Handbuch der praktischen Genealogie/378

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Handbuch der praktischen Genealogie
Inhalt
Band 2
Tafel: I • II • III • IV • V • VI • VII • VIII • IX • X • XI
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noch weniger finden sie bei der Behandlung der verschiedensten Einzelprobleme Berücksichtigung. Der Soziologe darf nur dann von Einzelgliedern der Gesellschaft, von Einzelmenschen, sprechen, wenn er sich in jedem Augenblicke voll bewußt ist, daß eben diese Einzelwesen nichts anderes sind als die zufälligen gegenwärtigen Repräsentanten ihrer grundsätzlich immer fortdauernden — in Wirklichkeit wenigstens mit Rücksicht auf die Vergangenheit ewigen — Sippe. Wenn Gumplowicz (S. 282) das Individuum als Produkt seiner Gruppe bezeichnet, so hat er grundsätzlich recht, aber er vergißt, daß für die überwiegende Mehrzahl aller Menschen eben durch ihre Familienzugehörigkeit auch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe bestimmt ist und daß eine frühzeitige Verpflanzung einzelner Menschen eine große Ausnahme bildet. So stehen, genau betrachtet, seine Anschauungen mit den hier vorgetragenen nicht in Widerspruch.

Stände und Klassen unter genealogischen Gesichtspunkten.

Als dasjenige, wodurch sich die moderne Gesellschaft, seit etwa 1789, von der früheren unterscheidet, pflegt man die Bildung von Gesellschaftsklassen hinzustellen, während vorher die Gesellschaft in feste Stände gegliedert gewesen sei. Den Unterschied zwischen Stand und Klasse erblickt man darin, daß ersterer zwar anfangs Leute gemeinsamen Berufs zusammenschließe, aber alsbald die Tendenz zeige, diese Berufsgemeinschaft rechtlich abzugrenzen und den einzelnen Menschen auch dann nach Möglichkeit seinem Stande zu erhalten, wenn er einen anderen Beruf ergreift; so hätten die alten Stände — Adel, Bürgertum, Bauerntum — bis über das 18. Jahrh. hinaus ihre Standeseigentümlichkeiten und deren rechtliche Festlegung bewahrt Im Gegensatze dazu kenne die moderne, unter dem Geiste des Liberalismus groß gewordene Gesellschaft Standesvorrechte und eine rechtliche Abgrenzung der Stände überhaupt nicht mehr; an die Stelle der rechtlich anerkannten Gesellschaftsgruppen (Stände) seien viel freiere durch den Beruf, aber noch mehr durch Lebenshaltung und Einkommen, Sitte und sittliche Anschauung zusammengehaltene Klassen getreten.

Diese Lehre enthält zwar manches Wahre, ist aber durchaus nicht unanfechtbar. Vor allem ist es nicht zutreffend, wenn als Ursache für die moderne Klassenbildung vorwiegend wirtschaftliche Dinge angeführt und die geistigen Bindemittel vernachlässigt werden. Die alten Stände waren auch tatsächlich durchaus nicht in dem Maße in sich geschlossen, wie es die Theorie verlangt; auch sie nahmen immer neue Elemente in sich auf, während andre abstarben, und so verringert sich der begriffliche Unterschied zwischen Stand und Klasse. Nur das eine ist richtig, daß die in Deutschland noch um 1800 allgemein gültige rechtliche Umgrenzung der Rechte und Pflichten eines Standes über die Standeszugehörigkeit einer bestimmten Person keinen Zweifel ließ. Aber schon zeigen sich heute die Ansätze einer neuen Standesbildung: die Klasse der Handarbeiter, die irrig noch immer als Proletariat bezeichnet wird, scheidet sich heute schon rechtlich von den höheren Schichten dadurch, daß alle ihre Glieder Anspruch auf Alters- und


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