Zemaiten

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Kurische, prußische, nieder- und hochlitauische Stammesgebiete
Zemaiten und seine Nachbargebiete in der Mitte des 13.Jahrhunderts

Geografie

Der Name Žemaitien verweist auf den baltischen Volksstamm der Niederlitauer. Andere Schreibweisen sind „Samogitia“, „Schmuden“, „Semaiten“, „Schemaiten“ und noch mehr. Aber auch die ebenfalls baltischen Kuren sind Einwohner Zemaitens, denn der Großteil des heutigen Gebietes besteht aus den ehemaligen kurischen Landschaften Megowe und Ceclis (Der Name deutet auf einen bunten Bewuchs mit Gebüsch und Büschelblumen (žemaitisch "cekelis": farbig), litauisch Keklis). Das namengebende Ur-Žemaiten lag im 13. und 14. Jahrhundert zwischen der Mūšaquelle, dem Oberlauf der Venta im Norden, dem Stauseegebiet von Žarėna im Nordwesten, der unteren Mituva im Südwesten, der Memel im Süden und der Nevėžis im Osten. Nur in den westlichen und südwestlichen Teilen des ursprünglichen Žemaiten ist Höhenland vorzufinden. Der Begriff "Niederlande" oder "Unterland" trifft nur auf die östlich gelegene mittellitauische Tiefebene zu und dürfte von den Aukštaičiai vergeben worden sein. Heute überwiegt die litauisch-aukschtaitsche Komponente.

Um 1300 beschränkte sich Zemaiten nur auf den südöstlichen Teil seines heutigen Gebietes. Bis 1422 vermochte es aber, seine Grenzen beträchtlich auszudehnen und umfasste das ganze heutige Westlitauen westlich des Nevežis, ohne das Memelland..

Im Laufe seiner Geschichte erfuhr Zemaiten etliche Teilungen:

  • 1253 schenkte Mindaugas zemaitische Landschaften an den Livländischen Orden
  • 1289 bestätigt Hochmeister Burchard von Schwenden eine stattgefundene Teilung „terrarum Schalwen, Karsowe, Twerkiten“
  • 1382 schenkt Jogaila dem Orden Teile
  • 1384 tritt Vytautas ganz Zemaiten an Preußen ab, nebst einem Streifen am rechten Memelufer
  • 1392 gibt der Bischof von Kurland ein Drittel der südkurischen Landschaften an den Orden ab.
  • 1392 wird im Friedensvertrag von Sallyn die Ostgrenze verändert.

Name und Sprache

Der Name leitet sich von žemė ab und bedeutet „Erde“ beziehungsweise „unten wohnend“ (žemai „unten“). Der Begriff „Niederlitauen“ ist irritierend, da das heutige Žemaitien auf einem Höhenrücken liegt. Die žemaitische Sprache gliedert sich in drei Untergruppen: die westžemaitische, die nordžemaitische (beide durch das Altkurische beeinflusst) und die südžemaitische. Dabei unterscheiden sich wiederum die Dialekte der Regionen Telšiai, Varniai und Rasėniai.


Zum Verhältnis der zemaitischen Sprache zur hochlitauischen berichtet Johann Severin Vater im Jahre 1809. Immerhin stellt er sieben altpreußische Varianten, zwei lettische und je ein zemaitisches und kurisches Vaterunser vor, aber kein litauisches. Zum Litauischen sagt er: "Dieses herrscht nur noch in einem Theile Lithauens, nehmlich in Schamaiten, indem das übrige Lithauen die Polnische Sprache angenommen hat. Zwar hat sich auch viel Polnisches in das Schamaitische eingeschlichen; indessen hat es doch immer noch so viel eigenthumliches, daß es sich als einen eigenen Dialect darstellen kann.“ … „Wegen dieser Annäherung an das Polnische liebt es mehr die Zischer, daher es fünf besondere s, drey z und zwey c hat… Die Vocale haben eben so viele und bestimmende Betonungen wie bey dem Polen; auch das f und virgulirte l hat es von diesem angenommen, nur das h zu Anfange nicht.“

"Schameit"

"Szameit" war im Memelland zunächst nur die Bezeichnung eines Zemaiten, wurde jedoch im Laufe der Zeit ein Schmähwort für alle Litauer jenseits der Grenze, denn die Rückständigkeit in Russisch-Litauen war sprichwörtlich. Durch die Abtrennung nach dem 1. Weltkrieg bedingt, verschärften sich während des Nationalsozialismus die Konflikte. "Schameit" wurde zum Schimpfwort und bezeichnete einen niedrig stehenden Menschen von "asiatischer" Kultur.


Eigenarten

"Ihrer Eigenart wegen verdienen die Litauer besonders betrachtet zu werden. Sie gehören nicht zu den Slawen, wie die Russen und Polen, sondern stehen ihrer Abstammung nach den Germanen ziemlich nahe. Das beweist auch ihr Aussehen: blondes Haar und blaue Augen sind vorherrschend. Selbstverständlich gibt es auch unter den Litauern recht viel gemischtes Blut, und besonders im Memelgebiet ist nicht immer festzustellen, wo z.B. die Grenze zwischen Deutsch und Litauisch gezogen werden soll.

Die Sprache der Litauer weist recht viel Altertümliches auf und ist der altpreußischen sehr nahe verwandt. Eigentümlich ist ihr der häufige Gebrauch von Verkleinerungssilben: Mütterlein, Töchterlein usw. Der Litauer verhält sich Neuerungen gegenüber im ganzen ablehnend und hält an den Gebräuchen der Väter fest. Im allgemeinen sagt man den Litauern nach, daß sie hartnäckig und rechthaberisch wären und sehr gerne prozessieren, oft wegen Kleinigkeiten. Nicht selten stehen Eltern und Kinder im Prozeß. Durch das "Ausgedinge" der Altsitzer wird oft viel Anlaß zum Streit gegeben. Im Umgange zeigen sich die Litauer gastfrei und freundlich, den Deutschen gegenüber aber oft mißtrauisch; auch dünken sie sich in vielem klüger. Stay! Wokaitys, jau taip ißmannas kaip Lietuweninks" (Sieh! Der Deutsche will ebenso klug sein wie der Litauer!). Mut, Tapferkeit und Geschicklichkeit zeichnen die Litauer aus. Die Haus- und Wirtschaftgegenstände werden fast alle selbst angefertigt. Die litauischen Frauen stellen auf dem Webstuhle recht bunte kunstvolle Bänder (juosta), Handtücher, Gardinen, Schürzen, Decken und haltbare Kleiderstoffe her. Die farbenreiche Volkstracht der Frauen und Mädchen ist ihr eigenes Erzeugnis. Allgemein bekannt sind auch ihre bunten warmen Wollhandschuhe, welche man Gästen und Fürstlichkeiten zum Geschenk zu machen pflegte.

Die Litauer sind durchweg streng kirchlich; sie besuchen fleißig die Kirche und an manchen Orten noch eifriger besondere durch Reiseprediger geleitete Gebetsversammlungen (Surinkima). Im Memelgebiete gehören sie fast ausschließlich der evangelisch-lutherischen Kirche an.

Sehr auffallend ist bei ihnen der Hang zum Aberglauben; der spielt im Wirtschaftsleben, bei Krankheiten usw eine große Rolle. Unternimmt man eine Reise, so darf die Wohnstube vor dem Verlassen des Hauses nicht gereinigt werden; sonst glaubt man, unterwegs kein Glück zu haben. Das Hinüberlaufen der Katze oder des Hasen über den Weg wird als Warnungszeichen gedeutet usw. Beim Pflanzen des Gemüses und Säen des Getreides richtet man sich nach ganz besonderen Zeiten. Die Möhren werden nur dann lang, wenn sie am Sonnabend gesät werden. Gurken sollen nur nach Sonnenuntergang gesetzt werden; aber es darf der Samen auch nicht vom Mondlicht getroffen werden. Bekannt ist auch das Gesundräuchern, Gesundbeten und Besprechen, das unter den eigentümlichsten Formen vor sich geht. (Kartenlegen) Der Aberglaube hat im Volke schon viel Unheil angerichtet, und es wäre zu wünschen, daß er bald ganz verschwände.

Bei Begräbnissen, Taufen und Hochzeiten wird auch unter mancherlei Gebräuchen recht gründlich und lange gefeiert. Bei der Roggenernte und dem Flachsbrechen pflegen sich die Nachbarn gegenseitig zu helfen. Nach Beendigung der Arbeiten finden bei jedem Eigentümer Feiern (Talkas) statt, bei denen es besonders unter der Jugend gar lustig und froh hergeht. In manchen Gegenden ist die Trunksucht auch selbst bei Frauen stark verbreitet, und an den Grenzen blüht ein schwunghafter Schmuggel. Hier und dort gilt dieser für ein durchaus nicht ehrenrühriges Geschäft.

Die Litauer sind große Freunde des Gesanges. In der Kirche, bei den verschiedensten Arbeiten und in der Feierstunde wird gar zu gerne gesungen. In ihren Volksliedern, den Dainos, zeigt sich oft eine gewisse Harmlosigkeit und Zartheit der Empfindung. In ihnen spielt das Liebesleben eine große Rolle; auch werden Gott, Natur, Familie und Häuslichkeit besungen.

Besondere Eigentümlichkeiten weist auch die Bauart der Litauer auf. Man hat meistenteils für jeden Zweck ein besonderes Haus erbaut; so gibt es Wohnhaus, Stall und Scheune, ein Flachsdörrhaus (Jauje), Speicher oder Vorratshaus (Klete), Bade- oder Flachstrockenhaus (Pirte), Torf-, Heuschuppen usw. Die Giebel des Wohnhauses trägt vielfach geschnitzte Pferdeköpfe oder sonstige Verzierungen. An den Fenstern sind häufig auffallend gefärbte Fensterläden angebracht. Die Klete steht meist dicht neben dem Wohnhause; sie hat eine durch Säulen getragene Vorhalle. In ihr lagern Getreide und andere wichtige Vorräte. Auch befinden sich hier die Schlafkammern der erwachsenen Töchter; deshalb wird die Klete auch in den litauischen Volksliedern sehr häufig besungen.

Die Wohnung besteht zumeist aus einem großen Vorderzimmer, einem kleinen Hinterstübchen und einer Kammer. In dem Zimmer fällt der mächtige Ofen auf; er ist von einer bequemen Bank umgeben. An der Längswand steht das große Himmelbett und in einer Ecke ein auch von Bänken umgebener riesiger Eßtisch. Zur Winterszeit steht in der großen Stube auch der Webstuhl. Mit vieler Geschicklichkeit und Geduld ist die Hausfrau hier bemüht, Handtücher, Leinwand, Stubendecken usw herzustellen. An den langen Winterabenden finden sich die Hausbewohner - oft auch zusammen mit den Nachbarn - in der großen Stube ein und sammeln sich um die mit einem großen metallenen Schirme versehene Petroleumhängelampe. Die Männer schnitzen oder machen ihre Wirtschaftsgeräte zurecht, und die Frauen und Mädchen spinnen Wolle und Flachs. Die Spinnräder schnurren oft bis in die Nacht hinein. Geschichten und Märchen werden erzählt, Erfahrungen ausgetauscht und Volkslieder gesungen. Auf diese Weise ist so manch eine Daina entstanden oder verlängert worden; in den verschiedenen Gegenden hat man häufig andere Texte und Melodien. [1]

Sprichwörter

  • Gott gab Zähne, Gott wird Brot geben.
  • Wer pflügt, wird nicht arm, wer stiehlt, wird nicht reich.
  • Der Frühaufsteher reibt die Zähne, der Spätaufsteher die Augen.
  • Der Specht ist bunt, die Welt nocht bunter.
  • Das Schwein weiß viel, wohin die Wolken ziehen.
  • Das Pferd stolpert trotz seiner vier Füße.
  • Gott gab dem Schwein keine Hörner; es würde alle Welt zerspießen.
  • Wo der Hund frißt, da bellt er auch.
  • Das Alter tut´s mit dem Verstand, die Jugend mit Gewalt.
  • Wer als Kluger geboren ist, kann mit der Gans pflügen.
  • Was man in die Seele pflanzt, werden Fünf nicht herausreißen.

Geschichte

5. - 6. Jahrhundert

In dieser Epoche siedelten im späteren Žemaitien Volksgruppen der westbaltischen Kuren, der ostbaltischen lettischen Semgallen und im Gebiet um Schmalleningken die Gruppe der eventuell zemaitischen Karschauer. Der angelsächsische Reisende Wulfstan bezeichnete um 880 die Žamaiten als Sarmanten. Um 900 wanderten allmählich litauische Stämme ein. Der Begriff Žemaiten (lit. Žemaičiai) taucht erst 1215 in der „Wolhynischen Chronik" auf. Sie erwähnt im Zusammenhang mit der Politik Konrads von Masowiens vor 1228 die "Scoweae (Schalauer), Prutheni, Lithuani und Szanmitae (= Szemaiten)".

Die Wildnis

Der Ritterorden kannte Zemaiten und Litauen zunächst nicht direkt, da die noch nicht unterworfenen Stammesgebiete Samland, Nadrauen, Schalauen und Sudauen ihn von ihnen trennten. Archäologische Funde zeigen allerdings, dass die Gebiete seit der letzten Eiszeit besiedelt waren. Die Entstehung der Wildnis wird unter Forschern verschieden beantwortet: Mortensen nimmt eine Klimaänderung an, Salys hält dagegen: „sie ist eine natürliche Folge des deutsch-litauischen Krieges", denn „Der Zweck der Ordensreisen war ja doch, durch möglichst grosse Verheerung das Land zur Übergabe zu zwingen. Unterwarf es sich dagegen nicht, so machten es die neuen Reisen mit dem üblichen „incendio et rapina“ und „occisi plurimis et captis“ schliesslich zur Wildnis. Nur die Gebiet mit einer kompakten Bevölkerung, welche eine feste Organisation und dazu einen Rückhalt am übrigen Lande hatte, konnten diesen jährlichen Reisen widerstehen. Daran scheint es aber zu Anfang des Krieges den Zemaiten bisweilen gefehlt zu haben.“

Litauerreisen

In der Endphase des Ritterordens ließ er zur Belustigung des westlichen Adels sogenannte „Reisen“ stattfinden. Folgendes berichtet das Reisegedicht "Von Herzog Albrechts Ritterschaft" des Herolds Peter Suchenwirt:

Der österreichische Herzog Albrecht begibt sich 1377 mit 150 Mannen auf eine Preußenfahrt, waffengerüstet zu Pferd und zu Schiff. Auch der Hochmeister und seine Amtsleute verproviantieren sich, weder Silber noch Gold sparend, auf drei Wochen zu Ehren des Gastes. Das Heer zog durch das Niemandsland über Insterburg an die Scheschupe. Dort erblickten sie vier Brücken geschlagen. Die Schiffer trafen ein, die Ruderer scheuten keine Mühe. Von mittags bis abends waren an 30 000 Mann mit 610 Schiffen anwesend. Drei Pferde und ein Knecht ertranken. Dieses Heer brachte seinen Gast nach Szameiten. Eine Hochzeit fand dort statt; die Gäste kamen uneingeladen. Ein Tanz wurde mit den Heiden getreten, dass ihrer 60 tot blieben. Das Dorf wurde vom Feuer rot und die Lüfte brannten. Ich hätte nicht Bräutigam sein wollen. Was ihnen weh tat, tat uns wohl. Das Land war voll von Menschen und Gut, den Christen - ein Gewinn, den Heiden - ein Verderb, wenn man es mit der Waage des Krieges misst. Eine Lust was das! Die Heiden ließen auch nachts nicht ab mit scharfer Wehr, stachen, schlugen und schossen; sie schrien mit lauter Stimme wie die wilden Tiere. Sie erstachen Leute, schossen Pferde ab und flüchteten dann in die Moore. So trieben sie es die ganze Nacht. Als Morgen wurde, brach das Heer auf, zündete alles an, dass die Lüfte brannten. Man sah da sehr viele Frauen mit 2 Kindern an den Leib gebunden, eins vorne, eins hinten, auf einem Pferde; sie kamen ohne Sporen barfuß geritten. Die Heiden litten große Not. Man fing ihrer viele ein, band ihnen die Hände zusammen und führte sie wie die Jagdhunde“.

Vereinigung mit Hochlitauen

"Litauen wird bereits zu Beginn des 11.Jh. in den "Quedlingburger Annalen" erwähnt. Die beiden Hauptstämme (Aukschtaiten = Hochlitauer) und Schemaiten (= Niederlitauer) werden etwas später erstmalig in der "Altrussischen Chronik" genannt. Im 12. Jh. und in der ersten Hälfte des 13. Jh. existieren kleine Fürstentümer und Herrschaften. Erst Mitte des 13. Jh. gelang MINDAUGAS ihre Vereinigung. Daraufhin konnte er sich sowohl den Rittern des Deutschen Ordens entgegenstellen als auch den Schemeiten. Im Jahre 1253 ließ sich Mindaugas taufen und krönen. Nach seinem Tode 1263 zerfiel jedoch die von ihm errichtete zentrale Macht. Im Jahre 1270 ordnete sich TRAIDENIS, der Stammführer aus Kernavė, die litauischen Kleinfürstentümer unter. 1293 wurde VYTENIS Oberherr der litauischen Burgherren und Kleinfürsten. Nach seinem Tode 1315 oder 1316 hinterließ er seinem jüngeren Bruder GEDIMINAS einen Staat, den dieser zu einer Großmacht ausbaute. In seiner Regierungszeit (1316-1341) wehrte Gediminas erfolgreich die Angriffe des Deutschen Ordens ab und eroberte große Gebiete im Osten, südosten und Süden. Nach seinem tode residierten seine söhne ALGIRDAS und KĘSTUTIS. Letzterem gelang es ebenfalls, sich erfolgreich gegenüber dem Deutschen Orden zu behaupten. Algirdas gewann die Fürstentümer Černigov, Nowgorod und Brjansk, und er besetzte auch Kiev. Nach dem Tode von Algirdas folgte ihm sein Sohn aus zweiter Ehe JOGAILA (JAGIEŁŁO) als Großfürst in Vilnius. Zwischen ihm und Kęstutis kam es zu Auseinandersetzungen, und Kęstutis wurde 1382 ermordet. Im Jahre 1385 wurde der Vertrag von Kręva Krewo) abgeschlossen, der die Vereinigung Litauens mit Polen zunächst als Personalunion brachte und Jogaila zur Annahme des katholischen Glaubens verpflichtete. 1386 fand dann in Krakau die Trauung mit der polnischen Königin HEDWIG (JADWIGA) und die Krönung Jogailas zum König von Polen und Litauen statt. Die Union von Kręva hatte große Bedeutung für die Geschichte und Kultur Litauens, das damit volles Mitglied der abendländischen Völker- und Staatengemeinschaft wurde."

Quelle: Eckert, Rainer/ Bukevičiute, Elvire-Julia/ Hinze, Friedhelm: Die baltischen Sprachen, eine Einführung, Langenscheidt 1994, 5. Auflage 1998, S.27f

Die Wiederbesiedlung der Wildnis

Nach der Schlacht von Tannenburg begann für ganz Litauen eine Periode des Aufbaus und der Expansion. Zemaiten gewann durch die Grenzziehungen große Gebiete in der Wildnis, die ja für Einheimische durchaus nicht siedlungsfeindlich war. Frühe urkundliche Belege fehlen, doch gibt es Belege, die die Besiedlung nachvollziehbar machen:

  • 1409 werden bei der Skirsnemune fünf Dörfer an der Memel von den aufständischen Zemaiten „uf gehaben“.
  • 1422 konfisziert der Vogt von Polangen ein gestrandetes deutsches Schiff. Von Ragnit aus werden Struter (Kundschafter) ausgesandt, Informationen über die Litauer herauszufeinden
  • 1425 teilt der Komtur von Memel mit, dass die Zemaiten bei Polangen viel Heu gemacht haben.
  • 1434 plündern Zemaiten bei Polangen auf dem Strand und führen Geiseln mit sich fort.
  • 1483 findet eine Untersuchung der Dörfer bei Krottingen statt.
  • 1501 wird Coadjuthen vom zemaitischen Hauptmann beansprucht
  • In den Jahren 1434/ 35 ist der „zemaitische Strand“ gesperrt, „das nymandes ane schaden kann durchkomen“.
  • 1455 bauen die Zemaiten zusammen mit den Kuren „eyn bolwerg uff dem strande“.

Um 1500 macht die Neubesiedlung weitere Fortschritte. Mitte des 16. Jahrhunderts werden schriftliche Quellen reichlicher. Die Richtungen der Besiedlung gingen von den Ufern der Memel in nördliche und südliche Richtung und folgten weitgehend den Flussläufen. Die Feuchtigkeit des Bodens bereitete den Neusiedlern große Schwierigkeiten. Im nördlichen Zemaiten siedelten viele livländische Kuren, was noch heute in der Physiognomie der Menschen deutlich wird. Kurische Einwanderer aus Livland wurden in Zemaiten aber nur dann aufgenommen, wenn sie in Memel abgewiesen wurden. Ursache der Wanderung war eine Überbevölkerung der Kerngebiete.

Die Besiedlung des Memelgebietes

Schalauer

Der südliche Teil des Memellandes gehörte den Schalauern mit den vier Burgen Ragantia (Ragnit), Ramige (sprich Ramije, Schlossberg auf dem rechten Memelufer am Rombinus), Sarecka (Schreitlaugken) und Sassowia (eventuell Sassupönen). Die Ežerune bildete die Grenze zwischen Zemaiten und Schalauen. Jubarkas im Osten liegt bereits auf zemaitisch-karschauischem Gebiet. Die Sümpfe der Russ-Mündung bildeten die Grenze zu kurischen Gebieten.

Schalauen war recht dicht besiedelt, denn die Burg Labiau konnte mit 400 schalauischen Mann angegriffen werden, und Kestutis entführte 1365 Mann nach Litauen, von denen später 150 Mann die Gegend um Ragnit bewachen mussten. Schalauische Orte sind Pleikischken, Plaschken, Bennigkeiten (Beynicke), Waynoten, Grauden und andere.

Kuren

Die Rückwanderung der Kuren aus Livland beginnt um 1400, wo sie im Samland urkundlich erwähnt werden. Die Livländer forderten die Rückgabe ihrer entlaufenen Zinsleute, während die nicht Zinspflichtigen Bewegungsfreiheit genossen. Der Auswanderungstrieb der livländischen Kuren ins Memelgebiet war sehr stark und erfolgte den Strand entlang. Der Memeler Komtur berichtet vor 1422 dem Hochmeister: „ouch so sprechen die andern Kuvern von Kuverlande, ist daz sache, daz man si nicht czur Memil will czihen lassen, so wellen sie doch eynen andern weg czihen, alz in daz landt ader under den bischoff oder wo sy mogen“. Die Rückkolonisation der Kuren erfolgte nicht oder nur in sehr geringem Maße in das Landesinnere Zemaitens, zumindest lässt sich das nicht mehr feststellen. 1544 verordnete Herzog Albrecht, es solle für Ruß ein Geistlicher gefunden werden, der sowohl litauisch als auch kurisch sprechen könne.


Litauische Einwanderung in Preußen

Die erste urkundliche Erwähnung zemaitischer Einwanderer nach Preußen stammt aus dem Jahr 1406. Vorher hatte es vereinzelt Flüchtlinge aus der polnisch-litauischen Personalunion gegeben. Die Ursachen für das Verlassen ihrer Heimat lag darin, dass die Menschen zu Hause unterdrückt wurden, es gab jedoch keine religiösen Gründe. Die zemaitischen Hauptleute reisten mit großem Gefolge, Frau und Kindern im Land umher, hielten eigenmächtig, ohne Hinzuziehung der Amtsleute Gericht und legten den Untertanen große Strafen auf. Ebenso wird von Folter berichtet, so dass verständlich wird, warum die Untertanen es vorzogen, ein freieres Leben unter dem Ritterorden zu führen.

Die Einwanderer wurden in Preußen aufgenommen, obwohl es von zemaitischer Seite große Proteste und einen umfangreichen Briefwechsel mit den Ordensleuten gab, die Leute wieder zurückzugeben. So schrieb Vytautas am 19. April 1409 an den Hochmeister: „Auch wir danken euwir Erwirdikeit, das ir euwirn gebitigern allumbee wellit schreibin, wo man unsir luthe, die uns entloufen sint, dirfure, das man sie ken der Licke zal schichen.“ (Licke = Lyck) Vytautas schickte zweimal Boten nach Lyck um die Leute zurückzuholen, aber der dortige Pfleger behauptete, von der Sache nichts zu wissen („im were keines dovan bevolin“) und gab die Menschen nicht heraus. Es wurde weiter hin und her verhandelt, bis schließlich Vytautas erbittert schrieb, sein Bote hätte in Tilsit sogar die Entlaufenen gesehen, aber „man vor im die selbigen eigen vorbergen.“ Es war ein volles Jahrhundert gängige Ordenspraxis, Einwanderer aufzunehmen und anzusiedeln: „ufgenommen und gesichert noch alder gewohnheit“.

Man erlaubte den zemaitischen Boten zwar die Einreise und die Rückführung der eigenen Leute (so man sie denn finden konnte), zog aber ansonsten die Verhandlungen in die Länge und empfahl, die Zemaiten möchten doch lieber selbst dafür sorgen, dass ihnen keine Leute weglaufen. Im Herbst 1422 erschien beim Komtur in Memel „ein redlichir beyor“ aus Zemaiten und bat um Asyl: „geleite szu gebin czur Memel, wi das her weip und kint, und sust andir frunde mit im welde brengin“. Dies wurde ihm gewährt, man riet ihm aber abzuwarten, bis Vytautas den gegen die Livländer vorbereiteten Kriegszug angetreten hatte und dann erst mit den seinen zu kommen. Es kam auch vor, dass der Hauptmann von Zemaiten darum bat, ihm eine Person zurückzugeben, die erneut entlaufen war.

Die Grenzkomturei Ragnit war das Hauptziel der Überläufer. 1443 brachte eine litauische Gesandtschaft dem Hochmeister eine Beschwerde vor wegen „entlouffen lewte unde gesinde“, welche „man en nicht widerkeren welde“. Dabei beschwerten sie sich „sunderlich uber den kompthur von Rangnith“. Memel spielte bei der litauischen Einwanderung nur eine sehr untergeordnete Rolle, diese Stadt war dagegen das narürliche Einfallstor der kurländischen Auswanderer.

Aus dem Hauptamt Memel sind keine Landverschreibungen vorhanden. Immerhin werden bei der Verleihung von Krugrechten Litauer erwähnt: Gerigs und Hans Gybbeis (Giebisch), „des Sedeyken Tochter“, G. Thalat sowie Hans Stonniell. Dagegen werden Personen als „Litauer“ bezeichnet, die eindeutig prußische Sudauer waren, die unter ihrem Fürsten Skurdo nach Litauen geflüchtet waren und am Unterlauf der Memel Zuflucht gefunden hatten: Sudmunde sowie Stanko Pudnick. Als Litauer anzuzweifeln ist auch G. Thalat. Krüge wurden in früher Zeit an alten Verkehrsknotenpunkten errichtet und mit Deutschen besetzt. Sie hatten die Aufgabe, die Einheimischen mit deutscher Sprache und deutscher Kultur vertraut zu machen. Später wurden Krüge auch an loyale Balten verliehen. Krugverleihungen an Litauer gab es nur im südlichen Teil des Hauptamtes Memel, also in dem Gebiet, das in der Nähe des Haupteinwanderungsweges über Ragnit lag.

Der Einfluss des Litauertums entwickelte sich jedoch sehr stark, denn 1524 wurde das Heu in „litauischen Fudern“ gemessen. 1540 kann man die baltischen Schalauer, Kuren, Zemaiten und Litauer nicht mehr auseinander halten. Sie haben sich völlig miteinander vermischt und einen eigenen Dialekt entwickelt: das memelländische Litauisch. Auf dem Lande leben 458 Zinserfamilien baltischer Herkunft, aber nur 38 deutsche Familien.

Zemaitische Namen

In den Türkensteuerlisten von 1540 sind vorwiegend alte Ortsnamen zu erkennen, die die natürlichen Gegebenheiten anschaulich beschreiben. Diese Ortsnamen wurden von den Ordensleuten ins Deutsche übersetzt: aus „pa-gege“ (an der Gege/ Jäge gelegen) wurde „Am Giegen“. Unter dem Einfluss zemaitischer Einwanderer bekamen sie wieder ihr baltisches Gepräge zurück: Pogegen.

An Familiennamen ist im Memelland um diese Zeit noch nicht viel vorhanden, man kam mit Vornamen aus. Wenn es 1540 Patronymika gab, dann erscheinen sie im östlichen Memelland nach den Quellen fast ausschließlich mit –aitis, -eitis, -ait, -atis und –at, und zwar alle Endungen gleichzeitg. Ein „Abfallen“ von Endungen „unter deutschem Einfluss“ ist nicht auszumachen, zumal auf dem Lande kaum Deutsche lebten, die etwas beeinflussen konnten. Allerdings sind Sohnesformen ebenfalls bei den Schalauern vorzufinden. Formen auf –unas, -uhn, -un sind ganz selten. Aber auch hier kann es sich um alteingesessene Prußen handeln, denn –on, -un, -uon gehören zu den typisch prußischen Endungen. Allein an den Endungen ist eine ethnische Herkunft heute nicht mehr abzuleiten, es sei denn, man könnte Kirchenbelege nachweisen.

Im östlichen Memelland finden sich zemaitische und mittellitauische Namen, aber keine hochlitauischen, was auch nicht weiter verwundert, da zu dieser Zeit das aukschtaitsche Litauen viel weiter östlich lag und durch die Gebiete Zemaitens, die südkurischen Landschaften sowie das Memelland von der Ostsee getrennt war. Im nördlichen Memelland ist der kurisch-lettische und im südwestlichen der prußische Einfluss groß. Soweit zemaitische Namen vorliegen, muss bedacht werden, dass der westzemaitische Dialekt altkurisch beeinflusst wurde: „Die westžemaitischen oder „donininkai“: anstelle des schriftsprachl. uo, ie gilt hier o, e.“ Also statt „duona“ (Brot) wird „dona“ gesprochen und statt „piena“ (Milch) wird „pena“ gesprochen.

Szemaitische Familienname unterscheiden sich von hochlitauischen erheblich, was mit der relativ späten Christianisierung zusammenhängt. So wurde die Taufe erst 1413 eingeführt. Daher sind viele Namen nur aus der Natur und aus der heidnischen Naturreligion mit ihren Sitten und Gebräuchen heraus zu erklären. Sie klingen für heutige hochlitauisch geprägte Litauer sehr seltsam und geben ihnen Anlass sie zu belächeln.

Sprachdenkmäler

Vaterunser

  • Tiewe musu, kuris esse Danguose,
  • Szweskies Wardas tawa;
  • Buk Wala tawa, kaip Danguij, teij ir ant Ziames;
  • Duonos musu wisa Dienu duok mums siediena;
  • Ir atleijsk mums muso Kaltes, kaijp ir mes atleijdziam sawiems Kaltiems;
  • Ir ne wesk mus ink pikta Pagundima;
  • Bet gialbek mus nuog wisa Pikta.
  • Nes tawo ira Karalijste, ir Galijbe, ir Sslowe, ant Amsjiu. Amen.
Vergleichende Bibelstellen

Weblinks

Literatur

  • Eckert, Rainer/ Bukevičiute, Elvire-Julia/ Hinze, Friedhelm: Die baltischen Sprachen, eine Einführung, Langenscheidt 1994, 5. Auflage 1998.S.41 ff
  • Karge, Paul: Die Litauerfrage in Altpreußen in geschichtlicher Beleuchtung, Königsberg 1925
  • Mortensen, H. u. G.: Die Besiedlung des nördlichen Ostpreußen bis zum Beginn des 17.Jh., in Deutschland und der Osten. Die preußisch-deutsche Siedlung am Westrand der Großen Wildnis um 1400, Bd.8, Leipzig 1937
  • Mortensen, H. u. G.: Die Wildnis im östlichen Preußen, Ihr Zustand um 1400 und ihre frühere Besiedlung, Leipzig 1938
  • Mortensen, Hans: Die litauische Wanderung. Nachrichten der Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen Philol.-Histor. Kl.,Göttingen 1927
  • Salys, Anton: Die zemaitischen Mundarten, Teil 1: Geschichte des zemaitischen Sprachgebiets Tauta ir Zodis, Bd-VI Kaunas 1930 (= Diss.Leipzig 1930), S.175
  • Suchenwirt in Scriptores rerum Prussicarum, Bd.2 (Leipzig, 1863), S.161-69 - hier: S.165-66
  • Vater, Johann Severin: Mithridates oder allgemeine Sprachenkunde mit dem Vater Unser als Sprachprobe, Berlin 1809, Nr. 306

Einzelnachweise

  1. Meyer, Richard (Kreisschulrat in Heydekrug): Heimatkunde des Memelgebietes, Robert Schmidt´s Buchhandlung, Memel 1922, S. 47ff