Ziele und Aufgaben der wissenschaftlichen Genealogie (Kekule von Stradonitz)/16

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Ziele und Aufgaben der wissenschaftlichen Genealogie (Kekule von Stradonitz)
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oberen Generationen zeigen, und doch in jeder Beziehung normal sind, und andererseits Personen, bei denen das umgekehrte Verhältniß statt hat. Daraus scheint zu folgen, daß bei der angeblichen Schädlichkeit der Verwandtenehen oder, wie man auch sagen könnte, der Inzucht, Faktoren wirksam sein müssen, die von der Verwandtschaft unabhängig sind. So dürfte Devrient im Recht sein, wenn er meint, daß das schnelle Aussterben der spanischen Habsburger im Mannesstamme, bei denen allerdings eine besonders starke Inzucht bemerkbar ist, nicht auf die vielen Verwandtenehen an sich, sondern darauf zurückzuführen sei, daß die stete Zufuhr von deutschem Blute dem Geschlechte die Anpassung an das spanische Klima erschwert habe. Ich stimme auch darin Devrient völlig zu, wenn er den Satz ausspricht: „Eine absolute Schädlichkeit der Inzucht ist bisher noch nicht erwiesen worden. Wir werden die hierauf bezüglichen Fragen also nur als etwas komplizirte Fälle gewöhnlicher Vererbungsfragen behandeln können".

      Der Glaube an die Vererbung individueller Eigenschaften ist allgemein verbreitet und die Erfahrungen, die man im täglichen Leben machen kann, die Beobachtungen, zu denen Schritt und Tritt Gelegenheit bietet, scheinen diesen Glauben zu bestätigen. Mit der Vererbung der individuellen Eigenschaften beschäftigt sich sowohl die Geschichte, wie die Pathologie. Erstere, wenn sie von Familiencharakter, von Familientypen spricht. Letztere bei dem Heer von Fragen, welche die erblichen Krankheiten des Geistes und Körpers besprechen.

      Die Frage, ob sich bei gewissen Geschlechtern das Vorhandensein eines bestimmten Familiencharakters nachweisen läßt, will mir noch immer als eine der wichtigsten für die Behandlung der Geschichte erscheinen. Es ist ja bekannt, daß sich in neuerer Zeit eine Strömung in der Geschichtswissenschaft großen Ansehens erfreut, welche meint, die eigentliche politische Geschichte bewege sich nur an der Oberfläche der menschlichen Dinge, der wirkliche geschichtliche Werdegang werde durch soziale und wirthschaftliche Zustände und Geschehnisse