Gilge (Ort)
Hierarchie
- Regional > Kaliningrader Oblast > Gilge
- Regional > Historisches Territorium > Deutschland 1871-1918 > Königreich Preußen > Ostpreußen > Kreis Labiau > Gilge
Einleitung
Das größte und schönste Dorf der Niederung am Haff schmiegt sich an beide Ufer des gemächlich dahinfließenden Gilgestroms, heute Kanal Matrosowskij (Канал Матросовский)genannt, und bietet Bilder wie aus der Zeit gefallen. Zwar ist die Kirche verschwunden, doch die alten, zum Teil an litauische Bautradition erinnernden Holz- und Backsteinhäuser der Gilger Fischer stehen fast unverändert an den Ufern des Flusses, manches Haus umgibt ein Geflecht aus verwitterten Netzen und üppigwilder Blumenpracht. [1]
Name
Gilge, russisch Matrossowo / Матросово (Matrosendorf), Kreis Labiau, Ostpreußen.
Der Ortsname bezieht sich auf die Gilge.
- prußisch "gilus, gilin, gillis" = tief
- nehrungs-kurisch und lettisch „dzilš“ = tief
- „dzilume juoame“ = die Tiefe zwischen zwei Sandbänken
- litauisch "gilyn" = weiter hinein, in größere Tiefe
- „gilme“ = Tiefe
Wappen
Kurenwimpel: Farben weiß-rot: rotes Kreuz auf weißem Grund
Allgemeine Informationen
Gilge war eins der typischen Haff-Fischerdörfer. Die regelmäßigen Herbst- und Frühjahrsüberschwemmungen machten das Land fruchtbar. Der schwarze Schwemmlandboden eignete sich besonders für den Gemüseanbau und deshalb war Gilge bekannt für seine guten Zwiebeln und Gurken, die auf Hochbeeten wuchsen und mit Kähnen an die Märkte in Königsberg, Labiau und Tilsit geliefert wurden. Erwerbsbasis war jedoch die Fischerei, denn das Kurische Haff galt bis zur Vertreibung der angestammten Einwohner als das fischreichste Gewässer Deutschlands.
Der Verkehr im Niederungsdorf Gilge spielte sich größtenteils auf den Wasserstraßen und auf dem Haff ab. Erst 1927 erhielt Gilge eine feste Straßenverbindung nach Elchwerder (ab 1938 Nemonien). Gilge und auch Nemonien waren nicht nur wohlhabende Fischerdörfer, sondern auch beliebte Ausflugsziele wegen ihrer malerischen Dorfkulisse. Die Gasthäuser Adomeit in Gilge und Elchkrug in Nemonien waren legendär und weit über die Grenzen des Kreises bekannt. Der Heimatdichter Leo Guttmann stammte aus Gilge.
Politische Einteilung
Gilge gehörte vor dem Krieg zum Kreis Labiau, Reg.-Bez. Königsberg, Ostpreußen.
Heute gehört Gilge zum Rajon Slawsk (Heinrichswalde).
Kirchliche Zugehörigkeit
Evangelische Kirche
Kirchengebäude
Die erste Kirche war ein Fachwerkbau, hatte weißes Gestühl, einen Taufengel und viele Figuren auf dem Gottestisch. Die neue Kirche wurde 1840 aus Ziegeln im neugotischen Stil erbaut, sie hatte keinen Turm und nur eine Glocke, die zweite ruhte auf dem Grund des Haffes.
Nach alten Chroniken waren für die im Bau befindliche Kirche ursprünglich zwei Glocken vorgesehen. Bei dem Transport dieser Glocken per Schiff über das Haff gerieten die Männer in einem Sturm. Um nicht zu kentern, wurde eine Glocke ins Wasser geworfen, dabei ertrank auch einer der Männer. Er wurde später geborgen und an der Kirche begraben. Das Innere der neuen Kirche machte fast einen nüchternen Eindruck. Emporen liefen rings herum, außer an der Ostwand. In der Altarnische stand ein Kanzelaltar, der noch einige Holzfiguren aus der ersten Gilger Kirche besaß.
Die Kirche blieb im Krieg unversehrt, sogar die Orgel spielte 1948 noch. Auf höheren Befehl wurde Anfang der 50er Jahre begonnen, die Kirche abzureißen, um die Backsteine für den Bau von Speichern zu gewinnen. Diese entstanden jedoch nicht. Die Steine nahm, wer sie brauchte. 1996 waren nur noch die Ostwand und der Chor übrig.
Kirchspiel Gilge
„Das Kirchspiel Gilge war das nördlichste des Kreises Labiau Bis 1710 mußten die Gilger über das Kurische Haff nach Labiau zur Kirche fahren.
1939 gehörten zum Kirchspiel Gilge die Gemeinden Gilge, Elchwerder (Nemonien), Marienbuch, Forstgutbezirk Tawellenbuch (Tawellninken). In früheren Zeiten gehörten auch noch die Orte Lauknen (Hohenbruch, seit 1856 eigenständiges Kirchspiel), Petrikken, Szetrikken, Schenkendorf, Heidendorf, Juwent zum Kirchspiel Gilge." [3]
Katholische Kirche
Gilge gehörte zur katholischen Kirchengemeinde Labiau.
Die Heilige Messe wurde in Labiau in einer Kapelle in der Friedrichstraße gefeiert.
- 1939 gab es im Landkreis Labiau 595 Katholiken. [4]
Geschichte
Der Ort Gilge an der Einmündung der Gilge in das Kurische Haff wurde 1497 gegründet, als man dem Markt- und Viehhändler Georg Weyse das Privileg einräumte, in Gilge einen Krug zu errichten (außerdem einen in Wiepe), und feierte 1997 sein 500jähriges Bestehen mit einem großen deutsch-russischen Fest vor Ort. Während Wiepe wieder verschwand, entwickelte sich Gilge zu einem lokalen Zentrum und Umschlagplatz. Es gab eine Bierbrauerei und eine Schnapsbrennerei im Krug. Nach 1500 siedelten sich hier so viele Litauer an, dass man im 16. Jh. durchweg litauisch sprach, was sich aber bis ins 19. Jh. langsam wieder verlor. Deutsch war immer wenigstens Amtssprache, aber die Sprache der Bevölkerung - der Handwerker, Kaufleute und Bauern - war das Kreis-Labiauer-Platt.
Im Jahr 1679 hielt sich der Große Kurfürst im Amtskrug in Gilge-Nord auf und erhielt hier die Nachricht vom Sieg seiner Truppen über die Schweden.
Das Dorf entwickelte sich von 284 Einwohnern im Jahr 1820 bis auf 1.154 Einwohner im Jahr 1939. Während des 1. Weltkriegs blieb Gilge von militärischen Aktionen verschont. Nach dem 1. Weltkrieg, insbesondere nach der Okkupation des Memelgebietes durch Litauen, wurde es Zollgrenzbezirk.
Am 19.01.1945 wurde Gilge geräumt, am 21.01. von sowjetischen Truppen besetzt, 1948 die verbliebenen Deutschen ausgewiesen. [6]
Ortsbeschreibung
Lage
Es gab die Ortsteile Gilge Nord und Gilge Süd. Beide verfügten über ein zweiklassiges Schulgebäude. Das 1935 gebaute Schulhaus in Gilge-Nord ist verschwunden, Die Schule in Gilge-Süd ist noch vorhanden. Der letzte Schulleiter von Gilge-Süd, Hauptlehrer Leo Guttmann (6. 4. 1885 – 25. 8. 1966) war ein regional bekannter plattdeutscher Heimatdichter. [6]
Die Gilge
Wenige Kilometer hinter Tilsit verliert die Memel (russisch: Neman, litauisch: Namunas) ihren Namen: die Hauptarme ihres Deltas heißen nun Ruß und Gilge. Etwa 20 % des Memelwassers fließt durch die Gilge ab. Sie ist 45 km lang und etwa 45 Meter breit, entlang ihres Laufs fast ganz kanalisiert und heißt die Neue Gilge. Die Alte Gilge ist bis auf einige Wassersammelstellen weitgehend verlandet. Der erste Ausbau der Gilge von Sköpen bis Seckenburg wurde bereits 1613 – 1616 unter einem Grafen Keyserlingk vorgenommen. Der Fluss durchquert die Elchniederung und fließt dann ins Kurische Haff. Ein kompliziertes Entwässerungssystem machte die ganze Gegend gleichzeitig landwirtschaftlich nutzbar. [6]
Landschaft der Eichniederung
„Elchniederung“ nannte man einst die von tiefen Moorwäldern und Erlenbrüchen, Flüssen, Kanälen und sumpfigen Wiesen geprägte Landschaft am Ostufer des Kurischen Haffs. Die sprichwörtliche Weite scheint hier, zwischen dem Delta der Memel und den Niedermooren längs der Haffküste, noch schwereloser, der Himmel noch höher als irgendwo sonst im alten Ostpreußen.
Die Elchniederung war eine archaische, geheimnisumwitterte, stille, schwer zugängliche Landschaft mit Moorkolonien, deren Bewohner vor allem auf dem Wasserweg verkehrten: Straßen führten durch die Moorwälder nur wenige, der erste befestigte Weg entstand überhaupt erst im Jahr 1867. Vor allem in den urwüchsigsten Teilen der Niederung, den „Elchwäldern“ Ibenhorst und Tawellenbruch und im „Großen Moosbruch“, lebten kaum Menschen.
Die Versuche, dieses schwimmende Land zu kultivieren, reichen bis in das Mittelalter zurück. Doch lange schlugen sie fehl, aus der Ordenszeit sind nur Urkunden überliefert, die Fischereirechte für die Flüsse der Niederung regeln. Die älteste Siedlung (Alt Heidlauken) in der Elchniederung wurde erst 1756 gegründet. In den Moorkolonien lebten von Anfang an viele Litauer, die oft ihre heidnischen Bräuche mitbrachten. Nach und nach entstanden auf erhöhten diluvialen „Inseln“ Dörfer wie Lauknen und Groß Friedrichsdorf.
Das Leben in der entlegenen, schwer erreichbaren, in harten Wintern oder bei Hochwasser wochenlang von Außenwelt abgeschnittenen Elchniederung war hart und rückständig, und besonders in den Moorkolonien war man den Unbilden der Natur, vor allem dem gefürchteten Überflutungen im Herbst und Frühling, schutzlos ausgeliefert. Erst allmählich gelang in mühsamer Arbeit die Kultivierung dieser Landschaft, Gräben, Schöpfwerke und Vorfluter ließen Landwirtschaft zu.
Die Niederunger lebten vor allem vom Gemüseanbau, die „blaue Kartoffel“ aus dem Moosbruch, so genannt wegen ihrer im sauren Moorboden bläulich gefärbten Schale, avancierte in den 1920er Jahren zur Spezialität in feinen Königsberger und Berliner Restaurants. In den 1930er Jahren nahm die Entwässerung der Moore dann allerdings Dimensionen an, die die unikale Flora und Fauna zu bedrohen begannen. Vor allem die großangelegten Lager des Reichsarbeitsdienstes und zu Meliorationsarbeiten im Moor bei Lauken (heute Gromowo) zusammengepferchte Gefangene und später sogar KZ-Häftlinge legten große Areale des Moosbruchs trocken. [1]
Heutige Situation
Das Dorf Gilge
Die Orte Gilge und Nemonien existieren auch heute noch. Die Dörfer heißen jetzt Matrosowo (Матросово) und Golowkino (Головкино) und liegen im Rayon Slawsk (Heinrichswalde) im Königsberger Gebiet.
Nach Gilge (Matrosowo) kommt man von Labiau (Polessk) aus: Eine schmale Asphaltstraße führt 25 km am malerischen Großen Friedrichsgraben entlang bis in das alte Niederungsdorf Nemonien (ab 1938 Elchwerder, heute Golowkino). Dort ist eine Pontonbrücke zu überqueren, danach sind es nur noch drei Kilometer auf einer Birkenallee am Rand eines urwaldhaften Erlenbruchs entlang bis Gilge. [1]
Anfang der 1990er Jahre ließen sich etliche russlanddeutsche Familien aus Kasachstan in Gilge nieder. Eine von ihnen, Elena Sokolowa, geb. Ehrlich, baute hier die verkommene Ruine des alten Hotels Adomeit zu einer kleinen Pension aus und eröffnete das weit über Gilge hinaus bekannte Café Ehrlich. Nach einem Bericht von Renate Marsch-Potocka von 1998 hatte Elena Sokolowa die Absicht, das von ihr fünf Jahre zuvor eingerichtete Café wieder aufzugeben und nach Westdeutschland zu übersiedeln, denn von Ruhm allein könne man nicht leben. Dann gäbe es nur noch fünf russlanddeutsche Familien in Gilge.
Inzwischen – 2010 - hat sich das Blatt gewandelt. Frau Ehrlich ist unverändert eine erfolgreiche und selbstsichere, aber auch freundliche Gastronomin, die sich über jeden Besucher freut.
Das Dorf Gilge (Matrosowo) hat in der jetzigen Zeit rd. 300 Einwohner, die früher im Fischereikolchos arbeiteten. Das Kulturhaus ist geschlossen. Die Kinder gehen in Nemonien (ab 1938 Elchwerder, russ. Golowkino) zur Schule. Das ehemalige Pfarrhaus in Gilge ist jetzt Hotel. [6]
Kulturlandschaft Elchniederung
Als Kulturlandschaft ist die „Elchniederung“ Geschichte. Mit dem Bevölkerungsaustausch nach dem Krieg rissen nicht nur Bräuche und Traditionen, sondern auch der „Wissenstransfer“ ab. Entsprechend gründlich scheiterten die sowjetischen Agrarstrategen. Ihre tonnenschweren Traktoren zerwalzten die Drainagen, niemand scherte sich um Gräben und Schöpfwerke, das in Generationen ausgeklügelte Entwässerungsystem brach zusammen.
Seither hat der Mensch den Rückzug angetreten. Sussemilken, Franzrode, Karlsrode, Tunnischken und wie die Moorkolonien alle hießen: verschwunden. Viele der alten Nehrungsdörfer auch. Das Land sinkt unaufhaltsam in seinen Urzustand zurück, die Moore wachsen wieder. Auch das Tier, das der Niederung seinen Namen gab, fühlt sich hier sehr zu Hause: Etwa 150 Elche leben zwischen Memel und Haff. [1]
Verschiedenes
Karten
Daten aus dem genealogischen Ortsverzeichnis
<gov>GILLGEKO05OA</gov>
Quellen
- ↑ 1,0 1,1 1,2 1,3 Text übernommen von cranzwestend.de
- ↑ Originaltext zum Bild: Die besten Zwiebeln kommen aus der Memelniederung. In Gilge beginnt jetzt das Ernten, Verputzen, Sortieren und Trocknen der Zwiebeln.
Die Bauersfrau geht barfuß, das war im Sommer auf dem Lande in Ostpreussen allgemein üblich. Foto 30er Jahre. - ↑ Aus dem Heimatbuch „Der Kreis Labiau“ von Rudolf Grenz
- ↑ Quelle: verwaltungsgeschichte.de
- ↑ Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg, Preußen, 1647
- ↑ 6,0 6,1 6,2 6,3 Text übernommen von ostpreussen.net