Herforder Chronik (1910)/259

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Herforder Chronik (1910)
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Bestrebungen ab. Ihr Widerstand war jedoch vergebens. Die Bürgerschaft der Altstadt hatte schon längst die offene Verkündigung des Evangeliums in der Münsterkirche gewünscht, und als Rudolf Möller, Rektor der Schule am Münster und zugleich Vikar an der Kirche, diesem Wunsche Rechnung tragend, begann, evangelische Predigten zu halten und deutsche Lieder statt der altüblichen lateinischen singen zu lassen, da lief ihm alle Welt zu, und sein Amtsbruder Engelking predigte vor leeren Bänken. Das gab selbstredend auf altkirchlicher Seite großen Verdruß; die Äbtissin fand aber kein besseres Mittel, der Bewegung einen Damm entgegenzusetzen, als daß sie die Kirche schloß. Um nun die gewonnenen Anhanger nicht zu verlieren, verkündigten jetzt Dreier und Möller das Wort Gottes von dem steinernen Leuchter auf dem Altstädter Kirchhofe. Als die Äbtissin ungeachtet vieler Bemühungen nicht zu bewegen gewesen war, den Evangelischen den Gottesdienst in der Münsterkirche zu gestatten, beschloß der Rat, als Körperschaft zur Abtei zu ziehen und die Äbtissin persönlich dringend zum Nachgeben zu ermahnen. Die mündliche Überlieferung erzählt, es habe sich in dem Zuge der Ratleute zufällig der durch seinen roten Rock hervorleuchtende Scharfrichter befunden. Der Äbtissin sei bei seinem Anblick ein fürchterlicher Schrecken in die Glieder gefahren, weil sie einen gegen ihre Person gerichteten Gewaltakt vermutete. Ohne Rede zu stehen sei sie durch ihren Garten nach dem Sundern geflohen. Als Folge der starken Seelenerregung habe sie zeitlebens ein Zittern des Kopfes behalten. - Die Erzählung mag ihre Richtigkeit haben bis auf das Erscheinen des Scharfrichters. Er als „Unehrlicher“ durfte sich doch im Zuge von Herforder Ratsleuten nicht blicken lassen; sie wären ja mit ihm unehrlich, d. h. der Ehre verlustig geworden. Und ihr Kopfleiden kann die Äbtissin aus anderer Ursache bekommen haben.

Da die Äbtissin in ihrer Verwirrung keinen Bescheid gegeben hatte, öffneten die Ratsdiener die Kirche selbst. Dreier wurde 1532 zum ersten evangelischen Prediger der Münsterkirche ernannt.

Als mit dem Münster jetzt alle Kirchen der Stadt dem Evangelium gewonnen waren (die Stiftberger Kirche folgte 1549), machte sich das Verlangen nach einem die kirchlichen Angelegenheiten regelnden Gesetze geltend, „um eine gute Eintracht in der Lehre und den Gebräuchen zu erhalten, auch daß in der Kirche alles richtig und ordentlich geschehen möge“. Der gelehrte Dreier verfaßte gemeinsam mit den von der Stadt verordneten Predigern und Ratsherren eine solche Agende, indem er ihr die braunschweigische Kirchenordnung zugrunde legte. Nachdem Rat und Bürgerschaft sie gebilligt hatten, wurde sie am ersten Sonntag nach Ostern 1532 (7. April) in der Münsterkirche der Gemeinde feierlich vorgetragen und die Feier mit einem Tedeum geschlossen.

Sie ist in niederdeutscher Mundart abgefaßt, was nicht zu verwundern ist, da man damals allgemein nicht bloß Plattdeutsch schrieb und sprach, sondern auch predigte. Ist sie in dieser Gestalt ein Herforder Schrift- und Sprachdenkmal jener Zeit, so steht sie noch höher in der Bedeutsamkeit ihres Inhalts sowohl für die Kulturgeschichte als auch für die Kirchen- und Schulgeschichte