Fürstentum Lippe
Lippe ist ein mehrfach besetzter Begriff. Zu weiteren Bedeutungen siehe unter Lippe (Begriffserklärung). |
Kurfürstentümer, Herzogtümer, Grafschaften, große und kleinen Herrschaften, Erzstifte, Hochstifte, Abteien, Reichsstädte und Reichsdörfer, Reichsfürsten und Reichsritter — unübersehbar verwickelte territorialen Verhältnisse im weit über die heutigen Grenzen Deutschlands ausgreifenden HRR. Sie verwalteten Land und Untertanen durch jeweils entsprechend strukturierte Einrichtungen. Dazu gehörte auch das Fürstentum Lippe.
Hierarchie: Regional > Deutschland 1871-1933 > Fürstentum Lippe
Status
- Dynasten, Edelherren
Einleitung
Zeitzeichen 1895
Lippe, Fürstentum in Deutschland und deutscher Bundesstaat (unrichtig Lippe-Detmold), zwischen der Weser und dem Teutoburger Wald gelegen,
Allgem. Geographie, Klima
Lippe bildete 1895 ein wohl abgerundetes Gebiet von 1.215,2 qkm (22,1 qM) und grenzte, abgesehen von 3 kleinen Exklaven (Kappel u. Lipperode im preussischen Kreis Lippstadt und Grevenhagen im preussischen Kreis Höxter), im Nordwesten, Westen und Süden an den Regierungsbezirk Minden, im Norden sowohl an den Regierungsbezirk Minden als auch an den zum Regierungsbezirk Kassel gehörigen Kreis Rinteln, im Nordosten an die frühere kurhessische Grafschaft Schaumburg und im Osten an die Provinz Hannover (Fürstentum Kalenberg) und den Kreis Pyrmont, Fürstentum Waldeck-Pyrmont. Von Flüssen berührt die Lippe nur die Enklave Lipperode, die Weser nur die nördliche Spitze des Landes. In letztere fliessen die Bega, Werre, Exter, Kalle, welche im Lande entspringen und die Lutter; die Emmer durchströmt den Südost-Teil desselben. Das Klima ist gesund und zwischen rauh und mild (im Mittel 9,4°).
Gebirge
Das Fürstentum ist grösstenteils reichbewaldetes Berg- und Hügelland, das dem Gebiet vom Teutoburger Wald (Südwest-Grenze) und dem vom Wesergebirge angehört; höchster Punkt die Völmerstod, 464 m, der Barnacken (451 m), das Winnfeld (422 m), der Steinberg (411 m); ausserdem die Grotenburg bei Detmold, 385 - 388 m hoch, mit dem Hermannsdenkmal; im Südosten erreicht der Köterberg 502 m Höhe, den Externsteinen usw. Die Erhebungen vom Teutoburger Wald gehören der Kreideformation und dem Muschelkalk an, im Westen nimmt der Lias eine grössere Fläche ein, im übrigen Lande herrscht die Keuperformation vor, die hier und da vom Muschelkalk durchbrochen und an einzelnen Stellen von Tertiär überlagert wird. Metalle, ausser Schwefelkies u. Raseneisenstein, sind nicht vorhanden; an einzelnen Stellen findet sich Braunkohle und bituminöser Schiefer. Mineralbäder giebt es in Meinberg und Salzuflen, an letzterm Orte auch eine Saline.
Bevölkerung 1890
Die Bevölkerung (1890) umfasst 128.495 Einwohner. Dieselbe gehört zum niedersächsisch-westfälischen Stamm; die Sprache der Land-Bevölkerung war 1895 nierdeutsches plattdeutsch. Dem religiösen Bekenntnis nach waren am 1. Dez. 1890 123.111 Reformierte und Lutheraner, 4.332 Katholiken und 989 Juden. Die relative Bevölkerung beträgt 105,7 Ew./qkm, ist also in anbetracht der waldigen und durchschnittlich mässig fruchtbaren Bodenbeschaffenheit sehr stark.
Kultur, Religion und Bildung
Hinsichtlich der geistigen Kultur und des Volksunterrichts steht Lippe 1895 auf hoher Stufe. Es existieren 2 staatliche Gymnasien, in Detmold und Lemgo, von denen ersteres mit einer lateinlosen Realschule verbunden ist, 2 städtische Mittelschulen (Knaben) in Lage und Salzuflen, 5 sogenannte Rektorschulen, 122 Elementarschulen mit über 230 Lehrern, 10 katholische u. 9 jüdische Schulen (Religionsschulen), ausserdem ein Land-Seminar, 2 höhere Schulen für Mädchen (Töchterschule), eine Taubstummenschule und verschiedene obligatorische Gewerbe- und Fortbildungsschulen. Das Medizinalwesen, namentlich das Hebammenwesen, ist sehr gut geordnet und verwaltet. Für die geistlichen Angelegenheiten der Lutheraner u. Reformierten besteht das Konsistorium. Die Geistlichkeit zerfällt in 3 Klassen und steht unter einem General-Superintendenten und 3 Superintendenten; es gibt 45 reformierte, 4 lutherische Pfrarrstellen, 8 katholische und 13 jüdische Gemeinden. Die Synodalverfassung der Landeskirche beruht auf Gesetzen vom 12. Sep. 1877 u. 19. Okt. 1882, auch die Lutheraner sind der Synode beigetreten. Die kirchlichen Verhältnisse der Katholiken sind seit 1854 durch eine besondere Verordnung geregelt und die Diözesanrechte dem Bistum Paderborn übertragen.
Landwirtschaft
Das wichtigste Gewerbe im Land ist die Landwirtschaft, gehoben durch einen landwirtschaftlichen Hauptverein mit verschiedenen Nebenvereinen. Der Boden ist fruchtbar und deckt den Bedarf an Getreide aller Art. Das Acker- u. Gartenland nimmt (1893) 53,4 %, die Wiesen 5 %, die Weiden 6,9 % und die Waldungen 27,2 % des Areals ein. Der Viehstand ist beträchtlich, besonders die Tierzucht (Pferde) ist in Schwung (beim Schloss Lopshorn, einem Jagdschloss, ist das bekannte „Sennergestüt“); am 1. Dez. 1892 wurden gezählt: 64.453 Schweine, 35.350 Rinder, 32.543 Ziegen, 27.092 Schafe, 8.967 Pferde; d.h. pro qkm 30,5 Schweine, 21,1 Ziegen, 3,4 Rinder, 2,8 Schafe und unter 0,3 Pferde über den Durchschnittszahlen für das Deutsche Reich. Die wohlgepflegten Forsten (allein die zum Domanium gehörigen Waldungen umfassen 17.966 ha) dienen grösstenteils zum Hochwaldbetrieb; es überwiegt das Laubholz (insgesamt auf 81,5 % der Forstfläche), vornehmlich Buchen.
Industrie
Bodenschätze sind 1895 Schwefelkies, Raseneisenstein, Braunkohle, Schiefer; Mineralquellen zu Meinberg; die zum fürstlichen Domanium gehörige Saline zu Salzuflen produziert jährlich etwa 14.000 Doppelzentner (dZ) Salz. Industrie existiert nur in geringem Umfang; es giebt verschiedene Fabriken für Tabak und Zigarren, Brauereien (Bier), Webereien (die früher so hoch stehende Weberei (Leinen, Damast) ist durch die mechanische Weberei zurückgedrängt), Öl- und Sägemühlen, Ziegeleien, Fabriken (Zucker); In weitere Kreise gehen nur die bekannten Meerschaumwaren (Pfeifenköpfe) von Lemgo und die Produktion von Stärke zu Salzuflen (die Stärke-Fabrik von Hoffmann und Kompanie ist als die grösste auf dem Kontinent bemerkenswert). Ausgeführt werden von Landwirtschaftsprodukten.: Holz, Sandsteine, weisser Sand, Garn, Leinwand, Getreide, Schlachtvieh, Wolle, Pferde. Eigentümlich dem Lande ist das Zieglergewerbe. Alljährlich im Frühling ziehen etwa 12.000 Ziegler zum Ziegeleibetrieb in die deutschen und ausserdeutschen Lande bis nach Schweden, Ungarn und Südrussland und kehren mit ihrem Verdienst im Herbst zurück. Eine Eisenbahn von Herford nach Altenbeken durchzieht das Land in Westost-Richtung und berührt die Städte Salzuflen, Lage, Detmold und Horn-Meinberg; eine zweite Eisenbahn von Lage über Lemgo nach Hameln ist (1895) im Bau begriffen. Als Wasserverkehrsweg dient die Weser. Post- u. Telegrafie-Wesen stehen unter der kaiserlichen Oberpost-Direkektion in Minden. Gemeinnützige Land-Institute sind die auf Gegenseitigkeit gegründete Land-Brandkasse (seit 1752), Land-Witwen- und Waisenkasse, Leih- und Sparkasse, das Land-Kranken- und Siechenhaus, die Irrenanstalt zu Brake.
Regierungsform, Verwaltung
Nach der Verfassung ist das Fürstentum Lippe eine konstitutionelle Monarchie. Die zu Recht und in anerkannter Wirksamkeit bestehende Verfassung datiert vom 6. Juli 1836, nachdem das in den Stürmen von 1849 eingeführte Wahlgesetz durch Verordnung vom 15. März 1853 wieder aufgehoben worden ist. Durch Gesetz vom 8. Dez. 1867 ist den Landständen eine entscheidende Stimme bei der Gesetzgebung verliehen. Am 3. Juni 1876 ist ein neues Wahlgesetz zustande gekommen, wonach die nach Steuerstufen in 3 Klassen gegliederten Wähler in direkter, geheimer Wahl 21 Abgeordnete in die Landtagskammer wählen (7 der Höchstbesteuerten, 7 der Minderbesteuerten u. 7 von allen übrigen Staatsangehörigen). Die Legislaturperiode beträgt 4 Jahre. Die höchste Landesbehörde ist das Kabinettsministerium in der Hauptstadt Detmold, dem die Regierung die Direktion der fürstl. Fideikommiss-Verwaltung (seit 1869) mit Rentkammer und Forstdirektion (seit 1855) und das Konsistorium untergeordnet sind. Die höhere Landes-Verwaltungs-Behörde ist das Regierungs-Kollegium, dem die 7 städtischen (Detmold, Lemgo, Blomberg, Salzuflen, Horn, Barntrup u. Lage) und die 13 ländlichen Verwaltungs-Behörden (Ämter; Blomberg, Brake, Detmold, Horn, Lemgo, Lipperode, Oerlinghausen, Schieder, Schötmar, Schwalenberg, Sternberg-Barntrup (Sternberg) u. Varenholz, nebst dem Stift Kappel; darin 155 Gemeinden) unterstehen. Die Ämter bilden zugleich je eine Amts-Gemeinde. Zur Zeit (1895) sind dieselben wieder in 4 Verwaltungs-Ämter geteilt, an deren Spitze ein Amtsrat steht. Der aus den Vorstehern der Dorf-Gemeinden, etwaigen im Bezirk wohnenden Rittergutsbesitzern und Domainenpächtern zusammengesetzte Amts-Gemeinde-Rat beschliesst unter Vorsitz des Beamten in Verwaltungs-Angelegenheiten (Polizei- und Armenwesen, Wegebau etc.). Die 7 Städte haben eigne Verwaltung und Polizei.
Die Städte-Ordnung vom 18. Apr. 1886 regelt die Verwaltung der Stadtgemeinden und des Fleckens Schwalenberg. Die Stadt-Verordneten werden in 3 Klassen nach dem Betrag der direkten Gemeinde- oder Staatssteuern gewählt. Das Fürstentum bildet einen eignen Landgerichts-Bezirk mit dem Landgericht in Detmold, als Oberlandesgericht fungiert kraft Staatsvertrags vom 4. Jan. 1879 das preussische Oberlandesgericht in Celle. Es bestehen 9 Amtsgerichte. Die Enklave Lipperode-Kappel gehört zum preussischen Amtsgericht Lippstadt. Neben einzelnen Partikulargesetzen gilt gemeines Recht. Von besonderer Bedeutung ist die Gütergemeinschafts-Ordnung von 1786, welche allgemeine Gemeinschaft der Güter unter Ehegatten statuiert. Für Bauerngüter besteht Unteilbarkeit und Anerbenrecht. Seit dem Tode des Fürsten Woldemar (20. März 1895) führt Prinz Adolf zu Schaumburg-Lippe die Regentschaft für den regierungsunfähigen Fürsten Karl-Alexander. Ausser der regierenden Linie giebt es die gräflichen Nebenlinien Lippe-Biesterfeld und Lippe-Weissenfeld und die erbherrliche, in ihrem eignen Fürstentum souveräne Schaumburg-Lippe'sche Linie.
Städte
Verwaltungsämter / Ämter 1895/1910
- Verwaltungsamt Blomberg
- Verwaltungsamt Brake
- Verwaltungsamt Detmold
- Verwaltungsamt Lipperode-Cappel
- Verwaltungsamt Schötmar
Wappen, Farben, Orden
Das ursprünglichen Geschlechtswappen ist eine 5-blätterige rote Rose in silbernem Felde, das jetzige (1895) Wappen ein 9-felderiger Schild. Orden: der fürstl. Lippe'sche Hausorden; ausserdem das dem Ehrenkreuz affilierte goldene und silberne Verdienstkreuz, ferner die goldene und silberne Verdienstmedaille, die Zivilverdienstmedaille und Militär-Verdienstmedaille.
Flagge
Wappen
Landesfarben
- Die Landes-Farbe ist Rot-Gelb.
Finanzen
Die Finanzen des Fürstentums sind vortrefflich geordnet. Der Etat der Landes-Kasse für 1895/96 schliesst in Einnahme u. Ausgabe mit 1.190.514 Mark (Mk) ab (1984: 1.038.659 Mk in Einnahme u. 1.158.372 Mk in Ausgabe). Die Landes-Schuld belief sich Ende 1893 auf 810.398 Mk, denen an Aktiven 963.492 Mk gegenüberstehen. Seit 1841 ist Lippe dem Deuten Zollverein beigetreten. 1868 ist die Auseinandersetzung zwischen dem Domanium und dem Staatshaushalt vollzogen. Das Domanium-Vermögen umfasst die Schlösser, Domanium, Forsten, herrschaftliche Erbpachtgüter, Zinsgefälle usw., das Bad Meinberg, die Saline Salzuflen usw. und bildet ein untheilbares, in seinem wesentlichen Bestand unveräusserliches Fideikommissgut der fürstlichen Familie. Die Verwaltung desselben ist der Kammer übertragen, welche zugleich jetzt die Lehnskammer bildet.
Militär
Eignes Militär hat Lippe nicht mehr; die Lippe'schen Wehrpflichtigen werden nach einem mit Preussen abgeschlossenen Vertrage von 1867 in das preussische Heer eingestellt, vorzugsweise in das 6. westfälische Infantrie-Regiment Nr. 55, von welchem der Regiments-Stab, das 3. u. 4. Bataillon. zu Detmold in Garnison stehen.
Geschichte (Frühzeit)
Das jetzige (1895) Fürstentum Lippe, das seinen Name vom Fluß Lippe erhalten hat, gehörte zum Sachsenlande. Das Geschlecht der Grafen von Lippe lässt sich bis auf Hoold-I. (um 948) verfolgen. Kaiser Heinrich-II. verlieh 1014 die ausgedehnte Grafschaft dieses Geschlechts dem Bischof von Paderborn. Doch behauptete sich ein Zweig des Geschlechts im Besitz der Vogtei von Geseke und der Grafschaft im Havergau, Limgau, Thiatmelli (Detmold) und Aagau. Bernhard-I. (1113 - 44) nahm von seinem reichen Allod an der Lippe (dem Amt Lipperode) den Namen „edler Herr zur Lippe“ an. Sein Enkel Bernhard-II. überliess noch bei Lebzeiten die Regierung seinem Sohn Hermann-II. (+ 1229). Die jüngern Söhne des Hauses wurden häufig Bischöfe, vornehmlich in der Diözese Münster und der Diözese Paderborn. Da sich der Urenkel von Hermann-II., Simon-I. (1275 - 1344) mit Adelheid von Schwalenberg vermählte, fiel bei dem Aussterben der Grafen von Schwalenberg um 1362 der älteste Teil dieser Grafschaft, bestehend aus den Ämtern Schwalenberg und Oldenburg, sowie dem Kloster Falkenhagen, an das Haus Lippe, doch mit der Beschränkung, dass das Hochstift Paderborn gleichen Anteil an diesem Gebiet haben solle. Simon-III. (1361 - 1410) führte 1368 das Erstgeburtsrecht ein. Bernhard-VII. (1430 - 1511), mit dem Zunamen „Bellicosus“, errichtete mit dem Herzog Adolf von Kleve und Mark 1444 einen Vertrag, wonach er diesem die bis dahin verpfändet gewesene Stadt Lippstadt zur Hälfte abtrat. Zugleich wurde zwischen beiden Häusern ein Bündnis errichtet, welches Bernhard-VII. in die sogenannte „Soester Fehde“ mit dem Erzbischof Dietrich von Köln verwickelte. Letzterer rief 1447 ein böhmisches Heer zu Hilfe, das die Lippe'schen Lande gänzlich verwüstete, die Städte Lippstadt und Soest jedoch vergebens belagerte.
Regenten
- Bernhard I. von der Lippe (1129 – 1158)
- Hermann I. von der Lippe (1158 – 1172)
- Bernhard II. von der Lippe (1172 – 1196, +1223)
- Hermann II. von der Lippe (1196 – 1229)
- Bernhard III. von der Lippe (1229 – 1265)
- Bernhard IV. von der Lippe (1265 – 1275)
- Hermann III. von Lippstadt (1265 – 1273)
- Simon I. von der Lippe (1275 – 1344) oo Adelheid von Schwalenberg
- Simon II. von der Lippe (1295 – 1333 ?)
- Otto I. von Lemgo (1345 – 1361)
- Bernhard V. von Lippstadt und Rheda (1345 – 1362)
- Simon III. von der Lippe (1361 – 1410)
- Bernhard VI. von der Lippe (1410 – 1415)
- Simon IV. von der Lippe (1415 – 1432)
- Bernhard VII. (der Kriegerische) von der Lippe, (1432 – 1511)
- Bernhard VIII. von der Lippe, (1511 – 1513)
- Simon V. (Reichsgraf 1529) von der Lippe (1511 – 1536)
Erbteilung
1536 Erbteilung unter den Söhnen Simons:
- Sohn Hermann Simon Graf von der Lippe (1536 – 1576) erhält die Grafschaft Sternberg und Pyrmont (1557)
- Sohn Bernhard VIII. Graf von der Lippe (1536 – 1563) erhält Detmold
Geschichte (1450-1820)
Unter Simon-V. (1511-36), der sich seit 1528 Graf nannte, fand die Reformation Eingang. Sein Enkel Simon-VI. (1563 - 1613; (siehe auch: Falkmann „Graf Simon-VI. zu Lippe“, Lemgo 1882-87), der zur reformierten Kirche übertrat, ist der Stammvater der beiden Linien der jetzigen (1895) Fürsten von Lippe. Sein ältester Sohn, Simon-VII, stiftete die Linie Detmold, der zweite, Otto, die Linie Brake, welche 1709 erlosch; der jüngste, Philipp, erhielt Lipperode und Alverdissen und nach dem Aussterben der Schauenburger Grafen (1640) Bückeburg, wovon diese Linie dann den Namen Bückeburg oder Schaumburg führte (s. Schaumburg-Lippe). Der jüngster Sohn von Simon-VII, Jobst Hermann, stiftete die Nebenlinie Lippe-Biesterfeld, von welcher sich wieder Lippe-Weissenfeld abzweigte. Doch erwarb das Haus Lippe-Detmold die Besitzungen beider 1763 durch Kauf. Während des 30-jährigen Krieges und nicht minder während des „Münster'schen Krieges“ (1675) hatte Lippe besonders durch Einquartierung viel zu leiden. Dennoch suchten Graf Friedrich-Adolf (1697 - 1718) und sein Sohn Simon-Heinrich-Adolf (1718 - 1734), der 1720 in den Reichsfürstenstand erhoben wurde, an Luxus es dem französischen Hof gleichzuthun, wobei das gräfliche Domanium -Vermögen meist verschleudert wurde. Des letztern Enkel Friedrich-Wilhelm-Leopold (1782 - 1802) erhielt 1789 eine Bestätigung seiner reichsfürstlichen Würde. Nach seinem Tode regierte bis 1820 seine Witwe Pauline (von Anhalt-Bernburg) für ihren minderjährigen Sohn Paul-Alexander-Leopold zwar in patriarchalischer Weise, aber dem Lande zum Segen. Pauline sah sich 1807 genötigt, dem Rheinbund beizutreten, wodurch das Fürstentum souverän wurde, und schloss sich nach Auflösung desselb. am 5. Nov. 1813 dem Deutschen Bund an. 1819 gab sie dem Land eine Repräsentativverfassung, in welcher alle Klassen der Unterthanen zur Wahl der 21 Landtagsabgeordneten mitwirken sollten. Diese Verfassung fand jedoch bei der Ritterschaft und bei Schaumburg-Lippe, welches seine agnatischen Rechte bei dieser Frage für interessiert erklärte, heftigen Widerspruch; sie sträubten sich gegen Vertretung des Bauernstandes.
Geschichte (1820-1895)
Nachdem Paul Alexander Leopold am 4. Juli 1820 die Reg. selbst übernommen, wurde nach langwierigen Verhandlungen 1836 eine neue Verfassungsurkunde vereinbart und am 6. Juli publiziert. 7 Abgeordnete der Ritterschaft bildeten die ersten Kurie, 14 von den Städten und dem platten Lande die zweite. Der Landtag erhielt nur das Recht der Steuerbewilligung und Aufsicht über die Landes-Kasse. Bei der Gesetzgebung wurde dem Landtag die entscheidende Stimme vorenthalten; dennoch kamen unter seiner Mitwirkung segensreiche Gesetze zustande, wie 1843 die Stadt- und Land-Gemeinde-Ordnung und ein Kriminalgesetzbuch. Der definitive Anschluss an den Zollverein erfolgte 1842. Die Bewegung von 1848 liess auch Lippe nicht unberührt, doch erfolgte die Neugestaltung des Staatswesens meist in friedlicher Weise. Ein neues demokratisches Wahlgesetz und ein Gesetz über Vereinigung der beiden Kurien zu einem Landtag wurden unterm 16. Jan. 1849 vollzogen. Hinsichtlich der Reichsverfassung sprach sich Lippe für die Übertragung der Kaiserkrone an Preussen aus.
Nach dem Tode des Fürsten (1. Jan. 1851) folgte dessen Sohn Paul-Friedrich-Emil-Leopold. Der in Deutschland herrschenden reaktionären Strömung nachgebend, führte er ohne Zustimmung des Landtags die Verfassung von 1836 wieder ein (im März 1853). Als der oldenburgische Staatsrat Hannibal Fischer 1853 das Ministerium übernahm, wurden im Verordnungsweg eine Menge der 1849 - 51 vereinbarten Gesetze aufgehoben. Dasselbe System behielt der Minister von Oheimb (seit 1854) bei. Zwar kamen seit 1856 die Stände wenigstens regelmässig jedes Jahr zusammen, allein von einer Einigung mit der Regierung und gedeihlichem Zusammenwirken dieser letztern und der Stände war keine Rede. Am entschiedensten richtete sich der Unwille der liberalen Partei gegen ein Gesetz vom Jahr 1867, welches die Staats- Domanium für ein Familienfideikommiss des jeweiligen Landes-Herrn erklärte.
Norddeutscher Bund
1866 trat Lippe dem Norddeutschen Bund bei. Damit stand Lippe beim Ausbruch des deutschen Krieges im Sommer 1866 von vornherein zu Preussen. Das Lippe'sche Bataillon war mit der Mainarmee vereinigt und kämpfte bei Kissingen tapfer an der Seite der Preussen. Nach dem Abschluss der am 1. Okt. 1867 in Kraft getretenen Militärkonvention mit Preussen ward Oheimb entlassen. Am 1. Apr. 1872 übernahm der bisherige (preussische) Landes-Direktor des Fürstentum Waldeck, von Flottwell, das Ministerium und versuchte, da das Land auf seiner Weigerung, nach dem Wahlgesetz von 1836 zu wählen, beharrte, einen Landtag auf Grund des Gesetzes von 1849 zu berufen. Als auch dieser Versuch scheiterte, griff er wieder auf das Gesetz von 1836 zurück; doch auch dies war vergeblich. Missmutig legte er am 1. Jan. 1875 sein Amt nieder.
Erbfolge
Als Fürst Leopold am 8. Dez 1875 kinderlos starb, folgte ihm sein Bruder Günther-Friedrich-Woldemar. Dieser war aufrichtig bestrebt, dem verfassungslosen Land endlich zu einer Konstitution zu verhelfen. 1876 fand nach einer provisorischen Wahl-Ordnung die Neuwahl eines Landtags statt, welcher am 17. Mai fast einstimmig das Wahlgesetz genehmigte, worauf dasselbe am 3. Juni publiziert wurde. Damit war der Konflikt vorläufig beendet. Die liberale Mehrheit des Landtags hielt aber die Wünsche des Landes noch nicht für erfüllt und verlangte eine neue, freiere Verfassung. Einen neuen Anlass zum Streit bot die Erbfolgefrage. Fürst Woldemar (geb. 18. Apr. 1824) war betagt und ohne direkte männliche Erben, sein einziger Bruder, Prinz Alexander (geb. 1831), lebte geisteskrank in Gilgenberg bei Bayreuth. Es war nun schon seit längerer Zeit eine in Rechtsgutachten erörterte Streitfrage, ob im Fall des Erlöschens der Linie Lippe-Detmold die erbherrliche Linie Lippe-Biesterfeld oder die fürstliche Linie Schaumburg-Lippe als nächstberechtigt anzusehen sei. Die fürstliche Regierung glaubte die Ebenbürtigkeit der Biesterfelder Linie anzweifeln zu müssen (s.a. Laband „Die Thronfolge im Fürstentum Lippe“, Freiburg/Breisgau 1891), sprach sich aber nicht offen gegen sie aus und begnügte sich, auf direktes Verlangen des Landtags 1890 ein Regentschafts-Gesetz vorzulegen für den Fall, dass Fürst Woldemar stürbe und Prinz Alexander ihm folgen müsste; denn das „pactum tutorium“ von 1667 berücksichtigte nur die Vormundschaft für einen unmündigen, nicht aber eine Regentschaft für einen kranken Fürsten. Der Entwurf der Regierung ermächtigte nun den Fürsten für den Fall, dass der Thronerbe an der Übernahme der Reg. behindert sein sollte, im voraus aus der Zahl der successionsberechtigten volljährigen Agnaten einen Regenten zu ernennen, dem das ganze Domanium-Einkommen zufallen sollte. Hiermit war aber der Landtag nicht einverstanden, zumal zu besorgen war, dass der Fürst ein Mitglied des Hauses Schaumburg-Lippe ernennen wolle, und verlangte, dass er 2 Deputierte zur Regentschaft zu ernennen habe. Darauf zog die Regierung die ganze Vorlage zurück, und die Regentschaft wie die Erbfolgefrage blieb uugelöst. Fürst Woldemar starb am 20. März 1895. Gleich nach seinem Tode veröffentlichte das Ministerium ein Dekret des Fürsten vom 15. Okt. 1890, das an Stelle des nunmehrigen Fürsten Alexander (geb. 1831), der geisteskrank ist, den Prinzen Adolf zu Schaumburg-Lippe (Schwager des Kaisers) zum Regenten ernannte, der auch sofort die Regentsch. übernahm.
Hiergegen erhoben die Häupter der Linien Lippe-Biesterfeld u. Lippe-Weissenfeld Einspruch, und auch die Mehrheit des Landtags bestritt dem Fürsten das Recht, einseitig einen Regenten zu ernennen. Doch gab der Landtag am 23. Apr. seine Zustimmung zu einem Gesetz, das den Prinzen Adolf bis zur Entscheidung der Thronfolgefrage als Regenten bestätigte; die Regierung verpflichtete sich, beim Bundesrat den Erlass eines Reichsgesetzes zu beantragen, das dem Reichs-Gericht die Entscheidung der Erbfolgefrage überträgt.
Erbstreit, Abdankung
Nach Aussterben der Detmolder Linie am 20.07.1895 folgte ei 10 Jahre andauernder Streit über die Erbfolge mit Schaumburg-Lippe, den die verwandschaftlich näher stehende Linie Lippe-Biesterfeld gewann. Zum Ende des 1. Weltkrieges dankte am 12.11.1918 der amtierende Fürst von Lippe ab.
Neue Verfassung
Lipper erhielt am 21.12.1929 eine neue Verfassung. Im Zeichen der Machtübernahme durch den Nationalsozialismus wurde Lippe 1933 dem Gauleiter der NSDAP von Westfalen- Nord unterstellt.
Britische Neuregelung
Zum 01.01.1947 wurde Lippe von der britischen Besatzungsmacht dem Land Nordrhein-Westfalen zugeteilt. In dem am 12.10.1949 in Detmold eingerichteten Landesverband Lippe blieb ein Rest Lippescher Eigenstaatlichkeit erhalten.
Bibliografie
Genealogische Literatur
Adressbücher
Historische Literatur
- Falkmann , Beiträge zur Geschichte des Frstt. Lippe (Lemgo 1847-87, 5 Bände)
- Piderit, Die lippischen Edelherren im Mittelalter (Detmold 1876)
- Preuss, O., Falkmann, A. (Bearb), Lippische Regesten: Bd. 1-4 1860 ff. Digitalisat der Google Buchsuche (tHoAAAAAcAAJ)
- Quentin: Das Fürstlich-Lippische Gendarmerie-Korps. Herford 1912 (Digitalisat im DFG-Viewer (Lippische Landesbibliothek Detmold))
- Wagener u. Weerth, Geognostische Beschreibung des Frstt. Lippe (Detmold 1890).
- Weerth u. Anemüller, Bibliotheca lippiaca (Detmold 1886)
Weitere Literatur
- Der Anschluß Lippes an Nordrhein-Westfalen, bearb. v. Niebuhr, H.- Scholz, K., 1984
- Ebert, B.: Kurzer Abriß einer lippischen Rechtsgeschichte, Mitt. aus der Lippischen Geschichte und Landeskunde 25 (1956), 12 ff.
- Grote, Hermann, und Louis Hölzermann: Lippische Geld- und Münzgeschichte, Leipzig 1867.
- Hömberg, A.: Die Entstehung der Herrschaft Lippe, Lipp. Mitt. 29 (1960)
- Kiewning, H.: 100 Jahre lippische Verfassung 1819 bis 1919, 1935
- Kiewning, H.: Lippische Geschichte, 1942
- Kittel, E.: Geschichte des Landes Lippe, 1957
- Lippesche Bibliographie, hg. v. Landesdesverband Lippe, 1957
- Lippe, Viktor von der: Familiengeschichte der von der Lippe (1921, 1923)
- Reithold, H.,: Der Streit um die Thronfolge im Fürstentum Lippe 1895-1905, 1967
- Stange, E.: Geld- und Münzgeschichte der Grafschaft Ravensberg, Münster 1951.
- Verdenhalven, Fritz: Die lippischen Währungs- und Geldverhältnisse, in: Lippische Mitteilungen aus Geschichte und Landeskunde, Band 56, Detmold 1987, S. 51-74.
- Verdenhalven, Fritz: Alte Meß- und Währungssysteme aus dem deutschen Sprachgebiet, 2. völlig überarbeitete Auflage, 1993.
- Wieder, H. bei der: Schaumburg-Lippesche Genealogie. 1969
Bibliografie-Suche
- Volltextsuche nach Lippe in der Familienkundlichen Literaturdatenbank
Periodika
- Mitteilungen zur lippischen Geschichte und Landeskunde (Nr.19, 1950).
Artikel-Quellen
- Hic Leones
- Gerhard Köbler: Historisches Lexikon der deutschen Länder, die deutschen Territorien vom Mittelalter bis zur Gegenwart, München 1999.
- Historische Literatur, Lippische Adreßbücher und Verwaltungshandbücher
Historische Gesellschaften
Weblinks
Genealogische Webseiten
Historische Webseiten
Weitere Internetseiten
- Artikel Fürstentum Lippe. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie.
- Artikel Lippe. In: Wikisource, Die freie Quellensammlung (in Deutsch).
Daten aus dem genealogischen Ortsverzeichnis
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