Bittehnen

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Wappen von Pogegen

B i t t e h n e n

Bauerndorf am Rombinus-Berg
M e m e l l a n d, Ostpreußen
_______________________________________________

Die ehemalige Schule von Bittehnen


Hierarchie




Ein Haus in Bittehnen-Uszbitschen

Bittehnen
Bittehnen in der Memellandkarte



Einleitung

Das memelländische Dorf Bittehnen ist durch Lena Grigoleits Erzählung „Paradiesstraße“ über-
regional bekannt geworden. Die 1910 geborene Bäuerin berichtet von ihrem Leben am großen
Memelstrom. Sie berichtet von einer glücklichen Jugendzeit am Fuße des legendären
Rombinus-Berges.

Als Geschäftsfrau in Schmalleningken erlebt sie die „Heimkehr ins Reich“, von den Sowjets
wird sie als „Kulakin“ nach Sibirien verbannt und nach dem Tod ihres Mannes findet sie Trost
im Anhören von Radiosendungen in deutscher Sprache. Nach der Wende hat sie sogar noch
ehemalige Bittehner im Westen besuchen können. Ihrem Bericht verdanken wir viele
Informationen über das damalige Leben im Memeldorf Bittehnen.


Name

Andere Namen und Schreibweisen

Namensdeutung

Der Name weist auf Imkerei.

  • prußisch "bite, bitte" = Biene
  • "bitinikas" = Bienenzüchter, Imker
  • preußisch-litauisch "bitinas" = die Bienenkönigin
  • "bičiulis" = Imkereigenosse
  • "bitynas" = der Bienenstand, der Bienengarten
  • "sīla, sylo, šila" = Heide, Heideland, Fichtenwald
  • preußisch-litauisch "šilas" = Heide, sandige Heide, Kiefernwald,
    aber auch Thymian und Monat September


Politische Einteilung

Bittehnen ( Einw.: 574 ; Fläche: 860 ha),
um 1918 Zusammenfassung mit Bittehnen-Schillehnen + Bittehnen-Uszbitschen.
heute litauischer Name: Bitėnai

der Wohnplatz davon mit Einw.: 231; Fläche: 382 ha
ältere Schreibweise: Bittenen-Szillenenbis um 1785
heute litauischer Name: Bitėnai
der Wohnplatz davon mit Einw.: 343; Fläche: 478 ha
ältere Schreibweise: Bittehnen-Uszbittehnen bis 1727;
Bittehnen-Uschbittschen bis 1736; Bittenen-Uszbittschen bis 1785;
Uszbitschen bis 1939
heute litauischer Name:Uzbiciai

Die Zusammenlegung wurde nach 1945 beibehalten. [1]

Kreiszugehörigkeit:

  • Bittehnen gehörte ab 1939 bis 1945 zum Kreis Tilsit-Ragnit
  • Bittehnen / Bitėnai gehört ab 1945 zum Rayon Pagėgiai (Pogegen)
So sah der Grigoleit-Hof in Bittehnen im Jahre 2008, Foto: Kestutis
Straße nach Bittehnen, Foto Kestutis 2008
Die Schule in Bittehnen, Foto Kestutis 2008


Allgemeine Informationen

Martynas Jankus

Bittehnen (litauisch: Bitėnai) ist heute ein Dorf mit etwa 100 Einwohnern im Amt Lumpenkai (Lompönen)
in der Rajongemeinde Pogegen (Pagėgiai) in Litauen.
Der Ort liegt am Ufer der Memel unweit des archäologisch und in der religiösen Überlieferung bedeutsamen
Hügels Rombinus (lit. Rambynas), seit 1992 Naturschutzgebiet.

Der Ort wurde erstmals um 1500 als Bitten erwähnt. Der Name weist auf Imkerei: prußisch "bitte" = Biene; litauisch "bitinai" = Bienenköniginnen.
In der Nähe fließt ein vier Kilometer langes Flüsschen Bitė (deutsch: Bitt).
Zwischen den Weltkriegen gehörte der Ort zum sogen. Memelgebiet, das sich von 1920 bis 1939 unter litauischer Oberhoheit befand.

Für die litauische Kulturgeschichte ist Bittehnen durch die Verlegertätigkeit des Schulmeisters Martin Jankus (1858 - 1946) von Bedeutung. Besonders in den Jahren, als die Zaren die Russifizierung all ihrer anderssprachigen Provinzen betrieben, und auch in Litauen das Drucken von Büchern in lateinischen Buchstaben verboten hatten (von 1865 bis 1905), wurden sowohl Bücher als auch Periodika in Preußen gedruckt und von hier aus über die Grenze nach Litauen geschmuggelt.

Jankus nun betrieb nicht nur eine Druckerei, in der er von 1892 bis 1909 104 litauische Bücher herausgegeben hat, sondern redigierte auch selbst Zeitschriften, unter anderem so wichtige für Litauens Geistesleben, wie „Aušra“ (lit. Morgendämmerung) und „Varpas“ (lit. Glocke).

Das Druckereigebäude steht nicht mehr. An seiner Stelle befindet sich ein Gedenkpfahl, der von einer Glocke gekrönt wird. Aber dank der Bemühungen insbesondere des Büchereiwissenschaftlers und Kulturkundlers Prof. Domas Kaunas, der sich auch sonst große Verdienste um die Kulturgeschichte Klein-Litauens und insbesondere des Memellandes erworben hat, soll sie nun wiederhergestellt werden. Die Baupläne sind noch erhalten, die Inneneinrichtung ist bekannt, und kann rekonstruiert werden. [3]

Eingang zum Friedhof von Bittehnen

Logo Leerstelle.jpg

Das Martin Jankus-Museum in Bittehnen

Kirchliche Zugehörigkeit

Gedenkstein für Chr. Donelaitis in Bittehnen

Evangelische Kirche

Bittehnen gehörte zum Kirchspiel Ragnit Land

Friedhof

Sehenswert ist der Bittehner Waldfriedhof, auf den im Jahr 1991 der Schriftsteller Wilhelm Storost (Pseudonym Vydūnas, 1868-1953)
und 1993 der litauische Patriot, Drucker und Verleger Martynas Jankus (Martinus Jankus, 1858-1946) umgebettet wurden
und ein Gedenkstein für den Theologen und Dichter Kristijonas Donelaitis (latinisiert Christian Donalitius, 1714-1780) errichtet wurde.




Bewohner.png Bewohner

Familie Kosgalwies

Von Angelica Jackson
Albert Kosgalwies war mein Großvater. Seine Familie wohnte auf diesem Anwesen (rechts). So manche Generation hat das Haus beherbergt und vor den kalten und stürmischen Tagen Ostpreußens geschützt.

Geschwister Fritz und Else Kosgalwies
 
Die Familie
 
Haus von Albert Kosgalwies

Auf dem linken Bild ist mein Vater Fritz Kosgalwies mit seiner Zwillingsschwester Else Kosgalwies zu sehen. Else ist als Kind noch viel zu früh schon verstorben.


Schule

In Bittehnen gab es eine Schule. Sie gehörte zu der Gemarkung Bittehnen-Uszbitschen.

Fotos der ehemaligen Schule

2008

2008 (Foto: Kestutis Tolvaisa)
2008 (Foto: Kestutis Tolvaisa)
2008 (Foto: Kestutis Tolvaisa)
2008 (Foto: Kestutis Tolvaisa)

2021

2021 ©KestucioZ.Fotografija
2021 ©KestucioZ.Fotografija
2021 ©KestucioZ.Fotografija
2021 ©KestucioZ.Fotografija


Bittehnen - ein Dorf an der Memel

Von Kestutis Tolvaisa

Bittehnen Storch.jpg

Wenn Sie die Chaussee Silute - Jurbarkas entlangfahren, zeigt Ihnen jedermann in der Gegend von Lompönen und Willkischken das Dorf Bittehnen und erzählt Ihnen auch gerne davon. Bittehnen liegt ganz dicht am Berg Rombinus, der von malerischen Kiefernwäldern umgeben ist. Östlich davon ziehen sich weite Wiesen in die Ferne. Hier zeichnet die Memel einen breiten Bogen: Wie an den Steilhang des Berges geschmiegt, bewegt sich der Strom nach Westen und verschwindet hinter dem Horizont. Jenseits der Memel sind die Schornsteine von Ragnit deutlich zu sehen. Früher wachte auf Ragniter Seite ununterbrochen ein Fährmann, und wenn man auf die andere Seite wollte, genügte es, mit der Hand zu winken. Die Wälder von Bittehnen sind berühmt für ihre Waldbeeren, und die Menschen setzten von der Ragniter Seite über die Memel, um im Sommer Beeren und im Herbst Pilze zu sammeln.

So war es vor zehn Jahren und früher. Heute sieht alles anders aus. Der Memelstrom bildet die litauisch-russische Grenze. Bittehnen ist jetzt ein Dorf im Grenzgebiet, ohne Anlegestelle und ohne Fähre. Ragnit und Tilsit erreicht man nur auf dem Landweg. Den schönsten Blick auf Bittehnen haben Sie, wenn Sie sich dem Dorf auf der Landstraße von Osten her- vom malerischen Dorf Pempöhnen - annähern. Auf der Anhöhe erstrecken sich vor Ihren Augen in üppiges Grün eingetauchte rote Backsteinhäuser, der rechts emporragende Rombinus, der glänzende Memelbogen und dahinter - mit Sträuchern überwachsene Wiesen an der Memel und die Konturen von Tilsit. Wenn sie Bittehnen vor dem Sonnenuntergang verlassen, haben Sie nur einen kleinen Teil der Schönheit dieser Ortschaft bewundert. Die sommerlichen Sonnenuntergänge hier an der Memel sind nämlich einmalig. [4]


Lena Grigoleit

Ulla Lachauer

Das Kennenlernen
Von Ulla Lachauer
Ich lernte sie kennen im September 1989, an einem sonnigen Abend. Es war die Zeit des großen Aufbruchs in Litauen, noch war das Land eine Sowjetrepublik. Die Stimmung im Land war freudig erregt, und ich hatte das Glück, Augen- und Ohrenzeugin zu sein. In diesem Herbst überschlugen sich die Ereignisse in Mitteleuropa. Wenige Wochen später fiel in Berlin die Mauer.

Damals war ich unterwegs mit einem Team des westdeutschen Fernsehens, einen Film zu drehen im westlichen Litauen, jenem schmalen Streifen nördlich der Memel, der früher einmal zu Deutschland gehört hatte. An diesem Abend waren wir auf der Suche nach einem Dorf namens Bittehnen: dem Schauplatz von Johannes Bobrowskis Roman „Litauische Claviere“. Unterwegs in Richtung Rombinus kreuzte ein alter Mann unseren Weg, und wir fragten ihn, ob hier noch jemand lebe von früher. „Ja“, gab er zur Antwort, „eine einzige Frau, Elena Kondratavičiene“, und zeigte auf ein Backsteinhaus, „dort, wo die vielen Dahlien blühen.“

Lena Grigoleit in Bittehnen beim Interview im September 1989

Ich sehe die Szene noch immer vor mir: Wie Frau Elena auf unser Rufen hin aus dem Haus kommt, klein und behände und ein wenig krumm. Wie sie kein bißchen verwundert ist über unseren Besuch und die merkwürdigen Gerätschaften, die wir mit uns herumschleppen. Wie sie mit der größten Selbstverständlichkeit der Welt anfängt zu erzählen: „Wie lang ich hier schon wohn? Gleich achtzig Jahre. Die anderen Bittehner sind verstreut in alle Winde. Die meisten sind im Westen, in Deutschland. Manche sind auch in Kanada, manche sind in Amerika. Je nachdem, wie das Schicksal sie verschlagen hat. Die einzige bin ich geblieben.“

Die alte Frau spricht von der Tragödie ihres Lebens. Und sie strahlt dabei eine Kraft und Helligkeit aus! Sie spricht und spricht. „Leben sie gern hier?“ frage ich dazwischen. Ich frage in aller Unschuld, was ich normalerweise niemals fragen würde. „Ja!“ sagt sie und lacht. „Jetzt auf Lebensende sollte man doch auch wirklich gerne leben hier. Was soll man noch weiter? Wo soll man noch weiter hin? Heimat ist Heimat, da kann man nichts Besseres finden.“

Wir hatten, lange nach dem Untergang der memelländischen Welt, lange nach Bobrowskis Abgesang auf diese Welt, einen Menschen gefunden, eine Frau, die klar und wesentlich über eine längst versunkenen Epoche sprach: eine letzte Stimme aus Preußisch Litauen. [5]

Lena Grigoleit berichtet über Bittehnen

Memelwiesen bei Bittehnen, Foto Kestutis 2008

Unser Dorf hieß damals Bittehnen und gehörte zu Ostpreußen. Es liegt an der Memel, einem großen Strom. Er fließt durch unsere Wiesen in einem schönen sanften Bogen und kann sehr wild sein. Die Bitt, das Bächlein vor unserem Hause, mündet in ihn hinein. Ich habe mich oft gefragt, warum unsere Memel so wenig besungen wurde. Über den Rhein oder die Donau gibt es Lieder noch und noch. „An der schönen blauen Memel“, das hätte auch gut geklungen. Das einzige, was die Dichter für uns geschaffen haben, ist „Von der Maas bis an die Memel“. Und das ist kein Lied, sondern eine Hymne.

Unser Hof steht am Anfang eines kurzen Feldweges. Dann kam Kellotats Hof und ein Stückchen weiter Ballnus‘ Hof. Christoph Ballnus prahlte immer mit seinem Herdbuchvieh, sein Besitz war einer der größten im Dorf. Unser Vater war stolz auf seine Trakehner. Mit unseren hundert Morgen Ackerland und Wiese waren wir Mittelbauern. Der kleinste Hof war Kellotat, aber er war mir der liebste. Darin lebten drei Mädchen und zwei Jungen, die ganze Kindheit und Jugend haben wir zusammen verbracht. Weil ich keine Schwester hatte, beneidete ich das „Dreimädelhaus“.

Kellotats Älteste hieß Lydia, ein hübsches zartes Ding mit schwarzbraunen Zöpfen. Sie hat einmal behauptet, sie wäre die Schönste und Klügste von uns vieren. Wir waren beleidigt, obwohl es wahrscheinlich stimmte. Else, die Mittlere, trug die Haare wie Schnecken um die Ohren und war ein richtiges Hausmütterchen. Luise, genannt Liesi, hatte einen blonden Lockenkopf. Weil sie auf einem Schulbilde mit geschlossenen Augen stand, nannte sie meine Mutter immer, das „blinde Engelchen“. Irgendwie paßte das zu der schüchternen Liesi. Alle waren wir uns gut. Die Kellotat-Mädchen spielten Harmonium, ich Geige. Wir musizierten und sangen immerzu, wenn wir Zeit hatten. Deshalb bekam unser Weg im Dorf den schönen Namen „Paradiesstraße“.

Am Sonnabend wurde immer geharkt und manchmal auch gefegt. Gestern, wie ich durch die Paradiesstraße ging, dachte ich, wie viele Wochen wohl schon vergangen sind seit damals, als Liesi und ich hier mit unserem Besen gewirkt haben. Das kann kein Mensch mehr berechnen. „Heute ist die Paradiesstraße wie ein Pfad im Urwald“, habe ich der Liesi neulich geschrieben.

Lena Grigoleit mit ihrer Kuh Rose in Bittehnen

Jeden Tag führe ich meine Kuh, die Rose, zum Weiden auf dem Ballnus seine Wiese. Vorbei an Kellotats ehemaligem Hauseingang, wo nur noch Brennesseln stehen. Man sollte sie umhacken, denke ich. Sie ersticken den Birnbaum, er trägt schon nicht. Wie oft ich das schon gedacht habe? Früher hatte er so kleine gelbe Birnen, die schickte Frau Kellotat immer in einer Wanne meiner Mutter zum Geschenk.

Ich erinnere mich noch an alles, wie es war. Wo der Schweinestall gestanden hat, wo die Sommerstube fürs Gesinde, die eiserne Pumpe, alles. Ballnus hatten ihre Küche nach vorne raus, da hörten wir immer das Geschirr klappern. Bloß das Hoftor haben sie gelassen, weil der Sowchos dahinter sein Vieh hatte und es gerne abschließen wollte. Sonst ist alles zertrümmert, alles abgerebbelt. Mehr als die Hälfte der Bittehner Höfe sind praktisch weg. Daß da einmal Menschen waren, weiß man nur noch von dem Fliederbusch. Der ist meistens noch da, jede Familie pflanzte sich damals einen vors Fenster.

Die Bittehner sind verstreut in alle Winde. Viele sind im Westen, vor allem in Deutschland. Kosgalwies‘ Else, die den Adomat geheiratet hat, wohnt in Florida. Fritz Bussmann soll in Afrika sein. Der Gerolis meldete sich neulich aus Braunschweig. Seitdem die Post hin- und hergeschickt werden darf, weiß ich ungefähr, wer von den Bittehnern noch am Leben ist.

Von der Paradiesstraße ist sonst nur die Liesi geblieben, Sie lebt in der Pfalz, in einem Städtchen, das heißt Frankenthal. Sie schreibt immer, sie muß heulen, wenn sie meine Briefe liest: „Wenn Dein Brief ankommt, lebt die Heimat wieder auf. Da möchte ich sofort nach Hause laufen.“ Das verstehe ich. Sie weiß doch dieselben Wege und Stege, was wir für Dummheiten gemacht haben, wie wir gut getan haben und wo wir schlecht waren, alles.

Wäre die Freiheit in Litauen früher gekommen, die Liesi hätte sich sofort in die Eisenbahn gesetzt und wäre hergefahren. Nun hat sie keine Energie mehr. Im letzten Osterbrief schrieb ich ihr: „Liesi, mach mir nicht den Ärger, daß Du früher gehst als ich. Du bist die Jüngere von uns beiden!“
Ich bin zu Hause. Ich bin die einzige Bittehnerin, die noch zu Hause ist.

Deutsch und litauisch

Wir waren „preußische Litauer“, so nannte man das damals, wie ich klein war. Mit vier Jahren konnte ich perfekt Deutsch und Litauisch. Wir sprachen mal so, mal so. Die Eltern redeten uns mehr auf Deutsch an, die Großeltern mehr auf litauisch. Mit dem Gesinde ging es auf litauisch, die Kasuhne und der Vytas und wie sie alle hießen verstanden meist nichts anderes.

Kaiser Wilhelm II.

Wieder andere Menschen im Memellande konnten nur Deutsch. Wenn die auf den Hof kamen, fielen uns gleich die deutschen Worte auf die Zunge. Manchmal konntest du an der Sprache erkennen, in welchem Zustand einer war. Wenn der Karl von nebenan litauisch sang, war er bestimmt besoffen. Nüchtern sprach er immer deutsch. Beten wiederum mochte er lieber auf litauisch. Abends, am großen Tisch, wenn Alte und Junge bei uns zusammensaßen, war es am gemütlichsten, wenn alle sich auf litauisch unterhielten. Das war so gang und gäbe. Das war ganz leicht, die Sprache hat die Menschen nicht auseinandergebracht damals.

Mein Vater hieß eigentlich Jurgis. In seinem Paß zur Kaiserzeit mußte es Georg sein. Das Deutsche war besonders im offiziellen Umgang gefragt. In der Schule wurden wir auf deutsch erzogen. Das hatte der Kaiser so gewollt. Leider ging er uns bald verloren. Aber wie ich ein Kind war, gehörten wir zu ihm und zum Reich. Sein Bild hing bei uns in der guten Stube. Natürlich waren wir kaisertreu, alle waren kaisertreu. Wen anderes gab es ja nicht.

Zu jener Zeit figurierte der Kaiser ganz alleine. Man sagte, er hätte seine preußischen Litauer besonders lieb. Unter ihnen suchte er sich immer die längsten Kerls aus für seine Garde. Aber die wollten nicht, die versteckten sich nachts auf den Bäumen, wenn man sie holen wollte. An Kaisers Geburtstag, am 29. Januar, hab ich mir immer Locken gemacht. Beim Fest in der Schule trugen wir Mädchen die Haare offen, mit langen Bändern. Jedes Jahr nähte uns Mama neue Kleider zu diesem Anlaß. „Ich hab mich ergeben mit Herz und mit Hand, will Vaterland dir bleiben auf ewig fest und treu“, haben wir geschmettert. Danach ging es zur Nachfeier zu Luise Schlegelberger, die oben auf dem Rombinus wohnte und auch Geburtstag hatte. [6]

Der Rombinus

Blick vom Rombinus bei Bittehnen in Richtung Tilsit, Foto Kestutis 2004

Beschreibung
Von Kestutis Tolvaisa
Der Name Rombinus reicht in die alte, graue Vorzeit zurück. Der Berg war eine Kultstätte, der Rombinus-Wald wurde als Heiligtum angesehen. Auf dem Rombinus opferten die ursprünglichen Landeseinwohner, Prußen genannt, ihren Göttern. Während der religiösnen Zusammenkünfte und Feste ergoß sich feierlicher Sang vom Berg hinunter auf die Memelwiesen und hallte bis auf die Dörfer Bittehnen, Bardehnen, Krakonischken und Schakeningken weiter.
Erstmals wurde der Rombinus um 1390 in den Wegeberichten der Ordensritter als Zwischenstation oder einer Stelle, wo man die Nacht zubringen konnte, erwähnt. Vom 23. September 1394 ist folgender Bericht überliefert: „Zada von Laukisken und Waynegende von Ragnit haben desin weg gegangen. Czum erstin us von Rambin (Rombinus) von der Uemie bis yf Lupin veis 1 mile gut wg, do lyet man die erste nacht...“

Den alten Sagen zufolge stand auf der Spitze des Berges ein großer, flacher Stein, auf dem geheimnisvolle Zeichen eingeprägt waren: Schwert, Menschenhand und Pfote eines unbekannten Tieres. Man vermutet, dass hier eine Burg der Schalauer gewesen sein sollte.

Durch heftige Stürme erlitt der Rombinus-Berg zweimal großen Schaden:

  • Zum ersten Mal im Jahre 1835, als ein vom Wasser umspültes, 400 m langes und 27 m breites Stück Erde in die Memel abstürzte.
  • In der Nacht des 21. Juli 1878 stürzte mit ohrenbetäubendem Krach ein 116 m langer Erdstreifen aus einer Höhe von 33m in den Fluß und ragte sogar 2,3 m aus dem Wasser empor.
  • Derzeit erhebt sich der Berg über der Memel in die Höhe von 46 m. Der Rombinus beendet gleichwohl die bei Willkischken beginnende Höhenkette. Von hier öffnet sich ein Blick unbeschreiblicher Schönheit auf das Memeltal.

Mit dem Ziel, die Landschaft des Memelbogens und des Rombinus zu bewahren, wurde 1992 der Regionalpark Rombinus gegründet, die geschützte Fläche umfasst 4.520 ha.
Alljährlich lockt das Johannisfest auf dem Rombinus Menschen von den umliegenden Ortschaften und sogar von weiter entfernten Bezirken zu Gesang und Tanz. [7]

Johannisfest auf dem Rombinus

Memelländische Trachten

Von Lena Grigoleit
Wenn das Johannisfest kam, eine Woche vordem waren wir schon alle krank vor Aufregung. Daß wir bloß wegkommen! Jeder wollte so schnell wie möglich zum Rombinus. Menschenskinder, da kamen Gäste von weit und überall. Im Dorf war Hochbetrieb, unser Hof stand voller Fuhrwerke. Manche waren Bekannte oder Verwandte wie die Tante Auguste, die Schwester meiner Mutter mit ihren Kindern.

Die liebte ich nicht. Du mußtest Essen auftragen und Bier holen, und du kamst nicht weg. Die Mädchen, die Kasuhne oder Oljane, die verschwanden einfach am Freitagabend und tauchten erst Montag morgens wieder auf. Und ich hatte den ganzen Betrieb am Halse. Bloß schnell zum Melken und weg. Aber wenn die Milch geschleudert war, stand schon wieder das viele Geschirr da von der lieben Verwandtschaft. Die Freundinnen warteten: „Komm, komm“, bevor noch mehr Besuch kommt, rauf auf den Rombinus.

Die Menschen rasten hin und her. Einer ging hoch, andere kamen schon zurück, manche machten sich schon zum zweiten Mal auf den Weg. Oben hatten unsere Gastwirte ihre Verkaufsbuden aufgemacht, Fabian, Wollberg, Kosgalwies, auch die Lompöner standen mit Bonbons, Bier, Schnaps und Gebäck. Musikorchester spielten, das eine kam von Tauroggen, das andere von ichweißnichtwo. Vorne spielte eines, und wenn das zu Ende war, fingen die anderen an. Alles war immer voll Musik! Trachten waren, viele schöne Trachten, daß man sich gar nicht satt sehen konnte an den Frauen. Meistens war eine Schaubühne aufgezogen, da brachten sie Theaterstücke und Gedichte.

Grabmal der Lena Grigoleit

Abends haben wir getanzt. Der Höhepunkt des Festes war immer die Quadrille à la cour, das ist so wie ein Menuettanz. Der hatte zehn Touren immer zu vier Paaren, zwei so und zwei so, um solche Quadrate herum. Alle warteten auf das Vorspiel. Dann haben wir uns gewiegt und geträllert: „Komm‘ Sie mal rüber, komm‘ Sie mal rüber...“ Das war das schönste, immer um Mitternacht. Aber morgens, da konnten wir die ganze Nacht durchgetobt haben, morgens mußten wir zum Melken zu Hause sein. Kaum waren wir fertig, spätestens am Mittag, mußten wir wieder auf den Rombinus.

Am Sonntag wurde auch immer politisiert, viele Redner meldeten sich zu Wort. Unser ehrwürdiger Martin Jankus von Bittehnen sprach. Er hatte sich in den Kopf gesetzt, die alte Kultur der preußischen Litauer zu verteidigen. Wir sollten daran festhalten, sagte er, das Brauchtum wiederaufleben lassen. Danach war meistens der berühmte Vydunas aus Tilsit zu hören. So ein kleines Männchen war er, ein Vegetarier. Er brachte einen Chor mit, welcher „Birutė“ hieß nach der litauischen Königin von alters her.

Unser Rombinus war nämlich ein wichtiger Platz der Geschichte. Nicht sehr hoch, aber die Memel machte zu seinen Füßen eine Schleife. Vom Berg aus hatten früher die Götter die ganze weite Umgebung beherrscht. Und die Menschen haben ihnen Opfer dargebracht. Der große Stein für Perkunas, den Donnergott, stand immer noch da, mitten auf der Lichtung, mitten im Fest.

Auch Großlitauer sprachen, auch Generale aus Kaunas, Gelehrte, sogar wichtige Menschen aus dem Deutschen Reich. Jeder hatte so seine eigene Idee. Man machte sich bekannt. Sie saßen und tranken und aßen. An einer Stelle sang die Feuerwehr auf deutsch, anderswo ein Verein auf litauisch. Da war noch immer keine Feindschaft.
Sonntag nacht war Schluß oder gegen Morgen, zum Montag hin. Manche sangen noch auf dem Rückweg, manche schwankten. [8]

Logo Leerstelle.jpgLena Grigoleit ist am 22. April 1995 in Klaipeda gestorben. Sie wurde am 25. April 1995 auf dem Rombinus begraben.Logo Leerstelle.jpg


Persönlichkeiten

Vydūnas

Sehenswert sind das kleine Martynas Jankus gewidmete Museum und der landschaftlich reizvoll gelegene Rambynas mit dem Waldfriedhof,
auf den im Jahr 1991 der Schriftsteller Wilhelm Storost (Pseudonym Vydūnas, 1868-1953)
und 1993 der litauische Patriot, Drucker und Verleger Martynas Jankus (Martinus Jankus, 1858-1946) umgebettet wurden
und ein Gedenkstein für den Theologen und Dichter Kristijonas Donelaitis (latinisiert Christian Donalitius, 1714-1780) errichtet wurde.

Bitėnai beherbergt die größte Storchenkolonie des Memellandes.

Fotos aus Bittehnen

Fotoalbum Tool.jpg

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Verschiedenes

Karten

Bittehnen Uschbittschen und Bittehnen Szillehnen auf der Schroetterkarte Blatt 12, (1796-1802), Maßstab 1:50 000
© Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz
Bittehnen-Uszbitschen und Bittehnen-Schillehnen im Preußischen Urmesstischblatt Nr. 87, 1861
© Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz
Bittehnen-Uszbitschen und Bittehnen-Schillehnen im Messtischblatt 0998 Ragnit, (1913-1939)
© Bundesamt für Kartographie und Geodäsie
Umgebungskarte von Bittehnen,
Ausschnitt aus einem Messtischblatt, Stand 1938

Logo Leerstelle.jpg

Bittehnen und Bittehnen Szillenen, untere Hälfte links auf der Schroetter Karte 1802, Maßstab 1: 160 000
Skizze aus der Gemeindeseelenliste von Bittehnen aus den 50er Jahren, (c) Bundesarchiv
Umgebungskarte Bittehnen-Bardehnen
Gebiet des Landkreises Pogegen(1920 - 1939)


Daten aus dem genealogischen Ortsverzeichnis

<gov>BITNE1KO15AB</gov>

Quellen

  1. Ortsverzeichnis Krs. Tilsit-Ragnit
  2. Amtsblatt des Regierungspräsidenten in Gumbinnen, 2.9.1939
  3. Text: Dr. Helmut Arnaszus, Reiseführer „Durch Litauen und ehemaliges Ostpreußen“, Seite 23, Vilnius 1990, ISBN 5-420-01025-9
  4. Text: Kestutis Tolvaisa
  5. Ulla Lachauer, Paradiesstraße, Seite 136/137, ersch. bei Rowohlt, Hamburg 1996, ISBN 3 498 038788
  6. Ulla Lachauer, Paradiesstraße, Seite 8-14, ersch. bei Rowohlt, Hamburg 1996, ISBN 3 498 038788
  7. Rext: Kestutis Tolvaisa
  8. Ulla Lachauer, Paradiesstraße, Seite 23-25, ersch. bei Rowohlt, Hamburg 1996, ISBN 3 498 038788