich sie nach langem Hin- und Herzerren doch siegreich behauptet und auf mir behalten habe.
Da Köhler ehemals Soldat und weder ein Hasenfuß, noch ein Aufschneider war, so glaubte ich ihm, und zwar um so mehr, weil ich mich erinnerte an ein
Die Frau Hofräthin Arnoldi von Lich hatte mir nämlich schon früher erzählt, daß ihr in derselben Kammer auch einmal dasselbe und zwar mit noch größerem Erfolge begegnet sei.
Ich lag — so erzählte sie mir — einmal in dieser Kammer im Bette, und konnte wegen eines Gedankens, der mich unablässig verfolgte, nicht einschlafen. Ich hörte es auf dem Thurme zwei Uhr schlagen, und war noch immer hell wach. Das sage ich Ihnen nur, damit Sie mir, wie die jüngeren Herrn Theologen gerne thun, die ganze Geschichte nicht für einen Traum erklären! Also, ich war um 2 Uhr noch hell wach, da wurde mir die Bettdecke rasch abgezogen und da, in diese Ecke am Fenster, hingeworfen. Als ich sie hier mit den Worten unterbrach: Da werden Sie gewiß in große Angst gerathen sein? fuhr sie fort: Nein, ich hatte gar keine Angst, aber einen desto größeren Zorn, in welchem ich aus dem Bette sprang und mir meine Decke wieder holte, die ich nun auch ruhig auf mir behielt.
Das war kein Traum, sondern ist, auf meine Ehre, so gewiß wahr, als wir beide hier neben einander auf dem Canapé sitzen. —
In derselben Kammer schlief ich als Junggesell im Jahre 1828, und war ganz allein im Hause, als ich in einer Mitternacht durch ein dreimaliges und so starkes Pochen am Fenster, als wäre es mit der Faust geschehen, aufgeweckt wurde. In dem Gedanken, es wolle mir Jemand
einen im Orte ausgebrochenen Brand oder ein anderes Unglück anzeigen, war ich mit zwei Sprüngen am Fenster, riß dasselbe auf und wollte fragen, was vorgefallen sei. Es war aber Niemand da, und hätte auch Niemand so geschwind aus meiner Sehweite entlaufen können. Kaum lag ich wieder im Bette, so pochte es wieder dreimal, oben so schnell und stark an das Fenster. Jetzt war ich noch schneller als vorher an demselben; sahe jedoch Niemand, und auf meinen Ruf: „Wer da“ erhielt ich keine Antwort. Aergerlich legte ich mich wieder, und als es darauf zum dritten Mal drei Schläge an das Fenster that, blieb ich liegen und sagte: Dreimal sollst du mich nicht anführen! — Eine Ursache dieses Pochens habe ich nie erfahren. —
Während mein liebes Käthchen an einem hellen Mittage am Fenster saß, und ich ihm vorlas, wurde von außen an das Fenster geklopft. Ich hörte auf zu lesen und sagte: Siehe doch erst einmal, wer da klopft. K. sahe durchs Fenster und sprach: Das ist mir aber ein Räthsel; es ist Niemand da! Ungläubig den Kopf schüttelnd ging ich selbst an's Fenster, öffnete es, und konnte weder vor demselben, noch im ganzen Hofe Jemand sehen. —
Schon im Jahre 1827 war ich in den Vogelsberg gereist und 2 Söhne des Schullehrers Köhler, Heinrich und Jakob, sollten im Pfarrhause schlafen. Sie gingen auch in demselben zu Bette. Als sie aber um Mitternacht in dem Hause umhergehen und Thüren zuschlagen hörten, ergriff sie ein so panischer Schreck, daß sie beide zum Fenster hinaussprangen, nach Hause liefen und meine unheimliche Clause mit Allem, was darin war, im Stiche ließen und preisgaben. —
Aus diesen acht Beispielen geht deutlich genug hervor, daß es von dem Jahre 1827 bis in das Jahr 1835 in meinem Wohnhause nicht geheuer war, und Manches darin gehört wurde, was dem Menschenverstande unerklärbar bleibt. Von dem Jahre 1836 an habe aber weder ich selbst, noch hat eine von meinen Frauen, noch eines von meinen Kindern je wieder etwas Unbegreifliches von dieser Art in demselben gehört. Gesehen hat nie Jemand etwas Spukartiges darin.
Da ich einst nach einer Kirchenvisitation in Hermannstein meinem lieben Lehrer und Dekan, Kirchenrath Dr. Engel, auf seinen ausdrücklichen Wunsch die obigen Beispiele erzählt hatte, sprach er: „Ich muß gestehen, daß es zwischen Himmel und Erde noch gar Manches gibt, wovon sich unser Geist nichts träumen läßt, und weil wir jetzt gerade an dieser Materie und so hübsch unter uns sind, so will ich Ihnen als Recompens doch auch ein ähnliches Beispiel aus meiner Erfahrung zum Besten geben.“ Ich will dasselbe mit seinen eigenen Worten hier anführen als
„Auf einer Reise von Alsfeld nach Gießen übernachtete ich bei meinem alten Freunde, dem Pfarrer Röhrig in Reiskirchen, dessen Haus auch im Geruche der Spukerei stand. Auf mein Verlangen berichtete er mir zwar die Art und Weise seines Poltergeistes ausführlich, ging aber nicht auf meinen Vorschlag ein, denselben in der folgenden Nacht mit mir zu untersuchen. Ich kenne ihn besser, als mir lieb ist, sprach er, und bin von dem langen Umhergehen auf den Kartoffeläckern so müde und schläfrig, daß Du mich dispensiren mußt. Du kannst die Untersuchung ja auch eben so gut allein anstellen; wirst aber dabei nicht mehr entdecken, als was ich Dir gesagt habe. Kurz, es war eben mit Freund Röhrig nichts anzufangen, und bald darauf hörte ich ihn auch schon in seinem Bette schnarchen. Ich nahm mir nun vor, das Treiben des unsauberen Geistes allein und möglichst genau zu beobachten, und war äußerst gespannt auf die Dinge, die
da kommen sollten. In der Stubenthüre war eine Glasscheibe, durch welche ich, da gerade der Mond schien, deutlich sehen konnte, was auf dem Gange vor der Thüre vorging. In der Geisterstunde hörte ich nun auch wirklich den Poltergeist und zwar zuerst auf dem Speicher gerade über mir, wo er schwere Ketten hin und her schleifte. Er klirrte und rasselte ziemlich lange und für mich, da ich mich doch allein fühlte, so entsetzlich, daß es mich bei dem Kettengerassel eiskalt überlief. Der Lärm mit den Ketten kam immer näher, bald auch über die Speichertreppe herab, welche dicht an unserem Zimmer vorüberführte, und dann auf den Gang, auf welchem ich alle Gegenstände, aber so sehr ich auch meine Augen anstrengte, keine Ketten sehen konnte. Doch hörte ich dieselben deutlich über den ganzen Gang hin und auch noch die untere Treppe hinabschleifen, und dann hörte ich noch in der Hausflur einen Schall oder Fall, als habe man einen Arm voll klein gescheitertes Holz hingeworfen. Hierauf trat wieder Todtenstille ein, und der ganze Spuk hatte ein Ende.
Ganz genau so, wie ich ihn gehört und Ihnen eben erzählt habe, hatte mir ihn auch Röhrig vorausgesagt. Weil ich dieses selbst erfahren habe, glaube ich Ihnen auch die Spukgeschichten, die sie mir vorhin erzählt haben.“
So sprach zu mir der allgemein verehrte Kirchenrath Dr. Engel, den Niemand im Verdachte des Aberglaubens oder der Unwissenheit hatte. —
Dieses erzählte der Superintendent Bechtold von Gießen seinen Zuhörern im College also: „Gegen Mitternacht klopfte es einmal stark an mein Hofthor. Als die Magd dasselbe öffnen wollte, sahe sie Niemand. Bald darauf klopfte es noch stärker an dasselbe, und da die Magd wieder Niemand sahe, berichtete sie diese Seltsamkeit meiner Frau, und diese zeigte sie mir mit dem Bemerken an, daß wohl Jemand nach mir verlangen müsse, und solches durch dieses wiederholte, unerklärbare Klopfen anzeige. Ich verwies ihr diesen Aberglauben, und suchte ihr philosophisch zu demonstriren, daß eine solche Anzeige eine reine Unmöglichkeit sei. Sie blieb jedoch bei ihrer Meinung, und während ich sie deswegen mit noch stärkeren Gründen der Philosophie ad absurdum führen wollte, klopfte es dreimal stark an meine Bettlade.
Da, meine Herrn, fiel mir meine ganze Philosophie in den Dreck! Am andern Morgen zeigte mir Jemand eine Leiche an, und sagte, der Verstorbene habe noch um Mitternacht sehr nach mir verlangt und gerne das h. Abendmahl von mir haben wollen. Er habe aber demselben vorgestellt, daß man mich doch nicht mitten in der Nacht im Schlafe stören dürfe, und er sich gedulden möge, bis es Tag würde; derselbe habe aber den Morgen nicht erlebt.“ — Dieses hat mein Vater aus dem Munde des Superintendenten Bechthold gehört und mir wortgetreu mitgetheilt. —
Mein Großvater Johann Konrad Rühl war in den 1790er Jahren von Schotten nach Amsterdam verreist. Mein Vater, damals Rector in Schotten, meine Mutter, seine damalige Geliebte, und ihre Mutter saßen eines Winterabends in meines Großvaters Hause in traulichem Gespräche zusammen, als sie in der Küche einen Fall hörten, als habe man einen Arm voll klein gescheitertes Holz hingeworfen. Sie gingen schnell in die Küche, sahen aber kein hingeworfenes Holz. Da sprach meine Großmutter zu meiner Mutter: „Ach, gewiß hat sich Dein Vater angezeigt! Wenn ihm nur kein Unglück zugestoßen ist!“ — Als mein Großvater wieder nach Hause kam, fragten sie ihn, wo er an jenem Abend zwischen 10 und 11 Uhr gewesen sei; da antwortete er: „Da lag ich in einer eiskalten Stube, zitterte im Bette vor Frost und dachte: Ach, wenn Du doch zu Hause in Deiner warmen Küche wärest, wo Deine Frau das Holz hinwirft!“ —
Dieses habe ich oft aus dem Munde meiner lieben Aeltern gehört. —
Noch etwas früher kam mein Vater als Student nach Gießen, und logirte zuerst in dem Neubauer'schen Hause, obgleich ihm dasselbe als ein Spukhaus widerrathen worden war. Er wohnte bereits länger darin, und hatte noch keinen Poltergeist gehört. Gewöhnlich saß er in der Abenddämmerung am offenen Fenster, spielte Harfe und sang auch zuweilen dazu. Dieß gefiel dem gegenüber wohnenden Superintendenten Ouvrier so wohl, daß ihm derselbe ein Logis in seinem Hause anbot. Deswegen zog denn auch mein Vater im folgenden Semester aus dem Neubauerschen Hause in das des Superintendenten Ouvrier, welcher damals auch Rector der Universität war. Eines Abends kam nun dieser, wie er oft that, auf meines Vaters Zimmer, erkundigte sich erst nach seinen Studien, und sagte dann: Herr Spamer, Sie sind auch heute bei mir verklagt worden! Unsere Frau Nachbarin Neubauer behauptet: Sie hätten ihrem Hause einen so bösen Namen gemacht, daß alle Studenten, die sie beherberge, ausziehen wollten; wodurch sie großen Schaden leiden müßte. Mein Vater erwiderte, daß er weder dem Hause derselben einen bösen Namen gemacht, noch auch Ursache dazu gehabt habe, weil er nichts Außerordentliches in demselben erfahren, und keinen anderen Beweggrund zu seinem Auszug gehabt habe, als eben die gütige Offerte eines Zimmers von Seiten Ihrer Magnificenz. Dann ist es gut, sprach Ouvrier; dann will ich die Klägerin abweisen.
Meinem Vater war es aber doch leid, daß ihn dieselbe in falschem Verdacht habe, und fragte deswegen einen, noch bei derselben wohnenden Studenten: Warum wollt Ihr denn auf einmal alle ausziehen? Das weißt Du, sprach jener, so gut als ich; Du bist ja zuerst ausgezogen weil es so abscheulich im Hause spukt! Ich weiß nichts von diesem Spuk, erwiderte mein Vater, und glaube auch nicht an ihn' ehe ich ihn selbst höre. Nun, fuhr der Andere fort, so bleibe die Nacht bei mir und überzeuge Dich! Mein Vater nahm dieses Anerbieten an; aber es ließ sich in derselben Nacht kein Spuk hören. Als deswegen mein Vater die Inquilinen auslachte, sagten diese: Ja, der Spuk kommt nicht in jeder Nacht, aber sehr oft. In der dritten Nacht blieb deswegen mein Vater wieder bei ihnen wach, und jetzt nicht vergeblich.
Nach elf Uhr that es einen Schlag oder Fall auf dem Speicher, als habe man einen Maltersack voll Frucht abgeworfen, daß das ganze Haus davon zitterte. Alsbald liefen sämmtliche Studenten mit Lichtern und Stockdegen auf den Speicher; fanden aber denselben ganz leer, und auch nicht die geringste Ursache, welche einen solchen Schlag hätte veranlassen können. Während sie wieder die Treppe hinabgingen, that es auf dem Gange denselben Schlag vor ihren Augen, von welchem wieder das Haus schütterte, ohne daß sie etwas Ursächliches bemerkten, und bald darauf hörten sie unten in der Hausflur zum dritten Mal denselben furchtbaren Schlag. Da sie nun ohne das Geringste entdeckt zu haben, wieder in das Zimmer gingen, und mein Vater zuletzt ging, so schlug es mit großer Vehemenz die Thüre hinter ihm zu. Er riß dieselbe sogleich wieder auf und schaute hinaus, konnte aber Niemand sehen. —
So hat zu verschiedenen Zeiten mein Vater diese merkwürdige Begebenheit uns und andren guten Freunden erzählt. —
In der Nacht des 31. März 1872 frühe um ¼ nach 2 Uhr klopfte es viermal schnell an das Kopfende meiner Bettlade. Ich wachte dadurch auf und war schon im Begriffe „Herein“ zu rufen, als ich mich besann, daß es ja nicht an meiner Thüre, sondern an mein Bettbrett angeklopft habe. Die vier Klopftöne waren meinem Gehör noch lebhaft gegenwärtig, und ich klopfte nun selbst auch viermal schnell an mein Bettbrett, und hörte die noch in meinen Ohren nachhallenden Töne genau wieder. Es war mir nicht so zu Muthe, als habe das erste Klopfen
etwas Schlimmes zu bedeuten; ich meinte aber doch, es müsse jemand an mich gedacht haben, und vermuthete solches entweder von einem meiner auswärtigen Kinder, oder von meiner Schwägerin Sophie Emmelius in Gießen, weil wir denselben Tag die Familie Emmelius besuchen wollten, und meine Schwägerin Tags zuvor durch ihr Töchterchen Nachricht davon erhalten hatte. Als wir nach Gießen kamen, fragte ich deswegen meine Schwägerin: Hast Du vielleicht schon in der Nacht an uns gedacht? worauf Sie antwortete: Ja, ich war schon um 2 Uhr in der Nacht wach, und habe auch da schon an Euch gedacht! —
Vor Jahren war das sogenante Tischrücken so sehr an der Tagesordnung, daß es fast in jedem Hause versucht wurde. Die Gesellschaft legte nämlich die Hände in einem Kreise auf einen Tisch, und ließ sie ruhig so lange darauf liegen, bis der Tisch von selbst sich im Kreise drehte oder herumging, ohne daß Jemand daran geschoben hatte. Davon nur
Ich war damals einmal bei dem Pfarrer Beer in Dorlar, welcher mir sagte, daß seine Kinder schon öfter in kurzer Zeit einen Tisch zum Herumlaufen gebracht hätten, und auf meinen Wunsch ließ er sie in meiner Gegenwart eine Probe davon machen.
Sein Sohn Friedrich und dessen Schwesterchen legten ihre vier Hände, ohne daß sich diese berührten, auf ein rundes Tischchen, und ließen sie ruhig, ohne irgend eine Bewegung oder Anstrengung damit zu machen, darauf liegen. Nach einigen Minuten drehte sich das Tischchen von selbst, erst langsam und allmälig immer schneller im Kreise herum, sodaß die Kinder auch immer schneller im Kreise herumlaufen mußten, um dem Tischchen nachkommen und ihre Hände darauf behalten zu können. Bald hob das Tischchen das eine, bald das andere Bein höher, und ging auch seitwärts weiter bis an die Stubentüre, ohne daß es geschoben wurde, bis der Vater zu seinen Kindern sagte: Nun laßts gut sein!
Als nun diese ihre Hände von dem Tischchen aufhoben und entfernen wollten, hing dasselbe so fest an ihren und besonders Friedrichs Händen, daß es dieser mit einem gewaltigen Ruck auf den Fußboden niederstoßen mußte, um seine Hände von demselben los zu machen. Ja, als dieser bald nachher seine Hände noch einmal, wenigstem 1½ Hand hoch, über das Tischchen hielt, hüpfte dasselbe von selbst in die Höhe, und hängte sich wieder an seine Hände fest. — Als dies der Vater sah, sagte er: Nein, jetzt wird mir doch das Ding zu arg unheimlich; nun sollt ihrs nicht wieder probieren!
Die Eltern und Kinder verwunderten sich bei diesem Anblick ebenso sehr, als ich; und als ich das Tischchen und die Hände der Kinder untersuchte, war nichts Klebriges an demselben zu entdecken. —
Die Frau Advokat Fuhr sagte mir: „Wenn eine Gesellschaft in Gießen den Tisch nicht zum Herumlaufen bringen kann, werde ich herbeigerufen, und sobald ich meine Hände auf den Tisch lege, fängt er an zu laufen. Ich thue es jedoch nun nicht mehr, weil ich mich nach einer solchen Probe schwächer fühle.“
Durch animalischen Magnetismus hat der vormalige Dr. Bork in Schotten viele erstaunenswerthe Curen vollbracht, von denen ich nur drei anführen will, bei welchen ich Augenzeuge war.
Im Jahre 1828 wurde mein Vater auf der Kanzel von einem so heftigen Rheumatismus befallen, daß er kaum seine Predigt beendigen und zu Hause vor Schmerzen nicht mehr aufrecht stehen konnte, sondern sich sogleich ins Bett legen mußte. Auf sein Verlangen holte ich alsbald den Dr. Bork, und sobald ihn dieser magnetisirt hatte, kamen Beide zu unserm Erstaunen in das Wohnzimmer zu uns, und mein Vater sprach: „Der Dr. hat mir durch sein Streichen die Schmerzen beinahe ganz vertrieben; ich spüre sie kaum noch, und kann jetzt, wie ihr sehet, wieder ganz gerade umhergehen. Mit jedem Striche, den er über mich that, fühlte ich deutlich, daß gleichzeitig mit seiner Handbewegung auch meine Schmerzen immer tiefer in meinen Beinen herunterzogen. In dem Knie saßen sie zwar fester, mußten aber nach wiederholtem Streichen auch aus demselben abwärts ziehen, und jetzt spüre ich sie in unbedeutendem Grade nur noch in den Fußsohlen!“ Nach etwa einer Stunde ließ er sich nochmals magnetisieren, und hierauf sagte er: „Nun fühle ich gar keinen Schmerz mehr, sondern im Gegentheil eine wohlthuende Empfindung von Wärme in den Fußsohlen, die mir um so lieber ist, da ich vorher an kalten Füßen litte!“ — Der Rheumatismus hat ihn später nie wieder geplagt. —
Die Frau meines Bruders Theodor wurde von Zeit zu Zeit von einer so furchtbaren Kopfgicht gequält, daß sie vor Schmerzen fast rasend wurde. In einem solchen Augenblicke zeigte dieses mein Bruder dem eben im Pfarrhause gegenwärtigen Dr. Bork an. Dieser sprach: „Komm nur her, ich will Deiner Frau ihr Kopfweh augenblicklich vertreiben, und es soll nicht wiederkommen!“
Und so geschah es auch. Sobald Bork meine Schwägerin magnetisirt hatte, war ihre Kopfgicht verschwunden und hat sich auch nie wieder gezeigt. —
Die Frau Pfarrerin Kleberger, Bork, mein Vater und ich spielten einmal Solo im Pfarrhause zu Burkhards, als die Erstgenannte, welche damals von Bork magnetisch behandelt wurde, plötzlich über ein so starkes Kopfweh klagte, daß sie unmöglich länger mitspielen könne, und deswegen ihrem Manne die Karten geben wollte. „Behalten Sie nur die Karten!“ rief ihr Bork zu, ging zu ihr und blies ihr dreimal stark auf den Kopf. Sogleich sprach sie: „Nun will ich weiter spielen; mein Kopfweh ist fort.“ —
Mit zweifelndem Lachen sagte ich: „Das ist ja gerade weggeblasen?“ „Ja, das ist es wirklich“, versicherte sie. —
Dafür, daß Menschen im magnetischen Schlafe mehr sehen, wissen und sagen können, als im Wachen und als die Wissenschaft Anderer erklären kann, will ich nur 2 Beweise anführen, welche auf den Zeugnissen der glaubwürdigsten Augen- und Ohrenzeugen beruhen.
In Eichelsachsen, einem Dorfe am Fuße des Vogelsbergs, lag in den 1820er Jahren ein Mädchen im magnetischen Schlafe, ohne daß Jemand seinen Zustand ahnte, bis die Frau Inspectorin Scriba von Wingershausen ihn vermuthete und, um sich Gewißheit zu verschaffen, der Schlafenden einen ungeöffneten Brief auf die Herzgrube legte, welchen dieselbe sofort laut zu lesen begann. Sie sagte nun den erstaunten Aeltern: Eure Tochter hat die magnetische Krankheit; laßt sie von dem Dr. Bork magnetisch behandeln! Nachdem Bork dieselbe eine Zeit lang in der Cur gehabt hatte, erzählte er mir, daß ihm die Schlafende auf sein Befragen öfter Heilmittel für Kranke, welche er bereits für verloren gehalten habe, angegeben hätte, welche ihm zwar unzweckmäßig und lächerlich vorgekommen wären, aber nichts desto weniger die Kranken in kurzer Zeit gesund gemacht hätten. Er führte mir auffallende Beispiele dieser Art an, deren genaue Beschreibung mich jedoch hier zu weit führen würde. Daß aber das Mädchen bei geschlossenen Augen den Brief gelesen habe, und zwar besser, als es dieß mit offenen Augen gekonnt hätte, hat mir die Frau Inspector Scriba selbst heilig versichert.
Nicht lange danach fiel auch ein Mädchen in Busenborn, ebenfalls im Vogelsberge, in magnetischen Schlaf. Als von weit und breit Viele kamen, die sich von demselben Heilmittel für ihre Kranken angeben ließen, sprach die Frau des Ortspfarrers Koch zu diesem: Frage doch auch einmal das Mädchen, ob und womit meinem kranken Vater noch geholfen werden könne! „Nach einigem Weigern“ — so sprach mein Freund Koch selbst zu mir — „that ich meiner Frau diesen Gefallen, und nahm auch ein Paar Strümpfe mit, die sie mir zum Geschenk für das Mädchen gab. Kaum stand ich neben dem schlafenden Mädchen, so sagte es: Aber, Herr Pfarrer, ich hätte nicht von Ihnen geglaubt, daß Sie so von mir dächten! Ich: O, ich denke ja nichts Uebels von Dir! Es: Ja, Sie haben aber doch zu Ihrer Frau gesagt: Wenn das Mädchen einen Mann bekäme, so würde seine Krankheit wol bald vergehen. Das hatte ich nun allerdings meiner Frau in der vorigen Nacht im Bette gesagt, aber weder ich, noch sie hatten diese Vermuthung bei einem Dritten geäußert. Deßwegen frappirte mich diese Anrede des Mädchens ungemein, und mit einiger Beschämung gestand ich ihm, daß ich diese Vermuthung zwar im Vertrauen meiner Frau, aber sonst Niemand mitgetheilt habe. Es: Ja, das weiß ich, und Sie denken auch gerade nichts Schlechtes von mir. Dieses und überhaupt Alles sprach es nicht im Ortsdialekte, sondern in der reinsten Schriftsprache, welche es als Bauersmädchen im wachen Zustande gar nicht zu sprechen vermochte. Schon darüber mußte ich mich sehr wundern, noch mehr aber, als es mit plötzlich verfinsterter Miene fortfuhr: Jetzt will auch der schlechte Landrath Goldmann von Schotten zu mir; sagt ihm doch, daß ich ihn nicht leiden könne und daß er draußen bleiben möge! — Wirklich kam nach einigen Minuten der Landrath in das Zimmer und that einige neugierige Fragen an die Schlafende. Da ihm aber dieselbe keine Antwort gab, entfernte er sich bald wieder.
Nun, dachte ich, mußt Du doch auch Deine Frage und Deine Strümpfe anbringen, und sprach: Ich habe Dir auch etwas mitgebracht! Lächelnd erwiederte die Schlafende: Ich weiß es, ein Paar schöne Strümpfe von Ihrer Frau. Da bekam ich einen Respect vor dem Mädchen, wie vor einer Prophetin, und auch Glauben an seine Sehergabe, und frug nun: Kannst Du mir sagen, ob meinem Schwiegervater noch zu helfen ist, und wie? Hierauf schwieg es erst eine Weile, dann antwortete es: Ihr Schwiegervater wird nicht wieder gesund; man kann ihm aber noch einige Linderung verschaffen, wenn man so und soviel Birnkerne u. s. w. nimmt ec. Ich kann Dir nicht mehr angeben, was es Alles sagte, und da mir das Mittel doch zu läppisch schien, hatte ichs
meist schon vergessen, als ich wieder nach Hause kam. Während mich nun meine Frau fragte, was denn die Hellseherin über ihren Vater geäußert habe, klopfte der Bruder des Mädchens an unser Fenster und sprach, als ich dasselbe geöffnet hatte, zu mir: Meine Schwester hat mich hergeschickt, daß ich Ihnen das angegebene Mittel noch einmal sagen soll, weil Sie es vergessen hätten. Es müßten 14 Birnkerne u. s. w. sein! Wir haben das Mittel, weil es uns doch gar zu albern vorkam, weder empfohlen, noch angewandt; bewundern aber noch heute den Wahrsagergeist, der aus dem Mädchen redete, und von dem es selbst nichts wußte, sobald es wach wurde.“ — Soweit Freund Koch. —
Der Kastenmeister von Crainfeld, welcher auch nach Busenborn ging, um dieses Mädchen wegen seiner kranken Frau um Rath zu fragen, konnte wegen der großen Menge der Fragenden in den zwei ersten Tagen nicht zu demselben kommen, bis es selbst einmal die andern Frager abwies, und sprach: „Jetzt ruft mir erst einmal den Mann von Crainfeld, der in dem und dem Hause ist; er hat lange genug gewartet, und hat doch unter Allen, die zu mir wollen, das betrübteste Herz!“ Das hat mir der Kastenmeister damals selbst erzählt. —
Der Professor der Theologie Dr. Schulz in Gießen, ein sonst sehr lebhafter Gesellschafter, saß einst im Donnerstagskränzchen der Professoren so theilnahmlos und schweigsam da, daß er öfter gefragt wurde, warum er nicht so munter und guter Laune sei, wie gewöhnlich. Endlich sagte er: Ich kann eben nicht so aufgeräumt und heiter sein, wie sonst, weil mich ein sonderbarer Gedanke verfolgt, den ich durchaus nicht los werden kann, nämlich der Gedanke: Ich müsse mein Bett aus der Einen Ecke des Zimmers in die Andere stellen. Ei nun, sprach ein Anderer: so führen Sie doch lieber sogleich diesen Gedanken aus, als daß Sie den ganzen Abend für unsere Gesellschaft verloren sind. Nun ging Schulz alsbald nach Hause und sagte zu seiner Frau und Tochter: Helft mir einmal mein Bett in jene Ecke stellen! Beide wußten nicht, was sie zu diesem sonderlichen Einfalle sagen sollten; halfen aber, nachdem sie den Beweggrund erfahren hatten, das Bett an den gewünschten Ort transportiren; worauf Schulz in seine Gesellschaft zurückkehrte, und nun so unterhaltend und jovial wie immer war.
In der folgenden Nacht brach ein Balken seiner Zimmerdecke, und stürzte gerade auf die Stelle herab, wo sein Bett vorher gestanden hatte. Hätte es also noch da gestanden, so wäre er ohne Zweifel von dem Balken erschlagen worden. —
Dieses erzählte Schulz in Gegenwart meines Vaters mit dem Bemerken, daß er über seinem Bette nie eine schadhafte Stelle gesehen, und deswegen auch nie vermuthet habe, daß da vielleicht einmal ein Balken herunterbrechen könne. — Mein Vater erzählte dieses stets mit großem Interesse, weil Schulz einer von seinen liebsten Lehrern gewesen war.
Mein Bruder Theodor, ein früher sehr gesunder und blühender Knabe, nahm in seinem 13. Jahre allmälig und immer schneller an Kraft und gutem Aussehen ab, bis er soweit heruntergekommen war, daß er kaum noch allein gehen konnte. Die besten Aerzte in der Umgegend waren zwar immer gebraucht, der Patient aber dabei immer schwächer und hinfälliger geworden,
sodaß ihn Alle, die ihn sahen, auch die Aerzte und wir selbst für rettungslos verloren hielten. Da hörten wir, daß ein Schäfer in meines Vaters Kirchspiel schon etliche junge Leute, die das sogenannte Abnehmen gehabt, und die Aerzte vergeblich gebraucht hätten, durch Sympathie wieder hergestellt habe. Mein Vater ließ den Schäfer Vierheller von Kaulstoß kommen, und fragte ihn auf sein Gewissen, ob er meinen Bruder noch herzustellen gedenke. Der Schäfer maß erst meinen Bruder nach seiner Länge und Breite, und sagte dann: es ist die höchste Zeit mit ihm! Ich setze mein Leben zum Pfand, daß ihn kein Arzt mehr heilt, daß ich ihn aber noch rette, wenn ich ihm sogleich brauche, und kein anderer Arzt gebraucht wird. Zugleich sagte er dem Kranken genau, wie er sich im ganzen Verlauf seiner Krankheit befunden haben werde, sodaß dieser ausrief: „Ja, der Schäfer weiß ganz genau, wie mir's war; der kann mir auch helfen!“ In eben so langer Zeit, als Du krank gewesen bist, sagte der Schäfer zu ihm, mache ich Dich wieder vollkommen gesund! Da nun unser Vertrauen zu den Aerzten längst dahin, das meines Bruders zu dem Schäfer dagegen unbegrenzt war, so nahm ihn dieser sofort allein in die Cur, und stellte ihn in der angegebenen Zeit ohne alle Arznei durch bloße Sympathie völlig gesund wieder her, sodaß Jeder, auch jeder Arzt, der ihn sahe, seine Cur eine Wundercur nannte. —
- Wetzlar, am 16. April 1872.
- Christian Spamer.
Anmerkungen
- ↑ GenWiki-Red.: Vgl. Artikel Spamer (Familienname).
- ↑ GenWiki-Red.: Vgl. Artikel Schotten (Hessen).
- ↑ GenWiki-Red.: Vgl. Artikel Nidda.
- ↑ GenWiki-Red.: (gefallen 1915, Anm. K. Kellner)
- ↑ GenWiki-Red.: Handschriftliche Korrektur großes D.
- ↑ GenWiki-Red.: Unrichtige handschriftliche Korrektur im Original auf Monat März. Sterbemonat richtig = April.
- ↑ Genwiki-Red.: Mariaspring ist die Quelle des Baches Rauschenwasser in der Gemeinde Bovenden im Landkreis Göttingen (Niedersachsen). Bis zum II. Weltkrieg war Mariaspring ein beliebtes Ausflugsziel ca. 10 km nördlich von Göttingen, unterhalb der Burg Plesse.
- ↑ GenWiki-Red.: Handschriftliche Änderung des Wortes "gerade" im Original in "gerne".
- ↑ GenWiki-Red.: Der Ort heißt heute Höhr-Grenzhausen im Westerwaldkreis.
- ↑ GenWiki-Red.: Handschriftliche Einfügung "und Oberleutnant".
- ↑ GenWiki-Red.: Der Ort heißt heute Höhr-Grenzhausen im Westerwaldkreis.
- ↑ GenWiki-Red.: Handschriftliche Einfügung des Wortes "zum".
- ↑ GenWiki-Red.: Handschriftliche Änderung des Druckwortes "Feinheit" in "Freiheit".
- ↑ GenWiki-Red.: Der Ort heißt heute Höhr-Grenzhausen im Westerwaldkreis.