Handbuch der praktischen Genealogie/396

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Handbuch der praktischen Genealogie
Inhalt
Band 2
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nicht nur statistisch festgestellt wird, wieviel Fälle von Geisteskrankheiten in einer Blutsverwandtschaft vorkommen, sondern daß genau qualitativ untersucht wird, wie das Auftreten der Geisteskrankheit im einzelnen Falle sich erklärt, ob bestimmte exogene Ursachen (Syphilis, Alkohol und sonstige Vergiftungen), ferner im Gebiet der Idiotie, ob im embryonalen Leben oder nach der Geburt erworbene Krankheiten das Wesentliche darstellen, so daß bei dieser Art der Betrachtung die Bedeutung einer Reihe von Einzelfällen sich für die Frage der familiären Heredität wesentlich abschwächt. Ferner ist dabei zu beachten, daß in der Blutsverwandtschaft eines Menschen vielfach Fälle von Geisteskrankheiten vorkommen, die genetisch bei Untersuchung der Ahnentafel und der Seitenlinien gar nicht mit dem betreffenden Fall zusammenhängen, sondern als eingeschleppt durch einheiratende Frauen aufzufassen sind. Jedenfalls muß die bloße statistische Feststellung der relativen Häufigkeit von Geistes- und Nervenkrankheiten in einer Familie, durch qualitative Untersuchung aller erreichbaren Fälle ergänzt und in vielen Fällen korrigiert werden.

Bei der Darstellung der Blutsverwandtschaft oder der Sippschaft kann man sich entweder der Crzellitzer'schen Sippschaftstafeln oder in der Weise, wie ich es in dem Buch über Familienforschung ausgeführt habe, einer Kombination von Ascendenz- und Descendenzschreibung mit eindeutiger Bezeichnung der gemeinten Personen und ihrer Stellung im System der Blutsverwandtschaft bedienen.

Auf die Resultate, die bei dieser psychiatrischen Familienforschung herausgekommen, speziell was das Thema der gleichartigen Belastung, der fortschreitenden Degeneration, der Degeneration durch Blutmischung und andere Themata betrifft, kann hier nicht eingegangen werden, da es sich in diesem Zusammenhang lediglich um die Quellenkunde handelt. —

Anthropologische Auffassung der menschlichen Gesellschaft.

Wer sich in dieser Weise mit psychiatrischer Familienforschung beschäftigt, kommt mit Notwendigkeit zu einer erweiterten anthropologischen Auffassung der menschlichen Gesellschaft. Es ergeben sich, abgesehen von den Vererbungserscheinungen im rein psychiatrischen Gebiet bei der vergleichenden Betrachtung der Mitglieder von einer Blutsverwandtschaft sehr häufig übereinstimmende Züge. Neben den speziellen psychiatrischen Erscheinungen dieser Art gibt es zunächst ein Übergangsgebiet in der Richtung des Nervösen, wobei sich vielfach familiäre Beziehungen und Gruppen ergeben. Es gibt vielfach Familien, in denen Typen von neurologisch bestimmt zu charakterisierender Art, z. B. hysterische, epileptoide, neurasthenische Typen, auffallend oft vorkommen, ohne daß schwere Krankheiten dieser Art vorhanden sind. Der Familientypus zeigt gewissermaßen Anklänge an diese Neurosen ohne ausgebildete Krankheitsformen. Vielfach beobachtet man einen ängstlichen, beeinflußbaren oder jähzornigen Zug mehrfach innerhalb einer Blutsverwandtschaft, auch finden sich in bezug auf Neigung zu Selbstüberschätzung, Mißtrauen, Willensschwäche, Leichtsinn usw. vielfach in einzelnen Familien eine ganze Reihe von übereinstimmenden Fällen.