Willschicken: Unterschied zwischen den Versionen

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{{Familienforschung Insterburg}}
{{Familienforschung Insterburg}}
'''ierarchie'''
[[Portal:Regionale Forschung|Regional]] > [[Historisches Territorium]] > [[Deutschland 1871-1918]] > [[Königreich Preußen]] > [[Ostpreußen]] >  [[Landkreis Insterburg]] >  [[Kirchspiel Aulowönen / Aulenbach (Ostp.)]] > {{PAGENAME}}


<br>[[Bild: 1196_Aulenbach_-_Wilkental.jpg|thumb|right|400 px|<center>Ort '''Wilkental''' (Willschicken) Ksp. Aulenbach 1939 </center>]]
{| width="100%" style="background:#888888; border:solid 1px #888888;color:white;" cellspacing="0" cellpadding="0"
|-valign="top"
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|<div style="margin:2px;">[[Bild:Buchhof2 (Ostp.).JPG|99999x220 px|Wappen des Landkreises Insterburg]]</div>
| style="padding:20px" | <div style="font-variant:small-caps;font-size:220%"><br>'''W i l l s c h i c k e n'''</div><br />
Kirchspiel Aulowönen / Aulenbach (Ostp.)<br>Landkreis Insterburg, O s t p r e u ß e n<br>_________________________________
| <div style="margin:2px;">[[datei:Feldarbeit.png|99999x220 px| Familie Tuttlues bei der Ernte]]</div>
|}
<br>
'''Hierachie''':
{{Hierachie Kirchspiel Aulenbach}}<br>
 
{| class="wikitable" style="float:right"
|- bgcolor="#DDDDDD"
| colspan="2" align=center "background-color: #DDDDDD" | <small> Ort und Gemeinde </small>
|- "hintergrundfarbe9"
| colspan="2" align=center "background-color: #DDDDDD" | <big>  '''Willschicken''' </big>
|- bgcolor="#DDDDDD"
| colspan="2" align=center "background-color: #DDDDDD" | <small> '''Kirchspiel Aulowönen (Ostp.)''' </small>
|- "hintergrundfarbe9"
|  <small> Provinz :            </small>|| <small> '''Ostpreußen (nördliches)''' </small>
|- "hintergrundfarbe9"
|  <small> Regierungsbezirk :  </small>|| <small> '''Gumbinnen''' </small>
|- "hintergrundfarbe9"
|  <small> Landkreis :          </small>|| <small> '''Insterburg'''  [http://www.territorial.de/ostp/insterbg/landkrs.htm]  </small>
|- "hintergrundfarbe9"
|  <small> Amtsbezirk :        </small>|| <small> '''Groß Franzdorf (Franzdorf)'''    [http://www.territorial.de/ostp/insterbg/franzdf.htm]  </small>
|- valign="top"
|- "hintergrundfarbe9"
|  <small> Gegründet :          </small>|| <small> vor 1675 </small>
|- "hintergrundfarbe9"
|  <small> Frühere Name :      </small>|| <small> '''Wilpischen''' (um 1785) <br> '''Wilschicken''' (nach 1785) </small>
|- "hintergrundfarbe9"
|  <small> Einwohner '' (1905)'' :      </small>|| <small> '''150'''  </small>
|- "hintergrundfarbe9"
|  <small> Orts-ID :        </small>|| <small> [https://www.bildarchiv-ostpreussen.de/cgi-bin/bildarchiv/suche/show_ortsinfos.cgi?id=62435 '''62435'''] (nach D. Lange)</small>
|- bgcolor="#DDDDDD"
| colspan="2" align=center "background-color: #DDDDDD" | <small> '''Geographische Lage'''</small>
|- bgcolor="#DDDDDD"
|  <small> Koordinaten :    </small>|| <small> [https://www.google.com/maps/d/viewer?msa=0&ll=54.80554281639015%2C21.82444357907192&spn=0.030936%2C0.090895&iwloc=0004e632fc92e71276429&mid=1NIqy_3p_Fl56t8Cd28tzjKpZW1Y&z=18'''N 54° 80′ 55″ - O 21° 82′ 44″ '''  ] 
</small>
|- "hintergrundfarbe9"
| colspan="1" align=center "background-color: #DDDEEE" | [[Bild: Ksp Aulenbach - Wo liegt das Kirchspiel Aulenbach (Ostp).jpg|thumb|center|215px|<center><small> Lage '''Kreis Insterburg''' mit              Kirchspiel Aulenbach (Ostp.) </center></small>]] || [[Bild: Ksp Aulenbach - Wo liegt Ostpreussen.jpg|thumb|center|180px|<center><small> Lage '''Kirchspiel Aulenbach''' in Ostpreussen  </center></small>]]
|- "hintergrundfarbe9"
| colspan="2" align=center "background-color: #DDDEEE" | [[Datei:Chronik Ksp. Aulenbach (Ostp.) - Willschicken - 2012 - KARTE - Gemeinde Willschicken- WIlkental im Kirchspiel 1939 (alte und neue Namen).jpeg |center|thumb|410px|<center><small> Lage der ''' Gemeinde Willschicken / Wilkental ''' im Ksp. Aulenbach 1939 </center></small>]]
|}
<br>
 
== Einleitung ==
<br>
'''Willschicken''' war ein C h a t o u l d o r f und eine Gemeinde im Kirchspiel Aulowönen. Die Schule lag in Pillwogallen / ([[Lindenhöhe]]),  [http://www.territorial.de/ostp/insterbg/franzdf.htm Amt Franzdorf],  das Standesamt und Gendarmerie in [[Aulowönen]] / [[Aulenbach]], Die Gemeinde lag von Insterburg 22 km entfernt, ca. 3 km östlich von Aulowönen.
 
Am '''03.06.1938''' wurde die '''Gemeinde Willschicken '''umbenannt in '''[[ Wilkental]]'''.   
 
Im Folgenden wird '''Willschicken''' bzw. '''[[Wilkental]]''' aus unterschiedlichen Sichtweisen beschrieben. 
 
Zunächst anhand von GenWiki - Standards und dann in drei Textteilen. 
 
Einmal wird die Dorfentwicklung aus der Sicht der Familien Tuttlies und Kiehl berichtet. 
 
In einem zweiten Teil kommt die Erinnerung von ''' Hildegard Kiehl geb. Tuttlies''' zur Sprache. 
 
In einem dritten, separaten Teil geht es um die Entwicklungen in und zwischen Land, Provinz und Gemeinde. '''Klaus Kiehl '''hat in einer Recherche eine interessante Zeitreise mit vielen detaillierten Hintergrundinformationen verfasst. Dieser Bericht befindet sich unter dem Link: [[Ländliche Entwicklungen in Ostpreußen, dargestellt am Beispiel von Willschicken (Ksp. Aulenbach Ostp.)|'''''Ländliche Entwicklungen in Ostpreußen, dargestellt am Beispiel von Willschicken (Ksp. Aulenbach Ostp.) – GenWiki (genealogy.net)''''']]
 
Dabei wird auf die erreichbaren privaten und öffentlichen Quellen zurückgegriffen. Diese Texte sollen aber keine Fachtexte sein - sondern sollen Wahrnehmungen und Erinnerungen der Tuttliesen und der Kiehls aus und über Deutschland, Ostpreußen, Willschicken und deren Hintergründe aufbewahren. Subjektive Wahrnehmungen und nachträgliche Erinnerungen schließen auch Fehler und Lücken mit ein. So z. B. das Erinnern an das Erinnerte.   
 
Die Idee zu den drei Teilen hatte ''' Hildegard Kiehl,''' die auch den zweiten Teil selber verfasst hat.  Die Teile eins uns drei wurden aufgeschrieben von '''Klaus Kiehl ''' - Nachfahre der Familie Tuttlies aus Willschicken, in Hamburg 2023.
 
<br>
 
== Allgemeine Information ==
 
=== Ortsbeschreibung ===
[[Datei:Chronik Ksp. Aulenbach (Ostp.) - Wilkental - 1939 - KARTE - Messtischkarte Nr 1196-1197 Auschnitt Umgebung.jpg|thumb|350 px|<center> '''Willschicken''' (ab 1938: Wilkental) Ksp. Aulowönen <br>auf der Messtischkarte (1196/1197), 1934/1939</center>|alternativtext=]]
 
Willschicken 1),D.(orf), Pr.(eußen), Ostpr.(eußen), RB. (Regierungsbezirk) Gumbinnen, Lkr. (Landkreis) , AG (Amtsgericht), Bkdo (Bezirkskommando) Insterburg,  StdA (Standesamt), P.(ost) Aulowönen; A.(mt) Groß Franzdorf, E.(isenbahn)  3,2 km Groß Aulowönen; 168 E.(inwohner),"aus: Meyer Orts- und Verkehrslexikon (1912)"  <ref name="Meyers">Meyers Orts- und Verkehrs-Lexikon des Deutschen Reiches,'' Leipzig und Wien, Bibliographisches Institut (1912)'',  5. Auflage, Band II, Seite 1157</ref>.
 
Die Gemeinde lag in ”Preußisch Litauen "<ref>{{Wikipedia-Link|Kleinlitauen|Preußisch Litauen}}</ref> oder ”Klein Litauen” (Lithuania minor), dem nordöstlichen Teil des alten Ostpreußen.
 
Seine Einwohner waren nach der Reformation überwiegend evangelisch. <br>
 
=== Ortsnamen ===
* Deutsche Ortsbezeichnung (Stand 1.9.1939): '''Wilkental''', Ort & Gemeinde
* Vorletzte deutsche Ortsbezeichnung (vor der Umbenennung 1938) : '''Willschicken'''
 
* weitere (alte) Ortsnamen: '''Wilpischen''', '''Wilschicken'''
 
Willschicken, litauisch wilszikei = Schimpfname; Wilpischen, litauisch wilpiszys = die wilde Katze
 
''' Der Ort existiert heute nicht mehr'''.
 
<br>
 
 
 
 
 
== Geschichte von Wilpischen / Willschicken / Wilkental ==
 
 
Es gab im Laufe der Zeit drei Namensänderungen vom Ort Wilkental :
 
* Wilpischen -  erste Namensnennung um 1657,
* Wilschicken - Schreibweise nach 1785,
* Wilkental - Namensänderung am 16.07.1938
 
Aufgrund der Datenlage wird bei den Geschichtserinnerungen hauptsächlich auf die Bevölkerungsentwicklung und die Verwaltungsgliederung eingegangen. Die 25 unten angeführten ausgewählten Zeitpunkte zu Willschicken und der Umgebung werden in Ländliche Entwicklungen in Ostpreußen, dargestellt am Beispiel von Willschicken (Ksp. Aulenbach Ostp.)
 
im Kapitel [[Ländliche Entwicklungen in Ostpreußen, dargestellt am Beispiel von Willschicken (Ksp. Aulenbach Ostp.)#VON%20DER%20GESCHICHTE.2C%20GR.C3.96SSE%20UND%20DER%20BODENQUALIT.C3.84T%20IHRES%20BESITZES|3 VON DER GESCHICHTE, GRÖSSE UND DER BODENQUALITÄT IHRES BESITZES]] näher erläutert.
 
* Ostpreußen und der Deutsche Orden 1226 - 1525
* Beginn der Ostsiedlung im Nadrauer Gebiet ab '''1226'''. Hier werden später die Willschicker siedeln.
* Das Umland des späteren Dorfes Wilpischen wird '''1657''' zu einem preußischen Siedlungsplatz
* Die Gegend um Wilpischen wurde zuerst um '''1657''' als „Siedel Plaz by 2 Gehülfen“ erwähnt.
* Der Tatareneinfall in Preußisch-Litauen erfolgte in den Jahren '''1656/57.'''
* Im Jahre '''1678''' wird ein preußischer Waldwart in der Siedlung Wilpischen genannt.
* Willschicken wird '''1709''' von der Pest heimgesucht und die größte Zahl der Höfe werden verlassen und veröden.
* Von ersten litauischen Ansiedlern wird '''1713''' in [[Uszupönen|Uszupöhnen]] einem Nachbarsort von Willschicken berichtet.
* Das Umland von Wilpischen wird '''1721''' vermessen
* Das '''1735''' gegründete Hauptamt „Littauische Kriegs- und Domänen-Kammer zu Gumbinnen“ besteht bis 1808.
* In der Liste der Königl. Domänenamtsmänner in Preussisch-Littauen wird Amtmann Chr. Theodor Praetorius '''1735''' für das Amt Lappönen aufgeführt.
* '''1735''' wird [[Klein Aulowönen]] als Koloniedorf von 11 eingewanderten Salzburger Kolonisten-Familien genannt.
* Nach dem '''1. Juli 1757''' besetzt die Zarenarmee Ostpreußen und wurde von Friedrich II. (dem Großen) bis 1763  wieder vertrieben.
* Mit der Friderizianischen Kolonisation von '''1763 – 1775''' wurden im Rahmen des Landesausbaues neue Siedlungsgebiete festgelegt.
* Im Jahre '''1785''' hat sich Wilschicken zu einem Chatouldorf mit 15 Feuerstellen (Wohngebäuden) entwickelt.
* Ab '''1806''' kommt es in Willschicken zur Zwangsabgabe von Lebensmitteln und Vieh an die durchziehende französische Armee.
* Das Chatouldorf Willschicken hat im Jahre '''1815''' aufgrund der Napoleonischen Kriege nur noch 4 Feuerstellen mit 85 Bewohnern.
* Die Bevölkerung in Willschicken verdoppelt sich von 85 im Jahr '''1823''' auf 168 Einwohner im Jahr '''1869'''.
* Nach der Reichgründung schrumpfen aber die Willschicker wieder langfristig von 164 im Jahre '''1871''' auf 122 gemeldete Einwohner im Jahre 1933.
* Berta und Ferdinand Tuttlies heiraten '''1904''' in Willschicken.
* Ferdinand Tuttlies nimmt '''1914''' am 1. Weltkrieg teil.
* Der verlorenen 1. Weltkrieg hatte für Deutschland und Ostpreußen ab 1919 u.a. sowohl finanzielle als auch räumliche Folgen.
* Nach dem Ende der Weimarer Republik verkündet der Bürgermeister von Willschicken '''1933''': Willschicken soll nationalsozialistisch werden.
* Am '''03. 06. 1938''' Umbenennung der Gemeinden Willschicken in Wilkental.
* Von den 122 Einwohnern in Wilkental im Jahre '''1939''' kamen durch den 2. Weltkrieg und dessen Folgen 34 Menschen um, darunter 4 Mitglieder der Tuttliesen Familie.<br>
=== Dorfentwicklung von Wilpische / Willschicken / Wilkental ===
 
'''Willschicken '''(1938 umbenannt in Wilkental) wurde etwa um 1785 als Schatulldorf zuerst erwähnt. Es hatte schon eine gemeinsame Pferdetränke und einen Friedhof <ref name="Wilschiken_Schroeterkarte"> Wilschiken o. Wilkschicken o. Wilpischen auf der Schroetterkarte (1796-1802), Maßstab 1:50 000  © Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz</ref> (siehe auch den separaten Bericht: [["Ländliche Entwicklungen in Ostpreußen, dargestellt am Beispiel von Willschicken (Ksp. Aulenbach Ostp.)"|„Ländliche Entwicklung in Ostpreußen am Beispiel des Dorfes Willschicken (Ksp. Aulenbach Ostp.)]]" und die Schroetterkarte (1796-1802). Die Umgegend von Wilpischen wurde als Siedlungsplatz schon 1657 zum ersten Male erwähnt. Es durchlief verschiedene Entwicklungsphasen, blieb aber immer ein überschaubares kleines Bauerndorf. Im Jahre 1945 wurde Willschicken aufgelöst. Es bestand  288 Jahre. Das ehemalige Siedlungsgebiet von Willschicken gehört seit 1945 zum russischen Oblast Kaliningrad. Die Fläche der (teil) aufgelassenen Dörfer Wilkental und Alt Lappönen und wurde nach 1945 der weiter bestehenden Gemeinde '''Kalinowka''' (russisch Калиновка, deutsch '''Aulowönen)'''  bzw. Lindenhöhe zu '''Kaluschskoje''' (russisch Калужское, deutsch '''Grünheide)''' zugeschlagen.
 
Zur Dorf- beziehungsweise Landentwicklung siehe
 
[[Ländliche Entwicklungen in Ostpreußen, dargestellt am Beispiel von Willschicken (Ksp. Aulenbach Ostp.)#VON%20DER%20GESCHICHTE.2C%20GR.C3.96SSE%20UND%20DER%20BODENQUALIT.C3.84T%20IHRES%20BESITZES|3 VON DER GESCHICHTE, GRÖSSE UND DER BODENQUALITÄT IHRES BESITZES]]
 
* [[Ländliche Entwicklungen in Ostpreußen, dargestellt am Beispiel von Willschicken (Ksp. Aulenbach Ostp.)#Geschichte%20von%20Wilpischen%20.2F%20Willschicken%20.2F%20Wilkental|3.1 Geschichte von Wilpischen / Willschicken / Wilkental]]
* [[Ländliche Entwicklungen in Ostpreußen, dargestellt am Beispiel von Willschicken (Ksp. Aulenbach Ostp.)#Anmerkungen%20zur%20Dorfentwicklung%20von%20Wilpischen%20.2F%20Willschicken%20.2F%20Wilkental|3.2 Anmerkungen zur Dorfentwicklung von Wilpischen / Willschicken / Wilkental]]
* [[Ländliche Entwicklungen in Ostpreußen, dargestellt am Beispiel von Willschicken (Ksp. Aulenbach Ostp.)#Lage%20der%20Gemeinde%20Willschicken%20in%20Ostpreu.C3.9Fen|3.3 Lage der Gemeinde Willschicken in Ostpreußen]]
und
 
[[Ländliche Entwicklungen in Ostpreußen, dargestellt am Beispiel von Willschicken (Ksp. Aulenbach Ostp.)#VON%20DER%20POLITISCHEN%20ENTWICKLUNG|7 VON DER POLITISCHEN ENTWICKLUNG]]
 
* [[Ländliche Entwicklungen in Ostpreußen, dargestellt am Beispiel von Willschicken (Ksp. Aulenbach Ostp.)#Armee%20und%20Kaiserreich|7.1 Armee und Kaiserreich]]
* [[Ländliche Entwicklungen in Ostpreußen, dargestellt am Beispiel von Willschicken (Ksp. Aulenbach Ostp.)#Soldatengrab%20aus%20dem%201.%20Weltkrieg|7.2 Soldatengrab aus dem 1. Weltkrieg]]
* [[Ländliche Entwicklungen in Ostpreußen, dargestellt am Beispiel von Willschicken (Ksp. Aulenbach Ostp.)#Zwischenkriegszeit%20-%20Weimarer%20Republik|7.3 Zwischenkriegszeit - Weimarer Republik]]
* [[Ländliche Entwicklungen in Ostpreußen, dargestellt am Beispiel von Willschicken (Ksp. Aulenbach Ostp.)#Nationalsozialismus|7.4 Nationalsozialismus]]
* [[Ländliche Entwicklungen in Ostpreußen, dargestellt am Beispiel von Willschicken (Ksp. Aulenbach Ostp.)#Ausblick%20auf%20den%20Oblast%20Kaliningrad|7.5 Ausblick auf den Oblast Kaliningrad]]
 
== Politische Einteilung ==
=== Zugehörigkeit ===
[[Bild: Chronik Ksp. Aulenbach (Ostp.) - Wilkental - 1939 - KARTE - Messtischkarte Nr 1196-1197 Gemeindegrenzen V2.jpg|thumb|350 px|<center>  '''Gemeinde Wilkental''' Ksp. Aulenbach 1939 </center>|alternativtext=]]
 
Provinz            : '''Ostpreußen'''                  <br>Regierungsbezirk    : '''Gumbinnen'''                  <br>
 
Landkreis          : '''Insterburg'''            [http://www.territorial.de/ostp/insterbg/landkrs.htm]  <br>Amtsbezirk          : '''Groß Franzdorf'''  [Franzdorf]    [http://www.territorial.de/ostp/insterbg/franzdf.htm]  <br>Gemeinde            : '''Wilkental''' (Kr. Insterburg) - ab 16.07.1938    <br>Kirchspiel          : '''Aulenbach (Ostp.)'''. [Aulowönen]
<br> <br>
im/in              : '''südlich der Ossa'''      <br>
bei                : '''ca. 22 km nördlich v. Insterburg, ca. 3 km östlich von Aulowönen'''        <br>
 
=== Weitere Informationen ===
Orts-ID : ''' 62435'''  <BR>
 
Fremdsprachliche Ortsbezeichnung : ''' - - -''' <BR>Fremdsprachliche Ortsbezeichnung (Lautschrift):  <BR> 
 
russischer Name :  ''' - - -''' <br>Kreiszugehörigkeit nach 1945 : ''' - - -'''  <BR>Bemerkungen aus der Zeit nach 1945 : '''Der Siedlungsplatz existiert nicht mehr''' <BR>weitere Hinweise :  <BR>Staatszugehörigkeit : '''Russisch'''  <BR>
 
Ortsinformationen nach D. LANGE, Geographisches Ortsregister Ostpreußen (2005) [https://www.bildarchiv-ostpreussen.de/cgi-bin/bildarchiv/suche/show_ortsinfos.cgi?id=62435]
 
<br>
 
== Kirchliche Einteilung / Zugehörigkeit ==
 
[[Bild:Datei-Aulenbach (Ostp) Kirchspiel Aulenbach Evang. Kirche 2.JPG|thumb|203x203px| <center><small>'''Evang. Kirche Aulowönen  ''' (ca. 1900)</small></center>|alternativtext=]]
=== Evangelische Kirche ===
 
Der Ort Willschicken (Wilkental) gehört zum Kirchspiel Aulowönen, die evangelische Kirche befand sich in Aulowönen. Das Kirchspiel war überwiegen, auch bedingt durch die Migration der Salzburger um 1732 evangelisch. Die hierarchische Unterstellung stellt sich wie folgt dar:
 
*[[Kirchspiel_Aulowönen_/_Aulenbach_(Ostp.)#Das_Kirchspiel_Aulow.C3.B6nen  | Kirchspiel Aulenbach (Ostp.)]] -->  Kirchenkreis Insterburg --> Kirchenprovinz Ostpreußen --> Kirchenbund Evangelische Kirche der altpreußischen Union.
 
Kirchenbuchbestände existieren und können - jedoch gebührenpflichtig - bei www.ancestry.de  unter Gross Aulowönen online eingesehen werden. Sie sind jedoch nicht immer vollständig.
 
- Heiraten und Tote 1737-1839 <br>
- Heiraten und Tote 1766-1866 <br>
- Taufen 1736-1775 <br>
- Taufen 1809-1817 <br>
- Taufen 1818-1839 <br>
- Taufen, Heiraten und Tote 1604-1860 <br>
- Taufen, Heirate, Tote und Index 1788-1808 <br>
 
Außerdem befinden sich einige Kirchenbuchunterlagen, verfilmt auf Microfiche im Sächsischen Staatsarchiv, Staatsarchiv Leibzig, hierbei handelt es sich um die Bestände der ehemaligen Deutschen Zentralstelle für Genealogie (DZfG).
 
=== Katholische Kirchen ===
Eine katholische Kirche existierte nur in Insterburg (Ostp.).  Die hierarchische Unterstellung stellt sich wie folgt dar: Landgemeinde Aulowönen  --> Kirchspiel Insterburg --> Katholische Kirchengemeinde Insterburg --> Dekanate Tilsit --> Katholische Kirche in Ostpreußen.
 
Über den Verbleib von Kirchenbüchern liegen keine Informationen vor.
 
=== Neuapostolische Kirche ===
 
In  Aulowönen gab  es einen Betsaal der Neuapostolischen Kirche. Die Gemeinderäume befanden sich in  Haus der [[de-link:Aulowönen#Pflugfabrik_Hertzigkeit|Familie Herzigkeit]]
Die hierarchische Unterstellung stellt sich wie folgt dar: Bezirk Tilsit --> Apostelbezirk Königsberg (Ostp.)
 
<br>
 
== Amtliche Zählungen / Zensus ==
===Ortsgrundfläche=== 
* 1905/1925 :  319,8 ha, Grundsteuer Reinertrag 8,87 je ha,    <ref name="Henning">Kurt Henning, Charlotte Henning: Der Landkreis Insterburg, Ostpreußen. Ein Ortsnamen-Lexikon. o. O. [Grasdorf-Laatzen] o. J. [1981]</ref>
 
===Wohngebäude === 
Amtlich gezählt : 
 
*'''20'''    (1871)                            <ref name="Henning">Kurt Henning, Charlotte Henning: Der Landkreis Insterburg, Ostpreußen. Ein Ortsnamen-Lexikon. o. O. [Grasdorf-Laatzen] o. J. [1981]</ref>
*'''28'''    (1905)                            <ref name="Henning">Kurt Henning, Charlotte Henning: Der Landkreis Insterburg, Ostpreußen. Ein Ortsnamen-Lexikon. o. O. [Grasdorf-Laatzen] o. J. [1981]</ref>
*'''25'''    (1925)                            <ref name="Henning">Kurt Henning, Charlotte Henning: Der Landkreis Insterburg, Ostpreußen. Ein Ortsnamen-Lexikon. o. O. [Grasdorf-Laatzen] o. J. [1981]</ref>
 
=== Haushalte ===
*'''30'''    (1871)                            <ref name="Henning">Kurt Henning, Charlotte Henning: Der Landkreis Insterburg, Ostpreußen. Ein Ortsnamen-Lexikon. o. O. [Grasdorf-Laatzen] o. J. [1981]</ref>
*'''32'''    (1905)                            <ref name="Henning">Kurt Henning, Charlotte Henning: Der Landkreis Insterburg, Ostpreußen. Ein Ortsnamen-Lexikon. o. O. [Grasdorf-Laatzen] o. J. [1981]</ref>
*'''31'''    (1925)                            <ref name="Henning">Kurt Henning, Charlotte Henning: Der Landkreis Insterburg, Ostpreußen. Ein Ortsnamen-Lexikon. o. O. [Grasdorf-Laatzen] o. J. [1981]</ref>
 
=== Einwohner === 
*''' 85'''    (1700)
*'''85'''    (1815)
*''' 85'''    (1823)
*'''110'''    (1853)
*'''155'''    (1858)
*'''127'''    (1865)
*'''134'''    (1867)
*'''154'''    (1871) davon männlich 77        <ref name="Henning">Kurt Henning, Charlotte Henning: Der Landkreis Insterburg, Ostpreußen. Ein Ortsnamen-Lexikon. o. O. [Grasdorf-Laatzen] o. J. [1981]</ref>
*'''166'''    (1885)
*'''150'''    (1905) davon männlich 75        <ref name="Henning">Kurt Henning, Charlotte Henning: Der Landkreis Insterburg, Ostpreußen. Ein Ortsnamen-Lexikon. o. O. [Grasdorf-Laatzen] o. J. [1981]</ref>
*'''146'''    (1925) davon männlich 66        <ref name="Henning">Kurt Henning, Charlotte Henning: Der Landkreis Insterburg, Ostpreußen. Ein Ortsnamen-Lexikon. o. O. [Grasdorf-Laatzen] o. J. [1981]</ref>
*'''127'''    (1933)                          <ref name="Henning">Kurt Henning, Charlotte Henning: Der Landkreis Insterburg, Ostpreußen. Ein Ortsnamen-Lexikon. o. O. [Grasdorf-Laatzen] o. J. [1981]</ref>
<br>'''1871''' sind alle Einwohner preußisch und evangelisch, 68 ortsgebürtig, 37 unter 10 Jahre, 73 können lesen und schreiben, 44 Analphabethen, 5 ortsabwesend; '''1905''' 139 evangelisch, 11 andere Christen, 131 geben Deutsch als Muttersprache an, 15 litauisch, 4 Deutsch und eine andere.  '''1925''' alle evangelisch <ref name="Henning">Kurt Henning, Charlotte Henning: Der Landkreis Insterburg, Ostpreußen. Ein Ortsnamen-Lexikon. o. O. [Grasdorf-Laatzen] o. J. [1981]</ref>
[[Datei:Chronik Ksp. Aulenbach (Ostp.) - Willschicken - 1927 - DOKUMENT - Orts- u. Adressbuch Lks Insterburg S68 Ausschnitt.jpg|thumb|right|350 px|<center>  Ausschnitt '''Ortsschafts- und Adressverzeichnis Landkreis Insterburg Seite 68''' (1927)</center>]]
<br>Folgende Einwohner sind im '''Ortschafts- und Adreßverzeichnis des Landkreises Insterburg (1927)''' unter Willschicken genannt : Post Aulowönen, 20 km, [https://martin-opitz-bibliothek.de/de/elektronischer-lesesaal?action=book&bookId=0464683-1927]
<br>
* Besitzer : '''Wilh.(elm) Grigull''', '''Franz Sieloff''', '''Joh.(ann) Aßpodin''', '''Gustav Kirchsat''', '''Fritz Stuhlemmer''', '''Aug.(ust) Stuhlemmer''', '''Gust.(av) Kollecker''', '''Franz Krause''', '''Wilh.(elm), Mikuleit''', '''Louis Bartoschat''', '''Gust.(av) Petschull''', Ewald '''Tuttlies''', '''Franz Kirschning''', '''Ferdinand Milpauer''', '''Otto Ludszuweit''', '''Hermann Häsler''', '''Ferd.(inand) Tuttlies''', '''Wilhelm Bartschat''', '''Reinh.(ard), Reinke''', '''Christ.(ian) Mattulat''', '''Albert Ennulat'''
* Altsitzer : '''Karl Pastarbeit''', '''Maria Mitukeit''', '''Georg Greinies''',
* Windmühlbesitzer : '''Johann Mischnat''',
* Rentenempfänger: '''Leopoldine Kalweit'''
* Arbeiter : '''Adolf Kalweit''',
* Depudant : '''Friedrich Jurkat''', '''Ed. Naujokat''', '''Heinrich Keßler'''.
 
===Zahl und Größe der landwirtschaftlichen Betriebe ===
* 0 zwischen 0,5 - 5 ha                <ref name="Henning">Kurt Henning, Charlotte Henning: Der Landkreis Insterburg, Ostpreußen. Ein Ortsnamen-Lexikon. o. O. [Grasdorf-Laatzen] o. J. [1981]</ref>
* 8 zwischen 05-10 ha                <ref name="Henning">Kurt Henning, Charlotte Henning: Der Landkreis Insterburg, Ostpreußen. Ein Ortsnamen-Lexikon. o. O. [Grasdorf-Laatzen] o. J. [1981]</ref>
* 5 zwischen 10-20 ha                <ref name="Henning">Kurt Henning, Charlotte Henning: Der Landkreis Insterburg, Ostpreußen. Ein Ortsnamen-Lexikon. o. O. [Grasdorf-Laatzen] o. J. [1981]</ref>
* 10 zwischen 20-100 ha              <ref name="Henning">Kurt Henning, Charlotte Henning: Der Landkreis Insterburg, Ostpreußen. Ein Ortsnamen-Lexikon. o. O. [Grasdorf-Laatzen] o. J. [1981]</ref>


<br>


== <br>'''Ortsnamen''' ==
== Wirtschaft ==  
Am 16.07.1938 umbenannt in '''Gemeinde [[Wilkental]] / Ostp.'''  .  <BR>
<br>
<br>
*  deutsche Ortsbezeichnung (Stand 1.9.1939): '''Gemeinde [[Wilkental]]'''            <br>
'''In Niekammer’s landwirtschaftliche Güter-Adreßbücher,''' (Band III)''' 1922''' Seite 130/131  [http://dlibra.bibliotekaelblaska.pl/dlibra/docmetadata?id=1203]
*   vorletzte deutsche Ortsbezeichnung (vor der Umbenennung 1938) : '''Willschicken''' '''  
 
Willschicken : Gut, Nr. 12 zur Gem.(einde) W.(illschicken) geh.(örend) , [[Aulowöhnen]] P(ost) T(elegraph) St(andesamt) [[Grünheide]] E.(isenbahn),  [[Groß Warkau]] A(=Amtsbezirk), [[Insterburg]] AG (=Amtsgericht),  <br>
*'''Wilhelm Grigutt''':  Grundsteuerreinertrag in (Reichs)Mark : 474,--; 60 ha, davon 46,5 Acker incl. Gärten, 10 Weiden, 3 Unland/Hof/Wege, 0,5 Wasser, 9 Pferde, 24 Rinder, davon 11 Kühe, 3 Schafe, 12 Schweine;
<br>'''In Niekammer’s landwirtschaftliche Güter-Adreßbücher,''' (Band III)''' 1932''' Seite 167  [http://dlibra.bibliotekaelblaska.pl/dlibra/docmetadata?id=1350]


Willschicken, [[Aulowönen]] P(ost) T(elegraph) [[Grünheide]] E(isenbahn) 5 (km)
<br>
* Abbau '''Wilhelm Grigull''': 60 ha, davon 42 Acker, 15 Weiden, 2,5 Unland/Höfe/Wege, 0,5 Wasser, 10 Pferde, 30 Rinder, davon 12 Kühe, 3 Schafe, 12 Schweine; Telefon: 64
* Abbau ''' Sieloff''':  43 ha, davon 30 Acker, 2 Wiesen, 10 Weiden, 1 Unland/Höfe/Wege, 8 Pferde, 24 Rinder, davon 10 Kühe, 10 Schweine; Telefon: 67.


*  weitere (alte) Ortsnamen :   '''Wilpischen''' , '''Wilschicken'''                
[[Datei:18 Schaden 1.jpg|thumb|456x456px|<center>  <small> Aufstellung '''Betriebsliste Gemeinde Wilkental''' 1. Seite (Stand 1945 (1955) </small></center>|alternativtext=]]
[[Datei:19 Schaden 2.jpg|thumb|409x409px|<center>  <small>Aufstellung '''Betriebsliste Gemeinde Wilkental''' 2. Seite (Stand 1945 (1955)</small></center>|alternativtext=]]
Die Tabellen "Schadensberechnung Landwirtschaft" wurden zum Zweck eines möglichen Lastenausgleiches von der Bundesrepublik 1955 auf Grund der fortgeschriebenen Datenlage von 1945 als Erhebungspunkt erstellt Die Daten beruhen aber durchweg auf den real erhobenen vorläufigen Ergebnissen der Volkszählung vom 17. Mai 1939. Landverkäufe waren nach dem Preußischen Erbhofgesetz von 15.5.1933 in Ostpreußen nicht mehr möglich.


Die '''Schadensberechnung Landwirtschaft Betriebsliste Gemeinde Wilkental''' Kreis Insterburg, Bez. Gumbinnen (Stand 1945 - erstellt 1955) nennt folgende landwirtschaftliche Betriebe:


'''Willschicken''', litauisch wilszikei = Schimpfname; '''Wilpischen''', litauisch wilpiszys = die wilde Katze.      
Gemeindehektarsatz : 650,-- Reichsmark, Gemeindefläche 320 ha, Durchschnitt der Betriebshektarsätze : 325,-- ha.


'''Der Ort existiert heute nicht mehr'''.
* A1. '''Ludzuweit, Otto und Ehefrau''', 3,49 ha
<br><br>
* B1. '''Allissat, August''', -,-- ha  +5,00 (Zugepachtet)
* 2. '''Bartschat, Wilhelm''', 25,00 ha / -25,00 ha
* 3. '''Dingel, Artur''', -,-- ha  +15,75
* 4. '''Ennulat, Kurt''', 12,00 ha
* 5. '''Grigull, Ernst''', 66,66 ha  GÜ 60
* 6. '''Haesler, Herman''', 6,50 ha
* 7. '''Kollecker, Gustav u- Ehefrau''', 11,27 ha
* 8. '''Kornberger, August''', 26,75 ha
* 9. '''Mattulat, Paul''', 25,82 ha
* 10. '''Mikuteit, Wilhelm''', 15,75 ha
* 11. '''Milpauer, Albert''' 8,75 ha
* 12. '''Papendick, Friedrich''' -,-- ha / +6,50 ha
* 13. '''Petschull, Gustav''' 4,00 ha
* 14. '''Reinke, Reinhold''' 5,00 ha
* 15. '''Sieloff, Franz''' 43,48 ha GÜ 43
* 16. '''Stuhlemmer, Fritz und Ehefrau''' 16,50 ha
* 17. '''Tuttlies, Ewald''' 7,00 ha / -7,00 ha
* 12. '''Tuttlies, Erich''' 6,00 ha


== '''Ortsinformationen''' ==
: Bisher nicht angemeldete Betriebe :


Willschicken
* 19. '''Bartoschat, Auguste''', 10,25 ha 
* 20. '''Kirschning, Franz''', 4,50 ha / -4,50 ha
* 21. '''Krause, Leopoldine''', 21,25 ha
* 22. '''Nolde, Kurt''', 11,00 ha


Chatouldorf -- Kirchspiel Aulowönen, Schule Pillwogallen, Amt Groß Franzdorf, Standesamt & Gendarmerie: Aulowönen, <br><br>
Typ                : '''Alter Siedlungsort'''  <br><br>
Provinz            : '''Ostpreußen'''                  <br>
Regierungsbezirk    : '''Gumbinnen'''                  <br>
Landkreis          : '''Insterburg'''  [http://www.territorial.de/ostp/insterbg/insterbg.htm]  <br>
Amtsbezirk          : '''Franzdorf'''    [http://www.territorial.de/ostp/insterbg/franzdf.htm]    <br>
Gemeinde            : '''Wilkental (ab 16.7.1938)'''    <br>
Kirchspiel          : '''Aulenbach (Aulowönen) Ostp.''' <br> <br>
im/in              : '''südlich der Ossa'''            <br>
bei                : '''ca. 22 km nördl. v. Insterburg, ca. 3 km östlich von Aulenbach'''        <br><br>
GPS-Daten          : '''N 54° 48′ 23″ (Breite) - O 21° 49′ 21″ (Länge)''' <br>
GOV-Kennung        : '''WILTALKO04VT''' [http://gov.genealogy.net/item/show/WILTALKO04VT]        <br>
Messtischblatt      : '''1196 (11096)''' [http://amzpbig.com/maps/1196_Aulenbach_1939.jpg]        <br>
Messtischblatt Jahr : '''1939'''                       
<br>
<br>


== <br>'''Wirtschaft'''''==
'''1932'''  <br>
PT Aulowönen, E Grünheide 5 km; <BR>


* '''Abbau ''Wilhelm Grigull''''', 60ha, davon 42 Acker,, 15 Weiden, 2,5 Hofstelle, 0,5 Wasser - 10 Pferde, 30 Rinder - davon 12 Kühe, 3 Schafe, 12 Schweine, Telefon Aulowönen 64 <ref name=Niekammers>Niekammers Güteradressbuch 1932</ref> <BR>
== Höfe - Besitzer und Beschreibungen ==
* '''Abbau ''Sieloff''''', 43 ha, davon 30 Acker, 2 Wiesen, 10 Weiden, 1 Hofstelle; 8 Pferde, 24 Rinder - davon 10 Kühe, 10 Schweine, Telefon Aulowönen 67 <ref name=Niekammers>Niekammers Güteradressbuch 1932</ref>
=== Höfeverzeichnis ===
Die folgende Tabelle zeigt die Betriebsgrößen der Höfe in Willschicken in ha 1945. Die Zuschreibungen Großbauer, Gutsbesitzer, Besitzer, Arbeiter und Meier stammen aus den Quellen Niekammers Güteradressbuch 1932, sowie dem Fachbuch "Der Landkreis Insterburg, Ostpreußen - Ein Namenslexikon". <ref name=Henning>Kurt Henning, Charlotte Henning: Der Landkreis Insterburg, Ostpreußen. Ein Ortsnamen-Lexikon. o. O. [Grasdorf-Laatzen] o. J. [1981]</ref>  
 
Sie gehen vermutlich auf amtliche Steuerlisten aus den Jahren 1910 und 1920 zurück.
 
[[Datei:Chronik Ksp. Aulenbach (Ostp.) - Wilkental - 1939 - KARTE - Messtischkarte Nr 1196-1197 Gemeinde mit Höfenummerierung V2.jpg|thumb|350 px|<center>Verzeichnis der Hofbesitzer / Pächter Gemeinde Wilkental (früher Willschicken) ca. 1944<br> (Bitte mehrmals auf den Plan klicken, um ihn zu vergrößern) </center>|alternativtext=]]


==<br>'''Geschichte'''==
'''Stand: ca. 1944''' <ref>Nach den Angaben ehemaliger Einwohner von Wilkental (Hildegard Kiehl, geb. Tuttlies) - unter Zuhilfenahme des Einwohner- und Ortschaftsverzeichnisses (1935) des Ostpreußischen Tageblatts, Sturmverlag</ref><br>


'''Willschicken'''
[[Datei:Messblatt Wilkental neu.jpg|thumb|350 px|<center>Verzeichnis der Hofbesitzer / Pächter Gemeinde Wilkental (früher Willschicken) ca. 1944<br> (Bitte mehrmals auf den Plan klicken, um ihn zu vergrößern) </center>|alternativtext=]]


Chatouldorf -- Kirchspiel Aulowönen, Schule Pillwogallen, Amt Groß Franzdorf, Standesamt & Gendarmerie: Aulowönen
* 1: Hof  '''Kollecker, Gustav''' - Besitzer, 11,27 ha 
* 2: Hof  '''Allissat, August''' - Besitzer, gepachtet von Reinke, 5,00 ha Pacht
* 3: Gut  '''Sieloff, Franz''' - Gutsbesitzer, 43,48 ha
* 4: Hof  '''Pukris''' - Molkerei (Molkereibesitzer),
* 5: Hof  '''Dingel, Artur''' - Besitzer, gepachtet von Mikuleit, 15,75 Pacht
* 6: Hof  '''Stuhlemmer, Fritz''' - Besitzer, 16,50 ha
* 7: Hof -unbekannt-
* 8: Hof  '''Nolde, Kurt''' - Besitzer, 11,00 ha
* 9: Hof  '''Bartschat, Wilhelm (*)''' - Großbauer, verpachtet an Bartoschat -25,00 ha
* 10: Hof '''Milpauer, Albert (*)''' - Großbauer, 8,75 ha
* 11: Hof '''Mikuteit, Wilhelm (*)''' - Großbauer, Bürgermeister bis 1940, 15,75 ha verpachtet an Dingel
* zwischen 10 und 11: Bürgermeister Stube (Gebäude auf der anderen Straßenseite mit Scheune)
* 12: Hof '''Krause, Leopoldine (*)''' - Großbauer, 21,25 ha 
* 13: Hof '''Kirschning, Franz (*)''' - Großbauer, verpachtet -4,50 ha
* 14: Hof '''Kornberger, August (*)''' - Großbauer, 26,75 ha
* 15: Hof '''Bartoschat, Auguste (*)''' - Großbauer, 10,25 ha + 25,00 Pacht
* 16: Hof '''Mattulat, Paul''' - Großbauer, 25,82 ha
* 17: Gut '''Grigull, Ernst''' - Gutsbesitzer, 60,66 ha
* 18: Hof '''Häßler, Hermann und Frau Bartschs''' - Besitzer, Nähe Friedhof 6,50 ha
* 19: Windmühle und Hof '''Pettschull''' - Besitzer, 4,00 ha
* 20: Hof '''Papendieck, Friedrich''' und Frau Flemig - Arbeiter in Tuttliesens Häuschen, 6,50 ha Pacht
* 21: Hof '''Tuttlies, Ewald''' - Besitzer, verpachtet an Papendick 7,00 ha
* 22: Hof '''Ludzuweit, Otto''' - Besitzer, 3,49 ha
* 23: Hof '''Ennulat, Kurt''' - Besitzer, 12,00 ha
* 24: Hof '''Tuttlies, Erich''' - Besitzer, Maurer, Schneider, 6,00 ha
* 25: Hof '''Reinke, Reinhold''' - Besitzer, 5,00 ha


1678 wird ein Waldwart genannt; [2]
1719 heiratet Christoph Pirage. [2]
1785 Wilschicken oder Wilpischen, Chatouldorf, 15 Feuerstellen, Landrätlicher Kreis Tapiau, Amt Lappönen. Patron der König; [2]
1815 Chatouldorf, 4 Feuerstellen, 85 Bewohner, bis 30.4.1815 zum Königsberger Departement gehörig, dann zum Regierungsbezirk Gumbinnen geschlagen. [2]


Amtliche Zählung: (Siehe auch die GenWiki Voreinstellungen am Artikel-Ende von Willschicken)


Wohngebäude
1939 bildeten nur noch 7 Großbauern von insgesamt 23 Höfe den alten historischen Dorfkern von Wilkental. (obigen Tabelle mit (*) markiert). Die Anzahl der landwirtschaftlichen Betriebe in Wilkental betrug 1939: 8 zwischen 5-10 ha, 5 zwischen 10-20 ha und 10 zwischen 20-100 ha. Die Besitzverhältnisse hatten sich umgedreht. Von den 319,8 ha die Gesamtfläche der Gemeinde Wilkental in den Grenzen 1882 ausmachte, besaßen die Großbauern 1939 zusammen nur noch 83 ha, die Neusiedler dagegen kamen zusammen auf 236,8 ha. Um 1880 besaß noch jeder der 7 Großbauern in Wilkental durchschnittlich ca. 40 ha. Land.
20 (1871) [2]
28 (1905) [2]
25 (1925) [2]


Haushalte
<br>
30 (1871) [2]
32 (1905) [2]
31 (1925) [2]


Einwohner
=== Die Höfe und Ihre Bewohner - Familie Tuttlies ===
134 (1867) [2]
==== Familienstammbaum Tuttlies ====
154 (1871) davon 77 männlich[2]
[[Datei:01 Berta Tuttlies.jpg|thumb|200 px|<center> '''Berta Tuttlies, geb. Burba'''<br>  <small> *31.08.1883 in Paducken,<br> †03.07.1968 in Hamburg <br>(um 1930) </small></center>|alternativtext=]]
150 (1905) davon 75 männlich [2]
[[Datei:02 Ferdinand Tuttlies.jpg|thumb|200 px|<center> '''Ferdinand Tuttlies'''<br> <small>  *01.12.1869 in Plattupönen,<br> †01.08.1949 in Vethem <br>(um 1930)</small> </center>|alternativtext=]]
146 (1925) davon 66 männlich[2]
                                                                                     
127 (1933) [3]
Willschicken war die Heimat von '''Berta und Ferdinand Tuttlies'''. Das Ehepaar Tuttlies hatte 5 Kinder: '''Max''', '''Erich''', '''Otto''', '''Friedel''' und '''Hildegard''' (*21.03.1920 in Willschicken, †19.06.2020 in [[Hamburg]])


1871 sind alle Einwohner preußisch und evangelisch, 68 ortsgebürtig, 37 unter 10 Jahren, 73 können lesen und schreiben, 44 Analphabeten, 5 ortsabwesend. [2]
Die Familiennamen waren, gerade auch in den älteren  Unterlagen, häufig mit unterschiedlicher Schreibweise zu finden. Es gab noch keine amtlich festgelegte Schreibweise der Personennamen. Zudem wurden die Namen im weitgehend analphabetischen ländlichen Bereich mündlich gebraucht und dabei laufend verändert. Der Amtsschreiber hat den Namen dann so geschrieben, wie er ihn akustisch verstanden hatte und wie er das Gehörte in Buchstaben umsetzen konnte. Zum Gedenken an das Ende der Befreiungskriege wurde am 4. Juni 1816 in der Kirche in der Nachbargemeinde Aulowönen eine Totenfeier für die in den Feldzügen 1813 -1815 gefallenen 28 Gemeindemitgliedern abgehalten. Unter der Ziffer 15. war zu lesen: " '''Johann Tutlys''', Kürassier des Ostr. Rgt., Sohn des Wirthen David Tutlys aus Klein Popelken (Kirchspiel Aulowönen), er starb einen ehrenvollen Tod in der Schlacht bei Leipzig mit 23 Jahren.
1905 139 evangelisch, 11 andere Christen, 131 geben Deutsch als Muttersprache an, 15 litauisch, 4 deutsch und eine andere. [2]
                                                                                     
Die von ''' Gerhard und Hildegard Kiehl - geb. Tuttlies -''' auffindbaren Daten der Kirchenbücher und der Mühlenlisten zeigen für die männliche Linie der Tuttliesen in Willschicken folgende Einträge:                                                                                         


1925 alle evangelisch, [2]
„Stammbaum von '''Michael Tuttlys'''“


Ortsgrundfläche:
# '''Michael Tuttlys''', Losmann, *1802, in Treinlauken/Kreuzberg, †25.3.1842 in [[Ernstwalde]], ∞23.10.1830 in Treinlauken '''Charlotte Schoentaube''', *03.01.1806 in Spannegeln,  
# Kind von 1: '''Johann Ferdinand Tuttlies''', Bauer und Maurermeister, *11.07.1833 in Treinlaucken/Kreuzberg, †13.10.1923 in Willschicken,  ∞10.11.1865 in [[Staggen]] '''Maria Mauscherning''',  *02.06.1836, †15.03.1901 in Willschicken
# Kind von 2: '''August Herrmann Tuttlies'''  Besitzer, *1866 in Willschicken, †1921 in Willschicken
# Kind von 3: '''Ewald Tuttlies''', Besitzer, *1886 in Willschicken
# Kind von 3: '''Ferdinand Tuttlies''',  Besitzer, Maurer, Schneider, *01.12.1869 in Plattupönen, †01.08.1949 in Vethem  ∞14.11. 1902 '''Berta Tuttlies, geb. Burba''', *31.08.1883 in Paduken, †03.07.1968 in [[Hamburg]]
# Kind von 5: '''Max Tuttlies''', Kaufmann,  *19.01.1903 in [[Paducken]],  †13.01.1964 in Krostiz, ∞ '''Gertrud, geb. Heinrichs''', *26.07.1908 in [[Jennen]], †28.01.1982 in [[Jesingen]]
# Kind von 5: '''Friedel Tuttlies''', Hausmeisterin, *25.10. 1910 in Willschicken,  †03.12.1993 in Oberweißbach, ∞'''Helmuth Harward''', *05.05.1906, †gef. 1944
# Kind von 5: '''Erich Tuttlies''', Besitzer, Maurer,  *19.11.1905   in Willschicken,  †12.04.1995 Südkampen, ∞Erna … , *06.07.1924, †20.07.2017 Südkampen
# Kind von 5: '''Otto Tuttlies''', *1909 in Willschicken, †31.12.1913 in Willschicken, ist schon mit 4 Jahren verstorben
# Kind von 5: '''Hildegard Kiehl''', Angestellte,  *21.03.1920 in Willschicken, †19.06.2020 in [[Hamburg]] ∞'''Gerhard Kiehl''', *04.08.1914 in Pillwogallen, †09.09.1998 in Hamburg  


Im Jahr 1905: 319,8 ha, Grundsteuer Reinertrag 8,87 je ha. 1925 analoge Ortsgrundfläche [2]
Schon vor der Reichsgründung tauchte der Name Tuttlies in Willschi­cken auf. Nachfahren der Familie Tuttlies waren sehr aktiv in der Ahnenforschung und es gibt zahlreiche Veröffentlichungen zu den Familien Podewski, Tuttlies und Kiehl:  hierzu :


* [https://www.familysearch.org/search/catalog/1582518  Die Nachkommen Padeffke und Podewski des Peter Paquadowski]  
* [http://familien-archiv.de/02-Familienfotos/Familie%20Podewski/Podewski%20Fam.%20Stammbaum/Stammdaten%20Fem%20Podewski.pdf Stammdaten der Familie Podewski]
* [https://gedbas.genealogy.net/person/ancestors/1341029087 Vorfahren von Hildegard TUTTLIES]
* [https://gedbas.genealogy.net/person/ancestors/1341029086 Vorfahren von Gerhard KIEHL]


Quellen:
Direkt in [[Aulowönen]] war ein weiteres Mitglied der Tuttliesen, nämlich '''Johann Ferdinand Tuttlies''' zu Hause. Er besaß einen Bauernhof und ein Baugeschäft. Er hat als Maurermeister seinen Enkel ''' Ferdinand Tuttlies ''' noch  persönlich zum Maurer ausgebildet. Ebenfalls hat in diesem Baugeschäft, nach dem Tod von ''' Johann Ferdinand Tuttlies ''', der Ur-Enkel ''' Erich Tuttlies ''' eine Maurerlehre absolviert. ''' Johann Ferdinand Tuttlies ''' der Großvater von '''Ferdinand Tuttlies''' wurde 11.07.1833 in Treinlaucken/Kreuzberg  geboren. Er heiratet am 10.11.1865 in [[Staggen]] im [[Kirchspiel Aulowönen / Aulenbach (Ostp.) | Kirchspiel Aulowönen ]] '''Maria Mauscherning'''. Er hat im [[Kirchspiel Aulowönen / Aulenbach (Ostp.) | Kirchspiel Aulowönen ]] in Willschicken, während der Getreidekonjunktur 1848-1873, um 1860 als Maurer Arbeit gefunden und eine Bauernstelle als Besitzer mit Wohnhaus einrichten können. Danach hatte er ein Baugeschäft in [[Aulowönen]]. Er hat relativ spät geheiratet und ist dann auch in Willschicken 1901 gestorben. Seine 5 Söhne und sein 8 Enkel wuchsen dann ebenfalls in Willschicken auf. Von ihnen blieben nur 2 Söhne und 3 Enkel in Willschicken und der weiteren Umgebung.


[1Niekammers Güteradressbuch 19321
'''Ferdinand Tuttlies''' ist am 01.12.1869 in [[Plattupönen]], dem Nachbar-Wohnort seiner Ur-Großeltern geboren worden - hier gab es eine verwandte Hebamme - ist dann aber noch als Kleinkind nach Willschicken zurückgekehrt. Das frühere Dorf [[Plattupönen]] gehörte zwischen 1874 und 1945 zum Amtsbezirk Schaltischledimmen (1929 bis 1947: Neuwiese, heute russisch: Nowoselskoje). Dieser wurde 1930 in „Amtsbezirk Neuwiese“ umbenannt und war Teil des Kreises Labiau im Regierungsbezirk Königsberg der preußischen Provinz Ostpreußen. Im Jahr 1938 wurde Plattupönen in „Breitflur“ umbenannt.


[2] Kurt Henning und Frau Charlotte geb. Zilius, Der Landkreis Insterburg, Ostpreußen - Ein Namenslexikon, ca. 1970
Zum regionalen Tuttliesen-Clan im [[Kirchspiel Aulowönen / Aulenbach (Ostp.) | Kirchspiel Aulowönen ]] gehörten, neben die Höfe von '''Ferdinand''' und '''Ewald Tuttlies''', wie berichtet auch die Anwesen von Papendieck (mit 6,50 ha Pachtland) und Ludzuweit früher Weinowski (mit 3,49 ha Pachtland) in Willschicken und zwei weitere Höfe in [[Aulowönen]] und [[Alt-Lappönen]]. (siehe Karte Lappönen Neusiedler). Hinzu kamen weitere (unbekannte) Verwandte aus dem [[Kirchspiel Aulowönen / Aulenbach (Ostp.) | Kirchspiel Aulowönen ]] in den Gemeinden [[Klein Popelken]], [[Staggen]] und [[Aulowönen]] selbst. Diese wurden in Gesprächen in Willschicken zwar erwähnt, aber nach der Erinnerung von '''Hildegard Tuttlies''' nie besucht.


[3]  Deutsche Verwaltungsgeschichte von der Reichseinigung 1871 bis zur Wiedervereinigung 1990 von Dr. Michael Rademacher M.A."
Die erhebliche kürzere Lebenserwartung und Anzahl der überle­benden Kinder spielte im Leben der Familien auf dem Lande eine große Rolle. Im Deutschen Reich betrug 1871/1881 die durchschnittliche Lebenserwartung, wie schon berichtet, bei Geburt für Jungen 35,6 Jahre und für Mädchen 38,4 Jahre. Um 1900 lag die Fruchtbarkeitsziffer für Frauen bei 4,93 Kinder. Sieht man sich den Stammbaum der Tutt­liesen an, trifft das nicht für alle Familienmitglieder zu. 1871/1881 wurden in jedem Haushalt im Deutschen Reich durchschnittlich 5,8 Kinder älter als 5 Jahre. Diese trifft für die Tuttliesen überwiegend zu.


Nach der Bauernbefreiung in Preußen hatte beispielsweise die Hälfte der auf dem Land Lebenden keinen Grundbesitz mehr und musste sich anderen Erwerbsquellen zuwenden, sich in der Landarbeit verdingen oder abwan­dern. Das galt besonders für überwiegende Zahl der aufwachsenden Kinder auf dem Lande. Dieses trifft auch auf die Familien Ferdinand Tuttlies zu. '''Max, Friedel, Erich''' und '''Hildegard Tuttlies''' verließen (zeitweise) ihr Zuhause.


* * * bis hier korrigiert * * *


==== <big>Hausbau in Willschicken</big> ====
Bis 1945 war der Hausbau in Ostpreußen der (Bau) Polizei untergeordnet. Das Allgemeine Preußische Landrecht bildete in allen preußischen Provinzen mit – Ausnahme der Rheinprovinz –  bis 1871 den Rahmen für die Aktivitäten der (Bau) Polizei - auch für Willschicken.


'''Es folgt der Text "Soldatengrab"'''
Quelle: [http://www.heuerleute.de/baupolizeirecht-in-preussen/ Baupolizeirecht in Preußen – Heuerleute]


Im § 6 des Polizeiverwaltungsgesetz vom 11.03.1850 werden die folgenden "Gegenstände der ortpolizeilichen Vorschriften" aufgezählt:


'''Soldatengrab in Willschicken von Hildegard Kiehl, geb. Tuttlies'''
: a)'' Schutz der Personen und des Eigentums''  


Vater Ferdinand Tuttlies und Mutter geb. Berta Burba haben 1902 in Willschicken geheiratet.
: b)'' Ordnung, Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs auf öffentlichen Wegen, Straßen und Plätzen, Brücken, Ufern und Gewässern''


Willschicken (1938 umbenannt in Wilkental) wurde etwa um 1785 als Schatulldorf erwähnt und lag in Preußisch-Litauen im Regierungsbezirk Gumbinnen, Landkreis Insterburg,  im Kirchspiel Aulowönen in Ostpreußen.
''c) der Marktverkehr und das öffentliche Feilhalten von Nahrungsmitteln''


1939 leben in Willschicken 127 Einwohner in 35 Haushalten auf 22 Höfen, davon sind 12 Einwohner unter 6 Jahren, 102 zwischen 14-65 Jahren und 23 Personen über 65 Jahren alt. Es werden folgende Erwerbstätige gezählt: 104 Personen in der Land- und Forstwirtschaft, 6 Personen in Handwerk und Industrie,
''d) Ordnung und Sicherheit bei dem öffentlichen Zusammensein einer größeren Anzahl von Personen''
ohne eigenen Beruf sind 36 Personen. Es gibt 35 mithelfende Familienmitglieder und 37 Arbeiter. Diese wohnen nicht alle in Willschicken.


Quelle: [[Wilkental]] – GenWiki (genealogy.net) überarbeitet
''e) das öffentliche Interesse in Bezug auf die Aufnahme und Beherbergung von Fremden, Wein-, Bier- und Kaffeewirtschaften und sonstige Einrichtungen zur Verabreichung von Speisen und Getränken''


<gallery widths="250" heights="250" perrow="2" caption="Ehepaar Berta und Ferdinand Tuttlies um 1930">
''f) Sorge für Leben und Gesundheit''
Datei:01 Berta Tuttlies.jpg|Berta Tuttlies, Geb. Burba, *31.08.1883 in Paducken, †03.07.1968 in Hamburg, Quelle: Foto: privat
Datei:02 Ferdinand Tuttlies.jpg|Ferdinand Tuttlies, *01.12.1869 in Plattupönen, †01.08.1949 in Vethem, Quelle: Foto: privat
</gallery>               


Das Agrarland Ostpreußen lebte bis 1945 vom Export seiner landwirtschaftlichen Produkte, hauptsächlich Getreide. Mit 36 998,75 Quadratkilometern war Ostpreußen die drittgrößte Provinz und wies mit 55,8 Einwohner pro Quadratkilometer die geringste Bevölkerungsdichte
''g) Führsorge gegen Feuergefahr bei Bauausführungen, sowie gegen gemeinschädliche und gemeingefährliche Handlungen, Unternehmungen und Ereignisse überhaupt''
des Deutschen Reichs auf. Die Wohnbevölkerung des Reiches wuchs zwischen 1871 und 1910 von 41 auf fast 64 Millionen, d.h. um 58,1 %,
in Ostpreußen im selben Zeitraum von 1 822 934  auf 2 064 175 Millionen, d.h. um 13,2 %. In den rund 60 Jahren zwischen 1871 und 1933 hat Ostpreußen
aber einen Arbeitsüberschuss von etwa netto 1 Million vorwiegend junger Menschen abgegeben. Eine Vielzahl staatlicher Maßnahmen halfen aber nicht,  
diese Verluste zu stoppen. „Schon vor 1914 ist das Wachstum der ostpreußischen Wirtschaft hinter dem der Bevölkerung zurückgeblieben und der Überschuss an Arbeitskräften in andere Teile Deutschlands abgewandert.“
[https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-663-07558-5_2 Quelle: Bevölkerung und Wirtschaft in Ostpreussen | SpringerLink]


„Preußisch-Litauen (im 20. Jahrhundert vereinzelt Deutsch Litauen, litauisch: Mažoji Lietuva oder Prūsų Lietuva) bezeichnet den seit dem letzten Viertel des 15. Jahrhunderts neben Deutschen, Prußen und Kuren mehrheitlich von Litauern besiedelten Raum im Nordosten Preußens (heute in etwa die östliche Hälfte des Oblast Kaliningrad, früher weitgehend das Gebiet der Regierungsbezirk Gumbinnen)". Hinzu kamen verschiedene Migrantengruppen. Quelle: https://www.wikiwand.com/de/Preu%C3%9Fisch_Litauen#/google_vignette (siehe die dortige Literatur)
''h) Schutz der Felder, Wiesen, Weiden, Wälder, Baumpflanzungen, Weinberge usw.''


<gallery widths="600" heights="400" perrow="1" mode="nolines" caption="Die folgenden Karten zeigen die Lage der Gemeinde Wilkental in Ostpreußen">
''i) alles Andere, was im besonderen Interesse der Gemeinschaft und ihrer Angehöriger polizeilich geordnet werden muss''.   
Datei:Wilkental 01.jpg|Quelle: [[Willschicken|Willschicken – GenWiki (genealogy.net)]] 
Datei:03 1 Landkreis Insterburg.jpg|Lage des ehemaligen Kirchspiel Aulobach im Oblast Kaliningrad, Quelle: [https://wiki-de.genealogy.net/Kirchspiel_Aulow%C3%B6nen_/_Aulenbach_(Ostp.) Kirchspiel Aulowönen / Aulenbach (Ostp.) – GenWiki (genealogy.net) ]
</gallery>
[[Datei:03_Kirchspiel_Aulowönen_farbig.jpg|alternativtext=|mini|845x845px|ohne]]
„Preußisch-Litauen (im 20. Jahrhundert vereinzelt Deutsch Litauen, litauisch: Mažoji Lietuva oder Prūsų Lietuva) bezeichnet den seit dem letzten
Viertel des 15. Jahrhunderts neben Deutschen, [https://de.wikipedia.org/wiki/Pru%C3%9Fen Prußen] und [https://de.wikipedia.org/wiki/Kuren Kuren] mehrheitlich von [https://de.wikipedia.org/wiki/Litauer Litauern] besiedelten Raum im Nordosten [https://de.wikipedia.org/wiki/Preu%C3%9Fen_(historische_Landschaft) Preußens]
(heute in etwa die östliche Hälfte des Oblast Kaliningrad, früher weitgehend das Gebiet des Regierungsbezirks Gumbinnen)".
Hinzu kamen div Migrantengruppen.
Quelle: https://www.wikiwand.com/de/Preu%C3%9Fisch_Litauen#/google_vignette (siehe die dortige Literatur).
   
Auf regionaler Ebene herrschte in Ostpreußen, unter dem Königshaus Preußens, der Landadel. Der größte Teil der Bevölkerung lebte auf dem Lande und von der Arbeit in der Landwirtschaft. „Der grundbesitzende Adel hatte seine ökonomische und gesellschaftliche Basis in der ländlichen Herrenstellung. Trotz großer Flächen landesherrlichen Domänenbesitzes herrschte der Adel auf dem Lande. Das resultiert vor allem aus dem Obereigentum an Besitzerrechten, welches sich Ostpreußen bis zu 90 Prozent der Landbevölkerung erstreckte. Hier konnten die Adligen ihre Ansprüche auf Zinsgelder, Naturalabgaben und Dienstleistungen weiterhin geltend machen. Sie waren gelichzeitig Gerichtsherren, Träger der Polizeigewalt und auch Patronatsherren über Kirche und Schulen. Steuer- und Zollfreiheit sicherten dem Landadel kommerzielle Vorteile, auch gegenüber der städtischen Kaufmannschaft.“   
[[Datei:Verwaltungsgliederung der Provinz Ostpreußen.jpg|mini|689x689px|Verwaltungsgliederung der Provinz Ostpreußen 1905 bis 1920; Regierungsbezirke Königsberg, Gumbinnen und Allenstein; Quelle: [https://de.wikipedia.org/wiki/Regierungsbezirk_Gumbinnen Regierungsbezirk Gumbinnen - Wikipedia]|alternativtext=|ohne]]       


"In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts brach für den Landadel eine schwierige Zeit an. Die Kriege und die wirtschaftliche Zerrüttung in den 1740er und 1750/1760 Jahren, verschärften noch durch die staatliche Manipulation des Kornmarktes durch das Magazinsystem und die demografische Überlastung durch den natürlichen Zuwachs der landbesitzenden Familien, setzten den Landadel zusehends unter Druck. Die Verschuldung der Junkergüter nahm drastisch zu, was in vielen Fällen zu Bankrotten oder dem Zwangsverkauf des Grundsitzes, häufig an wohlhabende Bürgerliche, führte.
Quelle: [https://digital.staatsbibliothek-berlin.de/werkansicht?PPN=PPN653941005&PHYSID=PHYS_0009&DMDID=DMDLOG_0001 Digitalisierte Sammlungen der Staatsbibliothek zu Berlin Werkansicht: Gesetz über die Polizei-Verwaltung. Vom 11. März 1850.: vom 11. März 1850(PPN653941005 - {4} - Übersicht mit Inhaltsverzeichnis) (staatsbibliothek-berlin.de)]


Die Suche nach einer Methode zum Schutz führte schlussendlich zur Gründung staatlich finanzierter landwirtschaftlicher Kreditanstalten (Ostpreußische Generallandschaftsdirektion - Diese Organisation, die ostpreußischen Landwirten unkündbare Kredite zu mäßigen Zinsen beschaffen konnte, wurde 1788 von König Friedrich Wilhelm II. von Preußen mit einem Kapital von 200.000 Talern gegründet), zur ausschließlichen Nutzung durch die Junkerfamilien. Diese Einrichtungen vergaben Hypotheken zu niedrigen Zinssätzen an notleidende oder verschuldeten adligen Grundbesitzer. ..
In Ostpreußen waren für den Erlass von allgemeinen Bauvorschriften die folgende Behörden bis 1897 zuständig:


Die Kreditanstalten waren zunächst überaus erfolgreich, zumindest wenn man als Maßstab für Erfolg das rapide Wachstum des Wertes der von ihnen ausgestellten Akkreditive heranzieht, die schnell zu Objekten finanzieller Spekulation wurden. Darlehen der Kreditanstalten halfen zweifelsohne einigen notleidenden Grundbesitzern, ihre Produktivität zu verbessern. Doch die gesetzlichen Bedingungen, die Darlehen zur nutzbringenden Verbesserung des Landes zu verwenden, wurden häufig sehr großzügig ausgelegt, sprich die vom Staat subventionierten Kredite wurden für Zwecke missbraucht, die wenig zur Konsolidierung des adligen Landbesitzes beitrugen. Davon abgesehen reichten die Kreditanstalten nicht aus, die sich stetig verschärfende Schuldenkriese im gesamten ländlichen Sektor zu beheben, da sich Grundbesitzer, die von den Landschaften keine günstigen Darlehen mehr erhielten, einfach an andere Geldgeber wandten. Über  die 54 Millionen Taler Hypothekendarlehen hinaus, welche die Kreditanstalten 1807 insgesamt hielten, hatten die adligen Landbesitzer weitere 307 Millionen Taler Grundschulden bei bürgerlichen Gläubigeren aufgenommen.“   (Quelle: Christopher Clark, Preußen)  
* die Ortspolizeibehörden - deren häufig mehrere Gemeinden zugeordnet waren -  z. B. für die Einhaltung  des § 6 g des Polizeiverwaltungsgesetzes bei Führsorge gegen Feuergefahr bei Bauausführungen und der Aufstellung von Bebauungsplänen (Sitz in Aulowönen Amtsbezirk Nr. 34),
* die Landräte für die technische Bauordnung von Land- und Stadt-Kreisen und  Prüfung und Erteilung von Baugenehmigungen (mit Sitz in Insterburg),
* die Regierungspräsidenten für die Umsetzung der Polizeirechte und Bauordnungen in den Regierungsbezirken und (mit Sitz in Gumbinnen),
* die Oberpräsidenten für die in Provinzen hatte das Kontrollrecht für die unteren Behörden und das Immediatrecht beim preußischen Ministerpräsidenten (mit Sitz für Ostpreußen in Königsberg)
* die Minister in Berlin für die Reichsbauten wie Festungen, Kasernen, Eisenbahn und Straßen der 1. Ordnung  (diese jedoch nur in beschränkten Fällen ).


Die bäuerliche Bevölkerung in Preußisch-Litauen lässt sich im Rahmen der „Bauernbefreiung“  in Preußen (1799-1850) nach Erwin Spehr grob in folgende Gruppen einteilen:
Im letzten Drittel der 80er-Jahren führte die industrielle Entwicklung im Deutschen Reich zum Anwachsen der Bevölkerung, im Reich von 49,05 Mio. (1871) auf 54,32 Mio. (1900), in Ostpreußen von 1,80 Mio. (1871) auf 1,99 Mio (1900), in Wilschicken aber nur von 154 (1871) auf 160 (1900). Es kam zu einer enormen Ausweitung der Städte im Westen - in Ostpreußen allerdings zu Abwanderungen der Arbeitslosen in Höhe von etwa 25 % der Bevölkerung.  Etwa 20 % der Güter waren wirtschaftlich unrentabel geworden und mussten ihre Landarbeiter entlassen. Dazu kam der unversorgte Nachwuchs auf den Höfen, der nicht erbberechtigt war. 
Quelle: [[Portal:Pillkallen/Geschichte/Aus der Geschichte des Kreises (von Erwin Spehr)]] – GenWiki (ge-nealogy.net)


Die folgenden Abbildung zeigt die Bauerngruppen in Preußisch-Litauen um 1800 klassiert nach Verteilung und Qualität des Grundbesitzes im 18. Jahrhundert im Königreich Preußen. In: "Verwaltungsmaßnahmen und deren Auswirkungen im 18. Jahrhundert auf das Leben der Unterthanen in Preußisch Litthauen“
Darauf reagierte die preußische Bauverwaltung neben wenig erfolgreichen Programmen zur Ansiedlung von Bauern u.a. mit dem Fluchtliniengesetz von 1875 - es sollte ebenfalls durch den verstärkten und geordneten Hausbau das Verbleiben und die Neuansiedlung der ländlichen Bevölkerung in Ostpreußen unterstützen. Es ermöglichte die Fluchtlinien für Straßen (Baugrenzen), die Bebauungspläne (Flächenausweisungen), die rechtliche Enteignung für notwendige Verkehrsflächen, sowie deren Entschädigung zu regeln.  
[[Datei:Bauerngruppen.png|alternativtext=|800x800px|Verteilung und Qualität des Grundbesitzes im 18. Jahrhundert im Königreich Preußen. In: Verwaltungsmaßnahmen und deren Auswirkungen im 18. Jahrhundert auf das Leben der „Unterthanen in Preußisch Litthauen“ Quelle: Annaberger Annalen 22/2014|mini|ohne]]


Die, durch die Aufsiedlung von bankrotten Gutländereien notwendige (neue) räumliche Fluchtlinienfestsetzungen wurde von der örtlichen Polizei getroffen. Hierunter fielen Fluchtlinien- und Bebauungspläne. Durch die Fluchtlinien kam es zur Festlegungen von Straßen. Das Wegerecht wurde von den örtlichen Gemeinden daraus abgeleitet. (1850)  Die Bebauungspläne (Flächennutzungspläne) wurden für größere Gebiete (Kirchspiele) aufgestellt. Sie umfassten Nutzungs- und Bebauungsart und legten die Baudichte fest. Die Planungskompetenz hatte die staatliche Baupolizei, welche die örtliche Polizeibehörde aufforderte, Baupläne aufzustellen, die königlich genehmigt werden mussten. (1855/75)


Quelle: Annaberger Annalen 22/2014
Das Preußisches Fluchtliniengesetz sah u.a. folgendes vor:


Auf fünf Gruppen soll ausführlicher eingegangen werden:
''§. 1. Für die Anlegung oder Veränderung von Straßen und Plätzen in Städten und ländlichen Ortschaften sind die Straßen- und Baufluchtlinien vom Gemeindevorstande im Einverständnisse mit der Gemeinde, bezüglich deren Vertretung, dem öffentlichen Bedürfnisse entsprechend unter Zustimmung der Ortspolizeibehörde festzusetzen. Die Ortspolizeibehörde kann die Festsetzung von Fluchtlinien verlangen, wenn die von ihr wahrzunehmenden polizeilichen Rücksichten die Festsetzung fordern. Zu einer Straße im Sinne dieses Gesetzes gehört der Straßendamm und der Bürgersteig. Die Straßenfluchtlinien bilden regelmäßig zugleich die Baufluchtlinien, das heißt die Grenzen, über welche hinaus die Bebauung ausgeschlossen ist. Aus besonderen Gründen kann aber eine von der Straßenfluchtlinie verschiedene, jedoch in der Regel höchstens 3 Meter von dieser zurückweichende Baufluchtlinie festgesetzt werden.''
„Die Kölmer standen in der sozialen Rangordnung der Landbewohner an der Spitze. Sie besaßen großen Grundstücke als
freies Eigentum zu besonderen (kulmischen) Rechten, die sie meist schon während der Ordens- und Herzogenzeit erhalten hatten. Diese privaten Gutsbesitzer
(bis 1811 etwa10 % aller Güter) hatten außer der geringen Grundsteuer, dem königlichen Domänenamt gegenüber keine weiteren


Verpflichtungen. Sie waren auch private Grundherren über ihr Gesinde (Eigenkätner, Losleute, Instleute). Um 1800 kamen auf 1000 ha Ackerland ca. 70 - 80 landwirtschaftliche Arbeitskräfte, abhängig von den Produkten.
''§. 2. Die Festsetzung von Fluchtlinien (§ 1) kann für einzelne Straßen und Straßentheile oder, nach dem voraussichtlichen Bedürfnisse der näheren Zukunft, durch Aufstellung von Bebauungsplänen für größere Grundflächen erfolgen''


Bei den Bauernhöfen der Amtsbauern, die  nach der Großen Pest entstanden (1708 -1710) und dem Sieben-jährigen Krieg (1756-1763), mit meist einer Hufe (ca. 16 ha) Ackerland, konnte man nach dem "Wiederaufbau" drei Klassen unterscheiden. Sie waren in Teilen aber noch bis zur Reichsgründung 1871 von Bedeutung, in Einzelfällen wie der der Ablösungskassen sogar bis 1918:
Quelle:  


Die erste Klasse: Die Minderheit (ca. 5 % im Kirchspiel Aulowöhnen), waren die Schatull- und Erbfrei-Bauern, sie hatten ihren Boden gekauft.
Preußisches Fluchtliniengesetz (Straßen- und Baufluchtengesetz) von 1875, Gesetz, betreffend die Anlegung und Veränderung von Straßen und Plätzen in Städten und ländlichen Ortschaften vom 2. Juli 1875
Nach dem Frieden von Oliva (1660) begannen umfassenden Besiedelungsaktionen. Schatullgrundstücke entstanden durch Rodungen und Kultivierung von Wald und Ödland.
Die Höfe wurde von der Domänenverwaltung in Form von Haufendörfern organisiert. Schatullkölmer oder Schatullbauern blieben scharwerksfrei
und waren außer ihrem Grundzins nur gelegentlich zum Forstdienst verpflichtet waren. Neben Grundzins und Personensteuer hatten sie meist
keine weiteren Abgaben zu entrichten. Die Zinserträge wurden nicht an die lokalen Ämtersondern direkt in die Schatulle des Königs abführte.


Diese Bauernstellen waren aber vermögenden Siedlern vorbehalten, da der Boden gekauft werden musste. Bewährte sich der Siedler, so erhielt er nach einigen
Mit einem preußischen Erlass von 1855 wurde das Aufstellen von Bauplänen geregelt. Der Erlass befasste sich lediglich mit den Bebauungsplänen. Die Initiative für die Planaufstellung lag nun bei der Polizeibehörde der Gemeinde, jedoch sollten die Kommunalbehörden „gleichmäßig mitwirken“. Neben der Mitwirkung der Gemeinde wurde die Offenlegung von acht Tagen eingeführt, die Betroffenen die Möglichkeit für Einwendungen innerhalb von vier Wochen eröffnete. Anschließend wurde bei der Bezirksregierung über den Plan entschieden. Gab es während des Verfahrens keine Einigung zwischen der Gemeinde und der Polizeibehörde, entschied die Bezirksregierung vorher und führte dann die Offenlegung durch.
Jahren seine „Berahmung“ – eine gerahmte Besitzerurkunde. Viele der Haufendörfer im Kirchspiel Aulowöhnen sind, wie Willschicken, auf diese Weise etwa von 1700 bis 1816 entstanden.


Die zweite Klasse waren Koloniebauern (ca.15% im Kirchspiel Aulowöhnen). Größere Siedlergruppen wie Salzburger (1732 etwa 16.000 Zuwandere), Hugenotten,
Mit diesem Gesetz begann eine Aufspaltung des baurechtlichen Aufgabenbereichs in Bauplanungsrecht und Baupolizei
Mennoniten, Schweizer Schotten, Pfälzer und Hessen hatten den Koloniestatus erhandelt. Auch sie erhielten wie Scharwerksbauern Land und Hof vom König kostenlos und
hatten deshalb vielerlei Pflichten, jedoch vom Scharwerksdienst selbst waren sie befreit. Der spätere Regierungsbezirk Gumbinnen war ein bevorzugtes Siedlungsgebiet der Koloniebauern.


Die dritte Klasse: Die große Masse der Scharwerksbauern (ca. 80 % im Kirchspiel Aulowöhnen) aber war arm. Trotz hoher Kindersteblichkeit wuchsen durchschnittlich 5 Kinder zu billigen Arbeitskräften auf. Durch den „Wiederaufbau“ entstanden viele Sielungen neu oder es wurden verfallene Höfe besiedelt. Bis 1782 entstanden in den 28 Gemeinden des Kirchspiels Aulowönen etwa 50 (neue) Dörfer. Die Bauern waren erbuntertänig, d.h. sie unterlagen der Schollenpflicht (das Gut und der Hol konnte nicht eigenständig verlassen werden), sowie den Frondiensten und dem Gesindezwang. Ein Scharwerker konnte seinen Hof mit den Pflichten und Rechten regulär vererben oder mit Genehmigung des Amtes gegen eine Abstandszahlung an einen anderen übergeben. Die Scharwerker waren nicht Eigentümer ihres Landes, sondern nur Besitzer. Sie hatten bei der Neuansiedlung Ackerland, Wohnhaus, Wirtschaftsgebäude, Arbeitstiere, Nutzvieh, Hofgeräte und Saatgut vom Grundherrn kostenlos erhalten, d.h. durch das Domänenamt vom König – das ihnen gegenüber jedoch auch noch weitere Verpflichtungen wie z. B. die Kranken- und Altersfürsorge hatte.  
Im gesamten Preußen war ab 1887 eine einheitliche technische Bauausführung vorgeschrieben. Dazu wurde 1897 das preußischen Baupolizeirecht erlassen. 1919 wurde der Entwurf einer Einheitsbauordnung (für die Städte) vom Ministerium herausgegeben. Aus diesem Anlass wurden fast überall in Preußen neue Bauordnungen herausgegeben, auch für den Stadtkreis Insterburg. Der Geltungsbereich war zunächst auf die innerstädtischen Bereiche begrenzt. Erst 1931 folgte eine separate Einheitsbauverordnung für das "platte Land" - also Gebäude außerhalb der Stadtgrenzen von Insterburg.  


Die Scharwerker hatten neben der Zahlung des Grundzinses dem Amt gegenüber einer Vielzahl von eigenen Verpflichtungen. Die wichtigste war der Frondienst, d.h. die Mitbewirtschaftung der staatlichen Domänen mit den eigenen Arbeitstieren und Geräten, denn die staatlichen Güter hatten keine eigenen Landarbeiter. Die Beanspruchung lag im Mittel bei 80 - 85 Tage pro Jahr. Jeder Scharwerker musste durch den Gesindezwang für die Hausarbeit auf den Gütern eine Teilnahme durch Angehörige oder Nachbaren stellen (Frauen und Kinder, ab 14 Jahre), die auch untereinander gegen Geld ver- und geliehen werden konnten. Insgesamt flossen so bis zu 40 % der bäuerlicher Bruttoproduktion dem Domänenamt zu. (Quelle: Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschafts-Geschichte,  Bd. 1)<gallery widths="500" heights="350" perrow="2" caption="Gut Alt Lappönen 1893 und 1939">
Die technische Bauordnung von 1920 für den Stadt- und Landkreis Insterburg umfasste folgende technische Punkte:
Datei:Groß Aulowöhnen - Karte 1893.jpg|Alt Lappöhnen 1893, das Dorf Willschicken hatte 1893 noch einen erkennbaren Dorfkern, Quelle: [https://wiki-de.genealogy.net/Gro%C3%9F_Aulow%C3%B6nen Groß Aulowönen – GenWiki (genealogy.net)]
Datei:Alt Lappönen - Auszug aus Messtichblatt 1196 (1939).jpg|Alt Lappönen 1939, Quelle: [https://wiki-de.genealogy.net/Alt_Lapp%C3%B6nen Gut Alt Lappönen – GenWiki (genealogy.net)] 
</gallery>
Die Nichtbauern stellen bezogen auf die gesamte ländliche Bevölkerung die größte Gruppe dar. Hans-Ulrich Wehler (Deutsche Gesellschafts-Geschichte, Bd. 1) berichtet: „Auch im ostpreußisch-litauischen Kammerbezirk mit seinen relativ vielen sichergestellten Domänen- und Adelsbauern (25 787) hat man für 1802/04 gezählte 47 229 Unterbäuerliche (Kossäten, Insten, Hirten und Handwerker) also ein Verhältnis von fast 1 zu 2 ermittelt.“
Bei den Nicht-Bauern waren die Eigenkätner die wichtigste Gruppe. Sie hatten auf gepachtetem Grund ein eigenes kleines Haus (Kate) mit Garten. Sie waren also
fest ansässig und arbeiteten auf privaten Gütern oder betrieben ein ländliches Handwerk. Gärtner oder Instleute wohnten zur Miete, bewirtschafteten einen
Garten und waren fest gegen Lohn oder Deputat auf privaten angestellt. Losleute waren ländliche Tagelöhner.“
Um 1807 wird das zuständige Domänenamt in Alt Lappönen im Rahmen der „Bauernbefreiung“ aufgelöst. Das Besitzerland der Amtsbauern
wird nun deren Eigentum (Regulation ab 1811, Verschlechterung ab 1816). Durch die Regulierungskommission wird auch das Gemeinschaftseigentum der Dörfer die „Allmende“ an die Scharwerksbauern verteilt. Es entstehen zusammenhängende und bewertbare Bauern-Grundstücke, die aber nicht immer hofnahe lagen.
Aber die nicht mehr geleisteten Dienste, das Inventar, das Vieh und die Gebäude stellte der Grundherr ihnen in Rechnung oder fordern (ab 1816) Landabtretungen.
So hatten die Amtsbauern mit einem guten, erblichen Besitzrecht bis einem Drittel ihres Bodens, die mit einem nicht erblichen Besitzrecht bis zur Hälfte ihres Landes abzutreten.


Die gesamte finanzielle Belastung der Scharwerksbauern war jetzt jährlich etwa zwei bis dreimal so hoch war wie vorher. Sie waren häufig nicht mehr in der Lage
* das gesunde Wohnen (Belichtung, Raumhöhen, Kälte- und Wärmeschutz),
diese Zahlungen zu leisten, trotz der gesetzlichen Möglichkeit von 24-51-jähriger Rückzahlungsraten, je nach Zinssatz, so dass die Grundstücke vielfach 
* der Brandschutz,
an den Grundherrn zurückfielen oder gepfändet wurden und von vermögenden Bauern und Bürgern erworben wurden, um sie teilweise weiter zu verpachten.
* die Standsicherheit,
Die Fläche der privaten Güter nahm um ca. 20 % bis 1851 zu. Viele besitzlos gewordene Scharwerker wanderten jetzt als "Pioniere" oder mit Familien in die entstehenden Industriestandorte im Westen. Trotz weiterhin hoher Geburtenrate hatte Ostpreußen nur eine der geringsten Bevölkerungszunahmen im Deutschen Reich. Für die wachenden Ernteerträge auf den Gütern wurden deshalb (billige) Saisonarbeiter aus Polen/Russland angeworben. Diese Schnitter Kolonnen verpflegten sich selber:  Kornus aus der mitgebrachten Korbflasche verdünnt mit Wasser, Kohlsuppe und eine Seite fetter Speck war eine übliche Verpflegung. Akkordarbeit war die Regel. Geschlafen wurde in den Ställen oder im Freien.
* die Flucht- und Rettungswege,
* die Versorgung und die Entsorgung, insbesondere die Entwässerung des Grundstücks


Die Verbesserung der Rechte der Kolonie- und Schatullbauern erfolgt stückweise bis 1850/1855, die der Eigenkäter, Instleute, Losleute und Saisonarbeiter sogar erst bis 1918.
Quelle: 


Altsitzer bezeichnet Eigentümer, der seinen Hof nicht mehr selbst bewirtschaftet, sondern ihn an seine Nachkommen abgegeben hat. Das führte zu räumlichen Trennungen. Dazu wurden sehr umfangreiche schriftliche Vereinbarungen getroffen und in die Grundakte eingetragen.
Bauordnung für Insterburg: Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, I. HA Rep. 151, IV Nr. 975
Damit war seine Versorgung gesichert, eine Rente gab es damals noch nicht.
 
Die Gewerbefreiheit ließ den bürgerlichen Erwerb von Staatsdomänen zu. „Das 2.000 Morgen große Vorwerk (Gut) Alt Lappönen erwarb 1810 Caroline Girod,
die mit dem Amtmann Mehlhorn verheiratet war, zum Preis von 19.152 Taler.“
 
„Seperation“ und „Ausbau“,  d.h. die Zusammenlegung, der Tausch, die Pacht, die Alten- und Erbteilung (im Gegensatz zum Fideikommiss der Güter: Ein durch Stiftungsakt geschaffenes unveräußerliches und unteilbares, einer bestimmten Erbfolge unterliegendes Vermögen, das üblicherweise auch nicht belastet werden durfte.) oder der Kauf und
Verkauf von fideikommissfreien Guts-, Scharwerks- und Allmendegrundstücken führte im Laufe der Zeit zu räumlichen Veränderungen, nämlich zur teilweisen Auflösung der geschlossenen Dörfer.
Es entstanden Streulagen. Bauern, deren Besitz weit vom Dorf entfernt lag siedelten aus. Sie gaben ihren alten Hof auf und bauten einen neuen auf einem Außengrundstück. 1939 bildeten
nur noch sieben von 22 Höfe den alten Dorfkern von Willschicken. 
 
Hintergrund waren günstige Kredite, die zum einen der Abwendung von Bankrott oder Zwangsverkauf zum anderen der rationellen Wirtschaft dienten. Sie wurden ab 1871 auch an Nichtadlige vergeben wurden.  Die Ostpreußische Generallandschaftsdirektion - diese Organisation, die ostpreußischen Landwirten unkündbare Kredite zu mäßigen Zinsen beschaffen konnte, wurde 1788 von König Friedrich Wilhelm II. von Preußen mit einem Kapital von 200.000 Talern gegründet.


Die rationelle Landwirtschaft erforderte leistungsbereite Arbeitskräfte, größere und modernere Wohnbauen, Ställe, Scheunen, verstärkter Maschineneinsatz, Dünger, kürzere Wege auf eigenem Land, eine verbesserte Dreifelderwirtschaft, Melioration und neue Zuchtmethoden. Hinzu kam eine leistungsfähige Infrastruktur, sichere Vertriebskanäle und stabile Abnahmemärkte.
[https://digitalesammlungen.uni-weimar.de/viewer/toc/PPN663759420/1/-/ <nowiki>Preußisches Baupolizeirecht ([Hauptbd.]) - Digitale Sammlungen der Bauhaus-Universität Weimar (uni-weimar.de)</nowiki>]


[https://www.feuertrutz.de/entwicklung-des-bauordnungsrechts-in-preussen-und-nrw-13122016 Die Bauordnung in Preußen & NRW: Zeitliche Entwicklung (feuertrutz.de)]
: [[Datei:09 Hausbau.jpg|thumb|<center> Talka beim Bau des Wohnhauses Tuttlies (1904) <br>ganz oben '''Ferdinand Tuttlies''',<br> ganz unten Frauen der '''Familie Burba'''</center>|alternativtext=]]
Die Landwirtschaft im Willschicken war um 1900 stark von der allgemeinen wirtschaftlichen Lage abhängig. Nach der Reichsgründung lösten sich bis zum 1. Weltkrieg 5 Konjunkturen und 5 Depressionen zeitlich ab. Seit dem Frühjahr 1902 gab es die 4. Konjunktur, die reichsdeutsche Wirtschaft wuchs wieder sichtbar. Sie trieb eine Konjunktur voran, die bis zum Februar 1907 anhielt. Besonders die Industrie war ein Wachstumsmotor. Von 1902 bis 1907 wuchs die Wirtschaft um 17,1 %. Wenn auch im negativen Maße, betraf das Wachstum im Westen auch die Landwirtschaft im Osten. Während dieser Zeit wanderten etwa 150 000 Ostpreußen aus der Landwirtschaft  in den Westen ab, sie wurden dort als Arbeitskräfte dringend gesucht. Zu Hause fanden sie keine Arbeit. Hinzu kamen sinkende Erzeugerpreise für Getreide in Ostpreußen, aufgrund einer stark gestiegenen Einfuhr von preiswerten Roggen aus Russland ins Kaiserreich. Der private Hausbau auf dem Lande war auch stark von der wirtschaftlichen Situation der Heimatprovinzen Ostpreußen abhängig, da die Preußische Staatsregierung nach den politischen Vorgaben den rechtlichen Rahmen für Neusiedler schuf und die lokalen Institutionen häufig auch wirtschaftlich als Kreditgeber beim Hausbau gebraucht wurden.     


: [[Datei:Foto- Burbas Frauen als Hilfskräfte beim Hausbau, Quelle- Foto Privat- .png|right|thumb|300 px|<center> Burbas Frauen nach dem Kirchenbesuch <br>zum Richtfest, 1904</center>]]


In Ostpreußen, besonders im Regierungsbezirk Gumbinnen versuchte die Verwaltung seit langen, durch verschiedene Maßnahmen, die Bevölkerung auf dem Lande zu halten und dort zu ernähren. Dazu zählten auch die Unterstützung bei Ansiedlung von Höfen, z. B. durch die Umwandelung von Ackerland in Siedlungsflächen durch die Separation (Flurbereinigung) und der Hausbau [[%22Ländliche_Entwicklungen_in_Ostpreußen,_dargestellt_am_Beispiel_von_Willschicken_(Ksp._Aulenbach_Ostp.)%22 | (siehe unter: „Ländliche Entwicklung in Ostpreußen am Beispiel des Dorfes Willschicken (Ksp. Aulenbach Ostp.)“]]. Auch im Landkreis Insterburg wurden durch die "Ostpreußische Landgesellschaft"  günstige Kredite zum Hausbau zur Verfügung gestellt. Die genaue Höhe und die Verteilung konnten aber nicht ermittelt werden. Auf alle Fälle wurde die Separation real durch die "An­siedlungskommission" und rechtlich durch bestehende Gesetze und Vorschriften unterstützt. Bei den aufzusiedelnen Grundstücken handelte es sich überwiegend um das Land ehemalige Großbetriebe. Vor dem Ersten Weltkrieg richtete in Ostpreußen die  "An­siedlungskommission" auf 35.000 ha ehemaligen Großgrundbesitzes 1.600 Siedlerstellen ein. Die Hofstellen wurden durch günstige Hypotheken finanziert.
   
: [[Datei:Traka Stallgebäude.png|right|thumb|300 px|<center> Talka beim Bau des Stallgebäudes <br>der Familie Tuttlies (1905)</center>]]


1939 bildeten nur noch sieben von 22 Höfe den alten Dorfkern von Willschicken. Die Anzahl der landwirtschaftlichen Betriebe in Willschicken betrug 1945:
Manches kleine Bauerndorf hat sich durch die Separation aber zum Teil aufgelöst. Es entstanden Gemeinden in Streulagen mit einem "alten" Dorfkern - so wie Willschicken. Hier blieben nur 7 von insgesamt 22 Höfe Bauern den alten Dorfkern. Bauern deren Besitz weit vom Dorf entfernt lag siedelten aus wirtschaftlichen Gründen aus. Sie gaben ihren alten Hof auf und bauten einen neuen auf einem Außengrundstück. So wurden in Ostpreußen im Laufe des 19. Jahrhunderts  mehr als die Hälfte der der neuen Höfe „ausgebaut“, wie man in Ostpreußen sagte. Die andere Hälfte bestand aus Neusiedlern.      
10 zwischen 5-10 ha, 6 zwischen 10-20 ha und 6 zwischen 20-100 ha.  


Schwere Wirtschaftliche Rezessionen in Ostpreußen bewirkten, das große Güter, die nicht dem Fideikommiss unterlagen und unwirtschaftlich wurden, aufgeteilt und an Siedler(gesellschaften)
Um den "Ausbau" und das Neusiedeln technisch möglich zu machen, bedurfte es Straßen. "Zum Bau der Grünheider - Aulowöhner Chaussee, welche die Feldmark Lappönen durchschneidet, verkaufte der Gutsbesitzer von [[Alt Lappönen]] lt. Vertrag vom 21.11.1865 an den Insterburger Kreis 6 Morgen Land für 222 Taler." Die ersten Höfe in Willschicken und die Windmühle, die an dieser Chaussee lagen, bzw deren Verkehrswege hier einmünden, konnten demnach ab 1875, nach Erlass des preußischen Fluchtliniengesetzte und dem dadurch rechtlich geregelten Wege- und Straßenbau, "ausgebaut" oder neu besiedelt werden. Zuvor waren im Kirchspiel Bebauungspläne aufgestellt.        
verkauft wurden. Es entstanden 24 Bauernhöfe, als das Rittergut Alt Lappönen nahe Willschicken, nach 1920, dessen letzter Besitzer Herr Ornhorst war, durch die „Baugesellschaft Königsberg“ aufgesiedelt wurde.


Traditionellerweise lagen die Ländereien der Bauern innerhalb einer Gemeinde. Die historische gewachsenen Gemeindegrenzen waren im Regelfall identisch mit den äußeren Grundstücksgrenzen der Eigentümer deren Land am Gemeinderand lagen. Ausnahmen bildeten groß Güter, die mehrere Gemeinden umfassten, historische Entwicklungen wie die Separation und Zusammenlegungen von Gemeinden, Ver- und  Zukäufe von Land während wirtschaftlicher Konjunkturen und Depressionen und Erbfälle in großen Familien, wie bei den Burbas und Tuttliesen. Seit 1882 waren die Grenzen der Gemeinde Willschicken festgelegt. Ein Teil der Chaussee zwischen [[Grünheide]] und [[Aulowönen]], die gradlinig verlief, bildete die Gemeindegrenze zwischen [[Paducken]] und Willschicken und durchschnitt aber zwei vorhandene Grundstücke der Gemeinde. Zwei kleine Flächen der Gemeinde Wilkental lagen südlich dieser Chaussee. (siehe die Karte von 1939, die die Gemeinde Wilkental zeigt.)       


<gallery widths="500" heights="475" perrow="2" caption="Messtischblätter 1196 TK 25 Lappönen und Wilkental 1939 bearbeitet">
Das raue Klima mit seinen durchschnittlichen 173 Frosttagen im Jahr beschränkte die Vegetationszeit auf sechs bis sieben Monate und stellte die Landwirtschaft in Ostpreußen vor große Probleme. Die Heizungsperiode betrug im Durchschnitt sieben Monate. Die Häuser erforderten dickere Mauern, stabile Dächer und Doppelfenster. Gab es keine Doppelfester, wurden im Winter zweite Fensterflügel eingehängt, so dass ein Doppelfenster entstand und trockenes Moos zur Kältedämmung bis zur halben Fensterhöhe dazwischen auf die Fensterbank gestopft wurde. Ganz wichtig waren aber die voluminösen Kachelöfen. In der Regel gab es davor eine im Winter sehr beliebte Ofenbank. Der aufgemauerte große Küchenherd war eine weitere Wärmequelle. Im Winter war in Ostpreußen der Pelz eine normale Arbeitskleidung. Großen Schaden nahmen die Obstpflanzungen während des sehr strengen Winters 1928/29. Bis zu 75 % der Obstbäume fielen dem sehr strengen Frost von über 30 Grad Celsius zum Opfer. Bei den Tuttliesen mussten alle Obstbäume neu gepflanzt werden       
Datei:05 Alt Lappönen Neusiedler.jpg|Alt Lappönen Neusiedler, Quelle: Abbildung: privat: Die Zuordnungen auf Messtischblatt von Lappönen (1939) wurde von Herrn Mattulat 2021 unter Mithilfe von Hildegard Kiehl geb. Tuttlies erstellt.
Datei:07 Willschicken.jpg|Willschicken Lage der Höfe, Quelle: Abbildung: privat: Die Zuordnungen auf Messtischblatt von Willschicken (1939) wurde von Herrn Mattulat 2021 unter Mithilfe von Hildegard Kiehl geb. Tuttlies erstellt.
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Die durchgezogene Linie in lila ist die Kreisgrenze von Wilkental/Willschicken in der Karte Messtischblatt von Willschicken (1939). Ein Hof konnten innerhalb Willschicken
nicht eindeutig zugeordnet werden. "BM" war die Bürgermeister Stube von Bürgermeister Mikuleit. Außerdem sind fünf Höfe des alten Dorfkerns von Lindental und das Kreishaus eingetragen.
Darunter befindet sich das Gasthaus von Fritz Lerdon (früher Kiehl). Fritz Lerdon hat 1928 die Witwe Hedwig Kiehl,  geb. Padefke geheiratet. Gerhard Kiehl,
eines der vier Kinder aus der ersten Ehe, wird 1943 der spätere Ehemann von Hildegard Tuttlies. Siehe auch Familienstammbaum:   


[[FamilySearch-Katalog: Die Nachkommen Padeffke und Podewski des Peter Paquadowski    — FamilySearch.or]]<nowiki/>g  
Mutter '''Berta Tuttlies''' bekam zur Hochzeit 1902 als Mitgift 16 ha Land von ihrem Elternhaus - den '''Burbas''' aus [[Paducken]] – einer Nachbarge­meinde. Das Land war nicht vollständig landwirtschaftlich nutzbar. 10 Hektar konnten u.a. an die Kleinbahn verkauft werden, um den Hausneubau mitzufinanzieren. Dazu kam ein günstiger Kredit in Höhe von 25 % der Baukosten von der Ostpreußische Generallandschaftsdirektion, der für "Aussiedlern" von Erbhöfen möglich war.     


und  [[Stammdaten Fem Podewski.pdf (familien-archiv.de)]]
Vater Ferdinand Tuttlies war Besitzer und Handwerker zugleich, er war zusätzlich als gelernter Maurer und als angelernter Schneider tätig. Ein kleiner Landteil wurde für den Hofbau als Grundfläche benötigt. Er lag direkt an der Chaussee in Willschicken. Dieses Landteil erhielt '''Ferdinand Tuttlies''' von seinen Willschicker Eltern ebenfalls zur Hochzeit.   


und [[GEDBAS: Vorfahren von Hildegard TUTTLIES (genealogy.net)]]
Zunächst mussten die Baugenehmigung erteilt werden. Dabei waren der örtliche Bebauungsplan und das preußische Fluchtliniengesetz zu berücksichtigen.    


und [[GEDBAS: Vorfahren von Gerhard KIEHL (genealogy.net)]]
Im Jahre 1904 machte sich '''Ferdinand Tuttlies''' unterhalb der Lindenhöher - Alt Lappöner Chaussee auf Willschicker Gemeindeland an den Bau eines eigenen Hofes.  Die junge Familie suchte ein eigenes Zuhause. Auf der anderen Straßenseite lag in Willschicken sein El­ternhaus. Im Elternhaus wohnte der Besitzer '''August Herrmann Tuttlies''', gebo­ren 1866. Nach dessen Tod 1921 übernahm es dessen 2. Sohn '''Ewald Tuttlies'''. Zum Tuttliesen-Clan gehörten auch die Anwesen von Papendieck (mit 6,50 ha Pachtland) und Ludzuweit früher Weihnowski (mit 3,49 ha Pachtland), die Nachbaren auf der anderen Straßenseite  waren, zwei weitere Höfe in Aulowönen/Lappönen – Tuttlies und Jägu. (siehe Karte Lappönen Neusiedler) sowie das Baugeschäft Tuttlies im [[Aulowönen]].     


Am 15. Oktober 1923 wurde in Berlin zur Neuordnung der Währungsverhältnisse in Deutschland die Deutsche Rentenbank errichtet. Ihre Aufgabe bestand in der Stabilisierung der Währung und der Rückgewinnung des völlig verlorengegangenen Vertrauens in das deutsche Geld.  Damit gelang es, die Hyperinflation abrupt anzuhalten. Die alte Mark blieb vorerst gesetzliches Zahlungsmittel und wurde am 30. August 1924 durch die Reichsmark ersetzt.  Wer sich etwa vor 1921 für ein Haus oder anderen Grundbesitz verschuldet hatte, der war über Nacht seine Schulden los. Größter Profiteur war der Staat. Seine gesamten Kriegsschulden in Höhe von 154 Milliarden Mark beliefen sich, als am 15. November 1923 die neue Währung Rentenmark eingeführt wurde, auf gerade einmal 15,4 Pfennige.           


Das neue Anwesen von Ferdinand Tuttlies war ab 1923 schuldenfrei. Der 1904 aufgenommene  Kredit in Höhe von 25 % der Baukosten von der Ostpreußische Generallandschaftsdirektion musste nicht mehr ganz zurückgezahlt werden. Die Dörfler wussten im Allgemeinen die wirtschaftliche Lage ihrer Nachbaren gut einzuschätzen. Hildegard Tuttlies hat ihren Vater als einen freundlichen und sehr gutgläubigen Menschen beschrieben. Der größte Schuldner von Ferdinand Tuttlies wurde im Laufe der Zeit allerdings sein eigener Bruder Ewald durch den eigenen Hofausbau, bei dem er sich völlig übernahm - was zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Familien führte. Es fand auch keine Talka mehr statt. Inzwischen war eine beträchtliche Summe aufgelaufen. Da eine Einigung privat nicht mehr möglich war, nahm Ferdinand seinen Bruder jetzt am Schlafittchen. Er suchte, auch auf Drängen seiner Frau Berta, die Unterstützung durch die Behörden bei einer Entschuldungsstellen Dies führte im Dorf zu beachtlicher Aufregung. Das Verfahren dauerte fast zwei Jahre. Nach einem gerichtlichen Vergleich übernahm Ferdinand Tuttlies Teile des Landes von seinem Bruder als kostenfreie Pacht, sein verliehenes Geld war auf Grund der Weltwirtschaftskriese 1929 kaum noch was wert - ähnlich dem Wert-Verlust der Kriegsanleihen, die sein Vater 1914 gezeichnet hatte. Die Dörfler standen zu Ferdinand Tuttlies, Ewald Tuttlies wurde gemieden. Er ging 1934 zur Wehrmacht.     


<gallery widths="320" heights="350" perrow="3" caption="Konfirmandin Hildegard Tuttlies 1934, Hochzeitspaar Kiehl 1943 und Vaterhaus Lerdon (Kiehl) 1931">
Beim Hofbau 1904 halfen Verwandte und Bekannte mit. Die Talka bezeichnete in Preußisch-Litauen die gegenseitige „Bitthilfe“ unter den Dorfbewohnern, die bei umfangreichen landwirtschaftlichen Arbeiten wie Pflügen, Aussaat, Roggenernte, Dreschen und Hausbau erbeten und gewährt wurde. Verwandte und Dorfbewohner halfen, wie damals üblich, mit. Die „Bau-Talka“ (lit. pastatyti talką) galt allgemein als bedeutende Veranstaltung im Vergleich etwa zu den weniger Personen einbeziehenden Mäh-, Dresch- und Schlacht-Talkas. Einigen Berichten zufolge war sie allerdings noch um die Mitte des 19. Jahrhunderts in der Gegend von Pillkallen eine Angelegenheit des ganzen Dorfes. Oft schloss ein großes abendliches Fest – möglichst mit Musik und Tanz – eine Talka ab, immer war sie mit reichlicher Verköstigung der Helfer verbunden.  
Datei:7.2 Konfirmation.jpg|Die Konfirmandin Hildegard Tuttlies1934, Quelle: Foto: privat
Datei:07 1 Hochzeit.jpg|Das Hochzeitspaar Hildegard Tuttlies und Gerhard Kiehl 1943, Quelle: Foto: privat
Datei:08 Lerdon.jpg|Der Gasthof der Familie Fritz Lerdon/Hedwig Kiehl, Quelle: Foto: [https://www.bildarchiv-ostpreussen.de/suche/index.html.de?qp=searchtext%3D6%3A019207mode%3D1%3Af#!start=1 Sammlung Harald Zimmermann/Ursula Behrens] 
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Mutter Berta Tuttlies bekam zur Hochzeit als Mitgift 20 Morgen (16 ha) Land von ihrem Elternhaus - den Burbas aus Paducken – einer Nachbargemeinde.
Bei der Bau-Talka wurde in der Regel hauptsächlich am Wochenende gearbeitet. Dies erklärt auch die lange Bauzeit auf dem Tuttliesen Hof.
Siehe: [[Paducken]] – GenWiki (genealogy.net). Das Land war nicht vollständig landwirtschaftlich nutzbar. Vater Ferdinand Tuttlies war Besitzer und Handwerker zugleich,
im Sommer war er zusätzlich als Maurer und im Winter war er als Schneider tätig. Im Jahre 1904 machte sich Ferdinand Tuttlies an der Grünheider Straße an
den Bau eines eigenen Zuhauses. Auf der anderen Straßenseite lag sein Elternhaus. Im Elternhaus wohnte der Besitzer August Herrmann Tuttlies, geboren 1866.
Nach dessen Tod 1921 übernahm es dessen 2. Sohn Ewald Tuttlies. Zum Tuttliesen-Clan gehörten auch die Anwesen von Papendieck (mit 6,50 ha Pachtland)
und Ludzuweit früher Weinowski (mit 3,49 ha Pachtland) und zwei weitere Höfe in Aulowönen.


Die Talka bezeichnete in Preußisch-Litauen die gegenseitige „Bitthilfe“ unter den Dorfbewohnern, die bei umfangreichen landwirtschaftlichen Arbeiten wie
==== <big>Hof Tuttlies - eine Beschreibung</big> ====
Roggenernte, Dreschen und Hausbau erbeten und gewährt wurde. Verwandte und Dorfbewohner halfen, wie damals üblich, mit. So entstanden für die junge Familie
von Ferdinand Tuttlies ein stabiles Wohnhaus, ein Stallgebäude und eine Scheune. Die Baumaterialien waren Ziegel, Feldsteine, Lehm und Holz.
Es hat bis 1906 gedauert, bis alles fertig war. Es war ein kleiner offener Vierkanthof entstanden. (Siehe Messtischblatt Willschicken von 1939 unten rechts).
Vierkant war die vorherrschende Bauform der Höfe in Preußisch-Litauen.


1934 überschrieb Ferdinand Tuttlies mit 65 Jahren aus gesundheitlichen Gründen sein Anwesen an seinen Sohn Erich Tuttlies, der es auch bewirtschaftet. Erich Tuttlies wurde 1938 eingezogen. Die Hofbewirtschaftung wurde zunehmend schwieriger. Eine junger weißrussischer Ostarbeiter Michael Kitursko kam 1941 mit 18 Jahren auf den Hof und wohnte auch dort. Er wurde zu einer Art Familienmitglied. Seine Teilnahme an der Flucht 1945 wurde ihm vom Bürgermeister in Willschicken untersagt – sein späteres Schicksal ist trotz Nachforschungen in Weißrussland ungewiss geblieben. Siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Ostarbeiter
So entstanden für die junge Familie von '''Ferdinand Tuttlies''' und '''Berta Burba''' ein stabiles eineinhalbgeschossig Wohnhaus. Es war ganz aus Ziegel aufgemauert hatten hellen Außenputz und war mit roten Dachpfannen bedeckt. Besonderes Augenmerk wurde auf einen feuerfesten Kamin gelegt. Das Wohnhaus wurde beheizt durch einen großen Kachelofen, der seine Wärme über ein Warmluft-Kanalsystem auch im Obergeschoss verteilte, den Küchenherd und im Winter auch durch die Außenwand der eingebauten Räucherkammer. Dazu kamen im Winter in den Schlafzimmern kleine "Stöfkes". Das raue Klima mit seinen durchschnittlichen 173 Frosttagen im Jahr beschränkte die Vegetationszeit auf sechs bis sieben Monate und stellte die Landwirtschaft in Ostpreußen vor große Probleme. Die Heizungsperiode betrug im Durchschnitt sieben Monate. Die Häuser erforderten dickere Mauern, stabile Dächer und Doppelfenster. Im Winter war in Ostpreußen der Pelz eine normale Arbeitskleidung. Großen Schaden nahmen die Obstpflanzungen während des sehr strengen Winters 1928/29. Bis zu 75 % der Obstbäume fielen dem sehr strengen Frost von über 30 Grad Celsius zum Opfer. Bei den Tuttliesen mussten alle Obstbäume neu gepflanzt werden<br>                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                <center>                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                         
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Datei:Chronik Ksp. Aulenbach (Ostp.) - Willschicken - 1906 - FOTO - Hof Tuttlies Beladen der neuen Scheune FA V1.jpg|<center> Beladen der neuen Scheune auf dem Hof von Familie Tuttlies <br> vor dem geöffneten Hoftor (1906)</center>
Datei:Chronik Ksp. Aulenbach (Ostp.) - Willschicken - 1930 - FOTO - Hof Tuttlies Innenhof der neue Bauerstelle Tuttlies. Scheune, Hoftor und Stall FA V1.jpg| <center> Innenhof der neue Bauerstelle Tuttlies (1930) <br> Scheune, Hoftor und Stall, Berta Tuttlies mit Enkeln Carlhorst und Brunhilde </center>
Datei:Chronik Ksp. Aulenbach (Ostp.) - Willschicken - 1930 - FOTO - Der Tuttliesen Hof aus der Ferne, im Vordergrund Hildegard Tuttlies FA V1.jpg| <center> Der Tuttliesen Hof aus der Ferne 1930 <br> im Vordergrund Hildegard Tuttlies mit ihrer Lieblingskuh "Lisa" (1930). </center>
</gallery>                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                          </center>
<br>Vier- oder Dreikant war die vorherrschende Bauform der Höfe in Preußisch-Litauen.  Die "neuen" Wohnhäuser der Bauern, zumindest im Willschicken, waren in der Regel eineinhalbgeschossig aufgemauert, außen hell verputzt , häufig mit einem Zierband aus roten Ziegeln oder weißen Aufputz um Außentüren, Fenster und am Giebel versehen und mit roten Dachpfannen gedeckt. Stroh- und Reetdächer waren wegen Feuergefährlichkeit untersagt. Die Fundamente mussten fachgerecht aufgemauert und auf Feldsteinen gelagert werden. Die Fundamentoberkanten mussten 20 bis 40 cm. über dem Erdboden liegen. Ställe, Scheunen und Nebengebäude wurden in Fachwerk mit einem Feldsteine-Unterbau und zum Teil mit einer äußern Holzverschalung ausgeführt. Die tragenden Bauhölzer der Gebäuden mussten mit stark riechendem Karbolineum gegen Fäulnis gesichert werden. Die Ziegel kamen aus Aulenbach von der [[Ziegelei Teufel]] oder der Ziegelei Guddadt. Feldsteine, Holz und Lehm gaben das eigene Land oder das der Nachbaren in Willschicken her. Keller waren bei kleinen Höfen unüblich. Größere Höfe und Gaststätten besaßen häufig einen "Eis-Keller" der im Winter mit Natureis gefüllt wurden und - je nach Klima - bis zum Hochsommer vorhielt. Der Dachboden "de Lucht" war ein sehr beliebter Kinderspielplatz.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                


Gegenüber dem Wohnhaus lag die zweistöckige Scheune mit aufgemauerten Giebeln. Die Zufahrt war rechtwinkelig von der Straße zu der hinteren Hofseite angelegt. Sie war auch gepflastert und führte außen am Scheunengebäude vorbei. So konnte die Scheune von beiden Seiten "beladen" werden. Im rechten Winkel lag dazu das ebenfalls eineinhalbgeschossiges, mit Holz verschalte Stallgebäude. Auf der Hinterseite der Ställe gab es mit einem Schweinegarten und einem Rossgarten. Ein Anbau mit Geflügel- und Ziegenstall schloss den Vierkant ab.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                               


<gallery widths="320" heights="350" perrow="3" caption="Familie Tuttlies Hausbau 1904, Vorweihnachtszeit 1913, Soldat 1914">
Der innere Hof war zum Teil mit behauenen Feldsteinen ausgepflastert. Der Hof maß etwa 15 x 15 Meter, so dass eine bespannte Feuerwehrspritze darin wenden konnte. Zwischen den Höfen musste der Feuerabstand mindestens 150 Fuß etwa 42 Meter betragen. Zur Straßenseite gab es einen Ziergarten und hinter dem Wohnhaus einen Gemüse- und Obstgarten mit 24 Obst-Bäumen. Darin gab es eine Fliederlaube, ein herrliches Versteck für die Kinder. Der Hof war außen mit einem Staketenzaum umfriedet und wurde außen zum Windschutz mit Bäumen und Hecken umpflanzt. Er wurde durch ein großes Tor verschlossen und vom Hofhund Lux bewacht. Es war ein kleiner Vierkanthof entstanden. Die Baumaterialien waren Ziegel, Feldsteine, Lehm und Holz. Es hat bis 1906 gedauert, bis alles fertig war. Diese Annahme lässt sich aus dem Messtischblatt 1197 (Grünheide) Bereich Willschicken von 1934 ableiten. unten rechts. Die Vermessung muss vor 1906 entstanden sein, da sie nicht den endgültigen Ausbau des Tuttliesen-Hofes zeigt.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                  
Datei:09 Hausbau.jpg|Talka beim Bau des Wohnhauses Tuttlies 1904, Quelle: Foto: privat
Datei:13 Familie Tuttlies 1.jpg|Familie Tuttlies versammelte sich 1913 in der Vorweihnachtszeit. Von den vier Kindern auf dem Foto wollte nur Erich – ganz rechts – in der Landwirtschaft bleiben, Quelle: Foto: privat
Datei:10 Soldat.jpg|Ferdinand Tuttlies als Soldat im 1. Weltkrieg, 1914 brach der 1. Weltkrieg aus. Vater Tuttlies musste an die Front, Quelle: Foto: privat
</gallery>
         
Die folgenden Karten zeigen das Kriegsgeschehen in Ostpreußen im 1. Weltkrieg


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<gallery widths="500px" heights="350px" perrow="2" caption="1. Weltkrieg in Ostpreußen">
== <big>Geschichten & Anekdoten rund um Willschicken</big> ==
Bild:11 Tannenberg 1.jpg|Quelle: [http://www.emersonkent.com/map_archive/battle_of_tannenberg_1914_A.htm Karte der Schlacht bei Tannenberg - 26. August 1914]
<br>
Bild:12 Tannenberg 2.jpg|Quelle: [http://www.emersonkent.com/map_archive/battle_of_tannenberg_1914_A.htm Karte der Schlacht bei Tannenberg - 26. August 1914]
===Dorfleben in Willschicken / Wilkental===         
</gallery>
[[Datei:Gesellschaftsschichten.png|thumb|469x469px|<center>Auf- und Abstieg innerhalb von Gesellschaftsschichten in Ostpreußen um 1900<br> <small>(Quelle: Köllmann, Bevölkerungsgeschichte) </small>|alternativtext=]]


Vom August 1914 bis zum Februar 1915 waren bis zu zwei Drittel Ostpreußens zeitweise russisch besetzt. Die zweimal durch Ostpreußen ziehende
In Wilkental gab es 1939 das ehrenamtliche Bürgermeisteramt (Gemeindevorsteher), eine kleine Molkerei und einen Friedhof, aber es gab keinen Laden, keine Schule, keine Kirche und keine Gaststätte. Scherenschleifen, Zwiebelbauern, Heringshändler und Petroleums-Verkäufen zogen zu bestimmten Zeiten durch das Dorf, dazu kamen Vieh- und Pferdehändler und Heimatlose. Die Post kam zweimal die Woche. Seit 1825 war es gestattet, Land-, Fuß-Boten oder Briefträger einzustellen. Sie stellten zwei- bis dreimal in der Woche Briefe, Adressen, Zeitungen und Amtsblätter gegen ein Bestellgeld in der Umgegend des Postbezirks zu und nahmen, wieder gegen ein Bestellgeld, solche Sendungen an. Die Landbriefträger wurden von der Postanstalt unter Vertrag genommen und besoldet, das Bestellgeld floss in die Postkasse und sollte die Kosten für diese Dienstleistung decken. Diese Reglungen blieben bis zur Weimarer Verfassung bestehen.                  
Frontlinie hinterließ durch die Kampfhandlungen ein zerstörtes Land. Traurige Höhepunkte waren die Schlachten bei Stallupönen (17. August 1914, Gumbinnen
(19.-20. August 1914), Tannenberg (23.-31. August 1914) und Masuren (07.-16. Februar 1915).


„Bereits 1914 setzte man eine Kommission ein, welche die Verluste in Ostpreußen protokollieren sollte. Für die Gesamtprovinz belief sich der Schaden
Dörfer wie Wilkental haben wie zu jeder Zeit auch belastbare soziale Netze von Hilfe und Zurückhaltung (siehe: Pierre Bourdieu, Der feine Unterschied). Sie dienten der Sozialkontrollen und zur Abgrenzung zwischen den unterschiedlichen Sozialgruppen im Dorf und der Region. Gutsbesitzer, Bauern und Gesinde grenzen sich sozial gegenseitig ab und heiraten so wie Gutsbesitzer häufig nur untereinander. Allerding war sozialer Aufstieg durch Einheirat in die sozial angesehene Bauerngruppen auch ein gängiges Muster. Gerade auf dem Lande gingen "Eigentumswünsche häufig vor Herzenswünsche". "Wer geht mit wem?" "Hast Du gesehen, dass... " Die Bauern sind ausgestattet mit "feinen" positiven oder negativen Verhaltensregeln den anderen Dörflern gegenüber":  "Gode Frind un trie Noawersch send nich mit Gild to betoale", dauerhafte  Zuschreibungen: "De ol Grigull" und fixierten Klassenschranken: "Wat du seggst un de Landrat schött, das gölt datselwige" , "Wer nuscht häd, de hoost" , "Tohuus is Tohuus" ([https://www.bk-luebeck.eu/sprichwoerter-ostpreussen.html siehe: Ostpreußische Sprichwörter, Redewendungen und Weisheiten])
auf 1,5 Milliarden Mark. Etwa 1.500 Zivilisten waren der Besatzung zum Opfer gefallen. Insgesamt kamen während der Kämpfe 1914/15 über 61.000 Soldaten ums Leben – 27.860 Deutsche, 1.100 Österreicher sowie 32.540 Russen. Dramatische Auswirkungen zeigte der Verlust an Vieh und Pferden, der die Versorgung ernsthaft gefährdete.
Viele Menschen hatten aber auch in ihren Dörfern ausgeharrt oder waren auf der Flucht von russischen Truppen überrascht worden. Auf ‚Spionageverdacht‘
hatten die Besatzer gnadenlos reagiert, es war zu zahlreichen Exekutionen gekommen. …  Insgesamt wurden bis zu 13.000 Zivilisten nach Russland deportiert.
(Quelle: Kossert: ZEIT 13.02.2014)


Mutter Berta Tuttlies blieb 1914/15 mit vier Kindern zu Hause. Hildegard Tuttlies spätere verh. Kiehl wurde erst 1920 geboren.
Soziale Rangordnungen wurden schon von den Kindern wahrgenommen. '''Hildegard Kiehl''' berichtet von der freiwillig eingenommen Sitzordnung ihrer ersten Konfirmandenstunde: "Vorne saßen kerzengerade die Kinder der Großbauern, dann lümmelten sich die Sprösslinge der mittelprächtigen Bauern und hinten hocken die blassen Kinder der Knechte und Arbeitsleute und ganz hinten verkroch sich der Sohn Micha, sein Vater war im Nebenberuf Abdecker. Man erzählte, dass auf sehr reichen Gütern die feinen Kinder des Gutsherrn vom Pfarrer alleine zu Hause im Haus des Gutshauses über die Religion belehrt wurden - sie sollten wohl von der Dorfjugend nicht verdorben werden. Ob das stimmt, weiß ich nicht. Das sie aber Privatlehrer hatten, weiß ich von meinem Vater, der schon auf solchen Gütern gemauert hatte".          
In Willschicken stand im August 1914 die russische Militärverwaltung vor der Tür von Mutter Tuttlies und suchte Unterkünfte für verwundete russische
Soldaten in der Umgebung. Das Wohnhaus musste geräumt werden und Mutter Tuttlies und ihre vier Kinder zogen zuerst in die Scheune, nach zwei Wochen auf den
Dachboden des Wohnhauses. Die Küche durfte nach Absprache weiter benutzt werden.
Anfang September 1914 wurde ein schwerverwundeter russischer Soldat in das Wohnhaus gebracht, der bald darauf verstarb. Beim Abräumen des Sterbelagers durch
Mutter Tuttlies standen plötzlich zwei russische Soldaten mit dem Gewehr im Anschlag vor ihr. Erst die Rufe von anderen Verwundeten „Rotes Kreuz Haus, Rotes Kreuz Haus“
bewegte die Soldaten, sich zu entfernen. Angeblich waren sie „dienstlich“ unterwegs. Der verstorbene Soldat wurde von der russische Militärverwaltung etwa 20 Meter
vom Wohnhaus entfernt beerdigt, am Rand des Grabens der Grünheider Straße.


Am Ende des 1. Weltkriegs kam Vater Tuttlies gesund nach Hause. Das Soldatengrab wurde nach Abzug der Russen 1915 durch die Familie gepflegt.
Das Arbeitsleben auf den Höfen war bestimmt durch Aussaat und Ernte. Ansonsten war das Dorfleben durch christlichen Feiertag, Familienfest und die vier Jahreszeiten geprägt, wobei die langen und strengen Winter eine besondere Rolle spielten. Die Arbeit auf den Höfen richtete sich gewöhnlich nach Aussaat und Ernte nach dem Lebenszyklus von Geburt, Kindheit, Schule, Ausbildung, Armee, Hochzeit, Beruf, Altenteil und Tod. Dabei spielen die erhebliche kürzere Lebenserwartung und Anzahl der überlebenden Kinder eine große Rolle.                      
Es erhielt ein kleines Holzkreuz mit der Inschrift: „Hier ruht ein unbekannter russischer Soldat“ und einen Staketenzaun mit einer gezimmerten Tür.  
Zunächst wurde das Grab durch vier hohe Pfosten gesichert. Die Kinder, die für das Unkraut verantwortlich waren, wurden größer.
[[Datei:14 Soldatengrab.jpg|ohne|mini|600x600px|Das Soldatengrab vor dem Wohnhaus der Familie Tuttlies 1915 zunächst noch ohne Zaun innerhalb der aufgestellten Pfosten. Bei genauerem Hinsehen ist aber das Kreuz erkennbar, Quelle: privat]]


In Willschicken wurden die Zeitungen zwar ab 1871 mit der Post (den Gütern) zugestellt, meistens die "Königsberger Hartungsche Zeitung" oder das "Me­meler Dampfboot". Sie wurden aber von den Bauern mit einem Tag Verspätung häufig aus Kostengründen in der Gaststätte gele­sen. Damals, 1871 waren alle Einwohner preußisch und evangelisch, 68 ortsgebürtig, 37 unter 10 Jahren, 73 konnten lesen und schreiben, 44 Analphabeten.            


Die „Ostmarken Rundfunk AG“ später Reichssender Königsberg wurde mit einem 50-Prozent-Anteil der Reichspost am 2. Januar 1924 in  Königsberg gegründet. Nicht alle Höfe in Willschicken hatten schon einen Stromanschluss. Während des 2. Weltkrieges kam es in Ostpreußen ab 1941 relativ häufig zu Stromsperren, die manchmal tagelang andauerten. Manche Höfe waren froh, ihre alten Petroleum-Lampen behalten zu haben. Beim Radio musste dann zuerst noch der Akku 4 Stunden lang fremd aufgeladen werden, was aber manchmal „tagelang“ dauerte, da es außerhaus passieren musste. Die Gaststätte Lerdon in Lindenhöhe war eine elektrische "Ladestation" für die Willschicker Bauern. Tuttliesen hörten ab 1934 am Abend zwischen 20 und 21 Uhr eine Stun­de Radio Königsberg.


Das Leben in Willschicken veränderte sich in den zwanziger Jahren. Ferdinand und Berta Tuttlies sprachen zwar mit ihren älteren Verwandten und Bekannten untereinander häufig litauisch, ihren Kindern waren aber auch einige litauische Alltagsbegriffe geläufig. Siehe auch: Erinnerungen von Hildegard Kiehl, geb. Tuttlies (folgt als zweiter Text) und
[[Datei:Uszupöhnen 1920-00-00 001 Teufels Ziegelei .JPG|thumb|400x400px|<center>Uhrenersatz - Sirene der [[Ziegelei Teufel]] <br> in Aulowöhnen, OT Uszupönen (1920)|alternativtext=]]
http://www.brieskorn.de/Brieskorn/Dokumentation/Ostpreussisch/body_ostpreussisch.html


Es gab lange Zeit keine Uhr im Haus Tuttlies. Gerichtet wurde sich nach der Sonne und den Werks-Sirenen der [[Ziegelei Teufel]] im nahen [[Aulowönen]]: 7:00 in der Frühe und 19:00 am Abend. Bei Tuttlies hieße es: „Wenn de Diwel huult“. Jeden zweiten Sonntag putzte sich die Familie Tuttlies fein heraus und besuchte mit dem Kastenwagen die Kirche in Aulowönen.


Im Stall der Tuttliesen waren 2 Pferde ("Rieke" und "Alexa")  2 Milchkühe ("Lisa" und "Mona"), in der Regel 4 Herdenschweine (zur Eigenbedarf und zum Verkauf) und jährlich 6 bis 8 zugekaufte Ferkel zur Aufzucht und Verkauf, 5 Ziegen (Ziegenbock "Mäck" und Anhang), Hühner und Gänse zu versorgen. Bei den Tuttliesen wurde im Jahr zwei- bis dreimal geschlachtet. Die Pferde wurden häufig gegen Naturalien verliehen, da sie auf dem kleinen Hof nicht ausgelastet waren. Ferdinand Tuttlies sagte: "Wo Duwe sönd, da fleege noch Duwe to."  Dazu gaben einen freistehenden echten Taubenschlag und den treuen Hofhund "Lux". Am Stall waren unter der Dachkante zahlreiche Schwalbennester gebaut worden. Trotz Drängen wollte Opa Tuttlies keine Bienenvölker, "De sönd to krabblich".


Erwin Spehr berichtet aus Preußisch-Litauen: „Neben der litauischen Sprache waren zunächst fast alle deutschen Dialekte in Preußisch Litauen vertreten.
Die gesamte Familien Tuttlies wurde auf dem Hof gebraucht. Bedarf bestand im Frühjahr bei der Getreideaussaat, beim Setzen von Kartoffeln, Rüben und Wrucken, später beim Behacken derselben, im Juni bei der Heuernte, im Sommer bei der Getreideernte und beim Dreschen, im Herbst beim Ernten von Kartoffeln und den anderen Hackfrüchten - dazu kam noch die Gartenarbeit.
Es bildete sich erstaunlicherweise jedoch kein Mischdialekt aus. Durchgesetzt hat sich neben dem
Hochdeutschen das ostpreußische Plattdeutsch, auch Niederpreußisch genannt, obwohl bei der besitzenden bäuerlichen Bevölkerung die Niederdeutschen
keine Mehrheit stellten.
Man vermutet, dass Handwerker und Landarbeiter, die aus dem Westen Ostpreußens, laufend zuwanderten, der niederdeutschen Mundart zum Durchbruch
verholfen haben. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts sprach man in Teil Ostpreußens in den Städten Hochdeutsch und auf dem Lande Plattdeutsch und Litauisch.
[[Datei:Preussisch Litauen.jpg|ohne|mini|659x659px|Quelle: [https://www.wikiwand.com/de/Preu%C3%9Fisch_Litauen#/google_vignette Preußisch Litauen - Wikiwand]]] 


Bevölkerungs- und Schulstatistik im Regierungsbezirk Gumbinnen 1817 und 1825:
Auf den 6 ha des eigenen Landes und den etwa 6 ha des übernommenen Landes vom "bankrotten" Bruders Ewald  wurden Roggen und Kartoffeln angebaut, die zur Eigenversorgung  und zur Viehfütterung zum Teil eingelagert wurden. Der eingelagerte Roggen war bei sachgemäßer Lagerung bis zu 6 Jahren haltbar, damit konnten Missernten ausgeglichen werden. Außerdem gab es Grünland, auf dem Heu gemacht wurde. Direkt am Hof gab es noch einen großen Gemüsegarten mit den üblichen Arten - besonderes Augenmerk wurde auf haltbaren Kohl gelegt, der in Salzlake eingelegt wurde. Zusätzlich gab es 24 Obstbäume: (Wirtschafts-) Äpfel, Birnen, Kirschen und Pflaumen. Auf "ihre" Obstbäume war Berta Tuttlies besonders stolz. Die Bäume wurden nur auf Anweisung von ihr zurückgeschnitten - beim Obst Ernten mussten aber alle mithelfen.
{| class="wikitable"
!
!Muttersprache
!1817
!1825
!absolute Veränderung
!prozentuale Veränderung
|-
|
|dt.
|177.798
|229.531
|51.733
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|-
|
|lit.
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|102.134
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|12 %
|-
|
|poln.
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|133.034
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|,022,5 %
|-
|Gesamtbevölkerung
|
|377.500
|464.699
|87.199
|23 %
|-
!
!Unterrichtssprache schulpflichtiger Kinder vom 6. bis 14. Lebensjahr
!1817
!1825
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!prozentuale Veränderung
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|
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|}


Quelle: https://www.wikiwand.com/de/Preu%C3%9Fisch_Litauen#/google_vignette
In einer besonders sonnigen Gartenecke baute Ferdinand Tuttlies seinen eigenen Tabak an, was aber aufgrund des teilweise rauen Klimas nicht jedes Jahr gelang. Zollfrei waren 20 Tabakpflanzen. Zwei "Spezialisten" aus dem Dorf Willschicken hatten aber in versteckten Winkeln kleinere Tabak-Felder versteckt angelegt, mit weit mehr als 20 Pflanzen, mit denen sie Geld verdienten. Zoll zahlten sie aber nicht und ihre Tabakkäufer schwiegen. Als Anfang der Dreißigerjahre übereifrige Zoll-Beamte in der Lindenhöher Schule die Schulkinder nach dem Tabak-Anbau ihrer Eltern abfragen wollen, kam es heftigen Beschwerden beim Schulrat.  


„Die veränderten Existenzbedingungen, die Ostpreußen nach 1918 hinnehmen musste, haben sein politischen und wirtschaftliches Leben tief beeinflusst. Die neunen Grenzen unterbrachen wirtschaftliche Verbindungen in denen die Provinz seit langem gestanden hatte und die sich nur teilweise wiederherstellen oder ersetzen ließen. Diese waren auf die Dauer nicht zu verscherzen, weil Ostpreußen auf Grund seine einseitigen Wirtschafts- und Sozialstruktur eher zur Stagnation als zur Dynamik neigte und deshalb die verlorenen Positionen schwerlich durch gesteigerte wirtschaftliche Aktivitäten im Landesinnern wettmachen konnte. Schon vor 1914 ist das Wachstum der ostpreußischen hinter dem der Bevölkerung zurückgeblieben und der Überschuss an Arbeitskräften in anderen Teile Deutschlands abgewandert. Obwohl dieses Phänomen und seine bevölkerungspolitischen Konsequenzen ausgangs des 19. Jahrhunderts aufgefallen sind, hat es doch an Politik gefehlt, die diese Entwicklung nachdrücklich korrigiert hätte. Infolgedessen ist das Abwanderungsproblem nach dem Ersten Weltkrieg abermals hervorgetreten und zu einem Symptom der Wirtschaftlichen Schwäche der Provinz geworden.“   [https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-663-07558-5_2 Quelle: Bevölkerung und Wirtschaft in Ostpreussen | SpringerLink]
Nachbaren der Tuttliesen hatten in einem Bruchgelände Schnittweiden gepflanzt, um daraus im Herbst und Winter Körbe, Peitschenstiele und Angelruten herzustellen. In den Randbereichen der Sumpfgelände wurde von den Tuttliesen auch Flachs angebaut. Der Flachs wurde bis zum Brechen und Ausdreschen in der Scheune gelagert. Aus den feingesponnen Fäden wurde Leinen gewebt und aus den groben Fäden wurden Säcke gewebt und man drehte Stricke - alles Arbeiten, für die Frauen zuständig waren. Der Winter war für die Frauen auch Strickzeit für die Frauen. Besonders Wäsche und Kinderkleidung waren Strickprodukte. Es kam Schafswolle zum Einsatz, die laut aller Kinder, immer und überall entsetzlich kratzte.


Alle größeren landwirtschaftlichen Geräte waren einfacher Art und zum Teil vererbt oder günstig gebraucht erworben. Es waren nach der Erinnerung von Hildegard Tuttlies vorhanden: ein Schwing-Pflug, ein Tiefpflug, eine Drillmaschine, eine Rechenmaschine, ein Kartoffel-Häufler, ein Kartoffel-Roder, vier Eggen, zwei Ackerwagen, ein Kastenwagen und ein großer und mehrere kleine Schlitten. Bei Bedarf konnten zusätzliche Gerätschaften von Nachbaren oder vom Familien Clan ausgeliehen werden.


„Noch während der Weimarer Republik 1927 wurde ein Gemeindereformgesetz erlassen, welches die bisherige kommunale Selbständigkeit der großen Güter aufhob
[[Datei:Genossenschaft.png|thumb|544x544px|<center><small>Werbung der Landwirtschaftliche An- und Verkaufsgenossenschaft eGmbH Interburg in Aulowönen </small>|alternativtext=]]
und diese an bestehende Gemeinden angliederte oder zu neuen Gemeinden zusammenfasste. Da man nun für diese größeren Einheiten oft neue Namen suchte, wurde die Gelegenheit wahrgenommen, die alten litauisch klingenden Ortsnamen durch deutsche zu ersetzen.“


Die Nationalsozialisten ersetzten 1938 systematisch alle litauischen Orts-, Fluss-, Forst- und Moornamen durch „Eindeutschungen“ und verdrängten die litauische
Der größere Teil der Ernte wurden von der [[Aulowönen#An-_und_Verkaufsgenossenschaft_.2F_Kleinbahnhof  |  An- und Verkaufsgenossenschaft in Aulowönen]] aufgekauft. '''Ferdinand Tuttlies''' war als "Genosse" Mitglied und besaß einen kleinen Genossenschaftsanteil. Die Milch landete hauptsächlich in der Molkerei Pukris in Willschicken und diente zum Eigenverbrauch. Die Milch wurde selber zu Erzeugnissen wie Schlagsahne, Dickmilch, Quark, Buttermilch, Käse und Butter verarbeitet. Das Buttern der Milch zu Hause war für die Tuttliesen Kinder eine der unerfreulichsten Arbeiten - es war langweilig und dauerte viel zu lange. Die Ernteerlöse und das Milchgeld reichten etwa für ein Dreivierteljahr, um die Haushalts-Kosten zu decken. Kunstdünger wurde wegen der Kosten nur begrenzt gekauft. Das Jahreseinkommen aus der Landwirtschaft betrug durchschnittlich etwa 1.200 Mark. Die teuersten Posten bei den Tuttliesen waren Kaffee, elektrischer Strom und Lederschuhe. 1926 betrug Monatslohn in Deutschland durchschnittlich 139 RM, bei einem Kaffee-Preis von 7,20 RM. Man musste also auf dem Lande in Ostpreußen ungefähr 20 Stunden für ein Kilo Kaffee arbeiten (siehe auch [[Hof Brandstäter]] und Monatslohn Entwicklung <ref> Was verdiente ein Arbeiter (www.was-war-wann.de)</ref> ). Die Bauern auf dem Landen versorgten sich mit Nahrungsmitteln und Brennmaterialien in der Regel selber. In Salzlake Einlegen, Räuchern und Einwecken diente auf den Höfen der Haltbarmachung. Gekauft wurden nur Lebensmittel oder Dinge, die nicht selbst hergestellt werden konnten oder aus dem Ausland herangeschafft werden mussten. Der Einkaufs-Laden von Fritz Lerdon führte den Untertitel "Kolonialwaren".
Sprache und deren Kultur.


„Die Inflation von 1923 und die Weltwirtschaftskrise von 1929 traf in Ostpreußen eine Landwirtschaft, die unter sehr ungünstigen äußeren Bedingungen produzieren
'''Ferdinand Tuttlies''' war zusätzlich im Sommer als gelernter Maurer und im Winter als angelernter Schneider erfolgreich tätig. Er wurde zum kleinen Dorfschneider, den jedes Dorf hatte. "E kleenet Etwas öss beter als e grotet Garnuscht". Beide Nebenerwerbe hatte er angemeldet. '''Ferdinand Tuttlies''' „benähte“ im Winter regelmäßig seine Stammkunden, die Nachbaren, Verwandte, Bekannte und Schulfreunde "für ein paar Dittchen". Das Schneidern hatte ihm '''Gertrud Kianka''' aus dem Nachbardorf [[Paducken]] beigebracht - eine gelernte Schneiderin. Frau Kianka war langfristig an Rheuma erkrankt, da sie im Winter ihre Kate nicht ausreichend heizen konnte. Sie "hatte zu lange im Kalten genäht". '''Ferdinand Tuttlies''' hatte schon während der Anlernzeit wesentlich am Einbau eines Kachelofens bei Frau Kianka mitgearbeitet. Frau Kianka freute sich über "die flotten Hände von Ferdinand". Die Zufahrt zur Hofstelle Kianka lag westlich neben dem Soldatengrab. Frau Kiankas Mann war verstorben und lebte später unverheiratet mit Herrn Bundel zusammen, um besser versorgt zu sein. '''Ferdinand Tuttlies''' übernahm von Frau Kianka eine gusseiserne "Singer-Nähmaschine" mit Fußantrieb und Holzabdeckung, dazu zwei großen Schneider-Scheren und ein riesiges Dampfbügeleisen. Dazu kam ein wichtiger Schrank, in dem etwa 50 Schnittmuster aus Zeitungspapier von Frau Kianka lagerten.  Ein selbstgebauter Schneidertisch und ein Stoffregal mit Kurzwaren vervollständigten seine "Extra-Schneider-Stube" im 1. Stock. Sie wurde im Winter, wie die Schlafzimmer, durch den Warmluft-Kanal des Kachelofens mit beheizt. Bei besonders strengen Wintern wurden aber noch zusätzliche Öfen, die einen Abzug zum Hauptkamin besaßen, angeworfen. Die extra langen Ofenrohre in den Zimmern wärmten mit. Die Schneider-Stube besaß aber auch noch einen separaten "Schneiderofen" für das Dampfbügeleisen. Sein ganzer Stolz war ein bodenlanger Spiegel und ein Kundensessel mit Lederbezug. Beide Gegenstände waren Überbleibsel des "russischen Rotes Kreuz Hauses " aus dem 1. Weltkrieg. (siehe 1.8 Soldatengrab). Sie sollen ursprünglich wohl von einem besetzten Gut der Umgebung herstammt und landeten während der russischen Besatzung bei den Tuttliesen im "Ärzte-Zimmer", es war die "Extra-Schneider-Stube".  
musste und auch die Kriegsschäden noch nicht voll überwunden hatte. Die Folge war die tiefe Agrarkrise von 1929 bis 1932  der zahlreiche Betriebe zum Opfer fielen.
Pfändungen und Versteigerungen nahmen zu. Große Güter mit ihrem hohen Arbeitskräftebedarf waren dabei stärker betroffen als Bauern, die vorübergehend
sich selbst ernähren konnten und so die Krise besser überstanden. Die Unruhen dieser schwierigen Zeit machten sich überall bemerkbar: 1923 kam es auf einigen
Gütern zu Landarbeiterstreiks, und 1929 verhinderten aufgebrachte Bauern Zwangsversteigerung. Die Folge war auch Auswanderung. So migrierte  z. B. Anni Bartuschat aus Willschicken lt. Bremer Passagierlisten am 18. Mai 1934 auf dem Schiff „Bremen“ von Bremen nach New York.


Die Stoffe kauft '''Ferdinand Tuttlies''' nach einem bestens gehüteten Katalog auf Bestellung per Post in Insterburg ein und holte sie persönlich ab, und zwar bei der Tuchhandlung '''Rosenberg Gebrüder & Simon''', [[Insterburg]]. Die ganz Familien musste seine Bestellung (Korrektur)lesen. Für ihn war es jedesmal eine aufregende Tagesreise. Dazu zog er jedesmal sein "englische" Jacke an - ein Sakko aus groben Tweed und eine Manchesterhose aus Cord, eine Kombination, an der auch einige Großbauern in der Umgebung Gefallen gefunden hatten. Eine Schiebermütze und  von den Kindern sorgfältig geputzte Schnürstiefel vervollständigten seinen Auftritt. Mutter Berta hatte ihm eine Stulle für die Hinfahrt und eine Stulle für die Rückfahrt geschmiert. Während der deutschen Kolonialzeit wurden die Winteruniform der Schutztruppe für Deutsch-Südwestafrika aus Cord hergestellt, daher war Cord auch in Ostpreußen bekannt. Er setzte auch jedesmal seinen selbst genähten Extra-Schneiderrucksack auf, der regendicht war; es gab auch einen entsprechenden Maurerrucksack. -  "Man must e weete wat em koft"  - Für die Kinder war seine Rückkehr heiß ersehnt, da er in den Taschen seines Rucksackes stets "Bomche" mitbrachte. Es verging mindestens eine Stunde, bis er zu Hause von all seinen Erlebnissen in der Bahn und in der Stadt erzählt hatte - alle waren mucksmäuschenstill und hörten gespannt zu. Auch auf dem Wochenmarkt in Aulowöhnen konnte man auch Stoffe und Kurzwaren auf Vorrat erstehen. Das Geschacheriche auf dem Markt sagte '''Ferdinand Tuttlies''' aber nicht zu, seine Frau Berta begleitete ihn dann jedesmal bei diesen Einkäufen. Manchmal kaufte er auch im Textilgeschäft Wilhelm in Aulowöhnen ein. Hier war aber die Auswahl nicht sehr groß. Die Kinder durften seine "Extra-Schneider-Stube" nur nach "ausdrücklicher" Anmeldung betreten.   


<gallery widths="600" heights="350" perrow="1" caption="Berta und Ferdinad Tuttlies in den zwanziger Jahren">
Nach dem 1. Weltkrieg gab es an den Häusern viel zu reparieren. Im Sommer baute er "gegen Geld" für die  „Baugesellschaft Königsberg“ bis 1930 bei den Neusiedlerhäusern in [[Alt Lappönen]] in Teilzeit beim Innenausbau mit. Auch hier wurde während der Inflation mit Naturalien bezahlt. Von Dezember bis Januar gab es für Maurer kaum Arbeit und Lohn, in den Monaten Februar, März, Oktober und November mäßige Aufträge und Einkommen. Die meiste Arbeit und vollen Lohn gab es von April bis Oktober. Ferdinand Tuttlies hatte sich Maurer für Innenausbauten einen Namen gemacht. Er wurde aufgrund seines Rufes auch von Gütern der Umgebung angefragt. Manchmal, aber sehr selten, bedingten sich Schneider und Maurer in der einen Person von '''Ferdinand Tuttlies''' auch vor Ort. Ob er dann mit zwei Rucksäcken gefahren ist, ist nicht erinnert worden.   
Datei:16 Familie Tuttlies 2.jpg|Berta und Ferdinand Tuttlies mit den Enkeln Manfred und Carlhorst, Quelle: Foto: privat
</gallery>


Gerhard Dalheimer berichtete aus dem Kirchspiel Aulowöhnen: „Wenn wir früher von Aulowönen nach Grünheide fuhren, kamen wir an vielen Neusiedlerstellen (Besitzer)
Während der Sommermonate wurden auf dem Tuttliesen Hof bis zu 4 noch nicht schulpflichtige Waisenkinder aus [[Insterburg]] untergebracht. Dies besserte den finanziellen Haushalt der Familie noch zusätzlich auf. Ab Oktober 1940 wurden Schulkinder sowie Mütter mit Kleinkindern aus den vom Luftkrieg bedrohten deutschen Städten längerfristig in zur damaligen Zeit weniger gefährdeten Gebieten wie z. B.  Ostpreußen untergebracht. Die „Reichsdienststelle KLV“ evakuierte bis Kriegsende insgesamt wahrscheinlich über 2.000.000 Kinder und versorgte dabei vermutlich 850.000 Schüler im Alter zwischen 10 und 14 Jahren und älter. Auch deren Rückkehr verlief teilweise viel zu spät und unter oft chaotischen Bedingungen. Auf dem Hof der Tuttliesen wurde Anfang 1941 eine Hausfrau mit 2 schulpflichtigen Kindern aus Köln einquartiert. Ihre Wohnung in Köln war zerbombt und ihr Mann an der Front. Es kam aber zu Spannungen zwischen den Familien. Die Kölner zogen aber bald ins traditionell katholische Ermland weiter, da die Tuttliesen aber auch das Dorf "nicht genug katholisch" waren. Auf einigen Höfen in Willschicken wurden Kinder durch die Kinderlandverschickung (KLV) untergebracht, die in Lindenhöhe auch zur Schule gingen.
vorbei. Sie waren entstanden, nachdem das Gut Alt - Lappönen nach dem ersten Weltkrieg „ausgewirtschaftet“ hatte. Offensichtlich hatten diese Siedlungen so viel Land,  
dass ihre Besitzer davon leben konnten. Oder waren einige Betreibe auch als Nebenerwerbssiedlungen konzipiert? Meiner Erinnerung nach dürfte das aber die
kleine Minderheit gewesen sein.


Was ich aber erst Jahrzehnte später erfahren habe ist, dass etliche Siedler von ihren neuen Landesherren „rauskomplementiert“ worden waren, nachdem
Auf den anderen Kleinbauerstellen arbeiteten die Besitzer häufig Teilzeit bei den Großbauern und Gütern über das ganze Jahr verteilt. Straßen- und Eisenbahnbau und der Holzeinschlag, die Moorkultivierung und der Wasserbau waren zusätzliche Arbeitsmöglichkeiten. Seit 1935 bot sich auch die Wehrmacht als "Alternative" an. Zur Erntezeit wurden auf den Gütern zusätzliche Saisonkräfte angeworben. Nach wie vor mussten die bäuerlichen Nichterben sich außerdörfliche Arbeitsplätze suchen. Bei den Tuttliesen waren zu Kriegsanfang die Kinder '''Max Tuttlies''' Kaufmann in [[Insterburg]], '''Friedel Tuttlies''' Hausmeisterin in [[Königsberg]], '''Hildegard Tuttlies''' Angestellte in [[Paßdorf]]. Nur '''Erich Tuttlies''' wollte als gelernter Maurer in Wilkental bleiben und der Hof übernehmen.    
ihre Besitzungen im einst russischen Gebiet nach Versailles polnisches Territorium geworden waren. Das hatte sich Mitte der 1920er Jahre zugetragen, wie ich
aus Kontakten mit den Nachkommen zweier “Aussiedlerfamilien“ erfahren habe. Außerdem erinnere ich mich, dass wir an der Grünheider Straße
an einem Russengrab aus dem 1. Weltkrieg vorbeikamen, das war stets sauber gepflegt und eingezäunt war.“
Verfasst von Gerhard Dalheimer (Kiaunischken), 07/2014
Quelle: [https://wiki-de.genealogy.net/Alt_Lapp%C3%B6nen Alt Lappönen]


'''Erich Tuttlies''' arbeitete, nach seiner Mauerlehre im Baugeschäft seines Großvater in Aulowönen, von 1925 bis 1933 als Maurer in einer Baukolonne, die von Baustelle zu Baustelle zog und ihr Werkzeug mitbrachten. Sie bestand aus einem soliden sozialen Netzwerk von bis zu 12 miteinander vertrauen Mauren aus dem Kirchspiel Aulowönen, das sich auch bei Notfällen wie Unfällen unterstützte, die Löhne vor Ort aushandelten, aber keine Firma war. Vor dem eigenen Hausbau gehörte auch '''Ferdinand Tuttlies''' dazu, der aber nach der Familiengründung nicht mehr wochen- oder monatelang umherreisen mochte. Die Kontakte zu den Bauherren - es waren ganz überwiegend Gutsbesitzer - kamen in der Regel durch persönliche Beziehungen oder durch Empfehlungen zustande. Später kamen auch seriöse und unseriöse Vermittler dazu. Die Kolonne arbeitete neben dem Landkreis u.a. punktuell auch in Städten wie Insterburg, dann in Königberg und mit Zwischenstationen sogar auch in Berlin, hier an einem großen Geschäftshaus in Berlin Mitte - es soll heute noch stehen. Auch das Berline Objekt gehörte einem vermögenden Gutsbesitzer aus dem Landkreis Insterburg, der es als Geldanlage bauen ließ. '''Erich Tuttlies''' hatte "während seiner Zeit in Berlin Sachen gesehen, von denen er nie was in Willschicken gehört hatte."   


<gallery widths="600" heights="350" perrow="1" caption="Luftbild Teile von Willschicken und Lindenhöhe um 1980">
In Ostpreußen waren äußere Bauarbeiten auf Grund des langen Winters nur von April bis Oktober möglich. Im Winter waren dann alle Maurer wieder zu Hause. Während der Inflation 1918 - 1924 und der Weltwirtschaftskrise 1929 - 1933 war es fast unmöglich in den Städten Arbeit zu bekommen. Auf dem Lande war die Situation nur zu Teil etwas besser. Während der Wirtschaftskriese gab es eine "Flucht in Immobilien", was den Bauleuten nur zum Teil half - Aus- und Umbau waren jetzt angesagt. Für Neubauten gab es keine Kredite mehr. Die Konkurrenz war auch hier sehr groß, besonders von polnischen Bauarbeitern, die "unter Preis" arbeiteten. Von 1929 bis 1933 verloren in Ostpreußen fast zwei Drittel der in Bau- und Baunebengewerbe abhängig Beschäftigten ihre Arbeit - ca. 35.000 Handwerker wanderten ab. Viele Arbeitslose belasteten als billige Schwarzarbeiter den Markt, andere suchten sich durch Gründung von Kleinstfirmen über Wasser zu halten. Bezahlt wurde während der Wirtschaftskriese und der Inflation, wie auf dem Lande üblich, teilweise oder ganz in Naturalien. Geschlafen wurde in der Regel auf den Baustellen. Zum Teil wurden die Bauleute aber auch systematisch um ihren Lohn betrogen. Bei Protesten wurden dann die Arbeiter von der gerufenen Polizei, teils unter Waffengewalt, von der Baustelle vertrieben. Einige Gutsherrn hatten sich einen besonders schlechten Ruf "erarbeitet". Es wurden aber auch Fälle bekannt, in denen das zuvor Erbaute von den betrogenen Bauleuten nachts heimlich wieder eingerissen wurde.
Datei:15 Luftbild.jpg|Das obige Luftbild wurde um 1980 erstellt und zeigt Teile von Willschicken und Lindenhöhe. Zur Orientierung dient das Messblatt Willschicken von 1939 von Herrn Mattulat. Quelle: http://wikimapa.org/#lang=de&lat=54.800494&lon=21.837602&z=16&z=16&m=b Aktuell (ab März 2022) ist der Zugriff nicht möglich
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Bei dem Besuch von Hildegard Kiehl 1972 in Willschicken waren der Vierkanthof der Familie Tuttlies und das Soldatengrab nicht mehr vorhanden.
'''Erich Tuttlies''' hatte den Hof seiner Eltern zwar schon 1932 überschrieben bekommen, auch weil Vater Ferdinand krank geworden war, hatte aber von 1933 bis 1935 hatte eine Stelle in einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme am Masuren Kanal erhalten, die er auch antrat. Bis zu seiner Einberufung 1938 war er dann nur auf dem Tuttliesen Hof tätig.        


„Die Faustregel hieß, dass man ein Besitztum bis zu zehn Hektar mit der eigenen Familie bewirtschaften konnte; ging es um zehn bis zwanzig Hektar, brauchte am öfters, von zwanzig Hektar ab regelmäßig fremde  Arbeitskräfte“ <ref>Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschafts-Geschichte Band 2</ref>. Höfe ab 20 ha konnten ihre Besitzerfamilien in Wilkental bei guten Ernten das ganze Jahr über sicher ernähren und kleinere Rücklagen z.B. in Form von Genossenschaftsanteilen bilden. Langanhaltende Winter wie 1928/29 führten in Ostpreußen teilweise zu Missernten.     


Anlage 1: Schadensberechnung
[[Datei: Nutzung der Landflächen 1938.png|thumb|500x500px|<center> Nutzung der Landflächen <br> in Ostpreußen und dem Dt. Reich,1938 <br> <small>(Quelle: Hans Bloech: Ostpreußens Landwirtschaft, Teil 1)</small>|alternativtext=]]


<gallery widths="500px" heights="350px" perrow="2" caption="Die Schadensberechnung wurde von Herrn Mattulat zur Verfügung gestellt (Stand 1945 - erstellt 1955)">
Bei den Großbauern und den Gütern waren die Ernteerträge sehr von den vorhandenen Arbeitskräften abhängig. Hinzu kamen das Wetter und die jeweiligen Konjunkturlagen. Aus der beigefügten Tabelle ist zu ersehen, dass das Getreide mit 54,9 % Fläche des Ackerlandes in Ostpreußen die "führende Ackerfrucht" war.  
Bild:18 Schaden 1.jpg|Schadensberechnung 1, Quelle: privat
Bild:19 Schaden 2.jpg|Schadensberechnung 2, Quelle: privat
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Auf dem Hof der Familie Tuttlies wurden hauptsächlich Roggen und Kartoffeln angebaut, außerdem wurde Heu gemacht. Vor der Aussaat wurden die Felder gedüngt, gepflügt und geeggt. Das Getreide wurde per Hand ausgesät - später mit der Drillmaschine - aber per Hand mit Sensen gemäht und zu Hocken aufgestellt. Nach dem Trockner wurde das Getreide gedroschen. Nach der Abfuhr der Hocken wurden die Felder noch abgeharkt. Dieses Reststroh wurde auch zum Ausstreuen der Ställe benutzt. Größere Höfe hüteten noch Kühe auf den abgeerntete Felder, und zwar wenn der miteingesäte Kleesamen nach dem Schnitt etwa 10 cm frisches Grün hervorgebracht hatte.   


Anlage 2: Links zu Willschicken und Umgebung:
Viele Ostpreußen bezeichnen die Erntezeit, die „Austzeit“ zu Hause als schönste Zeit des Jahres, wenn sie auch den meisten Schweiß kostete. Bei der Getreideernte herrschte die traditionelle Arbeitsteilung vor. Mitglieder des Familien Clan der Tuttliesen und vertrauten Nachbaren traten zur Ernte an. "Wenn der Lindenbaum zu Johanni seine Blüten offen hat, dann ist auch zu Jakobi der Roggen reif". Zunächst wurden die "langen" ostpreußischen Sensen entrostet, dann mit Hämmern gedängelt. Die Bauernwagen wurden zu Leiterwagen umgebaut und verlängert. Die Pferde bekamen eine Extraportion Hafer.  '''Ferdinand Tuttlies''' erteilte als "Schnittmeister" vor Beginn einen kleinen Segen und ging voran, dann folgten die Söhne seiner Familie und danach die anderen  Männer. Jedem Schnitter folgten zwei Binderinnen. Gearbeitet wurde von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Die Tuttliesen benötigten zur gesamten Mad etwa vier bis fünf Tage, abhängig vom Wetter, von der Personenanzahl und deren Können.                               


Die Männer schnitten das Korn mit ihren eigenen Sensen. Die Stiellänge der Sensen musste zur Körpergroße passen. Nach etwa 50 Schnitten wurde mit dem mitgeführten Schleifstein nachgeschärft. Vier bis fünf Schnitte reichten für eine Garbe. Die Frauen hoben die Schnitte auf und banden die Roggenähren im Stehen zu einer Garbe. Beim Binden wurde zwischen kurz gebunden und Langbinden unterschieden. Beim Kurzbinden wurden die Köpf der Ehren umgeknickt, beim Langbinden nicht. Maßgeblich war die Weiterverarbeitung. Das Binden selbst wurde mit Roggenähren ausgeführt, Binde-Seile konnten sich nur rentable Güter leisten. Danach wurden die Garben niedergelegt und am Abend in schrägen Hocken aufgestellt, damit eventueller Regen besser ablaufen konnte.  Die Garben blieben bei gutem Wetter einige Tage als Zwischenlager auf dem Feld  stehen. Drohte Regen, so wurden die Roggengarden schnell in die Haus Scheune gefahren. Das verursachte jedesmal wegen der zusätzlichen Arbeit große Aufregung und war noch jahrelang Gesprächsthema in der Tuttlies Familie. Bei gutem Wetter wurde, wenn alle Hocken aufgestellt waren, rasch eingefahren. Die großen Kinder fuhren mit auf den Erntewagen, die kleinen Kinder jagten nach Mäusen, die sich in den Hocken versteck hatten.                                 


http://wiki-de.genealogy.net/GOV:WILTALKO04VT
War der Dreschtermin angesagt, wurden die Getreidegarben zum Dreschen jeweils mit zweispännigen Fudern auf den Hof der Familien Burba in [[Paducken]] - den Eltern von '''Berta Tuttlies''' - gefahren. Es waren, je nach Ernte, etwa 10 - 15 Fahrten notwendig und es musste schnell gehen. Hier stand ein in der sehr geräumigen Korn-Scheune der Lohndreschkasten, der vom gesamten Burba- und Tuttliesen-Clan  gemietet wurde. Der fahrbare Dreschkasten - er war von der '''Fa. Rudolf Wernike''' in [[Heiligenbeil]] gebaut worden - wurden von einem Lanz Bulldog mit Rundscheibe über einen Treibriemen angetrieben. Das Be- und Entladen des Dreschkasten nahmen die Tuttliesen vor, sie waren mit dem Dreschkasten vertraut.  Dabei dauerte es eine Weile, bis alle Maschinen geradegestellt waren, damit die Kraftübertragung vom Schwungrad des Traktors auf die Dreschmaschine auch gut war. Es brauchte  ziemlich viel Personal, vor allem einen Maschinisten und einen Einleger. Alle jungen Männer wollten einmal Maschinist sein. Dazu kamen noch 5–6 Personen als Handlanger. Nach dem Drusch wurde zusätzlich in einer per Hand betriebenen "Putzmühle" nochmals Getreide und Spreu getrennt und dann das Getreide eingesackt. Das Dreschen der Familie '''Ferdinand Tuttliesen''' dauerte etwa 2 - 3 Tage, vorher und nachher waren die anderen Tuttliesen und Burbas an der Reihe, es folgten weitere Familien. Generell wurde mit dem Dreschkasten von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang gearbeitet. Je nach dem Getreidewachstum wurde der Dreschkasten etwas 4 - 6 Wochen gemietet. Wie immer, war auch hier Regen ein Spielverderber.                                  


[[Wilkental]] – GenWiki (genealogy.net)
Vor dem Einsatz von Dreschkästen wurde auf den kleinen Höfen mit der Hand gedroschen.  Auf den Gütern war das die Aufgabe von Insten und freien Lohnarbeiter. Die Dreschsaison dauerte hier häufig von Oktober bis zum nächsten April des nächsten Jahres. Als Zwischenstufe wurden auch Pferde-Göpel eingesetzt. Mit dem Aufkommen der Dreschkästen verloren große Teile der Lohnarbeiter schlagartig ihre Arbeitsgelegenheiten - was früher auf großen Gütern 4 - 6 Monate gedauert hatte, wurde jetzt in 4 - 6 Wochen vom Gesinde erledigt.  


[[Alt Lappönen]] – GenWiki (genealogy.net)
[[Datei: Feldarbeit.png|thumb|left|600px|<center> Tuttliesen bei der Ernte 1925, von links: Erich, Ferdinand und Ehefrau Berta, im Vordergrund die Enkel Carlhorst und Manfred, im Hintergrund Gertrud mit Ehemann Max, daneben die Nachbaren das Ehepaar Ludzuweit mit zwei Kinder und davor die Kleinste von recht Hildegard Tuttlies|alternativtext=]]Der größere Teil der Körner-Ernte wurden zur  [[Aulowönen#An-_und_Verkaufsgenossenschaft_.2F_Kleinbahnhof  | An- und Verkaufsgenossenschaft in Aulowönen]] gefahren, das Stroh zur Haus-Scheune der Tuttliesen. Die Erträge bei den Tuttliesen lagen, abhängig vom Wetter, etwa bei 17 Doppelzentner Rogen pro Hektar Ackerland. Roggen wurde auf etwa 6 Hektar Land  angebaut. Da auch andere Familien sehr stark am rechtzeitigen Drusch interessiert waren, gab es regelmäßig "Schachereien" um einen günstigen Termin. Häufig wurden diese "Verhandlungen" auch in der Gaststätte Lerdon geführt.  


[[Paducken]] – GenWiki (genealogy.net)
Bei den Kartoffeln wurden schon ein Häufler und ein Kartoffel-Roder eingesetzt, der von zwei Pferden gezogen wurde. Das Aufsammeln erfolgte per Hand. Hier dauerte die Ernte bei den Tuttliesen zwei bis drei Tage. Nach der Einberufung der Männer 1935 wurden auch Schulklassen zur Kartoffelernte eingesetzt. Auf den Gütern der Umgebung verdienten sich auch die schulfrei gestellten Kinder aus den umliegenden Dörfern zum Kartoffelsammeln: Neben den Mahlzeiten bekamen sie 50 Pfennig pro Tag - aber nur, wenn sie mindestens die Hälfte der Erwachsenen schafften, sonst blieb es nur bei den Mahlzeiten. Hildegard Tuttlies hatte als junges Mädchen auch einmal diese Erfahrung gemacht. Sie meine: Einmal reicht es! Die 50 Pfennige bekam sie nachträglich von ihren Eltern.[[Datei:Foto- Dreschen in der Scheune. 1920, Quelle-.png|links|mini|600x600px|Dreschen in der Scheune. 1920]]                                                                                              


[[Aulenbach]] – GenWiki (genealogy.net)
Im Herbst gab es große Feuer, auf denen das Kartoffelkraut verbrannt wurde. Das ganze Dorf Willschicken "duftete" dann nach Kartoffelkraut. Die außerhäusliche Kartoffelmiete war im Winter auch ein Anziehungspunkt für Wildschweine. Die Ernten wurden privat jeweils mit einem großen Fest mit üppigem Essen und Trinken und viel Gesang abgeschlossen. Vor dem 1. Weltkrieg wurden die Erntewochen nach Festsetzung des Gutsherrn von [[Alt Lappönen]] durch den Dorfpfarrer verkündet. Sie galten hauptsächlich für die nebenerwerblichen Dorfbewohner in den umliegenden Gemeinden von Alt/Neu Lappönen und [[Keppurlauken]], die zur Erntehilfe angeworben werden mussten. Nach diesen Terminen richtete sich aber das gesamte Dorf Willschicken. Im selben Zeitraum waren in der Schule in [[Lindenhöhe]] alle entsprechenden Kinder freigestellt. Das Erntefest wurde auch von den Dorfautoritäten - mit einem Umtrunk im Gasthaus Lerdon, der Schule - mit einem Umzug durch das Dorf und der Kirche mit einem Gottesdienst begangen, dabei wurden jeweils angefertigte Ernte-Kronen überreicht. Bei den größten Gütern der Umgebung wurde eine Erntekrone dem Gutsherrn überreicht.                                                                                              


[[Aulowönen]] – GenWiki (genealogy.net)
Quelle: [https://ostpreussenportal.pl/de/vom-roggenband-und-vom-plon/ Vom Roggenband und vom Plon - Ostpreussen Portal]                                                                                              


[[Bambullen]] GenWiki (genealogy.net)
Nach der Reformation wurde das Erntedankfest in den Kirchen an unterschiedlichen Daten gefeiert. Einige evangelische Kirchenordnungen „verbanden den Dank für die Ernte mit Michaelis, andere legten ihn auf den Bartholomäustag (24. August), auf den Sonntag nach Ägidii (1. September) oder nach Martini (11. November).“ Schließlich bürgerte sich die Feier am Michaelistag (29. September) oder – weit überwiegend am ersten Sonntag nach Michaelis als Termin ein. Diese Regelung geht u. a. auf einen Erlass des preußischen Königs aus dem Jahre 1773 zurück. Dies konnte dazu führen, dass das Erntedankfest noch in den September fällt. Im Dritten Reich wurde dann mit viel Pomp ein zentrales Erntedankfest zelebriert. 1933 verfügte Adolf Hitler zunächst, dass das Erntedankfest zentral am ersten Sonntag im Oktober gefeiert werden sollte. Mit dem Gesetz über die Feiertage vom 27. Februar 1934 wurde der Erntedanktag am ersten Sonntag nach dem 29. September (Michaelis) gesetzlicher Feiertag. An diesem Tag würdigte das NS-Regime auf der Grundlage der Blut-und-Boden-Ideologie besonders die Bedeutung der Bauernschaft für das Reich. Zentrale Veranstaltung war das Reichserntedankfest, mit dessen Organisation das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda beauftragt war.                                                               


[[Birkenhof]] (Ostp.) – GenWiki (genealogy.net)
Das Leben auf dem Lande durch den Nationalsozialismus zu beeinflussen, gelang nur teilweise. Gravierender waren die erlassenen rechtlichen Vorschriften, die auch sanktioniert wurden. Im Arbeitsalltag der Bauern war der ideologische Anspruch der Nationalsozialisten, Frauen auf ihre Mutterrolle zu reduzierte, bloße Propaganda. Während des Krieges wurden Lebensmittelkarten eingeführt, so wurde auch der Anspruch autark zu sein, zur Propaganda. Am gravierendsten waren jedoch der Einzug der Männer zum Krieg und wurde so für die Frauen zu Hause zur Doppelbelastung. '''Berta Tuttlies''' schaffte die Arbeit nicht mehr und die Kinder '''Hildegard''' und '''Erich''' kehrten auf den Hof zurück. Vater '''Ferdinand Tuttlies''' war zum "Schanzen" abkommandiert und wurde krank. Hilfskolonnen der HJ, des BDM und des RAD, dazu Tausende von Mädchen, die das neugeschaffe­ne „Pflichtjahr“ in einem Haushalt absolvieren mussten, wurden zum „Ern­teeinsatz“ in Ostpreußen abkommandiert, ohne jedoch die eingezogenen Männer erset­zen zu können.  Auch die zwangsrekrutierten Ostarbeiter, Kriegsgefangen und KZ-Häftlinge konnten diese Lücke nicht schließen. Siehe dazu auch den separaten Text [[Ländliche Entwicklungen in Ostpreußen, dargestellt am Beispiel von Willschicken (Ksp. Aulenbach Ostp.)|Ländliche Entwicklungen in Ostpreußen, dargestellt am Beispiel von Willschicken (Ksp. Aulenbach Ostp.) – GenWiki (genealogy.net)]]                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                           


[[Grünheide]] (Kirchspiel) – GenWiki (genealogy.net)
Das Leben auf dem Lande - auch während des Nationalsozialismus - war in Willschicken im Wesentlichen durch Alltagsroutinen geprägt. Dazu zählten die wiederkehrenden Aktivitäten an verschiedenen Orten. Was muss wie, wann und wo gemacht werden und wie komme ich dahin? Der so entstandene  "Aktivitätsraum" setzte sich zusammen aus den verschiedenen Aktivitätsarten und den unterschiedlichen Aktivitätsorten. Die Aktivitäten kann man unterschieden nach Art, Häufigkeit, Zeitpunkt, Zeitdauer und Ort<ref>Jens Dangschat u.a.:  Aktionsräume von Großstadtbewohnern </ref>.  Es gab es für die Tuttliesen auch höchst unterschiedliche Gelegenheiten aktiv zu werden, sowohl in den Nachbargemeinden als auch zu Hause (siehe auch die folgende Tabelle). Für längere Distanzen wurden die vorhandenen Verkehrsmittel gebraucht. So wurde der Aktionsraum auch durch äußere Einflüsse beeinflusst. Mal regnete es, mal war das Fahrrad kaputt, mal war der Einkaufsladen geschlossen.                                                                   


[[Klein Schunkern]] – GenWiki (genealogy.net)
Bei längeren Distanzen war auch das "Koppeln" von Aktivitäten interessant. Nach dem Marktbesuch, die Gaststätte aufsuchen um danach bei Onkel Otto vorbeisehen und dann nach Hause fahren. In der Fortbildungsstätte für Landwirte in [[Königsberg]] wurden solche "Koppelungs-Tabellen" differenziert unterrichtet, um so auf "modernen" Gütern so auch kleinteilige Arbeitsabläufe mit Hilfe von REFA zu optimieren. Der REFA Verband für Arbeitsgestaltung, Betriebsorganisation und Unternehmensentwicklung e. V. ist Deutschlands älteste Organisation für Arbeitsgestaltung, Betriebsorganisation und Unternehmensentwicklung. Die Abkürzung REFA geht auf den ursprünglichen Namen im Jahr 1924 zurück: Reichsausschuss für Arbeitszeitermittlung.  


[https://gov.genealogy.net/item/show/WILTALKO04VT GOV: Willschicken, Wilkental (genealogy.net)]
Auf dem Gut [[Neu Lappönen]] wurde möglicherweise auch die Zeit-Erfassung angewandt. '''Ferdinand Tuttlies''' war einmal eher zufällig in seiner Nebentätigkeit als Maurer in einem Gesindehaus des Gutes tätig. Als plötzlich ihm von einem Unbekannten ein Formular unter die Nase gehalten wurde. Er war wohl irrtümlich für einen Gutsarbeiter gehalten worden. Er sollte seine Arbeitszeit mit einem Bleistift selbst in die Tabelle eintragen. Er waren die genaue Minutenlänge seiner Arbeiten im Gesindehaus aufzuschreiben. Das widersprach allerdings den strengen REFA-Grundsätzen, die dafür einen separaten "Zeit-Erfasser" und sehr genaue Regeln vorsahen. Der Fremde wollte aber nicht bleiben,  "er habe sofort im Gutshaus etwas sehr Wichtiges zu erledigen" und verschwand. '''Ferdinand Tuttlies''' sagte dazu,  "dass es in beiden Häusern wohl eher sehr sehr unterschiedlich gerochen habe."  Er konnte auch mit dem Formular allein nichts anfangen, da er auch keine Uhr hatte. Da der fremden "Zeit-Erfasser" nicht wieder auftauchte und der Zahlmeister des Gutes ihm auch nicht helfen konnte, brachte er stolz das leere Tabellen-Formular und den Bleistift mit nach Hause, um sie von der Familie bestaunen zu lassen. Das Formular ist im Krieg verloren gegangen. Der Vorschlag zu Hause Zeit zu messen und aufzuschreiben, ging in Gelächter unter.                                                                


[http://gov.genealogy.net/item/show/LINOHEKO04WT GOV: Pillwogallen, Lindenhöhe (genealogy.net)]
[[Datei:Chronik Ksp. Aulenbach (Ostp.) - Willschicken - 2023 - DOKUMENT - Aktivitätenliste v2.jpg|thumb|637x637px|Aktivitätsarten und Aktivitätsorte der Familie Tuttlies 1930 <center> |alternativtext=]]


[http://gov.genealogy.net/item/show/SCHBENKO04WT GOV: Schruben (genealogy.net)]
Bei Anbahnungen von Heiraten und Bekanntschaften gingen die Aktionsräume der Dorfbewohner von Willschicken gewöhnlich nicht über einen Radius von 20 km kaum hinaus. Die 40 km Wege-Distanz für den Hin- und Rückweg konnte man früher an einem Tag in etwa 10 h Fußweg zurücklegen. Der Radius war bezogen auf die  "alten" Verkehrsmittel zu Fuß gehen (4 km/h) oder mit dem Pferdewagen (10 km/h) oder dem Rad fahren (15 km/h), den Zustand der Straßen und Wege und die Jahreszeit. Im Winter engte sich Aktionsraum auf den eigenen Hof ein. Der Autoverkehr spielte im [[Landkreis Insterburg]] bis zum Kriegsende kaum eine Rolle. Dies galt auch, wenn vorhanden, für das Aufsuchen von Ausbildungs- und Arbeitsstellen. Ausnahmen bildeten die Distanzen, die für das Erreichen des Militärdiensts oder die weiterführende Ausbildung zurückgelegt werden mussten. Hier kam schon die Kleinbahn ab [[Aulenbach]] in Spiel. Die Aktivitäten der Tuttlies in der Heimat-Gemeinde nahmen einen großen Zeit-Anteil ein. Aber nicht alles konnte zu Hause erledigt werden. So mussten häufig auch die Nachbargemeinden aufgesucht werden, da es nur hier die entsprechenden Gelegenheiten gab.                                                               


[https://genwiki.genealogy.net/Portal:Pillkallen/Geschichte/Aus_der_Geschichte_des_Kreises_(von_Erwin_Spehr) Portal:Pillkallen/Geschichte/Aus der Geschichte des Kreises (von Erwin Spehr) – GenWiki (genealogy.net)]
Zu den speziellen Aktivitäten musste man sogar in die Kreisstadt [[Insterburg]] per Kleinbahn fahren.                                                                                                                                


https://www.wikiwand.com/de/Preu%C3%9Fisch_Litauen#/google_vignette
Die Gemeinde Willschicken war von folgenden Nachbargemeinden umgeben:                                                                


https://annaberger-annalen.de/jahrbuch/2021/Ausgabe29.shtml
* Pillwogallen später [[Lindenhöhe]]
* [[Paducken]] später [[Padau]]
* [[Aulowönen]] später [[Aulenbach]]
* [[Keppurlauken]] später [[Birkenhof]]


[https://ome-lexikon.uni-oldenburg.de/regionen/ostpreussen Ostpreußen (uni-oldenburg.de)]
Die nebenstehende Tabelle versucht, eine ungefähre Übersicht der routinierten Aktivitätsarten und der bekannten Aktivitätsorte (Gemeinden) der '''Tuttliesen''' zu geben.


[https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-663-07558-5_2 Bevölkerung und Wirtschaft in Ostpreussen | SpringerLink]
Es fällt auf, dass sich die Tuttliesen in ihren sozialen Aktivitäten stark zu ihren Nachbargemeinden [[Lindenhöhe]] und [[Paducken]] hin orientiert haben. Sie lagen auch räumlich näher zum Hof der Tuttliesen. Diese tatsächlichen Aktionsorte in [[Lindenhöhe]] und [[Paducken]] hatten demnach eine höhere Attraktivität als die möglichen Orte in Wilkental. Zur Nachbargemeinde [[Keppurlauken]] später [[Birkenhof]] gab es bis auf sporadische Mauerarbeiten von '''Ferdinand Tuttlies''' kaum Kontakte, was sicherlich auch an der relativ in sich geschlossenen Sozialgemeinschaft des dortigen Gesindes der Güter lag, die dort auch eine eigene Schule besaßen, so dass die dortigen Kinder zu anderen Nachbargemeinden kaum Kontakt hatten. Im Allgemeinen war die Schule eine großer "Kontakt-Anbahner" zwischen den Bewohnern in den verschiedenen Gemeinden. Hier lernte man sich zuerst kennen. Diese Gemeinde besaß auch die größte räumliche Distanz zum Tuttliesen-Hof.


[https://www.statistischebibliothek.de/mir/servlets/MCRFileNodeServlet/DEAusgabe_derivate_00001193/Wirtschaft_und_Statistik-1939-13.pdf Wirtschaft_und_Statistik-1939-13.pdf (statistischebibliothek.de)]
Die Tabelle soll zeigen, dass die '''Tuttliesen''' auf dem Lande in einer relativ abgeschlossenen und überschaubaren Welt lebten. Wer in dieser kleinen Welt keinen Arbeitsplatz gefunden hatte, musste seine Heimat aber verlassen, um woanders unterzukommen. Die eingetragenen Nennungen in der Tabelle stammen aus der Erinnerung von '''Hildegard Tuttlies''', verh. Kiehl. Sie sind rein subjektiv und enthalten keine Häufigkeiten und Zeitdauer. Ebenfalls ist nicht angegeben, für welche Familienmitglieder die Erinnerungen gelten. Auch ein genauerer Ortsbezug innerhalb der Gemeinden wäre zwar wünschbar, war aber nicht zu leisten. Es wird aber dabei geschätzt, dass durch die Tabelle der größte Zeit-Anteil der täglichen Routinen der Tuttliesen abgedeckt wurde. Ausnahmen wie Ferien, Krankheiten oder Aufmärsche wurden nicht berücksichtigt.


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Ein besonderer Dank gilt Herrn und Frau Mattulat. Sie haben dankenswerterweise wichtige Eigenarbeiten zur Verfügung gestellt.
===<big>Willschicken und seine Nachbargemeinden</big>===
====Familie Tuttlies und Pillwogallen / Lindenhöhe====
[[Datei:Messtischblatt Lindenhöhe.jpg|thumb|678x678px|<center>Verzeichnis der Hofbesitzer/Pächter Gemeinde Lindenhöhe<br> ''<small>(Bitte mehrmals auf den Plan klicken, um ihn zu vergrößern) </center>|alternativtext=]]
 
 
An Wegkreuzungen wurden während der Besiedlung von Ostpreußen von 1700 -1800 gezielt '''„Krüge“''' errichtet, das waren damals einfachste Gastwirtschaften (mit oft nicht mehr als sechs Trinkgefäßen) oder Herbergen, die ebenfalls mit Deutschen besetzt wurden, die die Aufgabe hatten, der deutschen Sprache und Kultur als Multiplikator zu dienen, da an diesen Treffpunkten auch die einheimischen Littauer einkehrten. Der Standort des Kruges in Pillwogallen hat sich bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges erhalten.


Der Text wurde im April 2021 von Hildegard Kiehl erstellt und im März 2022 von Klaus Kiehl überarbeitet.


E-Mail: Klaus-Kiehl@t-online.de


Hildegard Kiehl, geb. Tuttlies * 21.03.1920 in Willschicken † 19.06.2021 in Hamburg.
Am 23. 2. 1931 Umbenennung der Landgemeinde Pillwogallen in Lindenhöhe. In Pillwogallen lernte '''Hildegard Tuttlies''' ihren Mann '''Gerhard Kiehl''' kennen und ging dort zur Schule. In Geschäft von '''Fritz Lerdon''' wurde der tägliche Bedarf eingekauft. Es wurden auch die angeschlossene Gaststätte und die Tanzvergnügen besucht. Hier hatte auch der '''Posthalter Link''' seine Poststelle. Die Hebamme, die Berta Tuttlies bei den Geburten half, wohnte hinter dem Gasthof. Die Eltern von '''Ursel Weihnowski''', der Schulfreundin von '''Hildegard Kiehl''', hatten in [[Lindenhöhe]] ihren Hof.


Der litauische Name Tuttlies heißt übersetzt Wiedehopf.
Pillwogallen später [[Lindenhöhe]] grenzte nord-westlich an Willschicken. Die unmittelbare Nachbargemeinde von Wilkental hatte 1939 ge­zählte 187 Einwohner auf 32 Höfen, 8 davon bildeten den alten Dorfkern - an der Grünheider - Aulowöhner Chaussee. Sie verläuft in der oberen Kartenhälfe von Osten nach Westen. Hier lag auch das Kolonialwarengeschäft mit Gastwirtschaft mit kleinem Saalbetrieb der Familie Lerdon.  


Das folgende Messtischblatt zeigt die Gemeine [[Lindenhöhe]]. Der Dorfkern liegt an der Kreuzung der Überland-Straßen. Auf der Lindenhöher Karte sind auch acht Höfe des alten Dorfkerns von [[Lindenhöhe]] und das Kreis­haus eingetragen. Darunter befindet sich das Gasthaus von '''Fritz Lerdon''' (frü­her '''Hedwig Kiehl'''). '''Fritz Lerdon''', er stammt aus der Nachbargemeinde Paducken, hat 1928 die Witwe '''Hedwig Kiehl geb. Padeffke''' geheiratet. Ihr erster Mann '''Max Kiehl ''' war 1921 verstorben. '''Gerhard Kiehl''', eines der vier Kinder aus der ersten Ehe, wird 1943 der spätere Ehemann von '''Hildegard Tuttlies'''. Räumlich waren die '''Tuttliesen''' eher auf [[Lindenhöhe]] als auf [[Wilkental]] orientiert.


Hamburg, den 21.03.2022
'''Fritz Lerdon''' besaß 1931 das erste Auto in Lindenhöhe, war Jagdpächter und hatte zwei Höfe in [[Lindenhöhe]] gepachtet. Hier lag auch sein Kolonialwarengeschäft mit Gastwirtschaft und einen kleinen Saalbetrieb der Familie Kiehl, später Lerdon. Rechts hinter und neben der Gasstätte hatte die '''Hebamme Mikuteit''' und der '''Chaussee-Auf­seher Kuhnke''' ihre Höfe, die sie als Nebenerwerbslandwirte betrieben. '''Wendel''' (Altenteil) und '''Link''' (Poststelle) waren weitere Bauernhöfe im alten Dorfkern, links neben dem Gasthof, deren Land von Lerdon gepachtet war. Dazu gab es noch auf der anderen Straßenseite den '''Schmied Sanowitz''', vier weitere Höfe und das Kreishaus von Franzdorf, der früheren Gemeinde [[Schruben]]. 1929 erfolgte die Eingliederung der Landgemeinde Schruben aus dem Amtsbezirk Keppurlauken in die Landgemeinde Pillwogallen. In [[Lindenhöhe]] lag  - nahe dem Dorfkern -  auch die Schule, die '''Hildegard Tuttlies''' mit ihrer Freundin '''Gerda Weinowski''' besuchten.  


Die Gaststätte Lerdon und der Laden waren auch das "soziale Zent­rum" vom östlichen [[Wilkental]]. Hier gab es u.a. Mehl, Zucker, Bonbons, Schmalz, Bier, Wein, Schnaps, Salzheringe, Nägel, Schrauben, Holzschlorren, Holzklumpen, Wagenschmiere, Kuhketten, Petroleum und das Neueste aus den umliegenden Dörfern.


Zur Gemeinde [[Lindenhöhe]] gibt es leider kaum GenWiki Einträge. Der nächstgrößere Ort war Grünheide. Quelle: [https://de.wikipedia.org/wiki/Kirche_Gr%C3%BCnheide_(Ostpreu%C3%9Fen) Kirche Grünheide (Ostpreußen) – Wikipedia]


{{-}}
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{|
|[[Datei:7.2 Konfirmation.jpg |thumb|200 px|<center> Die Konfirmandin <br> '''Hildegard Tuttlies''' - (1934)<small> </center></small>]]
|[[Datei:Konfirmand Gerhard Kiehl 1928.png |thumb|220 px|<center> Der Konfirmand <br> '''Gerhard Kiehl''' - (1928)<small> </center></small>]]
|[[Datei:07 1 Hochzeit.jpg |thumb|255 px|<center> Das Hochzeitspaar <br> '''Hildegard Tuttlies & Gerhard Kiehl''' - (1943)<small>  </center></small>]]
|}
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{{-}}In Lindenhöhe waren auch auf einem leestehenden maroden Gutshof zwei Zigeunersippen seit etwa 1880 zwangsangesiedelt. Sie umfassten schätzungsweise jeweils über 20 Personen und waren sich untereinander aber nicht grün. Sie wurden von den Nachbaren und den Gendarmen kritisch beobachtet. Fritz Lerdon hatte mit den Sippenältesten jeweils "Verträge" abgeschossen, um sich gegen Zahlung einer geringen Geldmenge, vor Diebereien in seinem Laden zu schützen - was aber nicht immer funktionierte. Die Zigeuner waren aber nur im Winter sesshaft. Nach heimlichen Beobachtungen der Dorfkinder aus der Nachbarschaft durch die kaum erleuchteten Fenster wurden im Winter "Kinkerlitzchen" wie Ringe, Anhänger, Ketten, Anstecknadeln, Küchenwerkzeuge und Spielzeug von den Sippen höchst einfach herstellt. Die Dorfbewohner waren auch erstaunt, dass schon junge Frauen in der Öffentlichkeit regelmäßig rauchten - es gab aber sonst keine Kontakte zwischen den Dorfbewohnern und den Zigeunersippen, abgesehen von Amtspersonen oder notwendigen Einkäufen im Dorfladen.  Nur mit zwei ausgesuchte Bauern schacherten die Sippen regelmäßig um Lebensmittel, wie Milch, Korn und Kartoffeln - die, nach Vermutungen der Dorfbewohner -  manchmal allerdings auch illegal woanders "besorgt" wurden.  Dies galt besonders für Brennholz. Die betreffenden Bauersfrauen waren in der Öffentlichkeit immer stark mit Schmuck "behängt", den sie auch gerne weitertauschten, sie wurden zu regelhaften "Dorfadressen". Besonders die von den Höfen entfernt liegenden Kartoffel- und Rübenmieten wurden im Winter von ihren Besitzern genau beobachtet.  Die zahlreichen Zigeuner-Kinder gingen auch nicht in die Schule. Im Sommer zogen die Sippen, einschließlich ihrer Alten und Kranken, mit "Sack und Pack" über Land um ihre Produkte zu tauschen oder zu verkaufen, Musik gegen Geld aufzuspielen oder nach dem Kindersingen zu betteln - die Gebäuden in Lindenhöhe standen dann leer - auch die spärlichen Möbel einschließlich der kleinen Öfen wurden mitgenommen. 1938 gab es am Kreishaus in Lindenhöhe einen Aushang, dass "die schädlichen Elemente aus dem Dorf jetzt eine sinnvollen Arbeit zugeführt worden seien." Mit dem im Dezember 1937 in Kraft getretenen sogenannten "Asozialenerlaß" bekam die Gemeinden ausdrücklich die Kompetenz, Zigeuner in ein Konzentrationslager einzuweisen. 


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====Familie Tuttlies und Paducken / Padau==== 
[[Datei:1296 Aulenbach - Paducken (Gemeinde) 1934 Höfekarte.jpg|thumb|520x520px|<center>Verzeichnis der Hofbesitzer <br>der Gemeinde Paducken (1944)</center>|alternativtext=]]
Am 3.6.  1938 Umbenennung der Gemeinde Paduken in Padau- Aus [[Paducken]] stammten die Eltern von ''' Berta Tuttlies ''', der Vater von ''' Fritz Lerdon ''' und die Schneiderin, die ''' Fritz Tuttlies''' angelernt hat und dort hatten die Tuttliesen überwiegend ihren Landbesitz, hier wurde auch ihr Getreide gedroschen und ihre Kartoffeln geerntet.
[[Paducken]] später [[Padau]] grenzte südlich an Willschicken und hatte 1933 gezählte 77 Einwohner. Paducken wird u.a. in Meyer´s Ortsverzeichnis beschrieben:  Paducken war ein Scharwerks-, Bauerndorf und Gemeinde im Kirchspiel Aulowönen. Es gab folgende Einrichtungen in den Nachbargemeinden: die Schule in Pillwogallen / [[Lindenhöhe]], das Kreis-Amt Groß Franzdorf, das Standesamt und die Gendarmerie in  [[Aulowönen]] / [[Aulenbach]]. Am 16.07.1938 als Ortsteil in die Gemeinde [[Klein Schunkern]] eingegliedert, gleichzeitig Umbenennung in [[de-link:Paducken#Ortsbeschreibung|Padau]].
Folgende Einwohner waren 1927 im Ortschafts- und Adreßverzeichnis des Landkreises Insterburg unter [[Paducken]] aufgeführt:
* Besitzer : '''Albert Burba''', '''Friedr.(ich) Burba''', Herm.(an) Donner, Gust.(av) Erdmann, '''Wilh.(elm) Lerdon''', Franz Mett, Gust.(av) Neumann, Friedr.(ich) Naties, Franz Onußeit, Karl Pallapies, Ewald Pohl, Amalie Rieser, Franz Rieser, Lina Schellwat
* Altsitzer : Wilh.(elm) Statschus, Aug.(ust) Brandstäter, Karoline Onußeit, Friedr.(ich) Rimkis, Henriette Ennulat
* Schneider : George Bundel, (Gertrud Kianka)
* Meierist: Fritz Naujoks
* Kätner : Wilhelm Genee
* Arbeiter : Karl Cohn, Julius Weinowski
[[Datei:Padau.png|mini|520x520px|Paducken, (1939)|alternativtext=]]
[[Datei:Karte- Klein Schunken.png|links|mini|440x440px|Klein Schunken, (1939)|alternativtext=]]
Auf Basis der Einwohnerliste sowie der nebenstehenden Karte der Hofbesitzer/Pächter der Gemeinde [[Padau]] ([[Paducken]]) konnte sich '''Hildegard Kiehl geb. Tuttlies''' an die folgenden sechs Namenszuordnungen erinnern:
(6) '''Schellwat, Franz''', Großbauer, (10) '''Berend''', Besitzer (Lage Nähe zum Friedhof), (11) '''Burba, August''', Großbauer - Vater von '''Berta Tuttlies, geb. Burba''' (siehe Tuttlies in Willschicken/Wilkental). Die Hofstellen Burba und Tuttliesen lagen in Sichtweite (nähere Informationen zum Familienstammbaun der Tuttliesen siehe oben) . (12) '''Kianka, Gertrud ''', Schneiderin und Bundel Georg. Frau Kianka hat eng mit '''Ferdinand Tuttlies ''' im Rahmen der Schneiderei zusammengearbeitet. Die Hofstellen Kianka und Tuttliesen lagen in Sichtweite, (13) ''' Rieser, Franz ''', Bauer, Altsitzer - nach Hildegard Tuttlies war er als "Kinderscheucher" sehr bekannt. (14) '''Lerdon, Wilhelm''', Bauer und Altsitzer, Vater von  ''' Fritz Lerdon''', dieser war verheiratet mit '''Hedwig Lerdon,  verw. Kiehl, geb. Podewski''' in Lindenhöhe  (nähere Informationen zum Familienstammbaun der Kiehls siehe oben). Der Hof von '''Ferdinand Tuttlies''' in Willschicken ist auf der Hofkarte von Willschicken (s.o. Nr. 24)) sichtbar.
Die Gemeinde Paducken wurde am 16.07.1938 als Ortsteil in die Gemeinde [[Klein Schunkern]] eingegliedert und gleichzeitig in [[Padau]] umbenannt.  Wilkental wird ab 1940 mitverwaltet vom Amtsvorsteher den Besitzer Julius Onusseit in Klein Schunkern. Quelle: [[de-link:Klein_Schunkern|Klein Schunkern – GenWiki (genealogy.net)]]
====Familie Tuttlies und Aulowönen / Aulenbach====
Die örtliche Kriegs- und Domänenkammer hatte bis zur Auflösung 1810 ihren Verwaltungssitz als Kammerdepartements in Lappönen. Von hier aus wurden auch Willschicken verwaltet.
Die Errichtung der Kirchengemeinde Aulowönen erfolgte im Jahr 1610. Die Dörfer Juckeln (seit 1918 Buchhof, heute russisch: Buchowo), Warkau (Schischkino, nicht mehr existent), Gaiden (Stepnoje), Alt Lappönen (Datschnoje) und Jennen (Podlesnoje, nicht mehr existent) bildeten mit Aulowönen den Kern der Siedlung, die zur Gründung des Kirchspiels führte.
Quelle: [[de-link:Kirchspiel_Aulowönen_/_Aulenbach_(Ostp.)|Kirchspiel Aulowönen / Aulenbach (Ostp.) – GenWiki (genealogy.net)]]
Bis 1945 gehörte die immerhin 44 Kirchspielorte umfassende Pfarrei zum Kirchenkreis Insterburg in der Kirchenprovinz Ostpreußen der Kirche der Altpreußischen Union. Im Jahr 1925 zählte die Gemeinde 4726 Gemeindeglieder. Der Innenraum des etwa 33 Meter langen und 13 Meter breiten Kirchgebäudes hatte eine flache, niedrige Decke. Die Emporen zogen sich um das ganze Schiff herum. Stichbogige Fenster gewährleisteten einen hellen Raum, der mit weiß und gold gestrichenen Gestühl und Bänken ein festliches Gepräge zeigte. Die Kirche in Aulowöhnen war die Tauf-, Konfirmation-, Hochzeits- und Beerdigungskirche der Tuttliesen aus Willschicken. Die Kirche wurde nach dem Krieg abgerissen, der ehemalige Standort ist heute nicht mehr erkennbar.[[Datei:Chronik Ksp. Aulenbach (OStp.) - Willschicken - 1893 - KARTE - Karte des Deutschen Reiches Skaisgirren 1 zu 100 000 Aulowöhnen - Alt Lappönen - Willschicken.jpg|thumb|520x520px|Orte Gr. Aulowönen - Alt Lappönen - Willschicken (1893)|alternativtext=]]     
 
In [[Aulowönen]] kauften die Tuttliesen ihren höheren Bedarf ein und brachten ihr Getreide zur Verkaufsgenossenschaft. Außerdem gab es hier einen Arzt und eine Apotheke. [[Aulenbach]] besaß einen Bahnhof zur Eisenbahn-Fahrt nach [[Insterburg]]. Die Tuttliesen besuchten alle zwei Wochen fein herausgeputzt die evangelische Kirche. ''' Hildegard Kiehl ''' besuchte hier die Konfirmandenstunde.   
   
[[Aulowönen]] später [[Aulenbach]] grenzte östlich an Willschicken. [[Aulowönen]] war wirtschaftlicher Mittelpunkt des gleichnamigen Kirchspiels.  Es hatte 1939 gezählte 1049 Einwohner. Das Gut [[Alt Lappönen]] wurde 1925 als Wohnplatz der Gemeinde [[Aulowönen]] zugeschlagen Die nächsten größeren Einkaufsmöglichkeiten für die Willschicker lagen es in dieser Nachbargemeinde, die etwa 5 km westlich entfernt lag. Wenn etwas nicht sofort vorrätig war, wurde es in der Regel bestellt.     
Es gab Einzelhändler, Schlachter, Friseure, Schuster, Konfektionsgeschäfte, den '''Arzt Dr. Epha''', den '''Tierarzt Jaeckel''' und den '''Zahnarzt (Dentist) Quidor'''. Folgende Firmen boten ihre Produkte an: die [[Aulowönen#Adler_Apotheke | Adler Apotheke]], die Dampfziegelei Ewald Guddadt; die Gastwirtschaft [[Aulowönen#Gastst.C3.A4tte_und_Kolonialwarengesch.C3.A4ft_Rautenberg | '''August Rautenberg''']], die Dampfmühle '''Otto Schiemann''' und die [[Ziegelei Teufel | Ziegelei '''Emma Teufel''']], die Landmaschinenreparatur u. Pflugfabrik '''Karl Hertzigkeit''' , die [[Aulowönen#Kfz-Werkstatt_Schwarznecker_.26_Reck | Autoreparatur u. Handel Schwarznecker u. Reck]] und die Buchdruckerei '''Curt Stamm''', außerdem befand sich dort die Molkereigenossenschaft, die [[Aulowönen#An-_und_Verkaufsgenossenschaft_.2F_Kleinbahnhof | An- und Verkaufsgenossenschaft]], die Raiffeisenkasse und die Volksbank Insterburg (Nebenstelle).   
Neben einer öffentlichen Schule gab es in [[Aulenbach]] auch eine 1913 gegründete Privatschule. Zur evangelischen und aber auch zur neuapostolischen Kirche kamen viele Einwohner aus den nahliegenden Ortschaften und die Gottesdienste waren stets gut besucht. Als Behörden waren vertreten das Kreis-Amt, die Gendarmerie, die Poststelle und das Standesamt. Es wurden regelmäßig Wochenmärkte abgehalten, zwei Mal im Jahr ein Pferde- (Remonten)- und Viehmarkt mit Krammarkt. Den Güter- und Personenverkehr, vor allem zur Kreisstadt [[Insterburg]], versah überwiegend die Insterburger Kleinbahn (IKB), die hier einen größeren Haltepunkt mit Verladegleisen hatte.   
In [[Aulenbach]] bei der [[Aulowönen#Kfz-Werkstatt_Schwarznecker_.26_Reck | Firma Schwarznecker u. Reck]] absolvierte '''Gerhard Kiehl''' eine Lehre als Maschinen-Schlosser.  „Seit ca. 1926 betrieben Franz Schwarznecker und Emil Reck in Aulowönen die örtliche Kfz-Werkstatt incl. Tankstellenbetrieb. Später verkaufte sie Kraftfahrzeuge der Marken DKW und Mercedes, Landmaschinen, Fahrräder und Waschmaschinen der Marke Miele.“  '''Gerhard Kiehl''' arbeitete nach seiner Lehre noch zwei Jahre als Geselle bei der Firma Schwarznecker u. Reck. Er wurde am 01.10.1935 zur Wehrmacht eingezogen.


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|[[Datei:Aulowönen - Ksp. Aulenbach - 1932-05-01 - Schwarznecker & Reck Tankstelle.jpg|thumb|505 px|<center> Verkaufsraum und Tankstelle <br> Fa. Schwarznecker u. Reck - (1932)<small> </center></small>]]
|[[Datei:Zeugnis Gerhard Kiehl.png|thumb|205 px|<center> Lehrzeugnis '''Gerhard Kiehl'''<br> Fa. Schwarznecker & Reck (1945)<small>  </center></small>]]
|}
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{{-}}
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====Familie Tuttlies und Keppurlauken====
[[Datei:Keppurlauken Ksp Aulowönen - Karte 1893.jpg |thumb|520x520px|Orte Keppurlauken - Neu Lappönen - Willschicken (1893)|alternativtext=]] 


In [[Keppurlauken | Gut Keppurlauken]] kaufte '''Ferdinand Tuttlies''' sein treues Pferd die "Rieke" und arbeitet kurzfristig beim Innenausbau der Gesindehäuser auf dem Gut.


'''Erinnerungen von Hildegard Kiehl, geb. Tuttlies'''
Die Gemeinde [[Birkenhof (Ostp.)]] war 1928 durch den Zusammenschluss von [[Keppurlauken | Gut Keppurlauken]], [[Neu Lappönen | Gut Neu Lappönen ]] und dem Ort [[Berszienen]] entstanden. Die Güter lagen nord-östlich von [[Wilkental]] in ”Klein Litauen (Lithuania minor)"  oder ”Preußisch Litauen”, dem nordöstlichen Teil des alten Ostpreußens, im [[Kirchspiel Aulowönen / Aulenbach (Ostp.)]]. Es gab eine Schule am Ort, das Kreis-Amt lag in [[Birkenhof]] selbst, das Standesamt und Gendarmerie in [[Aulenbach]]. Die Post bekam über [[Szillen]]. [[Keppurlauken]] zählte 1925 199 Einwohner, im Ortschafts- und Adreßverzeichnis des Landkreises Insterburg (1927) waren unter anderem folgende Einwohner vermerkt:


'''[[Birkenhof (Ostp.)| Gut Birkenhof]]''' gehörte dem Eigentümer '''Hans Regge'''. Es umfasste 86 ha, davon 57 ha Acker, 25 ha Weiden, 4 ha Hofstelle, 10 Pferde, 43 Rinder, davon 16 Kühe, 7 Schafe, 5 Schweine


Hildegard Kiehl, geb. Tuttlies, wurde am 21. März 1920 in Willschicken in Ostpreußen geboren und ist am 19.06.2021 in Hamburg verstorben. Das langjährige Mitglied der Heimatgruppe Hamburg hatte bei den Treffen immer viel aus der Jugend zu erzählen.
'''[[Keppurlauken | Gut Keppurlauken]]''' gehörte dem Eigentümer '''Bernhard Tinschmann'''. Es umfasste. E117,1 ha, mit folgendem Gesinde: Schweizer: '''Franz Schmidt''', Deputant: '''Eduard Krietzan, Karl Lempke, Friedrich Goerke, Gustav Maeding ''' Kutscher: ''' Franz Dumluck'''


Im März 2020 genau vor 100 Jahren wurde ich 100 Jahre alt. Aufgewachsen bin ich auf dem Lande in einem warmen Nest; in keinem Heuhaufen, sondern auf einem Bauernhof, mit zwei Brüdern und einer Schwester. (Max, Friedel und Erich - der jüngste Bruder Otto ist schon mit 3 Jahren verstorben)  
'''[[Neu Lappönen| Gut Neu Lappönen]]''' gehörte dem Eigentümer '''Erich Lengnik'''. Es  umfasste 392 ha, davon 221 ha Acker, 25 ha Wiesen, 130 ha Weiden, 13 ha Holzungen, 2 ha Hofstelle, 1 ha Wasser, 55 Pferde, 240 Rinder, davon 50 Kühe, 130 Schweine, Herdbuchvieh und eine Meierei. Im Jahre 1910 lebten auf dem '''[[Neu Lappönen| Gut Neu Lappönen]]''' 80 Einwohner. Es waren Gesinde, Deputanten, Schweizer und Kutscher. Am 30. September 1928 verlor das [[Neu Lappönen| Gut Neu Lappönen]] seine Eigenständigkeit und wurde als Ortsteil in die Landgemeinde [[Berszienen]], [[Kirchspiel Aulowönen / Aulenbach (Ostp.)]] eingegliedert, die zum gleichen Zeitpunkt in „ Birkenhof (Ostp.)“  umbenannt wurde. 


Der Sohn von '''Erich Lengnik ''', der Züchter '''Oskar Lengnik''', führte hier ein Privatgestüt, dass sich vornehmlich aus besonders hoch im Blut stehenden Mutterstuten zusammensetzte. Die Stute Herold wurde im Jahre 1925 in [[Neu Lappönen]] im Kreis Insterburg geboren. Herold wuchs in ihrer Geburtsstätte auf und wurde von seinem Züchter erfolgreich in Flach- und Hindernisrennen der Provinz vorgestellt. Pferd und Reiter, gleichzeitig auch sein Züchter, brachten zahlreiche Schleifen und Ehrenpreisen von diesen Einsätzen heim. Die Krönung aller Erfolge waren jedoch die Starts bei der Pardubitzer Steeplechase, dem schwersten Hindernisrennen des Kontinents. Von beiden Rennen kehrte Herold als Sieger zurück. Die Velká Pardubická oder Steeplechase von Pardubice ist ein traditionelles Pferderennen über 6.900 m, das auf der Rennbahn im ostböhmischen Pardubice in Tschechien stattfindet. Das Hindernisrennen gilt als eines der weltweit härtesten Rennen und wird seit 1874 veranstaltet, nunmehr jeweils am 2. Sonntag im Oktober. Der Parcours ist berüchtigt für die Größe der Hindernisse, nur ein geringer Teil der startenden Pferde erreicht überhaupt das Ziel.


<gallery widths="500" heights="350" perrow="2" caption="Fam. Tuttlies vor ihrem Wohnhaus">
Beim ersten Sieg im Jahre 1935 schrieb '''Gustav Rau''': <br>  
Datei:01 Wohnhaus.jpg|Fam. Tuttlies vor ihrem Wohnhaus mit einer Nachbarin, 1925, Quelle: Foto: privat
: "Es steigert sich das Bild zu einer geradezu phantastischen Leistung der ostpreußischen Pferdezucht, vor der alle anderen Turniererfolge verblassen, zumal die ostpreußischen Pferde auch alle anderen Militarys in diesem Jahre gewonnen haben."
Datei:17 Familie Tuttlies 3.jpg|Fam. Tuttlies, zweite von links, Hildegard im ihrem Freund dem Ziegenbock Mäck, 1925, Quelle: Foto: privat
</gallery>


Und im Jahre 1936 berichtete Reitsportzeitschrift St. Georg anlässlich Herolds Folgesieg zur Pferdezucht auch dem [[Neu Lappönen| Gut Neu Lappönen]]: <br>
: "Jede Rennbahn verlangt ihre besonderen Pferde; Pardubitz braucht neben gewaltigem Springvermögen Pferde, die in jedem Boden zu gehen vermögen, und Pferde mit einer außerordentlichen Ausdauer. Die Strecke beträgt 6.900 m. Der Boden wechselt zwischen Rennbahngeläuf, Heide, abgeerntetem Feld und Sturzacker, verlangt also Pferde, die immer wieder kommen und ihre Aktion behalten….Es ist geradezu phantastisch, was die ostpreußische Zucht für die Große Pardubitzer seit 1923 an Siegern hergegeben hat … Diese gehäuften Siege ostpreußischen Blutes in einem Rennen wie der Großen Pardubitzer sind wohl das Bemerkenswerteste, was die ostpreußische Zucht an großen Leistungen aufzuweisen hat." So wurde Herold zum strahlenden Botschafter einer weltweit berühmten Leistungszucht der ostpreußischen Warmblutzucht Trakehner Abstammung. Von der wertvollen [[Neu Lappönen]] Zucht hat nur wenig das Kriegsende überstanden: Paloma von Hendrik (von Nana Sahib x), Pandura von Damian und ihre Tochter Palme von Port Arthur sowie Luckchen von Cornelius mit ihrer Tochter Luci von Löbau kamen auf dem Treckwege nach Westdeutschland. Ihre Stämme bewegten sich immer auf sehr schmalem Grat und tun es noch."


Die Stute "Rieke" auf dem Tuttlieser Hof stammte auch von einer "Nebenlinie" der [[Neu Lappönen| Neu Lappönener]] Zucht ab. Sie war bei einer Remonte-Prüfung auf dem Gut ausgemustert worden und konnte so dort von '''Ferdinand Tuttlies''' als "Dreijährige" preiswert erworben werden. Zu Hause galt sie als treu und leistete hervorragende Dienste. Trotzdem waren durchreisende Pferdehändler an  "Riecke"  sehr interessiert.  "Sie ist doch noch für eine Privatzucht hervorragend" . '''Ferdinand Tuttlies''' hatte später kurzfristig beim Innenausbau der Gesindehäuser auf dem Gut gearbeitet.


Unsere Eltern haben uns mit viel Liebe und Fürsorge erzogen. Meine Spielgefährten waren alle Tiere, die ein Bauernhof besitzt. Meinen kleinen Ziegenbock, meinen Mäck, darf ich nicht vergessen. Er folgte mir auf Schritt und Tritt und ich tobte mit ihm um die Wette — besonders im Blumengarten, wenn dieser sauber hergerichtet war. Zur Freude meiner Mutter!! Ich war damals noch keine 5 Jahre alt, mein Mäck höchstens ein halbes Jahr alt. Für meine älteren Geschwister war ich stets die Kleine, sie behielten mich immer am Auge, soweit es ging. Nur wenn ich bei Lux, unserem Hofhund in seiner Hütte saß und mich nicht meldete, wenn ich gerufen wurde, waren sie etwas besorgt.
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|[[Datei:Zuchtstute.png |thumb|440 px|<center> Stute ''Herold'' (aus der Zucht '''Erich Lengnik''' - [[Neu Lappönen]]) Quelle: [[https://wiki.genealogy.net/Birkenhof_(Ostp.)#Geschichten_.26_Anekdoten_rund_um_Birkenhof]]<small> </center></small>]]
|[[Datei:Hildegard und Rieke.png |thumb|250 px|<center> <small> '''Hildegard Tuttlies''' mit den Enkeln '''Manfred''' und '''Carlhorst''' und der Trakener Hof-Stute ''Rieke'' </small> </center>]]
|}
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===<big>Platt im Willschicken: Kupst und Kaddig</big>===
[[Datei: ImageDialekte.png|thumb|520x520px|<center> Deutsche Dialekt (1910) - Hochpreußisch [https://de.wikipedia.org/wiki/Hochpreu%C3%9Fisch#/media/Datei:Deutsche_Dialekte_1910.png] </center>|alternativtext=]]


Die zwei Millionen Ostpreußen brachten ihre Traditionen in vielfältiger Form im Fluchtgepäck in die BRD und DDR mit. Das gesprochene ostpreußische Platt ist heute 2023 nahezu ausgestorben. Auf alten Tonträgern und im Internet lassen sich noch winzige Sprachinseln entdecken. In der Literatur sind noch einige Erinnerungen zu finden. 


Knappe 10 Minuten Fußweg von uns entfernt war mein Gerhard Kiehl daheim. Seine Eltern besaßen ein Kolonialwarengeschäft mit Gastwirtschaft und einen kleinen Saalbetrieb. Damals ahnte ich noch nicht, dass ich einmal dazu gehören werde! Aber mein Vater ging gerne dort hin. Überhaupt, wenn ein großes Treffen der bekannten Bauern aus der Umgebung war, am Tage der Schweineablieferung in Grünheide auf dem Bahnhof. Alle Bauern kehrten dann              ( ...die Fuppen voller Geld, es war der Erlös für die Schweine) zum Umtrunk bei meinen Schwiegereltern in Pillwogallen ein.
Quellen: 


[https://kreis-gumbinnen.de/onser-platt/ Onser Platt – Kreis Gumbinnen (kreis-gumbinnen.de)] 


<gallery widths="500" heights="350" perrow="2" caption="Der Gasthof der Fam. Fritz Lerdon früher Hedwig Kiehl und Familie">
[https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/item/FJW33P5MH7DHVNQQCND2F6FL4GGXGHKB Ton-Kassette Ostpreußisch Platt - Deutsche Digitale Bibliothek (deutsche-digitale-bibliothek.de)]  
Datei:03 Gasthof.jpg|Der Gasthof der Fam. Fritz Lerdon früher Hedwig Kiehl um 1930, Quelle: Foto: privat
Datei:Gastwirtschaft.jpg|1931, In der Gastwirtschaft Lerdon, erste von rechts Hedwig Lerdon verwitwete Kiehl, geb. Padefke vierter von rechts im Hintergrund, Fritz Lerdon, links Walter Kiehl, gefallen 17.08.1944, Quelle: Foto: privat
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Zum Stammbaum der Padefke siehe auch die folgenden Links:  https://www.familysearch.org/search/catalog/1582518
[https://ostpreussen.de/lo/mediathek/audiosammlung.html Mediathek Audiosammlung - Landsmannschaft Ostpreussen e.V.]  
und:  http://familien-archiv.de/02-Familienfotos/Familie%20Podefke/Podefke%20Fam.%20Stammbaum/Stammdaten%20Fem%20Podewski.pdf  


Pillwogallen kommt aus dem Litauischen und heißt deutsch: „Bauchende". Das gefiel den Einwohnern schon lange nicht. Auf Sondergenehmigung des Landrates Insterburg wurde der Name schon 1928 in „Lindenhöhe" unbenannt! Dort wurde der Insterburger Reiter-schnaps ausgeschenkt. Ein Stück Würfelzucker und zwei ganze Kaffeebohnen wurden zerkaut und mit einem Korn nachgespült. Oder es gab einen Pillkaller. Wieder ein Gläschen Korn mit einer Scheibe deftiger Leberwurst mit einem Klacks Mostrich drauf! Vater kam dann reichlich verspätet nach Hause — aber stets lustig!
[https://www.bing.com/videos/riverview/relatedvideo?q=schweizer+in+ostpreu%c3%9fen&mid=2616A5BC146C38121D9C2616A5BC146C38121D9C&FORM=VIRE Bing-Video] 


Bei der Gelegenheit sollte er einmal 10 Heringe mitbringen. Machte er gerne! Natürlich dauerte die Sitzung länger als geplant. Er legte das völlig durchnässte Paket in Packpapier verpackt auf den Küchentisch. Mutter konnte endlich ihre Heringe auspacken — und fand nur noch einen einzigen Hering darin! Waren doch die übrigen aus dem Papier gerutscht, ohne dass es Vater bemerkt hatte.
In Willschicken wie in weiten Teilen von Ostpreußen sprachen die ländlichen Bewohner platt. Das Platt war mit litauischen Sprachteilen durchsetzt 


Mutter war sehr verärgert. Vater verkrümelte sich schnell mit seiner Decke und einem Kissen auf den Heuboden, um seinen Rausch auszuschlafen! Ich wurde aber, die kleine Merjell, von Mutter mit einer Blechschüssel losgeschickt, um am Straßenrand im Gras nach ihnen zu suchen; denn 1 Hering kostete damals 1 Dittchen und 10 Stück 1 Mark —und siehe da, ich kam mit allen „Neunen" nach Hause! Sie wurden unter der Pumpe auf dem Hof gespült und gespült — und die Welt war wieder in Ordnung!
Von den übrigen ostniederdeutschen Dialekten unterscheidet sich das Niederpreußische in Ostpreußen vor allem durch viele Gemeinsamkeiten in Phonetik, Grammatik und Wortschatz mit dem Hochpreußischen. Einige wichtigen Merkmale des Ostniederpreußische sind nach W. Ziesemer <ref name=Walther_Ziesemer> W. Ziesemer: ''Die ostpreußischen Mundarten.'' In: ''Ostpreußen. Land und Leute in Wort und Bild.'' Mit 87 Abbildungen. Dritte Auflage, Gräfe und Unzer, Königsberg (Preußen) o. J. [um 1926] </Ref> und dem Preußischen Wörterbuch  <ref name=Preußisches_Wörterbuch>  ''Preußisches Wörterbuch: Deutsche Mundarten Ost- und Westpreußens. Hrsg. von der Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz. Begr. von Erhard Riemann. Fortgef. von Ulrich Tolksdorf. Hrsg. von Reinhard Goltz.'' 6 Bände. Wachholtz-Verlag Neumünster 1974–2005.  </Ref> :


Anfang April 1926 wurde ich in ein Matrosenkleid gesteckt, die langen Strümpfe hatte Mutter selbst aus Schafswolle gestrickt (kratzten fürchterlich). Meine schwarzen Spangenschuhe wurden gewienert und einen Tornister bekam ich aufgehubbelt! An Mutters Hand ging es in die zweitklassige Schule nach Pillwogallen. Ich war sehr neugierig auf sie. Als ich dann einige Tage artig auf meinem Platz gesessen und mir alles angesehen hatte, fiel mir ein, dass gerade unsere Küken aus den Eiern zu der Zeit rausgekrabbelten, und ich musste dabei sein! Also ließ ich meinen Ranzen in der Bank liegen und ging nach Hause. Doch ich kam nicht weit. Lehrer Wiederhöft holte mich ein, fasste mich am Schlafittchen und meinte: „Ille (so nannte er mich) Du gehörst in die Schule!" Gefiel mir gar nicht. Viel schöner war es Zuhause, bei meinem Ziegenbock!
:* Die plattdeutschen Infinitive haben meist ein (n); dieses gilt für die Aussprache in Westpreußen, während in Ostpreußen das Schluss-n weggelassen wird (Sie will gehen - Sö wil goh)
:* Beibehaltung des ge- im Mittelwort  (Hei is lopen; dagegen Ostniederdeutsch: He is jelope)
:* Entrundung (Kenig, Brieder, Fraide, Kraiter für Standarddeutsch Könige, Brüder, Freude, Kräuter)
:* Doppellaut mit Dehnung ai statt ei, eu, äu
:* Vorliebe für Verkleinerungssilben (De lewe Gottke und hochpreußisch kommche, duche, Briefchedräger) – umlautlose Verkleinerungsformen (Hundche, Katzche, Mutterche)
:* „nuscht“ für Standarddeutsch „nichts“ (Färe Dittke nuscht - für einen Groschen nichts)
<br> Es folgt ein Auszug aus: '''Lituanismen im Ostpreußischen – Sprache und Alltag in Nord-Ostpreußen. ''' <ref name=Annaberger_Annalen> Annaberger: Annalen: ''Jahrbuch über Litauen und deutsch-litauische Beziehungen. Nummer 11, 2003, ISSN 0949-3484, Gerhard Bauer, Quelle: [https://annaberger-annalen.de/jahrbuch/2003/AnnabergNr.11_Kap5.pdf AnnabergNr.11_Kap5.pdf (annaberger-annalen.de)] </Ref>


''Analysiert wird im Folgenden eine Auswahl von Texten, die nach 1945 in Form deutschsprachiger Buchpublikationen erschienen sind. Es mag erstaunen, dass auch noch nach über 50 Jahren  - im Jahr 2000 nach Vertreibung und Flucht der Bevölkerung das ostpreußische Spracherbe, niederdeutsches Platt, in der Mundartforschung auch als niederpreußisch bezeichnet, in dieser Lebendigkeit in den Texten vorliegt.''


<gallery widths="500" heights="350" perrow="2" caption="Schule und Schulweg in Pillwogallen">
''Bei nicht seltenen deutsch-litauischen Missverständnissen ist oft zu hören: "Ei, was is dat?  Ich versteh nich Litauisch. Mußt Daitsch mit mich kalbeken."''
Datei:04 Schule.jpg|Schule in Pillwogallen, Quelle: Foto: privat
Datei:05 Schulweg.jpg|Auf dem ehemaligen Schulweg Hildegard Tuttlies und Ursel Weinowsky. Im Hintergrund  auf der linken Seite ist die Schule erkennbar, Quelle: Foto: privat
</gallery> 


''Um es vorwegzunehmen: der in Ostpreußen wohl am häufigsten verwendete Lituanismus, alltagssprachlich, wie auch im Schrifttum, ist die Bezeichnung  Margell, Marjellchen, Jungensmargell, Burmargel (pltd.), u. ä. Wenn es darum geht, die äußere Erscheinung und bestimmte Eigenschaften von Mädchen allgemein und von Dienstmädchen zu charakterisieren, kann der ostpreußische Sprachschatz aus dem Vollen schöpfen “Dat es e abjefeimte (oppjeplusterte, fijuchlige, filistrije, freche, jedreiste, krätsche) Marjell“ . Ist ein Mädchen  grasze  (rundlich, schön genährt), dann gilt sie als besonders  angriepsch .  Typisch ostpreußisch klingt der Satz „Margell, bring e Kodder, eck häbb Schmand verschmaddert“ . Ähnlicher Beliebtheit erfreut sich das Lieblingsschimpfwort der Ostpreußen, die Bezeichnung  Lorbas, kurz gesagt, Lümmel. Fast durchgehend findet man in den Texten die litauischen Nationalspeisen  Schuppnis und Kissehl  und auch die  Schaltnoosen  genannt, die in Ostpreußen auch unter der deutschsprechenden Bevölkerung verbreitet waren. Die meisten Begriffe werden im Zusammenhang mit Gegenständen des Alltags, bestimmten Tätigkeiten, sozialen Handlungen und allgemeinen Lebensumständen verwendet.''


Auf dem Schulweg kamen wir an der „Haus-Schmiede" vorbei. Sie war tipp topp und er ein guter Schmied. Er hatte schon die dritte Frau am Haken und 12 Kinder und ein sehr baufälliges Wohnhaus, in das es reinregnete. War es des Nachts, wenn sie schon im Bett lagen, sagte sie zu ihm: „Papake, spann dem Scherm op! On et wer wi im Himmel!" In der Schule saßen hinter mir zwei Lautze von der Sorte. Ich hatte lange Zöpfe und die steckten sie mir ins Tintenfass, das hinter mir stand. Und ich hatte ein weißes besticktes Nesselkleid an. Worüber sich Mutter wieder sehr freute! Auch Martha gehörte zur Familie. Sie war eine drugglige Merjell und plinste oft, wenn sie in der Schule nicht weiterwusste.
''Da ist zunächst der  Turgus , der Wochenmarkt (in [[Aulowönen]]), in der weitgehend von agrarischen Lebensverhältnissen bestimmten Umwelt, ein Zentrum der Kommunikation und des Austausches von Waren, Kontakten und Nachrichten, zu nennen. Auf den Wochenmärkten spielt sich das Leben ab, es sind kleine Volksfeste, alles war auf den Beinen. Und hier trafen sie sich, der fast nur litauisch sprechende Bauer mit dem jüdischen Händler und dem deutschen Handwerker. Vielleicht gesellte sich auch noch ein polnischer Tagelöhner dazu. In dem mehr oder weniger direkten Kommunikationsprozess spiegeln sich verschiedene Ethnien und die ostpreußische Sprachenlandschaft wider: der freche  Lorbas , der schwachköpfige  Glumskopf  und der muntere  Bocher , bilden eine Gruppe von  Gerkgesellen , deren  Geseier  und  Gejacher  über den ganzen Markt erschallt.''


''Neben dem Wochenmarkt und der Kirche war auch der  Krug  (Gasthofas) häufig mit Kolonialwaren Geschäft, das soziale Zentrum der Dorfbewohnen, wo sich die Männer nach Erledigung ihrer Arbeit zu treffen pflegten, um dort in geselliger Herrenrund  a Tulpche  Bier oder  a Konus  zu trinken und sich untereinander auszutauschen. Nun, bei nur einem Schnaps oder einem Glas Bier ist es selten geblieben, denn sobald einer der Herren eine Tischrunde „schmiss“  (ausgab), war es für die anderen doch Ehrensache, es ihm gleichzutun!''


Viele Jahre lebten wir in guter Nachbarschaft mit Hermann Weinowsky. Er war der Opa von unserem „Heinz Weinowsky", der 2001 mit seiner Ursel zu unserer Heimatgruppe kam, und wir wussten beide nicht, wer wir waren! Die Überraschung war groß!
''Zum  Turgus  eilten auch Frauen mit dem  Kreppsch  (Korb) oder  Turguskorw  in den Händen. Dabei achteten sie besonders auf den Inhalt ihrer  Kischenne  (Geldtasche), die sie mit dem  Dirschas  (Riemen, Gürtel) unter der  Marginne , dem zweiteiligen Rock, befestigten. Ihre  Kicke  (Kopfbedeckung verheirateter Frauen), die schon ganz aus der Mode geraten waren, ließen sie zu Hause. Unterwegs wurden sie von einem  Schwauksch  (Regenschauer) überrascht. Auch die Tochter wollte zum Markt (... „palauk man bißke“... ); sie wollte sich nur noch die  Parreskes  anziehen. Die Mutter war in Eile (... „nu paspek man bißke“... ). Sie gab der Tochter gleich den Rat mit auf dem Weg, sie möge ihren  Bambas  (Nabel) nicht herausspeilen, sonst würden ständig die  Bowkes  auf sie glupen.''


Die Jahren vergingen und ich durfte schon mal auf den Schwoof gehen. Am schönsten waren die Manöverbälle bei meinen Schwiegereltern im Garten, auch dort war eine Tanzfläche aus Holz vorhanden. Mein Vater hatte meiner Schwester und mir vor dem Gehen zur Aufgabe gemacht, jede noch zwei Kühe zu melken. Meine „Muschekühe" waren artig, ich erzählte mich oft mit ihnen und streichelte sie auch. Aber bei meiner Schwester war es anders. Sie bedeckelte sie oft mit dem Melkschemel — und dann tanzten sie im Ross-garten Polka, zur Soldatenkapelle, die wir schon spielen hörten!
''Über den Marktplatz verteilt standen Buden, kleine Häuschen, in denen gewöhnlich Handel getrieben wurde, oder es wurde direkt von den unzähligen Pferdewagen aus gehandelt. Zum Transport mag der  Dwirratsch  gute Dienste geleistet haben, ein dem Bauern nützlicher zweirädriger Einspänner, der so leicht war, daß er auch von Menschen gezogen werden konnte. Es handelt sich um einen leichtgängigen Wagen mit verhältnismäßig großen Rädern, die auch bei schlechter Straße und unwegsamen Gelände ihren Dienst nicht versagten. Beim Transport kleiner Güter über kurze Entfernungen war dieses Gefährt unentbehrlich.''


Und wieder verging die Zeit – und ich hatte meinen Gerhard geangelt, oder er mich? Wir wollen meinen 18. Geburtstag gebührend feiern. Nicht daheim, sondern in Insterburg im Kaffee Alt-Wien! Mein Mann war damals in Insterburg als Berufssoldat stationiert. Ich hatte meine Bleibe bei meinem ältesten Bruder und seiner Familie in der Albrechtstraße 15, dem großen Eckhaus, das heute noch steht. Alles war vorbereitet und wir saßen mit unseren geladenen Gäste im Kaffee Alt-Wien. Die Musik spielte die schönsten Weisen von „Waldeslust" und „Es war einmal ein treuer Husar...".
''Gehandelt wurde mit allem: unter den Tieren sind es die Ante (Ente),  Trusch  (Kaninchen),  Kujjel  (Eber),  Ramunde  (Pferd), und die störrische  Zibb  (Ziege), die den Vorbeigehenden einen  Stums  (Stoss) gab. Aus Fässern wurden  Zillkes  (Heringe) und der Kapustes  (Kohl), den man bald nicht mehr riechen konnte angeboten, nicht zu vergessen den litauischen  Suris  (Käse). Auch  Kruschkes  (Birnen) waren genug da.''


Der Wein mundete hervorragend und wir waren sehr lustig und vergnügt! Bis ich beim Tanzen plötzlich auf meinem Rücken einen leichten „Schurrr..." vernahm. Ob mich der Gerhard zu sehr an sich gedrückt hatte 9 Ich wollte es wissen und ging zur Garderobenfrau. „Freileinchen — Sie sind aufgeplatzt...!" ...rief sie. Der ganze Rücken meines schwarzen Taftkleides vom Ausschnitt bis zum Gürtel war bloß...! Und nun stand das aufgeplatzte „Freileinchen" da — was war zu machen? Es war ein Kleid aus Mutters Beständen, das uralt war und für mich umgearbeitet worden war. Die Musik spielte, und ich feierte meinen 18. Geburtstag. Heute wäre ein bloßer Rücken (und noch etwas Nacktes) in Mode gewesen; aber damals?
''Der Fischhändler hatte sicher auch den  Puke  (Kaulbarsch) im Angebot. Man musste aufpassen, denn das war ein echter  Kupschus  (Händler - negativ). Wurde man unter Männern handelseinig - besonders nach abgeschlossenem Vieh- oder Pferdekauf - dann traf man sich zum  Margrietschtrinken . Hier wurde so mancher des anderen  Draugs  (Freund), über den man nichts mehr kommen ließ. Bei diesem Umtrunk, mit dem man das Geschäft besiegelte, blieb es nur selten bei einem Glas. Umzech  (Umzechen) hieß das Trinken „der Reihe nach“, sozusagen im Kreise herum. Das übliche Maß war der  Puske , die Hälfte der Halbliterflasche. Bummchen (auch Bommchen)  hieß ein altes Branntweinmaß an der Theke. Es mangelte nicht an verschiedenen Schnapsarten: Degtinnis, Brantewin, Kornus, Peperinnis, Pfefferschnaps, auch  Pipirskis  genannt,  Skaidrojis , reiner, klarer aus Roggen oder Kartoffeln gebrannter Schnaps mit 56 Volumenprozenten („Dat öss dat reine Wort Gottes“ ) und - nicht zu vergessen - der  Meschkines , auf Deutsch Bärenfang (pltd. Boarefang)''


Aber Dank Mutters Fürsorge hatte ich meine lange selbstgestrickte Jacke aus Schafswolle unter dem Mantel an. Sie zog ich über, ging zurück zum Tisch und tanzte und schwitzte mit allen Gästen und meinem Gerhard als „aufgeplatzte Braut"... Das Taftkleid war lange Jahre unbenutzt, es hing gut aufgehoben auf der Lucht in dem großen Schrank, hinter Vaters „Schößchenrock". Taft verschleißt nach Jahren, und das war der Fall.
''Den Stellenwert des Schnapses im Bewußtsein und wohl auch im Alltag der ostpreußischen Bevölkerung zeichnen zwei verbreitete Sprüche:  „Schnapske mott sön, Brotke, wenn sön kann“, „Vor’m Schnaps e Schnaps und nach’m Schnaps e Schnaps“. Die Geräuschkulisse - ein ohrenbetäubendes Stimmengewirr in den verschiedensten Sprachen und Dialekten, noch verstärkt durch das laute Rufen der Händler, und das  Rauloken  (Brüllen) des Viehs - bildet jenen Hintergrund, in dem von kalbeken die Rede ist, was nicht nur viel und laut reden, sondern auch dumm und weitschweifig streiten und zanken bedeuten kann, echtes  Jebroasch  (pltd.)  Der Kalbeker und die Kalbekersche  gelten allgemein als geschwätzige und zänkische Personen. So mancher hatte die  Kalbekerei all satt , da viele sich eh nur  halbwortsch  (pltd.) verständlich machen konnten.''


''Die gemeinsamen Angelegenheiten (...“Wenn nu wat em Därp to beräde un to beschlute weer“... ) regelten die Bauern auf der Dorf - oder Gemeindeversammlung,  Krawuhl oder Pulkus . Der Dorfschulze oder Bürgermeister ließ in manchen Gegenden die  Krebulle oder Kriwulstock  mit dem  Krawuhlzeddel , auf dem Ort und Zeit der Versammlung vermerkt waren, von Hof zu Hof tragen. Hier handelt es sich um eine traditionelle Form der Kommunikation innerhalb der dörflichen Selbstverwaltung. (Diese Möglichkeiten der Landgemeindeordnung wurden 1927 durch das Gemeindereformgesetz abgelöst.)''


'''Kornaust, Kruschkemus und Wrukensuppe'''
''Auch die geselligen Treffen der Jugend wurden  Krawuhl  genannt, doch gewöhnlich hießen solche Zusammenkünfte mit Tanzvergnügen  Wakarelis  (geselliger Abend). Neben der Ziehharmonika und dem  Trubas  als Begleitinstrumente, erklangen hier nicht selten litauische  Dainos . Dieser Art von Lustbarkeit des litauischen Gesindes, bei dem auch der Schnaps nicht fehlte -genannt  Schwentadene -, galt der deutsch-litauische Spottvers: „Huste-pruste, Heiserkeit! –Dewe dok verjniechtes Leben“ . Hier fand auch der  Jurrai , der jeden Abend mit einem anderen  Marjell  erschien, sein Betätigungsfeld, wofür sie ihn Herzensbrecher, Landbeschäler, Deckhengst schimpften. Den dörflichen Don Juan nannte man  Jemeideerpel . Für einen  Butsch  mußte man erst ein Mädchen finden und beim Streit unter jungen Männern wechselte so manche  Dauksche  (Ohrfeige) die Seite.''


Nun ist es über 75 Jahren her, dass wir aus unserer geliebten Heimat vertrieben wurden. Fast nichts konnten wir mitnehmen.  
''Doch das Leben bestand nicht nur aus Feiern und geselligem Beisammensein, im Vordergrund stand oft harte Arbeit. Verbreitet war die  Talka  die freiwillige, gelegentlich auch erbetene Hilfe unter den Nachbarn. Eine  Talka  fand zu verschiedenen Anlässen statt: während der wichtigsten Feld- und Erntearbeiten, wie Heu- und Getreideernte, der meist intensiven nächtlichen Flachsarbeit in der  Jauje  (Dreschtenne) oder  Pirte  (Badstube) und zu kleineren Anlässen, wie bei der gemeinsamen Schlachtung, genannt  Skerstuwiß. Skerstuwiß  bedeutet zweierlei: die Schlachtung selbst und der darauffolgende Schmaus der Beteiligten und auch der Nachbarn.''


Aber wir sind voll mit unserem Ostpreußen verbunden und verstehen die alten Ausdrücke, mit denen wir aufgewachsen sind. Wer weiß, was ein „Pomuchelskoopp" ist? (Ein dicker, großer Fisch — oder auch ein Schimpfwort „Du Dammliger....!") Oder was auch ein „Kalabräser" ist?
''Die  Talka  half so manchem Bauern eine Notlage zu überbrücken; wenn z.B. eiligst das Getreide eingefahren mußte, aber gerade im Moment wegen Krankheit „Not am Mann“ war, nahm der Nachbar seinen  Dwiszak (hölzerne Forke) in die Hand und eilte dem Nachbarn zu Hilfe. Größere Vorhaben, wie Hausbau, war ohne Hilfe von außen nicht zu leisten. Bei der  Talka  war eine Bezahlung in Form von Geld nicht üblich und wurde auch nicht erwartet, daher stand die Abschlussfeier mit großzügiger Beköstigung und reichlich Schnaps im Vordergrund.''


Ich konnte nicht stillsitzen und war immer neugierig. Wenn unsere lieben Nachbarn Onkel Hermann & Tante Auguste Weinowski zu uns in die „Uhleflucht" zum „kadreiern" (erzählen) kamen, war es für mich ein Ereignis! Vater saß dann mit Onkel Hermann auf der Bank vor der Haustüre. „Mien Mutterke" aber mit Tante Auguste im Garten; und ich sauste von einem zum anderen, um viel mitzubekommen!
''Für die Bewirtung war die Frau des Hauses, vom Gesinde auch Herzmutter oder Herzfrauchen genannt, zuständig. Von  Jurgin  (23.April) bis  Micheel  (29. September) wurde das  Vesper  gereicht. Zu Essen - zum  Launagies  (Vesper) oder  Becktuwes, Pabaigtuvis (Abschlussfeier) - gab es reichlich: weder das gute Stück, der Kampen, Schwarzbrot, noch die beliebte Bartschsuppe (pltd.Boartscht), im Sommer auch kalt mit dem  Scheppkausch  serviert, durfte fehlen. Der  Druskus  (Salz) zum Abschmecken lag immer bereit. Bei guter Arbeit nahm die Wirtin den  Skilandis  (Schwartenmagen) vom Lentin, dem sie mit dem  Peilas  (Messer) zu Leibe rückte. Die Wirtin war ständig in Bewegung, mal eilte sie zur  Klete  (Speicher), um einige  Pagels  (Holzscheite) zu holen, damit die Pliete  (Kochherd) nicht kalt wurde, mal rannte sie mit dem  Peed  (Wassertrage) zum Brunnen, um frisches Wasser zu besorgen. Nach dem reichlichen Essen und einigen Schnäpsen lehnte sich so mancher zurück zum behaglichen Rangieken (krümmen).''


Die lieben Nachbarn waren die Großeltern von unserem Heinz Weinowski, der 2001 mit seiner Ursula zu uns in die „Heimatgruppe lnsterburg/Sensburg" kam. Bis dahin wussten wir aber noch nichts voneinander.
''Für die Frau des Hauses war hierfür keine Zeit. Die Sorge um Haushalt und Tiere nahm sie voll in Anspruch: das Schweinefutter mußte mit dem  Mentas  (Rührholz) gerührt, die  Edzs (Futterraufe) mit Futter gefüllt werden. Und dann noch der Ärger mit der  Rankin  (Griff) am Brunnen, die ständig herabfiel und dem Nachbarn, der vergaß den  Karnelis  (Handkarre) zurückzubringen. Selbst feiertags hatten sie keine Zeit zum Ausruhen, mußte ständig irgendwas  Krapschtieken  (wühlen, kramen, herummurksen) und  Krausticken  (umräumen). Kein Wunder, dass ihr nach all dem Ungemach ein  Dokschpakajus  (gib Ruhe!) über die Lippen kam. Zum Glück spielte ihr der  Kauks kein Schabernack  und auch vom  Perkun  (Donner) blieb das Haus verschont.''


Die schönsten Zeiten waren für mich im Sommer die „Kornaust" und im Winter das „Federreißen" am warmen Kachelofen. Herrlich war es, wenn es draußen schneite oder gar „stiemte"! Wir saßen ja im Geborgenen. Da durften wir Kinder keine „Flunsch" ziehen, wenn uns die Arbeit nicht passte! Wurden wir noch „oppstornosch", gab es von Vater einen kleinen „Mutzkopp", ab und zu „plinsten" wir uns noch aus und wir waren dann nicht mehr „gluppsch", vielleicht noch ein wenig „dreibastig"... (frech)!
''Begräbnisse gehörten zu den Ereignissen, an denen die ganze Dorfgemeinschaft beteiligt war. Zum  Zarm  (Leichenschmaus) wurde ordentlich aufgefahren, denn meistens wurde eine standesgemäße Bewirtung der Trauergemeinde erwartet. Jede Gemeinde hatte ihren eigenen Friedhof. - so auch Willschicken. Die Gräber ( Kapas ) waren gepflegt, die Bepflanzung natürlich dem Klima entsprechend, d.h. für den Sommer setzte man Blumen, doch für den Winter deckte man die Grabstellen nur mit Tannengrün und einem Grabgesteck ab. Während der warmen Jahreszeit ging man an jedem Samstag auf den Friedhof, ( Kapinės ) brachte einen frischen Blumenstrauß hin und harkte den Boden um das Grab herum. Die alteingesessenen Einwohner nannten ganze Grabreihen ihr Eigen, die für sie auch immer reserviert blieben. Manche waren durch kunstvoll geschmiedete Zäune wie eine kleine Oase vom übrigen Teil abgegrenzt. Ganz alte Gräber dagegen hatten noch keine Grabeinfassung. Da wurden die Grabhügel nur durch immergrüne Bodendecker gehalten.''


Mutter hat immer gut für Essen und Trinken gesorgt! Von „Klunkermus" mit Farin gesüßt, „Keilchen", „Pierag", selbstgemachte „Glumse" mit selbst gekochter Kirschkreide im großen Waschkessel in der Waschküche unter ständigem Rühren mit Zucker einige Stunden gekocht. „Brennsuppe", „Wrukensuppe", „Kruschkemus", „Kissehl", „Königsberger Fleck" mit 6 Gewürzen, gebackene Stinte — und meine „Spirgel", die ich heute noch gerne esse! Einige Leute daheim waren „Gniefke" (Geizhälse). Sie saßen auf ihren „Dittchen". Selten, daß sie einen „Kornus" geschweige einen „Pillkaller" ausgaben; und zum „Barbutz" gingen sie auch nicht. Dann kam ein „Bowke", er musste aber schon älter sein aus der Nachbarschaft und schnitt ihnen die Mähne mit der Schere. Zuhause wurden von Männern viel „Klumpen" und von Frauen „Schlorren" getragen. Prima waren sie zum „Schorren" auf dem Eis. Es ging aber auch ohne sie — auf selbstgestrickten dicken Socken aus Schafswolle! Im Hause schlüpfte man in warme „Wutschen", die oft per Hand hergestellt waren.  http://www.brieskorn.de/Brieskorn/Dokumentation/Ostpreussisch/body_ostpreussisch.html
''Die ostpreußische Kultur- und Sprachenlandschaft erinnert an einen bunten Flickenteppich auf dem sich in historischer, geographischer und sozialer Dimension verschiedene Ethnien, Deutsche, Litauer, Polen und Juden, in einem mehr oder weniger direktem Kommunikationsprozess, dem Land jene Farbe gaben, durch das es sich auszeichnet. Selbst unter der deutschsprechenden Bevölkerung gab es, was die Verwendung von Sprache betrifft, einen Riss: platt (ostpreußisches Niederdeutsch) sprach das Volk, hochdeutsch die „feinen Leute (Ärzte, Pfarrer, Lehrer)''"


Gingen wir aber zum „Schwoofen", wurden die Sonntagsschuhe angezogen. Während des „Schwoofens" bekam man auch ab und zu mal einen „Bärenfang" spendiert. Die Männer tranken gerne „e Tulpche Bier", aber nicht zu viel, dass man sich nicht de „Tuntel" begoss! Auch wenn derjenige seine Spendierhosen anhatte, und noch gerne einen ausgegeben hätte! Aber auf dem Nachhauseweg hätte man sich leicht „verbiestern" können! Schlimm war es, wenn ich als kleine „Marjell" einer „Ziegahnsche" oder einem „Pracher" begegnete. Dann nahm das Betteln kein Ende. Hatte ich für sie etwas inne „Fupp", einen „Knasterbombom" oder einen Dittchen, war ich sie los!
Auch die weiteren Texte von Gerhard Bauer in den Annaberger-Analen über Preußisch Litauen sind sehr lesenswert (Jahrgang 11, 13-15, 17, 18, 20 und 21). Die Annaberger-Analen sind nach 30 Jahren 2022 leider eingestellt worden. [https://www.annaberger-annalen.de/impressum.shtml]


Mein Vater war wütend, wenn der „Koppschäller" (Pferdehändler) immer wieder zu uns kam. Dieser hatte es auf unsere „Rieke" abgesehen. Sie kam aus Trakehnen, Vater hat dann immer überlegt, wie er den Kerl auf Nimmerwiedersehen los würde!
Etwa 13 Hofbesitzer im Willschicken trugen Namen mit litauischem Ursprung. Bis auf einen Gutsbesitzer und zwei Großbauern, die jeweils zugezogen waren, sprachen alle Dorfbewohner Platt. Nur wer sich in der Öffentlichkeit besonders hervortun wollte, verfiel zeitweise ins Hochdeutsche. Die ältere Generation hatte zum Teil noch den litauischen Konfirmationsunterricht in [[Aulowöhnen | Aulenbach (Ostp.)]] besucht. Ab 1900 nahm der litauische Sprachgebrauch in Ostpreußen aber deutlich ab. Bis dahin wurde in einigen Dorfschulen in der Pilkaller und Gumbinner Gegend auch noch Litauisch gelernt. In der  Dorfschule sollte nach den Schulkonferenzen in Preußen 1890 und 1900 in ganz Ostpreußen grundsätzlich Hochdeutsch gesprochen werden. Doch in manchen Alltagssituationen fielen gerade die kleinen Schüler wieder in ihr von zu Hause gewöhntes Platt zurück.  


Zu unserer Nachbarschaft gehörte auch die „Familie Baltruweit". Sie saßen auch auf einem Bauernhof, Vater, Mutter, Opa, Oma und vier „Marjellens". Opa und Oma waren auf dem Altenteil. Sie bewohnten die kleinste Stube, nur dass sie zur Nacht eine Bleibe hatten. Am Tage waren sie immer noch mit leichter Arbeit in Haus und Hof beschäftigt.
In der Lindenhöher Dorfschule wurde ab der 1. Klasse Hochdeutsch als Schriftsprache auf der Tafel mit einem Griffel geübt. ''' Edeltraut Tauchmann geb. Schlack ''' berichtet aus der Nachbargemeinde von [[Waldfrieden (Ostp.)]]:


Nun hatte Opa Baltruweit in der Nacht oft Nacken- und Kopfschmerzen. Also stand er wieder mal im Halbdunkel auf, tastete sich an sein Regal mit dem verschiedenen Einreibemittel in Fläschchen. Das Mittel wirkte Wunder, dachte er, er konnte schlafen und kam am anderen Morgen munter in die Küche. Doch „o Schreck" — Opa war blau im Gesicht, an den Händen, am Nacken! Ja, das war das Ende vom Lied — Opa hatte im Dämmerlicht de Tintenflasche erwischt; die in Reserve im Regal stand! Vater gab aber Opa den guten Rat: Bloß nicht mit Tinte de Kopke önriewe, dat helpt nich...!
: ''Zu den Utensilien eines ABC-Schützen gehörten neben Fibel und Rechenbuch eine Schiefertafel mit Schreiblinien auf der einen und Rechenkaros auf der anderen Seite. Seitlich waren an zwei langen Bändern ein Schwämmchen und ein Lappen befestigt oder aus Kostenersparnis auch nur zwei Lappen. Auf jeden Fall hatte eines der beiden immer feucht zu sein, um damit das Geschriebene fortwischen zu können. Mit dem anderen schnell trockengewischt, war die Tafel dann gleich wieder einsatzbereit. Der Lehrer überprüfte hin und wieder die Feuchtigkeit des Schwammes/Lappens, aber wenn er nicht hinsah, tat's auch Spucke, und bei einem einzelnen Buchstaben war der schnell im Mund nass gemachte Finger sowieso präziser einzusetzen. Außerdem fingen die feuchten Wischer bald an zu stinken - eine wirklich unhygienische Sache! - und mussten durch neue ersetzt werde. Geschrieben wurde mit einem Griffel aus Schiefer. Er war etwa so lang wie ein Bleistift, aber dünner, und da er keine Holzummantelung besaß, war er leider nicht bruchsicher. Angespitzt wurde er mit einem scharfen Messer, aber verständlicherweise nur von Erwachsenen. Deshalb war es ratsam, morgens gleich mehrere gut angespitzte Griffel in seinem hölzernen Griffelkasten zu haben, die dann beim Laufen vernehmlich im Tornister (Schulranzen) klapperten, während die beiden seitlich heraushängenden Läppchen - oft im Verein mit den Zöpfen - lustig hinterher flogen. In der zweiten Klasse begannen wir, Bleistift und Hefte zu benutzen, in der dritten Federhalter und Tinte.    [https://wiki.genealogy.net/Waldfrieden_(Ostp.)#Volksschule_Waldfrieden]''


'''  Berta und Ferdinand Tuttlies '''  sprachen in Willschicken mit ihren Eltern noch fließend Litauisch  - die Kinder - wie '''  Hildegard Tuttlies ''' - verstanden noch Teile, sprachen es aber nicht mehr selber - Platt dagegen sprach noch die gesamte Familie. Siehe auch den Text von ''' Hildegard Kiehl, geb. Tuttlies ''' [https://wiki.genealogy.net/Aulenbach_-_ALT#Willschicken_-_Erinnerungen.2C_Flucht_und_Neuanfang Willschicken - Erinnerungen, Flucht und Neuanfang]. Der litauische Name Tuttlies heißt übersetzt Wiedehopf.''<br>'' 
===<big>Das Soldatengrab aus dem 1. Weltkrieg</big>===
[[Datei:Chronik Ksp. Aulenbach (Ostp.) - Ostpreußen - 1914 - KARTE - Frontverlauf Russische und Deutsche Armee.jpeg |thumb|left|350px|<center>|<center>Frontverlauf der Ostfront im August 1914 </center>]]
[[Datei:14 Soldatengrab.jpg|right|thumb|350 px| <small> <center> Das Soldatengrab vor dem Wohnhaus der Familie Tuttlies 1915 zunächst noch ohne Zaun innerhalb der aufgestellten Pfosten. Bei genauerem Hinsehen ist aber das Kreuz erkennbar </small> </center>]]


<gallery widths="500" heights="350" perrow="2" caption="Hildegard Tuttlies, Gerda Weinowsky und die Sonntagspuppe">
Bereits 2 Wochen nach Beginn 1. Weltkrieges am 01. August 1914, fiel Russland schneller als erwartet in Ostpreussen ein. Vom August 1914 bis zum Februar 1915 waren bis zu zwei Drittel Ostpreußens zeitweise russisch besetzt. Die zweimal durch Ostpreußen ziehende Frontlinie hinterließ durch die Kampfhandlungen ein zerstörtes Land. Traurige Höhepunkte waren die Schlachten bei [[Stallupönen]] (17. August 1914, [[Gumbinnen]] 19.-20. August 1914), [[Tannenberg (Ostpreußen) | Tannenberg]] (23.-31. August 1914) und Masuren (07.-16. Februar 1915).  
Datei:06 Hildegard und Gerda.jpg|Sonntagspuppe, Gerda Weinowski, Hildegard Tuttlies, Quelle: Foto: privat
Datei:Hildegard mit Puppe.jpg|Hildegard Tuttlies mit ihrer Puppe, die nur Sonntag hervor kam, Quellen: Foto: privat
</gallery> 


In der kaisertreuen Presse wurde Paul von Hindenburg als Sieger von [[Tannenberg (Ostpreußen) | Tannenberg]] und Befreier von Ostpreußen gefeiert, im Volk gewann er eine hohe Popularität. Im Ersten Weltkrieg übte die von ihm geführte Oberste Heeresleitung nach diesem Erfolg von 1916 bis 1918 praktisch eine diktatorische Regierungsgewalt aus, der sich der Kaiser unterordnete. Die deutsche Niederlage im ersten Weltkrieg begründete er später mit der sogenannten [[https://de.wikipedia.org/wiki/Dolchstoßlegende Dolchstoßlegende]].


Eine der vier Marjellens ist meine liebe Gerda. Mit ihr bin ich zusammen zur Schule gegangen, sie ist genau so alt wie ich. Sie wohnt in Bielefeld. Wir stehen bis zum heutigen Tage noch immer in Verbindung und sind dick befreundet. Wir telefonieren oft miteinander und tauschen unsere Erinnerungen aus — meistens auf platt! Auch unsere liebe Heimatgruppe ist immer im Gespräch... Ja, das war mein Zuhause, mein warmes Nest!
Bereits 1914 setzte man eine Kommission ein, welche die Verluste in Ostpreußen protokollieren sollte. Für die Gesamtprovinz belief sich der Schaden auf 1,5 Milliarden Mark. Etwa 1.500 Zivilisten waren der Besatzung zum Opfer gefallen. Insgesamt kamen während der Kämpfe 1914/15 über 61.000 Soldaten ums Leben – 27.860 Deutsche, 1.100 Österreicher sowie 32.540 Russen. Dramatische Auswirkungen zeigte der Verlust an Vieh und Pferden, der die Versorgung ernsthaft gefährdete. Viele Menschen hatten während der russischen Besetzung in ihren Dörfern ausgeharrt oder waren auf der Flucht von russischen Truppen überrascht worden. Auf ‚Spionageverdacht‘ hatten die Besatzer gnadenlos reagiert, es war zu zahlreichen Exekutionen gekommen. …  Insgesamt wurden bis zu 13.000 Zivilisten nach Russland deportiert.<ref> Kossert: ZEIT 13.02.2014 </ref>


Mutter '''Berta Tuttlies''' blieb 1914/15 mit vier Kindern zu Hause. '''Hildegard Tuttlies''' spätere verh. Kiehl wurde erst 1920 geboren. In Willschicken stand im August 1914 die russische Militärverwaltung vor der Tür von Mutter Tuttlies und suchte Unterkünfte für verwundete russische Soldaten in der Umgebung. Das Wohnhaus musste geräumt werden und Mutter Tuttlies und ihre vier Kinder zogen zuerst in die Scheune, nach zwei Wochen auf den Dachboden des Wohnhauses. Die Küche durfte nach Absprache weiter benutzt werden. Anfang September 1914 wurde ein schwerverwundeter russischer Soldat in das Wohnhaus gebracht, der bald darauf verstarb. Beim Abräumen des Sterbelagers durch Mutter Tuttlies standen plötzlich zwei russische Soldaten mit dem Gewehr im Anschlag vor ihr. Erst die Rufe von anderen Verwundeten „Rotes Kreuz Haus, Rotes Kreuz Haus“ bewegte die Soldaten, sich zu entfernen. Vermutlich waren sie auf der Suche nach Wertgegenständen oder Alkohol. Der verstorbene Soldat wurde von der russische Militärverwaltung etwa 20 Meter vom Wohnhaus entfernt beerdigt, am Rand des Grabens der Grünheider Straße. Am Ende des 1. Weltkriegs kam Vater Tuttlies gesund nach Hause. Das Soldatengrab wurde nach Abzug der Russen 1915 durch die Familie gepflegt.  Es erhielt ein kleines Holzkreuz mit der Inschrift: ''„Hier ruht ein unbekannter russischer Soldat“ '' und einen Staketenzaun mit einer gezimmerten Tür. Zunächst wurde das Grab durch vier hohe Pfosten gesichert. Die Kinder waren für das Unkraut verantwortlich. Zum 1. Weltkrieg siehe auch den separaten Text [["Ländliche Entwicklungen in Ostpreußen, dargestellt am Beispiel von Willschicken (Ksp. Aulenbach Ostp.)"|„Ländliche Entwicklung in Ostpreußen am Beispiel des Dorfes Willschicken (Ksp. Aulenbach Ostp.)“]]


'''2. Weltkrieg'''
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: So, das war der erste Teil <br />Aufgeschrieben von '''Klaus Kiehl, Hamburg''', 2023  <br />Ein besonderer Dank gilt Herrn und Frau Mattulat. Sie haben dankenswerterweise wichtige Eigenarbeiten zur Verfügung gestellt  <br />In der Hoffnung, dass alle Angaben und Quellen richtig eingeordnet sind, sind Berichtigungen und neue Informationen herzlich willkommen. Bitte senden Sie diese an Klaus-Kiehl@t-online.de  <br />Hier beginnt der zweite Teil.  <br />Aufgeschrieben von '''Hildegard Kiehl, geb. Tuttlies  Hamburg''', 2020


Am 1. September 1939 war der Krieg ausgebrochen — aber wir fühlten uns in unserem Ostpreußen in Sicherheit. Wir waren ja weit weg vom Schuss, vom großen Deutschen Reich und hatten reichlich zu essen und zu trinken, und wir waren ja die Kornkammer Deutschlands!
<br>


„Denn heute gehört uns Deutschland", sang die Jugend vor Begeisterung! Ich war 19 Jahre alt und hatte mir nach der Handelsschule eine Stelle im Büro auf dem Lande, im herrlichen Masuren in Pristanien/Paßdorf bei Angerburg gesucht. Zur Lage siehe: [[Ziegelei Mauerwald|Ziegelei Mauerwald – GenWiki (genealogy.net)]]
== <big>Willschicken - Erinnerungen, Flucht und Neuanfang</big> ==
<br> [https://gedbas.genealogy.net/person/ancestors/1341029087  '''Hildegard Kiehl, geb. Tuttlies'''] wurde am 21. März 1920 in Willschicken in Ostpreußen geboren und ist am 19.06.2021 in Hamburg verstorben. Das langjährige Mitglied der Insterburger Heimatgruppe Hamburg hatte bei den Treffen immer viel aus ihrer Jugend zu erzählen. Auch ihre Enkel waren gespannte Zuhörer, für diese schrieb sie den nachfolgenden Text im Alter von 100 Jahren, im Herbst 2020 auf. Viele Detail basieren auf Ihren Erinnerungen


Es war die große Baumschule „Bruno Wenk" mit 12 Angestellten, vom Obergärtner bis zu den Lehrlingen; dazu war mein Chef „Bürgermeister" und die Postagentur gehörte auch da hinein. Im Büro waren wir zwei Angestellte, also gab es reichlich zu tun. Aber trotzdem war ich viel am Mauersee, der ganz in unserer Nähe lag. (Wo dann später das Führerhauptquartier, die „Wolfsschanze" gebaut wurde).
=== <big>Erinnerungen</big> ===


Wir hatten ein weibliches Arbeitsdienstlager mit über 100 Maiden in unserem Bezirk (Kreis Rastenburg). Sie waren im „Reich" beheimatet und bekamen viel Post, die sie sich selbst abholten.
Einleitende Anmerkungen zum Erinnern <ref name="Erinnerungen">[https://de.wikipedia.org/wiki/Erinnerung Erinnerungen - Wikipedia, abgerufen 01.06.2023</ref>: 
   
   
Der folgende Text wurde eingefügt:
:* Erinnerung ist das gedankliche Wiedererleben früherer Erlebnisse und eigener Erfahrungen.
:* Erinnerungen enthalten meist Bilder oder Szenen mit Landschaften, Tageszeiten und Gegenstände, mit Sprachen, Geräusche oder Temperaturen, auch Gerüche und Hautkontakte, vor allem aber Gefühle.
:* Ereignisse, die sich aus verschiedenen Erinnerungen zusammensetzen und die man häufig und ähnlich erlebt hat, verschmelzen mit der Zeit und lassen sich dann oft nicht mehr als einzelne Erinnerung abrufen.
:* Ein Kontrollprozess im Gehirn wählt aus, welche der aktuellen Wahrnehmungen überhaupt zum Kurzzeitgedächtnis und welche weiter zum Langzeitgedächtnis gelangen.
:* Das Erlebnis ist ein Ereignis im Leben eines Menschen, das sich von seinem Alltag so sehr unterscheidet, dass es ihm im Langzeitgedächtnis bleibt.
:* Als Erfahrung bezeichnet man die durch Wahrnehmung und Lernen langfristigen erworbenen Kenntnisse und Verhaltensweisen.
:* Ein vergangenes Erlebnis, durch die eigene Erfahrung rückwirkend betrachtet, kann die aktuelle Erinnerung steuern.
:* Entscheidend sind daher die subjektive Einordnung und Bewertung der Ereignisse, wie z. B. in der Heimat, während des Krieges, auf der Flucht und der Neuanfang.
:* Positive Erinnerungen überwiegen im Normalfall im Langzeitgedächtnis.
:* Negative Situationen werden vom Langzeitgedächtnis meistens nur begrenzt gespeichert und erinnert oder sie werden "verdrängt". Das gilt vor allem für extrem wahrgenommene Situationen.
:* Erinnerungen stammen aus dem Langzeitgedächtnis, das bei Personen sehr unterschiedlich ist. Es nimmt in der Regel mit dem Alter ab, das Tempo ist aber unterschiedlich.
:* Rückfragen, gelesene Texte, alte Fotos und erlebte Musik können helfen, sich an vergangene Erlebnisse zu erinnern.
:* Werden Erinnerungen über Generationen hinweg nur mündlich weitergegeben, können sich die Inhalte verändern. Schriftliche Erinnerungen sind daher besser überprüfbar.
 
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====<big>Zu Hause in Willschicken</big>====
[[Datei:17 Familie Tuttlies 3.jpg|right|thumb|350 px|<center> '''Familie Tuttlies in Ihrem Garten '''<br> 2. v. li. Hildegard mit ihrem Freund dem Ziegenbock Mäck<br> <small> (ca. 1925) Willschicken, Ksp. Aulenbach </small> </center>]]
 
: ''Im März 2020 wurde ich 100 Jahre und genau vor 100 Jahren in Willschicken geboren. Aufgewachsen bin ich auf dem Lande in einem warmen Nest; in keinem Heuhaufen, sondern auf einem Bauernhof, mit zwei Brüdern und einer Schwester. (Max, Friedel und Erich - der jüngste Bruder Otto ist schon mit 3 Jahren verstorben).''
 
: ''Unsere Eltern haben uns mit viel Liebe und Fürsorge erzogen. Meine Spielgefährten waren alle Tiere, die ein Bauernhof besitzt. Meinen kleinen Ziegenbock, meinen Mäck, darf ich nicht vergessen. Er folgte mir auf Schritt und Tritt und ich tobte mit ihm um die Wette — besonders im Blumengarten, wenn dieser sauber hergerichtet war. Zur Freude meiner Mutter!! Ich war damals noch keine 5 Jahre alt, mein Mäck höchstens ein halbes Jahr alt. Für meine älteren Geschwister war ich stets die Kleine, sie behielten mich immer am Auge, soweit es ging. Nur wenn ich bei Lux, unserem Hofhund in seiner Hütte saß und mich nicht meldete, wenn ich gerufen wurde, waren sie etwas besorgt.''
 
: ''Knappe 10 Minuten Fußweg von uns entfernt war mein Ehemann ([https://gedbas.genealogy.net/person/ancestors/1341029086  '''Gerhard Kiehl''']) daheim. Seine Eltern besaßen ein Kolonialwarengeschäft mit Gastwirtschaft und einen kleinen Saalbetrieb. Damals ahnte ich noch nicht, dass ich einmal dazu gehören werde! Aber mein Vater ging gerne dort hin. Überhaupt, wenn ein großes Treffen der bekannten Bauern aus der Umgebung war, am Tage der Schweineablieferung in [[Grünheide]] auf dem Bahnhof. Alle Bauern kehrten dann ( ...die Fuppen voller Geld, es war der Erlös für die Schweine) zum Umtrunk bei meinen Schwiegereltern in Pillwogallen ein.''
 
: [[Datei:Chronik Ksp. Aulenbach (Ostp.) - Willschicken - 1930 - FOTO - Hof Tuttlies Hundehütte von Hofhund Rolf FA v2.jpg|left|thumb|150 px|<center> '''Lux''' - zu ihm kroch ich oft in die Hütte und niemand hat mich gefunden </center>]]
 
: ''Pillwogallen kommt aus dem Litauischen und heißt deutsch: „Bauchende". Das gefiel den Einwohnern schon lange nicht. Auf Sondergenehmigung des Landrates Insterburg wurde der Name schon 1928 in „[[Lindenhöhe]]" unbenannt! Dort wurde der Insterburger Reiterschnaps ausgeschenkt. Ein Stück Würfelzucker und zwei ganze Kaffeebohnen wurden zerkaut und mit einem Korn nachgespült. Oder es gab einen Pillkaller. Wieder ein Gläschen Korn mit einer Scheibe deftiger Leberwurst mit einem Klacks Mostrich drauf! Vater kam dann reichlich verspätet nach Hause — aber stets lustig!''
 
: ''Opas ([https://gedbas.genealogy.net/person/ancestors/1341029086 '''Gerhard Kiehl''']) zuhause war ein Kolonialwaren Geschäft mit Gastwirtschaft (später bekannt als Gasthof '''Fritz Lerdon''', [[Lindenhöhe]]), und dort kauften alle Bewohner im weiten Umkreis ein. Es gab fast alles, was das Herz begehrte. Mehl, Zucker, Bonbons, Schmalz, Kuhketten, Holzschlorren, Klumpen, Bier , Wein, Alkohol, Wagenschmieren und Salzheringe. Sie lagen in einem großen Fass in Salzlake. Das Holzfass stand gleich hinter der Ladentür, darüber ein großer Stapel Packpapier als Einwickelpapier.''
 
[[Datei:01 Wohnhaus.jpg|right|thumb|350 px|<center> '''Fam. Tuttlies vor ihrem Wohnhaus mit Nachbarin''' 1925 (Willschicken) Ksp. Aulenbach </center>]]
 
: ''Nun benötigte meine Mutter ([https://gedbas.genealogy.net/person/ancestors/1341029089 '''Berta Tuttlies geb. Burba''']), eure Uroma Salzheringe. Sie wurden gewässert und dann eingelegt. Also machte sich mein Vater ([https://gedbas.genealogy.net/person/ancestors/1341029088 '''Ferdinand Tuttlies''']), Euer Urgroßvater auf die Beine, um 10 Salzheringe zu holen. Bis [[Lindenhöhe]] waren es keine 10 Min. Fußweg auf einer glatten Straße. Für  meinen Vater ein schöner Spaziergang am frühen Vormittag. „Öck kom bol wedder“ sagte mein Vater zu meiner Mutter, nahm seinen Krückstock vom Haken, setzte seine „Schlippkemütze“ auf und marschierte dann los! Doch vom baldigen Nachhausekommen wurde nichts. Ich entsinne mich noch, wie meine Mutter immer unruhiger wurde. Die Stunden vergingen un meine Mutter wurde auf Vater sehr böse. Das Mittagessen war fertig und wieder vom Tisch abgeräumt, die Schweine versorgt, die Kühe gemolken und immer noch kein Gebein von Vater. Ich weiß nicht mehr, wann er wirklich kam. Ich habe in Erinnerung, wie er frohen Mutes ins Haus reinkam und vorsichtig das Päckchen mit den Salzheringen auf den Küchentisch legte. Vater hatte zuvor viel zu erzählen, wen er alles im Krug in [[Lindenhöhe]] getroffen hatte, alles alte Bekannte und alle geben eine Korn nach dem anderen aus. Ein Korn kostete damals 10 Pf. und er, der Nante Tuttlies, musste tüchtig mithalten – und deshalb ist es auch etwas später geworden. ''
 
: ''Meine schweigsame Mutter hatte inzwischen das Päckchen mit den Heringen aufgemacht – darin lag nur noch ein einziger Salzhering! Auch meinem Vater blieb die Spucke weg. „Ei der Dausend, wo sön de andere geblewe? Bestennt söb se miet ut de natte Papier underweges rutgerutscht!“ Und so war es. Sie hatten ja schon einige Stunde im Packpapier gelegen und es aufgeweicht. Vater nahm darauf stillschweigend seine Schlafdecke und ein Sofakissen unter den Arm, ging über den Hof zum Stall, stieg die Leiter hoch und verschwand durch die Luke auf seinen geliebten Schlafplatz im Heu. Ja und dann? Ich war damals 5 Jahre alt und wurde von meiner Mutter mit einer Schüssel losgescheucht, vielleicht noch einige Heringe am Straßenrand zu finden. Ein Hering kostete 10 Pf. und die 10 Stück 1,-- Reichsmarkt und das war Geld. Und was glaubt Ihr? Ich hatte Glück und brachte alle Neune meiner Mutter heim. Sie lagen meistens verstreut im Gras am Straßenrand. Die „Unglücks-Heringe“ wurden gut gewaschen, gut gewässert und dann sauer eingelegt. Euer Uropa hatte bald seinen Rausch ausgeschlafen, Eure Uroma ihren Ärger vergessen, denn die kleine Marjell, die Hills, hatte ja alles wiedergefunden. Es wurde noch viel darüber gelacht.''
{{-}}
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|[[Datei:03 Gasthof.jpg|thumb|365 px|<center> '''Der Gasthof Fritz Lerdon''' früher '''Hedwig Kiehl''' (1930)<br> Foto rechts : Innenansicht der Gastwirtschaft Lerdon (1931)<small> </center></small>]]
|[[Datei:Gastwirtschaft.jpg|thumb|385 px|<center> 1.v.re: '''Hedwig Lerdon verwitwete  Kiehl, geb. Padefke''' 4.v.re: '''Fritz Lerdon''' (im Hintergrund), li. '''Walter Kiehl''', gefallen 1944 </center>]]
|}
</center>
{{-}}
: ''Anfang April 1926 wurde ich in ein Matrosenkleid gesteckt, die langen Strümpfe hatte Mutter selbst aus Schafswolle gestrickt (kratzten fürchterlich). Meine schwarzen Spangenschuhe wurden gewienert und einen Tornister bekam ich aufgehubbelt! An Mutters Hand ging es in die zweitklassige Schule nach Pillwogallen. Ich war sehr neugierig auf sie. Als ich dann einige Tage artig auf meinem Platz gesessen und mir alles angesehen hatte, fiel mir ein, dass gerade unsere Küken aus den Eiern zu der Zeit rausgekrabbelten, und ich musste dabei sein! Also ließ ich meinen Ranzen in der Bank liegen und ging nach Hause. Doch ich kam nicht weit. '''Lehrer Wiederhöft''' holte mich ein, fasste mich am Schlafittchen und meinte: „Ille (so nannte er mich) Du gehörst in die Schule!" Gefiel mir gar nicht. Viel schöner war es Zuhause, bei meinem Ziegenbock!''
{{-}}
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{|
|[[Datei:05 Schulweg.jpg|thumb|250 px|<center> <small> Ehemaliger Schulweg '''Hildegard Tuttlies''' und '''Ursel Weinowski'''. Links ist die Schule erkennbar </center>]]
|[[Datei:Schule Pillwogallen.png|thumb|800 px|<center> '''Der Weg zur Schule in Pillwogallen''' (1982) </center>]]
|}
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{{-}}
: ''Das linke Foto zeigen die Straße von uns nach [[Lindenhöhe]]. Hinter dem Gehöft auf der rechten Straßenseite kam gleich der Dorfteich und dann anschließend, ebenfalls an der Straße gelegen, Opas ('''Gerhard Kiehl''') zuhause. Auf der linken Straßenseite des Bildes ist im Hintergrund ein größeres helles Haus zu sehen. Es war unsere Volksschule. Opa ging hier vier Jahre und anschließend zur Oberschule in [[Insterburg]] und [[Gumbinnen]]. Ich hielt es acht Jahre aus, ging aber dann noch anschließend zur Handelsschule in [[Insterburg]]. Auf dem Foto geht Oma mit ihrer Freundin spazieren.  Das rechte Foto zeigen die Straße von uns nach [[Lindenhöhe]] im Jahr 1982.''
{{-}}
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|[[Datei:04 Schule.jpg|thumb|390 px|<center> '''Schule in Pillwogallen''' (um 1930)<br>Foto rechts : Schüler der Schule im Pillwogallen (1931) </center></small>]]
|[[Datei:Schule in Pillwogallen.png|thumb|365 px|<center> Re.:  '''Lehrer Wiederhöft''' ohne Kopf, 2.v.r. stehend: '''Hildegard Tuttlies''' daneben sitzend '''Ursel Weinowski'''</center>]]
|}
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{{-}}
: '' Anbei noch einmal unsere liebe alte Schule. Rechts und links je ein Klassenraum, vor dem Haus war ein Spielplatz,  hier haben wir in den Pausen Völkerball gespielt oder aber auch Singspiele waren damals an der Tagesordnung, natürlich ohne die „frechen Jungen“. Durch die Haustür kam man in einen kleinen Flur, dort stand ein hohes Schuhregal, worin wir im Winter unsere „Holzschlorren“ hineinstellten, denn fast alle Kinder trugen sie der Kälte wegen mit selbst gestrickten dicken Strümpfen aus Schafswolle. Ein jeder hatte aber warme Hausschuhe für die Schulstube im Ranzen. Auf dem Schulweg kamen wir an der „Haus-Schmiede" vorbei. Sie war tipp topp und er ein guter Schmied. Er hatte schon die dritte Frau am Haken und 12 Kinder und ein sehr baufälliges Wohnhaus, in das es reinregnete. War es des Nachts, wenn sie schon im Bett lagen, sagte sie zu ihm: „Papake, spann dem Scherm op! On et wer wi im Himmel!" In der Schule saßen hinter mir zwei Lautze von der Sorte. Ich hatte lange Zöpfe und die steckten sie mir ins Tintenfass, das hinter mir stand. Und ich hatte ein weißes besticktes Nesselkleid an. Worüber sich Mutter wieder sehr freute! Auch Martha gehörte zur Familie. Sie war eine drugglige Merjell und plinste oft, wenn sie in der Schule nicht weiterwusste.''
 
[[Datei:Fasching der Handelsschulkasse in in Insterburg 1938, bei den Tuttliesen Max zu Hause, in der Albrechtstraße 15, oberste Reihe, zweite von rechts, Hildegard Tuttlies, unten Manfred, Max und Gertrud Tuttlies.png|right|thumb|350 px|<center> <small> Fasching von Handelsschülern in Insterburg 1938, bei Max Tuttlies zu Hause, in der Albrechtstraße 15, oberste Reihe, zweite von rechts, Hildegard Tuttlies, unten von rechts Manfred, Max und Gertrud Tuttlies</center> </small> ]]
 
: '' Viele Jahre lebten wir in guter Nachbarschaft mit '''Hermann Weinowski'''. Er war der Opa von unserem '''„Heinz Weinowski"''', der 2001 mit seiner Ursel zu unserer Heimatgruppe kam, und wir wussten beide nicht, wer wir waren! Die Überraschung war groß!''
 
: '' Die Jahre vergingen und ich durfte schon mal auf den Schwoof gehen. Am schönsten waren die Manöverbälle bei meinen Schwiegereltern im Garten, auch dort war eine Tanzfläche aus Holz vorhanden. Mein Vater hatte meiner Schwester und mir vor dem Gehen zur Aufgabe gemacht, jede noch zwei Kühe zu melken. Meine „Muschekühe" waren artig, ich erzählte mich oft mit ihnen und streichelte sie auch. Aber bei meiner Schwester war es anders. Sie bedeckelte sie oft mit dem Melkschemel — und dann tanzten sie im Ross-garten Polka, zur Soldatenkapelle, die wir schon spielen hörten!''


“Das Pflichtjahr wurde 1938 von den Nationalsozialisten eingeführt. Es galt für alle Frauen unter 25 Jahren – sogenannte Pflichtjahrmädel/-mädchen – und verpflichtete sie zu einem Jahr Arbeit in der Land- und Hauswirtschaft. Es stand in Konkurrenz zum etablierten Landjahr sowie ab 1939 durch die Einführung des Reichsjugenddienstpflichtgesetzes zum Dienst im Rahmen des Reichsarbeitsdienstes. Dies betraf vor allem jene Jugendlichen, die bis dahin keiner Parteijugendorganisation angehörten und zudem auch keine Berufsausbildung absolvierten. Die Zwangsverpflichtung im RAD erfolgte dabei nach rein willkürlichen Richtlinien, ohne Rücksicht auf Interessen, Fähigkeiten oder Affinitäten jeglicher Art. Weder der Dienstort noch die Art der Tätigkeit standen dabei zur Auswahl.
: '' Und wieder verging die Zeit – und ich hatte meinen Gerhard geangelt, oder er mich? Wir wollen meinen 18. Geburtstag gebührend feiern. Nicht daheim, sondern in Insterburg im Kaffee Alt-Wien! Mein Mann war damals in [[Insterburg]] als Berufssoldat stationiert. Ich hatte meine Bleibe bei meinem ältesten Bruder und seiner Familie in der Albrechtstraße 15, dem großen Eckhaus, das heute noch steht. Ich ging in Insterburg zur Handelsschule.''
   
   
“Neben dem männlichen Arbeitsdienst war mit dem Reichsarbeitsdienstgesetz auch der weibliche Arbeitsdienst (RADwJ) für junge Mädchen (Arbeitsmaiden) im Alter von 18 bis 21 Jahren eingeführt worden. Ab dem Jahr 1938 entstanden überall im damaligen Deutschen Reich 327 Lager des weiblichen Arbeitsdienstes, von denen 108 als Bauernlager, 116 als Siedler- und 108 als NSV-Lager (Nationalsozialistische Volkswohlfahrt) anzusprechen waren. Damit zeigte sich bereits die Einsatzart der weiblichen Arbeitsdienstangehörigen. Sie wurden entsprechend auf Bauerhöfen als Hilfskräfte (Mägde) eingesetzt oder in landwirtschaftlichen Siedlungen als Kindermädchen, Säuglingsschwestern, Lehrerinnen oder als eine Art von Sanitätspersonal.“ Quelle: https://www.bildarchiv-ostpreussen.de/cgi-bin/bildarchiv/suche/show_foto.cgi?lang=deutsch&id=17450
: ''Alles war vorbereitet und wir saßen mit unseren geladenen Gästen im Kaffee Alt-Wien. Die Musik spielte die schönsten Weisen von „Waldeslust" und „Es war einmal ein treuer Husar...". Der Wein mundete hervorragend und wir waren sehr lustig und vergnügt! Bis ich beim Tanzen plötzlich auf meinem Rücken einen leichten „Schurrr..." vernahm. Ob mich der Gerhard zu sehr an sich gedrückt hatte 9 Ich wollte es wissen und ging zur Garderobenfrau. „Freileinchen — Sie sind aufgeplatzt...!" rief sie. Der ganze Rücken meines schwarzen Taftkleides vom Ausschnitt bis zum Gürtel war bloß...! Und nun stand das aufgeplatzte „Freileinchen" da — was war zu machen? Es war ein Kleid aus Mutters Beständen, das uralt war und für mich umgearbeitet worden war. Die Musik spielte, und ich feierte meinen 18. Geburtstag. Heute wäre ein bloßer Rücken (und noch etwas Nacktes) in Mode gewesen; aber damals? Aber Dank Mutters Fürsorge hatte ich meine lange selbstgestrickte Jacke aus Schafswolle unter dem Mantel an. Sie zog ich über, ging zurück zum Tisch und tanzte und schwitzte mit allen Gästen und meinem Gerhard als „aufgeplatzte Braut"... Das Taftkleid war lange Jahre unbenutzt, es hing gut aufgehoben auf der Lucht in dem großen Schrank, hinter Vaters „Schößchenrock". Taft verschleißt nach Jahren, und das war der Fall.''
 
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==== <big>Kornaust, Kruschkemus und Wrukensuppe</big> ====
 
[[Datei:Chronik Ksp. Aulenbach (Ostp.) - Willschicken - 1930 - FOTO - Hildegard Tuttlies mit Zöpfen.jpg |thumb|left| 200 px|<center>|<center> <small> Hildegard mit ihren stolzen Zöpfen, die in der Schule einmal von einem frechen Jungen in ein Tintenfass getaucht wurden </small> </center>]]
[[Datei:Hildegard mit Puppe.jpg|right|thumb|350 px| <center> Hildegard Tuttlies mit ihrer Puppe, die nur Sonntag hervorkam </center>]]


<gallery widths="500px" heights="350px" perrow="1" caption="Zeugnis Hildegard Tuttlies">
: ''Nun ist es über 75 Jahren her, dass wir aus unserer geliebten Heimat vertrieben wurden. Fast nichts konnten wir mitnehmen, aber wir sind voll mit unserem Ostpreußen verbunden und verstehen die alten Ausdrücke, mit denen wir aufgewachsen sind. Wer weiß, was ein „Pomuchelskoopp" ist? (ein dicker, großer Fisch — oder auch ein Schimpfwort „Du Dammliger....!") oder was auch ein „Kalabräser" ist?''
Bild:07_Zeugniss.jpg| 1942, Quelle: Abbildung: privat
</gallery> 


[[Datei:06 Hildegard und Gerda.jpg|left|thumb|200 px| <center> Die Sonntagspuppe, Gerda Weinowski, Hildegard Tuttlies </center>]]


Hildegard Kiehl fährt fort:  
: ''Ich konnte nicht stillsitzen und war immer neugierig. Wenn unsere lieben Nachbarn Onkel '''Hermann & Tante Auguste Weinowski''' zu uns in die „Uhleflucht" zum „kadreiern" (erzählen) kamen, war es für mich ein Ereignis! Vater saß dann mit Onkel Hermann auf der Bank vor der Haustüre. „Mien Mutterke" aber mit Tante Auguste im Garten; und ich sauste von einem zum anderen, um viel mitzubekommen! Die lieben Nachbarn waren die Großeltern von unserem '''Heinz Weinowski''', der 2001 mit seiner Ursula zu uns in die „Heimatgruppe [[Insterburg]] / Sensburg" kam. Bis dahin wussten wir aber noch nichts voneinander. Die schönsten Zeiten waren für mich im Sommer die „Kornaust" und im Winter das „Federreißen" am warmen Kachelofen. Herrlich war es, wenn es draußen schneite oder gar „stiemte"! Wir saßen ja im Geborgenen. Da durften wir Kinder keine „Flunsch" ziehen, wenn uns die Arbeit nicht passte! Wurden wir noch „oppstornosch", gab es von Vater einen kleinen „Mutzkopp", ab und zu „plinsten" wir uns noch aus und wir waren dann nicht mehr „gluppsch", vielleicht noch ein wenig „dreibastig"... (frech)!''


Auch ich bekam viel Post von Opa! (d.h. ihrem späteren Ehemann. red.) Zuerst aus Insterburg, später kamen dann Feldpostbriefe von der Front. Auch besucht hat er mich oft in Masuren.
: ''Mutter hat immer gut für Essen und Trinken gesorgt! Von „Klunkermus" mit Farin gesüßt, „Keilchen", „Pierag", selbstgemachte „Glumse" mit selbst gekochter Kirschkreide im großen Waschkessel in der Waschküche unter ständigem Rühren mit Zucker einige Stunden gekocht. „Brennsuppe", „Wrukensuppe", „Kruschkemus", „Kissehl", „Königsberger Fleck" mit 6 Gewürzen, gebackene Stinte — und meine „Spirgel", die ich heute noch gerne esse! Einige Leute daheim waren „Gniefke" (Geizhälse). Sie saßen auf ihren „Dittchen". Selten, daß sie einen „Kornus" geschweige einen „Pillkaller" ausgaben; und zum „Barbutz" gingen sie auch nicht. Dann kam ein „Bowke", er musste aber schon älter sein aus der Nachbarschaft und schnitt ihnen die Mähne mit der Schere. Zuhause wurden von Männern viel „Klumpen" und von Frauen „Schlorren" getragen. Prima waren sie zum „Schorren" auf dem Eis. Es ging aber auch ohne sie — auf selbstgestrickten dicken Socken aus Schafswolle! Im Hause schlüpfte man in warme „Wutschen", die oft per Hand hergestellt waren.  Erläuterungen dieser ostpreußischen Ausdrücke unter : [http://www.brieskorn.de/Brieskorn/Dokumentation/Ostpreussisch/body_ostpreussisch.html  Begriffe: "Der ostpreußische Dialekt"]''


Die Zeit lief dahin. Ich war dort von 1939 bis 1943, vier Jahre — und dann kam der grausame Krieg immer näher an unsere Heimat. Mein Bruder Erich, der auf dem Hof bei meinen Eltern lebte, wurde zur Front eingezogen. Als Sanitäter arbeitete er meistens in Lazaretten. Für ihn erhielten Uropa und -Oma einen Weißrussen, Michael, als Arbeitskraft. Er war ein anständiger und fleißiger junger Mann, er war gerne bei uns.
: ''Gingen wir aber zum „Schwoofen", wurden die Sonntagsschuhe angezogen. Während des „Schwoofens" bekam man auch ab und zu mal einen „Bärenfang" spendiert und zum "Verzählchen" eingeladen. Die Männer tranken gerne „e Tulpche Bier", aber nicht zu viel, dass man sich nicht de „Tuntel" begoss! Auch wenn derjenige seine Spendierhosen anhatte, und noch gerne einen ausgegeben hätte! Aber auf dem Nachhauseweg hätte man sich leicht „verbiestern" können! Schlimm war es, wenn ich als kleine „Marjell" einer „Ziegahnsche" oder einem „Pracher" begegnete. Dann nahm das Betteln kein Ende. Hatte ich für sie etwas inne „Fupp", einen „Knasterbombom" oder einen Dittchen, war ich sie los! Mein Vater war wütend, wenn der „Koppschäller" (Pferdehändler) immer wieder zu uns kam. Dieser hatte es auf unsere „Rieke" abgesehen. Sie kam aus [[Neu Lappönen]] und war eine Trakehner Stute, Vater hat dann immer überlegt, wie er den Kerl auf Nimmerwiedersehen loswürde!''


Dann erkrankte mein Vater am Herzen, meine Mutter schaffte es auch nicht mehr, und so ging ich dann nach Hause. Ich wäre auch gerne dort geblieben. Ich hatte großen Spaß an der vielseitigen interessanten Arbeit. Zwar waren fast alle deutschen Baumschulangestellten zur Wehrmacht eingezogen. Aber an ihrer Stelle kamen 20 polnische Hilfsarbeiter, die kaum deutsch sprachen mit einem deutschen Wachmann, der stets eine Pistole bei sich trug, es war grausam! Doch der Versand der vielen Obstbäume, der Nadelhölzer, der Nutz- und Ziersträucher musste ja weitergehen.
: ''Aus der Gegend [[Friedrichsdorf]] und Große Friedrichsdorf kamen häufig auch die Zwiebelfahrer. Sie kamen zu uns mit Pferd und Wagen und riefe: „Zippeln, Zippeln“.  Sie tauschten Zwiebeln gegen Roggen. Gemessen wurde nach Scheffel, ein hölzernes Hohlmaß ca. 40 Liter Inhalt. Unter den Plunderführer verstand man Leute, die in einem kleinen Wagen Lumpen sammelten und zugleich den Leuten allerlei Krimskrams anboten. Sie meldeten sich durch lautes Pfeifen an. Ringe aus Horn und Busennadeln aus Blei waren sehr geliebt.''


So war ich dann wieder Zuhause. Opa kam ab und zu mal von der Front in Urlaub. Die Rückfahrt zur Front war dann immer am schlimmsten. Im Oktober 1943 haben wir geheiratet. Ich blieb aber in Wilkental wohnen. Die Front rückte immer näher. Nachdem die Wehrmacht in Polen besiegt war, rückte Russland weiter vor. Die größten Städte in Ostpreußen wurden schon bombardiert.
: ''Zu unserer Nachbarschaft gehörte auch die '''Familie Baltruweit'''. Sie saßen auch auf einem Bauernhof, Vater, Mutter, Opa, Oma und vier „Marjellens". Opa und Oma waren auf dem Altenteil. Diese bewohnten die kleinste Stube, nur dass sie zur Nacht eine Bleibe hatten. Am Tage waren sie immer noch mit leichter Arbeit in Haus und Hof beschäftigt. Nun hatte Opa Baltruweit in der Nacht oft Nacken- und Kopfschmerzen. Also stand er wieder mal im Halbdunkel auf, tastete sich an sein Regal mit dem verschiedenen Einreibemittel in Fläschchen. Das Mittel wirkte Wunder, dachte er, er konnte schlafen und kam am anderen Morgen munter in die Küche. Doch „o Schreck" — Opa war blau im Gesicht, an den Händen, am Nacken! Ja, das war das Ende vom Lied — Opa hatte im Dämmerlicht de Tintenflasche erwischt; die in Reserve im Regal stand! Vater gab aber Opa den guten Rat: Bloß nicht mit Tinte de Kopke önriewe, dat helpt nich...!


Im Sommer 1944 musste nach Königsberg auch Insterburg daran glauben. Es war sehr schlimm; denn mein ältester Bruder Max wohnte mit seiner Familie dort. Es blieben alle verschont und wurden nach Kroslitz bei Leipzig evakuiert.
: ''Eine der vier Marjellens ist meine liebe Gerda. Mit ihr bin ich zusammen zur Schule gegangen, sie ist genau so alt wie ich. Sie wohnt in Bielefeld. Wir stehen bis zum heutigen Tage noch immer in Verbindung und sind dick befreundet. Wir telefonieren oft miteinander und tauschen unsere Erinnerungen aus — meistens auf platt! Auch unsere liebe Heimatgruppe ist immer im Gespräch... Ja, das war mein Zuhause, mein warmes Nest!''


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<gallery widths="500" heights="350" perrow="2" caption="Kolonialwaren Laden Max Tuttlies vor dem 2.Weltkrieg in Insterburg">
==== <big>Kindheit in Willschicken</big> ====
Datei:08 Kolonialwarenladen.jpg|von links: Max mit Ehefrau Gertrud, Hildegard und Friedel Tuttlies, Insterburg, Quelle: Foto: privat
Datei:Kolonialwarenladen.jpg|von links: Getrud und Max Tuttlies, Erich Tuttlies und Friedel Tuttlies, Quellen: Foto: privat
</gallery>


[[Datei:Schlittenfahrt Kreis Insterburg.png |right|thumb|350 px|<center>  [https://www.bing.com/images/search?view=detailV2&ccid=qxG5X%2Fyk&id=163D7DFA804940CE9528A96C9FCF8634B8F4C7AE&thid=OIP.qxG5X_ykHoVWd5WTETr-DQHaFH&mediaurl=https%3A%2F%2Fi.pinimg.com%2Foriginals%2Fab%2F11%2Fb9%2Fab11b95ffca41e8556779593113afe0d.gif&cdnurl=https%3A%2F%2Fth.bing.com%2Fth%2Fid%2FR.ab11b95ffca41e8556779593113afe0d%3Frik%3Drsf0uDSGz59sqQ%26pid%3DImgRaw%26r%3D0&exph=400&expw=579&q=insterburg+schlittenfahrt&simid=608003525252553498&form=IRPRST&ck=CDFF10FF0E7747FE6A8A19814D65BB9F&selectedindex=60&ajaxhist=0&ajaxserp=0&vt=2&sim=1 Schlittenfahrt im Kreis Insterburg]]]


Für mich war es immer eine Freude, wenn ich zu meinem Bruder Max mit meiner Schwester fahren durfte. Er hatte ein Geschäft mit vielen, vielen Bonbons 
: ''Es war für uns Kinder zu Winterzeit eine Freude, auf blanken Eisflächen auf Schlorren zu rutschen – „schorren“ sagten wir. Noch besser aber   ging es auf den dicken Strümpfen, also ohne Schlorren. Und das schönste war, meine Mutter hat nie geschimpft, wenn ich nass nach Hause kam „De Kinderdes motte sich uttobe“ sagte sie.''
Meine Schwester Friedel wohnte in Königsberg. Ihr Mann war an der Front und sie wurde nach Lugau im Erzgebirge evakuiert.


Im Herbst 1944 mussten auch große Teile der Landbevölkerung die Heimat verlassen. Sämtliche Kühe wurden zu großen Herden zusammengetrieben, und weiter in den Westen sollte es gehen; was wir aber nicht glaubten! Ich höre heute noch das verzweifelte Brüllen der Tiere und unsere älteste Kuh stand eines Tages vor dem Stall auf dem Hof. Sie war heimgekehrt, und wir haben sie behalten. Pferde durften bleiben; denn der Flüchtlingstreck ging mit Pferd und Wagen in den Kreis Mohrungen in Ostpreußen. Der größte Kastenwagen wurde mit einer Plane überspannt und mit Hab und Gut, so viel hineinging, beladen.
: ''Ich wollte gerne unserem Hofhund beibringen, mich auf meinem kleinen Rodelschlitten zu ziehen. Leider ist es mir nie gelungen. Gewiss lag es daran, dass er nur mit einer Schnur am Schlitten festgebunden war. Opa hatte darin mit seinem großen Hund mehr Glück, der Hund gehorchte ihm, er war ja mit einem richtigen Geschirr vor den Schlitten gespannt. Leider, leider hat Opa damals eure Oma noch gar nicht angeguckt, vielleicht hätte er mich dann einmal mitgenommen bei seine Hundeschlittenfahrten. ''


Unser Termin war der 15. November 1944. Doch plötzlich wurde Vater wieder sehr krank. Er hätte wohl den langen Treck mit der großen Aufregung nicht überstanden. So beschlossen wir, noch etwas Daheim zu bleiben.  
: ''Schön waren die Rodelschlittenfahrten über weite Strecken zur Schulzeit. Die Väter der Bauernkinder kamen dann mit Pferden auf einem stabilen Schlitten an der Schule vorgefahren und daran waren unsere Rodelschlitten hintereinander angehängt. Meist fuhren auch mehrere Gespanne mit Schellengeläut die Kinderschlitten im Anhang und viel Frohsinn zum nahen Wald und wie oft sind wir dann da runtergepurzelt. Wenn aber in meinem Zuhause im Winter mit dem großen Schlitten und zwei Pferden spazieren gefahren wurde, kam in die große Pelzdecke, die den Schlitten ausfüllte, ein warmer Ziegelstein. Er war im Bratofen aufgeheizt und blieb sehr lange warm. Ich durfte zwischen meinen Eltern sitzen und war so warm verpackt, dass nur die Augen rausschauten. Meistens ging es auch in den Wald. Vater nahm dort die Schlittenglocken von den Pferden ab. Er meint: „Wir wollen die Stille nicht stören“. Es wurde auch nicht viel gesprochen.''


Unser Michael war noch immer bei uns. Noch einmal, zum letzten Male in unserem Leben, haben wir Weihnachten Zuhause erlebt, mit einem kleinen Weihnachtsbaum — es war sehr traurig. Michael versprach Vater, auf alles zu achten; denn er wollte in Wilkental wohnen bleiben.  
: ''Ja – unsere Winter in Ostpreußen waren einmalig! Viel Schnee mit viel Sonne und klarem blauen Himmel. Dazu strenger Frost um die 20 Grad minus. Der Winter war sehr lange, mitunter fuhren wir zu Ostern noch mit dem Schlitten. Vor Weihnachten, in der Adventszeit, gab es dicken Raureif. Das war für mich immer eine Märchenwelt. Nicht zu vergessen waren die meterhohen Schneewehen bei „Stümwetter“ – trockener Pulverschnee vom Sturm zusammengeweht. Bei schlimmem Sturm mit eisiger Kälte wurden Straßen und Höfe, Zäune und Gebüsch wurden zu hohen Schneeflächen. Es fuhr kein Schlitten, niemand wagte sich aus dem Haus. Die Schule fiel aus und wir bliebe allem im warmen Zuhause. Wenn der „Spuk“ vorbei war, wurde Schnee geschippt. Ich habe mir in den hohen Schneewehren Höhlen gebaut. Für warme Winterbekleidung hat mein Vater für uns gesorgt. Er war auch Schneider und hat für Mutter und uns Kinder Mäntel und Jacken mit Pelz abgefüttert genäht. Wir haben nie gefroren, obwohl lange Hosen damals von Mädchen noch nicht getragen wurden. Dafür hat dann aber meine Mutter Strümpfe und Unterwäsche auf Schafwolle gestrickt. Die kratzten fürchterlich.''


Feldpost kam auch nicht mehr. Unsere Wehrmacht war auf dem Rückmarsch. Mit der Bahn nach Königsberg, in die leerstehende Wohnung von Tante Friedel und weiter bis über die Weichsel. (Denn es war eine Hoffnung, daß der Russe dort zum Stillstand käme!)
: ''Der Monat Dezember war mit viel Arbeit ausgefüllt. Zu Anfang wurden zwei dicke Schweine geschlachtet. Daraus wurden auch herrliche Würste gemacht, Dauerwurst, Leberwurst, Blutwurst und meine Grützwurst. Viel Fleisch wurde in Gläsern eingeweckt, Schinken und die Speckseiten kamen in Holzfässern zum Pökeln in Salzlauge. Nach vier Wochen kamen sie in die Räucherkammer, die am Schornstein angebaut war. Meine Schwester musste die Kochwürste kochen. Dabei durfte sie nach altem Brauch nicht sprechen – sonst platzen sie. Alle Nachbaren erhielten zur Probe eine Schüssel volle „ganzer“ Kochwürste. Nach dem Schweineschlachtfest mussten die Gänse daran glauben. So 10 oder 12 Stück waren es in jedem Jahr. Es begann in aller Frühe das Gänserupfen. Dazu wurde eine große ovale Zinkwanne in der Küchenmitte gesteilt und wir saßen alle auf Stühlen drum herum. Jeder hatte eine Ganz auf dem Schoß und musste die fein und sauber abrupfen, getrennt nach Federn mit Posten und Daunen. Wir alle hatten zu Schluss – es dauerte mehrere Stunden bis wir fertig waren überall Federn sitzen. Mein Vater hatte sie im Bart, Mutter in den Haaren, Onkel Erich steckte sich meiste die großen Flügelfedern hinter beide Ohren, Tante Friedel hatte sie auch in ihrem krausen Haar und mir krochen die Daunen stets in die Nase und beim Niesen wirbelten sie in der Wanne hoch. Es wurde viel gelacht, denn im Grunde lachte uns schon der leckere Gänsebraten entgegen. Nach dem Schlachtfest wurden Plätzchen gebacken. Der Teig dafür war schon einige Woche fertig. Er stand in einer großen gut zugedeckten Schüssel in der großen Stube im Kalten, denn diese Stube wurde im Winter – bis auch Weihnachten und Sylvester -  nicht benutzt. Das Backen der Pfefferkuchen ging schnell vor sich. Vier Bleche auf einmal konnten in den großen Backofen, der mit Holz geheizt wurde, geschoben werden. Da musste schnell ausgerollt und schnell ausgestochen werden. Und wieder war die ganze Familie der Tuttliesen dabei, selbst Onkel Erich ließ sich erweichen, er und euer Uropa verkrümelten sich aber bald. ''


: [[Datei:Annelie.png|thumb|left| 300 px|<center>|<center> Tante '''Anneliese Kiehl''' mit Jagd- und Hofhund auf dem Hof des Gasthauses </center>]]
   
   
'''"Dann in Gottes Namen!"'''
: ''Die Vorfreude auf Weihnachten wurde noch durch unser Weihnachtsfest in der Schule verschönt. Es wurden Theaterstücke, Lieder und Gedichte eingeübt und die Kostüme wurden auch selber genäht. Das war ein Spaß. Sogar eine Bühne wurde gebaut. Es klappte alles prima. Zum Schluss kam ein großer Weihnachtsbaum ins Schulzimmer; dann wurden die großen Schiebetüren, die die beiden Klassenräume verbanden, aufgemacht – und die Lindehöher Schule hatten den schönsten Theater-Raum.''
 
[[Datei:Hedwig Lerdon, verw. Kiehl.png|thumb|right| 350 px|<center>|<center> [https://gedbas.genealogy.net/person/ancestors/1341029133  '''Hedwig Lerdon'''] mit erlegtem Hasen <br> im kleinen Saal ihres Gasthauses in [[Lindenhöhe]] </center>]]
[[Datei:08 Lerdon.jpg|thumb|right| 350 px|<center>|<center> Das Gasthaus der Familie <br> '''Fritz Lerdon / Hedwig verwitwete Kiehl, geb. Padefke''' (1940) </center>]]
 
: ''Unseren eigenen Weihnachtsbaum hat mein Vater stets besorgt, woher er ihn hatte, wurde nie verraten. „Vom Weihnachtsmann“ sagte er lachend. Das Weihnachtsfest selbst war eine riesige Freude in meinem Elternhaus. Es gab nicht viele Geschenke. Meine heißgeliebte Puppe begab sich immer in der Adventszeit auf eine Winterreise, sie kam aber dann stets am Heiligen Abend mit neuen Kleidern  wieder zurück. Aber da stand der prächtige Tannenbau, der uns allein schon in festliche Stimmung versetzte. Dann begann Eure Uroma „Stille Nacht, heilige Nacht“  leise zu singen und wir alle stimmten fröhlich mit ein. Wir saßen am warmen Kachelofen, draußen war tiefer Winter. Es duftete nach Weihnachten in der großen Stube und in der Küche brutzelte der Gänsebraten.  Euer Uropa saß in seinem Stuhl, hatte die Hände gefaltet und sagte nur „Kinder, sön dat wedder scheene Wiehnachte“.''


So packten wir nur Handgepäck, soviel wir schleppen konnten. Alles wurde auf einen kleinen Wagen geladen, Michael spannte beide Pferde davor und fuhr am Wohnhaus vor. Vater und Mutter gingen noch einmal durchs Wohnhaus, Stall und Scheune, schlossen alles ab und stiegen zu Michael und mir in den Wagen. Die Schlüssel übergab Vater an Michael. Vater nahm Michael die Leine ab, sagte: „Dann in Gottes Namen.!" Vater trieb die Pferde an; und wir fuhren von unserem geliebten Hof und Grundstück zur Bahnstation Grünheide. Es war der 10 Januar 1945. Die Flucht begann. Wer nach Westen wollte, brauchte eine Reisegenehmigung, um Fahrkarten für einen der wenigen noch verkehrenden Züge zu erwerben.
: ''Es war Herbstzeit und wieder einmal hatte Euer Uropa Fritz Hasen geschossen. Eure Uroma [https://gedbas.genealogy.net/person/ancestors/1341029133  '''Hedwig Kiehl - Lerdon'''] hat auf einem Foto einen dicken erlegten Hasen auf dem Arm. Sie steht vor der Verandatür auf der Hofseite. Uropa Fritz war zuhause Jagdpächter und durfte im Herbst und im Winter Wild schießen. Es wurden zur Jagd Freunde und Verwandte eingeladen. Eine große Gesellschaft machte sich auf die Beine. Auf dem Foto links ist Tante ''' Anneliese (Kiehl)''' auf dem Hof zu sehen mit Uropas Jagdhund „Arac“. Dahinter steht der Hofhund „Lord“. Zu jeder Jagd gehören auch Treiber. Es waren junge Leute aus dem Dorf. Sie haben zusammen mit den Hunden die Hasen aufgestöbert und sie den Jägern zugetrieben, denn die Hasen hatten sich in Hecken und Büschen verkrochen. Das geschah mit großem Lärm. Der Ausklang solcher Jagdtage war ein großes Essen bei Eurem Großvater in der Gastwirtschaft Eure Uroma Hedwig hatte mit den Frauen aus der Nachbarschaft alles bestens vorbereitet. Es ging lustig zu. Es wurde gut gegessen und dazu ordentlich getrunken, viel erzählt, viel gelacht und zuletzt ordentlich gesungen. Uropa Fritz begleitete auf dem Klavier. Die geschossenen Hasen hatte inzwischen der Kutscher mit dem Pferdefuhrwerk nach Hause geholt und auf dem Dachboden zum Abhängen aufgereiht.''
 
: ''In der Gaststätte wurde im Allgemeinen kein Essen angeboten, da die Gäste in der Regel vor oder nach dem Besuch schon zu Hause aßen. Es gab aber Kleinigkeiten wie Soleier, Halben Hering oder eingelegten Zwiebeln oder Sure Gurken und für die "Damen" Schokolade oder Bomche. Wurde bei großen Festen dennoch ein Essen eingeplant, so gab Hilfe aus dem Dorf und in einem Nebengebäude - das auch als Waschküche diente - wurde der lange Schamott-Herd zum Kochen, Braten und Warmhalten angeworfen und der große Geschirrschrank aufgeschlossen. Das Besteck stammte zum Teil noch aus einem russischen Offizierskasino aus dem 1. Weltkrieg. In der Regel fanden aber alle Familienfeste zu Hause statt. In Opas Zuhause (Gasthof Lerdon) fanden im Sommer an Wochenenden die Tanzvergnügungen im Freien statt – falls es nicht regnete. Es war im Garten eine Tanzfläche mit Holzdielen vorhanden. Die Dielen wurden vorher extra gebohnert.  An der Theke bediente Onkel Walter zusammen mit Nachbarinnen aus dem Dorf. Flotte Weisen spielten zwei Dorfmuskanten zusammen mit Uropa Fritz auf. Uroma Hedwig überwachte die Kasse. Auch unsere Sommerschulfeste wurden hier gefeiert mit Volkstänzen, Liedern und Gedichten. „Sommer o Sommer du fröhliche Zeit“ sangen wir hier bei unserem Umzug von der Schule durch das Dorf zu Opas Garten. Alle Kinder waren festlich herausgeputzt. Selbst der „Rüpel“ '''Otto Schützler''', der mal meine Zöpfe ins Tintenfass gesteckt hatte, sah richtig schick aus, sein Haarschopf hatte einen geraden Scheitel. Wir Mädchen trugen zum Umzug halbrund Holzbügel, die mit Blumen umflochten waren, in den Händen. Unsere beiden Lehrer gingen voran – und so hielten wir den Einzug in den Festgarten, wo schon alle auf uns warteten. Jedesmal waren wir froh, wenn Petrus für uns die Sonne scheinen ließ.''
 
: ''In der Gastwirtschaft geschah allerlei. Viele Dörfler trafen sich hier. Alle kamen sie mit Pferd und Wagen, im Winter mit Schlitten. War das Wetter kalt, wurden die Pferde gut eingedeckt.- oder sie kamen in die „Einfahrt“ – ein großer Stall, der für die Pferde der Gäste gebaut worden war. Alle Gäste – zogen, bevor sie die Gaststube betraten, ihre Holzklumpen aus. So ging einmal ein Bauer aus Bessen nach seinen Pferden sehen und war überrascht – seine Holzklumpen waren angenagelt – er hatte seine Schulden nicht gezahlt.''
 
: ''[[Datei:Kallwischken - Ksp. Aulenbach - 1930 - Johann Scharffetter im Gespann.jpg |right|thumb|350 px|<center> '''Johann Scharfetter '''Gutsbesitzer und sehr erfolgreicher Rinder- und Pferdezüchter (ca. 1930) ]]
 
: '' Oft kam auch der Gutsbesitzer und sehr erfolgreiche Rinder- und Pferdezüchter '''Johann Scharfetter ''' im Sommer zu einem Rotwein oder im Winter zu einem Grog mit seinem Spazierwagen in die Gaststätte. Im Wagen saßen er und sein großer treuer Hund. '''Scharfetter''' steuerte dann alleine in „seine“ Ecke in der Gaststube, zu Füßen sein Hund und auf dem Tisch div. Flaschen - im Sommer Rotwein oder Rum im Winter. So saß er sehr lange und schlief ein und er und sein Hund fingen an zu schnarchen. Uropa ''' Fritz (Lerdon) ''' hat dann die Petroleumlampe auf Sparflamme gestellt und ist ins Bett gegangen. In der Nacht ist Herr Scharfetter aufgewacht, fand in der Regel mit Hilfe des Hundes zum Spazierwagen und schlief, so wurde beobachtet, im Wagen wieder ein. Sein treues Pferd fand den Weg nach Hause alleine – zu jener Zeit fuhren ganz selten Autos nachts auf den Straßen. ''
 
: '' Als Uropa Fritz – auch nachts mit seinem neuen Mercedes die Straßen unsicher machte – war das eine Sensation. Zeugen bekundeten, dass er das "nur"  tue, um Gäste nach Hause zu fahren. Besonders zwei unerschrocken nach Ostpreußen versetzte Lehrerinnen aus Köln benutzte zusammen diesen Service  - so dass es schon zu besorgte Nachfragen des Schulrates kam, die aber grundlos waren. Der Besuch von Gasthäusern von alleinstehenden Lehrerinnen war den Dorfbewohner suspekt. Die beiden verkündeten aber „ … der rheinische Frohsinn ist hier noch nicht angekommen" und wurden langsam in der Gaststätte akzeptiert.''
 
: Schwiegermutter''''' Hedwig Lerdon ''' führte nach 1941 den Laden an 2 Tagen in der Woche fort, sofern es die Versorgungslage zu ließ, bis zur Flucht im November 1944 allein weiter. Die Ladenöffnung war auch für die Einlösung der Lebensmittelkarten und Bezugsscheine wie z. B. von Petroleum von großer Wichtigkeit. ''' Fritz Lerdon ''' war einberufen war und nur während des Soldatenurlaubs zu Hause. Die Gaststätte wurden nur für amtlichen Zusammenkünfte und für "Privat-Kunden" geöffnet. Nach und nach blieben aber alle wehrpflichtigen Männer weg, da sie eingezogen wurden. Später wurde Köln, nach einer Zwischenstation in Mirow, für die Familien Lerdon das Ziel der Flucht aus Ostpreußen. ''
 
: '' Im Jahre 1934 wurde [[Lindenhöhe]] mit elektrischem Strom versorgt. Uropa war einer der ersten im Ort, denn ein Anschluss war damals sehr, sehr teuer und nicht jeder konnte ihn sich leisten. Jedenfalls hat es geklappt und Euer Uropa hat aus diesem Grund ein Lichtfest veranstaltet. Dabei wurden die größten seiner Petroleumlampen mit großem Gefolge und Musik im Dorfteich versenkt. Umwelt war damals ein unbekanntes Fremdwort.  Ich habe das Petroleumlicht gerne gemocht – aber wehe, wenn die Petroleumkanne leer war. Dann hatten wir kein Licht, dann dauerte unsere „Uhlenflucht“ bis zum Schlafengehen. Im Sommer brauchten wir kaum Licht, dafür im Winter umso mehr. Die „Uhlenflucht“ fand bei uns im Sommer auf der Hausbank vor der Tür draußen statt, im Winter war die Bank vor dem warmen Kachelofen der Versammlungsplatz. Dann haben meine Eltern aus ihrer Kinderzeit und ihrem Zuhause erzählt. So hatte meine Mutter schon mit 6 Jahren Strümpfe stricken müssen. Mein Vater hatte vor der Schule schon Vieh und Gänse hüten müssen.  Als Schuljunge erhielt er eine besondere Genehmigung, die ihn als Hütejunge zwei Tage in der Woche von der Schule freistellte. In meinem Zuhause sollten erst 1939 elektrischer Strom gelegt werden. Zunächst gab es auch nur vier Lampen und eine Steckdose. Im selben Jahr brach auch der 2. Weltkrieg aus und wir haben unsere Petroleumlampen behalten. Euer Opa hatte als Junge eine Vorliebe für den Heuboden. An langweiligen Sonntag-Nachmittagen klemmte er sich ein Karl May Buch unter den Arm – es gab vier verschiedene Bände – und stieg die Leiter hinauf und entschwand durch die Luke im Heu. Vor hier konnte er auch alles prima überblicken, wurde er gerufen, hat er sich nie gemeldet, denn das Versteck war sein Geheimnis – und er hat es auch keinem verraten. Als ältester seiner vier Geschwister wurde er regelmäßig zu deren  Aufsicht eingeteilt. Der '''Autor Karl May''' veröffentlichte bis 1914 bereits 1,6 Millionen Bände. Seine Schriftstellerkollegin '''Hedwig Courths-Mahler''' kam bis 1914 mit ihren Romanen der "Schicksalsergebenheiten" und dem Vorbild des traditionellen Verhalten von Frauen aber bereits auf 14 Millionen verkaufte Bände. Ich hatte mich extra in der Buchhandlung in Aulowönen erkundigt, ob Courths-Mahler "schon war für mich wäre" . Die genannten Auflagezahlen habe ich bis heute behalten. ''
 
: [[Datei:Zeugeuner.png |left|thumb|300 px|<center> [https://www.tharauvillage.de/kreise-und-orte/kreis-preu%C3%9Fisch-eylau/einwohner-tharau/ Zigeuner in Ostpreußen ]]]
 
: ''Unser Leben auf dem Lande war aber nicht langweilig – eben bis auf die Nachmittags-Sonntage. Ich bin dann meistens viel mit dem Rad gefahren. Mit 12 Jahren erhielt ich mein erstes Fahrrad, mit 14 Jahren zur Konfirmation die erste Armbanduhr und mein erstes Buch - es war ein Gesangsbuch. ''
 
: '' Ein Radio hatten wir dann später auch schon. Leider wurde es ganz selten angemacht. Weil wir noch keinen Strom hatten, war das Radio an Anoden und Akkumulatoren angeschlossen, und diese Batterien wurden schnell leer und mussten dann zum Aufladen weggebracht werden, was immer einige Tage dauerte, bis man sie wieder abholen konnte. Nun hörte aber meine Mutter und natürlich auch die Kinder sehr gerne Radio, aber mein Vater schimpfte dann – es wäre zu teuer. Er ist dann aber zeitig zu Bett gegangen und wenn er anfing zu schnarchen, war es so weit, dass wir das Radio wieder anstellen konnten. Gehört haben wir den Reichssender Königsberg. Im Winter waren die Abende oft mit Radiosendungen ausgefüllt. Wenn wir keine Arbeit vorhatten, Stricken, Stopfen, Nähen und ähnliches, saßen wir am warmen Kachelofen, draußen war dichter Schnee und der Mond schaute zum Fenster rein, dazu viele Sterne am wolkenlosen Himmel und wir hörten eine Stunde Radio. Meine alte Katze saß auf meinem Schoß, sie wurde dann aber vor dem Schlafengehen von mir in den Stall gebracht. ''
 
: ''Eine Sensation waren zuhause die Zigeuner. Sie fuhren in ihren Planwagen oft über Land. Woher sie kamen und wohin sie wollten wusste niemand. Ein Planwagen war ein einfacher Wagen- überspannt mit starken Weidenruten und darüber ein Tuch als Plane gezogen, zum Schutz gegen Wind, Sonne aber auch Regen. An der Außenwand des Wagens baumelten verbeulte Kochtöpfe, Bratpfannen oder Eimer, in dem Wagen unter der Plane saßen die Frauen mit den Kindern auf Stroh. Der Zigeunervater saß vorne im Wagen und lenkte ein müdes Pferd. Oft aber schwärmten alle aus, um mitzunehmen was nicht niet-oder nagelfest war. Weil das Land zuhause flach war, sahen wir sie schon von weiten auf der Straße ankommen, immer mehrere Fuhrwerke auf einmal. Dann kam unser Vater in Haus gestürmt und rief: „Kinder, de Ziegäner kome“. Falls Wäsche auf der Leine hing, wurde sie schnell abgenommen, die Hühner, Gänse und Schweine in den Stall gescheucht, das Hoftor und alle Türen und Fenster fest verschlossen und der Hofhund Lux wurde losgemacht. Nichts war vor ihnen sicher. Mein Vater stand irgendwo versteckt auf dem Hof und passte auf, wenn sie zum Betteln anrückten. Mir war eine solche Sippe immer interessant, gab doch viele, viele Kinder zu bestaunen, die neben den Wagen liefen und so vor den Hof erst zu singen und dann zu betteln anfingen. Die ein freies Leben führten – ohne Schule! ''
 
Hildegard Kiehl berichtet weiter:
:''  Für mich war es immer eine Freude, wenn ich  während meiner Schulzeit nach [[Insterburg]] zu meinem Bruder Max mit meiner Schwester fahren durfte. Er hatte ein Geschäft mit vielen, vielen Bonbons. ''
 
<gallery widths="425" heights="250" perrow="2">
Datei:08 Kolonialwarenladen.jpg|<center> Vor Ihrem  Kolonialwaren: v.l. Max mit Ehefrau Gertrud, Hildegard & Friedel Tuttlies, Insterburg
Datei:Kolonialwarenladen.jpg|<center> Einblick in den Kolonialladen. <br> von links: Gertrud und Max Tuttlies, Erich Tuttlies und Friedel Tuttlies   
</gallery>
 
 
''Eine wichtige Einnahmequelle für seinen Kolonialwarenladen zuhause, waren die wohlhabenden Schüler der nahe liegenden Schulen die regelmäßig versuchten, ganz viel Bomche für ganz wenig Dittchen zu erstehen. Als tüchtiger Kaufmann hatte mein Bruder ''' Max (Tuttlies) ''' zum Wechseln immer viel Kleingeld in der Ladenkasse.  Angeblich versuchten einige Eltern, durch ein Ladenverbot die Kauflust Ihrer Sprösslinge in den Griff zu bekommen. ''
==== <big>Der Zweite Weltkrieg</big> ====
[[Datei:Chronik Ksp. Aulenbach (Ostp.) - Passdorf - 1893 - KARTE - KDR Karte Nr 100 Nr 105 Auschnitt Umgebung.jpg|thumb|left| 300 px|<center>|<center>  Mauersee und Pristanien (Paßdorf) mit Baumschule Wenk und den Bunkern des Hauptquartiers des Oberkommandos der Wehrmacht nahe dem Dorf Mauerwald </center>]]
[[Datei:07 Zeugniss.jpg |thumb|405x405px|<center> Zeugnis der Baumschule Wenk für Hildegard <br> Tuttlies, ausgestellt Inhaber vom Bruno Wenk </center>|alternativtext=]]
[[Datei:Mitarbeiterinnen der Baumschule Wenk.png |left|thumb|300 px|<center> Mitarbeiterinnen der Baumschule Bruno Wenk, '' Hildegard Tuttlies  '' zweite von rechts (ca. 1940) </center>]]
: ''Am 1. September 1939 war der Krieg ausgebrochen — aber wir fühlten uns in unserem Ostpreußen in Sicherheit. Wir waren ja weit weg vom Schuss, vom großen Deutschen Reich und hatten reichlich zu essen und zu trinken, und wir waren ja die Kornkammer Deutschlands!''
 
: ''„Denn heute gehört uns Deutschland", sang die Jugend vor Begeisterung! Ich war 19 Jahre alt und hatte mir nach der Handelsschule durch die Landhilfe, eine Stelle im Büro im herrlichen Masuren in [[Pristanien]] / Paßdorf bei [[Angerburg]] gesucht. Es war die große Baumschule „ '''Bruno Wenk '''" mit 12 Angestellten, vom Obergärtner bis zu den Lehrlingen; dazu war mein Chef „Bürgermeister" und die Postagentur gehörte auch da hinein. Im Büro waren wir zwei Angestellte, also gab es reichlich zu tun. Aber trotzdem war ich viel am Mauersee, der ganz in unserer Nähe lag. Die Bunkern des Hauptquartiers des Oberkommandos der Wehrmacht lagen beim Dorf Mauerwald am Mauersee, das spätere Führerhauptquartier, die „Wolfsschanze" wurde bei Rastenburg gebaut. In Paßdorf  wurde ein Bahnhof eingerichtet auf der Strecke Angerburg - Rastenburg. Hier wurden auf die aufgezogenen Pflanzen, Sträucher und Bäume der Baumschule verladen.  ''
 
: '' Wir hatten ein weibliches Arbeitsdienstlager mit über 100 Maiden in unserem Bezirk (Kreis Rastenburg). Sie waren im „Reich" beheimatet und bekamen viel Post, die sie sich selbst abholten.''
 
Der folgende Text wurde eingefügt:
 
Das Pflichtjahr wurde 1938 von den Nationalsozialisten eingeführt. Es galt für alle Frauen unter 25 Jahren – sogenannte Pflichtjahrmädel/-mädchen – und verpflichtete sie zu einem Jahr Arbeit in der Land- und Hauswirtschaft. Es stand in Konkurrenz zum etablierten Landjahr sowie ab 1939 durch die Einführung des Reichsjugenddienstpflichtgesetzes zum Dienst im Rahmen des Reichsarbeitsdienstes (RAD). Dies betraf vor allem jene Jugendlichen, die bis dahin keiner Parteijugendorganisation angehörten und zudem auch keine Berufsausbildung absolvierten. Die Zwangsverpflichtung im RAD erfolgte dabei nach rein willkürlichen Richtlinien, ohne Rücksicht auf Interessen, Fähigkeiten oder Affinitäten jeglicher Art. Weder der Dienstort noch die Art der Tätigkeit standen dabei zur Auswahl.
   
   
Neben dem männlichen Arbeitsdienst war mit dem Reichsarbeitsdienstgesetz auch der weibliche Arbeitsdienst (RADwJ) für junge Mädchen (Arbeitsmaiden) im Alter von 18 bis 21 Jahren eingeführt worden. Ab dem Jahr 1938 entstanden überall im damaligen Deutschen Reich 327 Lager des weiblichen Arbeitsdienstes, von denen 108 als Bauernlager, 116 als Siedler- und 108 als NSV-Lager (Nationalsozialistische Volkswohlfahrt) anzusprechen waren. Damit zeigte sich bereits die Einsatzart der weiblichen Arbeitsdienstangehörigen. Sie wurden entsprechend auf Bauerhöfen als Hilfskräfte (Mägde) eingesetzt oder in landwirtschaftlichen Siedlungen als Kindermädchen, Säuglingsschwestern, Lehrerinnen oder als eine Art von Sanitätspersonal.“ <ref name=RAD>Reichsarbeitsdienst> [[https://www.bildarchiv-ostpreussen.de/cgi-bin/bildarchiv/suche/show_foto.cgi?lang=deutsch&id=17450]] </Ref>
Hildegard Kiehl fährt fort:
: '' Auch ich bekam viel Post von Opa! (d.h. ihrem späteren Ehemann. red.) Zuerst aus [[Insterburg]], später kamen dann Feldpostbriefe von der Front. Auch besucht hat er mich oft in Masuren. Die Zeit lief dahin. Ich war dort von 1939 bis 1942, drei Jahre — und dann kam der grausame Krieg immer näher an unsere Heimat. Mein Bruder ''' Erich (Tuttlies) ''', der auf dem Hof bei meinen Eltern lebte, wurde zur Front eingezogen. Als Sanitäter arbeitete er meistens in Lazaretten. Für ihn erhielten Uropa und -Oma einen Weißrussen, Michael, als Arbeitskraft. Er war ein anständiger und fleißiger junger Mann, er war gerne bei uns. ''
: '' Dann erkrankte mein Vater am Herzen, meine Mutter schaffte es auch nicht mehr, und so ging ich dann nach Hause. Ich wäre auch gerne dortgeblieben. Ich hatte großen Spaß an der vielseitigen interessanten Arbeit. Zwar waren fast alle deutschen Baumschulangestellten zur Wehrmacht eingezogen. Aber an ihrer Stelle kamen 20 polnische Hilfsarbeiter, die kaum deutsch sprachen mit einem deutschen Wachmann, der stets eine Pistole bei sich trug, es war grausam! Doch der Versand der vielen Obstbäume, der Nadelhölzer, der Nutz- und Ziersträucher musste ja weitergehen. Am 15.05.1942 verließ ich das Büro der Baumschule ''' Bruno Wenk ''' in [[Paßdorf]] um zu Hause, den kranken Vater ''' Ferdinand Tuttlies ''' zu unterstützen. So war ich dann wieder zuhause. Opa kam ab und zu mal von der Front in Urlaub. Die Rückfahrt zur Front war dann immer am schlimmsten. Im Oktober 1943 haben wir geheiratet. Ich blieb aber in Wilkental wohnen. Die Front rückte immer näher. Nachdem die Wehrmacht in Polen besiegt war, rückte Russland weiter vor.''
: '' Die größten Städte in Ostpreußen wurden schon bombardiert. Im Sommer 1944 musste nach [[Königsberg]] auch [[Insterburg]] daran glauben. Es war sehr schlimm; denn mein ältester Bruder '''Max (Tuttlies) '''wohnte in Insterburg in der Albrechtstraße Nr. 15 mit seiner Familie dort. Es blieben dort alle verschont und Frau und Kinder wurden nach Kroslitz bei [[Leipzig]] evakuiert. Allerdings wurde sein Laden zerstört. Meine Schwester Friedel wohnte in [[Königsberg]]. Ihr Mann war an der Front und sie wurde mit den Kindern nach Lugau im Erzgebirge evakuiert.''
Einschub:       
        [[Datei:Stadtwappen russland.png|mini|Flagge von Tscherjachowsk (Insterburg), Quelle: RUS Chernyakhovsk flag - Черняховск — Википедия (wikipedia.org)|alternativtext=]]Zur Entstehung des Wappen heißt es: Das Wort "Inster" war in der baltisch-preußischen Sprache der Name des Flusses, an dem die Burg errichtet wurde, und wird verwendet, um mit "Flüsse" übersetzt zu werden. Das Wort "Burg" bedeutete auf Deutsch "Festung". Der ganze Name "Insterburg" wurde mit "Festung am Wasser" übersetzt. Der Ortsname Insterburg wird 1340 erstmalig erwähnt: ''„ad castrum Insterburg“''. Die Instierburg wurde nach 1256 an Stelle der Prußenburg Unsatrapis erbaut.
Das Herzogtum Preußen wurde vom ehemaligen Hochmeister des Deutschen Ordens Albrecht, der zum (lutherischen) Protestantismus konvertiert war, gegründet. Es war das erste Fürstentum im frühmodernen Europa mit lutherischem Glauben. Der preußische Herzog Albrecht säkularisierte im Zuge der Durchsetzung der Reformation 1525 die Ordensburg Insterburg und machte sie zu einem weltlichen Hauptsitz. In diesem Hauptamt gab es 1544 nur ein einziges Kirchspiel, nämlich Insterburg selbst. Doch dann kam die Kolonisierung in Schwung. Bis 1558 folgte das Kirchdorf Gawaiten und bis 1562 das Kirchdorf Pillupönen. 1590 nannte das Kirchspielverzeichnis 13 Kirchspiele mit rd. 500 Orten.
1541 wurde Insterburg als Stadtflecken anerkannt und Sitz eines Amtshauptmanns und 1583 erfolgte die Erteilung des Stadtprivilegs durch den Regenten Markgraf Georg Friedrich von Hohenzollern-Ansbach.[[Datei:Stadtwappen Vorderseite.png|mini|Stadtwappen von Insterburg, auf Notgeldschein, ausgegeben von der städtischen Sparkasse Insterburg während der Inflation von 1921, 70 Pfennige, Quelle: 70 Пфенu)нигов 1921, Инстербург подробное описание (notescollector.e]]Das noch von Wildnis geprägte Umland ließ er besiedeln. Zur Zeit der Stadtrechte erstreckten sich Urwälder rund um Insterburg. Sie fanden oft Bären, aber auch Elche und Hirsche. Nur der Besitzer des Landes hatte das Recht zu jagen. Die Leidenschaft für die Jagd in einer so wildreichen Region faszinierte Markgraf Georg Friedrich. Er hielt sich oft in den Jagdrevieren von Insterburg und in der Festung selbst auf. Als Georg Friedrich schließlich am 10. Oktober 1583 die Stadtrechte an Insterburg verlieh, brachte er seine Liebe zur Jagd zum Ausdruck, indem er den Bären und den Jäger in der Darstellung des Stadtwappens verewigte.
In der Satzung heißt es: "Wir wollen der Stadt Insterburg ein eigenes Siegel geben, mit dem die notwendigen Dokumente beglaubigt werden sollen..".
Nämlich: ein weißer Schild, unten ein grüner Berg, darauf steht ein Schwarzbär auf allen Pfoten, und auf beiden Seiten im Inneren des Schildes stehen zwei Buchstaben G F - die Initialen von Georg Friedrich. Auf dem Schild befindet sich eine Figur (vermutlich Georg Friedrich selbst), die einen Jäger darstellt, der ein Horn in den Händen hält. Der Hintergrund ist in der entsprechenden natürlichen (grünen) Farbe gemalt. Um den Jäger herum befindet sich in einem Halbkreis eine Inschrift in lateinischer Sprache: "Sigill civitatis Insterburgensis" (Siegel der Stadt Insterburg). (Tschernjachowsk).
Georg Friedrich I. (* 5. April 1539 in Berlin; † 25. April 1603 ebenda) war Markgraf von Brandenburg-Ansbach und Brandenburg-Bayreuth (Kulmbach), Herzog von Jägerndorf, Regent von Preußen. Der letzte der fränkischen Linie der Hohenzollern.[[Datei:Stadtwappen Rückseite.png|mini|Rückseite von Notgeldschein 70 Pfenning, Quelle: 70 Пфенu)нигов 1921, Инстербург подробное описание (notescollector.e]]Im September 2019 entschied ein Gericht im Oblast Kaliningrad, dass das Wappen geändert werden müsse, da es keine alphabetischen Zeichen enthalten dürfe. Daraufhin wurde am 13. November 2019 eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die mit Vertretern der Öffentlichkeit, Ethnographen und Heraldikern entscheiden soll, ob das Wappen in seiner ursprünglichen Form ohne Schriftzug bleibt oder ganz neu entworfen werden soll
Quelle: 70 Pfennig 1921, Insterburg Detailbeschreibung (notescollector.eu)
Zur Zeit des Deutschen Kaiserreichs war [[Insterburg]] aber eine wichtige Garnisonsstadt der preußischen Armee. Im Osten der Stadt entstand ein großes Kasernenviertel. In [[Insterburg]] standen 1914 das Kommando der 2. Division mit zwei Brigadekommandos und mehreren Verbänden der Infanterie, Kavallerie und Feldartillerie (darunter zwei Bataillone des Infanterie-Regiments 45), insgesamt über 2000 Soldaten. 1902 schied die Stadt [[Insterburg]] aus dem [[Landkreis Insterburg]] aus und bildete einen eigenen Stadtkreis. 1913 wurde ein Bismarckturm errichtet. Nach Beginn des Ersten Weltkriegs war die Stadt infolge der Schlacht bei [[Gumbinnen]] vom 24. August bis 11. September von der russischen Armee besetzt und wurde danach Hauptquartier von Paul von Hindenburg.
In der Zeit der Weimarer Republik war [[Insterburg]] Sitz des Landratsamtes, eines Amts-, eines Land- und eines Arbeitsgerichtes, eines Finanz- und eines Zollamtes, einer Reichsbank-Nebenstelle sowie einer Industrie- und Handelskammer. Die Wirtschaft hatte sich mit der Ansiedlung von Ziegeleien sowie von Unternehmen zur Herstellung von Zuckerwaren, Essig und Mostrich, Chemikalien und Lederwaren weiter diversifiziert. 1926 wurde nach Fertigstellung des Pregelseitenkanals der Hafen [[Insterburg]] eingeweiht. Nachdem die Stadt zur Zeit der Reichswehr ihre Garnison behalten konnte, erfolgte von 1935 bis 1937 der Bau eines großen Flugplatzes und von Kasernen für die Wehrmacht. 1939 wurde mit der Restaurierung der Insterburg begonnen. Vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges war die Bevölkerung auf 49.000 Einwohner angewachsen.
Am 27. Juli 1944 wurde [[Insterburg]] durch einen sowjetischen Bombenangriff erheblich zerstört. 120 Tote waren zu beklagen, obwohl der Kern der Altstadt mit besonders leicht brennbaren Häusern schon geräumt worden war. Von da an wurde die Stadt schrittweise weiter evakuiert, besonders ab dem zeitweisen Einbruch der Roten Armee bei [[Goldap]] im Oktober 1944 . Anfang Januar 1945 befanden sich noch 8.000 bis 10.000 Insterburger in der Stadt, vorwiegend solche mit Funktionen in noch nicht evakuierten Betrieben und Institutionen. Am 13. Januar 1945 begann die sowjetische Großoffensive in Ostpreußen. Einem schweren Luftangriff am 20. Januar fielen noch einmal 30 Zivilisten zum Opfer. Von da an lag die weitgehend geräumte Stadt unter ständigem Beschuss durch Tiefflieger und Artillerie. Der letzte Zug verließ [[Insterburg]] am 22. Januar 1945 um 0:30 Uhr. <ref> Quelle: Tschernjachowsk – Wikipedia [[https://de.wikipedia.org/wiki/Tschernjachowsk]] </ref>
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: ''Im Herbst 1944 mussten auch große Teile der Landbevölkerung die Heimat verlassen. Sämtliche Kühe wurden zu großen Herden zusammengetrieben, und weiter in den Westen sollte es gehen; was wir aber nicht glaubten! Ich höre heute noch das verzweifelte Brüllen der Tiere und unsere älteste Kuh stand eines Tages vor dem Stall auf dem Hof. Sie war heimgekehrt, und wir haben sie behalten. Pferde durften bleiben; denn der Flüchtlingstreck ging mit Pferd und Wagen in den Kreis Mohrungen in Ostpreußen. Der größte Kastenwagen wurde mit einer Plane überspannt und mit Hab und Gut, so viel hineinging, beladen. Unser Termin war der 15. November 1944. Doch plötzlich wurde Vater wieder sehr krank. Er hätte wohl den langen Treck mit der großen Aufregung nicht überstanden. So beschlossen wir, noch etwas Daheim zu bleiben. Vom 21. 10. – 1. 11. 1944 wurde die Räumung des Kreisgebietes Insterburg (teilweise)  von der Zivilbevölkerung angeordnet. Aufnahmekreis ist der [[Landkreis Mohrungen]]. Unser Michael war noch immer bei uns. Noch einmal, zum letzten Male in unserem Leben, haben wir Weihnachten zuhause erlebt, mit einem kleinen Weihnachtsbaum — es war sehr traurig. Michael versprach Vater, auf alles zu achten; denn er wollte in Wilkental wohnen bleiben. Feldpost kam auch nicht mehr. Unsere Wehrmacht war auf dem Rückmarsch. Unser Plan war, mit der Bahn nach [[Königsberg]], in die leerstehende Wohnung von Tante Friedel und weiter bis über die Weichsel ( ... denn es war eine Hoffnung, daß der Russe dort zum Stillstand käme!).''
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<gallery widths="500px" heights="350px" perrow="2" caption="Reisegenehmigung der Fam. Tuttlies und Räumungsbefehl für Kreuzburg">
=== <big>Flucht</big> ===
Bild:08_Reisegenehmigung.jpg|Die Teilnahme von Michael Kitursko an der Flucht 1945 wurde ihm vom Bürgermeister in Willschicken untersagt, Sein Name wurde von ihm auf der Reisegenehmigung durchgestrichen., Quelle: Abbildung: privat
Bild:Kreuzburger_Erinnerungen.jpg|Der völlig verspätete Räumungsbefehl für Kreuzburg im Samland/Ostpreußen vom 29.01.1945, Quelle:[https://www.tharauvillage.de/kreis-preu%C3%9Fisch-eylau/kreuzburger-erinnerungen/ Kreuzburger Erinnerungen - Familienforschung Ostpreußen (tharauvillage.de)]
</gallery>


Auf dem Bahnhof nahm Vater Michael in den Arm, uns allen liefen die Tränen; wir stiegen in den Zug in Richtung lnsterburg und von hier aus ging es nach Königsberg weiter. In Königsberg kamen wir in der Wohnung meiner Schwester Friedel, trotz Fliegeralarm, etwas zur Ruhe. Das Zweifamilienhaus war Kasernengelände und vor der Stadt gelegen. Mein Schwager war Hausmeister in der Kaserne, zusammen mit einem zweiten, der in demselben Haus wohnte — und dieser war noch da, während mein Schwager an der Front war.
'''<big>Dann in Gottes Namen!</big>'''[[Datei:08 Reisegenehmigung.jpg|right|thumb|350 px|<center> Die Teilnahme von '''Michael Kitursko''' an der Flucht 1945 wurde ihm vom Bürgermeister in Willschicken untersagt,<br> Sein Name wurde von ihm auf der Reisegenehmigung durchgestrichen </center>]]


Die Freude war groß — aber nicht zu lange! Einmal war ich noch nach Hause gefahren. Michael war nicht mehr da. Auch Lisa, unsere treue Kuh, war weg. In der Veranda lag unser Hofhund, aber erschlagen. Die Haustür aufgebrochen; aber das Haus war nicht ausgeräumt. Viele Einheiten von deutschen Soldaten hatten sich in der Umgebung niedergelassen, die auf dem Rückzug waren. Auch Opas Einheit war dabei, allerdings einige Kilometer entfernt. Sie alle schützten unser Hab und Gut vor Plünderungen, so gut es ging. Der Russe plante weitere Großangriffe, die kamen dann auch, es war ein bitterkalter Winter mit 20 Grad minus und mehr und viel Schnee.
: ''So packten wir nur Handgepäck, soviel wir schleppen konnten. Alles wurde auf einen kleinen Kasten Wagen geladen, Michael spannte beide Pferde davor und fuhr am Wohnhaus vor. Vater und Mutter gingen noch einmal durchs Wohnhaus, Stall und Scheune, schlossen alles ab und stiegen zu Michael und mir in den Wagen. Die Schlüssel übergab Vater an Michael. Vater nahm Michael die Leine ab, sagte: „Dann in Gottes Namen.!" Vater trieb die Pferde an; und wir fuhren von unserem geliebten Hof und Grundstück zur Bahnstation [[Grünheide]]. Es war der 10 Januar 1945. Die Flucht begann. Wer nach Westen wollte, brauchte eine Reisegenehmigung, um Fahrkarten für einen der wenigen noch verkehrenden Züge zu erwerben.''


Der folgende Text wurde eingefügt und stammt aus: Der Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa, in Verbindung mit Adolf Diestelkamp, Rudolf Laun, Peter Rassow und Hans Rothfels bearbeitet von Theodor Schieder, Herausgegeben vom Bundesministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte, Band I/1 Die Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus den Gebieten östlich der Oder-Neiße. Band 1, Unveränderter Nachdruck der Ausgabe von 1954. Es ist folgender Text entnommen:
: ''Auf dem Bahnhof nahm Vater Michael in den Arm, uns allen liefen die Tränen; wir stiegen in den Zug in Richtung [[Insterburg]] und von hier aus ging es nach [[Königsberg]] weiter. In [[Königsberg]] kamen wir in der Wohnung meiner Schwester Friedel, trotz Fliegeralarm, etwas zur Ruhe. Das Zweifamilienhaus war Kasernengelände und vor der Stadt gelegen. Mein Schwager war Hausmeister in der Kaserne, zusammen mit einem zweiten, der in demselben Haus wohnte — und dieser war noch da, während mein Schwager an der Front war. ''


„Die Königsberger Bevölkerung war zunächst mit Eisenbahnzügen geflohen, bis der Zugverkehr nach dem Reich am 21. Januar aufhörte. Danach hatten sich große Teile nach Pillau begeben, um von dort aus entweder über die Nehrung nach Westen zu gelangen oder über See ins Reich abtransportiert zu werden. Als Ende Januar 1945 die Einschließung der Stadt vollendet war, wurden noch geringe Teile der Bevölkerung zu Schiff von Königsberg nach Pillau gebracht, und Mitte Februar, nachdem im Norden der Stadt die Verbindung nach dem Samland für einige Wochen wieder freigekämpft war, konnten noch weitere Teile der Zivilbevölkerung aus Königsberg ins Samland übergeführt werden. Dennoch blieben ca. 100 000 Menschen in Königsberg zurück. Viele von ihnen kamen den Räumungsaufforderungen der Partei absichtlich nicht nach, weil sie sich in der Stadt sicherer glaubten als im Samland oder auf dem gefahrvollen Fluchtweg über Pillau
[[Datei:Kreuzburger Erinnerungen.jpg|right|thumb|350 px|<center> Der völlig verspätete Räumungsbefehl für Kreuzburg im Samland/Ostpreußen vom 29.01.1945, [https://www.tharauvillage.de/kreis-preu%C3%9Fisch-eylau/kreuzburger-erinnerungen/  </center>]]]
Fortgesetzte Bombenabwürfe und Artilleriebeschuss auf Königsberg zerstörten während der Wochen der Einschließung einen großen Teil der ohnehin durch Luftangriffe schon früher schwer mitgenommenen Stadt und richteten unter der nur noch in Kellern lebenden Zivilbevölkerung hohe Verluste an. Als schließlich am 6. Bis 9. April der Generalangriff der Roten Armee auf Königsberg erfolgte, wurden nochmals viele Zivilisten in die Kriegsereignisse hineingerissen. Ca. 25 Prozent der in Königsberg verbliebenen Bevölkerung waren im Laufe der Kampfhandlungen ums Leben gekommen, als am 9. April die Stadt an die Russen übergeben wurde.


Als letzte Bastion in Ostpreußen blieb nunmehr nur noch der Streifen entlang der Samlandküste und der Raum um Pillau—Fischhausen in deutscher Hand. Noch immer betrug die Zahl der aus Königsberg, dem Samland und aus weiter östlich gelegenen Kreisen in Pillau, Fischhausen, Palmnicken, Rauschen und Neukuhren untergebrachten Menschen viele Tausende, obwohl die Hauptmasse der Flüchtlinge bereits von Pillau aus über See abtransportiert worden war.
: ''Die Freude war groß — aber nicht zu lange! Einmal bin ich noch nach Hause gefahren. Michael war nicht mehr da. Auch Lisa und Mona, unsere treuen Kühe, war weg. In der Veranda lag unser Hofhund, aber erschlagen. Die Haustür aufgebrochen; aber das Haus war nicht ausgeräumt. Viele Einheiten von deutschen Soldaten hatten sich in der Umgebung niedergelassen, die auf dem Rückzug waren. Auch Opas Einheit war dabei, allerdings einige Kilometer entfernt. Sie alle schützten unser Hab und Gut vor Plünderungen, so gut es ging. Der Russe plante weitere Großangriffe, die kamen dann auch, es war ein bitterkalter Winter mit 20 Grad minus und mehr und viel Schnee. ''
Die ersten mit Flüchtlingen beladenen Schiffe hatten am 25. Januar Pillau verlassen, und am 15. Februar konnte in Pillau bereits registriert werden, daß 204 000 Flüchtlinge mit Schiffen abbefördert und weitere 50000 nach Neutief übergesetzt und im Treck oder Fußmarsch auf der Frischen Nehrung weiter geleitet worden waren.
Aber noch immer strömten viele Tausende nach Pillau. Sie kamen nicht nur über Land, sondern auch von Neukuhren aus mit kleinen Schiffen an. Die Stadt beherbergte an manchen Tagen über 75 000 Menschen, unter denen die ständigen sowjetischen Fliegerangriffe hohe Verluste anrichteten. Allein in der Zeit von Anfang März bis Mitte April fanden 13 schwere Luftangriffe auf Pillau statt, während gleichzeitig auch sowjetische Artillerie Stadt und Hafen beschoss.


Vom 8. März an musste für ca. drei Wochen der Abtransport von Flüchtlingen aus Pillau eingestellt werden, weil aller zur Verfügung stehende Schiffsraum in dieser Zeit zum Abtransport der Flüchtlinge aus den Städten Danzig und Gdingen benötigt wurde, denen in Kürze die Einnahme durch sowjetische Truppen drohte. In dieser Zeit, als keine Schiffe von Pillau abfuhren, zogen viele Tausende nach Neutief herüber und die Nehrung entlang, denn von der Danziger Niederung aus verkehrten auch nach der Einnahme Danzigs noch Fährprähme nach Hela, von wo aus dann der Weitertransport ins Reich erfolgen konnte. Ab Ende März wurde der Schiffsverkehr von Pillau aus nach dem Westen wieder aufgenommen.
Weitere Hintergrundinformation zur Evakuierung Ostpreußens : '' „Die Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa“, in Verbindung mit Adolf Diestelkamp, Rudolf Laun, Peter Rassow und Hans Rothfels bearbeitet von Theodor Schieder, <ref name=BMV_Bd.1/1954> Herausgegeben vom Bundesministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte, Band I/1 Die Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus den Gebieten östlich der Oder-Neiße. Band 1, Unveränderter Nachdruck der Ausgabe von 1954. </ref>''
Quelle:  [http://doku.zentrum-gegen-vertreibung.de/archiv/oderneisse1/kapitel-4-1-4-2-2.htm Die Flucht der ostpreußischen Bevölkerung].


Auch der Gauleiter von Ostpreußen Erich Koch begab sich auf die Flucht.  „Erich Koch floh am 24. April 1945 mit einem Flugzeug von Pillau-Neutief auf die Halbinsel Hela, von wo er auf dem eigens für ihn extra bereitgehaltenen Hochsee-Eisbrecher Ostpreußen am 27. April 1945 vor den vorrückenden Truppen der Roten Armee über die Ostsee entkommen konnte. Am 29 April 1945 erreichte er Saßnitz, das ebenfalls schon von der Roten Armee bedroht wurde, am 30. April 1945 Kopenhagen und am 5. Mai 1945 Flensburg. Dort nahm er eine neue Identität an, indem er sich falsche Papiere ausstellen ließ. Sein „ Hitlerbärtchen”  rasierte er ab, zudem trug er nun zur Tarnung eine Brille.” 1949 wurde er verhaftet und an Polen ausgeliefert. 1986 starb er dort im Gefängnis.
Die Königsberger Bevölkerung war zunächst mit Eisenbahnzügen geflohen, bis der Zugverkehr nach dem Reich am 21. Januar aufhörte. Danach hatten sich große Teile nach [[Pillau]] begeben, um von dort aus entweder über die Nehrung nach Westen zu gelangen oder über See ins Reich abtransportiert zu werden. Als Ende Januar 1945 die Einschließung der Stadt vollendet war, wurden noch geringe Teile der Bevölkerung zu Schiff von [[Königsberg]] nach [[Pillau]] gebracht, und Mitte Februar, nachdem im Norden der Stadt die Verbindung nach dem Samland für einige Wochen wieder freigekämpft war, konnten noch weitere Teile der Zivilbevölkerung aus [[Königsberg]] ins Samland übergeführt werden. Dennoch blieben ca. 100 000 Menschen in [[Königsberg]] zurück. Viele von ihnen kamen den Räumungsaufforderungen der Partei absichtlich nicht nach, weil sie sich in der Stadt sicherer glaubten als im Samland oder auf dem gefahrvollen Fluchtweg über [[Pillau]]. Fortgesetzte Bombenabwürfe und Artilleriebeschuss auf [[Königsberg]] zerstörten während der Wochen der Einschließung einen großen Teil der ohnehin durch Luftangriffe schon früher schwer mitgenommenen Stadt und richteten unter der nur noch in Kellern lebenden Zivilbevölkerung hohe Verluste an. Als schließlich am 6. bis 9. April der Generalangriff der Roten Armee auf [[Königsberg]] erfolgte, wurden nochmals viele Zivilisten in die Kriegsereignisse hineingerissen. Ca. 25 Prozent der in [[Königsberg]] verbliebenen Bevölkerung waren im Laufe der Kampfhandlungen ums Leben gekommen, als am 9. April die Stadt an die Russen übergeben wurde.
Quelle: [https://de.wikipedia.org/wiki/Erich_Koch Erich Koch – Wikipedia]


Hildegard Tuttlies berichtet weiter:
Als letzte Bastion in Ostpreußen blieb nunmehr nur noch der Streifen entlang der Samlandküste und der Raum um Pillau—Fischhausen in deutscher Hand. Noch immer betrug die Zahl der aus [[Königsberg]], dem Samland und aus weiter östlich gelegenen Kreisen in [[Pillau]], [[Fischhausen]], [[Palmnicken]], [[Rauschen]] und [[Neukuhren]] untergebrachten Menschen viele Tausende, obwohl die Hauptmasse der Flüchtlinge bereits von [[Pillau]] aus über See abtransportiert worden war. Die ersten mit Flüchtlingen beladenen Schiffe hatten am 25. Januar [[Pillau]] verlassen, und am 15. Februar konnte in [[Pillau]] bereits registriert werden, daß 204.000 Flüchtlinge mit Schiffen abbefördert und weitere 50000 nach [[Neutief]] übergesetzt und im Treck oder Fußmarsch auf der Frischen Nehrung weitergeleitet worden waren. Aber noch immer strömten viele Tausende nach [[Pillau]]. Sie kamen nicht nur über Land, sondern auch von [[Neukuhren]] aus mit kleinen Schiffen an. Die Stadt beherbergte an manchen Tagen über 75.000 Menschen, unter denen die ständigen sowjetischen Fliegerangriffe hohe Verluste anrichteten. Allein in der Zeit von Anfang März bis Mitte April fanden 13 schwere Luftangriffe auf [[Pillau]] statt, während gleichzeitig auch sowjetische Artillerie Stadt und Hafen beschoss.


In Königsberg kam der Bescheid, dass die Stadt sofort von Zivilisten geräumt werden müsste. Dieses Mal sollte es per Schiff weitergehen. Unser Nachbar brachte uns zum Hafen. Hier lag ein Riesenschiff vor Anker (den Namen weiß ich nicht mehr...), im Begriff auszulaufen. Die Zugangsbrücke war schon eingefahren, aber an Strickleitern zogen sich Flüchtlinge noch eilig an Bord, und wir sollten auch hoch — aber Uropa und -Oma wehrten sich dagegen. Und das war unser Glück! Das so überladene Schiff bekam auf hoher See einen Volltreffer und ist mit Mann und Maus gesunken!
Vom 8. März an musste für ca. drei Wochen der Abtransport von Flüchtlingen aus [[Pillau]] eingestellt werden, weil aller zur Verfügung stehende Schiffsraum in dieser Zeit zum Abtransport der Flüchtlinge aus den Städten [[Danzig]] und [[Gdingen]] benötigt wurde, denen in Kürze die Einnahme durch sowjetische Truppen drohte. In dieser Zeit, als keine Schiffe von [[Pillau]] abfuhren, zogen viele Tausende nach [[Neutief]] herüber und die Nehrung entlang, denn von der Danziger Niederung aus verkehrten auch nach der Einnahme Danzigs noch Fährprähme nach [[Hela]], von wo aus dann der Weitertransport ins Reich erfolgen konnte. Ab Ende März wurde der Schiffsverkehr von [[Pillau]] aus nach dem Westen wieder aufgenommen. <ref name=Flucht_Ostp._Bevölkerung> [http://doku.zentrum-gegen-vertreibung.de/archiv/oderneisse1/kapitel-4-1-4-2-2.htm Zentrum gegen Vertreibung: Die Flucht der ostpreußischen Bevölkerung] </ref>


Und nun kam der gefürchtete Fliegeralarm. Wir liefen in einen Bunker, es ging alles glimpflich ab. Plötzlich tauchten deutsche Soldaten auf. Sie trennten die Männer von ihren Familien, sie sollten zur Verteidigung der Stadt zurückbleiben, so auch mein Vater — und das mit 76 Jahren! Frauen und Kinder mussten geschwinde aus dem Bunker, wir wurden mit der Menschenmasse nach draußen gedrängt, Vater blieb fassungslos zurück!
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{|
|[[Datei:Chronik Ksp. Aulenbach (Ostp.) - Wilkental - 1943 - FOTO - Innenhof des Bürgermeister Mikuteit V1.jpg|thumb|375 px|<center> Soldaten in Wilkental auf dem Hof <br> von '''Bürgermeister Mikuteit''' (1944) </center>|alternativtext=]]
|[[Datei:Chronik Ksp. Aulenbach (Ostp.) - Wilkental - 1943 - FOTO -Hof Tuttliesen V2.jpg|thumb|375 px|<center> Soldaten in Wilkental, Hof Tuttlies ?<br>  (1944) </center>|alternativtext=]]
|}
</center>


Die bekannteste Zahlenangabe in der Literatur zur Vertreibung besagt, dass rund zwei Millionen Deutsche insgesamt infolge der Vertreibung umgekommen seien. Hans-Ulrich Wehler schätzt, dass während der Flucht, Vertreibung oder Zwangsumsiedlung 1,71 Millionen Deutsche ums Leben kamen. Der Kirchliche Suchdienst und das Bundesarchiv kamen 1965 und 1974 unabhängig voneinander mit Einzelfallrecherchen auf 500.000 bis 600.000 bestätigte Toten in unmittelbarer Folge der Verbrechen im Zusammenhang mit der Vertreibung. Unter allen deutschen Ländern hatte Ostpreußen im Zweiten Weltkrieg die meisten Verluste erlitten: Von seinen fast 2,5 Mio. Einwohnern fielen 511.000 Menschen (darunter 311.000 Zivilisten) im Kampf, auf der Flucht, durch Verschleppung und Lagerinternierung sowie dem Hunger und der Kälte zum Opfer.  <ref name=Flucht_und_Vertreibung> [https://de.wikipedia.org/wiki/Flucht_und_Vertreibung_Deutscher_aus_Mittel-_und_Osteuropa_1945%E2%80%931950  Wikipedia: Flucht und Vertreibung Deutscher aus Mittel- und Osteuropa 1945–1950] </ref>


'''Abschied von der Heimat'''
[[Datei:Flucht.png|rechts|mini|350x350px| <center> Übersicht der Menschen auf der Flucht aus Ostpreußen, <ref name=Flucht_Ostp._Bevölkerung> [http://doku.zentrum-gegen-vertreibung.de/archiv/oderneisse1/kapitel-4-1-4-2-2.htm Zentrum gegen Vertreibung: Die Flucht der ostpreußischen Bevölkerung] </ref> </center> ]]


In großen Militärtransportern ging es zum Nordbahnhof, von hier dann mit dem Zug nach Pillau, in den nächsten Seehafen; vom Bahnhof dann bis zum Hafen mit unserem schweren Gepäck zu Fuß. Ich hatte einen großen Koffer — mit Schinken und Speck und noch einen zweiten Koffer mit Bekleidung. Es war ja tiefer Winter... Ich packte beide Koffer übereinander, zurrte sie mit langen Riemen sehr fest und schleppte sie im Schnee und Eis hinter mir her.  
Auch der  Gauleiter von Ostpreußen Erich Koch begab sich auf die Flucht. Erich Koch floh am 24. April 1945 mit einem Flugzeug von Pillau-Neutief auf die Halbinsel Hela, von wo er auf dem eigens für ihn extra bereitgehaltenen Hochsee-Eisbrecher ''"Ostpreußen"'' am 27. April 1945 vor den vorrückenden Truppen der Roten Armee über die Ostsee entkommen konnte. Am 29. April 1945 erreichte er Saßnitz, das ebenfalls schon von der Roten Armee bedroht wurde, am 30. April 1945 Kopenhagen und am 5. Mai 1945 [[Flensburg]]. Dort nahm er eine neue Identität an, indem er sich falsche Papiere ausstellen ließ. Sein „ Hitlerbärtchen”  rasierte er ab, zudem trug er nun zur Tarnung eine Brille.” 1949 wurde er verhaftet und an Polen ausgeliefert. 1986 starb er dort im Gefängnis. <ref name=Erich_Koch_Wikipedia> [https://de.wikipedia.org/wiki/Erich_Koch Wikipedia: Gauleiter Erich Koch]</ref>


Mutter hatte einen Riesenmarmeladeneimer voller Schweineschmalz und eine große Tasche dazu gepackt. Bei Vater war ein Rucksack mit Würsten und eine Tasche mit Zeug zum Anziehen. Er hatte seinen großen Fahrpelz über seine Bekleidung gezogen, dazu Pelzmütze und Pelzhandschuhe, also frieren konnte er nicht! Auch Mutter hatte ihren Pelz an. Ich hatte zum ersten Mal in meinem Leben eine lange Hose an, die Trainingshose von meinem Bruder.
: ''Hildegard Tuttlies berichtet weiter:''


In Pillau kamen wir auf kleine Seesicherungsboote, dicht gedrängt. Mutter saß auf dem Schmalzeimer, ich mit einer jungen Frau zusammen auf meinen Koffern. Die Reisestrecke war Pillau—Stettin.
: ''In [[Königsberg]] kam der Bescheid, dass die Stadt sofort von Zivilisten geräumt werden müsste. Dieses Mal sollte es per Schiff weitergehen. Unser Nachbar brachte uns zum Hafen. Hier lag ein Riesenschiff vor Anker (den Namen weiß ich nicht mehr...), im Begriff auszulaufen. Die Zugangsbrücke war schon eingefahren, aber an Strickleitern zogen sich Flüchtlinge noch eilig an Bord, und wir sollten auch hoch — aber Uropa und -Oma wehrten sich dagegen. Und das war unser Glück! Das so überladene Schiff bekam auf hoher See einen Volltreffer und ist mit Mann und Maus gesunken! Und nun kam der gefürchtete Fliegeralarm. Wir liefen in einen Bunker, es ging alles glimpflich ab. Plötzlich tauchten deutsche Soldaten auf. Sie trennten die Männer von ihren Familien, sie sollten zur Verteidigung der Stadt zurückbleiben, so auch mein Vater — und das mit 76 Jahren! Frauen und Kinder mussten geschwinde aus dem Bunker, wir wurden mit der Menschenmasse nach draußen gedrängt, Vater blieb fassungslos zurück!''


====<big>Abschied von der Heimat!</big>====


<gallery widths="500px" heights="350px" perrow="2" caption="Flucht über die Ostsee">
Bild:09_Flucht.jpg| Quelle: Bundesarchiv, 1945
Bild:Fluechtlingseinschiffung_in_Pillau.jpg|Quelle: [https://de.wikipedia.org/wiki/Baltijsk#/media/Datei:Bundesarchiv_Bild_146-1989-033-33,_Pillau,_Hafen,_Fl%C3%BCchtlinge.jpg Bundesarchiv Bild 146-1989-033-33, Pillau, Hafen, Flüchtlinge - Baltijsk – Wikipedia]
</gallery> 


[[Datei:Flucht 1945.png|thumb|left|350px| <center> Flucht über die Ostsee, 1945, <ref name=Untergang_Gustloff> [https://www.welt.de/geschichte/zweiter-weltkrieg/article205457401/Flucht-aus-Ostpreussen-62-Minuten-dauerte-der-Todeskampf-der-Gustloff.html Die WELT-Geschichte: Flucht aus Ostpreußen: 62 Minuten dauerte der Todeskampf der „Gustloff“] </ref> </center> ]]


Wir waren sehr lange unterwegs. Gott sei Dank, wir kamen, trotz Fliegeralarm, heil in Stettin an. Ab hier ging es mit der Bahn quer durch Deutschland nach Chemnitz und weiter nach Lugau im Erzgebirge zu Tante Friedel und ihren Kindern. Das Ziel hatten wir uns schon zu Hause vorgenommen.
: ''In großen Militärtransportern ging es zum Nordbahnhof, von hier dann mit dem Zug nach [[Pillau]], in den nächsten Seehafen; vom Bahnhof dann bis zum Hafen mit unserem schweren Gepäck zu Fuß. Ich hatte einen großen Koffer — mit Schinken und Speck und noch einen zweiten Koffer mit Bekleidung. Es war ja tiefer Winter... Ich packte beide Koffer übereinander, zurrte sie mit langen Riemen sehr fest und schleppte sie im Schnee und Eis hinter mir her. Mutter hatte einen Riesenmarmeladeneimer voller Schweineschmalz und eine große Tasche dazu gepackt.''
: ''Bei Vater war ein Rucksack mit Würsten und eine Tasche mit Zeug zum Anziehen. Er hatte seinen großen Fahrpelz über seine Bekleidung gezogen, dazu Pelz-Mütze und Pelz-Handschuhe, also frieren konnte er nicht!  Was er aber immer - auch auf der Flucht - bis zu seinem Lebensende dabeihatte und regelmäßig daraus vorlas war: Tägliches Hand-Buch in guten und bösen Tagen in Aufmunterungen, Gebeten und Gesängen, Sprüchen und Seufzer für Gesunde, für Betrübte, für Kranke, für Sterbende nebst Andachten von Johann Friedrich Strak, Evangelischer Prediger, 165. Auflage. Es war das Hochzeitsgeschenk der Eltern meiner Mutter am 14. November 1902.''
: ''Auch Mutter hatte ihren Pelz an. Ich hatte zum ersten Mal in meinem Leben eine lange Hose an, die Trainingshose von meinem Bruder und trug eine Pelz-Weste.''
: ''Im Hafen von [[Pillau]] kamen wir nach großem Gedränge und sechs Stunden ungeduldigem Wartens und endlich auf ein kleines Seesicherungsboot. Alle wollten mit. Die größte Teil auf dem Boot waren Frauen und Kinder. Von den wenigen Männern, die wir sahen, gehörten, nach deren Kleidung zu urteilen, einige wohl zu den Wohlhabenden. Sie trugen z. B. elegante Pelzmäntel. Manche Männer wurden von Uniformierten vor unseren Augen aus der Menge gezerrt. Bei ihnen wurden noch an Land, so konnten wir jedenfalls beobachten, die Papiere genau kontrolliert. Wahrscheinlich, so hieß es, suchte man immer noch nach feigen „Parteibonzen“, die die "Durchhalte-Befehle" von Gauleiter Koch missachteten. Die Frauen und die Kindern wurden nicht kontrolliert – es waren ja auch zu viele. Ob das überall im Hafen so ablief, weiß ich nicht.''  ''Dicht zusammengezwängt hocken wir schließlich draußen an Deck des Bootes. Der geschlossene Fahrstand war nur für die Matrosen und schwangere Frauen vorgesehen. Er bot aber auch ein wenig Windschutz für die „Decksleute“. Mutter saß auf dem Schmalzeimer, ich mit einer jungen Frau zusammen auf meinen Koffern in einer Bootsecke. Unsere erste „Seereise“ im Leben verlief von Pillau nach [[Stettin]]. (ca. 220 Seemeilen) im Freien. Es war windig, sehr kalt und es schneite. Alle rücken eng zusammen. Wir waren froh, dass wir Pelz-Handschuhe und Pelz-Mützen dabeihatten. Zum Glück gab es auch einige Wehrmachts-Decken an Bord, die verteilt wurden. Einige Flüchtlinge wurden während der Fahrt seekrank, wir aber nicht, die Angst war wohl zu groß.'' ''Wir waren einen halben Tag und eine lange Nacht auf See - eine schreckliche Ewigkeit für uns. Gegessen haben wir nichts, es gab aber Wasser zu trinken.'' ''Zwischendurch blieb das Boot manchmal ruhig liegen, der Motor wurde abgestellt. Keiner wusste warum. Die fünf Matrosen sprachen nicht mit uns. Sofort kamen Gerüchte auf: feindliches U-Boot, treibenden Minen, kein Treibstoff, Motor kaputt.''  ''Gott sei Dank, wir kamen, trotz'' ''mehrfachen'' ''Fliegeralarm, heil in Stettin an. Alle Wehrmachts-Decken mussten aber vor Ankunft wieder eingesammelt werden. Die Matrosen achteten sehr streng auf die Abgabe, dabei kam es auch zu Handgreiflichkeiten mit einigen Frauen. Ein paar Decken landeten mutwillig im Wasser. Endlich an Land in Stettin umarmten sich die beiden Tuttliesen Frauen. Das Meer blieb uns sehr unheimlich, Mutter und ich waren als Landbewohner dazu auch noch Nichtschwimmer.''
: ''Ab Stettin ging es mit der Bahn quer durch Deutschland nach [[Chemnitz]] und weiter nach [[Lugau (Erzgebirge)| Lugau]] im Erzgebirge zu Tante Friedel und ihren Kindern. Das Ziel hatten wir uns schon zu Hause vorgenommen.''
: ''Die Bahnfahrt im Güterzug hat fast acht Tage gedauert. Wir hatten oft Fliegerbeschuß, mussten dann ganz schnell aus dem Zug heraus, uns in Büschen und Gräben verstecken. Wenn die Gefahr vorbei war, pfiff der Zug — alles rannte wieder zum Zug — und weiter ging es. Des Nachts standen alle Räder still. Mich wunderte es nur, dass wir immer wieder unseren wertvollen Schmalzeimer und den Speckkoffer vorfanden. Aber wieder „Gott sei Dank..."! Es ging alles gut — und dann standen wir vor der Tür von Tante Friedel, es war früh an einem Morgen. Müde, dreckig, hungrig, alles verloren, ohne unseren Vater. Es war ein trauriges Wiedersehen.''


Die Bahnfahrt im Güterzug hat fast acht Tage gedauert. Wir hatten oft Fliegerbeschuß, mussten dann ganz schnell aus dem Zug heraus, uns in Büschen und Gräben verstecken. Wenn die Gefahr vorbei war, pfiff der Zug — alles rannte wieder zum Zug — und weiter ging es. Des Nachts standen alle Räder still. Mich wunderte es nur, dass wir immer wieder unseren wertvollen Schmalzeimer und den Speckkoffer vorfanden.
: ''Allmählich lebten wir uns ein; trotz der großen Flüchtlingszahl — und der sehr knappen Verpflegung auf Lebensmittelkarten, obwohl wir immer noch etwas aus unserem Mitbringsel zuzusetzen hatten. Es gab keinen Fliegeralarm, dafür sehr viele Russen als Besatzung; man ging ihnen aus dem Wege und so blieb man ungeschoren! So konnten wir wenigstens in der uns zugewiesenen Bodenkammer lange und ruhig schlafen, um vielleicht eine Mahlzeit einzusparen; denn unsere Vorräte wurden immer weniger. Dazu kam das bange Warten auf Nachricht von meinem lieben Gerhard, meinem Vater, meinem Bruder, meinem Schwager, dem Mann meiner lieben Schwester.''


Aber wieder „Gott sei Dank..."! Es ging alles gut — und dann standen wir vor der Tür von Tante Friedel, es war früh an einem Morgen. Müde, dreckig, hungrig, alles verloren, ohne unseren Vater. Es war ein trauriges Wiedersehen.
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Allmählich lebten wir uns ein; trotz der großen Flüchtlingszahl — und der sehr knappen Verpflegung auf Lebensmittelkarten, obwohl wir immer noch etwas aus unserem Mitbringsel zuzusetzen hatten. Es gab keinen Fliegeralarm, dafür sehr viele Russen als Besatzung; man ging ihnen aus dem Wege und so blieb man ungeschoren! So konnten wir wenigstens in der uns zugewiesenen Bodenkammer lange und ruhig schlafen, um vielleicht eine Mahlzeit einzusparen; denn unsere Vorräte wurden immer weniger. Dazu kam das bange Warten auf Nachricht von meinem lieben Gerhard, meinem Vater, meinem Bruder, meinem Schwager, dem Mann meiner lieben Schwester.
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|[[Datei:Hafen von Pillau.png |thumb|400 px|<center> Hafen von Pillau (1930) <ref name="Hafen_von_Pillau"> [https://de.wikipedia.org/wiki/Baltijsk#/media/Datei:Pillau_(Karte).jpg Karte Hafen von Pillau]  </ref> ]]
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'''8. Mai 1945'''
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|[[Datei:Fluechtlingseinschiffung in Pillau.jpg |thumb|390 px|<center> Verladung in Pillau (1945) <br> <small> (Bundesarchiv Bild 146-1989-033-33) </small> <ref name=Verladung_in_Pillau> [https://de.wikipedia.org/wiki/Baltijsk#/media/Datei:Bundesarchiv_Bild_146-1989-033-33,_Pillau,_Hafen,_Fl%C3%BCchtlinge.jpg Wikipedia: Baltijsk / Pillau (Einschiffung von Flüchtlingen)  ] </ref> </center> ]]
|[[Datei:09 Flucht.jpg |thumb|350 px|<center> Flucht über die Ostsee (1945) <br> <small> (Bundesarchiv Bild 146-1972-092-05) </small> <ref name=Flucht_aus_Ostpreussen> [https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Bundesarchiv_Bild_146-1972-092-05,_Flucht_aus_Ostpreu%C3%9Fen.jpg Wikipedia: Baltijsk / Pillau (Einschiffung von Flüchtlingen) ] </ref> </center> ]] 
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|[[Datei:Güterzug.png |thumb|395 px|<center> Flucht im offenen Güterwagen (1945)  <ref name=Eisenbahnstiftung:_Güterwagen> [https://www.bing.com/images/search?view=detailV2&ccid=qJYwaq0e&id=6A34723E1F3E7CF67F052A89716FFEB4A35CFF2A&thid=OIP.qJYwaq0eSlt4jzWf24BqewHaEK&mediaurl=https%3A%2F%2Fwww.offlinepost.gr%2Fwp-content%2Fuploads%2F2019%2F08%2Fh-ebraikh-koinothta-ths-of-ejw.jpg&exph=432&expw=768&q=flucht+ostpreu%c3%9fen+g%c3%bcterwagen&form=IRPRST&ck=2DEA4BE8066C7E54601A37114C77A2AD&selectedindex=5&qpvt=flucht+ostpreu%c3%9fen+g%c3%bcterwagen&ajaxhist=0&ajaxserp=0&cdnurl=https%3A%2F%2Fth.bing.com%2Fth%2Fid%2FR.a896306aad1e4a5b788f359fdb806a7b%3Frik%3DKv9co7T%252bb3GJKg%26pid%3DImgRaw%26r%3D0&pivotparams=insightsToken%3Dccid_9uItwJVP*cp_FD6696C80C386CCAFE0A359FDB7A0753*mid_A935CBB31C3F62F459D5503F1A32C861090F2BBA*simid_608028208417423690*thid_OIP.9uItwJVPJc11EOD6ulJa1AHaJe&vt=0&sim=11&iss=VSI&ajaxhist=0&ajaxserp=0 Bing Search: Flucht aus Ostpreußen ] </ref> </center> ]]
|[[Datei:Flüchtlinge im Zug.png |thumb|360 px|<center> Flüchtlinge im Zug von Stettin nach Lübeck (1945) <ref name=Eisenbahnstiftung:_Ankommende> [https://eisenbahnstiftung.de/bildergalerie Eisenbahnstiftung: Dokumentation der Flucht] </ref> </center> ]]
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|[[Datei:Ankommende und Abfahrende am Bahnhof nach Krieigsendede.png |thumb|400 px|<center>  Ankommende und Abfahrende am Bahnhof nach Kriegsende (1945) <ref name="Hafen_Kriegsende"> [https://eisenbahnstiftung.de/bildergalerie Eisenbahnstiftung: Dokumentation der Flucht]  </ref> ]]
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Und dann kam der große Tag — 8. Mai 1945, „Tag der Kapitulation". Meine Mutter und ich standen draußen am Hofzaun, schauten ins weite Land und weinten, weinten. Wir hatten Heimweh nach unserem Ostpreußen und Sehnsucht nach unseren Lieben. Ob sie noch am Leben waren? Dazu die bange Frage, was sollen wir kochen, wieder eine Wassersuppe von Rübenblättern, die wir von den Feldern stibitzten, oder vielleicht lieber „Spinat von Brennnesseln" mit nichts drin?
==== <big>Der 8. Mai 1945</big> ====


So verging die Zeit... Mai und Juni war auch fast vorbei — und dann kam sie, die lang ersehnte Nachricht von meinem lieben Mann, Eurem Opa! Den Brief mit der vertrauten Schrift hielt ich lange in den Händen. Ich wagte ihn kaum zu öffnen, ging nach draußen, setzte mich in eine stille Wiesenecke und habe den Brief geöffnet! „Mollhagen bei Trittau in Holstein", stand neben dem Datum. Er schrieb mir, dass er gesund den furchtbaren Krieg überstanden habe und dass er beim Engländer auf einer Entlassungsstelle arbeite. Er hoffe nur, dass ich mit meinem Lieben alles gut überstanden hätte und dass wir uns recht bald in Mollhagen wiedersehen mögen. Tante Friedels Anschrift aus Lugau hatte er nach unserer Abreise aus Königsberg zufällig in der unbewohnten Wohnung gefunden! „Glück muss der Mensch haben!"
: '' Und dann kam der große Tag — 8. Mai 1945, „Tag der Kapitulation". Meine Mutter und ich standen draußen am Hofzaun, schauten ins weite Land und weinten, weinten. Wir hatten Heimweh nach unserem Ostpreußen und Sehnsucht nach unseren Lieben. Ob sie noch am Leben waren? Dazu die bange Frage, was sollen wir kochen, wieder eine Wassersuppe von Rübenblättern, die wir von den Feldern stibitzten, oder vielleicht lieber „Spinat von Brennnesseln" mit nichts drin? ''


Ich fuhr dann sofort zu Eurem Opa. Ab Chemnitz nach Hamburg im offenen Güterzug. Es war Sommer, die Sonne schien und uns stand das Wiedersehen bevor! In Trittau (Schleswig-Holstein) trafen wir uns. Ein halbes Jahr ohne Nachricht waren wir; und ich war so schüchtern ihm gegenüber — er aber auch!
: '' So verging die Zeit... Mai und Juni war auch fast vorbei — und dann kam sie, die lang ersehnte Nachricht von meinem lieben Mann, Eurem Opa! Den Brief mit der vertrauten Schrift hielt ich lange in den Händen. Ich wagte ihn kaum zu öffnen, ging nach draußen, setzte mich in eine stille Wiesenecke und habe den Brief geöffnet! „ Mollhagen bei [[Trittau]] in Holstein", stand neben dem Datum. Er schrieb mir, dass er gesund den furchtbaren Krieg überstanden habe und dass er beim Engländer auf einer Entlassungsstelle arbeite. Er hoffe nur, dass ich mit meinem Lieben alles gut überstanden hätte und dass wir uns recht bald in Mollhagen wiedersehen mögen. Tante Friedels Anschrift aus [[Lugau]] hatte er nach unserer Abreise aus [[Königsberg]] zufällig in der unbewohnten Wohnung gefunden! „Glück muss der Mensch haben!" ''


Es gab kein jauchzendes Wiedersehen; sondern leise weinend lagen wir uns in den Armen. Dann ging es mit einem Dienstwagen nach Mollhagen, unserer Unterkunft. Es war ein großer Bauernhof mit einem schönen geräumigen Wohnhaus. Über die Diele gelangte man zur Treppe nach oben in unser Zimmer.
: '' Ich fuhr dann sofort zu Eurem Opa. Ab Chemnitz nach Hamburg im offenen Güterzug. Es war Sommer, die Sonne schien und uns stand das Wiedersehen bevor! In [[Trittau]] (Schleswig-Holstein) trafen wir uns. Ein halbes Jahr ohne Nachricht waren wir; und ich war so schüchtern ihm gegenüber — er aber auch! ''
[[Datei:Flüchtlinge 1946.png|links|mini|450x450px|Aufnahme von Flüchtlingen 1946,  Quelle: Volkszählung 1946|alternativtext=]]
:''Es gab kein jauchzendes Wiedersehen; sondern leise weinend lagen wir uns in den Armen. Dann ging es mit einem Dienstwagen nach Mollhagen, unserer Unterkunft. Es war ein großer Bauernhof mit einem schönen geräumigen Wohnhaus. Über die Diele gelangte man zur Treppe nach oben in unser Zimmer. ''


Es war klein und ärmlich möbliert. Ein breites Bett mit einer Strohschütte, darüber eine alte Decke, ein gebrauchtes Kopfkissen und eine zweite Decke zum Zudecken (ohne Bettwäsche!). Dann ein winziger Tisch und zwei verdreckte Gartenstühle, eine Kochhexe und ein Brett als Ablage für einen Eimer, einen alten Kochtopf, zwei Teller, zwei Löffel, zwei Gabeln und Messer und zwei Becher! „Na, gode Morje — ös dat alles?" sagte wütend Euer Opa! Aber zwischen den zwei Fenstern hing ein riesiger Wandspiegel von der Decke bis zum Erdboden!
: '' Es war klein und ärmlich möbliert. Ein breites Bett mit einer Strohschütte, darüber eine alte Decke, ein gebrauchtes Kopfkissen und eine zweite Decke zum Zudecken (ohne Bettwäsche!). Dann ein winziger Tisch und zwei verdreckte Gartenstühle, eine Kochhexe und ein Brett als Ablage für einen Eimer, einen alten Kochtopf, zwei Teller, zwei Löffel, zwei Gabeln und Messer und zwei Becher! „Na, gode Morje — ös dat alles?" sagte wütend Euer Opa! Aber zwischen den zwei Fenstern hing ein riesiger Wandspiegel von der Decke bis zum Erdboden! ''


Die Wirtsleute verhielten sich sehr reserviert — wir aber auch! Wir waren ja Flüchtlinge aus Ostpreußen, die für den Krieg verantwortlich waren. „Vielleicht kommen DIE sogar aus Polen...", hieß es von unserem Gastgeber, dem Herrn ehem. „Ortsbauernführer"! Über unsere Schwelle kam der Bauer nie. Wenn er uns großzügig mal ein trocknes Brot zukommen ließ, riss er die Türe auf und warf es uns zu!!! Wir bedankten uns überschwänglich und lachten dabei! Das stand bei uns fest, unsere Bleibe war dort nur von kurzer Dauer! Wir waren glücklich, nachdem wir uns wieder aneinander gewöhnt hatten. Der Krieg war vorbei — wir waren jung und gesund und hatten die Zukunft, ganz gleich wie, vor uns! Über die erste Bettwäsche auf Bezugsschein haben wir uns riesig gefreut!
: '' Die Wirtsleute verhielten sich sehr reserviert — wir aber auch! Wir waren ja Flüchtlinge aus Ostpreußen, die für den Krieg verantwortlich waren. „Vielleicht kommen DIE sogar aus Polen...", hieß es von unserem Gastgeber, dem Herrn ehem. „Ortsbauernführer"! Über unsere Schwelle kam der Bauer nie. Wenn er uns großzügig mal ein trocknes Brot zukommen ließ, riss er die Türe auf und warf es uns zu!!! Wir bedankten uns überschwänglich und lachten dabei! Das stand bei uns fest, unsere Bleibe war dort nur von kurzer Dauer! Wir waren glücklich, nachdem wir uns wieder aneinander gewöhnt hatten. Der Krieg war vorbei — wir waren jung und gesund und hatten die Zukunft, ganz gleich wie, vor uns! Über die erste Bettwäsche auf Bezugsschein haben wir uns riesig gefreut! ''


Ich betätigte ich mich jede Woche einmal beim Hausputz. Dann stand der Altbauer, ihr Vater, mit Spazierstock Schmiere, ob ich auch alles gut machte! Ich feudelte dann wie wild um ihn herum, und jedes Mal rief er: „Aufhören!
: '' Ich betätigte ich mich jede Woche einmal beim Hausputz. Dann stand der Altbauer, ihr Vater, mit Spazierstock Schmiere, ob ich auch alles gut machte! Ich feudelte dann wie wild um ihn herum, und jedes Mal rief er: „Aufhören! ''


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'''Neubeginn beim Zoll'''
=== <big>Neuanfang</big> ===
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==== <big>Neubeginn beim Zoll</big> ====


In unserem gemeinsamen Leben ist aber alles gut gegangen. Mein Mann und ich hatten immer einen Schutzengel, und ich bin unserem Herrgott dankbar, dass wir fast 55 Ehejahre gemeinsam erleben durften. Nun hatte sich Euer Opa bei den örtlichen Behörden, die es noch gab, beworben.
: ''In unserem gemeinsamen Leben ist aber alles gut gegangen. Mein Mann und ich hatten immer einen Schutzengel, und ich bin unserem Herrgott dankbar, dass wir fast 55 Ehejahre gemeinsam erleben durften. Nun hatte sich Euer Opa bei den örtlichen Behörden, die es noch gab, beworben.''


: ''Im Juni 1946 bekam er die Einberufung zum Zollgrenzschutz als Zollassistent nach Vennebrügge, Gemeinde Uelsen, Kr. Grafschaft Bentheim an der holländischen Grenze. Mit Dienstwohnung — was waren wir froh! Zwei Tage und eine Nacht waren wir von [[Trittau]] bis [[Neuenhaus]], die letzte Bahnstation vor der Grenze, also Vennebrügge, unterwegs. Des Nachts standen alle Räder still. ''


<gallery widths="500px" heights="350px" perrow="2" caption="Neubeginn beim Zoll">
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Bild:10_Unterstützung.jpg|Gewährung von Unterstützung,  Quelle: Abbildung: privat, 1945
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Bild:11_Einstellung.jpg|Benachrichtigungstelegramm über Einstellung von Gerhard Kiehl beim Zoll, Quelle: Abbildung: privat, 1946
Datei:10 Unterstützung.jpg| Gerhard Kiehl -  Gewährung von Unterstützung,  Quelle: privat, 1945
Datei:11 Einstellung.jpg| Benachrichtigungstelegramm über Einstellung von Gerhard Kiehl beim Zoll (1946)
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: ''Die letzten 12 km ging es per Anhalter — nur mit Pferdefuhrwerk — weiter! Die Welt war dort zu Ende und die Zeit wohl stehen geblieben! Es war ein winziges Grenzdorf mit drei holländischen Bauern (''' Kampherbeek, Stegink, Schulding ''' – auf der deutschen Seite) einem Arbeitshaus, ein bewirtschaftetes Zollhaus, d.h. Zollamt für den kleinen Grenzverkehr, vor dem Krieg neu erbaut und von zwei Zollbeamten mit Familien bewohnt, ein altes ausgeräubertes Zollamt, das wieder später als Dienstwohnung in Stand gesetzt wurde. Ein Beamter wohnte dort schon und empfing uns und hat uns in unsere Wohnung eingewiesen. ''
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====<big>Unsere Wohnung hatte drei Zimmer, Stall — und Plumpskl</big>o ====
: ''Wir fingen an mit einem selbst gestopften Strohsack, einem Tisch aus alten Dielenbrettern, mit zwei Stühlen ohne Sitze, einer kleinen Hängelampe mit Petroleum. Keinen Herd, nur mit einem Kanonenofen und einem Kochgeschirr wurde gekocht! Das war unser neues Leben in unserer neuen Wohnung.''
: ''Sie hatte drei Zimmer, eine geräumige Küche und Stallungen für Schwein und Hühner und ein Plumpsklo! Ein Garten für Gemüse gehörte auch dazu. Aber keine Türen, kaum Fensterscheiben, kein Strom, kein Wasser, weder Herd noch Ofen, natürlich hatten wir auch keine Möbel! Aber zwei frischgestopfte Strohsäcke lagen für uns bereit. Euer Opa hatte zwei Decken und seinen dicken Wehrmachtsmantel aus dem Krieg mitgebracht. Dazu noch zwei Paar Knobelbecher, meine waren in der kleinen Größe, aber zu groß — also wir haben sie in der kalten Jahreszeit getragen. Das war der Anfang unseres gemeinsamen Lebens.''
: ''Der Pole war dort Besatzungsmacht und hat bei seinem Abzug alles „kurz und klein geschlagen", hieß es. Der Verlust in der polnischen Besatzungszone von Möbeln und Hausrat in den besetzten Häusern, so hörte man später, soll sehr hoch gewesen sein.''
Dazu folgender Einschub zur polnischen Besatzungszone:


1945 wurde das Gebiet der Emslandlager – die Landkreise Emsland und Grafschaft Bentheim - Teile der polnischen Besatzungszone.


Im Juni 1946 bekam er die Einberufung zum Zollgrenzschutz nach Vennebrügge, Kr. Grafschaft Bentheim an der holländischen Grenze. Mit Dienstwohnung — was waren wir froh! Zwei Tage und eine Nacht waren wir von Trittau bis Neuenhaus, die letzte Bahnstation vor der Grenze, also Vennebrügge, unterwegs. Des Nachts standen alle Räder still.
Die Emslandlager waren eine Gruppe von Konzentrations-, Straf- und Kriegsgefangenenlagern in den Landkreisen Emsland und Grafschaft Bentheim, im Westen Niedersachsens. Es gab insgesamt 15 errichtete Gefangenenlager. Sie dienten den Nationalsozialisten von 1933 bis 1945 als Haftstätten mit wechselnden Funktionen mit zentraler Verwaltung in Papenburg. In den 15 Emslandlagern der Nazis mußten die Häftlinge unter KZ-Bedingungen schwerste Moorarbeiten leisten. Insgesamt wurden etwa 80.000 KZ-Häftlinge und Strafgefangene sowie 100.000 bis 180.000 Kriegsgefangene in den Lagern inhaftiert. Bis zu 30.000 Menschen, überwiegend sowjetische Kriegsgefangene, starben. Hier entstand auch ein berühmtes Lied. "Die Moorsoldaten" ist ein Lied, das 1933 von den Häftlingen des Konzentrationslagers Börger Moor bei Papenburg geschrieben wurde. Folksänger wie Hannes Wader oder Pete Seeger nahmen es in ihr Repertoire auf. Es gibt Jazz- und sogar Punk-Fassungen. Weltweit existieren heute mindestens 500 Versionen.  Quelle: Vor 85 Jahren - KZ-Häftlinge setzen mit dem Lied "Die Moorsoldaten" ein Zeichen (deutschlandfunk.de)


Die letzten 12 km ging es per Anhalter — nur mit Pferdefuhrwerk — weiter! Die Welt war dort zu Ende und die Zeit wohl stehen geblieben! Es war ein winziges Grenzdorf mit drei holländischen Bauern (Kampherbeek, Stegink, Schulding – auf der deutschen Seite) einem Arbeitshaus, ein bewirtschaftetes Zollhaus, d.h. Zollamt für den kleinen Grenzverkehr, vor dem Krieg neu erbaut und von zwei Zollbeamten mit Familien bewohnt, ein altes ausgeräubertes Zollamt, das wieder später als Dienstwohnung in Stand gesetzt wurde. Ein Beamter wohnte dort schon und empfing uns und hat uns in unsere Wohnung eingewiesen.
[[Datei:Emslandlager der Nazis.png|links|mini|Emslandlager der Nazis ]]




'''Unsere Wohnung hatte drei Zimmer, Stall — und Plumpsklo'''


Wir fingen an mit einem selbst gestopften Strohsack, einem Tisch aus alten Dielenbrettern, mit zwei Stühlen ohne Sitze, einer kleinen Hängelampe mit Petroleum. Keinen Herd, nur mit einem Kanonenofen und einem Kochgeschirr wurde gekocht! Das war unser neues Leben in unserer neuen Wohnung.
Die polnische Besatzungszone war von 1945 bis 1948 ein Sondergebiet innerhalb der britischen Besatzungszone im Nachkriegsdeutschland und befand sich im mittleren nördlichen Gebiet der heutigen Landkreise Emsland und Grafschaft Bentheim sowie in der Gegend von [[Oldenburg (Oldenburg)|Oldenburg]] und [[Leer]]. Sie grenzte an die Niederlande und umfasste ein Gebiet von 6470 km².


Sie hatte drei Zimmer, eine geräumige Küche und Stallungen für Schwein und Hühner und ein Plumpsklo! Ein Garten für Gemüse gehörte auch dazu. Aber keine Türen, kaum Fensterscheiben, kein Strom, kein Wasser, weder Herd noch Ofen, natürlich hatten wir auch keine Möbel! Aber zwei frischgestopfte Strohsäcke lagen für uns bereit. Euer Opa hatte zwei Decken und seinen dicken Wehrmachtsmantel aus dem Krieg mitgebracht. Dazu noch zwei Paar Knobelbecher, meine waren in der kleinen Größe, aber zu groß — also wir haben sie in der kalten Jahreszeit getragen. Das war der Anfang unseres gemeinsamen Lebens.
Die Zone mit einem Lager für Displaced Persons wurde von der polnischen Exilregierung verwaltet. Verwaltungszentrum dieser polnischen Zone war die Stadt Haren. Sie war während dieser Zeit als Maczków nach Stanisław Maczek benannte Besatzungszone.


Der Pole war dort Besatzungsmacht und hat bei seinem Abzug alles „kurz und klein geschlagen", hieß es.  
Displaced Persons „heimatlosen Ausländern“ wurden u.a. im Dorf Neuvrees, ein heutiger Stadtteil der Gemeinde Friesoythe - umbenannt in Kacperkowo, kurzfristig nach 1945 angesiedelt.  


Der folgende Text wurde eingefügt:
Dort wurde 1945 sogar eine neue Kirche von Displaced Persons gebaut.  


Die polnische Besatzungszone war von 1945 bis 1948 ein Sondergebiet innerhalb der Britischen Besatzungszone im Nachkriegsdeutschland und befand sich im mittleren nördlichen Gebiet des heutigen Landkreises Emsland sowie in der Gegend von Oldenburg und Leer. Sie grenzte an die Niederlande und umfasste ein Gebiet von 6470 km². Die Zone mit einem Lager für Displaced Persons wurde von der polnischen Exilregierung verwaltet. Verwaltungszentrum dieser polnischen Zone war die Stadt Haren. Sie war während dieser Zeit als Maczków nach Stanisław Maczek benannt. Weitere Orte, die von der deutschen Bevölkerung geräumt werden mussten, waren Teile von Papenburg und Friesoythe (der Ortsteil Neuvrees wurde in Kacperkowo umbenannt und weist aus dieser Zeit noch heute eine so genannte „Polenkirche“ auf). Das Straßendorf Völlen wurde nicht evakuiert. Hier erfolgte die Trennung der Bevölkerungsgruppen entlang der Straßenmitte: die deutschstämmige Einwohnerschaft wurde auf der östlichen Straßenseite konzentriert, während in die leer geräumten Häuser auf der westlichen Straßenseite Polen einzogen.
Weitere Orte, die von der deutschen Bevölkerung geräumt werden mussten, waren Teile von [[Papenburg]] und [[Friesoythe]] (der Ortsteil Neuvrees wurde in Kacperkowo umbenannt und weist aus dieser Zeit noch heute eine so genannte „Polenkirche“ auf).


Die Zone mit einem Lager für Displaced Persons wurde von der polnischen Exilregierung verwaltet. Verwaltungszentrum dieser polnischen Zone war die Stadt Haren. Sie war während dieser Zeit als Maczków nach Stanisław Maczek benannte Besatzungszone.


Die neue polnisch stämmige Bevölkerung setzte sich zusammen aus etwa 30.000 Displaced Persons, vor allem ehemaligen Häftlingen der Emslandlager – zu diesen gehörten auch Angehörige des Warschauer Aufstandes vom August 1944 – und 18.000 polnischen Soldaten.
[[Datei:Kirche Emsland.png|links|mini|alternativtext=|Displaced Persons bauen 1945 eine Kirche in Friesoythe]]
Da die überwiegende Zahl aus den damaligen polnischen Woiwodschaften Lwów und Stanislau, dem heutigen Iwano-Frankiwsk, kamen, wurde die Stadt Haren zuerst in Lwów umbenannt. Die wichtigsten Straßen der Stadt erhielten polnische Namen dieser Orte. Bereits nach einem Monat wurde auf sowjetischen Druck der Name am 24. Juni 1945 erneut geändert.


Die Stadt wurde nunmehr nach dem polnischen General Maczek benannt, der mit seiner 1. Panzerdivision die umliegenden Gefangenenlager befreit hatte. Da sich ein großer Teil der in deutschen Lagern internierten polnischen Intelligenz hierauf in Maczków niederließ, entwickelte sich der Ort sehr dynamisch zum Zentrum des polnischen Verwaltungsgebietes, hinter dem die antikommunistische polnische Exilregierung stand.  
Das Straßendorf Völlen  wurde nicht evakuiert. Hier erfolgte die Trennung der Bevölkerungsgruppen entlang der Straßenmitte: die deutschstämmige Einwohnerschaft wurde auf der östlichen Straßenseite konzentriert, während in die leer geräumten Häuser auf der westlichen Straßenseite Polen einzogen.


Die polnische Exilregierung soll sogar darüber nachgedacht haben, die Enklave auf bis zu 200.000 Polen aufzubauen, um so indirekt Druck für freie Wahlen in Polen ausüben zu können. Die durch die polnische Exilregierung verwaltete polnische Besatzungszone im Emsland war für die Sowjetunion nicht tolerierbar. Deshalb verlangte die Sowjetunion von den britischen Behörden, die polnische Zone aufzulösen.
Die neue polnischstämmige Bevölkerung setzte sich zusammen aus etwa 30.000 Displaced Persons, vor allem ehemaligen Häftlingen der Emslandlager – zu diesen gehörten auch Angehörige des Warschauer Aufstandes vom August 1944 – und 18.000 polnischen Soldaten. Im April 1945 wurde das Frauenlager in Oberlangen im Emsland befreit, wo über 1700 Frauen aus dem Warschauer Aufstand gefangen gehalten wurden.


Quelle: [https://de.wikipedia.org/wiki/Polnische_Besatzungszone Polnische Besatzungszone – Wikipedia]
[[Datei:Westverschiebung von Polen.png|mini|Westverschiebung von Polen, Quelle: [https://de.wikipedia.org/wiki/Zwangsumsiedlung_von_Polen_aus_den_ehemaligen_polnischen_Ostgebieten_1944%E2%80%931946 Zwangsumsiedlung von Polen aus den ehemaligen polnischen Ostgebieten 1944–1946 – Wikipedia] |alternativtext=]]


Da die überwiegende Zahl der Häftlinge aus den damaligen polnischen Woiwodschaften Lwów und Stanislau, dem heutigen Iwano-Frankiwsk, kamen, wurde die Stadt Haren zuerst in Lwów umbenannt. Die wichtigsten Straßen der Stadt Haren erhielten polnische Namen dieser Orte. Bereits nach einem Monat wurde auf sowjetischen Druck der Name am 24. Juni 1945 erneut geändert.   


<gallery widths="500px" heights="350px" perrow="2" caption="Emslandlager der Nazis und Polnische Kirche in Friesoythe 1945">
Das ursprünglich polnische Iwano-Frankiwsk gehörte nach der 1943 von Stalin beschlossenen Westverschiebung von Polen und nach der internationalen Konferenz von Jalta, ab 1945 zur UdSSR und gehört ab 1991 zur selbstständigen Ukraine. Insgesamt wurden etwa 1,7 Mio. Menschen durch die Westverschiebung in Polen zwangsumgesiedelt.
Bild:Emslandlager.jpg|In den 15 Emslandlagern der Nazis mußten die Häftlinge unter KZ-Bedingungen schwerste Moorarbeiten leisten. (https://de.wikipedia.org/wiki/Die_Moorsoldaten) Der Ort Vennebrügge liegt in Höhe der Lagers Wietmarschen (XIII) direkt an der Grenze und die genaue Lage ist durch das Schild Wietmarschen (XIII) verdeckt, Quelle: [https://de.wikipedia.org/wiki/Emslandlager Emslanlager- Wikipedia]
Bild:Kirchbau_ihn_Neuvreees.jpg|Displaced Persons bauen 1945 eine Kirche in Friesoythe. Quelle: [https://www.porta-polonica.de/de/atlas-der-erinnerungsorte/kacperkowo-194546-als-ein-dorf-im-emsland-polnisch-war Als ein Dorf im Emsland polnisch war]
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In den 15 Emslandlagern der Nazis mußten die Häftlinge unter KZ-Bedingungen schwerste Moorarbeiten leisten.   
Die Stadt Haren wurde nach dem sowjetischen Einspruch nunmehr nach dem polnischen General Maczek benannt, der mit seiner polnischen 1. Panzerdivision die umliegenden Gefangenenlager im Emsland befreit hatte. Da sich ein großer Teil der in deutschen Lagern internierten polnischen Intelligenz hierauf in Maczków niederließ, entwickelte sich der Ort sehr dynamisch zum Zentrum des polnischen Verwaltungsgebietes, hinter dem die antikommunistische polnische Exilregierung stand.
Displaced Persons „heimatlosen Ausländern“  wurden u.a. im Dorf Neuvrees, ein heutiger Stadtteil der Gemeinde Friesoythe - umbenannt in Kacperkowo, kurzfristig nach 1945 angesiedelt. Dort wurde 1945 sogar eine neue Kirche von Displaced Persons gebaut.
Der polnischen Historiker Rydel hat als Erster die militärgeschichtlichen Quellen aufgearbeitet und den verwickelten politischen Entscheidungsprozess nachgezeichnet, der zu der Einrichtung einer polnischen Enklave im Emsland innerhalb der britischen Besatzungszone führte (Jan Rydel, Die polnische Besatzung im Emsland, fibre Verlag, Osnabrück 2003).


Hildegard Kiehl berichtet weiter:
Der große Geiger Yehudi Menuhin, der hier im Sommer 1945 ein Konzert gab, rühmte Haren als fröhliche, „scheinbar unbeschwert lebende Stadt“. Im Sommer 1946 gab es dort Schuster, Schneider, Uhrmacher, Fleischer und Bäcker, die auch die umliegenden polnischen Lager belieferten. Sogar eine Spielzeugwarenfabrik schuf man. Überdies gab es Theatergruppen, Kabarett und ein Kino.


In Vennebrügge kam aber alles wieder zurecht, Türen und Fenster zuallererst. Zwei eiserne Bettgestelle ohne Rahmen (da kamen einfach Dielenbretter aus dem alten Zollhaus hinein!), dann zwei neue Stühle, auch ohne Sitze, ein Herd und ein Kanonenofen ohne Rohre! Im nahen Wald lagen genug leere Konservenbüchsen, das wurden die Ofenrohre; die wahnsinnig räucherten! Machte nichts, wir waren glücklich in unserer Wohnung!
Die polnische Exilregierung soll sogar darüber nachgedacht haben, die Enklave auf bis zu 200.000 Polen aufzubauen, um so indirekt Druck für freie Wahlen in Polen ausüben zu können. Die durch die polnische Exilregierung verwaltete polnische Besatzungszone im Emsland war für die Sowjetunion nicht tolerierbar, obwohl Winston Churchill diese Pläne zunächst begrüßte. Deshalb verlangte die Sowjetunion von den britischen Behörden - nach einer Wahlniederlage von Churchill bei der Unterhauswahl  1945 - die polnische Zone im Emsland aufzulösen, was auch geschah.


Euer Opa hat dann aus Dielenbrettern einen Tisch und ein kleines Regal gezimmert. Strom hatten wir immer noch nicht. Aber wir bekamen eine kleine Petroleum-Wandlampe von einer lieben Einheimischen geschenkt. Sie (die Lampe) war unser kostbarstes Stück, ohne Zylinder! Zwei große leere Benzinkanister aus dem Wald hat Euer Opa zu Wasserbehältern umgebaut, das Wasser mussten wir von den Bauern schleppen! Auch Waschbehälter entstanden daraus.
Die „Besatzungsschäden“, insbesondere der Verlust von Einrichtungsgegenständen in den dort besetzten Häusern, beliefen sich auf etwa 8,5 Millionen Mark
Die Tage vergingen sehr schnell; denn wir hatten immer eine Beschäftigung. Ich half den Bauern viel auf den Feldern, gegen Naturalien. Wenn Euer Opa Zeit hatte, gingen wir gemeinsam hin, pro Tag gab es für beide 1 Zentner Kartoffeln, auch in der Getreideernte waren wir dabei.


Essen gaben uns die Bauern obendrein, leckere Bratkartoffeln und Milchsuppe zum Abend; am Nachmittag dicke Wurstschnitten und Kaffee - alles satt! Wir konnten ein Schwein versorgen, auch Hühner, sechs an der Zahl und einen Hahn. Dieser war zu unsere Nachbarin  Frau Recke aus unserem Haus sehr böse! Sie durfte sich nicht in seiner Nähe blicken lassen, schon saß er ihr auf dem Rücken und teilte heftige Schnabelhiebe aus; darum wanderte er in den Kochtopf.
Am 10. September 1948 verließen die letzten polnischen Soldaten das Emsland, hauptsächlich nach Polen (in den neuen Grenzen) oder in die Commonwealth-Staaten. In die von der UdSSR annektierten polnischen Gebiete konnten sie nicht zurück. Die Stadt Maczków wurde wieder der deutschen Verwaltung unterstellt und erhielt am 10. September 1948 ihren ursprünglichen Namen ''Haren (Ems)'' zurück.  
Der dritte Nachbar war die Familie Panck, mit einem alten DKW-Motorrad – allerdings ohne Benzin, aber welch eine Sensation!


'''„Nich griene, mien Marjellke wie schaffe et!"'''
Der polnischen Historiker Rydel hat als Erster die militärgeschichtlichen Quellen aufgearbeitet und den verwickelten politischen Entscheidungsprozess nachgezeichnet, der zu der Einrichtung einer polnischen Enklave im Emsland innerhalb der britischen Besatzungszone führte.
: ''Hildegard Kiehl berichtet weiter:''


Inzwischen ist es Herbst geworden. Euer Opa und ich haben im nahen Moor Topf gestochen; denn wir brauchten ja Brennmaterial, und der Winter stand bevor. An Kohlen war nicht zu denken! Acht Kilometer war es bis zum Moor, wir hatten nur ein Fahrrad, das Dienstrad! Es war unser einziges Verkehrsmittel „die Fietz", hieß es holländisch! Das Fahren auf dem nur „einen Rad" ging für zwei Personen immer nur abwechselnd; fahren, überholen, abstellen — zu Fuß weiter, bis man wieder zum abgestellten Rad gelangte. Viel später gab es aber dann ein Damenfahrrad und ein Moped. Darauf bin ich, Eure Oma, mit Eurem noch „kleinen Papa" wie die Feuerwehr auf den schlimmen, ausgefahrenen Straßen, wo nur ein schmaler Pfad für „Fietsen" war, entlang gebraust! Es ging aber immer alles gut.
: ''In Vennebrügge kam aber alles wieder zurecht, Türen und Fenster zuallererst. Zwei eiserne Bettgestelle ohne Rahmen (da kamen einfach Dielenbretter aus dem alten Zollhaus hinein!), dann zwei neue Stühle, auch ohne Sitze, ein Herd und ein Kanonenofen ohne Rohre! Im nahen Wald lagen genug leere Konservenbüchsen, das wurden die Ofenrohre; die wahnsinnig räucherten! Machte nichts, wir waren glücklich in unserer Wohnung!''


Großen Spaß hatten wir an der nahen „Holländischen Grenzbevölkerung". Auch sie waren nur auf ihre Fahrräder angewiesen, ob Jung oder Alt, alle kamen sie am Sonntagmorgen an uns vorbei, die älteren Frauen in langen Röcken — eine Halbschürze davor, Bluse und Jacke und eine Haube gehörte dazu, an den Füßen hatten sie holländische Botten aus Holz an. Wenn's regnete, hatten sie in einer Hand noch einen Regenschirm aufgespannt! Sie fuhren in eine bestimmte Kirche – die altreformierte Kirche in Uelsen.  
: ''Euer Opa hat dann aus Dielenbrettern einen Tisch und ein kleines Regal gezimmert. Strom hatten wir immer noch nicht. Aber wir bekamen eine kleine Petroleum-Wandlampe von einer lieben Einheimischen geschenkt. Sie (die Lampe) war unser kostbarstes Stück, ohne Zylinder! Zwei große leere Benzinkanister aus dem Wald hat Euer Opa zu Wasserbehältern umgebaut, das Wasser mussten wir von den Bauern schleppen! Auch Waschbehälter entstanden daraus. Die Tage vergingen sehr schnell; denn wir hatten immer eine Beschäftigung. Ich half den Bauern viel auf den Feldern, gegen Naturalien. Wenn Euer Opa Zeit hatte, gingen wir gemeinsam hin, pro Tag gab es für beide 1 Zentner Kartoffeln, auch in der Getreideernte waren wir dabei.''


Der folgende Text wurde eingefügt: “Ihr Gründer der Pastor Hendrik de Cock  gestorben 1842 in Gronigen wurde zur Leitfigur der in Holland und in Ostfriesland und der Grafschaft Bentheim nach ihm benannten „kokschen“  Kirchenabspaltung. 2004 kam es als Abschluss des sogenannten „Samen op weg (Gemeinsam auf dem Weg)“-Prozesses zur Wiedervereinigung mit der Niederländisch-reformierten Kirche zur Protestantischen Kirche in den Niederlanden”
: ''Essen gaben uns die Bauern obendrein, leckere Bratkartoffeln und Milchsuppe zum Abend; am Nachmittag dicke Wurstschnitten und Kaffee - alles satt! Wir konnten ein Schwein versorgen, auch Hühner, sechs an der Zahl und einen Hahn. Dieser war zu unsere Nachbarin Frau Recke aus unserem Haus sehr böse! Sie durfte sich nicht in seiner Nähe blicken lassen, schon saß er ihr auf dem Rücken und teilte heftige Schnabelhiebe aus; darum wanderte er in den Kochtopf. Der dritte Nachbar war die Familie Panck, mit einem alten DKW-Motorrad – allerdings ohne Benzin, aber welch eine Sensation!''


Quellen: https://www.altreformiert-uelsen.de/  https://de.wikipedia.org/wiki/Protestantische_Kirche_in_den_Niederlanden  https://de.wikipedia.org/wiki/Hendrik_de_Cock
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====<big>„Nich griene, mien Marjellke, wie schaffe et!"</big>====


Wir hatten als junge Zöllnerfamilie in Vennebrügge an allem großen Spaß, es war ein einfaches, aber schönes Leben für uns — noch immer hatten wir keine Möbel, wenig Gehalt — anfangs nur 160,85 Reichsmark, es gab noch immer fast nichts zu kaufen; alles nur auf Bezugsscheine, die kaum zu haben waren.
[[Datei:13 Gehalt.jpg |thumb|350 px|right| <center> Gehaltsabrechnung Gerhard Kiehl, 01.10.1948 (privat) </center>]]


: ''Inzwischen ist es Herbst geworden. Euer Opa und ich haben im nahen Moor Topf gestochen; denn wir brauchten ja Brennmaterial, und der Winter stand bevor. An Kohlen war nicht zu denken! Acht Kilometer war es bis zum Moor, wir hatten nur ein Fahrrad, das Dienstrad! Es war unser einziges Verkehrsmittel „die Fietz", hieß es holländisch! Das Fahren auf dem nur „einem Rad" ging für zwei Personen immer nur abwechselnd; fahren, überholen, abstellen — zu Fuß weiter, bis man wieder zum abgestellten Rad gelangte. Viel später gab es aber dann ein Damenfahrrad und ein Moped. Darauf bin ich, Eure Oma, mit Eurem noch „kleinen Papa" wie die Feuerwehr auf den schlimmen, ausgefahrenen Straßen, wo nur ein schmaler Pfad für „Fietsen" war, entlang gebraust! Es ging aber immer alles gut.''


<gallery widths="500px" heights="350px" perrow="2" caption="Gehaltsabrechnung und Bezugschein">
[[datei:Bezugsschein.jpg |thumb|350 px|right| <center> Bezugsschein für Fritz Stiesger, (1946)<ref name=Bezugsschein> [https://emslandmuseum.de/2021/01/26/tauschwirtschaft-und-schwarzmarkthandel Emslandmuseum Lingen, Bezugsschein] </ref> </center> ]]
Bild:13_Gehalt.jpg|Gehaltsabrechnung Gerhard Kiehl, 01.10.1948, Quelle: Abbildung: privat
Bild: Bezugsschein.jpg|Abbildung: Bezugsschein für Fritz Stiesger, 1946, Quelle: [https://emslandmuseum.de/2021/01/26/tauschwirtschaft-und-schwarzmarkthandel/ Emslandmuseum Lingen]
</gallery>  


: ''Große Achtung hatten wir vor der nahen „Holländischen Grenzbevölkerung". Auch sie waren nur auf ihre Fahrräder angewiesen, ob Jung oder Alt, alle kamen sie am Sonntagmorgen an uns vorbei, die älteren Frauen in langen Röcken — eine Halbschürze davor, Bluse und Jacke und eine Haube gehörte dazu, an den Füßen hatten sie holländische Botten aus Holz an. Wenn's regnete, hatten sie in einer Hand noch einen Regenschirm aufgespannt! Sie fuhren in eine bestimmte Kirche – die altreformierte Kirche in Uelsen. ''


Dazu die Sorgen um meinen Vater und meinen Bruder. Beide galten als vermisst. Ob sie noch lebten? Meine Mutti war noch im Erzgebirge, bei Tante Friedel. Zwar hatten wir für Vater und Bruder Suchmeldungen an das „Rote Kreuz" nach Hamburg geschickt — aber alles vergebens.
Die Evangelisch-altreformierten Gemeinden entstanden ab 1838 in der [[Grafschaft Bentheim]] und ab 1854 in Ostfriesland aus den dortigen reformierten Gemeinden. Grund waren die liberalen Strömungen in der Theologie der reformierten Gemeinden, denen sich viele Gemeindeglieder widersetzten und sich daher von ihren Gemeinden absonderten. Den Anfang machte die niederländische Gemeinde Ulrum in Groningen, die sich von der reformierten Kirche am 13. Oktober 1834 trennte. Ihr Pastor '''Hendrik de Cock''' wurde zur Leitfigur der in Ostfriesland und der [[Grafschaft Bentheim]] nach ihm benannten „kokschen“ Abscheidungsbewegung (niederländisch Afscheiding). Betont werden die Mündigkeit und Überschaubarkeit der Ortsgemeinde, die vom Kirchenrat geleitet wird. Jeder Haushalt wird alle ein bis zwei Jahre von zwei Vertretern des Kirchenrates besucht. Die Gemeindekirche lebt vom Engagement ihrer zahlreichen ehrenamtlichen Mitarbeiter. Missionarisch steht die altreformierte Kirche mit Gemeinden in Asien in enger Verbindung, insbesondere in Indonesien und Bangladesch. 2004 kam es als Abschluss des sogenannten „Samen op weg  (Gemeinsam auf dem Weg)“-Prozesses zur Wiedervereinigung mit der Niederländisch-reformierten Kirche zur Protestantischen Kirche in den Niederlanden.” <ref name=altreformiert_uelsen> [https://de.wikipedia.org/wiki/Protestantische_Kirche_in_den_Niederlanden Wikipedia - Protestantische Kirche in den Niederlanden (Abgerufen 04-2023)] - [https://de.wikipedia.org/wiki/Hendrik_de_Cock Wikipedia - Hendrik de Cock (Abgerufen 04-2023)]</ref>


Inzwischen war der November des Jahres 1947 vorbei. Die Tage waren auch dort dunkel und regnerisch. Ich strickte für die Bauern Strümpfe, Pullover, Schals für wenige Lebens-mittel, sie waren geizig. Euer Opa machte den Grenzdienst bei Wind und Wetter!
: ''Wir hatten als junge Zöllnerfamilie in Vennebrügge an allem großen Spaß, es war ein einfaches, aber schönes Leben für uns — noch immer hatten wir keine Möbel, wenig Gehalt — anfangs nur 160,85 Reichsmark, es gab noch immer fast nichts zu kaufen; alles nur auf Bezugsscheine, die kaum zu haben waren.''


Und eines Tages, Anfang Dezember 1947 kam über das „Rote Kreuz" Nachricht von meinem Vater und auch zugleich über Onkel Erich, beide lebten! Vater war in einem Ort bei Walsrode. Mein Bruder in Lübeck in einem Lazarett als Sanitäter. Sofort fuhr ich zu Vater, der bei einem Bauern lebte. Wieder war die Fahrt beschwerlich; aber ich bin dort gut angekommen.
: '' Dazu die Sorgen um meinen Vater und meinen Bruder. Beide galten als vermisst. Ob sie noch lebten? Meine Mutti war noch im Erzgebirge, bei Tante Friedel. Zwar hatten wir für Vater und Bruder Suchmeldungen an das „Rote Kreuz" nach Hamburg geschickt — aber alles vergebens.''


: ''Inzwischen war der November des Jahres 1947 vorbei. Die Tage waren auch dort dunkel und regnerisch. Ich strickte für die Bauern Strümpfe, Pullover, Schals für wenige Lebensmittel, sie waren geizig. Euer Opa machte den Grenzdienst bei Wind und Wetter!''


<gallery widths="500px" heights="350px" perrow="2" caption="Benachrichtigung Deutsches Rotes Kreuz">
: ''Und eines Tages, Anfang Dezember 1947 kam über das „Rote Kreuz" Nachricht von meinem Vater — und auch zugleich über Onkel Erich, beide lebten! Vater war in einem Ort bei [[Walsrode]]. Mein Bruder in [[Lübeck]] in einem Lazarett als Sanitäter. Sofort fuhr ich zu Vater, der bei einem Bauern lebte. Wieder war die Fahrt beschwerlich; aber ich bin dort gut angekommen.''
Bild:14_DRK1.jpg|Benachrichtigung Deutsches Rotes Kreuz, Quelle: Abbildung: privat, 1947
Bild:15_DRK2.jpg|Benachrichtigung Deutsches Rotes Kreuz, Quelle: Abbildung: privat, 1947
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Datei:14 DRK1.jpg|Abbildung: Benachrichtigung Deutsches Rotes Kreuz, <br> Quelle: privat, 1947
Datei:15 DRK2.jpg|Abbildung: Benachrichtigung Deutsches Rotes Kreuz, <br> Quelle: privat, 1947
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Angekommen fragte ich mich erstmal nach dem Bauern durch. Auf mein Klopfen an die Küchentüre trat ich ein und sah vor mir eine lange vollbesetzte Tafel, es war Mittagszeit. Ich stellte mich vor und fragte nach meinem Vater — und sah ihn am unteren Ende des Tisches sitzen. Als er seinen Namen hörte schaute er auf — und wir lagen uns in den Armen. Vaters erste Frage war nach Mutter; auch sie lebte und wurde etwas später zu Vater nach Vethem gebracht, mein Bruder Erich siedelte aus Lübeck. Unsere Lieben hatten ein wunderbares Leben bei Bauer „Heini" Lühmann. Ihm herzlichen Dank!
: ''Angekommen fragte ich mich erstmal nach dem Bauern durch. Auf mein Klopfen an die Küchentüre trat ich ein und sah vor mir eine lange vollbesetzte Tafel, es war Mittagszeit. Ich stellte mich vor und fragte nach meinem Vater — und sah ihn am unteren Ende des Tisches sitzen. Als er seinen Namen hörte schaute er auf — und wir lagen uns in den Armen. Vaters erste Frage war nach Mutter; auch sie lebte und wurde etwas später zu Vater nach Vethem gebracht, mein Bruder Erich siedelte aus [[Lübeck]]. Unsere Lieben hatten ein wunderbares Leben bei Bauer '''„Heini" Lühmann'''. Ihm herzlichen Dank! : ''


Ich war wieder wohlbehalten in Vennebrügge gelandet. Mein Gerhard, Euer Opa, konnte aus dienstlichen Gründen nicht zu uns kommen. So gab es viel zu berichten — und nun nahte schon Weihnachten; das Wiederfinden unserer beiden Lieben war schon „ein Ge-schenk vom lieben Gott!" Wir waren arm, schliefen immer noch auf einem Strohsack, und waren unsagbar froh und glücklich! Und nun stand das schönste Fest aller Feste, nämlich Weihnachten vor der Türe.
: ''Ich war wieder wohlbehalten in Vennebrügge gelandet. Mein Gerhard, Euer Opa, konnte aus dienstlichen Gründen nicht zu uns kommen. So gab es viel zu berichten — und nun nahte schon Weihnachten; das Wiederfinden unserer beiden Lieben war schon „ein Geschenk vom lieben Gott!" Wir waren arm, schliefen immer noch auf einem Strohsack, und waren unsagbar froh und glücklich! Und nun stand das schönste Fest aller Feste, nämlich Weihnachten vor der Türe. : ''


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'''Weihnachtsbaum in der Konservendose'''
====<big>Weihnachtsbaum in der Konservendose</big>====


„Ohne Baum keine Weihnachten", meinte euer Opa. Also holte er einen kleinen Baum aus dem Wald. Er wurde in eine mit Erde gefüllte Konservendose gestellt. Ich schmückte ihn mit kleinen Äpfeln, die ich in flüssige Schlemmkreide getaucht hatte. Er sah prächtig aus in seinem einfachen Schmuck — ohne Kerzen und Lametta. Es war unser erster Weihnachtsbaum in unserem gemeinsamen Leben!
: ''„Ohne Baum keine Weihnachten", meinte euer Opa. Also holte er einen kleinen Baum aus dem Wald. Er wurde in eine mit Erde gefüllte Konservendose gestellt. Ich schmückte ihn mit kleinen Äpfeln, die ich in flüssige Schlemmkreide getaucht hatte. Er sah prächtig aus in seinem einfachen Schmuck — ohne Kerzen und Lametta. Es war unser erster Weihnachtsbaum in unserem gemeinsamen Leben!''


Am Heiligen Abend saßen wir dann auf unseren zwei Stühlen, schon mit richtigen Sitzen! Die brennende Petroleumlampe hing an der Wand. Im Herd knisterten die Dannäpfel, die Herdtür stand offen und beleuchtete unseren Naturweihnachtsbaum. Ein Lied kam aber nicht über unsere Lippen, es fiel uns schwer – das Singen.
: ''Am Heiligen Abend saßen wir dann auf unseren zwei Stühlen, schon mit richtigen Sitzen! Die brennende Petroleumlampe hing an der Wand. Im Herd knisterten die Dannäpfel, die Herdtür stand offen und beleuchtete unseren Naturweihnachtsbaum. Ein Lied kam aber nicht über unsere Lippen, es fiel uns schwer – das Singen.''


Wir gingen unseren Gedanken nach — jeder für sich. Der schreckliche Krieg war vorbei, wir waren gesund geblieben und hatten uns wieder! Ich bekam aber doch nasse Augen. Euer Opa nahm mich in den Arm und sagte in seiner ruhigen Art zu mir: „Nich griene —mien Marjellke — wie schaffe et!"...Und wir haben es geschafft!
: ''Wir gingen unseren Gedanken nach — jeder für sich. Der schreckliche Krieg war vorbei, wir waren gesund geblieben und hatten uns wieder! Ich bekam aber doch nasse Augen. Euer Opa nahm mich in den Arm und sagte in seiner ruhigen Art zu mir: „Nich griene —mien Marjellke — wie schaffe et!"...Und wir haben es geschafft!''


Die Zeit lief so langsam dahin. Noch immer hatten wir keine Möbel, wenig Geld, ein knappes Gehalt von 160,85 Reichsmark. Es gab fast nichts zu kaufen, doch zu essen und zu trinken und ein Dach über dem Kopf hatten wir ja — das war das Wichtigste!
: ''Die Zeit lief so langsam dahin. Noch immer hatten wir keine Möbel, wenig Geld, ein knappes Gehalt von 160,85 Reichsmark. Es gab fast nichts zu kaufen, doch zu essen und zu trinken und ein Dach über dem Kopf hatten wir ja — das war das Wichtigste!''


Bis dann am 20. Juni 1948 die große Wende eintrat. Die neue Währung war da! Die „Deutsche Mark" löste die alte Reichsmark ab. Pro Person gab es 40.- DM Kopfgeld. Die Spareinlagen betrugen für 10.- Reichsmark 1.- DM. Wir hatten keine Spareinlagen — also hatten wir auch keine DM-Gutschrift. Aber der Lebensstandard raste in die Höhe. Es gab mit einem Male alles zu kaufen, was das Herz begehrte. Lebensmittelkarten und Bezugsscheine verschwanden. Ein Lebensmittelhändler kam einmal wöchentlich mit seinem vollen Auto vor unsere Haustür. Endlich gab es mal wieder Schokolade!
: ''Bis dann am 20. Juni 1948 die große Wende eintrat. Die neue Währung war da! Die „Deutsche Mark" löste die alte Reichsmark ab. Pro Person gab es 40.- DM Kopfgeld. Die Spareinlagen betrugen für 10.- Reichsmark 1.- DM. Wir hatten keine Spareinlagen — also hatten wir auch keine DM-Gutschrift. Aber der Lebensstandard raste in die Höhe. Es gab mit einem Male alles zu kaufen, was das Herz begehrte. Lebensmittelkarten und Bezugsscheine verschwanden. Ein Lebensmittelhändler kam einmal wöchentlich mit seinem vollen Auto vor unsere Haustür. Endlich gab es mal wieder Schokolade!''


Ja — und langsam konnten wir uns auch Möbel kaufen — auf Kredit, gefiel Eurem Opa gar nicht, aber wir haben es geschafft! Es war ein Freudentag, als zuerst die Küche dran war: Dann das Schlafzimmer, dann das Wohnzimmer, zuletzt das Kinderzimmer! Wir schwebten auf „rosa Wolken".
: ''Ja — und langsam konnten wir uns auch Möbel kaufen — auf Kredit, gefiel Eurem Opa gar nicht, aber wir haben es geschafft! Es war ein Freudentag, als zuerst die Küche dran war: Dann das Schlafzimmer, dann das Wohnzimmer, zuletzt das Kinderzimmer! Wir schwebten auf „rosa Wolken".''


Leider verstarb mein lieber Vater, Euer Uropa Ferdinand Tuttlies 01.08.1949 in Vethem. Eure Uroma, meine Mutter haben wir dann von Vetem zu uns geholt. Berta Tuttlies stab am 03.07.1968 in Hamburg. Wir hatten ein schönes, ruhiges Leben an der holländischen Grenze. Gemeinsam mit den wenigen holländischen Einwohnern, ihnen halfen wir immer noch bei der schweren Feldarbeit gegen Naturalien; denn Arbeiter waren knapp und wir hatten ja noch „Franz" (unser liebes Schwein) und unsere Hühner zu versorgen.
: ''Leider verstarb mein lieber Vater, Euer Uropa '''Ferdinand Tuttlies''' 01.08.1949 in Vethem. Eure Uroma, meine Mutter haben wir dann von Vethem zu uns geholt. '''Berta Tuttlies''' starb am 03.07.1968 in Hamburg. Wir hatten ein schönes, ruhiges Leben an der holländischen Grenze. Gemeinsam mit den wenigen holländischen Einwohnern, ihnen halfen wir immer noch bei der schweren Feldarbeit gegen Naturalien; denn Arbeiter waren knapp und wir hatten ja noch „Franz" (unser liebes Schwein) und unsere Hühner zu versorgen.''


Wir Zöllner gehörten zur Dorfgemeinschaft. Wenn eine Familienfeier bei den Holländern war, gehörten auch wir alle dazu, wurde ein „Söpken" (klarer Schnaps) ausgeschenkt, es ging der Bauer oder sein Sohn mit der vollen „Schnapsflasche" und nur einem „Schnaps-glas" von einem zum anderen.
: ''Wir Zöllner gehörten zur Dorfgemeinschaft. Wenn eine Familienfeier bei den Holländern war, gehörten auch wir alle dazu, wurde ein „Söpken" (klarer Schnaps) ausgeschenkt, es ging der Bauer oder sein Sohn mit der vollen „Schnapsflasche" und nur einem „Schnapsglas" von einem zum anderen.''


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'''Zwei Enkel und die Heimatgruppe Insterburg füllen mein Leben aus'''
=== <big>Zwei Enkel und die Heimatgruppe Insterburg füllen mein Leben aus</big> ===


Euer Papa Klaus kam im April 1949 angerauscht, wurde dann später in Wielen, 4 km entfernt, eingeschult. Auch er war nur auf seinen Drahtesel angewiesen! Euer Opa wurde 1956 noch für kurze Zeit nach Nordhorn versetzt. Und dann ging er 1958 nach Hamburg ins „Hauptzollamt-Oberelbe" mit einer Wohnung in der Eduardstraße 41c in Hamburg.
[[Datei:Foto- Klaus mit Fahrrad.png |thumb|350 px| <center> Klaus mit Fahrrad 1955 (privat) </center>|alternativtext=]]
: ''Euer Papa '''Klaus (Kiehl)''' kam im April 1949 angerauscht. Zur Entbindung ging es vier Stunden per Pferdewagen über holprige Landstraßen ins Krankenhaus nach Hilten.''


Das war mein Leben in kurzen Zügen. Inzwischen bin ich 100 Jahre jung geworden! Mein Gerhard, unser lieber Opa, ruht nun schon fast 22 Jahre. Ich fühle mich aber nicht einsam, denn ich habe ja Euch, Ihr Lieben, zwei an der Zahl. Ihr füllt mein Leben aus.
: ''Klaus wurde dann später in Wielen, 4 km entfernt, eingeschult. Zuerst musste er aber lernen Fahrrad zu fahren, denn für den Schulweg war er auf seinen Drahtesel angewiesen!''
Sehr viel gibt mir auch meine „Insterburger Heimatgruppe".
Hildegard Kiehl (1920-2021) geb. Tuttlies, zuletzt Königsberg, Belowstr. 5, später Eduardstr 41 c, 20257 Hamburg


Dieser Bericht wurde zuerst im „Insterburger Brief“ 2/2020-3/2021 veröffentlicht
Es war eine einklassige Dorfschule mit 24 Schülern, darunter knapp die Hälfte Zoll- und Flüchtlingskinder. Bei schlechtem Wetter, wie Schneefall im Winter, konnten die Kinder warten, bis sich das Wetter beruhigt hatte. Die kleineren Kinder bekamen dann zum Mittag in der Lehrerwohnung eine Suppe, die größeren im Klassenraum eine Stulle Brot. Vorher mussten aber immer noch längere Bibeltexte angehört werden. Der Landkreis [[Grafschaft Bentheim]] war und ist ein Zentrum der (Alt)reformierten Christen in Deutschland. 


Die Fotos, die Abbildungen und die markierten Textstellen wurden nachträglich
Während der Zeit des Nationalsozialismus stand die übergroße Mehrheit der Altreformierten im Bentheimer Land, ihrer Hochburg, als ehemalige Wähler des streng protestantischen Christlich-Sozialen Volksdienstes (CSVD) aber in Opposition zum Regime. [https://de.wikipedia.org/wiki/Evangelisch-altreformierte_Kirche_in_Niedersachsen (siehe auch: Evangelisch-altreformierte Kirche in Niedersachsen)]
von Klaus Kiehl eingefügt,  


E-Mail: Klaus-Kiehl@t-online.de
Bei der Reichstagswahl von 1930 gewann die betont evangelische Partei die CSVD besonders viele Stimmen in Regionen, welche durch eine starke pietistische oder freikirchliche Tradition geprägt waren, so in ländlichen Teilen Ostpreußens, in Ostwestfalen, Württemberg, Baden, Hessen-Nassau, im Siegerland und Wittgenstein, wo die antisemitische Ausrichtung nach wie vor zum Wesen der hier als „ [https://de.wikipedia.org/wiki/Christlich-Sozialer_Volksdienst Evangelischer Volksdienst]“ (EVD) auftretenden Partei gehörte, in der [[Grafschaft Bentheim]] und dem westlichen Ostfriesland sowie um [[Düsseldorf]]. Sie war mit 14 Abgeordneten im Reichstag vertreten, die in der Regel den Zentrums-Reichskanzler Heinrich Brüning unterstützten.


Hamburg, den 21.03.2022
Die Schulen in der [[Grafschaft Bentheim]] waren nach dem 2. Weltkrieg nach dem Mehrheitswillen der Eltern wieder wie vorher zur Bekenntnisschulen geworden, auch um den "Flüchtlings-Religionen vorzubeugen". Die Region um [[Uelsen]] mit dem Kirchspiel Uelsen als zentraler Punkt war und ist vornehmlich evangelisch-(alt) reformiert geprägt. Im 19. Jahrhundert entstand die (alt)reformierte Kirche, mit Beendigung des zweiten Weltkrieges ließen sich auch Lutheraner und Katholiken hier als Flüchtlinge nieder. 1960 gab es in Uelsen und Umgebung 6.500 Evangelisch Reformierte, 700 Evangelisch Alt Reformierte, 900 Lutheraner und 630 Katholiken als eingetragene Gemeindemitglieder.


'''Lehrer Lindner''' erhielt in der Nachkriegszeit die Nahrungsmittel für die Schulkinder vom Heide Gut Springorum in Wielen, dass direkt nebenan lag und eine große Gutsküche hatte. Das Gut, mit ursprünglich 421 ha Heide, war 1921 von der rheinischen Industriellen '''Familie Springorum''' dank großzügiger Subventionen als Versuchsgut zur Pflanzenaufzucht auf trockenen Heideböden angelegt worden. Auf dem Gut waren nach dem 2. Weltkrieg viele Flüchtlinge untergebracht. Die Kinder der drei Dorfbauern von Vennebrügge gingen in Holland zur Schule. Da diese Dorfbauern deutsche und holländische Pässe besaßen, brauchten sie keine Flüchtlinge aufnehmen. Die Hälfte der rund 600 Einwohner von Wielen besitzt 2020 die niederländische Staatsangehörigkeit. Es bestehen enge Wechselbeziehungen, vor allem familiärer Art, über die Grenze hinweg. Mehrere Gemeindewege führen über die „grüne Grenze“. Im Jahre 2023 stehen Gutshaus Springorum mit 1.223 qm Wohnfläche und der Park mit 30.000 qm zum Verkauf.


: '' Hildegard Kiehl berichtet weiter:''


: '' Euer Opa wurde 1956 noch für kurze Zeit nach Nordhorn versetzt. Und dann ging er 1958 nach Hamburg ins „Hauptzollamt-Oberelbe", zuletzt war er dort Zoll-Amtsrat. Wir bekamen eine Wohnung in der Eduardstraße in Hamburg Eimsbüttel, in der ich bis heute lebe. Bisher krame ich aber immer noch gerne in meinem alten Kopf nach alten Erinnerungen. Der Pflegedienst kommt auch regelmäßig, und sieht nach, ob ich noch alles richtig mache.''


Hier endet der Text von Hildegard Kiehl, geb. Tuttlies. Die folgenden Infos sind Voreinstellungen von GenWiki
: '' Das war mein Leben in kurzen Zügen. Inzwischen bin ich 100 Jahre jung geworden! Mein Gerhard, unser lieber Opa, ruht nun schon fast 22 Jahre. Ich fühle mich aber nicht einsam, denn ich habe ja Euch, Ihr Lieben, zwei an der Zahl. Ihr füllt mein Leben aus. Sehr viel gibt mir auch meine „Insterburger Heimatgruppe".''


== '''Amtliche Zählung''' ==
=== Wohngebäude=== 
*'''20'''    (1871) <ref name="Henning">Kurt Henning und Frau Charlotte geb. Zilius, Der Landkreis Insterburg, Ostpreußen - Ein Namenslexikon, ca. 1970</ref>
*'''28'''    (1905) <ref name="Henning">Kurt Henning und Frau Charlotte geb. Zilius, Der Landkreis Insterburg, Ostpreußen - Ein Namenslexikon, ca. 1970</ref>
*'''25'''    (1925) <ref name="Henning">Kurt Henning und Frau Charlotte geb. Zilius, Der Landkreis Insterburg, Ostpreußen - Ein Namenslexikon, ca. 1970</ref>
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Über '''Hildegard Kiehl''', geb. Tuttlies, * 21.03.1920 in Willschicken, †19.06.2021 in Hamburg, zuletzt Eduardstr 41 c, 20257 Hamburg :
[[Datei: Goldene Hochzeit .png|thumb|350 px|right| <center> Hildegard und Gerhard Kiehl, Goldene Hochzeit <br> 1993 in Hamburg (privat) </center>]]
Hildegard Kiehl hatte nach der Flucht viel von zu Hause aufgeschrieben, in Hamburger Bibliotheken gestöbert, Verwandte und Bekannte ausgefragt und ist in ihre alte Heimat gefahren. Sie hat sich für die Heimatliteratur und Zeitschriften interessiert und begrenzt Fachbücher und graue Literatur erworben. Sie hat in Heimatzeitschriften kleine Artikel veröffentlicht und hat in ihrer Heimatgruppe viel berichtet. Sie hat "genealogisch geforscht" und hat die Ergebnisse in den "Tuttliesen Nachrichten 1 - 6" verteilt, die leider vergriffen sind. So hat sie alle damaligen deutschen Telefonbücher nach dem Namen Padefke (Mutter von '''Gerhard Kiehl''') durchsucht und hat wochenlang zur Ahnenforschung im Preußischen Staatsarchive in Berlin und bei den Mormonen in Hamburg gearbeitet. Alle interessanten Funde wurden - soweit möglich - telefonisch oder schriftlich befragt. Etwa ein Drittel hat auch geantwortet. Ihr Mann '''Gerhard Kiehl''' hat sie dabei tatkräftig unterstützt. Es entstand eine fruchtbare Zusammenarbeit mit '''Klaus-Peter Podewski''', einem Mathematiker der Uni Hannover. Das Internet haben aber beide noch nicht benutzt. Ein Arbeitsergebnis der Familienforschung zu den Familien Padefke/Podewski (Stand 1986), kann per E-Mail von klaus-kiehl@t-online.de erbeten werden. Weitere genealogische Ergebnisse zu den Familien Tuttlies und Burba (Stand 2020), sind auch in GenWiki zu finden
Die Fotos, die Abbildungen und die markierten Textstellen wurden nachträglich von Klaus Kiehl eingefügt. In der Hoffnung, dass alle Angaben und Quellen richtig eingeordnet sind, sind Berichtigungen und neue Informationen herzlich willkommen.
Bitte senden Sie diese an die E-Mail-Adresse von ''' Klaus Kiehl: klaus-kiehl@t-online.de '''


===Haushalte=== 
*'''30'''    (1871) <ref name="Henning">Kurt Henning und Frau Charlotte geb. Zilius, Der Landkreis Insterburg, Ostpreußen - Ein Namenslexikon, ca. 1970</ref>
*'''32'''    (1905) <ref name="Henning">Kurt Henning und Frau Charlotte geb. Zilius, Der Landkreis Insterburg, Ostpreußen - Ein Namenslexikon, ca. 1970</ref>
*'''31'''    (1925) <ref name="Henning">Kurt Henning und Frau Charlotte geb. Zilius, Der Landkreis Insterburg, Ostpreußen - Ein Namenslexikon, ca. 1970</ref>
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===Einwohner === 
== <big>Text- Quellen zu Willschicken</big> ==
*'''134'''    (1867) <ref name="Henning">Kurt Henning und Frau Charlotte geb. Zilius, Der Landkreis Insterburg, Ostpreußen - Ein Namenslexikon, ca. 1970</ref>
* '''154'''    (1871)      davon 77 männlich<ref name="Henning">Kurt Henning und Frau Charlotte geb. Zilius, Der Landkreis Insterburg, Ostpreußen - Ein Namenslexikon, ca. 1970</ref>
*'''150'''    (1905)      davon 75 männlich <ref name="Henning">Kurt Henning und Frau Charlotte geb. Zilius, Der Landkreis Insterburg, Ostpreußen - Ein Namenslexikon, ca. 1970</ref>
* '''146'''    (1925)      davon 66 männlich<ref name="Henning">Kurt Henning und Frau Charlotte geb. Zilius, Der Landkreis Insterburg, Ostpreußen - Ein Namenslexikon, ca. 1970</ref>
*'''127'''    (1933) <ref name="Rademacher">Deutsche Verwaltungsgeschichte von der Reichseinigung 1871 bis zur Wiedervereinigung 1990 von Dr. Michael Rademacher M.A. [http://www.verwaltungsgeschichte.de/insterbirg.html] </ref>
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'''1871''' sind alle Einwohner preußisch und evangelisch, 68 ortsgebürtig, 37 unter 10 Jahren, 73 können lesen und schreiben, 44 Analphabethen, 5 ortsabwesend. <ref name="Henning">Kurt Henning und Frau Charlotte geb. Zilius, Der Landkreis Insterburg, Ostpreußen - Ein Namenslexikon, ca. 1970</ref>
 
<references/>
 
 
 
* [1][2][3][20]  [http://dlibra.bibliotekaelblaska.pl/dlibra/docmetadata?id=1203 Niekammer´s Landwirtschaftliche Güter-Adressbücher Band III - Provinz Ostpreußen (1922)  ] auf der Webseite ''Digitalisat der Elbląska Biblioteka Cyfrowa'' (Digitale Bibliothek der Elbinger Stadtbibliothek)
* [4][5][21] [http://dlibra.bibliotekaelblaska.pl/dlibra/docmetadata?id=1350 Niekammer´s Landwirtschaftliche Güter-Adressbücher Band III - Provinz Ostpreußen (1932)  ] auf der Webseite ''Digitalisat der Elbląska Biblioteka Cyfrowa'' (Digitale Bibliothek der Elbinger Stadtbibliothek)
* [13][16] [http://www.territorial.de/ostp/insterbg/landkrs.htm  Landkreis Insterburg] auf der Webseite ''Territoriale Veränderungen in Deutschland und deutsch verwalteten Gebieten 1874 - 1945: Rolf Jehke, Herdecke.'', 2005
* [14][17] [http://www.territorial.de/ostp/insterbg/franzdf.htm  Amtsbezirk Groß Franzdorf (Franzdorf) ] auf der Webseite ''Territoriale Veränderungen in Deutschland und deutsch verwalteten Gebieten 1874 - 1945: Rolf Jehke, Herdecke.'', 2005
* [15]  Geschichte des Kreise Pillkallen (von Erwin Spehr)  auf der Webseite ''GenWiki, Portal Pillkallen, Kapitel 17: Die letzten 25 Jahre bis zum Untergang 1945, abgerufen 05.2023''
* [18] [http://www.bildarchiv-ostpreussen.de/cgi-bin/bildarchiv/suche/show_ortsinfos.cgi?id=61842 Waldfrieden ] auf der Webseite ''Ortsinformationen nach D. LANGE, Geographisches Ortsregister Ostpreußen'', 2005
* [https://www.deutschefotothek.de/documents/obj/71051639/df_dk_0010001_1196]  | Messtischblatt 1196 Aulenbach 1939 auf der Webseite ''Deutsche Fotothek (Abgerufen 01.06.2023)''
* [https://www.deutschefotothek.de/documents/obj/71051639/df_dk_0010001_1196]  | Messtischblatt 1197 Grünheide 1938 auf der Webseite ''Deutsche Fotothek (Abgerufen 01.06.2023)''
 
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'''1905''' 139 evangelisch, 11 andere Christen, 131 geben deutsch als Muttersprache an, 15 litauisch, 4 deutsch und eine andere.  <ref name="Henning">Kurt Henning und Frau Charlotte geb. Zilius, Der Landkreis Insterburg, Ostpreußen - Ein Namenslexikon, ca. 1970</ref>
=== Offizielle Webseiten zu Willschicken ===
GOV-Kennung        : '''WILTALKO04VT''' [http://gov.genealogy.net/item/show/WILTALKO04VT]        <br>Messtischblatt      : '''1196''' (11096) [https://www.deutschefotothek.de/documents/obj/71051639/df_dk_0010001_1196] | Messtischblatt Aulenbach Jahr : '''1939''' <br>Messtischblatt      : '''1197''' (11097) [https://www.deutschefotothek.de/documents/obj/71051640/df_dk_0010001_1197]  | Messtischblatt Grünheide Jahr : '''1938'''
 
<br>
<br>
'''1925''' alle evangelisch,  <ref name="Henning">Kurt Henning und Frau Charlotte geb. Zilius, Der Landkreis Insterburg, Ostpreußen - Ein Namenslexikon, ca. 1970</ref>
 
== <big>Bericht zur ländlichen Entwicklung in Ostpreußen am Beispiel des Dorfes Willschicken</big> ==
<br>In Ergänzung zu den vorgenannten Texten siehe auch den nachfolgenden Link zum <big>Hintergrundbericht:</big> <center><big><br>[[Ländliche Entwicklungen in Ostpreußen, dargestellt am Beispiel von Willschicken (Ksp. Aulenbach Ostp.)|'''Ländliche Entwicklungen in Ostpreußen, dargestellt am Beispiel von Willschicken (Ksp. Aulenbach Ostp.) – GenWiki (genealogy.net)''']]</big> </center>
 
<br>Wir suchen noch Fotos von Wilkental / Willschicken (Kreis Insterburg) für eine Veröffentlichung an dieser Stelle. Sollten Sie Bilder oder interessante Informationen haben, würden wír uns über eine Kontaktaufnahme freuen.  In diesem Fall senden Sie bitte eine E-Mail-Adresse an Klaus Kiehl:''' klaus-kiehl(at)t-online.de '''
 
<br>
<br>


=== Ortsgrundfläche===
== Bibliografie zu Willschicken  ==
*Im Jahr 1905 : 319,8 ha, Grundsteuer Reinertrag 8,87 je ha. 1925 analoge Ortsgrundfläche  <ref name="Henning">Kurt Henning und Frau Charlotte geb. Zilius, Der Landkreis Insterburg, Ostpreußen - Ein Namenslexikon, ca. 1970</ref>
*{{LitDB-Volltextsuche|{{#var:Ortsname}}}}
*[https://www.digitale-sammlungen.de/de/search?query=Willschicken Suche nach 'willschicken' in Metadaten und Volltexten | MDZ (digitale-sammlungen.de)]
*{{Metasuche-Ort|{{#var:Ortsname}}}}
*{{Grübels 1892|529}}
* Ostpreußen:  [https://www.retrobibliothek.de/retrobib/suchtreffer.html?suchtext=ostpreu%C3%9Fen retro|bib - Ergebnis der Suchanfrage (retrobibliothek.de)]
* Insterburg:    [https://www.retrobibliothek.de/retrobib/suchtreffer.html?suchtext=Insterburg retro|bib - Ergebnis der Suchanfrage (retrobibliothek.de)]
 
= Karten zu Willschicken =
 
<center>
<gallery widths="450" heights="400" perrow="3">
Datei:Alt Lappoehnen SCHK027.jpg|<center>''Wilschikken'' auf der Schroetterkarte (1796-1802), Maßstab&nbsp;1:50&#8239;000<br /><small>© Staatsbibliothek zu Berlin &ndash; Preußischer Kulturbesitz</small></center>
Datei:InsterburgAulowöhnen.jpg|<center>''Wilschickken'' auf der Schroetterkarte (1802-1812),  
Datei:Wilkental 01.jpg|<center> '''Wilkental'''  Krs. Insterburg und Orte in der Umgebung <br> <small>  auf der Messtischkarte Nr.1296 (1934). [https://www.deutschefotothek.de/documents/obj/71051680/df_dk_0010001_1296] </small>         
</gallery> </center>
 
= Dokumente zu Willschicken =
 
<br style="clear:both;"/>
<gallery perrow="3">
 
<br style="clear:both;"/>
<gallery perrow="3"> 
<!-- Niekammer´s Güteradressbuch 1922 -->
Datei:Niekammers Güteradressbuch 1922 Seite Deckblatt Bd 3 Ostpreußen.jpg|'''Niekammer´s Band III - Provinz Ostpreußen''' (1922) Deckblatt  [http://dlibra.bibliotekaelblaska.pl/dlibra/docmetadata?id=1203]
Chronik_Ksp._Aulenbach_(Ostp.)_-_Willschicken_-_1922_-_DOKUMENT_-_Niekammers_Güter-Adressbuch_1922_-_S130.jpg |'''Niekammer´s Band III - Provinz Ostpreußen''' (1922) Seite 130 [http://dlibra.bibliotekaelblaska.pl/dlibra/docmetadata?id=1203]
Chronik_Ksp._Aulenbach_(Ostp.)_-_Willschicken_-_1922_-_DOKUMENT_-_Niekammers_Güter-Adressbuch_1922_-_S131.jpg |'''Niekammer´s Band III - Provinz Ostpreußen''' (1922) Seite 131 [http://dlibra.bibliotekaelblaska.pl/dlibra/docmetadata?id=1203]
 
</gallery> Quelle : '''In "Niekammer´s Landwirtschaftliche Güter-Adressbücher Band III - Provinz Ostpreußen''', 1922 Lindicken (Ostp.)(Seite 129-130)
 
<br style="clear:both;"/>
<gallery perrow="3">
Datei:Ortsschafts- und Adressverzeichnis Landkreis Insterburg (Titel).jpg|'''Landkreis Insterburg''' (1927) Deckblatt
Datei:Chronik Ksp. Aulenbach (Ostp.) - Willschicken - 1927 - DOKUMENT - Orts- u. Adressbuch Lks Insterburg S68 Ausschnitt.jpg |'''Landkreis Insterburg - Lindicken Ksp. Aulowöhnen''' (1927) Seite 68
</gallery> Quelle :  In '''Ortschafts- und Adreßverzeichniss des Landkreises - Insterburg''', 1927 - Willschicken  <ref name=OAV_1927> Ortschafts- und Adressverzeichnis Landkreis Insterburg, ''Buchdruckerei und Verlagsanstalt Ospreußisches Tageblatt G.m.b.H,Insterburg (1927)'' (Reprint der Kreisgemeinschaft Insterburg Stadt u. Land e.V., Krefeld)</ref>
<br style="clear:both;"/>
<gallery perrow="3">
 
<br style="clear:both;"/>
<gallery perrow="4"> 
  <!-- Niekammer´s Güteradressbuch 1932 -->
Datei: Niekammers Güteradressbuch 1932 Seite Deckblatt Bd 3 Ostpreußen.jpeg| (1932) Deckblatt [http://dlibra.bibliotekaelblaska.pl/dlibra/docmetadata?id=1350]
Datei:Niekammers Güteradressbuch 1932 Seite 167.jpg |(1932) Seite 167 [http://dlibra.bibliotekaelblaska.pl/dlibra/docmetadata?id=1350]
 
</gallery>
 
 
 
Quelle : In '''"Niekammer´s Landwirtschaftliche Güter-Adressbücher Band III - Provinz Ostpreußen''', 1932 Willschicken (Ostp.) (Seite 167
 
<br>
<br>


== '''Weitere Informationen'''==
== Genealogische und historische Quellen zu Willschicken ==
<BR>
Orts-ID :  <BR>


Fremdsprachliche Ortsbezeichnung :  <BR>
=== Standesamt Unterlagen / Zivilstandsregister (ab 1874) ===
Fremdsprachliche Ortsbezeichnung (Lautschrift):  <BR> 


russischer Name : '''Ort exisitiert nicht mehr''' <br>
Das für Willschicken (Wilkental) zuständige Standesamt war ab 1888 gemäß der Zuordnung des [https://agoff.de/?p=97924 AGOFF] das StA Gross Aulowönen. Die Bestände sind teilweise, trotz Kriegseinwirkungen, erhalten und seit 2015 digitalisiert worden. Sie können gegen Gebühr (Mitgliedschaft) bei Ancestry unter StA Gross Aulowönen eingesehen werden.<br>
Kreiszugehörigkeit nach 1945 :  <BR> 
=== Kirchenbuchbestände ===
Bemerkungen aus der Zeit nach 1945 :  <BR>
weitere Hinweise : <BR>
Staatszugehörigkeit :  <BR>


Ortsinformationen nach D. LANGE, Geographisches Ortsregister Ostpreußen (2005)
Die für Willschicken (Wilkental) zuständige evangelische Kirchengemeinde war Aulowönen / Aulenbach (Ostp.). Viele Bestände wurden im Digitalisierungsprojekt “Archion” der deutschen evangelischen Kirchen online gestellt, leider keine Bestände aus Aulowönen. Es gibt jedoch  ebenfalls gegen Gebühr (Mitgliedschaft) bei Ancestry unter [https://www.ancestry.de/imageviewer/collections/61456/images/b843_00003?pId=900324016  Gross Aulowönen] einsehbare Bestände. Außerdem befinden sich einige Unterlagen im Sächsischen Staatsarchiv in Leibzig, siehe auch:  [https://www.bing.com/search?q=S%C3%A4chisches+Staatsarchiv+-+Kirchenbuchbest%C3%A4nde+Landkreis+Insterburg&form=ANNTH1&refig=adbba0ad855546199795fa0bedae5655 Sächisches Staatsarchiv - Kirchenbuchbestände Landkreis Insterburg]<br>


===Karten===
=== Adressbücher ===
[[Bild:Wilschikken_SCHK027.jpg||thumb|left|430 px|''Wilschikken'' o. ''Wilkschicken'' o. ''Wilpischen'' auf der Schroetterkarte (1796-1802), Maßstab&nbsp;1:50&#8239;000<br /><small>© Staatsbibliothek zu Berlin &ndash; Preußischer Kulturbesitz</small>]]
*Einträge aus {{Adressbuch-Ortslink|{{#var:GOV-ID}}|{{#var:Ortsname}}}} in der [[Adressbuchdatenbank]].<br style="clear:both;" />
<br style="clear:both;" />
<gallery perrow="5">   
<!-- Einwohner - und Ortschafts-Verzeichnis des Landkreises Insterburg , 1935 -->
Datei:Chronik Ksp. Aulenbach (Ostp.) - Waldfrieden - 1935 - DOKUMENT - Orts- u. Adressbuch Lks Insterburg S000 Deckblatt.jpg|<center>'''Titeleinband''' <br> (1935) </center> 
Datei:Chronik Ksp. Aulenbach (Ostp.) - Waldfrieden - 1935 - DOKUMENT - Orts- u. Adressbuch Lks Insterburg S001.jpg| <center>'''Deckblatt''' <br> (1935) </center>
Datei:Chronik_Ksp._Aulenbach_(Ostp.)_-_Willschicken_-_1935_-_DOKUMENT_-_Orts-_u._Adressbuch_Lks_Insterburg_S166_.jpg |<center>'''Willschicken''' <br> (1935) Seite 166 </center>
Datei: Chronik_Ksp._Aulenbach_(Ostp.)_-_Willschicken_-_1935_-_DOKUMENT_-_Orts-_u._Adressbuch_Lks_Insterburg_S167.jpg |<center>'''Willschicken''' <br> (1935) Seite 167 </center>
</gallery> Quelle : In '''Einwohner- und Ortschaft-Verzeichnis des Landkreises Insterburg, Sturmverlag GmbH''', 1935


= Weiteren Kontakte =
Genealogie lebt von Kontakten
<br>
=== Zufallsfunde ===
{{Einleitung Zufallsfunde}}
* [[{{PAGENAME}}/Zufallsfunde]]


==Daten aus dem Genealogischen Ortsverzeichnis==
<br>
<gov>WILTALKO04VT</gov>
 
=== Private Informationsquellen- und Suchhilfeangebote ===
{{Einleitung Forscherkontakte}}
* [[{{PAGENAME}}/Forscherkontakte]]
<br>{{FOKO|{{#var:GOV-ID}}|{{#var:Ortsname}}}}
 
<br>


=='''Quellen'''==
=== Daten aus dem genealogischen Ortsverzeichnis ===
<references />
<gov>WILTALKO04VT</gov>  


[[Kategorie:Ort in Ostpreußen]]
[[Kategorie:Ort in Ostpreußen]]
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[[Kategorie:Ort in Russische Föderation]]  
[[Kategorie:Ort in Russische Föderation]]  
[[Kategorie:Ort im Kaliningrader Oblast]]
[[Kategorie:Ort im Kaliningrader Oblast]]
<br>
<references />

Aktuelle Version vom 17. Januar 2024, 17:04 Uhr


Diese Seite gehört zum Portal Insterburg
Wappen des Landkreises Insterburg

W i l l s c h i c k e n

Kirchspiel Aulowönen / Aulenbach (Ostp.)
Landkreis Insterburg, O s t p r e u ß e n
_________________________________

Familie Tuttlues bei der Ernte


Hierachie: Regional > Deutsches Reich > Ostpreußen > Regierungsbezirk Gumbinnen > Landkreis Insterburg > Kirchspiel Aulowönen / Aulenbach (Ostp.) >Willschicken


Ort und Gemeinde
Willschicken
Kirchspiel Aulowönen (Ostp.)
Provinz : Ostpreußen (nördliches)
Regierungsbezirk : Gumbinnen
Landkreis : Insterburg [11]
Amtsbezirk : Groß Franzdorf (Franzdorf) [12]
Gegründet : vor 1675
Frühere Name : Wilpischen (um 1785)
Wilschicken (nach 1785)
Einwohner (1905) : 150
Orts-ID : 62435 (nach D. Lange)
Geographische Lage
Koordinaten : N 54° 80′ 55″ - O 21° 82′ 44″

Lage Kreis Insterburg mit Kirchspiel Aulenbach (Ostp.)
Lage Kirchspiel Aulenbach in Ostpreussen
Lage der Gemeinde Willschicken / Wilkental im Ksp. Aulenbach 1939


Einleitung


Willschicken war ein C h a t o u l d o r f und eine Gemeinde im Kirchspiel Aulowönen. Die Schule lag in Pillwogallen / (Lindenhöhe), Amt Franzdorf, das Standesamt und Gendarmerie in Aulowönen / Aulenbach, Die Gemeinde lag von Insterburg 22 km entfernt, ca. 3 km östlich von Aulowönen.

Am 03.06.1938 wurde die Gemeinde Willschicken umbenannt in Wilkental.

Im Folgenden wird Willschicken bzw. Wilkental aus unterschiedlichen Sichtweisen beschrieben.

Zunächst anhand von GenWiki - Standards und dann in drei Textteilen.

Einmal wird die Dorfentwicklung aus der Sicht der Familien Tuttlies und Kiehl berichtet.

In einem zweiten Teil kommt die Erinnerung von Hildegard Kiehl geb. Tuttlies zur Sprache.

In einem dritten, separaten Teil geht es um die Entwicklungen in und zwischen Land, Provinz und Gemeinde. Klaus Kiehl hat in einer Recherche eine interessante Zeitreise mit vielen detaillierten Hintergrundinformationen verfasst. Dieser Bericht befindet sich unter dem Link: Ländliche Entwicklungen in Ostpreußen, dargestellt am Beispiel von Willschicken (Ksp. Aulenbach Ostp.) – GenWiki (genealogy.net)

Dabei wird auf die erreichbaren privaten und öffentlichen Quellen zurückgegriffen. Diese Texte sollen aber keine Fachtexte sein - sondern sollen Wahrnehmungen und Erinnerungen der Tuttliesen und der Kiehls aus und über Deutschland, Ostpreußen, Willschicken und deren Hintergründe aufbewahren. Subjektive Wahrnehmungen und nachträgliche Erinnerungen schließen auch Fehler und Lücken mit ein. So z. B. das Erinnern an das Erinnerte.

Die Idee zu den drei Teilen hatte Hildegard Kiehl, die auch den zweiten Teil selber verfasst hat. Die Teile eins uns drei wurden aufgeschrieben von Klaus Kiehl - Nachfahre der Familie Tuttlies aus Willschicken, in Hamburg 2023.


Allgemeine Information

Ortsbeschreibung

Willschicken (ab 1938: Wilkental) Ksp. Aulowönen
auf der Messtischkarte (1196/1197), 1934/1939

Willschicken 1),D.(orf), Pr.(eußen), Ostpr.(eußen), RB. (Regierungsbezirk) Gumbinnen, Lkr. (Landkreis) , AG (Amtsgericht), Bkdo (Bezirkskommando) Insterburg, StdA (Standesamt), P.(ost) Aulowönen; A.(mt) Groß Franzdorf, E.(isenbahn) 3,2 km Groß Aulowönen; 168 E.(inwohner),"aus: Meyer Orts- und Verkehrslexikon (1912)" [1].

Die Gemeinde lag in ”Preußisch Litauen "[2] oder ”Klein Litauen” (Lithuania minor), dem nordöstlichen Teil des alten Ostpreußen.

Seine Einwohner waren nach der Reformation überwiegend evangelisch.

Ortsnamen

  • Deutsche Ortsbezeichnung (Stand 1.9.1939): Wilkental, Ort & Gemeinde
  • Vorletzte deutsche Ortsbezeichnung (vor der Umbenennung 1938) : Willschicken
  • weitere (alte) Ortsnamen: Wilpischen, Wilschicken

Willschicken, litauisch wilszikei = Schimpfname; Wilpischen, litauisch wilpiszys = die wilde Katze

Der Ort existiert heute nicht mehr.




Geschichte von Wilpischen / Willschicken / Wilkental

Es gab im Laufe der Zeit drei Namensänderungen vom Ort Wilkental :

  • Wilpischen -  erste Namensnennung um 1657,
  • Wilschicken - Schreibweise nach 1785,
  • Wilkental - Namensänderung am 16.07.1938

Aufgrund der Datenlage wird bei den Geschichtserinnerungen hauptsächlich auf die Bevölkerungsentwicklung und die Verwaltungsgliederung eingegangen. Die 25 unten angeführten ausgewählten Zeitpunkte zu Willschicken und der Umgebung werden in Ländliche Entwicklungen in Ostpreußen, dargestellt am Beispiel von Willschicken (Ksp. Aulenbach Ostp.)

im Kapitel 3 VON DER GESCHICHTE, GRÖSSE UND DER BODENQUALITÄT IHRES BESITZES näher erläutert.

  • Ostpreußen und der Deutsche Orden 1226 - 1525
  • Beginn der Ostsiedlung im Nadrauer Gebiet ab 1226. Hier werden später die Willschicker siedeln.
  • Das Umland des späteren Dorfes Wilpischen wird 1657 zu einem preußischen Siedlungsplatz
  • Die Gegend um Wilpischen wurde zuerst um 1657 als „Siedel Plaz by 2 Gehülfen“ erwähnt.
  • Der Tatareneinfall in Preußisch-Litauen erfolgte in den Jahren 1656/57.
  • Im Jahre 1678 wird ein preußischer Waldwart in der Siedlung Wilpischen genannt.
  • Willschicken wird 1709 von der Pest heimgesucht und die größte Zahl der Höfe werden verlassen und veröden.
  • Von ersten litauischen Ansiedlern wird 1713 in Uszupöhnen einem Nachbarsort von Willschicken berichtet.
  • Das Umland von Wilpischen wird 1721 vermessen
  • Das 1735 gegründete Hauptamt „Littauische Kriegs- und Domänen-Kammer zu Gumbinnen“ besteht bis 1808.
  • In der Liste der Königl. Domänenamtsmänner in Preussisch-Littauen wird Amtmann Chr. Theodor Praetorius 1735 für das Amt Lappönen aufgeführt.
  • 1735 wird Klein Aulowönen als Koloniedorf von 11 eingewanderten Salzburger Kolonisten-Familien genannt.
  • Nach dem 1. Juli 1757 besetzt die Zarenarmee Ostpreußen und wurde von Friedrich II. (dem Großen) bis 1763  wieder vertrieben.
  • Mit der Friderizianischen Kolonisation von 1763 – 1775 wurden im Rahmen des Landesausbaues neue Siedlungsgebiete festgelegt.
  • Im Jahre 1785 hat sich Wilschicken zu einem Chatouldorf mit 15 Feuerstellen (Wohngebäuden) entwickelt.
  • Ab 1806 kommt es in Willschicken zur Zwangsabgabe von Lebensmitteln und Vieh an die durchziehende französische Armee.
  • Das Chatouldorf Willschicken hat im Jahre 1815 aufgrund der Napoleonischen Kriege nur noch 4 Feuerstellen mit 85 Bewohnern.
  • Die Bevölkerung in Willschicken verdoppelt sich von 85 im Jahr 1823 auf 168 Einwohner im Jahr 1869.
  • Nach der Reichgründung schrumpfen aber die Willschicker wieder langfristig von 164 im Jahre 1871 auf 122 gemeldete Einwohner im Jahre 1933.
  • Berta und Ferdinand Tuttlies heiraten 1904 in Willschicken.
  • Ferdinand Tuttlies nimmt 1914 am 1. Weltkrieg teil.
  • Der verlorenen 1. Weltkrieg hatte für Deutschland und Ostpreußen ab 1919 u.a. sowohl finanzielle als auch räumliche Folgen.
  • Nach dem Ende der Weimarer Republik verkündet der Bürgermeister von Willschicken 1933: Willschicken soll nationalsozialistisch werden.
  • Am 03. 06. 1938 Umbenennung der Gemeinden Willschicken in Wilkental.
  • Von den 122 Einwohnern in Wilkental im Jahre 1939 kamen durch den 2. Weltkrieg und dessen Folgen 34 Menschen um, darunter 4 Mitglieder der Tuttliesen Familie.

Dorfentwicklung von Wilpische / Willschicken / Wilkental

Willschicken (1938 umbenannt in Wilkental) wurde etwa um 1785 als Schatulldorf zuerst erwähnt. Es hatte schon eine gemeinsame Pferdetränke und einen Friedhof [3] (siehe auch den separaten Bericht: „Ländliche Entwicklung in Ostpreußen am Beispiel des Dorfes Willschicken (Ksp. Aulenbach Ostp.)" und die Schroetterkarte (1796-1802). Die Umgegend von Wilpischen wurde als Siedlungsplatz schon 1657 zum ersten Male erwähnt. Es durchlief verschiedene Entwicklungsphasen, blieb aber immer ein überschaubares kleines Bauerndorf. Im Jahre 1945 wurde Willschicken aufgelöst. Es bestand 288 Jahre. Das ehemalige Siedlungsgebiet von Willschicken gehört seit 1945 zum russischen Oblast Kaliningrad. Die Fläche der (teil) aufgelassenen Dörfer Wilkental und Alt Lappönen und wurde nach 1945 der weiter bestehenden Gemeinde Kalinowka (russisch Калиновка, deutsch Aulowönen) bzw. Lindenhöhe zu Kaluschskoje (russisch Калужское, deutsch Grünheide) zugeschlagen.

Zur Dorf- beziehungsweise Landentwicklung siehe

3 VON DER GESCHICHTE, GRÖSSE UND DER BODENQUALITÄT IHRES BESITZES

und

7 VON DER POLITISCHEN ENTWICKLUNG

Politische Einteilung

Zugehörigkeit

Gemeinde Wilkental Ksp. Aulenbach 1939

Provinz  : Ostpreußen
Regierungsbezirk  : Gumbinnen

Landkreis  : Insterburg [13]
Amtsbezirk  : Groß Franzdorf [Franzdorf] [14]
Gemeinde  : Wilkental (Kr. Insterburg) - ab 16.07.1938
Kirchspiel  : Aulenbach (Ostp.). [Aulowönen]

im/in  : südlich der Ossa
bei  : ca. 22 km nördlich v. Insterburg, ca. 3 km östlich von Aulowönen

Weitere Informationen

Orts-ID : 62435

Fremdsprachliche Ortsbezeichnung : - - -
Fremdsprachliche Ortsbezeichnung (Lautschrift):

russischer Name : - - -
Kreiszugehörigkeit nach 1945 : - - -
Bemerkungen aus der Zeit nach 1945 : Der Siedlungsplatz existiert nicht mehr
weitere Hinweise :
Staatszugehörigkeit : Russisch

Ortsinformationen nach D. LANGE, Geographisches Ortsregister Ostpreußen (2005) [15]


Kirchliche Einteilung / Zugehörigkeit

Evang. Kirche Aulowönen (ca. 1900)

Evangelische Kirche

Der Ort Willschicken (Wilkental) gehört zum Kirchspiel Aulowönen, die evangelische Kirche befand sich in Aulowönen. Das Kirchspiel war überwiegen, auch bedingt durch die Migration der Salzburger um 1732 evangelisch. Die hierarchische Unterstellung stellt sich wie folgt dar:

  • Kirchspiel Aulenbach (Ostp.) --> Kirchenkreis Insterburg --> Kirchenprovinz Ostpreußen --> Kirchenbund Evangelische Kirche der altpreußischen Union.

Kirchenbuchbestände existieren und können - jedoch gebührenpflichtig - bei www.ancestry.de unter Gross Aulowönen online eingesehen werden. Sie sind jedoch nicht immer vollständig.

- Heiraten und Tote 1737-1839
- Heiraten und Tote 1766-1866
- Taufen 1736-1775
- Taufen 1809-1817
- Taufen 1818-1839
- Taufen, Heiraten und Tote 1604-1860
- Taufen, Heirate, Tote und Index 1788-1808

Außerdem befinden sich einige Kirchenbuchunterlagen, verfilmt auf Microfiche im Sächsischen Staatsarchiv, Staatsarchiv Leibzig, hierbei handelt es sich um die Bestände der ehemaligen Deutschen Zentralstelle für Genealogie (DZfG).

Katholische Kirchen

Eine katholische Kirche existierte nur in Insterburg (Ostp.). Die hierarchische Unterstellung stellt sich wie folgt dar: Landgemeinde Aulowönen --> Kirchspiel Insterburg --> Katholische Kirchengemeinde Insterburg --> Dekanate Tilsit --> Katholische Kirche in Ostpreußen.

Über den Verbleib von Kirchenbüchern liegen keine Informationen vor.

Neuapostolische Kirche

In Aulowönen gab es einen Betsaal der Neuapostolischen Kirche. Die Gemeinderäume befanden sich in Haus der Familie Herzigkeit Die hierarchische Unterstellung stellt sich wie folgt dar: Bezirk Tilsit --> Apostelbezirk Königsberg (Ostp.)


Amtliche Zählungen / Zensus

Ortsgrundfläche

  • 1905/1925 : 319,8 ha, Grundsteuer Reinertrag 8,87 je ha, [4]

Wohngebäude

Amtlich gezählt :

Haushalte

Einwohner

  • 85 (1700)
  • 85 (1815)
  • 85 (1823)
  • 110 (1853)
  • 155 (1858)
  • 127 (1865)
  • 134 (1867)
  • 154 (1871) davon männlich 77 [4]
  • 166 (1885)
  • 150 (1905) davon männlich 75 [4]
  • 146 (1925) davon männlich 66 [4]
  • 127 (1933) [4]


1871 sind alle Einwohner preußisch und evangelisch, 68 ortsgebürtig, 37 unter 10 Jahre, 73 können lesen und schreiben, 44 Analphabethen, 5 ortsabwesend; 1905 139 evangelisch, 11 andere Christen, 131 geben Deutsch als Muttersprache an, 15 litauisch, 4 Deutsch und eine andere. 1925 alle evangelisch [4]

Ausschnitt Ortsschafts- und Adressverzeichnis Landkreis Insterburg Seite 68 (1927)


Folgende Einwohner sind im Ortschafts- und Adreßverzeichnis des Landkreises Insterburg (1927) unter Willschicken genannt : Post Aulowönen, 20 km, [16]

  • Besitzer : Wilh.(elm) Grigull, Franz Sieloff, Joh.(ann) Aßpodin, Gustav Kirchsat, Fritz Stuhlemmer, Aug.(ust) Stuhlemmer, Gust.(av) Kollecker, Franz Krause, Wilh.(elm), Mikuleit, Louis Bartoschat, Gust.(av) Petschull, Ewald Tuttlies, Franz Kirschning, Ferdinand Milpauer, Otto Ludszuweit, Hermann Häsler, Ferd.(inand) Tuttlies, Wilhelm Bartschat, Reinh.(ard), Reinke, Christ.(ian) Mattulat, Albert Ennulat
  • Altsitzer : Karl Pastarbeit, Maria Mitukeit, Georg Greinies,
  • Windmühlbesitzer : Johann Mischnat,
  • Rentenempfänger: Leopoldine Kalweit
  • Arbeiter : Adolf Kalweit,
  • Depudant : Friedrich Jurkat, Ed. Naujokat, Heinrich Keßler.

Zahl und Größe der landwirtschaftlichen Betriebe

  • 0 zwischen 0,5 - 5 ha [4]
  • 8 zwischen 05-10 ha [4]
  • 5 zwischen 10-20 ha [4]
  • 10 zwischen 20-100 ha [4]


Wirtschaft


In Niekammer’s landwirtschaftliche Güter-Adreßbücher, (Band III) 1922 Seite 130/131 [17]

Willschicken : Gut, Nr. 12 zur Gem.(einde) W.(illschicken) geh.(örend) , Aulowöhnen P(ost) T(elegraph) St(andesamt) Grünheide E.(isenbahn), Groß Warkau A(=Amtsbezirk), Insterburg AG (=Amtsgericht),

  • Wilhelm Grigutt: Grundsteuerreinertrag in (Reichs)Mark : 474,--; 60 ha, davon 46,5 Acker incl. Gärten, 10 Weiden, 3 Unland/Hof/Wege, 0,5 Wasser, 9 Pferde, 24 Rinder, davon 11 Kühe, 3 Schafe, 12 Schweine;


In Niekammer’s landwirtschaftliche Güter-Adreßbücher, (Band III) 1932 Seite 167 [18]

Willschicken, Aulowönen P(ost) T(elegraph) Grünheide E(isenbahn) 5 (km)

  • Abbau Wilhelm Grigull: 60 ha, davon 42 Acker, 15 Weiden, 2,5 Unland/Höfe/Wege, 0,5 Wasser, 10 Pferde, 30 Rinder, davon 12 Kühe, 3 Schafe, 12 Schweine; Telefon: 64
  • Abbau Sieloff: 43 ha, davon 30 Acker, 2 Wiesen, 10 Weiden, 1 Unland/Höfe/Wege, 8 Pferde, 24 Rinder, davon 10 Kühe, 10 Schweine; Telefon: 67.
Aufstellung Betriebsliste Gemeinde Wilkental 1. Seite (Stand 1945 (1955)
Aufstellung Betriebsliste Gemeinde Wilkental 2. Seite (Stand 1945 (1955)

Die Tabellen "Schadensberechnung Landwirtschaft" wurden zum Zweck eines möglichen Lastenausgleiches von der Bundesrepublik 1955 auf Grund der fortgeschriebenen Datenlage von 1945 als Erhebungspunkt erstellt Die Daten beruhen aber durchweg auf den real erhobenen vorläufigen Ergebnissen der Volkszählung vom 17. Mai 1939. Landverkäufe waren nach dem Preußischen Erbhofgesetz von 15.5.1933 in Ostpreußen nicht mehr möglich.

Die Schadensberechnung Landwirtschaft Betriebsliste Gemeinde Wilkental Kreis Insterburg, Bez. Gumbinnen (Stand 1945 - erstellt 1955) nennt folgende landwirtschaftliche Betriebe:

Gemeindehektarsatz : 650,-- Reichsmark, Gemeindefläche 320 ha, Durchschnitt der Betriebshektarsätze : 325,-- ha.

  • A1. Ludzuweit, Otto und Ehefrau, 3,49 ha
  • B1. Allissat, August, -,-- ha +5,00 (Zugepachtet)
  • 2. Bartschat, Wilhelm, 25,00 ha / -25,00 ha
  • 3. Dingel, Artur, -,-- ha +15,75
  • 4. Ennulat, Kurt, 12,00 ha
  • 5. Grigull, Ernst, 66,66 ha GÜ 60
  • 6. Haesler, Herman, 6,50 ha
  • 7. Kollecker, Gustav u- Ehefrau, 11,27 ha
  • 8. Kornberger, August, 26,75 ha
  • 9. Mattulat, Paul, 25,82 ha
  • 10. Mikuteit, Wilhelm, 15,75 ha
  • 11. Milpauer, Albert 8,75 ha
  • 12. Papendick, Friedrich -,-- ha / +6,50 ha
  • 13. Petschull, Gustav 4,00 ha
  • 14. Reinke, Reinhold 5,00 ha
  • 15. Sieloff, Franz 43,48 ha GÜ 43
  • 16. Stuhlemmer, Fritz und Ehefrau 16,50 ha
  • 17. Tuttlies, Ewald 7,00 ha / -7,00 ha
  • 12. Tuttlies, Erich 6,00 ha
Bisher nicht angemeldete Betriebe :
  • 19. Bartoschat, Auguste, 10,25 ha
  • 20. Kirschning, Franz, 4,50 ha / -4,50 ha
  • 21. Krause, Leopoldine, 21,25 ha
  • 22. Nolde, Kurt, 11,00 ha



Höfe - Besitzer und Beschreibungen

Höfeverzeichnis

Die folgende Tabelle zeigt die Betriebsgrößen der Höfe in Willschicken in ha 1945. Die Zuschreibungen Großbauer, Gutsbesitzer, Besitzer, Arbeiter und Meier stammen aus den Quellen Niekammers Güteradressbuch 1932, sowie dem Fachbuch "Der Landkreis Insterburg, Ostpreußen - Ein Namenslexikon". [4]

Sie gehen vermutlich auf amtliche Steuerlisten aus den Jahren 1910 und 1920 zurück.

Verzeichnis der Hofbesitzer / Pächter Gemeinde Wilkental (früher Willschicken) ca. 1944
(Bitte mehrmals auf den Plan klicken, um ihn zu vergrößern)

Stand: ca. 1944 [5]

Verzeichnis der Hofbesitzer / Pächter Gemeinde Wilkental (früher Willschicken) ca. 1944
(Bitte mehrmals auf den Plan klicken, um ihn zu vergrößern)
  • 1: Hof Kollecker, Gustav - Besitzer, 11,27 ha
  • 2: Hof Allissat, August - Besitzer, gepachtet von Reinke, 5,00 ha Pacht
  • 3: Gut Sieloff, Franz - Gutsbesitzer, 43,48 ha
  • 4: Hof Pukris - Molkerei (Molkereibesitzer),
  • 5: Hof Dingel, Artur - Besitzer, gepachtet von Mikuleit, 15,75 Pacht
  • 6: Hof Stuhlemmer, Fritz - Besitzer, 16,50 ha
  • 7: Hof -unbekannt-
  • 8: Hof Nolde, Kurt - Besitzer, 11,00 ha
  • 9: Hof Bartschat, Wilhelm (*) - Großbauer, verpachtet an Bartoschat -25,00 ha
  • 10: Hof Milpauer, Albert (*) - Großbauer, 8,75 ha
  • 11: Hof Mikuteit, Wilhelm (*) - Großbauer, Bürgermeister bis 1940, 15,75 ha verpachtet an Dingel
  • zwischen 10 und 11: Bürgermeister Stube (Gebäude auf der anderen Straßenseite mit Scheune)
  • 12: Hof Krause, Leopoldine (*) - Großbauer, 21,25 ha
  • 13: Hof Kirschning, Franz (*) - Großbauer, verpachtet -4,50 ha
  • 14: Hof Kornberger, August (*) - Großbauer, 26,75 ha
  • 15: Hof Bartoschat, Auguste (*) - Großbauer, 10,25 ha + 25,00 Pacht
  • 16: Hof Mattulat, Paul - Großbauer, 25,82 ha
  • 17: Gut Grigull, Ernst - Gutsbesitzer, 60,66 ha
  • 18: Hof Häßler, Hermann und Frau Bartschs - Besitzer, Nähe Friedhof 6,50 ha
  • 19: Windmühle und Hof Pettschull - Besitzer, 4,00 ha
  • 20: Hof Papendieck, Friedrich und Frau Flemig - Arbeiter in Tuttliesens Häuschen, 6,50 ha Pacht
  • 21: Hof Tuttlies, Ewald - Besitzer, verpachtet an Papendick 7,00 ha
  • 22: Hof Ludzuweit, Otto - Besitzer, 3,49 ha
  • 23: Hof Ennulat, Kurt - Besitzer, 12,00 ha
  • 24: Hof Tuttlies, Erich - Besitzer, Maurer, Schneider, 6,00 ha
  • 25: Hof Reinke, Reinhold - Besitzer, 5,00 ha


1939 bildeten nur noch 7 Großbauern von insgesamt 23 Höfe den alten historischen Dorfkern von Wilkental. (obigen Tabelle mit (*) markiert). Die Anzahl der landwirtschaftlichen Betriebe in Wilkental betrug 1939: 8 zwischen 5-10 ha, 5 zwischen 10-20 ha und 10 zwischen 20-100 ha. Die Besitzverhältnisse hatten sich umgedreht. Von den 319,8 ha die Gesamtfläche der Gemeinde Wilkental in den Grenzen 1882 ausmachte, besaßen die Großbauern 1939 zusammen nur noch 83 ha, die Neusiedler dagegen kamen zusammen auf 236,8 ha. Um 1880 besaß noch jeder der 7 Großbauern in Wilkental durchschnittlich ca. 40 ha. Land.


Die Höfe und Ihre Bewohner - Familie Tuttlies

Familienstammbaum Tuttlies

Berta Tuttlies, geb. Burba
*31.08.1883 in Paducken,
†03.07.1968 in Hamburg
(um 1930)
Ferdinand Tuttlies
*01.12.1869 in Plattupönen,
†01.08.1949 in Vethem
(um 1930)

Willschicken war die Heimat von Berta und Ferdinand Tuttlies. Das Ehepaar Tuttlies hatte 5 Kinder: Max, Erich, Otto, Friedel und Hildegard (*21.03.1920 in Willschicken, †19.06.2020 in Hamburg).

Die Familiennamen waren, gerade auch in den älteren  Unterlagen, häufig mit unterschiedlicher Schreibweise zu finden. Es gab noch keine amtlich festgelegte Schreibweise der Personennamen. Zudem wurden die Namen im weitgehend analphabetischen ländlichen Bereich mündlich gebraucht und dabei laufend verändert. Der Amtsschreiber hat den Namen dann so geschrieben, wie er ihn akustisch verstanden hatte und wie er das Gehörte in Buchstaben umsetzen konnte. Zum Gedenken an das Ende der Befreiungskriege wurde am 4. Juni 1816 in der Kirche in der Nachbargemeinde Aulowönen eine Totenfeier für die in den Feldzügen 1813 -1815 gefallenen 28 Gemeindemitgliedern abgehalten. Unter der Ziffer 15. war zu lesen: " Johann Tutlys, Kürassier des Ostr. Rgt., Sohn des Wirthen David Tutlys aus Klein Popelken (Kirchspiel Aulowönen), er starb einen ehrenvollen Tod in der Schlacht bei Leipzig mit 23 Jahren."

Die von Gerhard und Hildegard Kiehl - geb. Tuttlies - auffindbaren Daten der Kirchenbücher und der Mühlenlisten zeigen für die männliche Linie der Tuttliesen in Willschicken folgende Einträge:

„Stammbaum von Michael Tuttlys

  1. Michael Tuttlys, Losmann, *1802, in Treinlauken/Kreuzberg, †25.3.1842 in Ernstwalde, ∞23.10.1830 in Treinlauken Charlotte Schoentaube, *03.01.1806 in Spannegeln,  
  2. Kind von 1: Johann Ferdinand Tuttlies, Bauer und Maurermeister, *11.07.1833 in Treinlaucken/Kreuzberg, †13.10.1923 in Willschicken,  ∞10.11.1865 in Staggen Maria Mauscherning, *02.06.1836, †15.03.1901 in Willschicken
  3. Kind von 2: August Herrmann Tuttlies Besitzer, *1866 in Willschicken, †1921 in Willschicken
  4. Kind von 3: Ewald Tuttlies, Besitzer, *1886 in Willschicken
  5. Kind von 3: Ferdinand Tuttlies,  Besitzer, Maurer, Schneider, *01.12.1869 in Plattupönen, †01.08.1949 in Vethem ∞14.11. 1902 Berta Tuttlies, geb. Burba, *31.08.1883 in Paduken, †03.07.1968 in Hamburg
  6. Kind von 5: Max Tuttlies, Kaufmann,  *19.01.1903 in Paducken,  †13.01.1964 in Krostiz, ∞ Gertrud, geb. Heinrichs, *26.07.1908 in Jennen, †28.01.1982 in Jesingen
  7. Kind von 5: Friedel Tuttlies, Hausmeisterin, *25.10. 1910 in Willschicken,  †03.12.1993 in Oberweißbach, ∞Helmuth Harward, *05.05.1906, †gef. 1944
  8. Kind von 5: Erich Tuttlies, Besitzer, Maurer,  *19.11.1905   in Willschicken,  †12.04.1995 Südkampen, ∞Erna … , *06.07.1924, †20.07.2017 Südkampen
  9. Kind von 5: Otto Tuttlies, *1909 in Willschicken, †31.12.1913 in Willschicken, ist schon mit 4 Jahren verstorben
  10. Kind von 5: Hildegard Kiehl, Angestellte, *21.03.1920 in Willschicken, †19.06.2020 in HamburgGerhard Kiehl, *04.08.1914 in Pillwogallen, †09.09.1998 in Hamburg  

Schon vor der Reichsgründung tauchte der Name Tuttlies in Willschi­cken auf. Nachfahren der Familie Tuttlies waren sehr aktiv in der Ahnenforschung und es gibt zahlreiche Veröffentlichungen zu den Familien Podewski, Tuttlies und Kiehl: hierzu :

Direkt in Aulowönen war ein weiteres Mitglied der Tuttliesen, nämlich Johann Ferdinand Tuttlies zu Hause. Er besaß einen Bauernhof und ein Baugeschäft. Er hat als Maurermeister seinen Enkel Ferdinand Tuttlies noch persönlich zum Maurer ausgebildet. Ebenfalls hat in diesem Baugeschäft, nach dem Tod von Johann Ferdinand Tuttlies , der Ur-Enkel Erich Tuttlies eine Maurerlehre absolviert. Johann Ferdinand Tuttlies der Großvater von Ferdinand Tuttlies wurde 11.07.1833 in Treinlaucken/Kreuzberg geboren. Er heiratet am 10.11.1865 in Staggen im Kirchspiel Aulowönen Maria Mauscherning. Er hat im Kirchspiel Aulowönen in Willschicken, während der Getreidekonjunktur 1848-1873, um 1860 als Maurer Arbeit gefunden und eine Bauernstelle als Besitzer mit Wohnhaus einrichten können. Danach hatte er ein Baugeschäft in Aulowönen. Er hat relativ spät geheiratet und ist dann auch in Willschicken 1901 gestorben. Seine 5 Söhne und sein 8 Enkel wuchsen dann ebenfalls in Willschicken auf. Von ihnen blieben nur 2 Söhne und 3 Enkel in Willschicken und der weiteren Umgebung.

Ferdinand Tuttlies ist am 01.12.1869 in Plattupönen, dem Nachbar-Wohnort seiner Ur-Großeltern geboren worden - hier gab es eine verwandte Hebamme - ist dann aber noch als Kleinkind nach Willschicken zurückgekehrt. Das frühere Dorf Plattupönen gehörte zwischen 1874 und 1945 zum Amtsbezirk Schaltischledimmen (1929 bis 1947: Neuwiese, heute russisch: Nowoselskoje). Dieser wurde 1930 in „Amtsbezirk Neuwiese“ umbenannt und war Teil des Kreises Labiau im Regierungsbezirk Königsberg der preußischen Provinz Ostpreußen. Im Jahr 1938 wurde Plattupönen in „Breitflur“ umbenannt.

Zum regionalen Tuttliesen-Clan im Kirchspiel Aulowönen gehörten, neben die Höfe von Ferdinand und Ewald Tuttlies, wie berichtet auch die Anwesen von Papendieck (mit 6,50 ha Pachtland) und Ludzuweit früher Weinowski (mit 3,49 ha Pachtland) in Willschicken und zwei weitere Höfe in Aulowönen und Alt-Lappönen. (siehe Karte Lappönen Neusiedler). Hinzu kamen weitere (unbekannte) Verwandte aus dem Kirchspiel Aulowönen in den Gemeinden Klein Popelken, Staggen und Aulowönen selbst. Diese wurden in Gesprächen in Willschicken zwar erwähnt, aber nach der Erinnerung von Hildegard Tuttlies nie besucht.

Die erhebliche kürzere Lebenserwartung und Anzahl der überle­benden Kinder spielte im Leben der Familien auf dem Lande eine große Rolle. Im Deutschen Reich betrug 1871/1881 die durchschnittliche Lebenserwartung, wie schon berichtet, bei Geburt für Jungen 35,6 Jahre und für Mädchen 38,4 Jahre. Um 1900 lag die Fruchtbarkeitsziffer für Frauen bei 4,93 Kinder. Sieht man sich den Stammbaum der Tutt­liesen an, trifft das nicht für alle Familienmitglieder zu. 1871/1881 wurden in jedem Haushalt im Deutschen Reich durchschnittlich 5,8 Kinder älter als 5 Jahre. Diese trifft für die Tuttliesen überwiegend zu.

Nach der Bauernbefreiung in Preußen hatte beispielsweise die Hälfte der auf dem Land Lebenden keinen Grundbesitz mehr und musste sich anderen Erwerbsquellen zuwenden, sich in der Landarbeit verdingen oder abwan­dern. Das galt besonders für überwiegende Zahl der aufwachsenden Kinder auf dem Lande. Dieses trifft auch auf die Familien Ferdinand Tuttlies zu. Max, Friedel, Erich und Hildegard Tuttlies verließen (zeitweise) ihr Zuhause.

* * * bis hier korrigiert * * *

Hausbau in Willschicken

Bis 1945 war der Hausbau in Ostpreußen der (Bau) Polizei untergeordnet. Das Allgemeine Preußische Landrecht bildete in allen preußischen Provinzen mit – Ausnahme der Rheinprovinz – bis 1871 den Rahmen für die Aktivitäten der (Bau) Polizei - auch für Willschicken.

Quelle: Baupolizeirecht in Preußen – Heuerleute

Im § 6 des Polizeiverwaltungsgesetz vom 11.03.1850 werden die folgenden "Gegenstände der ortpolizeilichen Vorschriften" aufgezählt:

a) Schutz der Personen und des Eigentums
b) Ordnung, Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs auf öffentlichen Wegen, Straßen und Plätzen, Brücken, Ufern und Gewässern

c) der Marktverkehr und das öffentliche Feilhalten von Nahrungsmitteln

d) Ordnung und Sicherheit bei dem öffentlichen Zusammensein einer größeren Anzahl von Personen

e) das öffentliche Interesse in Bezug auf die Aufnahme und Beherbergung von Fremden, Wein-, Bier- und Kaffeewirtschaften und sonstige Einrichtungen zur Verabreichung von Speisen und Getränken

f) Sorge für Leben und Gesundheit

g) Führsorge gegen Feuergefahr bei Bauausführungen, sowie gegen gemeinschädliche und gemeingefährliche Handlungen, Unternehmungen und Ereignisse überhaupt

h) Schutz der Felder, Wiesen, Weiden, Wälder, Baumpflanzungen, Weinberge usw.

i) alles Andere, was im besonderen Interesse der Gemeinschaft und ihrer Angehöriger polizeilich geordnet werden muss.

Quelle: Digitalisierte Sammlungen der Staatsbibliothek zu Berlin Werkansicht: Gesetz über die Polizei-Verwaltung. Vom 11. März 1850.: vom 11. März 1850(PPN653941005 - {4} - Übersicht mit Inhaltsverzeichnis) (staatsbibliothek-berlin.de)

In Ostpreußen waren für den Erlass von allgemeinen Bauvorschriften die folgende Behörden bis 1897 zuständig:

  • die Ortspolizeibehörden - deren häufig mehrere Gemeinden zugeordnet waren - z. B. für die Einhaltung des § 6 g des Polizeiverwaltungsgesetzes bei Führsorge gegen Feuergefahr bei Bauausführungen und der Aufstellung von Bebauungsplänen (Sitz in Aulowönen Amtsbezirk Nr. 34),
  • die Landräte für die technische Bauordnung von Land- und Stadt-Kreisen und Prüfung und Erteilung von Baugenehmigungen (mit Sitz in Insterburg),
  • die Regierungspräsidenten für die Umsetzung der Polizeirechte und Bauordnungen in den Regierungsbezirken und (mit Sitz in Gumbinnen),
  • die Oberpräsidenten für die in Provinzen hatte das Kontrollrecht für die unteren Behörden und das Immediatrecht beim preußischen Ministerpräsidenten (mit Sitz für Ostpreußen in Königsberg)
  • die Minister in Berlin für die Reichsbauten wie Festungen, Kasernen, Eisenbahn und Straßen der 1. Ordnung (diese jedoch nur in beschränkten Fällen ).

Im letzten Drittel der 80er-Jahren führte die industrielle Entwicklung im Deutschen Reich zum Anwachsen der Bevölkerung, im Reich von 49,05 Mio. (1871) auf 54,32 Mio. (1900), in Ostpreußen von 1,80 Mio. (1871) auf 1,99 Mio (1900), in Wilschicken aber nur von 154 (1871) auf 160 (1900). Es kam zu einer enormen Ausweitung der Städte im Westen - in Ostpreußen allerdings zu Abwanderungen der Arbeitslosen in Höhe von etwa 25 % der Bevölkerung. Etwa 20 % der Güter waren wirtschaftlich unrentabel geworden und mussten ihre Landarbeiter entlassen. Dazu kam der unversorgte Nachwuchs auf den Höfen, der nicht erbberechtigt war.

Darauf reagierte die preußische Bauverwaltung neben wenig erfolgreichen Programmen zur Ansiedlung von Bauern u.a. mit dem Fluchtliniengesetz von 1875 - es sollte ebenfalls durch den verstärkten und geordneten Hausbau das Verbleiben und die Neuansiedlung der ländlichen Bevölkerung in Ostpreußen unterstützen. Es ermöglichte die Fluchtlinien für Straßen (Baugrenzen), die Bebauungspläne (Flächenausweisungen), die rechtliche Enteignung für notwendige Verkehrsflächen, sowie deren Entschädigung zu regeln.

Die, durch die Aufsiedlung von bankrotten Gutländereien notwendige (neue) räumliche Fluchtlinienfestsetzungen wurde von der örtlichen Polizei getroffen. Hierunter fielen Fluchtlinien- und Bebauungspläne. Durch die Fluchtlinien kam es zur Festlegungen von Straßen. Das Wegerecht wurde von den örtlichen Gemeinden daraus abgeleitet. (1850) Die Bebauungspläne (Flächennutzungspläne) wurden für größere Gebiete (Kirchspiele) aufgestellt. Sie umfassten Nutzungs- und Bebauungsart und legten die Baudichte fest. Die Planungskompetenz hatte die staatliche Baupolizei, welche die örtliche Polizeibehörde aufforderte, Baupläne aufzustellen, die königlich genehmigt werden mussten. (1855/75)

Das Preußisches Fluchtliniengesetz sah u.a. folgendes vor:

§. 1. Für die Anlegung oder Veränderung von Straßen und Plätzen in Städten und ländlichen Ortschaften sind die Straßen- und Baufluchtlinien vom Gemeindevorstande im Einverständnisse mit der Gemeinde, bezüglich deren Vertretung, dem öffentlichen Bedürfnisse entsprechend unter Zustimmung der Ortspolizeibehörde festzusetzen. Die Ortspolizeibehörde kann die Festsetzung von Fluchtlinien verlangen, wenn die von ihr wahrzunehmenden polizeilichen Rücksichten die Festsetzung fordern. Zu einer Straße im Sinne dieses Gesetzes gehört der Straßendamm und der Bürgersteig. Die Straßenfluchtlinien bilden regelmäßig zugleich die Baufluchtlinien, das heißt die Grenzen, über welche hinaus die Bebauung ausgeschlossen ist. Aus besonderen Gründen kann aber eine von der Straßenfluchtlinie verschiedene, jedoch in der Regel höchstens 3 Meter von dieser zurückweichende Baufluchtlinie festgesetzt werden.

§. 2. Die Festsetzung von Fluchtlinien (§ 1) kann für einzelne Straßen und Straßentheile oder, nach dem voraussichtlichen Bedürfnisse der näheren Zukunft, durch Aufstellung von Bebauungsplänen für größere Grundflächen erfolgen

Quelle:

Preußisches Fluchtliniengesetz (Straßen- und Baufluchtengesetz) von 1875, Gesetz, betreffend die Anlegung und Veränderung von Straßen und Plätzen in Städten und ländlichen Ortschaften vom 2. Juli 1875

Mit einem preußischen Erlass von 1855 wurde das Aufstellen von Bauplänen geregelt. Der Erlass befasste sich lediglich mit den Bebauungsplänen. Die Initiative für die Planaufstellung lag nun bei der Polizeibehörde der Gemeinde, jedoch sollten die Kommunalbehörden „gleichmäßig mitwirken“. Neben der Mitwirkung der Gemeinde wurde die Offenlegung von acht Tagen eingeführt, die Betroffenen die Möglichkeit für Einwendungen innerhalb von vier Wochen eröffnete. Anschließend wurde bei der Bezirksregierung über den Plan entschieden. Gab es während des Verfahrens keine Einigung zwischen der Gemeinde und der Polizeibehörde, entschied die Bezirksregierung vorher und führte dann die Offenlegung durch.

Mit diesem Gesetz begann eine Aufspaltung des baurechtlichen Aufgabenbereichs in Bauplanungsrecht und Baupolizei

Im gesamten Preußen war ab 1887 eine einheitliche technische Bauausführung vorgeschrieben. Dazu wurde 1897 das preußischen Baupolizeirecht erlassen. 1919 wurde der Entwurf einer Einheitsbauordnung (für die Städte) vom Ministerium herausgegeben. Aus diesem Anlass wurden fast überall in Preußen neue Bauordnungen herausgegeben, auch für den Stadtkreis Insterburg. Der Geltungsbereich war zunächst auf die innerstädtischen Bereiche begrenzt. Erst 1931 folgte eine separate Einheitsbauverordnung für das "platte Land" - also Gebäude außerhalb der Stadtgrenzen von Insterburg.

Die technische Bauordnung von 1920 für den Stadt- und Landkreis Insterburg umfasste folgende technische Punkte:

  • das gesunde Wohnen (Belichtung, Raumhöhen, Kälte- und Wärmeschutz),
  • der Brandschutz,
  • die Standsicherheit,
  • die Flucht- und Rettungswege,
  • die Versorgung und die Entsorgung, insbesondere die Entwässerung des Grundstücks

Quelle:

Bauordnung für Insterburg: Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, I. HA Rep. 151, IV Nr. 975

Preußisches Baupolizeirecht ([Hauptbd.]) - Digitale Sammlungen der Bauhaus-Universität Weimar (uni-weimar.de)

Die Bauordnung in Preußen & NRW: Zeitliche Entwicklung (feuertrutz.de)

Talka beim Bau des Wohnhauses Tuttlies (1904)
ganz oben Ferdinand Tuttlies,
ganz unten Frauen der Familie Burba

Die Landwirtschaft im Willschicken war um 1900 stark von der allgemeinen wirtschaftlichen Lage abhängig. Nach der Reichsgründung lösten sich bis zum 1. Weltkrieg 5 Konjunkturen und 5 Depressionen zeitlich ab. Seit dem Frühjahr 1902 gab es die 4. Konjunktur, die reichsdeutsche Wirtschaft wuchs wieder sichtbar. Sie trieb eine Konjunktur voran, die bis zum Februar 1907 anhielt. Besonders die Industrie war ein Wachstumsmotor. Von 1902 bis 1907 wuchs die Wirtschaft um 17,1 %. Wenn auch im negativen Maße, betraf das Wachstum im Westen auch die Landwirtschaft im Osten. Während dieser Zeit wanderten etwa 150 000 Ostpreußen aus der Landwirtschaft  in den Westen ab, sie wurden dort als Arbeitskräfte dringend gesucht. Zu Hause fanden sie keine Arbeit. Hinzu kamen sinkende Erzeugerpreise für Getreide in Ostpreußen, aufgrund einer stark gestiegenen Einfuhr von preiswerten Roggen aus Russland ins Kaiserreich. Der private Hausbau auf dem Lande war auch stark von der wirtschaftlichen Situation der Heimatprovinzen Ostpreußen abhängig, da die Preußische Staatsregierung nach den politischen Vorgaben den rechtlichen Rahmen für Neusiedler schuf und die lokalen Institutionen häufig auch wirtschaftlich als Kreditgeber beim Hausbau gebraucht wurden.

Burbas Frauen nach dem Kirchenbesuch
zum Richtfest, 1904

In Ostpreußen, besonders im Regierungsbezirk Gumbinnen versuchte die Verwaltung seit langen, durch verschiedene Maßnahmen, die Bevölkerung auf dem Lande zu halten und dort zu ernähren. Dazu zählten auch die Unterstützung bei Ansiedlung von Höfen, z. B. durch die Umwandelung von Ackerland in Siedlungsflächen durch die Separation (Flurbereinigung) und der Hausbau (siehe unter: „Ländliche Entwicklung in Ostpreußen am Beispiel des Dorfes Willschicken (Ksp. Aulenbach Ostp.)“. Auch im Landkreis Insterburg wurden durch die "Ostpreußische Landgesellschaft" günstige Kredite zum Hausbau zur Verfügung gestellt. Die genaue Höhe und die Verteilung konnten aber nicht ermittelt werden. Auf alle Fälle wurde die Separation real durch die "An­siedlungskommission" und rechtlich durch bestehende Gesetze und Vorschriften unterstützt. Bei den aufzusiedelnen Grundstücken handelte es sich überwiegend um das Land ehemalige Großbetriebe. Vor dem Ersten Weltkrieg richtete in Ostpreußen die "An­siedlungskommission" auf 35.000 ha ehemaligen Großgrundbesitzes 1.600 Siedlerstellen ein. Die Hofstellen wurden durch günstige Hypotheken finanziert.

Talka beim Bau des Stallgebäudes
der Familie Tuttlies (1905)

Manches kleine Bauerndorf hat sich durch die Separation aber zum Teil aufgelöst. Es entstanden Gemeinden in Streulagen mit einem "alten" Dorfkern - so wie Willschicken. Hier blieben nur 7 von insgesamt 22 Höfe Bauern den alten Dorfkern. Bauern deren Besitz weit vom Dorf entfernt lag siedelten aus wirtschaftlichen Gründen aus. Sie gaben ihren alten Hof auf und bauten einen neuen auf einem Außengrundstück. So wurden in Ostpreußen im Laufe des 19. Jahrhunderts mehr als die Hälfte der der neuen Höfe „ausgebaut“, wie man in Ostpreußen sagte. Die andere Hälfte bestand aus Neusiedlern.

Um den "Ausbau" und das Neusiedeln technisch möglich zu machen, bedurfte es Straßen. "Zum Bau der Grünheider - Aulowöhner Chaussee, welche die Feldmark Lappönen durchschneidet, verkaufte der Gutsbesitzer von Alt Lappönen lt. Vertrag vom 21.11.1865 an den Insterburger Kreis 6 Morgen Land für 222 Taler." Die ersten Höfe in Willschicken und die Windmühle, die an dieser Chaussee lagen, bzw deren Verkehrswege hier einmünden, konnten demnach ab 1875, nach Erlass des preußischen Fluchtliniengesetzte und dem dadurch rechtlich geregelten Wege- und Straßenbau, "ausgebaut" oder neu besiedelt werden. Zuvor waren im Kirchspiel Bebauungspläne aufgestellt.

Traditionellerweise lagen die Ländereien der Bauern innerhalb einer Gemeinde. Die historische gewachsenen Gemeindegrenzen waren im Regelfall identisch mit den äußeren Grundstücksgrenzen der Eigentümer deren Land am Gemeinderand lagen. Ausnahmen bildeten groß Güter, die mehrere Gemeinden umfassten, historische Entwicklungen wie die Separation und Zusammenlegungen von Gemeinden, Ver- und Zukäufe von Land während wirtschaftlicher Konjunkturen und Depressionen und Erbfälle in großen Familien, wie bei den Burbas und Tuttliesen. Seit 1882 waren die Grenzen der Gemeinde Willschicken festgelegt. Ein Teil der Chaussee zwischen Grünheide und Aulowönen, die gradlinig verlief, bildete die Gemeindegrenze zwischen Paducken und Willschicken und durchschnitt aber zwei vorhandene Grundstücke der Gemeinde. Zwei kleine Flächen der Gemeinde Wilkental lagen südlich dieser Chaussee. (siehe die Karte von 1939, die die Gemeinde Wilkental zeigt.)

Das raue Klima mit seinen durchschnittlichen 173 Frosttagen im Jahr beschränkte die Vegetationszeit auf sechs bis sieben Monate und stellte die Landwirtschaft in Ostpreußen vor große Probleme. Die Heizungsperiode betrug im Durchschnitt sieben Monate. Die Häuser erforderten dickere Mauern, stabile Dächer und Doppelfenster. Gab es keine Doppelfester, wurden im Winter zweite Fensterflügel eingehängt, so dass ein Doppelfenster entstand und trockenes Moos zur Kältedämmung bis zur halben Fensterhöhe dazwischen auf die Fensterbank gestopft wurde. Ganz wichtig waren aber die voluminösen Kachelöfen. In der Regel gab es davor eine im Winter sehr beliebte Ofenbank. Der aufgemauerte große Küchenherd war eine weitere Wärmequelle. Im Winter war in Ostpreußen der Pelz eine normale Arbeitskleidung. Großen Schaden nahmen die Obstpflanzungen während des sehr strengen Winters 1928/29. Bis zu 75 % der Obstbäume fielen dem sehr strengen Frost von über 30 Grad Celsius zum Opfer. Bei den Tuttliesen mussten alle Obstbäume neu gepflanzt werden

Mutter Berta Tuttlies bekam zur Hochzeit 1902 als Mitgift 16 ha Land von ihrem Elternhaus - den Burbas aus Paducken – einer Nachbarge­meinde. Das Land war nicht vollständig landwirtschaftlich nutzbar. 10 Hektar konnten u.a. an die Kleinbahn verkauft werden, um den Hausneubau mitzufinanzieren. Dazu kam ein günstiger Kredit in Höhe von 25 % der Baukosten von der Ostpreußische Generallandschaftsdirektion, der für "Aussiedlern" von Erbhöfen möglich war.

Vater Ferdinand Tuttlies war Besitzer und Handwerker zugleich, er war zusätzlich als gelernter Maurer und als angelernter Schneider tätig. Ein kleiner Landteil wurde für den Hofbau als Grundfläche benötigt. Er lag direkt an der Chaussee in Willschicken. Dieses Landteil erhielt Ferdinand Tuttlies von seinen Willschicker Eltern ebenfalls zur Hochzeit.

Zunächst mussten die Baugenehmigung erteilt werden. Dabei waren der örtliche Bebauungsplan und das preußische Fluchtliniengesetz zu berücksichtigen.

Im Jahre 1904 machte sich Ferdinand Tuttlies unterhalb der Lindenhöher - Alt Lappöner Chaussee auf Willschicker Gemeindeland an den Bau eines eigenen Hofes. Die junge Familie suchte ein eigenes Zuhause. Auf der anderen Straßenseite lag in Willschicken sein El­ternhaus. Im Elternhaus wohnte der Besitzer August Herrmann Tuttlies, gebo­ren 1866. Nach dessen Tod 1921 übernahm es dessen 2. Sohn Ewald Tuttlies. Zum Tuttliesen-Clan gehörten auch die Anwesen von Papendieck (mit 6,50 ha Pachtland) und Ludzuweit früher Weihnowski (mit 3,49 ha Pachtland), die Nachbaren auf der anderen Straßenseite waren, zwei weitere Höfe in Aulowönen/Lappönen – Tuttlies und Jägu. (siehe Karte Lappönen Neusiedler) sowie das Baugeschäft Tuttlies im Aulowönen.

Am 15. Oktober 1923 wurde in Berlin zur Neuordnung der Währungsverhältnisse in Deutschland die Deutsche Rentenbank errichtet. Ihre Aufgabe bestand in der Stabilisierung der Währung und der Rückgewinnung des völlig verlorengegangenen Vertrauens in das deutsche Geld.  Damit gelang es, die Hyperinflation abrupt anzuhalten. Die alte Mark blieb vorerst gesetzliches Zahlungsmittel und wurde am 30. August 1924 durch die Reichsmark ersetzt. Wer sich etwa vor 1921 für ein Haus oder anderen Grundbesitz verschuldet hatte, der war über Nacht seine Schulden los. Größter Profiteur war der Staat. Seine gesamten Kriegsschulden in Höhe von 154 Milliarden Mark beliefen sich, als am 15. November 1923 die neue Währung Rentenmark eingeführt wurde, auf gerade einmal 15,4 Pfennige.

Das neue Anwesen von Ferdinand Tuttlies war ab 1923 schuldenfrei. Der 1904 aufgenommene Kredit in Höhe von 25 % der Baukosten von der Ostpreußische Generallandschaftsdirektion musste nicht mehr ganz zurückgezahlt werden. Die Dörfler wussten im Allgemeinen die wirtschaftliche Lage ihrer Nachbaren gut einzuschätzen. Hildegard Tuttlies hat ihren Vater als einen freundlichen und sehr gutgläubigen Menschen beschrieben. Der größte Schuldner von Ferdinand Tuttlies wurde im Laufe der Zeit allerdings sein eigener Bruder Ewald durch den eigenen Hofausbau, bei dem er sich völlig übernahm - was zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Familien führte. Es fand auch keine Talka mehr statt. Inzwischen war eine beträchtliche Summe aufgelaufen. Da eine Einigung privat nicht mehr möglich war, nahm Ferdinand seinen Bruder jetzt am Schlafittchen. Er suchte, auch auf Drängen seiner Frau Berta, die Unterstützung durch die Behörden bei einer Entschuldungsstellen Dies führte im Dorf zu beachtlicher Aufregung. Das Verfahren dauerte fast zwei Jahre. Nach einem gerichtlichen Vergleich übernahm Ferdinand Tuttlies Teile des Landes von seinem Bruder als kostenfreie Pacht, sein verliehenes Geld war auf Grund der Weltwirtschaftskriese 1929 kaum noch was wert - ähnlich dem Wert-Verlust der Kriegsanleihen, die sein Vater 1914 gezeichnet hatte. Die Dörfler standen zu Ferdinand Tuttlies, Ewald Tuttlies wurde gemieden. Er ging 1934 zur Wehrmacht.

Beim Hofbau 1904 halfen Verwandte und Bekannte mit. Die Talka bezeichnete in Preußisch-Litauen die gegenseitige „Bitthilfe“ unter den Dorfbewohnern, die bei umfangreichen landwirtschaftlichen Arbeiten wie Pflügen, Aussaat, Roggenernte, Dreschen und Hausbau erbeten und gewährt wurde. Verwandte und Dorfbewohner halfen, wie damals üblich, mit. Die „Bau-Talka“ (lit. pastatyti talką) galt allgemein als bedeutende Veranstaltung im Vergleich etwa zu den weniger Personen einbeziehenden Mäh-, Dresch- und Schlacht-Talkas. Einigen Berichten zufolge war sie allerdings noch um die Mitte des 19. Jahrhunderts in der Gegend von Pillkallen eine Angelegenheit des ganzen Dorfes. Oft schloss ein großes abendliches Fest – möglichst mit Musik und Tanz – eine Talka ab, immer war sie mit reichlicher Verköstigung der Helfer verbunden.

Bei der Bau-Talka wurde in der Regel hauptsächlich am Wochenende gearbeitet. Dies erklärt auch die lange Bauzeit auf dem Tuttliesen Hof.

Hof Tuttlies - eine Beschreibung

So entstanden für die junge Familie von Ferdinand Tuttlies und Berta Burba ein stabiles eineinhalbgeschossig Wohnhaus. Es war ganz aus Ziegel aufgemauert hatten hellen Außenputz und war mit roten Dachpfannen bedeckt. Besonderes Augenmerk wurde auf einen feuerfesten Kamin gelegt. Das Wohnhaus wurde beheizt durch einen großen Kachelofen, der seine Wärme über ein Warmluft-Kanalsystem auch im Obergeschoss verteilte, den Küchenherd und im Winter auch durch die Außenwand der eingebauten Räucherkammer. Dazu kamen im Winter in den Schlafzimmern kleine "Stöfkes". Das raue Klima mit seinen durchschnittlichen 173 Frosttagen im Jahr beschränkte die Vegetationszeit auf sechs bis sieben Monate und stellte die Landwirtschaft in Ostpreußen vor große Probleme. Die Heizungsperiode betrug im Durchschnitt sieben Monate. Die Häuser erforderten dickere Mauern, stabile Dächer und Doppelfenster. Im Winter war in Ostpreußen der Pelz eine normale Arbeitskleidung. Großen Schaden nahmen die Obstpflanzungen während des sehr strengen Winters 1928/29. Bis zu 75 % der Obstbäume fielen dem sehr strengen Frost von über 30 Grad Celsius zum Opfer. Bei den Tuttliesen mussten alle Obstbäume neu gepflanzt werden


Vier- oder Dreikant war die vorherrschende Bauform der Höfe in Preußisch-Litauen. Die "neuen" Wohnhäuser der Bauern, zumindest im Willschicken, waren in der Regel eineinhalbgeschossig aufgemauert, außen hell verputzt , häufig mit einem Zierband aus roten Ziegeln oder weißen Aufputz um Außentüren, Fenster und am Giebel versehen und mit roten Dachpfannen gedeckt. Stroh- und Reetdächer waren wegen Feuergefährlichkeit untersagt. Die Fundamente mussten fachgerecht aufgemauert und auf Feldsteinen gelagert werden. Die Fundamentoberkanten mussten 20 bis 40 cm. über dem Erdboden liegen. Ställe, Scheunen und Nebengebäude wurden in Fachwerk mit einem Feldsteine-Unterbau und zum Teil mit einer äußern Holzverschalung ausgeführt. Die tragenden Bauhölzer der Gebäuden mussten mit stark riechendem Karbolineum gegen Fäulnis gesichert werden. Die Ziegel kamen aus Aulenbach von der Ziegelei Teufel oder der Ziegelei Guddadt. Feldsteine, Holz und Lehm gaben das eigene Land oder das der Nachbaren in Willschicken her. Keller waren bei kleinen Höfen unüblich. Größere Höfe und Gaststätten besaßen häufig einen "Eis-Keller" der im Winter mit Natureis gefüllt wurden und - je nach Klima - bis zum Hochsommer vorhielt. Der Dachboden "de Lucht" war ein sehr beliebter Kinderspielplatz.

Gegenüber dem Wohnhaus lag die zweistöckige Scheune mit aufgemauerten Giebeln. Die Zufahrt war rechtwinkelig von der Straße zu der hinteren Hofseite angelegt. Sie war auch gepflastert und führte außen am Scheunengebäude vorbei. So konnte die Scheune von beiden Seiten "beladen" werden. Im rechten Winkel lag dazu das ebenfalls eineinhalbgeschossiges, mit Holz verschalte Stallgebäude. Auf der Hinterseite der Ställe gab es mit einem Schweinegarten und einem Rossgarten. Ein Anbau mit Geflügel- und Ziegenstall schloss den Vierkant ab.

Der innere Hof war zum Teil mit behauenen Feldsteinen ausgepflastert. Der Hof maß etwa 15 x 15 Meter, so dass eine bespannte Feuerwehrspritze darin wenden konnte. Zwischen den Höfen musste der Feuerabstand mindestens 150 Fuß etwa 42 Meter betragen. Zur Straßenseite gab es einen Ziergarten und hinter dem Wohnhaus einen Gemüse- und Obstgarten mit 24 Obst-Bäumen. Darin gab es eine Fliederlaube, ein herrliches Versteck für die Kinder. Der Hof war außen mit einem Staketenzaum umfriedet und wurde außen zum Windschutz mit Bäumen und Hecken umpflanzt. Er wurde durch ein großes Tor verschlossen und vom Hofhund Lux bewacht. Es war ein kleiner Vierkanthof entstanden. Die Baumaterialien waren Ziegel, Feldsteine, Lehm und Holz. Es hat bis 1906 gedauert, bis alles fertig war. Diese Annahme lässt sich aus dem Messtischblatt 1197 (Grünheide) Bereich Willschicken von 1934 ableiten. unten rechts. Die Vermessung muss vor 1906 entstanden sein, da sie nicht den endgültigen Ausbau des Tuttliesen-Hofes zeigt.


Geschichten & Anekdoten rund um Willschicken


Dorfleben in Willschicken / Wilkental

Auf- und Abstieg innerhalb von Gesellschaftsschichten in Ostpreußen um 1900
(Quelle: Köllmann, Bevölkerungsgeschichte)

In Wilkental gab es 1939 das ehrenamtliche Bürgermeisteramt (Gemeindevorsteher), eine kleine Molkerei und einen Friedhof, aber es gab keinen Laden, keine Schule, keine Kirche und keine Gaststätte. Scherenschleifen, Zwiebelbauern, Heringshändler und Petroleums-Verkäufen zogen zu bestimmten Zeiten durch das Dorf, dazu kamen Vieh- und Pferdehändler und Heimatlose. Die Post kam zweimal die Woche. Seit 1825 war es gestattet, Land-, Fuß-Boten oder Briefträger einzustellen. Sie stellten zwei- bis dreimal in der Woche Briefe, Adressen, Zeitungen und Amtsblätter gegen ein Bestellgeld in der Umgegend des Postbezirks zu und nahmen, wieder gegen ein Bestellgeld, solche Sendungen an. Die Landbriefträger wurden von der Postanstalt unter Vertrag genommen und besoldet, das Bestellgeld floss in die Postkasse und sollte die Kosten für diese Dienstleistung decken. Diese Reglungen blieben bis zur Weimarer Verfassung bestehen.

Dörfer wie Wilkental haben wie zu jeder Zeit auch belastbare soziale Netze von Hilfe und Zurückhaltung (siehe: Pierre Bourdieu, Der feine Unterschied). Sie dienten der Sozialkontrollen und zur Abgrenzung zwischen den unterschiedlichen Sozialgruppen im Dorf und der Region. Gutsbesitzer, Bauern und Gesinde grenzen sich sozial gegenseitig ab und heiraten so wie Gutsbesitzer häufig nur untereinander. Allerding war sozialer Aufstieg durch Einheirat in die sozial angesehene Bauerngruppen auch ein gängiges Muster. Gerade auf dem Lande gingen "Eigentumswünsche häufig vor Herzenswünsche". "Wer geht mit wem?" "Hast Du gesehen, dass... " Die Bauern sind ausgestattet mit "feinen" positiven oder negativen Verhaltensregeln den anderen Dörflern gegenüber": "Gode Frind un trie Noawersch send nich mit Gild to betoale", dauerhafte Zuschreibungen: "De ol Grigull" und fixierten Klassenschranken: "Wat du seggst un de Landrat schött, das gölt datselwige" , "Wer nuscht häd, de hoost" , "Tohuus is Tohuus" (siehe: Ostpreußische Sprichwörter, Redewendungen und Weisheiten)

Soziale Rangordnungen wurden schon von den Kindern wahrgenommen. Hildegard Kiehl berichtet von der freiwillig eingenommen Sitzordnung ihrer ersten Konfirmandenstunde: "Vorne saßen kerzengerade die Kinder der Großbauern, dann lümmelten sich die Sprösslinge der mittelprächtigen Bauern und hinten hocken die blassen Kinder der Knechte und Arbeitsleute und ganz hinten verkroch sich der Sohn Micha, sein Vater war im Nebenberuf Abdecker. Man erzählte, dass auf sehr reichen Gütern die feinen Kinder des Gutsherrn vom Pfarrer alleine zu Hause im Haus des Gutshauses über die Religion belehrt wurden - sie sollten wohl von der Dorfjugend nicht verdorben werden. Ob das stimmt, weiß ich nicht. Das sie aber Privatlehrer hatten, weiß ich von meinem Vater, der schon auf solchen Gütern gemauert hatte".

Das Arbeitsleben auf den Höfen war bestimmt durch Aussaat und Ernte. Ansonsten war das Dorfleben durch christlichen Feiertag, Familienfest und die vier Jahreszeiten geprägt, wobei die langen und strengen Winter eine besondere Rolle spielten. Die Arbeit auf den Höfen richtete sich gewöhnlich nach Aussaat und Ernte nach dem Lebenszyklus von Geburt, Kindheit, Schule, Ausbildung, Armee, Hochzeit, Beruf, Altenteil und Tod. Dabei spielen die erhebliche kürzere Lebenserwartung und Anzahl der überlebenden Kinder eine große Rolle.

In Willschicken wurden die Zeitungen zwar ab 1871 mit der Post (den Gütern) zugestellt, meistens die "Königsberger Hartungsche Zeitung" oder das "Me­meler Dampfboot". Sie wurden aber von den Bauern mit einem Tag Verspätung häufig aus Kostengründen in der Gaststätte gele­sen. Damals, 1871 waren alle Einwohner preußisch und evangelisch, 68 ortsgebürtig, 37 unter 10 Jahren, 73 konnten lesen und schreiben, 44 Analphabeten.  

Die „Ostmarken Rundfunk AG“ später Reichssender Königsberg wurde mit einem 50-Prozent-Anteil der Reichspost am 2. Januar 1924 in  Königsberg gegründet. Nicht alle Höfe in Willschicken hatten schon einen Stromanschluss. Während des 2. Weltkrieges kam es in Ostpreußen ab 1941 relativ häufig zu Stromsperren, die manchmal tagelang andauerten. Manche Höfe waren froh, ihre alten Petroleum-Lampen behalten zu haben. Beim Radio musste dann zuerst noch der Akku 4 Stunden lang fremd aufgeladen werden, was aber manchmal „tagelang“ dauerte, da es außerhaus passieren musste. Die Gaststätte Lerdon in Lindenhöhe war eine elektrische "Ladestation" für die Willschicker Bauern. Tuttliesen hörten ab 1934 am Abend zwischen 20 und 21 Uhr eine Stun­de Radio Königsberg.

Uhrenersatz - Sirene der Ziegelei Teufel
in Aulowöhnen, OT Uszupönen (1920)

Es gab lange Zeit keine Uhr im Haus Tuttlies. Gerichtet wurde sich nach der Sonne und den Werks-Sirenen der Ziegelei Teufel im nahen Aulowönen: 7:00 in der Frühe und 19:00 am Abend. Bei Tuttlies hieße es: „Wenn de Diwel huult“. Jeden zweiten Sonntag putzte sich die Familie Tuttlies fein heraus und besuchte mit dem Kastenwagen die Kirche in Aulowönen.

Im Stall der Tuttliesen waren 2 Pferde ("Rieke" und "Alexa") 2 Milchkühe ("Lisa" und "Mona"), in der Regel 4 Herdenschweine (zur Eigenbedarf und zum Verkauf) und jährlich 6 bis 8 zugekaufte Ferkel zur Aufzucht und Verkauf, 5 Ziegen (Ziegenbock "Mäck" und Anhang), Hühner und Gänse zu versorgen. Bei den Tuttliesen wurde im Jahr zwei- bis dreimal geschlachtet. Die Pferde wurden häufig gegen Naturalien verliehen, da sie auf dem kleinen Hof nicht ausgelastet waren. Ferdinand Tuttlies sagte: "Wo Duwe sönd, da fleege noch Duwe to." Dazu gaben einen freistehenden echten Taubenschlag und den treuen Hofhund "Lux". Am Stall waren unter der Dachkante zahlreiche Schwalbennester gebaut worden. Trotz Drängen wollte Opa Tuttlies keine Bienenvölker, "De sönd to krabblich".

Die gesamte Familien Tuttlies wurde auf dem Hof gebraucht. Bedarf bestand im Frühjahr bei der Getreideaussaat, beim Setzen von Kartoffeln, Rüben und Wrucken, später beim Behacken derselben, im Juni bei der Heuernte, im Sommer bei der Getreideernte und beim Dreschen, im Herbst beim Ernten von Kartoffeln und den anderen Hackfrüchten - dazu kam noch die Gartenarbeit.

Auf den 6 ha des eigenen Landes und den etwa 6 ha des übernommenen Landes vom "bankrotten" Bruders Ewald wurden Roggen und Kartoffeln angebaut, die zur Eigenversorgung und zur Viehfütterung zum Teil eingelagert wurden. Der eingelagerte Roggen war bei sachgemäßer Lagerung bis zu 6 Jahren haltbar, damit konnten Missernten ausgeglichen werden. Außerdem gab es Grünland, auf dem Heu gemacht wurde. Direkt am Hof gab es noch einen großen Gemüsegarten mit den üblichen Arten - besonderes Augenmerk wurde auf haltbaren Kohl gelegt, der in Salzlake eingelegt wurde. Zusätzlich gab es 24 Obstbäume: (Wirtschafts-) Äpfel, Birnen, Kirschen und Pflaumen. Auf "ihre" Obstbäume war Berta Tuttlies besonders stolz. Die Bäume wurden nur auf Anweisung von ihr zurückgeschnitten - beim Obst Ernten mussten aber alle mithelfen.

In einer besonders sonnigen Gartenecke baute Ferdinand Tuttlies seinen eigenen Tabak an, was aber aufgrund des teilweise rauen Klimas nicht jedes Jahr gelang. Zollfrei waren 20 Tabakpflanzen. Zwei "Spezialisten" aus dem Dorf Willschicken hatten aber in versteckten Winkeln kleinere Tabak-Felder versteckt angelegt, mit weit mehr als 20 Pflanzen, mit denen sie Geld verdienten. Zoll zahlten sie aber nicht und ihre Tabakkäufer schwiegen. Als Anfang der Dreißigerjahre übereifrige Zoll-Beamte in der Lindenhöher Schule die Schulkinder nach dem Tabak-Anbau ihrer Eltern abfragen wollen, kam es heftigen Beschwerden beim Schulrat.

Nachbaren der Tuttliesen hatten in einem Bruchgelände Schnittweiden gepflanzt, um daraus im Herbst und Winter Körbe, Peitschenstiele und Angelruten herzustellen. In den Randbereichen der Sumpfgelände wurde von den Tuttliesen auch Flachs angebaut. Der Flachs wurde bis zum Brechen und Ausdreschen in der Scheune gelagert. Aus den feingesponnen Fäden wurde Leinen gewebt und aus den groben Fäden wurden Säcke gewebt und man drehte Stricke - alles Arbeiten, für die Frauen zuständig waren. Der Winter war für die Frauen auch Strickzeit für die Frauen. Besonders Wäsche und Kinderkleidung waren Strickprodukte. Es kam Schafswolle zum Einsatz, die laut aller Kinder, immer und überall entsetzlich kratzte.

Alle größeren landwirtschaftlichen Geräte waren einfacher Art und zum Teil vererbt oder günstig gebraucht erworben. Es waren nach der Erinnerung von Hildegard Tuttlies vorhanden: ein Schwing-Pflug, ein Tiefpflug, eine Drillmaschine, eine Rechenmaschine, ein Kartoffel-Häufler, ein Kartoffel-Roder, vier Eggen, zwei Ackerwagen, ein Kastenwagen und ein großer und mehrere kleine Schlitten. Bei Bedarf konnten zusätzliche Gerätschaften von Nachbaren oder vom Familien Clan ausgeliehen werden.

Werbung der Landwirtschaftliche An- und Verkaufsgenossenschaft eGmbH Interburg in Aulowönen

Der größere Teil der Ernte wurden von der An- und Verkaufsgenossenschaft in Aulowönen aufgekauft. Ferdinand Tuttlies war als "Genosse" Mitglied und besaß einen kleinen Genossenschaftsanteil. Die Milch landete hauptsächlich in der Molkerei Pukris in Willschicken und diente zum Eigenverbrauch. Die Milch wurde selber zu Erzeugnissen wie Schlagsahne, Dickmilch, Quark, Buttermilch, Käse und Butter verarbeitet. Das Buttern der Milch zu Hause war für die Tuttliesen Kinder eine der unerfreulichsten Arbeiten - es war langweilig und dauerte viel zu lange. Die Ernteerlöse und das Milchgeld reichten etwa für ein Dreivierteljahr, um die Haushalts-Kosten zu decken. Kunstdünger wurde wegen der Kosten nur begrenzt gekauft. Das Jahreseinkommen aus der Landwirtschaft betrug durchschnittlich etwa 1.200 Mark. Die teuersten Posten bei den Tuttliesen waren Kaffee, elektrischer Strom und Lederschuhe. 1926 betrug Monatslohn in Deutschland durchschnittlich 139 RM, bei einem Kaffee-Preis von 7,20 RM. Man musste also auf dem Lande in Ostpreußen ungefähr 20 Stunden für ein Kilo Kaffee arbeiten (siehe auch Hof Brandstäter und Monatslohn Entwicklung [6] ). Die Bauern auf dem Landen versorgten sich mit Nahrungsmitteln und Brennmaterialien in der Regel selber. In Salzlake Einlegen, Räuchern und Einwecken diente auf den Höfen der Haltbarmachung. Gekauft wurden nur Lebensmittel oder Dinge, die nicht selbst hergestellt werden konnten oder aus dem Ausland herangeschafft werden mussten. Der Einkaufs-Laden von Fritz Lerdon führte den Untertitel "Kolonialwaren".

Ferdinand Tuttlies war zusätzlich im Sommer als gelernter Maurer und im Winter als angelernter Schneider erfolgreich tätig. Er wurde zum kleinen Dorfschneider, den jedes Dorf hatte. "E kleenet Etwas öss beter als e grotet Garnuscht". Beide Nebenerwerbe hatte er angemeldet. Ferdinand Tuttlies „benähte“ im Winter regelmäßig seine Stammkunden, die Nachbaren, Verwandte, Bekannte und Schulfreunde "für ein paar Dittchen". Das Schneidern hatte ihm Gertrud Kianka aus dem Nachbardorf Paducken beigebracht - eine gelernte Schneiderin. Frau Kianka war langfristig an Rheuma erkrankt, da sie im Winter ihre Kate nicht ausreichend heizen konnte. Sie "hatte zu lange im Kalten genäht". Ferdinand Tuttlies hatte schon während der Anlernzeit wesentlich am Einbau eines Kachelofens bei Frau Kianka mitgearbeitet. Frau Kianka freute sich über "die flotten Hände von Ferdinand". Die Zufahrt zur Hofstelle Kianka lag westlich neben dem Soldatengrab. Frau Kiankas Mann war verstorben und lebte später unverheiratet mit Herrn Bundel zusammen, um besser versorgt zu sein. Ferdinand Tuttlies übernahm von Frau Kianka eine gusseiserne "Singer-Nähmaschine" mit Fußantrieb und Holzabdeckung, dazu zwei großen Schneider-Scheren und ein riesiges Dampfbügeleisen. Dazu kam ein wichtiger Schrank, in dem etwa 50 Schnittmuster aus Zeitungspapier von Frau Kianka lagerten. Ein selbstgebauter Schneidertisch und ein Stoffregal mit Kurzwaren vervollständigten seine "Extra-Schneider-Stube" im 1. Stock. Sie wurde im Winter, wie die Schlafzimmer, durch den Warmluft-Kanal des Kachelofens mit beheizt. Bei besonders strengen Wintern wurden aber noch zusätzliche Öfen, die einen Abzug zum Hauptkamin besaßen, angeworfen. Die extra langen Ofenrohre in den Zimmern wärmten mit. Die Schneider-Stube besaß aber auch noch einen separaten "Schneiderofen" für das Dampfbügeleisen. Sein ganzer Stolz war ein bodenlanger Spiegel und ein Kundensessel mit Lederbezug. Beide Gegenstände waren Überbleibsel des "russischen Rotes Kreuz Hauses " aus dem 1. Weltkrieg. (siehe 1.8 Soldatengrab). Sie sollen ursprünglich wohl von einem besetzten Gut der Umgebung herstammt und landeten während der russischen Besatzung bei den Tuttliesen im "Ärzte-Zimmer", es war die "Extra-Schneider-Stube".

Die Stoffe kauft Ferdinand Tuttlies nach einem bestens gehüteten Katalog auf Bestellung per Post in Insterburg ein und holte sie persönlich ab, und zwar bei der Tuchhandlung Rosenberg Gebrüder & Simon, Insterburg. Die ganz Familien musste seine Bestellung (Korrektur)lesen. Für ihn war es jedesmal eine aufregende Tagesreise. Dazu zog er jedesmal sein "englische" Jacke an - ein Sakko aus groben Tweed und eine Manchesterhose aus Cord, eine Kombination, an der auch einige Großbauern in der Umgebung Gefallen gefunden hatten. Eine Schiebermütze und von den Kindern sorgfältig geputzte Schnürstiefel vervollständigten seinen Auftritt. Mutter Berta hatte ihm eine Stulle für die Hinfahrt und eine Stulle für die Rückfahrt geschmiert. Während der deutschen Kolonialzeit wurden die Winteruniform der Schutztruppe für Deutsch-Südwestafrika aus Cord hergestellt, daher war Cord auch in Ostpreußen bekannt. Er setzte auch jedesmal seinen selbst genähten Extra-Schneiderrucksack auf, der regendicht war; es gab auch einen entsprechenden Maurerrucksack. - "Man must e weete wat em koft" - Für die Kinder war seine Rückkehr heiß ersehnt, da er in den Taschen seines Rucksackes stets "Bomche" mitbrachte. Es verging mindestens eine Stunde, bis er zu Hause von all seinen Erlebnissen in der Bahn und in der Stadt erzählt hatte - alle waren mucksmäuschenstill und hörten gespannt zu. Auch auf dem Wochenmarkt in Aulowöhnen konnte man auch Stoffe und Kurzwaren auf Vorrat erstehen. Das Geschacheriche auf dem Markt sagte Ferdinand Tuttlies aber nicht zu, seine Frau Berta begleitete ihn dann jedesmal bei diesen Einkäufen. Manchmal kaufte er auch im Textilgeschäft Wilhelm in Aulowöhnen ein. Hier war aber die Auswahl nicht sehr groß. Die Kinder durften seine "Extra-Schneider-Stube" nur nach "ausdrücklicher" Anmeldung betreten.

Nach dem 1. Weltkrieg gab es an den Häusern viel zu reparieren. Im Sommer baute er "gegen Geld" für die „Baugesellschaft Königsberg“ bis 1930 bei den Neusiedlerhäusern in Alt Lappönen in Teilzeit beim Innenausbau mit. Auch hier wurde während der Inflation mit Naturalien bezahlt. Von Dezember bis Januar gab es für Maurer kaum Arbeit und Lohn, in den Monaten Februar, März, Oktober und November mäßige Aufträge und Einkommen. Die meiste Arbeit und vollen Lohn gab es von April bis Oktober. Ferdinand Tuttlies hatte sich Maurer für Innenausbauten einen Namen gemacht. Er wurde aufgrund seines Rufes auch von Gütern der Umgebung angefragt. Manchmal, aber sehr selten, bedingten sich Schneider und Maurer in der einen Person von Ferdinand Tuttlies auch vor Ort. Ob er dann mit zwei Rucksäcken gefahren ist, ist nicht erinnert worden.

Während der Sommermonate wurden auf dem Tuttliesen Hof bis zu 4 noch nicht schulpflichtige Waisenkinder aus Insterburg untergebracht. Dies besserte den finanziellen Haushalt der Familie noch zusätzlich auf. Ab Oktober 1940 wurden Schulkinder sowie Mütter mit Kleinkindern aus den vom Luftkrieg bedrohten deutschen Städten längerfristig in zur damaligen Zeit weniger gefährdeten Gebieten wie z. B. Ostpreußen untergebracht. Die „Reichsdienststelle KLV“ evakuierte bis Kriegsende insgesamt wahrscheinlich über 2.000.000 Kinder und versorgte dabei vermutlich 850.000 Schüler im Alter zwischen 10 und 14 Jahren und älter. Auch deren Rückkehr verlief teilweise viel zu spät und unter oft chaotischen Bedingungen. Auf dem Hof der Tuttliesen wurde Anfang 1941 eine Hausfrau mit 2 schulpflichtigen Kindern aus Köln einquartiert. Ihre Wohnung in Köln war zerbombt und ihr Mann an der Front. Es kam aber zu Spannungen zwischen den Familien. Die Kölner zogen aber bald ins traditionell katholische Ermland weiter, da die Tuttliesen aber auch das Dorf "nicht genug katholisch" waren. Auf einigen Höfen in Willschicken wurden Kinder durch die Kinderlandverschickung (KLV) untergebracht, die in Lindenhöhe auch zur Schule gingen.

Auf den anderen Kleinbauerstellen arbeiteten die Besitzer häufig Teilzeit bei den Großbauern und Gütern über das ganze Jahr verteilt. Straßen- und Eisenbahnbau und der Holzeinschlag, die Moorkultivierung und der Wasserbau waren zusätzliche Arbeitsmöglichkeiten. Seit 1935 bot sich auch die Wehrmacht als "Alternative" an. Zur Erntezeit wurden auf den Gütern zusätzliche Saisonkräfte angeworben. Nach wie vor mussten die bäuerlichen Nichterben sich außerdörfliche Arbeitsplätze suchen. Bei den Tuttliesen waren zu Kriegsanfang die Kinder Max Tuttlies Kaufmann in Insterburg, Friedel Tuttlies Hausmeisterin in Königsberg, Hildegard Tuttlies Angestellte in Paßdorf. Nur Erich Tuttlies wollte als gelernter Maurer in Wilkental bleiben und der Hof übernehmen.

Erich Tuttlies arbeitete, nach seiner Mauerlehre im Baugeschäft seines Großvater in Aulowönen, von 1925 bis 1933 als Maurer in einer Baukolonne, die von Baustelle zu Baustelle zog und ihr Werkzeug mitbrachten. Sie bestand aus einem soliden sozialen Netzwerk von bis zu 12 miteinander vertrauen Mauren aus dem Kirchspiel Aulowönen, das sich auch bei Notfällen wie Unfällen unterstützte, die Löhne vor Ort aushandelten, aber keine Firma war. Vor dem eigenen Hausbau gehörte auch Ferdinand Tuttlies dazu, der aber nach der Familiengründung nicht mehr wochen- oder monatelang umherreisen mochte. Die Kontakte zu den Bauherren - es waren ganz überwiegend Gutsbesitzer - kamen in der Regel durch persönliche Beziehungen oder durch Empfehlungen zustande. Später kamen auch seriöse und unseriöse Vermittler dazu. Die Kolonne arbeitete neben dem Landkreis u.a. punktuell auch in Städten wie Insterburg, dann in Königberg und mit Zwischenstationen sogar auch in Berlin, hier an einem großen Geschäftshaus in Berlin Mitte - es soll heute noch stehen. Auch das Berline Objekt gehörte einem vermögenden Gutsbesitzer aus dem Landkreis Insterburg, der es als Geldanlage bauen ließ. Erich Tuttlies hatte "während seiner Zeit in Berlin Sachen gesehen, von denen er nie was in Willschicken gehört hatte."

In Ostpreußen waren äußere Bauarbeiten auf Grund des langen Winters nur von April bis Oktober möglich. Im Winter waren dann alle Maurer wieder zu Hause. Während der Inflation 1918 - 1924 und der Weltwirtschaftskrise 1929 - 1933 war es fast unmöglich in den Städten Arbeit zu bekommen. Auf dem Lande war die Situation nur zu Teil etwas besser. Während der Wirtschaftskriese gab es eine "Flucht in Immobilien", was den Bauleuten nur zum Teil half - Aus- und Umbau waren jetzt angesagt. Für Neubauten gab es keine Kredite mehr. Die Konkurrenz war auch hier sehr groß, besonders von polnischen Bauarbeitern, die "unter Preis" arbeiteten. Von 1929 bis 1933 verloren in Ostpreußen fast zwei Drittel der in Bau- und Baunebengewerbe abhängig Beschäftigten ihre Arbeit - ca. 35.000 Handwerker wanderten ab. Viele Arbeitslose belasteten als billige Schwarzarbeiter den Markt, andere suchten sich durch Gründung von Kleinstfirmen über Wasser zu halten. Bezahlt wurde während der Wirtschaftskriese und der Inflation, wie auf dem Lande üblich, teilweise oder ganz in Naturalien. Geschlafen wurde in der Regel auf den Baustellen. Zum Teil wurden die Bauleute aber auch systematisch um ihren Lohn betrogen. Bei Protesten wurden dann die Arbeiter von der gerufenen Polizei, teils unter Waffengewalt, von der Baustelle vertrieben. Einige Gutsherrn hatten sich einen besonders schlechten Ruf "erarbeitet". Es wurden aber auch Fälle bekannt, in denen das zuvor Erbaute von den betrogenen Bauleuten nachts heimlich wieder eingerissen wurde.

Erich Tuttlies hatte den Hof seiner Eltern zwar schon 1932 überschrieben bekommen, auch weil Vater Ferdinand krank geworden war, hatte aber von 1933 bis 1935 hatte eine Stelle in einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme am Masuren Kanal erhalten, die er auch antrat. Bis zu seiner Einberufung 1938 war er dann nur auf dem Tuttliesen Hof tätig.     

„Die Faustregel hieß, dass man ein Besitztum bis zu zehn Hektar mit der eigenen Familie bewirtschaften konnte; ging es um zehn bis zwanzig Hektar, brauchte am öfters, von zwanzig Hektar ab regelmäßig fremde  Arbeitskräfte“ [7]. Höfe ab 20 ha konnten ihre Besitzerfamilien in Wilkental bei guten Ernten das ganze Jahr über sicher ernähren und kleinere Rücklagen z.B. in Form von Genossenschaftsanteilen bilden. Langanhaltende Winter wie 1928/29 führten in Ostpreußen teilweise zu Missernten.

Nutzung der Landflächen
in Ostpreußen und dem Dt. Reich,1938
(Quelle: Hans Bloech: Ostpreußens Landwirtschaft, Teil 1)

Bei den Großbauern und den Gütern waren die Ernteerträge sehr von den vorhandenen Arbeitskräften abhängig. Hinzu kamen das Wetter und die jeweiligen Konjunkturlagen. Aus der beigefügten Tabelle ist zu ersehen, dass das Getreide mit 54,9 % Fläche des Ackerlandes in Ostpreußen die "führende Ackerfrucht" war.

Auf dem Hof der Familie Tuttlies wurden hauptsächlich Roggen und Kartoffeln angebaut, außerdem wurde Heu gemacht. Vor der Aussaat wurden die Felder gedüngt, gepflügt und geeggt. Das Getreide wurde per Hand ausgesät - später mit der Drillmaschine - aber per Hand mit Sensen gemäht und zu Hocken aufgestellt. Nach dem Trockner wurde das Getreide gedroschen. Nach der Abfuhr der Hocken wurden die Felder noch abgeharkt. Dieses Reststroh wurde auch zum Ausstreuen der Ställe benutzt. Größere Höfe hüteten noch Kühe auf den abgeerntete Felder, und zwar wenn der miteingesäte Kleesamen nach dem Schnitt etwa 10 cm frisches Grün hervorgebracht hatte.

Viele Ostpreußen bezeichnen die Erntezeit, die „Austzeit“ zu Hause als schönste Zeit des Jahres, wenn sie auch den meisten Schweiß kostete. Bei der Getreideernte herrschte die traditionelle Arbeitsteilung vor. Mitglieder des Familien Clan der Tuttliesen und vertrauten Nachbaren traten zur Ernte an. "Wenn der Lindenbaum zu Johanni seine Blüten offen hat, dann ist auch zu Jakobi der Roggen reif". Zunächst wurden die "langen" ostpreußischen Sensen entrostet, dann mit Hämmern gedängelt. Die Bauernwagen wurden zu Leiterwagen umgebaut und verlängert. Die Pferde bekamen eine Extraportion Hafer. Ferdinand Tuttlies erteilte als "Schnittmeister" vor Beginn einen kleinen Segen und ging voran, dann folgten die Söhne seiner Familie und danach die anderen Männer. Jedem Schnitter folgten zwei Binderinnen. Gearbeitet wurde von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Die Tuttliesen benötigten zur gesamten Mad etwa vier bis fünf Tage, abhängig vom Wetter, von der Personenanzahl und deren Können.

Die Männer schnitten das Korn mit ihren eigenen Sensen. Die Stiellänge der Sensen musste zur Körpergroße passen. Nach etwa 50 Schnitten wurde mit dem mitgeführten Schleifstein nachgeschärft. Vier bis fünf Schnitte reichten für eine Garbe. Die Frauen hoben die Schnitte auf und banden die Roggenähren im Stehen zu einer Garbe. Beim Binden wurde zwischen kurz gebunden und Langbinden unterschieden. Beim Kurzbinden wurden die Köpf der Ehren umgeknickt, beim Langbinden nicht. Maßgeblich war die Weiterverarbeitung. Das Binden selbst wurde mit Roggenähren ausgeführt, Binde-Seile konnten sich nur rentable Güter leisten. Danach wurden die Garben niedergelegt und am Abend in schrägen Hocken aufgestellt, damit eventueller Regen besser ablaufen konnte. Die Garben blieben bei gutem Wetter einige Tage als Zwischenlager auf dem Feld stehen. Drohte Regen, so wurden die Roggengarden schnell in die Haus Scheune gefahren. Das verursachte jedesmal wegen der zusätzlichen Arbeit große Aufregung und war noch jahrelang Gesprächsthema in der Tuttlies Familie. Bei gutem Wetter wurde, wenn alle Hocken aufgestellt waren, rasch eingefahren. Die großen Kinder fuhren mit auf den Erntewagen, die kleinen Kinder jagten nach Mäusen, die sich in den Hocken versteck hatten.

War der Dreschtermin angesagt, wurden die Getreidegarben zum Dreschen jeweils mit zweispännigen Fudern auf den Hof der Familien Burba in Paducken - den Eltern von Berta Tuttlies - gefahren. Es waren, je nach Ernte, etwa 10 - 15 Fahrten notwendig und es musste schnell gehen. Hier stand ein in der sehr geräumigen Korn-Scheune der Lohndreschkasten, der vom gesamten Burba- und Tuttliesen-Clan gemietet wurde. Der fahrbare Dreschkasten - er war von der Fa. Rudolf Wernike in Heiligenbeil gebaut worden - wurden von einem Lanz Bulldog mit Rundscheibe über einen Treibriemen angetrieben. Das Be- und Entladen des Dreschkasten nahmen die Tuttliesen vor, sie waren mit dem Dreschkasten vertraut. Dabei dauerte es eine Weile, bis alle Maschinen geradegestellt waren, damit die Kraftübertragung vom Schwungrad des Traktors auf die Dreschmaschine auch gut war. Es brauchte ziemlich viel Personal, vor allem einen Maschinisten und einen Einleger. Alle jungen Männer wollten einmal Maschinist sein. Dazu kamen noch 5–6 Personen als Handlanger. Nach dem Drusch wurde zusätzlich in einer per Hand betriebenen "Putzmühle" nochmals Getreide und Spreu getrennt und dann das Getreide eingesackt. Das Dreschen der Familie Ferdinand Tuttliesen dauerte etwa 2 - 3 Tage, vorher und nachher waren die anderen Tuttliesen und Burbas an der Reihe, es folgten weitere Familien. Generell wurde mit dem Dreschkasten von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang gearbeitet. Je nach dem Getreidewachstum wurde der Dreschkasten etwas 4 - 6 Wochen gemietet. Wie immer, war auch hier Regen ein Spielverderber.

Vor dem Einsatz von Dreschkästen wurde auf den kleinen Höfen mit der Hand gedroschen. Auf den Gütern war das die Aufgabe von Insten und freien Lohnarbeiter. Die Dreschsaison dauerte hier häufig von Oktober bis zum nächsten April des nächsten Jahres. Als Zwischenstufe wurden auch Pferde-Göpel eingesetzt. Mit dem Aufkommen der Dreschkästen verloren große Teile der Lohnarbeiter schlagartig ihre Arbeitsgelegenheiten - was früher auf großen Gütern 4 - 6 Monate gedauert hatte, wurde jetzt in 4 - 6 Wochen vom Gesinde erledigt.

Tuttliesen bei der Ernte 1925, von links: Erich, Ferdinand und Ehefrau Berta, im Vordergrund die Enkel Carlhorst und Manfred, im Hintergrund Gertrud mit Ehemann Max, daneben die Nachbaren das Ehepaar Ludzuweit mit zwei Kinder und davor die Kleinste von recht Hildegard Tuttlies

Der größere Teil der Körner-Ernte wurden zur An- und Verkaufsgenossenschaft in Aulowönen gefahren, das Stroh zur Haus-Scheune der Tuttliesen. Die Erträge bei den Tuttliesen lagen, abhängig vom Wetter, etwa bei 17 Doppelzentner Rogen pro Hektar Ackerland. Roggen wurde auf etwa 6 Hektar Land angebaut. Da auch andere Familien sehr stark am rechtzeitigen Drusch interessiert waren, gab es regelmäßig "Schachereien" um einen günstigen Termin. Häufig wurden diese "Verhandlungen" auch in der Gaststätte Lerdon geführt. Bei den Kartoffeln wurden schon ein Häufler und ein Kartoffel-Roder eingesetzt, der von zwei Pferden gezogen wurde. Das Aufsammeln erfolgte per Hand. Hier dauerte die Ernte bei den Tuttliesen zwei bis drei Tage. Nach der Einberufung der Männer 1935 wurden auch Schulklassen zur Kartoffelernte eingesetzt. Auf den Gütern der Umgebung verdienten sich auch die schulfrei gestellten Kinder aus den umliegenden Dörfern zum Kartoffelsammeln: Neben den Mahlzeiten bekamen sie 50 Pfennig pro Tag - aber nur, wenn sie mindestens die Hälfte der Erwachsenen schafften, sonst blieb es nur bei den Mahlzeiten. Hildegard Tuttlies hatte als junges Mädchen auch einmal diese Erfahrung gemacht. Sie meine: Einmal reicht es! Die 50 Pfennige bekam sie nachträglich von ihren Eltern.

Dreschen in der Scheune. 1920

Im Herbst gab es große Feuer, auf denen das Kartoffelkraut verbrannt wurde. Das ganze Dorf Willschicken "duftete" dann nach Kartoffelkraut. Die außerhäusliche Kartoffelmiete war im Winter auch ein Anziehungspunkt für Wildschweine. Die Ernten wurden privat jeweils mit einem großen Fest mit üppigem Essen und Trinken und viel Gesang abgeschlossen. Vor dem 1. Weltkrieg wurden die Erntewochen nach Festsetzung des Gutsherrn von Alt Lappönen durch den Dorfpfarrer verkündet. Sie galten hauptsächlich für die nebenerwerblichen Dorfbewohner in den umliegenden Gemeinden von Alt/Neu Lappönen und Keppurlauken, die zur Erntehilfe angeworben werden mussten. Nach diesen Terminen richtete sich aber das gesamte Dorf Willschicken. Im selben Zeitraum waren in der Schule in Lindenhöhe alle entsprechenden Kinder freigestellt. Das Erntefest wurde auch von den Dorfautoritäten - mit einem Umtrunk im Gasthaus Lerdon, der Schule - mit einem Umzug durch das Dorf und der Kirche mit einem Gottesdienst begangen, dabei wurden jeweils angefertigte Ernte-Kronen überreicht. Bei den größten Gütern der Umgebung wurde eine Erntekrone dem Gutsherrn überreicht.

Quelle: Vom Roggenband und vom Plon - Ostpreussen Portal

Nach der Reformation wurde das Erntedankfest in den Kirchen an unterschiedlichen Daten gefeiert. Einige evangelische Kirchenordnungen „verbanden den Dank für die Ernte mit Michaelis, andere legten ihn auf den Bartholomäustag (24. August), auf den Sonntag nach Ägidii (1. September) oder nach Martini (11. November).“ Schließlich bürgerte sich die Feier am Michaelistag (29. September) oder – weit überwiegend – am ersten Sonntag nach Michaelis als Termin ein. Diese Regelung geht u. a. auf einen Erlass des preußischen Königs aus dem Jahre 1773 zurück. Dies konnte dazu führen, dass das Erntedankfest noch in den September fällt. Im Dritten Reich wurde dann mit viel Pomp ein zentrales Erntedankfest zelebriert. 1933 verfügte Adolf Hitler zunächst, dass das Erntedankfest zentral am ersten Sonntag im Oktober gefeiert werden sollte. Mit dem Gesetz über die Feiertage vom 27. Februar 1934 wurde der Erntedanktag am ersten Sonntag nach dem 29. September (Michaelis) gesetzlicher Feiertag. An diesem Tag würdigte das NS-Regime auf der Grundlage der Blut-und-Boden-Ideologie besonders die Bedeutung der Bauernschaft für das Reich. Zentrale Veranstaltung war das Reichserntedankfest, mit dessen Organisation das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda beauftragt war.

Das Leben auf dem Lande durch den Nationalsozialismus zu beeinflussen, gelang nur teilweise. Gravierender waren die erlassenen rechtlichen Vorschriften, die auch sanktioniert wurden. Im Arbeitsalltag der Bauern war der ideologische Anspruch der Nationalsozialisten, Frauen auf ihre Mutterrolle zu reduzierte, bloße Propaganda. Während des Krieges wurden Lebensmittelkarten eingeführt, so wurde auch der Anspruch autark zu sein, zur Propaganda. Am gravierendsten waren jedoch der Einzug der Männer zum Krieg und wurde so für die Frauen zu Hause zur Doppelbelastung. Berta Tuttlies schaffte die Arbeit nicht mehr und die Kinder Hildegard und Erich kehrten auf den Hof zurück. Vater Ferdinand Tuttlies war zum "Schanzen" abkommandiert und wurde krank. Hilfskolonnen der HJ, des BDM und des RAD, dazu Tausende von Mädchen, die das neugeschaffe­ne „Pflichtjahr“ in einem Haushalt absolvieren mussten, wurden zum „Ern­teeinsatz“ in Ostpreußen abkommandiert, ohne jedoch die eingezogenen Männer erset­zen zu können. Auch die zwangsrekrutierten Ostarbeiter, Kriegsgefangen und KZ-Häftlinge konnten diese Lücke nicht schließen. Siehe dazu auch den separaten Text Ländliche Entwicklungen in Ostpreußen, dargestellt am Beispiel von Willschicken (Ksp. Aulenbach Ostp.) – GenWiki (genealogy.net)

Das Leben auf dem Lande - auch während des Nationalsozialismus - war in Willschicken im Wesentlichen durch Alltagsroutinen geprägt. Dazu zählten die wiederkehrenden Aktivitäten an verschiedenen Orten. Was muss wie, wann und wo gemacht werden und wie komme ich dahin? Der so entstandene "Aktivitätsraum" setzte sich zusammen aus den verschiedenen Aktivitätsarten und den unterschiedlichen Aktivitätsorten. Die Aktivitäten kann man unterschieden nach Art, Häufigkeit, Zeitpunkt, Zeitdauer und Ort[8]. Es gab es für die Tuttliesen auch höchst unterschiedliche Gelegenheiten aktiv zu werden, sowohl in den Nachbargemeinden als auch zu Hause (siehe auch die folgende Tabelle). Für längere Distanzen wurden die vorhandenen Verkehrsmittel gebraucht. So wurde der Aktionsraum auch durch äußere Einflüsse beeinflusst. Mal regnete es, mal war das Fahrrad kaputt, mal war der Einkaufsladen geschlossen.

Bei längeren Distanzen war auch das "Koppeln" von Aktivitäten interessant. Nach dem Marktbesuch, die Gaststätte aufsuchen um danach bei Onkel Otto vorbeisehen und dann nach Hause fahren. In der Fortbildungsstätte für Landwirte in Königsberg wurden solche "Koppelungs-Tabellen" differenziert unterrichtet, um so auf "modernen" Gütern so auch kleinteilige Arbeitsabläufe mit Hilfe von REFA zu optimieren. Der REFA – Verband für Arbeitsgestaltung, Betriebsorganisation und Unternehmensentwicklung e. V. ist Deutschlands älteste Organisation für Arbeitsgestaltung, Betriebsorganisation und Unternehmensentwicklung. Die Abkürzung REFA geht auf den ursprünglichen Namen im Jahr 1924 zurück: Reichsausschuss für Arbeitszeitermittlung.

Auf dem Gut Neu Lappönen wurde möglicherweise auch die Zeit-Erfassung angewandt. Ferdinand Tuttlies war einmal eher zufällig in seiner Nebentätigkeit als Maurer in einem Gesindehaus des Gutes tätig. Als plötzlich ihm von einem Unbekannten ein Formular unter die Nase gehalten wurde. Er war wohl irrtümlich für einen Gutsarbeiter gehalten worden. Er sollte seine Arbeitszeit mit einem Bleistift selbst in die Tabelle eintragen. Er waren die genaue Minutenlänge seiner Arbeiten im Gesindehaus aufzuschreiben. Das widersprach allerdings den strengen REFA-Grundsätzen, die dafür einen separaten "Zeit-Erfasser" und sehr genaue Regeln vorsahen. Der Fremde wollte aber nicht bleiben, "er habe sofort im Gutshaus etwas sehr Wichtiges zu erledigen" und verschwand. Ferdinand Tuttlies sagte dazu, "dass es in beiden Häusern wohl eher sehr sehr unterschiedlich gerochen habe." Er konnte auch mit dem Formular allein nichts anfangen, da er auch keine Uhr hatte. Da der fremden "Zeit-Erfasser" nicht wieder auftauchte und der Zahlmeister des Gutes ihm auch nicht helfen konnte, brachte er stolz das leere Tabellen-Formular und den Bleistift mit nach Hause, um sie von der Familie bestaunen zu lassen. Das Formular ist im Krieg verloren gegangen. Der Vorschlag zu Hause Zeit zu messen und aufzuschreiben, ging in Gelächter unter.

Aktivitätsarten und Aktivitätsorte der Familie Tuttlies 1930

Bei Anbahnungen von Heiraten und Bekanntschaften gingen die Aktionsräume der Dorfbewohner von Willschicken gewöhnlich nicht über einen Radius von 20 km kaum hinaus. Die 40 km Wege-Distanz für den Hin- und Rückweg konnte man früher an einem Tag in etwa 10 h Fußweg zurücklegen. Der Radius war bezogen auf die "alten" Verkehrsmittel zu Fuß gehen (4 km/h) oder mit dem Pferdewagen (10 km/h) oder dem Rad fahren (15 km/h), den Zustand der Straßen und Wege und die Jahreszeit. Im Winter engte sich Aktionsraum auf den eigenen Hof ein. Der Autoverkehr spielte im Landkreis Insterburg bis zum Kriegsende kaum eine Rolle. Dies galt auch, wenn vorhanden, für das Aufsuchen von Ausbildungs- und Arbeitsstellen. Ausnahmen bildeten die Distanzen, die für das Erreichen des Militärdiensts oder die weiterführende Ausbildung zurückgelegt werden mussten. Hier kam schon die Kleinbahn ab Aulenbach in Spiel. Die Aktivitäten der Tuttlies in der Heimat-Gemeinde nahmen einen großen Zeit-Anteil ein. Aber nicht alles konnte zu Hause erledigt werden. So mussten häufig auch die Nachbargemeinden aufgesucht werden, da es nur hier die entsprechenden Gelegenheiten gab.

Zu den speziellen Aktivitäten musste man sogar in die Kreisstadt Insterburg per Kleinbahn fahren.

Die Gemeinde Willschicken war von folgenden Nachbargemeinden umgeben:

Die nebenstehende Tabelle versucht, eine ungefähre Übersicht der routinierten Aktivitätsarten und der bekannten Aktivitätsorte (Gemeinden) der Tuttliesen zu geben.

Es fällt auf, dass sich die Tuttliesen in ihren sozialen Aktivitäten stark zu ihren Nachbargemeinden Lindenhöhe und Paducken hin orientiert haben. Sie lagen auch räumlich näher zum Hof der Tuttliesen. Diese tatsächlichen Aktionsorte in Lindenhöhe und Paducken hatten demnach eine höhere Attraktivität als die möglichen Orte in Wilkental. Zur Nachbargemeinde Keppurlauken später Birkenhof gab es bis auf sporadische Mauerarbeiten von Ferdinand Tuttlies kaum Kontakte, was sicherlich auch an der relativ in sich geschlossenen Sozialgemeinschaft des dortigen Gesindes der Güter lag, die dort auch eine eigene Schule besaßen, so dass die dortigen Kinder zu anderen Nachbargemeinden kaum Kontakt hatten. Im Allgemeinen war die Schule eine großer "Kontakt-Anbahner" zwischen den Bewohnern in den verschiedenen Gemeinden. Hier lernte man sich zuerst kennen. Diese Gemeinde besaß auch die größte räumliche Distanz zum Tuttliesen-Hof.

Die Tabelle soll zeigen, dass die Tuttliesen auf dem Lande in einer relativ abgeschlossenen und überschaubaren Welt lebten. Wer in dieser kleinen Welt keinen Arbeitsplatz gefunden hatte, musste seine Heimat aber verlassen, um woanders unterzukommen. Die eingetragenen Nennungen in der Tabelle stammen aus der Erinnerung von Hildegard Tuttlies, verh. Kiehl. Sie sind rein subjektiv und enthalten keine Häufigkeiten und Zeitdauer. Ebenfalls ist nicht angegeben, für welche Familienmitglieder die Erinnerungen gelten. Auch ein genauerer Ortsbezug innerhalb der Gemeinden wäre zwar wünschbar, war aber nicht zu leisten. Es wird aber dabei geschätzt, dass durch die Tabelle der größte Zeit-Anteil der täglichen Routinen der Tuttliesen abgedeckt wurde. Ausnahmen wie Ferien, Krankheiten oder Aufmärsche wurden nicht berücksichtigt.


Willschicken und seine Nachbargemeinden

Familie Tuttlies und Pillwogallen / Lindenhöhe

Verzeichnis der Hofbesitzer/Pächter Gemeinde Lindenhöhe
(Bitte mehrmals auf den Plan klicken, um ihn zu vergrößern)


An Wegkreuzungen wurden während der Besiedlung von Ostpreußen von 1700 -1800 gezielt „Krüge“ errichtet, das waren damals einfachste Gastwirtschaften (mit oft nicht mehr als sechs Trinkgefäßen) oder Herbergen, die ebenfalls mit Deutschen besetzt wurden, die die Aufgabe hatten, der deutschen Sprache und Kultur als Multiplikator zu dienen, da an diesen Treffpunkten auch die einheimischen Littauer einkehrten. Der Standort des Kruges in Pillwogallen hat sich bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges erhalten.


Am 23. 2. 1931 Umbenennung der Landgemeinde Pillwogallen in Lindenhöhe. In Pillwogallen lernte Hildegard Tuttlies ihren Mann Gerhard Kiehl kennen und ging dort zur Schule. In Geschäft von Fritz Lerdon wurde der tägliche Bedarf eingekauft. Es wurden auch die angeschlossene Gaststätte und die Tanzvergnügen besucht. Hier hatte auch der Posthalter Link seine Poststelle. Die Hebamme, die Berta Tuttlies bei den Geburten half, wohnte hinter dem Gasthof. Die Eltern von Ursel Weihnowski, der Schulfreundin von Hildegard Kiehl, hatten in Lindenhöhe ihren Hof.

Pillwogallen später Lindenhöhe grenzte nord-westlich an Willschicken. Die unmittelbare Nachbargemeinde von Wilkental hatte 1939 ge­zählte 187 Einwohner auf 32 Höfen, 8 davon bildeten den alten Dorfkern - an der Grünheider - Aulowöhner Chaussee. Sie verläuft in der oberen Kartenhälfe von Osten nach Westen. Hier lag auch das Kolonialwarengeschäft mit Gastwirtschaft mit kleinem Saalbetrieb der Familie Lerdon.

Das folgende Messtischblatt zeigt die Gemeine Lindenhöhe. Der Dorfkern liegt an der Kreuzung der Überland-Straßen. Auf der Lindenhöher Karte sind auch acht Höfe des alten Dorfkerns von Lindenhöhe und das Kreis­haus eingetragen. Darunter befindet sich das Gasthaus von Fritz Lerdon (frü­her Hedwig Kiehl). Fritz Lerdon, er stammt aus der Nachbargemeinde Paducken, hat 1928 die Witwe Hedwig Kiehl geb. Padeffke geheiratet. Ihr erster Mann Max Kiehl war 1921 verstorben. Gerhard Kiehl, eines der vier Kinder aus der ersten Ehe, wird 1943 der spätere Ehemann von Hildegard Tuttlies. Räumlich waren die Tuttliesen eher auf Lindenhöhe als auf Wilkental orientiert.

Fritz Lerdon besaß 1931 das erste Auto in Lindenhöhe, war Jagdpächter und hatte zwei Höfe in Lindenhöhe gepachtet. Hier lag auch sein Kolonialwarengeschäft mit Gastwirtschaft und einen kleinen Saalbetrieb der Familie Kiehl, später Lerdon. Rechts hinter und neben der Gasstätte hatte die Hebamme Mikuteit und der Chaussee-Auf­seher Kuhnke ihre Höfe, die sie als Nebenerwerbslandwirte betrieben. Wendel (Altenteil) und Link (Poststelle) waren weitere Bauernhöfe im alten Dorfkern, links neben dem Gasthof, deren Land von Lerdon gepachtet war. Dazu gab es noch auf der anderen Straßenseite den Schmied Sanowitz, vier weitere Höfe und das Kreishaus von Franzdorf, der früheren Gemeinde Schruben. 1929 erfolgte die Eingliederung der Landgemeinde Schruben aus dem Amtsbezirk Keppurlauken in die Landgemeinde Pillwogallen. In Lindenhöhe lag - nahe dem Dorfkern - auch die Schule, die Hildegard Tuttlies mit ihrer Freundin Gerda Weinowski besuchten.

Die Gaststätte Lerdon und der Laden waren auch das "soziale Zent­rum" vom östlichen Wilkental. Hier gab es u.a. Mehl, Zucker, Bonbons, Schmalz, Bier, Wein, Schnaps, Salzheringe, Nägel, Schrauben, Holzschlorren, Holzklumpen, Wagenschmiere, Kuhketten, Petroleum und das Neueste aus den umliegenden Dörfern.

Zur Gemeinde Lindenhöhe gibt es leider kaum GenWiki Einträge. Der nächstgrößere Ort war Grünheide. Quelle: Kirche Grünheide (Ostpreußen) – Wikipedia


Die Konfirmandin
Hildegard Tuttlies - (1934)
Der Konfirmand
Gerhard Kiehl - (1928)
Das Hochzeitspaar
Hildegard Tuttlies & Gerhard Kiehl - (1943)


In Lindenhöhe waren auch auf einem leestehenden maroden Gutshof zwei Zigeunersippen seit etwa 1880 zwangsangesiedelt. Sie umfassten schätzungsweise jeweils über 20 Personen und waren sich untereinander aber nicht grün. Sie wurden von den Nachbaren und den Gendarmen kritisch beobachtet. Fritz Lerdon hatte mit den Sippenältesten jeweils "Verträge" abgeschossen, um sich gegen Zahlung einer geringen Geldmenge, vor Diebereien in seinem Laden zu schützen - was aber nicht immer funktionierte. Die Zigeuner waren aber nur im Winter sesshaft. Nach heimlichen Beobachtungen der Dorfkinder aus der Nachbarschaft durch die kaum erleuchteten Fenster wurden im Winter "Kinkerlitzchen" wie Ringe, Anhänger, Ketten, Anstecknadeln, Küchenwerkzeuge und Spielzeug von den Sippen höchst einfach herstellt. Die Dorfbewohner waren auch erstaunt, dass schon junge Frauen in der Öffentlichkeit regelmäßig rauchten - es gab aber sonst keine Kontakte zwischen den Dorfbewohnern und den Zigeunersippen, abgesehen von Amtspersonen oder notwendigen Einkäufen im Dorfladen. Nur mit zwei ausgesuchte Bauern schacherten die Sippen regelmäßig um Lebensmittel, wie Milch, Korn und Kartoffeln - die, nach Vermutungen der Dorfbewohner - manchmal allerdings auch illegal woanders "besorgt" wurden. Dies galt besonders für Brennholz. Die betreffenden Bauersfrauen waren in der Öffentlichkeit immer stark mit Schmuck "behängt", den sie auch gerne weitertauschten, sie wurden zu regelhaften "Dorfadressen". Besonders die von den Höfen entfernt liegenden Kartoffel- und Rübenmieten wurden im Winter von ihren Besitzern genau beobachtet. Die zahlreichen Zigeuner-Kinder gingen auch nicht in die Schule. Im Sommer zogen die Sippen, einschließlich ihrer Alten und Kranken, mit "Sack und Pack" über Land um ihre Produkte zu tauschen oder zu verkaufen, Musik gegen Geld aufzuspielen oder nach dem Kindersingen zu betteln - die Gebäuden in Lindenhöhe standen dann leer - auch die spärlichen Möbel einschließlich der kleinen Öfen wurden mitgenommen. 1938 gab es am Kreishaus in Lindenhöhe einen Aushang, dass "die schädlichen Elemente aus dem Dorf jetzt eine sinnvollen Arbeit zugeführt worden seien." Mit dem im Dezember 1937 in Kraft getretenen sogenannten "Asozialenerlaß" bekam die Gemeinden ausdrücklich die Kompetenz, Zigeuner in ein Konzentrationslager einzuweisen.


Familie Tuttlies und Paducken / Padau

Verzeichnis der Hofbesitzer
der Gemeinde Paducken (1944)

Am 3.6. 1938 Umbenennung der Gemeinde Paduken in Padau- Aus Paducken stammten die Eltern von Berta Tuttlies , der Vater von Fritz Lerdon und die Schneiderin, die Fritz Tuttlies angelernt hat und dort hatten die Tuttliesen überwiegend ihren Landbesitz, hier wurde auch ihr Getreide gedroschen und ihre Kartoffeln geerntet.

Paducken später Padau grenzte südlich an Willschicken und hatte 1933 gezählte 77 Einwohner. Paducken wird u.a. in Meyer´s Ortsverzeichnis beschrieben: Paducken war ein Scharwerks-, Bauerndorf und Gemeinde im Kirchspiel Aulowönen. Es gab folgende Einrichtungen in den Nachbargemeinden: die Schule in Pillwogallen / Lindenhöhe, das Kreis-Amt Groß Franzdorf, das Standesamt und die Gendarmerie in Aulowönen / Aulenbach. Am 16.07.1938 als Ortsteil in die Gemeinde Klein Schunkern eingegliedert, gleichzeitig Umbenennung in Padau.

Folgende Einwohner waren 1927 im Ortschafts- und Adreßverzeichnis des Landkreises Insterburg unter Paducken aufgeführt:

  • Besitzer : Albert Burba, Friedr.(ich) Burba, Herm.(an) Donner, Gust.(av) Erdmann, Wilh.(elm) Lerdon, Franz Mett, Gust.(av) Neumann, Friedr.(ich) Naties, Franz Onußeit, Karl Pallapies, Ewald Pohl, Amalie Rieser, Franz Rieser, Lina Schellwat
  • Altsitzer : Wilh.(elm) Statschus, Aug.(ust) Brandstäter, Karoline Onußeit, Friedr.(ich) Rimkis, Henriette Ennulat
  • Schneider : George Bundel, (Gertrud Kianka)
  • Meierist: Fritz Naujoks
  • Kätner : Wilhelm Genee
  • Arbeiter : Karl Cohn, Julius Weinowski
Paducken, (1939)
Klein Schunken, (1939)

Auf Basis der Einwohnerliste sowie der nebenstehenden Karte der Hofbesitzer/Pächter der Gemeinde Padau (Paducken) konnte sich Hildegard Kiehl geb. Tuttlies an die folgenden sechs Namenszuordnungen erinnern:

(6) Schellwat, Franz, Großbauer, (10) Berend, Besitzer (Lage Nähe zum Friedhof), (11) Burba, August, Großbauer - Vater von Berta Tuttlies, geb. Burba (siehe Tuttlies in Willschicken/Wilkental). Die Hofstellen Burba und Tuttliesen lagen in Sichtweite (nähere Informationen zum Familienstammbaun der Tuttliesen siehe oben) . (12) Kianka, Gertrud , Schneiderin und Bundel Georg. Frau Kianka hat eng mit Ferdinand Tuttlies im Rahmen der Schneiderei zusammengearbeitet. Die Hofstellen Kianka und Tuttliesen lagen in Sichtweite, (13) Rieser, Franz , Bauer, Altsitzer - nach Hildegard Tuttlies war er als "Kinderscheucher" sehr bekannt. (14) Lerdon, Wilhelm, Bauer und Altsitzer, Vater von Fritz Lerdon, dieser war verheiratet mit Hedwig Lerdon, verw. Kiehl, geb. Podewski in Lindenhöhe (nähere Informationen zum Familienstammbaun der Kiehls siehe oben). Der Hof von Ferdinand Tuttlies in Willschicken ist auf der Hofkarte von Willschicken (s.o. Nr. 24)) sichtbar.

Die Gemeinde Paducken wurde am 16.07.1938 als Ortsteil in die Gemeinde Klein Schunkern eingegliedert und gleichzeitig in Padau umbenannt. Wilkental wird ab 1940 mitverwaltet vom Amtsvorsteher den Besitzer Julius Onusseit in Klein Schunkern. Quelle: Klein Schunkern – GenWiki (genealogy.net)

Familie Tuttlies und Aulowönen / Aulenbach

Die örtliche Kriegs- und Domänenkammer hatte bis zur Auflösung 1810 ihren Verwaltungssitz als Kammerdepartements in Lappönen. Von hier aus wurden auch Willschicken verwaltet.

Die Errichtung der Kirchengemeinde Aulowönen erfolgte im Jahr 1610. Die Dörfer Juckeln (seit 1918 Buchhof, heute russisch: Buchowo), Warkau (Schischkino, nicht mehr existent), Gaiden (Stepnoje), Alt Lappönen (Datschnoje) und Jennen (Podlesnoje, nicht mehr existent) bildeten mit Aulowönen den Kern der Siedlung, die zur Gründung des Kirchspiels führte.

Quelle: Kirchspiel Aulowönen / Aulenbach (Ostp.) – GenWiki (genealogy.net)

Bis 1945 gehörte die immerhin 44 Kirchspielorte umfassende Pfarrei zum Kirchenkreis Insterburg in der Kirchenprovinz Ostpreußen der Kirche der Altpreußischen Union. Im Jahr 1925 zählte die Gemeinde 4726 Gemeindeglieder. Der Innenraum des etwa 33 Meter langen und 13 Meter breiten Kirchgebäudes hatte eine flache, niedrige Decke. Die Emporen zogen sich um das ganze Schiff herum. Stichbogige Fenster gewährleisteten einen hellen Raum, der mit weiß und gold gestrichenen Gestühl und Bänken ein festliches Gepräge zeigte. Die Kirche in Aulowöhnen war die Tauf-, Konfirmation-, Hochzeits- und Beerdigungskirche der Tuttliesen aus Willschicken. Die Kirche wurde nach dem Krieg abgerissen, der ehemalige Standort ist heute nicht mehr erkennbar.

Orte Gr. Aulowönen - Alt Lappönen - Willschicken (1893)

In Aulowönen kauften die Tuttliesen ihren höheren Bedarf ein und brachten ihr Getreide zur Verkaufsgenossenschaft. Außerdem gab es hier einen Arzt und eine Apotheke. Aulenbach besaß einen Bahnhof zur Eisenbahn-Fahrt nach Insterburg. Die Tuttliesen besuchten alle zwei Wochen fein herausgeputzt die evangelische Kirche. Hildegard Kiehl besuchte hier die Konfirmandenstunde.

Aulowönen später Aulenbach grenzte östlich an Willschicken. Aulowönen war wirtschaftlicher Mittelpunkt des gleichnamigen Kirchspiels. Es hatte 1939 gezählte 1049 Einwohner. Das Gut Alt Lappönen wurde 1925 als Wohnplatz der Gemeinde Aulowönen zugeschlagen Die nächsten größeren Einkaufsmöglichkeiten für die Willschicker lagen es in dieser Nachbargemeinde, die etwa 5 km westlich entfernt lag. Wenn etwas nicht sofort vorrätig war, wurde es in der Regel bestellt.

Es gab Einzelhändler, Schlachter, Friseure, Schuster, Konfektionsgeschäfte, den Arzt Dr. Epha, den Tierarzt Jaeckel und den Zahnarzt (Dentist) Quidor. Folgende Firmen boten ihre Produkte an: die Adler Apotheke, die Dampfziegelei Ewald Guddadt; die Gastwirtschaft August Rautenberg, die Dampfmühle Otto Schiemann und die Ziegelei Emma Teufel, die Landmaschinenreparatur u. Pflugfabrik Karl Hertzigkeit , die Autoreparatur u. Handel Schwarznecker u. Reck und die Buchdruckerei Curt Stamm, außerdem befand sich dort die Molkereigenossenschaft, die An- und Verkaufsgenossenschaft, die Raiffeisenkasse und die Volksbank Insterburg (Nebenstelle).

Neben einer öffentlichen Schule gab es in Aulenbach auch eine 1913 gegründete Privatschule. Zur evangelischen und aber auch zur neuapostolischen Kirche kamen viele Einwohner aus den nahliegenden Ortschaften und die Gottesdienste waren stets gut besucht. Als Behörden waren vertreten das Kreis-Amt, die Gendarmerie, die Poststelle und das Standesamt. Es wurden regelmäßig Wochenmärkte abgehalten, zwei Mal im Jahr ein Pferde- (Remonten)- und Viehmarkt mit Krammarkt. Den Güter- und Personenverkehr, vor allem zur Kreisstadt Insterburg, versah überwiegend die Insterburger Kleinbahn (IKB), die hier einen größeren Haltepunkt mit Verladegleisen hatte.

In Aulenbach bei der Firma Schwarznecker u. Reck absolvierte Gerhard Kiehl eine Lehre als Maschinen-Schlosser. „Seit ca. 1926 betrieben Franz Schwarznecker und Emil Reck in Aulowönen die örtliche Kfz-Werkstatt incl. Tankstellenbetrieb. Später verkaufte sie Kraftfahrzeuge der Marken DKW und Mercedes, Landmaschinen, Fahrräder und Waschmaschinen der Marke Miele.“ Gerhard Kiehl arbeitete nach seiner Lehre noch zwei Jahre als Geselle bei der Firma Schwarznecker u. Reck. Er wurde am 01.10.1935 zur Wehrmacht eingezogen.


Verkaufsraum und Tankstelle
Fa. Schwarznecker u. Reck - (1932)
Lehrzeugnis Gerhard Kiehl
Fa. Schwarznecker & Reck (1945)



Familie Tuttlies und Keppurlauken

Orte Keppurlauken - Neu Lappönen - Willschicken (1893)

In Gut Keppurlauken kaufte Ferdinand Tuttlies sein treues Pferd die "Rieke" und arbeitet kurzfristig beim Innenausbau der Gesindehäuser auf dem Gut.

Die Gemeinde Birkenhof (Ostp.) war 1928 durch den Zusammenschluss von Gut Keppurlauken, Gut Neu Lappönen und dem Ort Berszienen entstanden. Die Güter lagen nord-östlich von Wilkental in ”Klein Litauen (Lithuania minor)" oder ”Preußisch Litauen”, dem nordöstlichen Teil des alten Ostpreußens, im Kirchspiel Aulowönen / Aulenbach (Ostp.). Es gab eine Schule am Ort, das Kreis-Amt lag in Birkenhof selbst, das Standesamt und Gendarmerie in Aulenbach. Die Post bekam über Szillen. Keppurlauken zählte 1925 199 Einwohner, im Ortschafts- und Adreßverzeichnis des Landkreises Insterburg (1927) waren unter anderem folgende Einwohner vermerkt:

Gut Birkenhof gehörte dem Eigentümer Hans Regge. Es umfasste 86 ha, davon 57 ha Acker, 25 ha Weiden, 4 ha Hofstelle, 10 Pferde, 43 Rinder, davon 16 Kühe, 7 Schafe, 5 Schweine

Gut Keppurlauken gehörte dem Eigentümer Bernhard Tinschmann. Es umfasste. E117,1 ha, mit folgendem Gesinde: Schweizer: Franz Schmidt, Deputant: Eduard Krietzan, Karl Lempke, Friedrich Goerke, Gustav Maeding Kutscher: Franz Dumluck

Gut Neu Lappönen gehörte dem Eigentümer Erich Lengnik. Es umfasste 392 ha, davon 221 ha Acker, 25 ha Wiesen, 130 ha Weiden, 13 ha Holzungen, 2 ha Hofstelle, 1 ha Wasser, 55 Pferde, 240 Rinder, davon 50 Kühe, 130 Schweine, Herdbuchvieh und eine Meierei. Im Jahre 1910 lebten auf dem Gut Neu Lappönen 80 Einwohner. Es waren Gesinde, Deputanten, Schweizer und Kutscher. Am 30. September 1928 verlor das Gut Neu Lappönen seine Eigenständigkeit und wurde als Ortsteil in die Landgemeinde Berszienen, Kirchspiel Aulowönen / Aulenbach (Ostp.) eingegliedert, die zum gleichen Zeitpunkt in „ Birkenhof (Ostp.)“ umbenannt wurde.

Der Sohn von Erich Lengnik , der Züchter Oskar Lengnik, führte hier ein Privatgestüt, dass sich vornehmlich aus besonders hoch im Blut stehenden Mutterstuten zusammensetzte. Die Stute Herold wurde im Jahre 1925 in Neu Lappönen im Kreis Insterburg geboren. Herold wuchs in ihrer Geburtsstätte auf und wurde von seinem Züchter erfolgreich in Flach- und Hindernisrennen der Provinz vorgestellt. Pferd und Reiter, gleichzeitig auch sein Züchter, brachten zahlreiche Schleifen und Ehrenpreisen von diesen Einsätzen heim. Die Krönung aller Erfolge waren jedoch die Starts bei der Pardubitzer Steeplechase, dem schwersten Hindernisrennen des Kontinents. Von beiden Rennen kehrte Herold als Sieger zurück. Die Velká Pardubická oder Steeplechase von Pardubice ist ein traditionelles Pferderennen über 6.900 m, das auf der Rennbahn im ostböhmischen Pardubice in Tschechien stattfindet. Das Hindernisrennen gilt als eines der weltweit härtesten Rennen und wird seit 1874 veranstaltet, nunmehr jeweils am 2. Sonntag im Oktober. Der Parcours ist berüchtigt für die Größe der Hindernisse, nur ein geringer Teil der startenden Pferde erreicht überhaupt das Ziel.

Beim ersten Sieg im Jahre 1935 schrieb Gustav Rau:

"Es steigert sich das Bild zu einer geradezu phantastischen Leistung der ostpreußischen Pferdezucht, vor der alle anderen Turniererfolge verblassen, zumal die ostpreußischen Pferde auch alle anderen Militarys in diesem Jahre gewonnen haben."

Und im Jahre 1936 berichtete Reitsportzeitschrift St. Georg anlässlich Herolds Folgesieg zur Pferdezucht auch dem Gut Neu Lappönen:

"Jede Rennbahn verlangt ihre besonderen Pferde; Pardubitz braucht neben gewaltigem Springvermögen Pferde, die in jedem Boden zu gehen vermögen, und Pferde mit einer außerordentlichen Ausdauer. Die Strecke beträgt 6.900 m. Der Boden wechselt zwischen Rennbahngeläuf, Heide, abgeerntetem Feld und Sturzacker, verlangt also Pferde, die immer wieder kommen und ihre Aktion behalten….Es ist geradezu phantastisch, was die ostpreußische Zucht für die Große Pardubitzer seit 1923 an Siegern hergegeben hat … Diese gehäuften Siege ostpreußischen Blutes in einem Rennen wie der Großen Pardubitzer sind wohl das Bemerkenswerteste, was die ostpreußische Zucht an großen Leistungen aufzuweisen hat." So wurde Herold zum strahlenden Botschafter einer weltweit berühmten Leistungszucht der ostpreußischen Warmblutzucht Trakehner Abstammung. Von der wertvollen Neu Lappönen Zucht hat nur wenig das Kriegsende überstanden: Paloma von Hendrik (von Nana Sahib x), Pandura von Damian und ihre Tochter Palme von Port Arthur sowie Luckchen von Cornelius mit ihrer Tochter Luci von Löbau kamen auf dem Treckwege nach Westdeutschland. Ihre Stämme bewegten sich immer auf sehr schmalem Grat und tun es noch."

Die Stute "Rieke" auf dem Tuttlieser Hof stammte auch von einer "Nebenlinie" der Neu Lappönener Zucht ab. Sie war bei einer Remonte-Prüfung auf dem Gut ausgemustert worden und konnte so dort von Ferdinand Tuttlies als "Dreijährige" preiswert erworben werden. Zu Hause galt sie als treu und leistete hervorragende Dienste. Trotzdem waren durchreisende Pferdehändler an "Riecke" sehr interessiert. "Sie ist doch noch für eine Privatzucht hervorragend" . Ferdinand Tuttlies hatte später kurzfristig beim Innenausbau der Gesindehäuser auf dem Gut gearbeitet.


Stute Herold (aus der Zucht Erich Lengnik - Neu Lappönen) Quelle: [[9]]
Hildegard Tuttlies mit den Enkeln Manfred und Carlhorst und der Trakener Hof-Stute Rieke



Platt im Willschicken: Kupst und Kaddig

Deutsche Dialekt (1910) - Hochpreußisch [10]

Die zwei Millionen Ostpreußen brachten ihre Traditionen in vielfältiger Form im Fluchtgepäck in die BRD und DDR mit. Das gesprochene ostpreußische Platt ist heute 2023 nahezu ausgestorben. Auf alten Tonträgern und im Internet lassen sich noch winzige Sprachinseln entdecken. In der Literatur sind noch einige Erinnerungen zu finden.

Quellen:

Onser Platt – Kreis Gumbinnen (kreis-gumbinnen.de)

Ton-Kassette Ostpreußisch Platt - Deutsche Digitale Bibliothek (deutsche-digitale-bibliothek.de)

Mediathek Audiosammlung - Landsmannschaft Ostpreussen e.V.

Bing-Video

In Willschicken wie in weiten Teilen von Ostpreußen sprachen die ländlichen Bewohner platt. Das Platt war mit litauischen Sprachteilen durchsetzt

Von den übrigen ostniederdeutschen Dialekten unterscheidet sich das Niederpreußische in Ostpreußen vor allem durch viele Gemeinsamkeiten in Phonetik, Grammatik und Wortschatz mit dem Hochpreußischen. Einige wichtigen Merkmale des Ostniederpreußische sind nach W. Ziesemer [9] und dem Preußischen Wörterbuch [10] :

  • Die plattdeutschen Infinitive haben meist ein (n); dieses gilt für die Aussprache in Westpreußen, während in Ostpreußen das Schluss-n weggelassen wird (Sie will gehen - Sö wil goh)
  • Beibehaltung des ge- im Mittelwort (Hei is lopen; dagegen Ostniederdeutsch: He is jelope)
  • Entrundung (Kenig, Brieder, Fraide, Kraiter für Standarddeutsch Könige, Brüder, Freude, Kräuter)
  • Doppellaut mit Dehnung ai statt ei, eu, äu
  • Vorliebe für Verkleinerungssilben (De lewe Gottke und hochpreußisch kommche, duche, Briefchedräger) – umlautlose Verkleinerungsformen (Hundche, Katzche, Mutterche)
  • „nuscht“ für Standarddeutsch „nichts“ (Färe Dittke nuscht - für einen Groschen nichts)


Es folgt ein Auszug aus: Lituanismen im Ostpreußischen – Sprache und Alltag in Nord-Ostpreußen. [11]

Analysiert wird im Folgenden eine Auswahl von Texten, die nach 1945 in Form deutschsprachiger Buchpublikationen erschienen sind. Es mag erstaunen, dass auch noch nach über 50 Jahren - im Jahr 2000 nach Vertreibung und Flucht der Bevölkerung das ostpreußische Spracherbe, niederdeutsches Platt, in der Mundartforschung auch als niederpreußisch bezeichnet, in dieser Lebendigkeit in den Texten vorliegt.

Bei nicht seltenen deutsch-litauischen Missverständnissen ist oft zu hören: "Ei, was is dat? Ich versteh nich Litauisch. Mußt Daitsch mit mich kalbeken."

Um es vorwegzunehmen: der in Ostpreußen wohl am häufigsten verwendete Lituanismus, alltagssprachlich, wie auch im Schrifttum, ist die Bezeichnung Margell, Marjellchen, Jungensmargell, Burmargel (pltd.), u. ä. Wenn es darum geht, die äußere Erscheinung und bestimmte Eigenschaften von Mädchen allgemein und von Dienstmädchen zu charakterisieren, kann der ostpreußische Sprachschatz aus dem Vollen schöpfen “Dat es e abjefeimte (oppjeplusterte, fijuchlige, filistrije, freche, jedreiste, krätsche) Marjell“ . Ist ein Mädchen grasze (rundlich, schön genährt), dann gilt sie als besonders angriepsch .  Typisch ostpreußisch klingt der Satz „Margell, bring e Kodder, eck häbb Schmand verschmaddert“ . Ähnlicher Beliebtheit erfreut sich das Lieblingsschimpfwort der Ostpreußen, die Bezeichnung Lorbas, kurz gesagt, Lümmel. Fast durchgehend findet man in den Texten die litauischen Nationalspeisen Schuppnis und Kissehl und auch die Schaltnoosen genannt, die in Ostpreußen auch unter der deutschsprechenden Bevölkerung verbreitet waren. Die meisten Begriffe werden im Zusammenhang mit Gegenständen des Alltags, bestimmten Tätigkeiten, sozialen Handlungen und allgemeinen Lebensumständen verwendet.

Da ist zunächst der Turgus , der Wochenmarkt (in Aulowönen), in der weitgehend von agrarischen Lebensverhältnissen bestimmten Umwelt, ein Zentrum der Kommunikation und des Austausches von Waren, Kontakten und Nachrichten, zu nennen. Auf den Wochenmärkten spielt sich das Leben ab, es sind kleine Volksfeste, alles war auf den Beinen. Und hier trafen sie sich, der fast nur litauisch sprechende Bauer mit dem jüdischen Händler und dem deutschen Handwerker. Vielleicht gesellte sich auch noch ein polnischer Tagelöhner dazu. In dem mehr oder weniger direkten Kommunikationsprozess spiegeln sich verschiedene Ethnien und die ostpreußische Sprachenlandschaft wider: der freche Lorbas , der schwachköpfige Glumskopf und der muntere Bocher , bilden eine Gruppe von Gerkgesellen , deren Geseier und Gejacher über den ganzen Markt erschallt.

Neben dem Wochenmarkt und der Kirche war auch der Krug (Gasthofas) häufig mit Kolonialwaren Geschäft, das soziale Zentrum der Dorfbewohnen, wo sich die Männer nach Erledigung ihrer Arbeit zu treffen pflegten, um dort in geselliger Herrenrund a Tulpche Bier oder a Konus zu trinken und sich untereinander auszutauschen. Nun, bei nur einem Schnaps oder einem Glas Bier ist es selten geblieben, denn sobald einer der Herren eine Tischrunde „schmiss“ (ausgab), war es für die anderen doch Ehrensache, es ihm gleichzutun!

Zum Turgus eilten auch Frauen mit dem Kreppsch (Korb) oder Turguskorw in den Händen. Dabei achteten sie besonders auf den Inhalt ihrer Kischenne (Geldtasche), die sie mit dem Dirschas (Riemen, Gürtel) unter der Marginne , dem zweiteiligen Rock, befestigten. Ihre Kicke (Kopfbedeckung verheirateter Frauen), die schon ganz aus der Mode geraten waren, ließen sie zu Hause. Unterwegs wurden sie von einem Schwauksch (Regenschauer) überrascht. Auch die Tochter wollte zum Markt (... „palauk man bißke“... ); sie wollte sich nur noch die Parreskes anziehen. Die Mutter war in Eile (... „nu paspek man bißke“... ). Sie gab der Tochter gleich den Rat mit auf dem Weg, sie möge ihren Bambas (Nabel) nicht herausspeilen, sonst würden ständig die Bowkes auf sie glupen.

Über den Marktplatz verteilt standen Buden, kleine Häuschen, in denen gewöhnlich Handel getrieben wurde, oder es wurde direkt von den unzähligen Pferdewagen aus gehandelt. Zum Transport mag der Dwirratsch gute Dienste geleistet haben, ein dem Bauern nützlicher zweirädriger Einspänner, der so leicht war, daß er auch von Menschen gezogen werden konnte. Es handelt sich um einen leichtgängigen Wagen mit verhältnismäßig großen Rädern, die auch bei schlechter Straße und unwegsamen Gelände ihren Dienst nicht versagten. Beim Transport kleiner Güter über kurze Entfernungen war dieses Gefährt unentbehrlich.

Gehandelt wurde mit allem: unter den Tieren sind es die Ante (Ente), Trusch (Kaninchen), Kujjel (Eber), Ramunde (Pferd), und die störrische Zibb (Ziege), die den Vorbeigehenden einen Stums (Stoss) gab. Aus Fässern wurden Zillkes (Heringe) und der Kapustes (Kohl), den man bald nicht mehr riechen konnte angeboten, nicht zu vergessen den litauischen Suris (Käse). Auch Kruschkes (Birnen) waren genug da.

Der Fischhändler hatte sicher auch den Puke (Kaulbarsch) im Angebot. Man musste aufpassen, denn das war ein echter Kupschus (Händler - negativ). Wurde man unter Männern handelseinig - besonders nach abgeschlossenem Vieh- oder Pferdekauf - dann traf man sich zum Margrietschtrinken . Hier wurde so mancher des anderen Draugs (Freund), über den man nichts mehr kommen ließ. Bei diesem Umtrunk, mit dem man das Geschäft besiegelte, blieb es nur selten bei einem Glas. Umzech (Umzechen) hieß das Trinken „der Reihe nach“, sozusagen im Kreise herum. Das übliche Maß war der Puske , die Hälfte der Halbliterflasche. Bummchen (auch Bommchen) hieß ein altes Branntweinmaß an der Theke. Es mangelte nicht an verschiedenen Schnapsarten: Degtinnis, Brantewin, Kornus, Peperinnis, Pfefferschnaps, auch Pipirskis genannt, Skaidrojis , reiner, klarer aus Roggen oder Kartoffeln gebrannter Schnaps mit 56 Volumenprozenten („Dat öss dat reine Wort Gottes“ ) und - nicht zu vergessen - der Meschkines , auf Deutsch Bärenfang (pltd. Boarefang)

Den Stellenwert des Schnapses im Bewußtsein und wohl auch im Alltag der ostpreußischen Bevölkerung zeichnen zwei verbreitete Sprüche: „Schnapske mott sön, Brotke, wenn sön kann“, „Vor’m Schnaps e Schnaps und nach’m Schnaps e Schnaps“. Die Geräuschkulisse - ein ohrenbetäubendes Stimmengewirr in den verschiedensten Sprachen und Dialekten, noch verstärkt durch das laute Rufen der Händler, und das Rauloken (Brüllen) des Viehs - bildet jenen Hintergrund, in dem von kalbeken die Rede ist, was nicht nur viel und laut reden, sondern auch dumm und weitschweifig streiten und zanken bedeuten kann, echtes Jebroasch (pltd.) Der Kalbeker und die Kalbekersche gelten allgemein als geschwätzige und zänkische Personen. So mancher hatte die Kalbekerei all satt , da viele sich eh nur halbwortsch (pltd.) verständlich machen konnten.

Die gemeinsamen Angelegenheiten (...“Wenn nu wat em Därp to beräde un to beschlute weer“... ) regelten die Bauern auf der Dorf - oder Gemeindeversammlung, Krawuhl oder Pulkus . Der Dorfschulze oder Bürgermeister ließ in manchen Gegenden die Krebulle oder Kriwulstock mit dem Krawuhlzeddel , auf dem Ort und Zeit der Versammlung vermerkt waren, von Hof zu Hof tragen. Hier handelt es sich um eine traditionelle Form der Kommunikation innerhalb der dörflichen Selbstverwaltung. (Diese Möglichkeiten der Landgemeindeordnung wurden 1927 durch das Gemeindereformgesetz abgelöst.)

Auch die geselligen Treffen der Jugend wurden Krawuhl genannt, doch gewöhnlich hießen solche Zusammenkünfte mit Tanzvergnügen Wakarelis (geselliger Abend). Neben der Ziehharmonika und dem Trubas als Begleitinstrumente, erklangen hier nicht selten litauische Dainos . Dieser Art von Lustbarkeit des litauischen Gesindes, bei dem auch der Schnaps nicht fehlte -genannt Schwentadene -, galt der deutsch-litauische Spottvers: „Huste-pruste, Heiserkeit! –Dewe dok verjniechtes Leben“ . Hier fand auch der Jurrai , der jeden Abend mit einem anderen Marjell erschien, sein Betätigungsfeld, wofür sie ihn Herzensbrecher, Landbeschäler, Deckhengst schimpften. Den dörflichen Don Juan nannte man Jemeideerpel . Für einen Butsch mußte man erst ein Mädchen finden und beim Streit unter jungen Männern wechselte so manche Dauksche (Ohrfeige) die Seite.

Doch das Leben bestand nicht nur aus Feiern und geselligem Beisammensein, im Vordergrund stand oft harte Arbeit. Verbreitet war die Talka die freiwillige, gelegentlich auch erbetene Hilfe unter den Nachbarn. Eine Talka fand zu verschiedenen Anlässen statt: während der wichtigsten Feld- und Erntearbeiten, wie Heu- und Getreideernte, der meist intensiven nächtlichen Flachsarbeit in der Jauje (Dreschtenne) oder Pirte (Badstube) und zu kleineren Anlässen, wie bei der gemeinsamen Schlachtung, genannt Skerstuwiß. Skerstuwiß bedeutet zweierlei: die Schlachtung selbst und der darauffolgende Schmaus der Beteiligten und auch der Nachbarn.

Die Talka half so manchem Bauern eine Notlage zu überbrücken; wenn z.B. eiligst das Getreide eingefahren mußte, aber gerade im Moment wegen Krankheit „Not am Mann“ war, nahm der Nachbar seinen Dwiszak (hölzerne Forke) in die Hand und eilte dem Nachbarn zu Hilfe. Größere Vorhaben, wie Hausbau, war ohne Hilfe von außen nicht zu leisten. Bei der Talka war eine Bezahlung in Form von Geld nicht üblich und wurde auch nicht erwartet, daher stand die Abschlussfeier mit großzügiger Beköstigung und reichlich Schnaps im Vordergrund.

Für die Bewirtung war die Frau des Hauses, vom Gesinde auch Herzmutter oder Herzfrauchen genannt, zuständig. Von Jurgin (23.April) bis Micheel (29. September) wurde das Vesper gereicht. Zu Essen - zum Launagies (Vesper) oder Becktuwes, Pabaigtuvis (Abschlussfeier) - gab es reichlich: weder das gute Stück, der Kampen, Schwarzbrot, noch die beliebte Bartschsuppe (pltd.Boartscht), im Sommer auch kalt mit dem Scheppkausch serviert, durfte fehlen. Der Druskus (Salz) zum Abschmecken lag immer bereit. Bei guter Arbeit nahm die Wirtin den Skilandis (Schwartenmagen) vom Lentin, dem sie mit dem Peilas (Messer) zu Leibe rückte. Die Wirtin war ständig in Bewegung, mal eilte sie zur Klete (Speicher), um einige Pagels (Holzscheite) zu holen, damit die Pliete (Kochherd) nicht kalt wurde, mal rannte sie mit dem Peed (Wassertrage) zum Brunnen, um frisches Wasser zu besorgen. Nach dem reichlichen Essen und einigen Schnäpsen lehnte sich so mancher zurück zum behaglichen Rangieken (krümmen).

Für die Frau des Hauses war hierfür keine Zeit. Die Sorge um Haushalt und Tiere nahm sie voll in Anspruch: das Schweinefutter mußte mit dem Mentas (Rührholz) gerührt, die Edzs (Futterraufe) mit Futter gefüllt werden. Und dann noch der Ärger mit der Rankin (Griff) am Brunnen, die ständig herabfiel und dem Nachbarn, der vergaß den Karnelis (Handkarre) zurückzubringen. Selbst feiertags hatten sie keine Zeit zum Ausruhen, mußte ständig irgendwas Krapschtieken (wühlen, kramen, herummurksen) und Krausticken (umräumen). Kein Wunder, dass ihr nach all dem Ungemach ein Dokschpakajus (gib Ruhe!) über die Lippen kam. Zum Glück spielte ihr der Kauks kein Schabernack und auch vom Perkun (Donner) blieb das Haus verschont.

Begräbnisse gehörten zu den Ereignissen, an denen die ganze Dorfgemeinschaft beteiligt war. Zum Zarm (Leichenschmaus) wurde ordentlich aufgefahren, denn meistens wurde eine standesgemäße Bewirtung der Trauergemeinde erwartet. Jede Gemeinde hatte ihren eigenen Friedhof. - so auch Willschicken. Die Gräber ( Kapas ) waren gepflegt, die Bepflanzung natürlich dem Klima entsprechend, d.h. für den Sommer setzte man Blumen, doch für den Winter deckte man die Grabstellen nur mit Tannengrün und einem Grabgesteck ab. Während der warmen Jahreszeit ging man an jedem Samstag auf den Friedhof, ( Kapinės ) brachte einen frischen Blumenstrauß hin und harkte den Boden um das Grab herum. Die alteingesessenen Einwohner nannten ganze Grabreihen ihr Eigen, die für sie auch immer reserviert blieben. Manche waren durch kunstvoll geschmiedete Zäune wie eine kleine Oase vom übrigen Teil abgegrenzt. Ganz alte Gräber dagegen hatten noch keine Grabeinfassung. Da wurden die Grabhügel nur durch immergrüne Bodendecker gehalten.

Die ostpreußische Kultur- und Sprachenlandschaft erinnert an einen bunten Flickenteppich auf dem sich in historischer, geographischer und sozialer Dimension verschiedene Ethnien, Deutsche, Litauer, Polen und Juden, in einem mehr oder weniger direktem Kommunikationsprozess, dem Land jene Farbe gaben, durch das es sich auszeichnet. Selbst unter der deutschsprechenden Bevölkerung gab es, was die Verwendung von Sprache betrifft, einen Riss: platt (ostpreußisches Niederdeutsch) sprach das Volk, hochdeutsch die „feinen Leute (Ärzte, Pfarrer, Lehrer)"

Auch die weiteren Texte von Gerhard Bauer in den Annaberger-Analen über Preußisch Litauen sind sehr lesenswert (Jahrgang 11, 13-15, 17, 18, 20 und 21). Die Annaberger-Analen sind nach 30 Jahren 2022 leider eingestellt worden. [19]

Etwa 13 Hofbesitzer im Willschicken trugen Namen mit litauischem Ursprung. Bis auf einen Gutsbesitzer und zwei Großbauern, die jeweils zugezogen waren, sprachen alle Dorfbewohner Platt. Nur wer sich in der Öffentlichkeit besonders hervortun wollte, verfiel zeitweise ins Hochdeutsche. Die ältere Generation hatte zum Teil noch den litauischen Konfirmationsunterricht in Aulenbach (Ostp.) besucht. Ab 1900 nahm der litauische Sprachgebrauch in Ostpreußen aber deutlich ab. Bis dahin wurde in einigen Dorfschulen in der Pilkaller und Gumbinner Gegend auch noch Litauisch gelernt. In der Dorfschule sollte nach den Schulkonferenzen in Preußen 1890 und 1900 in ganz Ostpreußen grundsätzlich Hochdeutsch gesprochen werden. Doch in manchen Alltagssituationen fielen gerade die kleinen Schüler wieder in ihr von zu Hause gewöhntes Platt zurück.

In der Lindenhöher Dorfschule wurde ab der 1. Klasse Hochdeutsch als Schriftsprache auf der Tafel mit einem Griffel geübt. Edeltraut Tauchmann geb. Schlack berichtet aus der Nachbargemeinde von Waldfrieden (Ostp.):

Zu den Utensilien eines ABC-Schützen gehörten neben Fibel und Rechenbuch eine Schiefertafel mit Schreiblinien auf der einen und Rechenkaros auf der anderen Seite. Seitlich waren an zwei langen Bändern ein Schwämmchen und ein Lappen befestigt oder aus Kostenersparnis auch nur zwei Lappen. Auf jeden Fall hatte eines der beiden immer feucht zu sein, um damit das Geschriebene fortwischen zu können. Mit dem anderen schnell trockengewischt, war die Tafel dann gleich wieder einsatzbereit. Der Lehrer überprüfte hin und wieder die Feuchtigkeit des Schwammes/Lappens, aber wenn er nicht hinsah, tat's auch Spucke, und bei einem einzelnen Buchstaben war der schnell im Mund nass gemachte Finger sowieso präziser einzusetzen. Außerdem fingen die feuchten Wischer bald an zu stinken - eine wirklich unhygienische Sache! - und mussten durch neue ersetzt werde. Geschrieben wurde mit einem Griffel aus Schiefer. Er war etwa so lang wie ein Bleistift, aber dünner, und da er keine Holzummantelung besaß, war er leider nicht bruchsicher. Angespitzt wurde er mit einem scharfen Messer, aber verständlicherweise nur von Erwachsenen. Deshalb war es ratsam, morgens gleich mehrere gut angespitzte Griffel in seinem hölzernen Griffelkasten zu haben, die dann beim Laufen vernehmlich im Tornister (Schulranzen) klapperten, während die beiden seitlich heraushängenden Läppchen - oft im Verein mit den Zöpfen - lustig hinterher flogen. In der zweiten Klasse begannen wir, Bleistift und Hefte zu benutzen, in der dritten Federhalter und Tinte. [20]

Berta und Ferdinand Tuttlies sprachen in Willschicken mit ihren Eltern noch fließend Litauisch - die Kinder - wie Hildegard Tuttlies - verstanden noch Teile, sprachen es aber nicht mehr selber - Platt dagegen sprach noch die gesamte Familie. Siehe auch den Text von Hildegard Kiehl, geb. Tuttlies Willschicken - Erinnerungen, Flucht und Neuanfang. Der litauische Name Tuttlies heißt übersetzt Wiedehopf.

Das Soldatengrab aus dem 1. Weltkrieg

Frontverlauf der Ostfront im August 1914
Das Soldatengrab vor dem Wohnhaus der Familie Tuttlies 1915 zunächst noch ohne Zaun innerhalb der aufgestellten Pfosten. Bei genauerem Hinsehen ist aber das Kreuz erkennbar

Bereits 2 Wochen nach Beginn 1. Weltkrieges am 01. August 1914, fiel Russland schneller als erwartet in Ostpreussen ein. Vom August 1914 bis zum Februar 1915 waren bis zu zwei Drittel Ostpreußens zeitweise russisch besetzt. Die zweimal durch Ostpreußen ziehende Frontlinie hinterließ durch die Kampfhandlungen ein zerstörtes Land. Traurige Höhepunkte waren die Schlachten bei Stallupönen (17. August 1914, Gumbinnen 19.-20. August 1914), Tannenberg (23.-31. August 1914) und Masuren (07.-16. Februar 1915).

In der kaisertreuen Presse wurde Paul von Hindenburg als Sieger von Tannenberg und Befreier von Ostpreußen gefeiert, im Volk gewann er eine hohe Popularität. Im Ersten Weltkrieg übte die von ihm geführte Oberste Heeresleitung nach diesem Erfolg von 1916 bis 1918 praktisch eine diktatorische Regierungsgewalt aus, der sich der Kaiser unterordnete. Die deutsche Niederlage im ersten Weltkrieg begründete er später mit der sogenannten [Dolchstoßlegende].

Bereits 1914 setzte man eine Kommission ein, welche die Verluste in Ostpreußen protokollieren sollte. Für die Gesamtprovinz belief sich der Schaden auf 1,5 Milliarden Mark. Etwa 1.500 Zivilisten waren der Besatzung zum Opfer gefallen. Insgesamt kamen während der Kämpfe 1914/15 über 61.000 Soldaten ums Leben – 27.860 Deutsche, 1.100 Österreicher sowie 32.540 Russen. Dramatische Auswirkungen zeigte der Verlust an Vieh und Pferden, der die Versorgung ernsthaft gefährdete. Viele Menschen hatten während der russischen Besetzung in ihren Dörfern ausgeharrt oder waren auf der Flucht von russischen Truppen überrascht worden. Auf ‚Spionageverdacht‘ hatten die Besatzer gnadenlos reagiert, es war zu zahlreichen Exekutionen gekommen. … Insgesamt wurden bis zu 13.000 Zivilisten nach Russland deportiert.[12]

Mutter Berta Tuttlies blieb 1914/15 mit vier Kindern zu Hause. Hildegard Tuttlies spätere verh. Kiehl wurde erst 1920 geboren. In Willschicken stand im August 1914 die russische Militärverwaltung vor der Tür von Mutter Tuttlies und suchte Unterkünfte für verwundete russische Soldaten in der Umgebung. Das Wohnhaus musste geräumt werden und Mutter Tuttlies und ihre vier Kinder zogen zuerst in die Scheune, nach zwei Wochen auf den Dachboden des Wohnhauses. Die Küche durfte nach Absprache weiter benutzt werden. Anfang September 1914 wurde ein schwerverwundeter russischer Soldat in das Wohnhaus gebracht, der bald darauf verstarb. Beim Abräumen des Sterbelagers durch Mutter Tuttlies standen plötzlich zwei russische Soldaten mit dem Gewehr im Anschlag vor ihr. Erst die Rufe von anderen Verwundeten „Rotes Kreuz Haus, Rotes Kreuz Haus“ bewegte die Soldaten, sich zu entfernen. Vermutlich waren sie auf der Suche nach Wertgegenständen oder Alkohol. Der verstorbene Soldat wurde von der russische Militärverwaltung etwa 20 Meter vom Wohnhaus entfernt beerdigt, am Rand des Grabens der Grünheider Straße. Am Ende des 1. Weltkriegs kam Vater Tuttlies gesund nach Hause. Das Soldatengrab wurde nach Abzug der Russen 1915 durch die Familie gepflegt. Es erhielt ein kleines Holzkreuz mit der Inschrift: „Hier ruht ein unbekannter russischer Soldat“ und einen Staketenzaun mit einer gezimmerten Tür. Zunächst wurde das Grab durch vier hohe Pfosten gesichert. Die Kinder waren für das Unkraut verantwortlich. Zum 1. Weltkrieg siehe auch den separaten Text „Ländliche Entwicklung in Ostpreußen am Beispiel des Dorfes Willschicken (Ksp. Aulenbach Ostp.)“


So, das war der erste Teil
Aufgeschrieben von Klaus Kiehl, Hamburg, 2023
Ein besonderer Dank gilt Herrn und Frau Mattulat. Sie haben dankenswerterweise wichtige Eigenarbeiten zur Verfügung gestellt
In der Hoffnung, dass alle Angaben und Quellen richtig eingeordnet sind, sind Berichtigungen und neue Informationen herzlich willkommen. Bitte senden Sie diese an Klaus-Kiehl@t-online.de
Hier beginnt der zweite Teil.
Aufgeschrieben von Hildegard Kiehl, geb. Tuttlies  Hamburg, 2020


Willschicken - Erinnerungen, Flucht und Neuanfang


Hildegard Kiehl, geb. Tuttlies wurde am 21. März 1920 in Willschicken in Ostpreußen geboren und ist am 19.06.2021 in Hamburg verstorben. Das langjährige Mitglied der Insterburger Heimatgruppe Hamburg hatte bei den Treffen immer viel aus ihrer Jugend zu erzählen. Auch ihre Enkel waren gespannte Zuhörer, für diese schrieb sie den nachfolgenden Text im Alter von 100 Jahren, im Herbst 2020 auf. Viele Detail basieren auf Ihren Erinnerungen

Erinnerungen

Einleitende Anmerkungen zum Erinnern [13]:

  • Erinnerung ist das gedankliche Wiedererleben früherer Erlebnisse und eigener Erfahrungen.
  • Erinnerungen enthalten meist Bilder oder Szenen mit Landschaften, Tageszeiten und Gegenstände, mit Sprachen, Geräusche oder Temperaturen, auch Gerüche und Hautkontakte, vor allem aber Gefühle.
  • Ereignisse, die sich aus verschiedenen Erinnerungen zusammensetzen und die man häufig und ähnlich erlebt hat, verschmelzen mit der Zeit und lassen sich dann oft nicht mehr als einzelne Erinnerung abrufen.
  • Ein Kontrollprozess im Gehirn wählt aus, welche der aktuellen Wahrnehmungen überhaupt zum Kurzzeitgedächtnis und welche weiter zum Langzeitgedächtnis gelangen.
  • Das Erlebnis ist ein Ereignis im Leben eines Menschen, das sich von seinem Alltag so sehr unterscheidet, dass es ihm im Langzeitgedächtnis bleibt.
  • Als Erfahrung bezeichnet man die durch Wahrnehmung und Lernen langfristigen erworbenen Kenntnisse und Verhaltensweisen.
  • Ein vergangenes Erlebnis, durch die eigene Erfahrung rückwirkend betrachtet, kann die aktuelle Erinnerung steuern.
  • Entscheidend sind daher die subjektive Einordnung und Bewertung der Ereignisse, wie z. B. in der Heimat, während des Krieges, auf der Flucht und der Neuanfang.
  • Positive Erinnerungen überwiegen im Normalfall im Langzeitgedächtnis.
  • Negative Situationen werden vom Langzeitgedächtnis meistens nur begrenzt gespeichert und erinnert oder sie werden "verdrängt". Das gilt vor allem für extrem wahrgenommene Situationen.
  • Erinnerungen stammen aus dem Langzeitgedächtnis, das bei Personen sehr unterschiedlich ist. Es nimmt in der Regel mit dem Alter ab, das Tempo ist aber unterschiedlich.
  • Rückfragen, gelesene Texte, alte Fotos und erlebte Musik können helfen, sich an vergangene Erlebnisse zu erinnern.
  • Werden Erinnerungen über Generationen hinweg nur mündlich weitergegeben, können sich die Inhalte verändern. Schriftliche Erinnerungen sind daher besser überprüfbar.

Zu Hause in Willschicken

Familie Tuttlies in Ihrem Garten
2. v. li. Hildegard mit ihrem Freund dem Ziegenbock Mäck
(ca. 1925) Willschicken, Ksp. Aulenbach
Im März 2020 wurde ich 100 Jahre und genau vor 100 Jahren in Willschicken geboren. Aufgewachsen bin ich auf dem Lande in einem warmen Nest; in keinem Heuhaufen, sondern auf einem Bauernhof, mit zwei Brüdern und einer Schwester. (Max, Friedel und Erich - der jüngste Bruder Otto ist schon mit 3 Jahren verstorben).
Unsere Eltern haben uns mit viel Liebe und Fürsorge erzogen. Meine Spielgefährten waren alle Tiere, die ein Bauernhof besitzt. Meinen kleinen Ziegenbock, meinen Mäck, darf ich nicht vergessen. Er folgte mir auf Schritt und Tritt und ich tobte mit ihm um die Wette — besonders im Blumengarten, wenn dieser sauber hergerichtet war. Zur Freude meiner Mutter!! Ich war damals noch keine 5 Jahre alt, mein Mäck höchstens ein halbes Jahr alt. Für meine älteren Geschwister war ich stets die Kleine, sie behielten mich immer am Auge, soweit es ging. Nur wenn ich bei Lux, unserem Hofhund in seiner Hütte saß und mich nicht meldete, wenn ich gerufen wurde, waren sie etwas besorgt.
Knappe 10 Minuten Fußweg von uns entfernt war mein Ehemann (Gerhard Kiehl) daheim. Seine Eltern besaßen ein Kolonialwarengeschäft mit Gastwirtschaft und einen kleinen Saalbetrieb. Damals ahnte ich noch nicht, dass ich einmal dazu gehören werde! Aber mein Vater ging gerne dort hin. Überhaupt, wenn ein großes Treffen der bekannten Bauern aus der Umgebung war, am Tage der Schweineablieferung in Grünheide auf dem Bahnhof. Alle Bauern kehrten dann ( ...die Fuppen voller Geld, es war der Erlös für die Schweine) zum Umtrunk bei meinen Schwiegereltern in Pillwogallen ein.
Lux - zu ihm kroch ich oft in die Hütte und niemand hat mich gefunden
Pillwogallen kommt aus dem Litauischen und heißt deutsch: „Bauchende". Das gefiel den Einwohnern schon lange nicht. Auf Sondergenehmigung des Landrates Insterburg wurde der Name schon 1928 in „Lindenhöhe" unbenannt! Dort wurde der Insterburger Reiterschnaps ausgeschenkt. Ein Stück Würfelzucker und zwei ganze Kaffeebohnen wurden zerkaut und mit einem Korn nachgespült. Oder es gab einen Pillkaller. Wieder ein Gläschen Korn mit einer Scheibe deftiger Leberwurst mit einem Klacks Mostrich drauf! Vater kam dann reichlich verspätet nach Hause — aber stets lustig!
Opas (Gerhard Kiehl) zuhause war ein Kolonialwaren Geschäft mit Gastwirtschaft (später bekannt als Gasthof Fritz Lerdon, Lindenhöhe), und dort kauften alle Bewohner im weiten Umkreis ein. Es gab fast alles, was das Herz begehrte. Mehl, Zucker, Bonbons, Schmalz, Kuhketten, Holzschlorren, Klumpen, Bier , Wein, Alkohol, Wagenschmieren und Salzheringe. Sie lagen in einem großen Fass in Salzlake. Das Holzfass stand gleich hinter der Ladentür, darüber ein großer Stapel Packpapier als Einwickelpapier.
Fam. Tuttlies vor ihrem Wohnhaus mit Nachbarin 1925 (Willschicken) Ksp. Aulenbach
Nun benötigte meine Mutter (Berta Tuttlies geb. Burba), eure Uroma Salzheringe. Sie wurden gewässert und dann eingelegt. Also machte sich mein Vater (Ferdinand Tuttlies), Euer Urgroßvater auf die Beine, um 10 Salzheringe zu holen. Bis Lindenhöhe waren es keine 10 Min. Fußweg auf einer glatten Straße. Für  meinen Vater ein schöner Spaziergang am frühen Vormittag. „Öck kom bol wedder“ sagte mein Vater zu meiner Mutter, nahm seinen Krückstock vom Haken, setzte seine „Schlippkemütze“ auf und marschierte dann los! Doch vom baldigen Nachhausekommen wurde nichts. Ich entsinne mich noch, wie meine Mutter immer unruhiger wurde. Die Stunden vergingen un meine Mutter wurde auf Vater sehr böse. Das Mittagessen war fertig und wieder vom Tisch abgeräumt, die Schweine versorgt, die Kühe gemolken und immer noch kein Gebein von Vater. Ich weiß nicht mehr, wann er wirklich kam. Ich habe in Erinnerung, wie er frohen Mutes ins Haus reinkam und vorsichtig das Päckchen mit den Salzheringen auf den Küchentisch legte. Vater hatte zuvor viel zu erzählen, wen er alles im Krug in Lindenhöhe getroffen hatte, alles alte Bekannte und alle geben eine Korn nach dem anderen aus. Ein Korn kostete damals 10 Pf. und er, der Nante Tuttlies, musste tüchtig mithalten – und deshalb ist es auch etwas später geworden.
Meine schweigsame Mutter hatte inzwischen das Päckchen mit den Heringen aufgemacht – darin lag nur noch ein einziger Salzhering! Auch meinem Vater blieb die Spucke weg. „Ei der Dausend, wo sön de andere geblewe? Bestennt söb se miet ut de natte Papier underweges rutgerutscht!“ Und so war es. Sie hatten ja schon einige Stunde im Packpapier gelegen und es aufgeweicht. Vater nahm darauf stillschweigend seine Schlafdecke und ein Sofakissen unter den Arm, ging über den Hof zum Stall, stieg die Leiter hoch und verschwand durch die Luke auf seinen geliebten Schlafplatz im Heu. Ja und dann? Ich war damals 5 Jahre alt und wurde von meiner Mutter mit einer Schüssel losgescheucht, vielleicht noch einige Heringe am Straßenrand zu finden. Ein Hering kostete 10 Pf. und die 10 Stück 1,-- Reichsmarkt und das war Geld. Und was glaubt Ihr? Ich hatte Glück und brachte alle Neune meiner Mutter heim. Sie lagen meistens verstreut im Gras am Straßenrand. Die „Unglücks-Heringe“ wurden gut gewaschen, gut gewässert und dann sauer eingelegt. Euer Uropa hatte bald seinen Rausch ausgeschlafen, Eure Uroma ihren Ärger vergessen, denn die kleine Marjell, die Hills, hatte ja alles wiedergefunden. Es wurde noch viel darüber gelacht.


Der Gasthof Fritz Lerdon früher Hedwig Kiehl (1930)
Foto rechts : Innenansicht der Gastwirtschaft Lerdon (1931)
1.v.re: Hedwig Lerdon verwitwete Kiehl, geb. Padefke 4.v.re: Fritz Lerdon (im Hintergrund), li. Walter Kiehl, gefallen 1944


Anfang April 1926 wurde ich in ein Matrosenkleid gesteckt, die langen Strümpfe hatte Mutter selbst aus Schafswolle gestrickt (kratzten fürchterlich). Meine schwarzen Spangenschuhe wurden gewienert und einen Tornister bekam ich aufgehubbelt! An Mutters Hand ging es in die zweitklassige Schule nach Pillwogallen. Ich war sehr neugierig auf sie. Als ich dann einige Tage artig auf meinem Platz gesessen und mir alles angesehen hatte, fiel mir ein, dass gerade unsere Küken aus den Eiern zu der Zeit rausgekrabbelten, und ich musste dabei sein! Also ließ ich meinen Ranzen in der Bank liegen und ging nach Hause. Doch ich kam nicht weit. Lehrer Wiederhöft holte mich ein, fasste mich am Schlafittchen und meinte: „Ille (so nannte er mich) Du gehörst in die Schule!" Gefiel mir gar nicht. Viel schöner war es Zuhause, bei meinem Ziegenbock!


Ehemaliger Schulweg Hildegard Tuttlies und Ursel Weinowski. Links ist die Schule erkennbar
Der Weg zur Schule in Pillwogallen (1982)


Das linke Foto zeigen die Straße von uns nach Lindenhöhe. Hinter dem Gehöft auf der rechten Straßenseite kam gleich der Dorfteich und dann anschließend, ebenfalls an der Straße gelegen, Opas (Gerhard Kiehl) zuhause. Auf der linken Straßenseite des Bildes ist im Hintergrund ein größeres helles Haus zu sehen. Es war unsere Volksschule. Opa ging hier vier Jahre und anschließend zur Oberschule in Insterburg und Gumbinnen. Ich hielt es acht Jahre aus, ging aber dann noch anschließend zur Handelsschule in Insterburg. Auf dem Foto geht Oma mit ihrer Freundin spazieren. Das rechte Foto zeigen die Straße von uns nach Lindenhöhe im Jahr 1982.


Schule in Pillwogallen (um 1930)
Foto rechts : Schüler der Schule im Pillwogallen (1931)
Re.: Lehrer Wiederhöft ohne Kopf, 2.v.r. stehend: Hildegard Tuttlies daneben sitzend Ursel Weinowski


Anbei noch einmal unsere liebe alte Schule. Rechts und links je ein Klassenraum, vor dem Haus war ein Spielplatz,  hier haben wir in den Pausen Völkerball gespielt oder aber auch Singspiele waren damals an der Tagesordnung, natürlich ohne die „frechen Jungen“. Durch die Haustür kam man in einen kleinen Flur, dort stand ein hohes Schuhregal, worin wir im Winter unsere „Holzschlorren“ hineinstellten, denn fast alle Kinder trugen sie der Kälte wegen mit selbst gestrickten dicken Strümpfen aus Schafswolle. Ein jeder hatte aber warme Hausschuhe für die Schulstube im Ranzen. Auf dem Schulweg kamen wir an der „Haus-Schmiede" vorbei. Sie war tipp topp und er ein guter Schmied. Er hatte schon die dritte Frau am Haken und 12 Kinder und ein sehr baufälliges Wohnhaus, in das es reinregnete. War es des Nachts, wenn sie schon im Bett lagen, sagte sie zu ihm: „Papake, spann dem Scherm op! On et wer wi im Himmel!" In der Schule saßen hinter mir zwei Lautze von der Sorte. Ich hatte lange Zöpfe und die steckten sie mir ins Tintenfass, das hinter mir stand. Und ich hatte ein weißes besticktes Nesselkleid an. Worüber sich Mutter wieder sehr freute! Auch Martha gehörte zur Familie. Sie war eine drugglige Merjell und plinste oft, wenn sie in der Schule nicht weiterwusste.
Fasching von Handelsschülern in Insterburg 1938, bei Max Tuttlies zu Hause, in der Albrechtstraße 15, oberste Reihe, zweite von rechts, Hildegard Tuttlies, unten von rechts Manfred, Max und Gertrud Tuttlies
Viele Jahre lebten wir in guter Nachbarschaft mit Hermann Weinowski. Er war der Opa von unserem „Heinz Weinowski", der 2001 mit seiner Ursel zu unserer Heimatgruppe kam, und wir wussten beide nicht, wer wir waren! Die Überraschung war groß!
Die Jahre vergingen und ich durfte schon mal auf den Schwoof gehen. Am schönsten waren die Manöverbälle bei meinen Schwiegereltern im Garten, auch dort war eine Tanzfläche aus Holz vorhanden. Mein Vater hatte meiner Schwester und mir vor dem Gehen zur Aufgabe gemacht, jede noch zwei Kühe zu melken. Meine „Muschekühe" waren artig, ich erzählte mich oft mit ihnen und streichelte sie auch. Aber bei meiner Schwester war es anders. Sie bedeckelte sie oft mit dem Melkschemel — und dann tanzten sie im Ross-garten Polka, zur Soldatenkapelle, die wir schon spielen hörten!
Und wieder verging die Zeit – und ich hatte meinen Gerhard geangelt, oder er mich? Wir wollen meinen 18. Geburtstag gebührend feiern. Nicht daheim, sondern in Insterburg im Kaffee Alt-Wien! Mein Mann war damals in Insterburg als Berufssoldat stationiert. Ich hatte meine Bleibe bei meinem ältesten Bruder und seiner Familie in der Albrechtstraße 15, dem großen Eckhaus, das heute noch steht. Ich ging in Insterburg zur Handelsschule.
Alles war vorbereitet und wir saßen mit unseren geladenen Gästen im Kaffee Alt-Wien. Die Musik spielte die schönsten Weisen von „Waldeslust" und „Es war einmal ein treuer Husar...". Der Wein mundete hervorragend und wir waren sehr lustig und vergnügt! Bis ich beim Tanzen plötzlich auf meinem Rücken einen leichten „Schurrr..." vernahm. Ob mich der Gerhard zu sehr an sich gedrückt hatte 9 Ich wollte es wissen und ging zur Garderobenfrau. „Freileinchen — Sie sind aufgeplatzt...!" rief sie. Der ganze Rücken meines schwarzen Taftkleides vom Ausschnitt bis zum Gürtel war bloß...! Und nun stand das aufgeplatzte „Freileinchen" da — was war zu machen? Es war ein Kleid aus Mutters Beständen, das uralt war und für mich umgearbeitet worden war. Die Musik spielte, und ich feierte meinen 18. Geburtstag. Heute wäre ein bloßer Rücken (und noch etwas Nacktes) in Mode gewesen; aber damals? Aber Dank Mutters Fürsorge hatte ich meine lange selbstgestrickte Jacke aus Schafswolle unter dem Mantel an. Sie zog ich über, ging zurück zum Tisch und tanzte und schwitzte mit allen Gästen und meinem Gerhard als „aufgeplatzte Braut"... Das Taftkleid war lange Jahre unbenutzt, es hing gut aufgehoben auf der Lucht in dem großen Schrank, hinter Vaters „Schößchenrock". Taft verschleißt nach Jahren, und das war der Fall.


Kornaust, Kruschkemus und Wrukensuppe

Hildegard mit ihren stolzen Zöpfen, die in der Schule einmal von einem frechen Jungen in ein Tintenfass getaucht wurden
Hildegard Tuttlies mit ihrer Puppe, die nur Sonntag hervorkam
Nun ist es über 75 Jahren her, dass wir aus unserer geliebten Heimat vertrieben wurden. Fast nichts konnten wir mitnehmen, aber wir sind voll mit unserem Ostpreußen verbunden und verstehen die alten Ausdrücke, mit denen wir aufgewachsen sind. Wer weiß, was ein „Pomuchelskoopp" ist? (ein dicker, großer Fisch — oder auch ein Schimpfwort „Du Dammliger....!") oder was auch ein „Kalabräser" ist?
Die Sonntagspuppe, Gerda Weinowski, Hildegard Tuttlies
Ich konnte nicht stillsitzen und war immer neugierig. Wenn unsere lieben Nachbarn Onkel Hermann & Tante Auguste Weinowski zu uns in die „Uhleflucht" zum „kadreiern" (erzählen) kamen, war es für mich ein Ereignis! Vater saß dann mit Onkel Hermann auf der Bank vor der Haustüre. „Mien Mutterke" aber mit Tante Auguste im Garten; und ich sauste von einem zum anderen, um viel mitzubekommen! Die lieben Nachbarn waren die Großeltern von unserem Heinz Weinowski, der 2001 mit seiner Ursula zu uns in die „Heimatgruppe Insterburg / Sensburg" kam. Bis dahin wussten wir aber noch nichts voneinander. Die schönsten Zeiten waren für mich im Sommer die „Kornaust" und im Winter das „Federreißen" am warmen Kachelofen. Herrlich war es, wenn es draußen schneite oder gar „stiemte"! Wir saßen ja im Geborgenen. Da durften wir Kinder keine „Flunsch" ziehen, wenn uns die Arbeit nicht passte! Wurden wir noch „oppstornosch", gab es von Vater einen kleinen „Mutzkopp", ab und zu „plinsten" wir uns noch aus und wir waren dann nicht mehr „gluppsch", vielleicht noch ein wenig „dreibastig"... (frech)!
Mutter hat immer gut für Essen und Trinken gesorgt! Von „Klunkermus" mit Farin gesüßt, „Keilchen", „Pierag", selbstgemachte „Glumse" mit selbst gekochter Kirschkreide im großen Waschkessel in der Waschküche unter ständigem Rühren mit Zucker einige Stunden gekocht. „Brennsuppe", „Wrukensuppe", „Kruschkemus", „Kissehl", „Königsberger Fleck" mit 6 Gewürzen, gebackene Stinte — und meine „Spirgel", die ich heute noch gerne esse! Einige Leute daheim waren „Gniefke" (Geizhälse). Sie saßen auf ihren „Dittchen". Selten, daß sie einen „Kornus" geschweige einen „Pillkaller" ausgaben; und zum „Barbutz" gingen sie auch nicht. Dann kam ein „Bowke", er musste aber schon älter sein aus der Nachbarschaft und schnitt ihnen die Mähne mit der Schere. Zuhause wurden von Männern viel „Klumpen" und von Frauen „Schlorren" getragen. Prima waren sie zum „Schorren" auf dem Eis. Es ging aber auch ohne sie — auf selbstgestrickten dicken Socken aus Schafswolle! Im Hause schlüpfte man in warme „Wutschen", die oft per Hand hergestellt waren. Erläuterungen dieser ostpreußischen Ausdrücke unter : Begriffe: "Der ostpreußische Dialekt"
Gingen wir aber zum „Schwoofen", wurden die Sonntagsschuhe angezogen. Während des „Schwoofens" bekam man auch ab und zu mal einen „Bärenfang" spendiert und zum "Verzählchen" eingeladen. Die Männer tranken gerne „e Tulpche Bier", aber nicht zu viel, dass man sich nicht de „Tuntel" begoss! Auch wenn derjenige seine Spendierhosen anhatte, und noch gerne einen ausgegeben hätte! Aber auf dem Nachhauseweg hätte man sich leicht „verbiestern" können! Schlimm war es, wenn ich als kleine „Marjell" einer „Ziegahnsche" oder einem „Pracher" begegnete. Dann nahm das Betteln kein Ende. Hatte ich für sie etwas inne „Fupp", einen „Knasterbombom" oder einen Dittchen, war ich sie los! Mein Vater war wütend, wenn der „Koppschäller" (Pferdehändler) immer wieder zu uns kam. Dieser hatte es auf unsere „Rieke" abgesehen. Sie kam aus Neu Lappönen und war eine Trakehner Stute, Vater hat dann immer überlegt, wie er den Kerl auf Nimmerwiedersehen loswürde!
Aus der Gegend Friedrichsdorf und Große Friedrichsdorf kamen häufig auch die Zwiebelfahrer. Sie kamen zu uns mit Pferd und Wagen und riefe: „Zippeln, Zippeln“.  Sie tauschten Zwiebeln gegen Roggen. Gemessen wurde nach Scheffel, ein hölzernes Hohlmaß ca. 40 Liter Inhalt. Unter den Plunderführer verstand man Leute, die in einem kleinen Wagen Lumpen sammelten und zugleich den Leuten allerlei Krimskrams anboten. Sie meldeten sich durch lautes Pfeifen an. Ringe aus Horn und Busennadeln aus Blei waren sehr geliebt.
Zu unserer Nachbarschaft gehörte auch die Familie Baltruweit. Sie saßen auch auf einem Bauernhof, Vater, Mutter, Opa, Oma und vier „Marjellens". Opa und Oma waren auf dem Altenteil. Diese bewohnten die kleinste Stube, nur dass sie zur Nacht eine Bleibe hatten. Am Tage waren sie immer noch mit leichter Arbeit in Haus und Hof beschäftigt. Nun hatte Opa Baltruweit in der Nacht oft Nacken- und Kopfschmerzen. Also stand er wieder mal im Halbdunkel auf, tastete sich an sein Regal mit dem verschiedenen Einreibemittel in Fläschchen. Das Mittel wirkte Wunder, dachte er, er konnte schlafen und kam am anderen Morgen munter in die Küche. Doch „o Schreck" — Opa war blau im Gesicht, an den Händen, am Nacken! Ja, das war das Ende vom Lied — Opa hatte im Dämmerlicht de Tintenflasche erwischt; die in Reserve im Regal stand! Vater gab aber Opa den guten Rat: Bloß nicht mit Tinte de Kopke önriewe, dat helpt nich...!
Eine der vier Marjellens ist meine liebe Gerda. Mit ihr bin ich zusammen zur Schule gegangen, sie ist genau so alt wie ich. Sie wohnt in Bielefeld. Wir stehen bis zum heutigen Tage noch immer in Verbindung und sind dick befreundet. Wir telefonieren oft miteinander und tauschen unsere Erinnerungen aus — meistens auf platt! Auch unsere liebe Heimatgruppe ist immer im Gespräch... Ja, das war mein Zuhause, mein warmes Nest!


Kindheit in Willschicken

Es war für uns Kinder zu Winterzeit eine Freude, auf blanken Eisflächen auf Schlorren zu rutschen – „schorren“ sagten wir. Noch besser aber   ging es auf den dicken Strümpfen, also ohne Schlorren. Und das schönste war, meine Mutter hat nie geschimpft, wenn ich nass nach Hause kam „De Kinderdes motte sich uttobe“ sagte sie.
Ich wollte gerne unserem Hofhund beibringen, mich auf meinem kleinen Rodelschlitten zu ziehen. Leider ist es mir nie gelungen. Gewiss lag es daran, dass er nur mit einer Schnur am Schlitten festgebunden war. Opa hatte darin mit seinem großen Hund mehr Glück, der Hund gehorchte ihm, er war ja mit einem richtigen Geschirr vor den Schlitten gespannt. Leider, leider hat Opa damals eure Oma noch gar nicht angeguckt, vielleicht hätte er mich dann einmal mitgenommen bei seine Hundeschlittenfahrten.
Schön waren die Rodelschlittenfahrten über weite Strecken zur Schulzeit. Die Väter der Bauernkinder kamen dann mit Pferden auf einem stabilen Schlitten an der Schule vorgefahren und daran waren unsere Rodelschlitten hintereinander angehängt. Meist fuhren auch mehrere Gespanne mit Schellengeläut die Kinderschlitten im Anhang und viel Frohsinn zum nahen Wald und wie oft sind wir dann da runtergepurzelt. Wenn aber in meinem Zuhause im Winter mit dem großen Schlitten und zwei Pferden spazieren gefahren wurde, kam in die große Pelzdecke, die den Schlitten ausfüllte, ein warmer Ziegelstein. Er war im Bratofen aufgeheizt und blieb sehr lange warm. Ich durfte zwischen meinen Eltern sitzen und war so warm verpackt, dass nur die Augen rausschauten. Meistens ging es auch in den Wald. Vater nahm dort die Schlittenglocken von den Pferden ab. Er meint: „Wir wollen die Stille nicht stören“. Es wurde auch nicht viel gesprochen.
Ja – unsere Winter in Ostpreußen waren einmalig! Viel Schnee mit viel Sonne und klarem blauen Himmel. Dazu strenger Frost um die 20 Grad minus. Der Winter war sehr lange, mitunter fuhren wir zu Ostern noch mit dem Schlitten. Vor Weihnachten, in der Adventszeit, gab es dicken Raureif. Das war für mich immer eine Märchenwelt. Nicht zu vergessen waren die meterhohen Schneewehen bei „Stümwetter“ – trockener Pulverschnee vom Sturm zusammengeweht. Bei schlimmem Sturm mit eisiger Kälte wurden Straßen und Höfe, Zäune und Gebüsch wurden zu hohen Schneeflächen. Es fuhr kein Schlitten, niemand wagte sich aus dem Haus. Die Schule fiel aus und wir bliebe allem im warmen Zuhause. Wenn der „Spuk“ vorbei war, wurde Schnee geschippt. Ich habe mir in den hohen Schneewehren Höhlen gebaut. Für warme Winterbekleidung hat mein Vater für uns gesorgt. Er war auch Schneider und hat für Mutter und uns Kinder Mäntel und Jacken mit Pelz abgefüttert genäht. Wir haben nie gefroren, obwohl lange Hosen damals von Mädchen noch nicht getragen wurden. Dafür hat dann aber meine Mutter Strümpfe und Unterwäsche auf Schafwolle gestrickt. Die kratzten fürchterlich.
Der Monat Dezember war mit viel Arbeit ausgefüllt. Zu Anfang wurden zwei dicke Schweine geschlachtet. Daraus wurden auch herrliche Würste gemacht, Dauerwurst, Leberwurst, Blutwurst und meine Grützwurst. Viel Fleisch wurde in Gläsern eingeweckt, Schinken und die Speckseiten kamen in Holzfässern zum Pökeln in Salzlauge. Nach vier Wochen kamen sie in die Räucherkammer, die am Schornstein angebaut war. Meine Schwester musste die Kochwürste kochen. Dabei durfte sie nach altem Brauch nicht sprechen – sonst platzen sie. Alle Nachbaren erhielten zur Probe eine Schüssel volle „ganzer“ Kochwürste. Nach dem Schweineschlachtfest mussten die Gänse daran glauben. So 10 oder 12 Stück waren es in jedem Jahr. Es begann in aller Frühe das Gänserupfen. Dazu wurde eine große ovale Zinkwanne in der Küchenmitte gesteilt und wir saßen alle auf Stühlen drum herum. Jeder hatte eine Ganz auf dem Schoß und musste die fein und sauber abrupfen, getrennt nach Federn mit Posten und Daunen. Wir alle hatten zu Schluss – es dauerte mehrere Stunden bis wir fertig waren überall Federn sitzen. Mein Vater hatte sie im Bart, Mutter in den Haaren, Onkel Erich steckte sich meiste die großen Flügelfedern hinter beide Ohren, Tante Friedel hatte sie auch in ihrem krausen Haar und mir krochen die Daunen stets in die Nase und beim Niesen wirbelten sie in der Wanne hoch. Es wurde viel gelacht, denn im Grunde lachte uns schon der leckere Gänsebraten entgegen. Nach dem Schlachtfest wurden Plätzchen gebacken. Der Teig dafür war schon einige Woche fertig. Er stand in einer großen gut zugedeckten Schüssel in der großen Stube im Kalten, denn diese Stube wurde im Winter – bis auch Weihnachten und Sylvester -  nicht benutzt. Das Backen der Pfefferkuchen ging schnell vor sich. Vier Bleche auf einmal konnten in den großen Backofen, der mit Holz geheizt wurde, geschoben werden. Da musste schnell ausgerollt und schnell ausgestochen werden. Und wieder war die ganze Familie der Tuttliesen dabei, selbst Onkel Erich ließ sich erweichen, er und euer Uropa verkrümelten sich aber bald.
Tante Anneliese Kiehl mit Jagd- und Hofhund auf dem Hof des Gasthauses
Die Vorfreude auf Weihnachten wurde noch durch unser Weihnachtsfest in der Schule verschönt. Es wurden Theaterstücke, Lieder und Gedichte eingeübt und die Kostüme wurden auch selber genäht. Das war ein Spaß. Sogar eine Bühne wurde gebaut. Es klappte alles prima. Zum Schluss kam ein großer Weihnachtsbaum ins Schulzimmer; dann wurden die großen Schiebetüren, die die beiden Klassenräume verbanden, aufgemacht – und die Lindehöher Schule hatten den schönsten Theater-Raum.
Hedwig Lerdon mit erlegtem Hasen
im kleinen Saal ihres Gasthauses in Lindenhöhe
Das Gasthaus der Familie
Fritz Lerdon / Hedwig verwitwete Kiehl, geb. Padefke (1940)
Unseren eigenen Weihnachtsbaum hat mein Vater stets besorgt, woher er ihn hatte, wurde nie verraten. „Vom Weihnachtsmann“ sagte er lachend. Das Weihnachtsfest selbst war eine riesige Freude in meinem Elternhaus. Es gab nicht viele Geschenke. Meine heißgeliebte Puppe begab sich immer in der Adventszeit auf eine Winterreise, sie kam aber dann stets am Heiligen Abend mit neuen Kleidern wieder zurück. Aber da stand der prächtige Tannenbau, der uns allein schon in festliche Stimmung versetzte. Dann begann Eure Uroma „Stille Nacht, heilige Nacht“ leise zu singen und wir alle stimmten fröhlich mit ein. Wir saßen am warmen Kachelofen, draußen war tiefer Winter. Es duftete nach Weihnachten in der großen Stube und in der Küche brutzelte der Gänsebraten.  Euer Uropa saß in seinem Stuhl, hatte die Hände gefaltet und sagte nur „Kinder, sön dat wedder scheene Wiehnachte“.
Es war Herbstzeit und wieder einmal hatte Euer Uropa Fritz Hasen geschossen. Eure Uroma Hedwig Kiehl - Lerdon hat auf einem Foto einen dicken erlegten Hasen auf dem Arm. Sie steht vor der Verandatür auf der Hofseite. Uropa Fritz war zuhause Jagdpächter und durfte im Herbst und im Winter Wild schießen. Es wurden zur Jagd Freunde und Verwandte eingeladen. Eine große Gesellschaft machte sich auf die Beine. Auf dem Foto links ist Tante Anneliese (Kiehl) auf dem Hof zu sehen mit Uropas Jagdhund „Arac“. Dahinter steht der Hofhund „Lord“. Zu jeder Jagd gehören auch Treiber. Es waren junge Leute aus dem Dorf. Sie haben zusammen mit den Hunden die Hasen aufgestöbert und sie den Jägern zugetrieben, denn die Hasen hatten sich in Hecken und Büschen verkrochen. Das geschah mit großem Lärm. Der Ausklang solcher Jagdtage war ein großes Essen bei Eurem Großvater in der Gastwirtschaft Eure Uroma Hedwig hatte mit den Frauen aus der Nachbarschaft alles bestens vorbereitet. Es ging lustig zu. Es wurde gut gegessen und dazu ordentlich getrunken, viel erzählt, viel gelacht und zuletzt ordentlich gesungen. Uropa Fritz begleitete auf dem Klavier. Die geschossenen Hasen hatte inzwischen der Kutscher mit dem Pferdefuhrwerk nach Hause geholt und auf dem Dachboden zum Abhängen aufgereiht.
In der Gaststätte wurde im Allgemeinen kein Essen angeboten, da die Gäste in der Regel vor oder nach dem Besuch schon zu Hause aßen. Es gab aber Kleinigkeiten wie Soleier, Halben Hering oder eingelegten Zwiebeln oder Sure Gurken und für die "Damen" Schokolade oder Bomche. Wurde bei großen Festen dennoch ein Essen eingeplant, so gab Hilfe aus dem Dorf und in einem Nebengebäude - das auch als Waschküche diente - wurde der lange Schamott-Herd zum Kochen, Braten und Warmhalten angeworfen und der große Geschirrschrank aufgeschlossen. Das Besteck stammte zum Teil noch aus einem russischen Offizierskasino aus dem 1. Weltkrieg. In der Regel fanden aber alle Familienfeste zu Hause statt. In Opas Zuhause (Gasthof Lerdon) fanden im Sommer an Wochenenden die Tanzvergnügungen im Freien statt – falls es nicht regnete. Es war im Garten eine Tanzfläche mit Holzdielen vorhanden. Die Dielen wurden vorher extra gebohnert. An der Theke bediente Onkel Walter zusammen mit Nachbarinnen aus dem Dorf. Flotte Weisen spielten zwei Dorfmuskanten zusammen mit Uropa Fritz auf. Uroma Hedwig überwachte die Kasse. Auch unsere Sommerschulfeste wurden hier gefeiert mit Volkstänzen, Liedern und Gedichten. „Sommer o Sommer du fröhliche Zeit“ sangen wir hier bei unserem Umzug von der Schule durch das Dorf zu Opas Garten. Alle Kinder waren festlich herausgeputzt. Selbst der „Rüpel“ Otto Schützler, der mal meine Zöpfe ins Tintenfass gesteckt hatte, sah richtig schick aus, sein Haarschopf hatte einen geraden Scheitel. Wir Mädchen trugen zum Umzug halbrund Holzbügel, die mit Blumen umflochten waren, in den Händen. Unsere beiden Lehrer gingen voran – und so hielten wir den Einzug in den Festgarten, wo schon alle auf uns warteten. Jedesmal waren wir froh, wenn Petrus für uns die Sonne scheinen ließ.
In der Gastwirtschaft geschah allerlei. Viele Dörfler trafen sich hier. Alle kamen sie mit Pferd und Wagen, im Winter mit Schlitten. War das Wetter kalt, wurden die Pferde gut eingedeckt.- oder sie kamen in die „Einfahrt“ – ein großer Stall, der für die Pferde der Gäste gebaut worden war. Alle Gäste – zogen, bevor sie die Gaststube betraten, ihre Holzklumpen aus. So ging einmal ein Bauer aus Bessen nach seinen Pferden sehen und war überrascht – seine Holzklumpen waren angenagelt – er hatte seine Schulden nicht gezahlt.
Johann Scharfetter Gutsbesitzer und sehr erfolgreicher Rinder- und Pferdezüchter (ca. 1930)
Oft kam auch der Gutsbesitzer und sehr erfolgreiche Rinder- und Pferdezüchter Johann Scharfetter im Sommer zu einem Rotwein oder im Winter zu einem Grog mit seinem Spazierwagen in die Gaststätte. Im Wagen saßen er und sein großer treuer Hund. Scharfetter steuerte dann alleine in „seine“ Ecke in der Gaststube, zu Füßen sein Hund und auf dem Tisch div. Flaschen - im Sommer Rotwein oder Rum im Winter. So saß er sehr lange und schlief ein und er und sein Hund fingen an zu schnarchen. Uropa Fritz (Lerdon) hat dann die Petroleumlampe auf Sparflamme gestellt und ist ins Bett gegangen. In der Nacht ist Herr Scharfetter aufgewacht, fand in der Regel mit Hilfe des Hundes zum Spazierwagen und schlief, so wurde beobachtet, im Wagen wieder ein. Sein treues Pferd fand den Weg nach Hause alleine – zu jener Zeit fuhren ganz selten Autos nachts auf den Straßen.
Als Uropa Fritz – auch nachts mit seinem neuen Mercedes die Straßen unsicher machte – war das eine Sensation. Zeugen bekundeten, dass er das "nur" tue, um Gäste nach Hause zu fahren. Besonders zwei unerschrocken nach Ostpreußen versetzte Lehrerinnen aus Köln benutzte zusammen diesen Service - so dass es schon zu besorgte Nachfragen des Schulrates kam, die aber grundlos waren. Der Besuch von Gasthäusern von alleinstehenden Lehrerinnen war den Dorfbewohner suspekt. Die beiden verkündeten aber „ … der rheinische Frohsinn ist hier noch nicht angekommen" und wurden langsam in der Gaststätte akzeptiert.
Schwiegermutter Hedwig Lerdon führte nach 1941 den Laden an 2 Tagen in der Woche fort, sofern es die Versorgungslage zu ließ, bis zur Flucht im November 1944 allein weiter. Die Ladenöffnung war auch für die Einlösung der Lebensmittelkarten und Bezugsscheine wie z. B. von Petroleum von großer Wichtigkeit. Fritz Lerdon war einberufen war und nur während des Soldatenurlaubs zu Hause. Die Gaststätte wurden nur für amtlichen Zusammenkünfte und für "Privat-Kunden" geöffnet. Nach und nach blieben aber alle wehrpflichtigen Männer weg, da sie eingezogen wurden. Später wurde Köln, nach einer Zwischenstation in Mirow, für die Familien Lerdon das Ziel der Flucht aus Ostpreußen.
Im Jahre 1934 wurde Lindenhöhe mit elektrischem Strom versorgt. Uropa war einer der ersten im Ort, denn ein Anschluss war damals sehr, sehr teuer und nicht jeder konnte ihn sich leisten. Jedenfalls hat es geklappt und Euer Uropa hat aus diesem Grund ein Lichtfest veranstaltet. Dabei wurden die größten seiner Petroleumlampen mit großem Gefolge und Musik im Dorfteich versenkt. Umwelt war damals ein unbekanntes Fremdwort. Ich habe das Petroleumlicht gerne gemocht – aber wehe, wenn die Petroleumkanne leer war. Dann hatten wir kein Licht, dann dauerte unsere „Uhlenflucht“ bis zum Schlafengehen. Im Sommer brauchten wir kaum Licht, dafür im Winter umso mehr. Die „Uhlenflucht“ fand bei uns im Sommer auf der Hausbank vor der Tür draußen statt, im Winter war die Bank vor dem warmen Kachelofen der Versammlungsplatz. Dann haben meine Eltern aus ihrer Kinderzeit und ihrem Zuhause erzählt. So hatte meine Mutter schon mit 6 Jahren Strümpfe stricken müssen. Mein Vater hatte vor der Schule schon Vieh und Gänse hüten müssen.  Als Schuljunge erhielt er eine besondere Genehmigung, die ihn als Hütejunge zwei Tage in der Woche von der Schule freistellte. In meinem Zuhause sollten erst 1939 elektrischer Strom gelegt werden. Zunächst gab es auch nur vier Lampen und eine Steckdose. Im selben Jahr brach auch der 2. Weltkrieg aus und wir haben unsere Petroleumlampen behalten. Euer Opa hatte als Junge eine Vorliebe für den Heuboden. An langweiligen Sonntag-Nachmittagen klemmte er sich ein Karl May Buch unter den Arm – es gab vier verschiedene Bände – und stieg die Leiter hinauf und entschwand durch die Luke im Heu. Vor hier konnte er auch alles prima überblicken, wurde er gerufen, hat er sich nie gemeldet, denn das Versteck war sein Geheimnis – und er hat es auch keinem verraten. Als ältester seiner vier Geschwister wurde er regelmäßig zu deren  Aufsicht eingeteilt. Der Autor Karl May veröffentlichte bis 1914 bereits 1,6 Millionen Bände. Seine Schriftstellerkollegin Hedwig Courths-Mahler kam bis 1914 mit ihren Romanen der "Schicksalsergebenheiten" und dem Vorbild des traditionellen Verhalten von Frauen aber bereits auf 14 Millionen verkaufte Bände. Ich hatte mich extra in der Buchhandlung in Aulowönen erkundigt, ob Courths-Mahler "schon war für mich wäre" . Die genannten Auflagezahlen habe ich bis heute behalten.
Unser Leben auf dem Lande war aber nicht langweilig – eben bis auf die Nachmittags-Sonntage. Ich bin dann meistens viel mit dem Rad gefahren. Mit 12 Jahren erhielt ich mein erstes Fahrrad, mit 14 Jahren zur Konfirmation die erste Armbanduhr und mein erstes Buch - es war ein Gesangsbuch.
Ein Radio hatten wir dann später auch schon. Leider wurde es ganz selten angemacht. Weil wir noch keinen Strom hatten, war das Radio an Anoden und Akkumulatoren angeschlossen, und diese Batterien wurden schnell leer und mussten dann zum Aufladen weggebracht werden, was immer einige Tage dauerte, bis man sie wieder abholen konnte. Nun hörte aber meine Mutter und natürlich auch die Kinder sehr gerne Radio, aber mein Vater schimpfte dann – es wäre zu teuer. Er ist dann aber zeitig zu Bett gegangen und wenn er anfing zu schnarchen, war es so weit, dass wir das Radio wieder anstellen konnten. Gehört haben wir den Reichssender Königsberg. Im Winter waren die Abende oft mit Radiosendungen ausgefüllt. Wenn wir keine Arbeit vorhatten, Stricken, Stopfen, Nähen und ähnliches, saßen wir am warmen Kachelofen, draußen war dichter Schnee und der Mond schaute zum Fenster rein, dazu viele Sterne am wolkenlosen Himmel und wir hörten eine Stunde Radio. Meine alte Katze saß auf meinem Schoß, sie wurde dann aber vor dem Schlafengehen von mir in den Stall gebracht.
Eine Sensation waren zuhause die Zigeuner. Sie fuhren in ihren Planwagen oft über Land. Woher sie kamen und wohin sie wollten wusste niemand. Ein Planwagen war ein einfacher Wagen- überspannt mit starken Weidenruten und darüber ein Tuch als Plane gezogen, zum Schutz gegen Wind, Sonne aber auch Regen. An der Außenwand des Wagens baumelten verbeulte Kochtöpfe, Bratpfannen oder Eimer, in dem Wagen unter der Plane saßen die Frauen mit den Kindern auf Stroh. Der Zigeunervater saß vorne im Wagen und lenkte ein müdes Pferd. Oft aber schwärmten alle aus, um mitzunehmen was nicht niet-oder nagelfest war. Weil das Land zuhause flach war, sahen wir sie schon von weiten auf der Straße ankommen, immer mehrere Fuhrwerke auf einmal. Dann kam unser Vater in Haus gestürmt und rief: „Kinder, de Ziegäner kome“. Falls Wäsche auf der Leine hing, wurde sie schnell abgenommen, die Hühner, Gänse und Schweine in den Stall gescheucht, das Hoftor und alle Türen und Fenster fest verschlossen und der Hofhund Lux wurde losgemacht. Nichts war vor ihnen sicher. Mein Vater stand irgendwo versteckt auf dem Hof und passte auf, wenn sie zum Betteln anrückten. Mir war eine solche Sippe immer interessant, gab doch viele, viele Kinder zu bestaunen, die neben den Wagen liefen und so vor den Hof erst zu singen und dann zu betteln anfingen. Die ein freies Leben führten – ohne Schule!

Hildegard Kiehl berichtet weiter:

Für mich war es immer eine Freude, wenn ich während meiner Schulzeit nach Insterburg zu meinem Bruder Max mit meiner Schwester fahren durfte. Er hatte ein Geschäft mit vielen, vielen Bonbons.


Eine wichtige Einnahmequelle für seinen Kolonialwarenladen zuhause, waren die wohlhabenden Schüler der nahe liegenden Schulen die regelmäßig versuchten, ganz viel Bomche für ganz wenig Dittchen zu erstehen. Als tüchtiger Kaufmann hatte mein Bruder Max (Tuttlies) zum Wechseln immer viel Kleingeld in der Ladenkasse. Angeblich versuchten einige Eltern, durch ein Ladenverbot die Kauflust Ihrer Sprösslinge in den Griff zu bekommen.

Der Zweite Weltkrieg

Mauersee und Pristanien (Paßdorf) mit Baumschule Wenk und den Bunkern des Hauptquartiers des Oberkommandos der Wehrmacht nahe dem Dorf Mauerwald
Zeugnis der Baumschule Wenk für Hildegard
Tuttlies, ausgestellt Inhaber vom Bruno Wenk
Mitarbeiterinnen der Baumschule Bruno Wenk, Hildegard Tuttlies zweite von rechts (ca. 1940)
Am 1. September 1939 war der Krieg ausgebrochen — aber wir fühlten uns in unserem Ostpreußen in Sicherheit. Wir waren ja weit weg vom Schuss, vom großen Deutschen Reich und hatten reichlich zu essen und zu trinken, und wir waren ja die Kornkammer Deutschlands!
„Denn heute gehört uns Deutschland", sang die Jugend vor Begeisterung! Ich war 19 Jahre alt und hatte mir nach der Handelsschule durch die Landhilfe, eine Stelle im Büro im herrlichen Masuren in Pristanien / Paßdorf bei Angerburg gesucht. Es war die große Baumschule „ Bruno Wenk " mit 12 Angestellten, vom Obergärtner bis zu den Lehrlingen; dazu war mein Chef „Bürgermeister" und die Postagentur gehörte auch da hinein. Im Büro waren wir zwei Angestellte, also gab es reichlich zu tun. Aber trotzdem war ich viel am Mauersee, der ganz in unserer Nähe lag. Die Bunkern des Hauptquartiers des Oberkommandos der Wehrmacht lagen beim Dorf Mauerwald am Mauersee, das spätere Führerhauptquartier, die „Wolfsschanze" wurde bei Rastenburg gebaut. In Paßdorf wurde ein Bahnhof eingerichtet auf der Strecke Angerburg - Rastenburg. Hier wurden auf die aufgezogenen Pflanzen, Sträucher und Bäume der Baumschule verladen.
Wir hatten ein weibliches Arbeitsdienstlager mit über 100 Maiden in unserem Bezirk (Kreis Rastenburg). Sie waren im „Reich" beheimatet und bekamen viel Post, die sie sich selbst abholten.

Der folgende Text wurde eingefügt:

Das Pflichtjahr wurde 1938 von den Nationalsozialisten eingeführt. Es galt für alle Frauen unter 25 Jahren – sogenannte Pflichtjahrmädel/-mädchen – und verpflichtete sie zu einem Jahr Arbeit in der Land- und Hauswirtschaft. Es stand in Konkurrenz zum etablierten Landjahr sowie ab 1939 durch die Einführung des Reichsjugenddienstpflichtgesetzes zum Dienst im Rahmen des Reichsarbeitsdienstes (RAD). Dies betraf vor allem jene Jugendlichen, die bis dahin keiner Parteijugendorganisation angehörten und zudem auch keine Berufsausbildung absolvierten. Die Zwangsverpflichtung im RAD erfolgte dabei nach rein willkürlichen Richtlinien, ohne Rücksicht auf Interessen, Fähigkeiten oder Affinitäten jeglicher Art. Weder der Dienstort noch die Art der Tätigkeit standen dabei zur Auswahl.”

Neben dem männlichen Arbeitsdienst war mit dem Reichsarbeitsdienstgesetz auch der weibliche Arbeitsdienst (RADwJ) für junge Mädchen (Arbeitsmaiden) im Alter von 18 bis 21 Jahren eingeführt worden. Ab dem Jahr 1938 entstanden überall im damaligen Deutschen Reich 327 Lager des weiblichen Arbeitsdienstes, von denen 108 als Bauernlager, 116 als Siedler- und 108 als NSV-Lager (Nationalsozialistische Volkswohlfahrt) anzusprechen waren. Damit zeigte sich bereits die Einsatzart der weiblichen Arbeitsdienstangehörigen. Sie wurden entsprechend auf Bauerhöfen als Hilfskräfte (Mägde) eingesetzt oder in landwirtschaftlichen Siedlungen als Kindermädchen, Säuglingsschwestern, Lehrerinnen oder als eine Art von Sanitätspersonal.“ [14]

Hildegard Kiehl fährt fort:

Auch ich bekam viel Post von Opa! (d.h. ihrem späteren Ehemann. red.) Zuerst aus Insterburg, später kamen dann Feldpostbriefe von der Front. Auch besucht hat er mich oft in Masuren. Die Zeit lief dahin. Ich war dort von 1939 bis 1942, drei Jahre — und dann kam der grausame Krieg immer näher an unsere Heimat. Mein Bruder Erich (Tuttlies) , der auf dem Hof bei meinen Eltern lebte, wurde zur Front eingezogen. Als Sanitäter arbeitete er meistens in Lazaretten. Für ihn erhielten Uropa und -Oma einen Weißrussen, Michael, als Arbeitskraft. Er war ein anständiger und fleißiger junger Mann, er war gerne bei uns.
Dann erkrankte mein Vater am Herzen, meine Mutter schaffte es auch nicht mehr, und so ging ich dann nach Hause. Ich wäre auch gerne dortgeblieben. Ich hatte großen Spaß an der vielseitigen interessanten Arbeit. Zwar waren fast alle deutschen Baumschulangestellten zur Wehrmacht eingezogen. Aber an ihrer Stelle kamen 20 polnische Hilfsarbeiter, die kaum deutsch sprachen mit einem deutschen Wachmann, der stets eine Pistole bei sich trug, es war grausam! Doch der Versand der vielen Obstbäume, der Nadelhölzer, der Nutz- und Ziersträucher musste ja weitergehen. Am 15.05.1942 verließ ich das Büro der Baumschule Bruno Wenk in Paßdorf um zu Hause, den kranken Vater Ferdinand Tuttlies zu unterstützen. So war ich dann wieder zuhause. Opa kam ab und zu mal von der Front in Urlaub. Die Rückfahrt zur Front war dann immer am schlimmsten. Im Oktober 1943 haben wir geheiratet. Ich blieb aber in Wilkental wohnen. Die Front rückte immer näher. Nachdem die Wehrmacht in Polen besiegt war, rückte Russland weiter vor.
Die größten Städte in Ostpreußen wurden schon bombardiert. Im Sommer 1944 musste nach Königsberg auch Insterburg daran glauben. Es war sehr schlimm; denn mein ältester Bruder Max (Tuttlies) wohnte in Insterburg in der Albrechtstraße Nr. 15 mit seiner Familie dort. Es blieben dort alle verschont und Frau und Kinder wurden nach Kroslitz bei Leipzig evakuiert. Allerdings wurde sein Laden zerstört. Meine Schwester Friedel wohnte in Königsberg. Ihr Mann war an der Front und sie wurde mit den Kindern nach Lugau im Erzgebirge evakuiert.

Einschub:

Flagge von Tscherjachowsk (Insterburg), Quelle: RUS Chernyakhovsk flag - Черняховск — Википедия (wikipedia.org)

Zur Entstehung des Wappen heißt es: Das Wort "Inster" war in der baltisch-preußischen Sprache der Name des Flusses, an dem die Burg errichtet wurde, und wird verwendet, um mit "Flüsse" übersetzt zu werden. Das Wort "Burg" bedeutete auf Deutsch "Festung". Der ganze Name "Insterburg" wurde mit "Festung am Wasser" übersetzt. Der Ortsname Insterburg wird 1340 erstmalig erwähnt: „ad castrum Insterburg“. Die Instierburg wurde nach 1256 an Stelle der Prußenburg Unsatrapis erbaut.

Das Herzogtum Preußen wurde vom ehemaligen Hochmeister des Deutschen Ordens Albrecht, der zum (lutherischen) Protestantismus konvertiert war, gegründet. Es war das erste Fürstentum im frühmodernen Europa mit lutherischem Glauben. Der preußische Herzog Albrecht säkularisierte im Zuge der Durchsetzung der Reformation 1525 die Ordensburg Insterburg und machte sie zu einem weltlichen Hauptsitz. In diesem Hauptamt gab es 1544 nur ein einziges Kirchspiel, nämlich Insterburg selbst. Doch dann kam die Kolonisierung in Schwung. Bis 1558 folgte das Kirchdorf Gawaiten und bis 1562 das Kirchdorf Pillupönen. 1590 nannte das Kirchspielverzeichnis 13 Kirchspiele mit rd. 500 Orten.

1541 wurde Insterburg als Stadtflecken anerkannt und Sitz eines Amtshauptmanns und 1583 erfolgte die Erteilung des Stadtprivilegs durch den Regenten Markgraf Georg Friedrich von Hohenzollern-Ansbach.

Stadtwappen von Insterburg, auf Notgeldschein, ausgegeben von der städtischen Sparkasse Insterburg während der Inflation von 1921, 70 Pfennige, Quelle: 70 Пфенu)нигов 1921, Инстербург подробное описание (notescollector.e

Das noch von Wildnis geprägte Umland ließ er besiedeln. Zur Zeit der Stadtrechte erstreckten sich Urwälder rund um Insterburg. Sie fanden oft Bären, aber auch Elche und Hirsche. Nur der Besitzer des Landes hatte das Recht zu jagen. Die Leidenschaft für die Jagd in einer so wildreichen Region faszinierte Markgraf Georg Friedrich. Er hielt sich oft in den Jagdrevieren von Insterburg und in der Festung selbst auf. Als Georg Friedrich schließlich am 10. Oktober 1583 die Stadtrechte an Insterburg verlieh, brachte er seine Liebe zur Jagd zum Ausdruck, indem er den Bären und den Jäger in der Darstellung des Stadtwappens verewigte.

In der Satzung heißt es: "Wir wollen der Stadt Insterburg ein eigenes Siegel geben, mit dem die notwendigen Dokumente beglaubigt werden sollen..".

Nämlich: ein weißer Schild, unten ein grüner Berg, darauf steht ein Schwarzbär auf allen Pfoten, und auf beiden Seiten im Inneren des Schildes stehen zwei Buchstaben G F - die Initialen von Georg Friedrich. Auf dem Schild befindet sich eine Figur (vermutlich Georg Friedrich selbst), die einen Jäger darstellt, der ein Horn in den Händen hält. Der Hintergrund ist in der entsprechenden natürlichen (grünen) Farbe gemalt. Um den Jäger herum befindet sich in einem Halbkreis eine Inschrift in lateinischer Sprache: "Sigill civitatis Insterburgensis" (Siegel der Stadt Insterburg). (Tschernjachowsk).

Georg Friedrich I. (* 5. April 1539 in Berlin; † 25. April 1603 ebenda) war Markgraf von Brandenburg-Ansbach und Brandenburg-Bayreuth (Kulmbach), Herzog von Jägerndorf, Regent von Preußen. Der letzte der fränkischen Linie der Hohenzollern.

Rückseite von Notgeldschein 70 Pfenning, Quelle: 70 Пфенu)нигов 1921, Инстербург подробное описание (notescollector.e

Im September 2019 entschied ein Gericht im Oblast Kaliningrad, dass das Wappen geändert werden müsse, da es keine alphabetischen Zeichen enthalten dürfe. Daraufhin wurde am 13. November 2019 eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die mit Vertretern der Öffentlichkeit, Ethnographen und Heraldikern entscheiden soll, ob das Wappen in seiner ursprünglichen Form ohne Schriftzug bleibt oder ganz neu entworfen werden soll

Quelle: 70 Pfennig 1921, Insterburg Detailbeschreibung (notescollector.eu)


Zur Zeit des Deutschen Kaiserreichs war Insterburg aber eine wichtige Garnisonsstadt der preußischen Armee. Im Osten der Stadt entstand ein großes Kasernenviertel. In Insterburg standen 1914 das Kommando der 2. Division mit zwei Brigadekommandos und mehreren Verbänden der Infanterie, Kavallerie und Feldartillerie (darunter zwei Bataillone des Infanterie-Regiments 45), insgesamt über 2000 Soldaten. 1902 schied die Stadt Insterburg aus dem Landkreis Insterburg aus und bildete einen eigenen Stadtkreis. 1913 wurde ein Bismarckturm errichtet. Nach Beginn des Ersten Weltkriegs war die Stadt infolge der Schlacht bei Gumbinnen vom 24. August bis 11. September von der russischen Armee besetzt und wurde danach Hauptquartier von Paul von Hindenburg.

In der Zeit der Weimarer Republik war Insterburg Sitz des Landratsamtes, eines Amts-, eines Land- und eines Arbeitsgerichtes, eines Finanz- und eines Zollamtes, einer Reichsbank-Nebenstelle sowie einer Industrie- und Handelskammer. Die Wirtschaft hatte sich mit der Ansiedlung von Ziegeleien sowie von Unternehmen zur Herstellung von Zuckerwaren, Essig und Mostrich, Chemikalien und Lederwaren weiter diversifiziert. 1926 wurde nach Fertigstellung des Pregelseitenkanals der Hafen Insterburg eingeweiht. Nachdem die Stadt zur Zeit der Reichswehr ihre Garnison behalten konnte, erfolgte von 1935 bis 1937 der Bau eines großen Flugplatzes und von Kasernen für die Wehrmacht. 1939 wurde mit der Restaurierung der Insterburg begonnen. Vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges war die Bevölkerung auf 49.000 Einwohner angewachsen.

Am 27. Juli 1944 wurde Insterburg durch einen sowjetischen Bombenangriff erheblich zerstört. 120 Tote waren zu beklagen, obwohl der Kern der Altstadt mit besonders leicht brennbaren Häusern schon geräumt worden war. Von da an wurde die Stadt schrittweise weiter evakuiert, besonders ab dem zeitweisen Einbruch der Roten Armee bei Goldap im Oktober 1944 . Anfang Januar 1945 befanden sich noch 8.000 bis 10.000 Insterburger in der Stadt, vorwiegend solche mit Funktionen in noch nicht evakuierten Betrieben und Institutionen. Am 13. Januar 1945 begann die sowjetische Großoffensive in Ostpreußen. Einem schweren Luftangriff am 20. Januar fielen noch einmal 30 Zivilisten zum Opfer. Von da an lag die weitgehend geräumte Stadt unter ständigem Beschuss durch Tiefflieger und Artillerie. Der letzte Zug verließ Insterburg am 22. Januar 1945 um 0:30 Uhr. [15]

Im Herbst 1944 mussten auch große Teile der Landbevölkerung die Heimat verlassen. Sämtliche Kühe wurden zu großen Herden zusammengetrieben, und weiter in den Westen sollte es gehen; was wir aber nicht glaubten! Ich höre heute noch das verzweifelte Brüllen der Tiere und unsere älteste Kuh stand eines Tages vor dem Stall auf dem Hof. Sie war heimgekehrt, und wir haben sie behalten. Pferde durften bleiben; denn der Flüchtlingstreck ging mit Pferd und Wagen in den Kreis Mohrungen in Ostpreußen. Der größte Kastenwagen wurde mit einer Plane überspannt und mit Hab und Gut, so viel hineinging, beladen. Unser Termin war der 15. November 1944. Doch plötzlich wurde Vater wieder sehr krank. Er hätte wohl den langen Treck mit der großen Aufregung nicht überstanden. So beschlossen wir, noch etwas Daheim zu bleiben. Vom 21. 10. – 1. 11. 1944 wurde die Räumung des Kreisgebietes Insterburg (teilweise) von der Zivilbevölkerung angeordnet. Aufnahmekreis ist der Landkreis Mohrungen. Unser Michael war noch immer bei uns. Noch einmal, zum letzten Male in unserem Leben, haben wir Weihnachten zuhause erlebt, mit einem kleinen Weihnachtsbaum — es war sehr traurig. Michael versprach Vater, auf alles zu achten; denn er wollte in Wilkental wohnen bleiben. Feldpost kam auch nicht mehr. Unsere Wehrmacht war auf dem Rückmarsch. Unser Plan war, mit der Bahn nach Königsberg, in die leerstehende Wohnung von Tante Friedel und weiter bis über die Weichsel ( ... denn es war eine Hoffnung, daß der Russe dort zum Stillstand käme!).


Flucht

Dann in Gottes Namen!

Die Teilnahme von Michael Kitursko an der Flucht 1945 wurde ihm vom Bürgermeister in Willschicken untersagt,
Sein Name wurde von ihm auf der Reisegenehmigung durchgestrichen
So packten wir nur Handgepäck, soviel wir schleppen konnten. Alles wurde auf einen kleinen Kasten Wagen geladen, Michael spannte beide Pferde davor und fuhr am Wohnhaus vor. Vater und Mutter gingen noch einmal durchs Wohnhaus, Stall und Scheune, schlossen alles ab und stiegen zu Michael und mir in den Wagen. Die Schlüssel übergab Vater an Michael. Vater nahm Michael die Leine ab, sagte: „Dann in Gottes Namen.!" Vater trieb die Pferde an; und wir fuhren von unserem geliebten Hof und Grundstück zur Bahnstation Grünheide. Es war der 10 Januar 1945. Die Flucht begann. Wer nach Westen wollte, brauchte eine Reisegenehmigung, um Fahrkarten für einen der wenigen noch verkehrenden Züge zu erwerben.
Auf dem Bahnhof nahm Vater Michael in den Arm, uns allen liefen die Tränen; wir stiegen in den Zug in Richtung Insterburg und von hier aus ging es nach Königsberg weiter. In Königsberg kamen wir in der Wohnung meiner Schwester Friedel, trotz Fliegeralarm, etwas zur Ruhe. Das Zweifamilienhaus war Kasernengelände und vor der Stadt gelegen. Mein Schwager war Hausmeister in der Kaserne, zusammen mit einem zweiten, der in demselben Haus wohnte — und dieser war noch da, während mein Schwager an der Front war.
Der völlig verspätete Räumungsbefehl für Kreuzburg im Samland/Ostpreußen vom 29.01.1945,
Die Freude war groß — aber nicht zu lange! Einmal bin ich noch nach Hause gefahren. Michael war nicht mehr da. Auch Lisa und Mona, unsere treuen Kühe, war weg. In der Veranda lag unser Hofhund, aber erschlagen. Die Haustür aufgebrochen; aber das Haus war nicht ausgeräumt. Viele Einheiten von deutschen Soldaten hatten sich in der Umgebung niedergelassen, die auf dem Rückzug waren. Auch Opas Einheit war dabei, allerdings einige Kilometer entfernt. Sie alle schützten unser Hab und Gut vor Plünderungen, so gut es ging. Der Russe plante weitere Großangriffe, die kamen dann auch, es war ein bitterkalter Winter mit 20 Grad minus und mehr und viel Schnee.

Weitere Hintergrundinformation zur Evakuierung Ostpreußens : „Die Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa“, in Verbindung mit Adolf Diestelkamp, Rudolf Laun, Peter Rassow und Hans Rothfels bearbeitet von Theodor Schieder, [16]

Die Königsberger Bevölkerung war zunächst mit Eisenbahnzügen geflohen, bis der Zugverkehr nach dem Reich am 21. Januar aufhörte. Danach hatten sich große Teile nach Pillau begeben, um von dort aus entweder über die Nehrung nach Westen zu gelangen oder über See ins Reich abtransportiert zu werden. Als Ende Januar 1945 die Einschließung der Stadt vollendet war, wurden noch geringe Teile der Bevölkerung zu Schiff von Königsberg nach Pillau gebracht, und Mitte Februar, nachdem im Norden der Stadt die Verbindung nach dem Samland für einige Wochen wieder freigekämpft war, konnten noch weitere Teile der Zivilbevölkerung aus Königsberg ins Samland übergeführt werden. Dennoch blieben ca. 100 000 Menschen in Königsberg zurück. Viele von ihnen kamen den Räumungsaufforderungen der Partei absichtlich nicht nach, weil sie sich in der Stadt sicherer glaubten als im Samland oder auf dem gefahrvollen Fluchtweg über Pillau. Fortgesetzte Bombenabwürfe und Artilleriebeschuss auf Königsberg zerstörten während der Wochen der Einschließung einen großen Teil der ohnehin durch Luftangriffe schon früher schwer mitgenommenen Stadt und richteten unter der nur noch in Kellern lebenden Zivilbevölkerung hohe Verluste an. Als schließlich am 6. bis 9. April der Generalangriff der Roten Armee auf Königsberg erfolgte, wurden nochmals viele Zivilisten in die Kriegsereignisse hineingerissen. Ca. 25 Prozent der in Königsberg verbliebenen Bevölkerung waren im Laufe der Kampfhandlungen ums Leben gekommen, als am 9. April die Stadt an die Russen übergeben wurde.

Als letzte Bastion in Ostpreußen blieb nunmehr nur noch der Streifen entlang der Samlandküste und der Raum um Pillau—Fischhausen in deutscher Hand. Noch immer betrug die Zahl der aus Königsberg, dem Samland und aus weiter östlich gelegenen Kreisen in Pillau, Fischhausen, Palmnicken, Rauschen und Neukuhren untergebrachten Menschen viele Tausende, obwohl die Hauptmasse der Flüchtlinge bereits von Pillau aus über See abtransportiert worden war. Die ersten mit Flüchtlingen beladenen Schiffe hatten am 25. Januar Pillau verlassen, und am 15. Februar konnte in Pillau bereits registriert werden, daß 204.000 Flüchtlinge mit Schiffen abbefördert und weitere 50000 nach Neutief übergesetzt und im Treck oder Fußmarsch auf der Frischen Nehrung weitergeleitet worden waren. Aber noch immer strömten viele Tausende nach Pillau. Sie kamen nicht nur über Land, sondern auch von Neukuhren aus mit kleinen Schiffen an. Die Stadt beherbergte an manchen Tagen über 75.000 Menschen, unter denen die ständigen sowjetischen Fliegerangriffe hohe Verluste anrichteten. Allein in der Zeit von Anfang März bis Mitte April fanden 13 schwere Luftangriffe auf Pillau statt, während gleichzeitig auch sowjetische Artillerie Stadt und Hafen beschoss.

Vom 8. März an musste für ca. drei Wochen der Abtransport von Flüchtlingen aus Pillau eingestellt werden, weil aller zur Verfügung stehende Schiffsraum in dieser Zeit zum Abtransport der Flüchtlinge aus den Städten Danzig und Gdingen benötigt wurde, denen in Kürze die Einnahme durch sowjetische Truppen drohte. In dieser Zeit, als keine Schiffe von Pillau abfuhren, zogen viele Tausende nach Neutief herüber und die Nehrung entlang, denn von der Danziger Niederung aus verkehrten auch nach der Einnahme Danzigs noch Fährprähme nach Hela, von wo aus dann der Weitertransport ins Reich erfolgen konnte. Ab Ende März wurde der Schiffsverkehr von Pillau aus nach dem Westen wieder aufgenommen. [17]

Soldaten in Wilkental auf dem Hof
von Bürgermeister Mikuteit (1944)
Soldaten in Wilkental, Hof Tuttlies ?
(1944)

Die bekannteste Zahlenangabe in der Literatur zur Vertreibung besagt, dass rund zwei Millionen Deutsche insgesamt infolge der Vertreibung umgekommen seien. Hans-Ulrich Wehler schätzt, dass während der Flucht, Vertreibung oder Zwangsumsiedlung 1,71 Millionen Deutsche ums Leben kamen. Der Kirchliche Suchdienst und das Bundesarchiv kamen 1965 und 1974 unabhängig voneinander mit Einzelfallrecherchen auf 500.000 bis 600.000 bestätigte Toten in unmittelbarer Folge der Verbrechen im Zusammenhang mit der Vertreibung. Unter allen deutschen Ländern hatte Ostpreußen im Zweiten Weltkrieg die meisten Verluste erlitten: Von seinen fast 2,5 Mio. Einwohnern fielen 511.000 Menschen (darunter 311.000 Zivilisten) im Kampf, auf der Flucht, durch Verschleppung und Lagerinternierung sowie dem Hunger und der Kälte zum Opfer. [18]

Übersicht der Menschen auf der Flucht aus Ostpreußen, [17]

Auch der Gauleiter von Ostpreußen Erich Koch begab sich auf die Flucht. Erich Koch floh am 24. April 1945 mit einem Flugzeug von Pillau-Neutief auf die Halbinsel Hela, von wo er auf dem eigens für ihn extra bereitgehaltenen Hochsee-Eisbrecher "Ostpreußen" am 27. April 1945 vor den vorrückenden Truppen der Roten Armee über die Ostsee entkommen konnte. Am 29. April 1945 erreichte er Saßnitz, das ebenfalls schon von der Roten Armee bedroht wurde, am 30. April 1945 Kopenhagen und am 5. Mai 1945 Flensburg. Dort nahm er eine neue Identität an, indem er sich falsche Papiere ausstellen ließ. Sein „ Hitlerbärtchen” rasierte er ab, zudem trug er nun zur Tarnung eine Brille.” 1949 wurde er verhaftet und an Polen ausgeliefert. 1986 starb er dort im Gefängnis. [19]

Hildegard Tuttlies berichtet weiter:
In Königsberg kam der Bescheid, dass die Stadt sofort von Zivilisten geräumt werden müsste. Dieses Mal sollte es per Schiff weitergehen. Unser Nachbar brachte uns zum Hafen. Hier lag ein Riesenschiff vor Anker (den Namen weiß ich nicht mehr...), im Begriff auszulaufen. Die Zugangsbrücke war schon eingefahren, aber an Strickleitern zogen sich Flüchtlinge noch eilig an Bord, und wir sollten auch hoch — aber Uropa und -Oma wehrten sich dagegen. Und das war unser Glück! Das so überladene Schiff bekam auf hoher See einen Volltreffer und ist mit Mann und Maus gesunken! Und nun kam der gefürchtete Fliegeralarm. Wir liefen in einen Bunker, es ging alles glimpflich ab. Plötzlich tauchten deutsche Soldaten auf. Sie trennten die Männer von ihren Familien, sie sollten zur Verteidigung der Stadt zurückbleiben, so auch mein Vater — und das mit 76 Jahren! Frauen und Kinder mussten geschwinde aus dem Bunker, wir wurden mit der Menschenmasse nach draußen gedrängt, Vater blieb fassungslos zurück!

Abschied von der Heimat!

Flucht über die Ostsee, 1945, [20]
In großen Militärtransportern ging es zum Nordbahnhof, von hier dann mit dem Zug nach Pillau, in den nächsten Seehafen; vom Bahnhof dann bis zum Hafen mit unserem schweren Gepäck zu Fuß. Ich hatte einen großen Koffer — mit Schinken und Speck und noch einen zweiten Koffer mit Bekleidung. Es war ja tiefer Winter... Ich packte beide Koffer übereinander, zurrte sie mit langen Riemen sehr fest und schleppte sie im Schnee und Eis hinter mir her. Mutter hatte einen Riesenmarmeladeneimer voller Schweineschmalz und eine große Tasche dazu gepackt.
Bei Vater war ein Rucksack mit Würsten und eine Tasche mit Zeug zum Anziehen. Er hatte seinen großen Fahrpelz über seine Bekleidung gezogen, dazu Pelz-Mütze und Pelz-Handschuhe, also frieren konnte er nicht! Was er aber immer - auch auf der Flucht - bis zu seinem Lebensende dabeihatte und regelmäßig daraus vorlas war: Tägliches Hand-Buch in guten und bösen Tagen in Aufmunterungen, Gebeten und Gesängen, Sprüchen und Seufzer für Gesunde, für Betrübte, für Kranke, für Sterbende nebst Andachten von Johann Friedrich Strak, Evangelischer Prediger, 165. Auflage. Es war das Hochzeitsgeschenk der Eltern meiner Mutter am 14. November 1902.
Auch Mutter hatte ihren Pelz an. Ich hatte zum ersten Mal in meinem Leben eine lange Hose an, die Trainingshose von meinem Bruder und trug eine Pelz-Weste.
Im Hafen von Pillau kamen wir nach großem Gedränge und sechs Stunden ungeduldigem Wartens und endlich auf ein kleines Seesicherungsboot. Alle wollten mit. Die größte Teil auf dem Boot waren Frauen und Kinder. Von den wenigen Männern, die wir sahen, gehörten, nach deren Kleidung zu urteilen, einige wohl zu den Wohlhabenden. Sie trugen z. B. elegante Pelzmäntel. Manche Männer wurden von Uniformierten vor unseren Augen aus der Menge gezerrt. Bei ihnen wurden noch an Land, so konnten wir jedenfalls beobachten, die Papiere genau kontrolliert. Wahrscheinlich, so hieß es, suchte man immer noch nach feigen „Parteibonzen“, die die "Durchhalte-Befehle" von Gauleiter Koch missachteten. Die Frauen und die Kindern wurden nicht kontrolliert – es waren ja auch zu viele. Ob das überall im Hafen so ablief, weiß ich nicht. Dicht zusammengezwängt hocken wir schließlich draußen an Deck des Bootes. Der geschlossene Fahrstand war nur für die Matrosen und schwangere Frauen vorgesehen. Er bot aber auch ein wenig Windschutz für die „Decksleute“. Mutter saß auf dem Schmalzeimer, ich mit einer jungen Frau zusammen auf meinen Koffern in einer Bootsecke. Unsere erste „Seereise“ im Leben verlief von Pillau nach Stettin. (ca. 220 Seemeilen) im Freien. Es war windig, sehr kalt und es schneite. Alle rücken eng zusammen. Wir waren froh, dass wir Pelz-Handschuhe und Pelz-Mützen dabeihatten. Zum Glück gab es auch einige Wehrmachts-Decken an Bord, die verteilt wurden. Einige Flüchtlinge wurden während der Fahrt seekrank, wir aber nicht, die Angst war wohl zu groß. Wir waren einen halben Tag und eine lange Nacht auf See - eine schreckliche Ewigkeit für uns. Gegessen haben wir nichts, es gab aber Wasser zu trinken. Zwischendurch blieb das Boot manchmal ruhig liegen, der Motor wurde abgestellt. Keiner wusste warum. Die fünf Matrosen sprachen nicht mit uns. Sofort kamen Gerüchte auf: feindliches U-Boot, treibenden Minen, kein Treibstoff, Motor kaputt. Gott sei Dank, wir kamen, trotz mehrfachen Fliegeralarm, heil in Stettin an. Alle Wehrmachts-Decken mussten aber vor Ankunft wieder eingesammelt werden. Die Matrosen achteten sehr streng auf die Abgabe, dabei kam es auch zu Handgreiflichkeiten mit einigen Frauen. Ein paar Decken landeten mutwillig im Wasser. Endlich an Land in Stettin umarmten sich die beiden Tuttliesen Frauen. Das Meer blieb uns sehr unheimlich, Mutter und ich waren als Landbewohner dazu auch noch Nichtschwimmer.
Ab Stettin ging es mit der Bahn quer durch Deutschland nach Chemnitz und weiter nach Lugau im Erzgebirge zu Tante Friedel und ihren Kindern. Das Ziel hatten wir uns schon zu Hause vorgenommen.
Die Bahnfahrt im Güterzug hat fast acht Tage gedauert. Wir hatten oft Fliegerbeschuß, mussten dann ganz schnell aus dem Zug heraus, uns in Büschen und Gräben verstecken. Wenn die Gefahr vorbei war, pfiff der Zug — alles rannte wieder zum Zug — und weiter ging es. Des Nachts standen alle Räder still. Mich wunderte es nur, dass wir immer wieder unseren wertvollen Schmalzeimer und den Speckkoffer vorfanden. Aber wieder „Gott sei Dank..."! Es ging alles gut — und dann standen wir vor der Tür von Tante Friedel, es war früh an einem Morgen. Müde, dreckig, hungrig, alles verloren, ohne unseren Vater. Es war ein trauriges Wiedersehen.
Allmählich lebten wir uns ein; trotz der großen Flüchtlingszahl — und der sehr knappen Verpflegung auf Lebensmittelkarten, obwohl wir immer noch etwas aus unserem Mitbringsel zuzusetzen hatten. Es gab keinen Fliegeralarm, dafür sehr viele Russen als Besatzung; man ging ihnen aus dem Wege und so blieb man ungeschoren! So konnten wir wenigstens in der uns zugewiesenen Bodenkammer lange und ruhig schlafen, um vielleicht eine Mahlzeit einzusparen; denn unsere Vorräte wurden immer weniger. Dazu kam das bange Warten auf Nachricht von meinem lieben Gerhard, meinem Vater, meinem Bruder, meinem Schwager, dem Mann meiner lieben Schwester.



Hafen von Pillau (1930) [21]


Verladung in Pillau (1945)
(Bundesarchiv Bild 146-1989-033-33) [22]
Flucht über die Ostsee (1945)
(Bundesarchiv Bild 146-1972-092-05) [23]


Flucht im offenen Güterwagen (1945) [24]
Flüchtlinge im Zug von Stettin nach Lübeck (1945) [25]


Ankommende und Abfahrende am Bahnhof nach Kriegsende (1945) [26]


Der 8. Mai 1945

Und dann kam der große Tag — 8. Mai 1945, „Tag der Kapitulation". Meine Mutter und ich standen draußen am Hofzaun, schauten ins weite Land und weinten, weinten. Wir hatten Heimweh nach unserem Ostpreußen und Sehnsucht nach unseren Lieben. Ob sie noch am Leben waren? Dazu die bange Frage, was sollen wir kochen, wieder eine Wassersuppe von Rübenblättern, die wir von den Feldern stibitzten, oder vielleicht lieber „Spinat von Brennnesseln" mit nichts drin?
So verging die Zeit... Mai und Juni war auch fast vorbei — und dann kam sie, die lang ersehnte Nachricht von meinem lieben Mann, Eurem Opa! Den Brief mit der vertrauten Schrift hielt ich lange in den Händen. Ich wagte ihn kaum zu öffnen, ging nach draußen, setzte mich in eine stille Wiesenecke und habe den Brief geöffnet! „ Mollhagen bei Trittau in Holstein", stand neben dem Datum. Er schrieb mir, dass er gesund den furchtbaren Krieg überstanden habe und dass er beim Engländer auf einer Entlassungsstelle arbeite. Er hoffe nur, dass ich mit meinem Lieben alles gut überstanden hätte und dass wir uns recht bald in Mollhagen wiedersehen mögen. Tante Friedels Anschrift aus Lugau hatte er nach unserer Abreise aus Königsberg zufällig in der unbewohnten Wohnung gefunden! „Glück muss der Mensch haben!"
Ich fuhr dann sofort zu Eurem Opa. Ab Chemnitz nach Hamburg im offenen Güterzug. Es war Sommer, die Sonne schien und uns stand das Wiedersehen bevor! In Trittau (Schleswig-Holstein) trafen wir uns. Ein halbes Jahr ohne Nachricht waren wir; und ich war so schüchtern ihm gegenüber — er aber auch!
Aufnahme von Flüchtlingen 1946, Quelle: Volkszählung 1946
Es gab kein jauchzendes Wiedersehen; sondern leise weinend lagen wir uns in den Armen. Dann ging es mit einem Dienstwagen nach Mollhagen, unserer Unterkunft. Es war ein großer Bauernhof mit einem schönen geräumigen Wohnhaus. Über die Diele gelangte man zur Treppe nach oben in unser Zimmer.
Es war klein und ärmlich möbliert. Ein breites Bett mit einer Strohschütte, darüber eine alte Decke, ein gebrauchtes Kopfkissen und eine zweite Decke zum Zudecken (ohne Bettwäsche!). Dann ein winziger Tisch und zwei verdreckte Gartenstühle, eine Kochhexe und ein Brett als Ablage für einen Eimer, einen alten Kochtopf, zwei Teller, zwei Löffel, zwei Gabeln und Messer und zwei Becher! „Na, gode Morje — ös dat alles?" sagte wütend Euer Opa! Aber zwischen den zwei Fenstern hing ein riesiger Wandspiegel von der Decke bis zum Erdboden!
Die Wirtsleute verhielten sich sehr reserviert — wir aber auch! Wir waren ja Flüchtlinge aus Ostpreußen, die für den Krieg verantwortlich waren. „Vielleicht kommen DIE sogar aus Polen...", hieß es von unserem Gastgeber, dem Herrn ehem. „Ortsbauernführer"! Über unsere Schwelle kam der Bauer nie. Wenn er uns großzügig mal ein trocknes Brot zukommen ließ, riss er die Türe auf und warf es uns zu!!! Wir bedankten uns überschwänglich und lachten dabei! Das stand bei uns fest, unsere Bleibe war dort nur von kurzer Dauer! Wir waren glücklich, nachdem wir uns wieder aneinander gewöhnt hatten. Der Krieg war vorbei — wir waren jung und gesund und hatten die Zukunft, ganz gleich wie, vor uns! Über die erste Bettwäsche auf Bezugsschein haben wir uns riesig gefreut!
Ich betätigte ich mich jede Woche einmal beim Hausputz. Dann stand der Altbauer, ihr Vater, mit Spazierstock Schmiere, ob ich auch alles gut machte! Ich feudelte dann wie wild um ihn herum, und jedes Mal rief er: „Aufhören!


Neuanfang


Neubeginn beim Zoll

In unserem gemeinsamen Leben ist aber alles gut gegangen. Mein Mann und ich hatten immer einen Schutzengel, und ich bin unserem Herrgott dankbar, dass wir fast 55 Ehejahre gemeinsam erleben durften. Nun hatte sich Euer Opa bei den örtlichen Behörden, die es noch gab, beworben.
Im Juni 1946 bekam er die Einberufung zum Zollgrenzschutz als Zollassistent nach Vennebrügge, Gemeinde Uelsen, Kr. Grafschaft Bentheim an der holländischen Grenze. Mit Dienstwohnung — was waren wir froh! Zwei Tage und eine Nacht waren wir von Trittau bis Neuenhaus, die letzte Bahnstation vor der Grenze, also Vennebrügge, unterwegs. Des Nachts standen alle Räder still.
Die letzten 12 km ging es per Anhalter — nur mit Pferdefuhrwerk — weiter! Die Welt war dort zu Ende und die Zeit wohl stehen geblieben! Es war ein winziges Grenzdorf mit drei holländischen Bauern ( Kampherbeek, Stegink, Schulding – auf der deutschen Seite) einem Arbeitshaus, ein bewirtschaftetes Zollhaus, d.h. Zollamt für den kleinen Grenzverkehr, vor dem Krieg neu erbaut und von zwei Zollbeamten mit Familien bewohnt, ein altes ausgeräubertes Zollamt, das wieder später als Dienstwohnung in Stand gesetzt wurde. Ein Beamter wohnte dort schon und empfing uns und hat uns in unsere Wohnung eingewiesen.


Unsere Wohnung hatte drei Zimmer, Stall — und Plumpsklo

Wir fingen an mit einem selbst gestopften Strohsack, einem Tisch aus alten Dielenbrettern, mit zwei Stühlen ohne Sitze, einer kleinen Hängelampe mit Petroleum. Keinen Herd, nur mit einem Kanonenofen und einem Kochgeschirr wurde gekocht! Das war unser neues Leben in unserer neuen Wohnung.
Sie hatte drei Zimmer, eine geräumige Küche und Stallungen für Schwein und Hühner und ein Plumpsklo! Ein Garten für Gemüse gehörte auch dazu. Aber keine Türen, kaum Fensterscheiben, kein Strom, kein Wasser, weder Herd noch Ofen, natürlich hatten wir auch keine Möbel! Aber zwei frischgestopfte Strohsäcke lagen für uns bereit. Euer Opa hatte zwei Decken und seinen dicken Wehrmachtsmantel aus dem Krieg mitgebracht. Dazu noch zwei Paar Knobelbecher, meine waren in der kleinen Größe, aber zu groß — also wir haben sie in der kalten Jahreszeit getragen. Das war der Anfang unseres gemeinsamen Lebens.
Der Pole war dort Besatzungsmacht und hat bei seinem Abzug alles „kurz und klein geschlagen", hieß es. Der Verlust in der polnischen Besatzungszone von Möbeln und Hausrat in den besetzten Häusern, so hörte man später, soll sehr hoch gewesen sein.

Dazu folgender Einschub zur polnischen Besatzungszone:

1945 wurde das Gebiet der Emslandlager – die Landkreise Emsland und Grafschaft Bentheim - Teile der polnischen Besatzungszone.

Die Emslandlager waren eine Gruppe von Konzentrations-, Straf- und Kriegsgefangenenlagern in den Landkreisen Emsland und Grafschaft Bentheim, im Westen Niedersachsens. Es gab insgesamt 15 errichtete Gefangenenlager. Sie dienten den Nationalsozialisten von 1933 bis 1945 als Haftstätten mit wechselnden Funktionen mit zentraler Verwaltung in Papenburg. In den 15 Emslandlagern der Nazis mußten die Häftlinge unter KZ-Bedingungen schwerste Moorarbeiten leisten. Insgesamt wurden etwa 80.000 KZ-Häftlinge und Strafgefangene sowie 100.000 bis 180.000 Kriegsgefangene in den Lagern inhaftiert. Bis zu 30.000 Menschen, überwiegend sowjetische Kriegsgefangene, starben. Hier entstand auch ein berühmtes Lied. "Die Moorsoldaten" ist ein Lied, das 1933 von den Häftlingen des Konzentrationslagers Börger Moor bei Papenburg geschrieben wurde. Folksänger wie Hannes Wader oder Pete Seeger nahmen es in ihr Repertoire auf. Es gibt Jazz- und sogar Punk-Fassungen. Weltweit existieren heute mindestens 500 Versionen.  Quelle: Vor 85 Jahren - KZ-Häftlinge setzen mit dem Lied "Die Moorsoldaten" ein Zeichen (deutschlandfunk.de)

Emslandlager der Nazis


Die polnische Besatzungszone war von 1945 bis 1948 ein Sondergebiet innerhalb der britischen Besatzungszone im Nachkriegsdeutschland und befand sich im mittleren nördlichen Gebiet der heutigen Landkreise Emsland und Grafschaft Bentheim sowie in der Gegend von Oldenburg und Leer. Sie grenzte an die Niederlande und umfasste ein Gebiet von 6470 km².

Die Zone mit einem Lager für Displaced Persons wurde von der polnischen Exilregierung verwaltet. Verwaltungszentrum dieser polnischen Zone war die Stadt Haren. Sie war während dieser Zeit als Maczków nach Stanisław Maczek benannte Besatzungszone.

Displaced Persons „heimatlosen Ausländern“ wurden u.a. im Dorf Neuvrees, ein heutiger Stadtteil der Gemeinde Friesoythe - umbenannt in Kacperkowo, kurzfristig nach 1945 angesiedelt.

Dort wurde 1945 sogar eine neue Kirche von Displaced Persons gebaut.  

Weitere Orte, die von der deutschen Bevölkerung geräumt werden mussten, waren Teile von Papenburg und Friesoythe (der Ortsteil Neuvrees wurde in Kacperkowo umbenannt und weist aus dieser Zeit noch heute eine so genannte „Polenkirche“ auf).


Displaced Persons bauen 1945 eine Kirche in Friesoythe

Das Straßendorf Völlen  wurde nicht evakuiert. Hier erfolgte die Trennung der Bevölkerungsgruppen entlang der Straßenmitte: die deutschstämmige Einwohnerschaft wurde auf der östlichen Straßenseite konzentriert, während in die leer geräumten Häuser auf der westlichen Straßenseite Polen einzogen.

Die neue polnischstämmige Bevölkerung setzte sich zusammen aus etwa 30.000 Displaced Persons, vor allem ehemaligen Häftlingen der Emslandlager – zu diesen gehörten auch Angehörige des Warschauer Aufstandes vom August 1944 – und 18.000 polnischen Soldaten. Im April 1945 wurde das Frauenlager in Oberlangen im Emsland befreit, wo über 1700 Frauen aus dem Warschauer Aufstand gefangen gehalten wurden.

Da die überwiegende Zahl der Häftlinge aus den damaligen polnischen Woiwodschaften Lwów und Stanislau, dem heutigen Iwano-Frankiwsk, kamen, wurde die Stadt Haren zuerst in Lwów umbenannt. Die wichtigsten Straßen der Stadt Haren erhielten polnische Namen dieser Orte. Bereits nach einem Monat wurde auf sowjetischen Druck der Name am 24. Juni 1945 erneut geändert.

Das ursprünglich polnische Iwano-Frankiwsk gehörte nach der 1943 von Stalin beschlossenen Westverschiebung von Polen und nach der internationalen Konferenz von Jalta, ab 1945 zur UdSSR und gehört ab 1991 zur selbstständigen Ukraine. Insgesamt wurden etwa 1,7 Mio. Menschen durch die Westverschiebung in Polen zwangsumgesiedelt.

Die Stadt Haren wurde nach dem sowjetischen Einspruch nunmehr nach dem polnischen General Maczek benannt, der mit seiner polnischen 1. Panzerdivision die umliegenden Gefangenenlager im Emsland befreit hatte. Da sich ein großer Teil der in deutschen Lagern internierten polnischen Intelligenz hierauf in Maczków niederließ, entwickelte sich der Ort sehr dynamisch zum Zentrum des polnischen Verwaltungsgebietes, hinter dem die antikommunistische polnische Exilregierung stand.

Der große Geiger Yehudi Menuhin, der hier im Sommer 1945 ein Konzert gab, rühmte Haren als fröhliche, „scheinbar unbeschwert lebende Stadt“. Im Sommer 1946 gab es dort Schuster, Schneider, Uhrmacher, Fleischer und Bäcker, die auch die umliegenden polnischen Lager belieferten. Sogar eine Spielzeugwarenfabrik schuf man. Überdies gab es Theatergruppen, Kabarett und ein Kino.

Die polnische Exilregierung soll sogar darüber nachgedacht haben, die Enklave auf bis zu 200.000 Polen aufzubauen, um so indirekt Druck für freie Wahlen in Polen ausüben zu können. Die durch die polnische Exilregierung verwaltete polnische Besatzungszone im Emsland war für die Sowjetunion nicht tolerierbar, obwohl Winston Churchill diese Pläne zunächst begrüßte. Deshalb verlangte die Sowjetunion von den britischen Behörden - nach einer Wahlniederlage von Churchill bei der Unterhauswahl 1945 - die polnische Zone im Emsland aufzulösen, was auch geschah.

Die „Besatzungsschäden“, insbesondere der Verlust von Einrichtungsgegenständen in den dort besetzten Häusern, beliefen sich auf etwa 8,5 Millionen Mark

Am 10. September 1948 verließen die letzten polnischen Soldaten das Emsland, hauptsächlich nach Polen (in den neuen Grenzen) oder in die Commonwealth-Staaten. In die von der UdSSR annektierten polnischen Gebiete konnten sie nicht zurück. Die Stadt Maczków wurde wieder der deutschen Verwaltung unterstellt und erhielt am 10. September 1948 ihren ursprünglichen Namen Haren (Ems) zurück.

Der polnischen Historiker Rydel hat als Erster die militärgeschichtlichen Quellen aufgearbeitet und den verwickelten politischen Entscheidungsprozess nachgezeichnet, der zu der Einrichtung einer polnischen Enklave im Emsland innerhalb der britischen Besatzungszone führte.

Hildegard Kiehl berichtet weiter:
In Vennebrügge kam aber alles wieder zurecht, Türen und Fenster zuallererst. Zwei eiserne Bettgestelle ohne Rahmen (da kamen einfach Dielenbretter aus dem alten Zollhaus hinein!), dann zwei neue Stühle, auch ohne Sitze, ein Herd und ein Kanonenofen ohne Rohre! Im nahen Wald lagen genug leere Konservenbüchsen, das wurden die Ofenrohre; die wahnsinnig räucherten! Machte nichts, wir waren glücklich in unserer Wohnung!
Euer Opa hat dann aus Dielenbrettern einen Tisch und ein kleines Regal gezimmert. Strom hatten wir immer noch nicht. Aber wir bekamen eine kleine Petroleum-Wandlampe von einer lieben Einheimischen geschenkt. Sie (die Lampe) war unser kostbarstes Stück, ohne Zylinder! Zwei große leere Benzinkanister aus dem Wald hat Euer Opa zu Wasserbehältern umgebaut, das Wasser mussten wir von den Bauern schleppen! Auch Waschbehälter entstanden daraus. Die Tage vergingen sehr schnell; denn wir hatten immer eine Beschäftigung. Ich half den Bauern viel auf den Feldern, gegen Naturalien. Wenn Euer Opa Zeit hatte, gingen wir gemeinsam hin, pro Tag gab es für beide 1 Zentner Kartoffeln, auch in der Getreideernte waren wir dabei.
Essen gaben uns die Bauern obendrein, leckere Bratkartoffeln und Milchsuppe zum Abend; am Nachmittag dicke Wurstschnitten und Kaffee - alles satt! Wir konnten ein Schwein versorgen, auch Hühner, sechs an der Zahl und einen Hahn. Dieser war zu unsere Nachbarin Frau Recke aus unserem Haus sehr böse! Sie durfte sich nicht in seiner Nähe blicken lassen, schon saß er ihr auf dem Rücken und teilte heftige Schnabelhiebe aus; darum wanderte er in den Kochtopf. Der dritte Nachbar war die Familie Panck, mit einem alten DKW-Motorrad – allerdings ohne Benzin, aber welch eine Sensation!


„Nich griene, mien Marjellke, wie schaffe et!"

Gehaltsabrechnung Gerhard Kiehl, 01.10.1948 (privat)
Inzwischen ist es Herbst geworden. Euer Opa und ich haben im nahen Moor Topf gestochen; denn wir brauchten ja Brennmaterial, und der Winter stand bevor. An Kohlen war nicht zu denken! Acht Kilometer war es bis zum Moor, wir hatten nur ein Fahrrad, das Dienstrad! Es war unser einziges Verkehrsmittel „die Fietz", hieß es holländisch! Das Fahren auf dem nur „einem Rad" ging für zwei Personen immer nur abwechselnd; fahren, überholen, abstellen — zu Fuß weiter, bis man wieder zum abgestellten Rad gelangte. Viel später gab es aber dann ein Damenfahrrad und ein Moped. Darauf bin ich, Eure Oma, mit Eurem noch „kleinen Papa" wie die Feuerwehr auf den schlimmen, ausgefahrenen Straßen, wo nur ein schmaler Pfad für „Fietsen" war, entlang gebraust! Es ging aber immer alles gut.
Bezugsschein für Fritz Stiesger, (1946)[27]
Große Achtung hatten wir vor der nahen „Holländischen Grenzbevölkerung". Auch sie waren nur auf ihre Fahrräder angewiesen, ob Jung oder Alt, alle kamen sie am Sonntagmorgen an uns vorbei, die älteren Frauen in langen Röcken — eine Halbschürze davor, Bluse und Jacke und eine Haube gehörte dazu, an den Füßen hatten sie holländische Botten aus Holz an. Wenn's regnete, hatten sie in einer Hand noch einen Regenschirm aufgespannt! Sie fuhren in eine bestimmte Kirche – die altreformierte Kirche in Uelsen.

Die Evangelisch-altreformierten Gemeinden entstanden ab 1838 in der Grafschaft Bentheim und ab 1854 in Ostfriesland aus den dortigen reformierten Gemeinden. Grund waren die liberalen Strömungen in der Theologie der reformierten Gemeinden, denen sich viele Gemeindeglieder widersetzten und sich daher von ihren Gemeinden absonderten. Den Anfang machte die niederländische Gemeinde Ulrum in Groningen, die sich von der reformierten Kirche am 13. Oktober 1834 trennte. Ihr Pastor Hendrik de Cock wurde zur Leitfigur der in Ostfriesland und der Grafschaft Bentheim nach ihm benannten „kokschen“ Abscheidungsbewegung (niederländisch Afscheiding). Betont werden die Mündigkeit und Überschaubarkeit der Ortsgemeinde, die vom Kirchenrat geleitet wird. Jeder Haushalt wird alle ein bis zwei Jahre von zwei Vertretern des Kirchenrates besucht. Die Gemeindekirche lebt vom Engagement ihrer zahlreichen ehrenamtlichen Mitarbeiter. Missionarisch steht die altreformierte Kirche mit Gemeinden in Asien in enger Verbindung, insbesondere in Indonesien und Bangladesch. 2004 kam es als Abschluss des sogenannten „Samen op weg (Gemeinsam auf dem Weg)“-Prozesses zur Wiedervereinigung mit der Niederländisch-reformierten Kirche zur Protestantischen Kirche in den Niederlanden.” [28]

Wir hatten als junge Zöllnerfamilie in Vennebrügge an allem großen Spaß, es war ein einfaches, aber schönes Leben für uns — noch immer hatten wir keine Möbel, wenig Gehalt — anfangs nur 160,85 Reichsmark, es gab noch immer fast nichts zu kaufen; alles nur auf Bezugsscheine, die kaum zu haben waren.
Dazu die Sorgen um meinen Vater und meinen Bruder. Beide galten als vermisst. Ob sie noch lebten? Meine Mutti war noch im Erzgebirge, bei Tante Friedel. Zwar hatten wir für Vater und Bruder Suchmeldungen an das „Rote Kreuz" nach Hamburg geschickt — aber alles vergebens.
Inzwischen war der November des Jahres 1947 vorbei. Die Tage waren auch dort dunkel und regnerisch. Ich strickte für die Bauern Strümpfe, Pullover, Schals für wenige Lebensmittel, sie waren geizig. Euer Opa machte den Grenzdienst bei Wind und Wetter!
Und eines Tages, Anfang Dezember 1947 kam über das „Rote Kreuz" Nachricht von meinem Vater — und auch zugleich über Onkel Erich, beide lebten! Vater war in einem Ort bei Walsrode. Mein Bruder in Lübeck in einem Lazarett als Sanitäter. Sofort fuhr ich zu Vater, der bei einem Bauern lebte. Wieder war die Fahrt beschwerlich; aber ich bin dort gut angekommen.
Angekommen fragte ich mich erstmal nach dem Bauern durch. Auf mein Klopfen an die Küchentüre trat ich ein und sah vor mir eine lange vollbesetzte Tafel, es war Mittagszeit. Ich stellte mich vor und fragte nach meinem Vater — und sah ihn am unteren Ende des Tisches sitzen. Als er seinen Namen hörte schaute er auf — und wir lagen uns in den Armen. Vaters erste Frage war nach Mutter; auch sie lebte und wurde etwas später zu Vater nach Vethem gebracht, mein Bruder Erich siedelte aus Lübeck. Unsere Lieben hatten ein wunderbares Leben bei Bauer „Heini" Lühmann. Ihm herzlichen Dank! :
Ich war wieder wohlbehalten in Vennebrügge gelandet. Mein Gerhard, Euer Opa, konnte aus dienstlichen Gründen nicht zu uns kommen. So gab es viel zu berichten — und nun nahte schon Weihnachten; das Wiederfinden unserer beiden Lieben war schon „ein Geschenk vom lieben Gott!" Wir waren arm, schliefen immer noch auf einem Strohsack, und waren unsagbar froh und glücklich! Und nun stand das schönste Fest aller Feste, nämlich Weihnachten vor der Türe. :


Weihnachtsbaum in der Konservendose

„Ohne Baum keine Weihnachten", meinte euer Opa. Also holte er einen kleinen Baum aus dem Wald. Er wurde in eine mit Erde gefüllte Konservendose gestellt. Ich schmückte ihn mit kleinen Äpfeln, die ich in flüssige Schlemmkreide getaucht hatte. Er sah prächtig aus in seinem einfachen Schmuck — ohne Kerzen und Lametta. Es war unser erster Weihnachtsbaum in unserem gemeinsamen Leben!
Am Heiligen Abend saßen wir dann auf unseren zwei Stühlen, schon mit richtigen Sitzen! Die brennende Petroleumlampe hing an der Wand. Im Herd knisterten die Dannäpfel, die Herdtür stand offen und beleuchtete unseren Naturweihnachtsbaum. Ein Lied kam aber nicht über unsere Lippen, es fiel uns schwer – das Singen.
Wir gingen unseren Gedanken nach — jeder für sich. Der schreckliche Krieg war vorbei, wir waren gesund geblieben und hatten uns wieder! Ich bekam aber doch nasse Augen. Euer Opa nahm mich in den Arm und sagte in seiner ruhigen Art zu mir: „Nich griene —mien Marjellke — wie schaffe et!"...Und wir haben es geschafft!
Die Zeit lief so langsam dahin. Noch immer hatten wir keine Möbel, wenig Geld, ein knappes Gehalt von 160,85 Reichsmark. Es gab fast nichts zu kaufen, doch zu essen und zu trinken und ein Dach über dem Kopf hatten wir ja — das war das Wichtigste!
Bis dann am 20. Juni 1948 die große Wende eintrat. Die neue Währung war da! Die „Deutsche Mark" löste die alte Reichsmark ab. Pro Person gab es 40.- DM Kopfgeld. Die Spareinlagen betrugen für 10.- Reichsmark 1.- DM. Wir hatten keine Spareinlagen — also hatten wir auch keine DM-Gutschrift. Aber der Lebensstandard raste in die Höhe. Es gab mit einem Male alles zu kaufen, was das Herz begehrte. Lebensmittelkarten und Bezugsscheine verschwanden. Ein Lebensmittelhändler kam einmal wöchentlich mit seinem vollen Auto vor unsere Haustür. Endlich gab es mal wieder Schokolade!
Ja — und langsam konnten wir uns auch Möbel kaufen — auf Kredit, gefiel Eurem Opa gar nicht, aber wir haben es geschafft! Es war ein Freudentag, als zuerst die Küche dran war: Dann das Schlafzimmer, dann das Wohnzimmer, zuletzt das Kinderzimmer! Wir schwebten auf „rosa Wolken".
Leider verstarb mein lieber Vater, Euer Uropa Ferdinand Tuttlies 01.08.1949 in Vethem. Eure Uroma, meine Mutter haben wir dann von Vethem zu uns geholt. Berta Tuttlies starb am 03.07.1968 in Hamburg. Wir hatten ein schönes, ruhiges Leben an der holländischen Grenze. Gemeinsam mit den wenigen holländischen Einwohnern, ihnen halfen wir immer noch bei der schweren Feldarbeit gegen Naturalien; denn Arbeiter waren knapp und wir hatten ja noch „Franz" (unser liebes Schwein) und unsere Hühner zu versorgen.
Wir Zöllner gehörten zur Dorfgemeinschaft. Wenn eine Familienfeier bei den Holländern war, gehörten auch wir alle dazu, wurde ein „Söpken" (klarer Schnaps) ausgeschenkt, es ging der Bauer oder sein Sohn mit der vollen „Schnapsflasche" und nur einem „Schnapsglas" von einem zum anderen.


Zwei Enkel und die Heimatgruppe Insterburg füllen mein Leben aus

Klaus mit Fahrrad 1955 (privat)
Euer Papa Klaus (Kiehl) kam im April 1949 angerauscht. Zur Entbindung ging es vier Stunden per Pferdewagen über holprige Landstraßen ins Krankenhaus nach Hilten.
Klaus wurde dann später in Wielen, 4 km entfernt, eingeschult. Zuerst musste er aber lernen Fahrrad zu fahren, denn für den Schulweg war er auf seinen Drahtesel angewiesen!

Es war eine einklassige Dorfschule mit 24 Schülern, darunter knapp die Hälfte Zoll- und Flüchtlingskinder. Bei schlechtem Wetter, wie Schneefall im Winter, konnten die Kinder warten, bis sich das Wetter beruhigt hatte. Die kleineren Kinder bekamen dann zum Mittag in der Lehrerwohnung eine Suppe, die größeren im Klassenraum eine Stulle Brot. Vorher mussten aber immer noch längere Bibeltexte angehört werden. Der Landkreis Grafschaft Bentheim war und ist ein Zentrum der (Alt)reformierten Christen in Deutschland.

Während der Zeit des Nationalsozialismus stand die übergroße Mehrheit der Altreformierten im Bentheimer Land, ihrer Hochburg, als ehemalige Wähler des streng protestantischen Christlich-Sozialen Volksdienstes (CSVD) aber in Opposition zum Regime. (siehe auch: Evangelisch-altreformierte Kirche in Niedersachsen)

Bei der Reichstagswahl von 1930 gewann die betont evangelische Partei die CSVD besonders viele Stimmen in Regionen, welche durch eine starke pietistische oder freikirchliche Tradition geprägt waren, so in ländlichen Teilen Ostpreußens, in Ostwestfalen, Württemberg, Baden, Hessen-Nassau, im Siegerland und Wittgenstein, wo die antisemitische Ausrichtung nach wie vor zum Wesen der hier als „ Evangelischer Volksdienst“ (EVD) auftretenden Partei gehörte, in der Grafschaft Bentheim und dem westlichen Ostfriesland sowie um Düsseldorf. Sie war mit 14 Abgeordneten im Reichstag vertreten, die in der Regel den Zentrums-Reichskanzler Heinrich Brüning unterstützten.

Die Schulen in der Grafschaft Bentheim waren nach dem 2. Weltkrieg nach dem Mehrheitswillen der Eltern wieder wie vorher zur Bekenntnisschulen geworden, auch um den "Flüchtlings-Religionen vorzubeugen". Die Region um Uelsen mit dem Kirchspiel Uelsen als zentraler Punkt war und ist vornehmlich evangelisch-(alt) reformiert geprägt. Im 19. Jahrhundert entstand die (alt)reformierte Kirche, mit Beendigung des zweiten Weltkrieges ließen sich auch Lutheraner und Katholiken hier als Flüchtlinge nieder. 1960 gab es in Uelsen und Umgebung 6.500 Evangelisch Reformierte, 700 Evangelisch Alt Reformierte, 900 Lutheraner und 630 Katholiken als eingetragene Gemeindemitglieder.

Lehrer Lindner erhielt in der Nachkriegszeit die Nahrungsmittel für die Schulkinder vom Heide Gut Springorum in Wielen, dass direkt nebenan lag und eine große Gutsküche hatte. Das Gut, mit ursprünglich 421 ha Heide, war 1921 von der rheinischen Industriellen Familie Springorum dank großzügiger Subventionen als Versuchsgut zur Pflanzenaufzucht auf trockenen Heideböden angelegt worden. Auf dem Gut waren nach dem 2. Weltkrieg viele Flüchtlinge untergebracht. Die Kinder der drei Dorfbauern von Vennebrügge gingen in Holland zur Schule. Da diese Dorfbauern deutsche und holländische Pässe besaßen, brauchten sie keine Flüchtlinge aufnehmen. Die Hälfte der rund 600 Einwohner von Wielen besitzt 2020 die niederländische Staatsangehörigkeit. Es bestehen enge Wechselbeziehungen, vor allem familiärer Art, über die Grenze hinweg. Mehrere Gemeindewege führen über die „grüne Grenze“. Im Jahre 2023 stehen Gutshaus Springorum mit 1.223 qm Wohnfläche und der Park mit 30.000 qm zum Verkauf.

Hildegard Kiehl berichtet weiter:
Euer Opa wurde 1956 noch für kurze Zeit nach Nordhorn versetzt. Und dann ging er 1958 nach Hamburg ins „Hauptzollamt-Oberelbe", zuletzt war er dort Zoll-Amtsrat. Wir bekamen eine Wohnung in der Eduardstraße in Hamburg Eimsbüttel, in der ich bis heute lebe. Bisher krame ich aber immer noch gerne in meinem alten Kopf nach alten Erinnerungen. Der Pflegedienst kommt auch regelmäßig, und sieht nach, ob ich noch alles richtig mache.
Das war mein Leben in kurzen Zügen. Inzwischen bin ich 100 Jahre jung geworden! Mein Gerhard, unser lieber Opa, ruht nun schon fast 22 Jahre. Ich fühle mich aber nicht einsam, denn ich habe ja Euch, Ihr Lieben, zwei an der Zahl. Ihr füllt mein Leben aus. Sehr viel gibt mir auch meine „Insterburger Heimatgruppe".


Über Hildegard Kiehl, geb. Tuttlies, * 21.03.1920 in Willschicken, †19.06.2021 in Hamburg, zuletzt Eduardstr 41 c, 20257 Hamburg :

Hildegard und Gerhard Kiehl, Goldene Hochzeit
1993 in Hamburg (privat)

Hildegard Kiehl hatte nach der Flucht viel von zu Hause aufgeschrieben, in Hamburger Bibliotheken gestöbert, Verwandte und Bekannte ausgefragt und ist in ihre alte Heimat gefahren. Sie hat sich für die Heimatliteratur und Zeitschriften interessiert und begrenzt Fachbücher und graue Literatur erworben. Sie hat in Heimatzeitschriften kleine Artikel veröffentlicht und hat in ihrer Heimatgruppe viel berichtet. Sie hat "genealogisch geforscht" und hat die Ergebnisse in den "Tuttliesen Nachrichten 1 - 6" verteilt, die leider vergriffen sind. So hat sie alle damaligen deutschen Telefonbücher nach dem Namen Padefke (Mutter von Gerhard Kiehl) durchsucht und hat wochenlang zur Ahnenforschung im Preußischen Staatsarchive in Berlin und bei den Mormonen in Hamburg gearbeitet. Alle interessanten Funde wurden - soweit möglich - telefonisch oder schriftlich befragt. Etwa ein Drittel hat auch geantwortet. Ihr Mann Gerhard Kiehl hat sie dabei tatkräftig unterstützt. Es entstand eine fruchtbare Zusammenarbeit mit Klaus-Peter Podewski, einem Mathematiker der Uni Hannover. Das Internet haben aber beide noch nicht benutzt. Ein Arbeitsergebnis der Familienforschung zu den Familien Padefke/Podewski (Stand 1986), kann per E-Mail von klaus-kiehl@t-online.de erbeten werden. Weitere genealogische Ergebnisse zu den Familien Tuttlies und Burba (Stand 2020), sind auch in GenWiki zu finden

Die Fotos, die Abbildungen und die markierten Textstellen wurden nachträglich von Klaus Kiehl eingefügt. In der Hoffnung, dass alle Angaben und Quellen richtig eingeordnet sind, sind Berichtigungen und neue Informationen herzlich willkommen.

Bitte senden Sie diese an die E-Mail-Adresse von Klaus Kiehl: klaus-kiehl@t-online.de


Text- Quellen zu Willschicken


  1. Meyers Orts- und Verkehrs-Lexikon des Deutschen Reiches, Leipzig und Wien, Bibliographisches Institut (1912), 5. Auflage, Band II, Seite 1157
  2. Artikel Preußisch Litauen. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie.
  3. Wilschiken o. Wilkschicken o. Wilpischen auf der Schroetterkarte (1796-1802), Maßstab 1:50 000 © Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz
  4. 4,00 4,01 4,02 4,03 4,04 4,05 4,06 4,07 4,08 4,09 4,10 4,11 4,12 4,13 4,14 4,15 4,16 Kurt Henning, Charlotte Henning: Der Landkreis Insterburg, Ostpreußen. Ein Ortsnamen-Lexikon. o. O. [Grasdorf-Laatzen] o. J. [1981]
  5. Nach den Angaben ehemaliger Einwohner von Wilkental (Hildegard Kiehl, geb. Tuttlies) - unter Zuhilfenahme des Einwohner- und Ortschaftsverzeichnisses (1935) des Ostpreußischen Tageblatts, Sturmverlag
  6. Was verdiente ein Arbeiter (www.was-war-wann.de)
  7. Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschafts-Geschichte Band 2
  8. Jens Dangschat u.a.: Aktionsräume von Großstadtbewohnern
  9. W. Ziesemer: Die ostpreußischen Mundarten. In: Ostpreußen. Land und Leute in Wort und Bild. Mit 87 Abbildungen. Dritte Auflage, Gräfe und Unzer, Königsberg (Preußen) o. J. [um 1926]
  10. Preußisches Wörterbuch: Deutsche Mundarten Ost- und Westpreußens. Hrsg. von der Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz. Begr. von Erhard Riemann. Fortgef. von Ulrich Tolksdorf. Hrsg. von Reinhard Goltz. 6 Bände. Wachholtz-Verlag Neumünster 1974–2005.
  11. Annaberger: Annalen: Jahrbuch über Litauen und deutsch-litauische Beziehungen. Nummer 11, 2003, ISSN 0949-3484, Gerhard Bauer, Quelle: AnnabergNr.11_Kap5.pdf (annaberger-annalen.de)
  12. Kossert: ZEIT 13.02.2014
  13. [https://de.wikipedia.org/wiki/Erinnerung Erinnerungen - Wikipedia, abgerufen 01.06.2023
  14. Reichsarbeitsdienst> [[1]]
  15. Quelle: Tschernjachowsk – Wikipedia [[2]]
  16. Herausgegeben vom Bundesministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte, Band I/1 Die Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus den Gebieten östlich der Oder-Neiße. Band 1, Unveränderter Nachdruck der Ausgabe von 1954.
  17. 17,0 17,1 Zentrum gegen Vertreibung: Die Flucht der ostpreußischen Bevölkerung
  18. Wikipedia: Flucht und Vertreibung Deutscher aus Mittel- und Osteuropa 1945–1950
  19. Wikipedia: Gauleiter Erich Koch
  20. Die WELT-Geschichte: Flucht aus Ostpreußen: 62 Minuten dauerte der Todeskampf der „Gustloff“
  21. Karte Hafen von Pillau
  22. Wikipedia: Baltijsk / Pillau (Einschiffung von Flüchtlingen)
  23. Wikipedia: Baltijsk / Pillau (Einschiffung von Flüchtlingen)
  24. Bing Search: Flucht aus Ostpreußen
  25. Eisenbahnstiftung: Dokumentation der Flucht
  26. Eisenbahnstiftung: Dokumentation der Flucht
  27. Emslandmuseum Lingen, Bezugsschein
  28. Wikipedia - Protestantische Kirche in den Niederlanden (Abgerufen 04-2023) - Wikipedia - Hendrik de Cock (Abgerufen 04-2023)



Offizielle Webseiten zu Willschicken

GOV-Kennung  : WILTALKO04VT [23]
Messtischblatt  : 1196 (11096) [24] | Messtischblatt Aulenbach Jahr : 1939
Messtischblatt  : 1197 (11097) [25] | Messtischblatt Grünheide Jahr : 1938


Bericht zur ländlichen Entwicklung in Ostpreußen am Beispiel des Dorfes Willschicken


In Ergänzung zu den vorgenannten Texten siehe auch den nachfolgenden Link zum Hintergrundbericht:


Ländliche Entwicklungen in Ostpreußen, dargestellt am Beispiel von Willschicken (Ksp. Aulenbach Ostp.) – GenWiki (genealogy.net)


Wir suchen noch Fotos von Wilkental / Willschicken (Kreis Insterburg) für eine Veröffentlichung an dieser Stelle. Sollten Sie Bilder oder interessante Informationen haben, würden wír uns über eine Kontaktaufnahme freuen. In diesem Fall senden Sie bitte eine E-Mail-Adresse an Klaus Kiehl: klaus-kiehl(at)t-online.de


Bibliografie zu Willschicken

Karten zu Willschicken

Dokumente zu Willschicken


Quelle : In "Niekammer´s Landwirtschaftliche Güter-Adressbücher Band III - Provinz Ostpreußen, 1922 Lindicken (Ostp.)(Seite 129-130)


Quelle : In Ortschafts- und Adreßverzeichniss des Landkreises - Insterburg, 1927 - Willschicken [1]



Quelle : In "Niekammer´s Landwirtschaftliche Güter-Adressbücher Band III - Provinz Ostpreußen, 1932 Willschicken (Ostp.) (Seite 167


Genealogische und historische Quellen zu Willschicken

Standesamt Unterlagen / Zivilstandsregister (ab 1874)

Das für Willschicken (Wilkental) zuständige Standesamt war ab 1888 gemäß der Zuordnung des AGOFF das StA Gross Aulowönen. Die Bestände sind teilweise, trotz Kriegseinwirkungen, erhalten und seit 2015 digitalisiert worden. Sie können gegen Gebühr (Mitgliedschaft) bei Ancestry unter StA Gross Aulowönen eingesehen werden.

Kirchenbuchbestände

Die für Willschicken (Wilkental) zuständige evangelische Kirchengemeinde war Aulowönen / Aulenbach (Ostp.). Viele Bestände wurden im Digitalisierungsprojekt “Archion” der deutschen evangelischen Kirchen online gestellt, leider keine Bestände aus Aulowönen. Es gibt jedoch ebenfalls gegen Gebühr (Mitgliedschaft) bei Ancestry unter Gross Aulowönen einsehbare Bestände. Außerdem befinden sich einige Unterlagen im Sächsischen Staatsarchiv in Leibzig, siehe auch: Sächisches Staatsarchiv - Kirchenbuchbestände Landkreis Insterburg

Adressbücher

Quelle : In Einwohner- und Ortschaft-Verzeichnis des Landkreises Insterburg, Sturmverlag GmbH, 1935

Weiteren Kontakte

Genealogie lebt von Kontakten

Zufallsfunde

Oft werden in Kirchenbüchern oder anderen Archivalien eines Ortes Personen gefunden, die nicht aus diesem Ort stammen. Diese Funde nennt man Zufallsfunde. Solche Funde sind für andere Familienforscher häufig die einzige Möglichkeit, über tote Punkte in der Forschung hinweg zu kommen. Auf der folgenden Seite können Sie Zufallsfunde zu diesem Ort eintragen oder finden. Bitte beim Erfassen der Seite mit den Zufallsfunden ggf. gleich die richtigen Kategorien zuordnen (z.B. über die Vorlage:Hinweis zu Zufallsfund).


Private Informationsquellen- und Suchhilfeangebote

Auf der nachfolgenden Seite können sich private Familienforscher eintragen, die in diesem Ort Forschungen betreiben und/oder die bereit sind, anderen Familienforschern Informationen, Nachschau oder auch Scans bzw. Kopien passend zu diesem Ort anbieten. Nachfragen sind ausschließlich an den entsprechenden Forscher zu richten.


Die Datenbank FOKO sammelte und ermöglichte Forscherkontakte. Seit Frühjahr 2018 ist der Zugriff jedoch, aufgrund der unklaren Lage durch die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO), vorerst deaktiviert.


Daten aus dem genealogischen Ortsverzeichnis

<gov>WILTALKO04VT</gov>

  1. Ortschafts- und Adressverzeichnis Landkreis Insterburg, Buchdruckerei und Verlagsanstalt Ospreußisches Tageblatt G.m.b.H,Insterburg (1927) (Reprint der Kreisgemeinschaft Insterburg Stadt u. Land e.V., Krefeld)