Kirchenkreis Striegau: Unterschied zwischen den Versionen
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Aktuelle Version vom 13. April 2020, 19:47 Uhr
Der Kreis Striegau gehörte von 1741—1815 zum „Schweidnitzer Inspektionskreis“; von 1815—1833 unterstand er der „Jauerschen“ Superintendentur. Vom l. November 1833 ab bildete er mit Waldenburg zusammen den Kirchenkreis Striegau-Waldenburg. Der erste Superintendent des neuen Kirchenkreises war Pastor prim. Thilo, Striegau. Er verwaltete den Kirchenkreis bis zu seinem Tode 1848. Seine Nachfolger in der Superintendentur waren Pastor Stubenrauch, Gottesberg, von 1848—63 und Pastor prim. Bäck, Striegau, von 1863—85. Der damals einsetzende Aufschwung der Industrie und die große räumliche Ausdehnung des Kirchenkreises führten zu einer Trennung. Am 1. Oktober 1871 wurde Striegau von Waldenburg losgelöst und zum selbständigen Kirchenkreis. Aus der bisherigen Diözese Striegau-Waldenburg wurden folgende Gemeinden übernommen: Gäbersdorf, Großrosen, Gutschdorf, Jerschendorf, Metschkau, Ölse und Striegau. Dazu kamen aus der Diözese Schweidnitz-Reichenbach die Gemeinden Freiburg, Konradswaldau und Peterwitz. Die Gemeinde Puschkau wurde erst im Jahre 1892 gegründet (aus Teilen der Parochien Striegau und Peterwitz). Von den genannten Kirchengemeinden schied im Jahre 1929 die pfarramtlich mit Metschkau verbundene kleine Kirchengemeinde Jer-schendorf (451 Seelen) aus. Sie wurde mit dem näherliegenden Pirschen verbunden und ging damit in den Kirchenkreis Neumarkt über.
So umfaßt der Kirchenkreis Striegau zur Zeit 10 Kirchengemeinden. Nachfolger des Superintendenten Bäck wurde im Jahre 1885 Pastor Wiese, Konradswaldau. Er starb im Jahre 1902. Von 1902—1912 verwaltete Pastor Peisker, Gutschdorf, den Kirchenkreis. Er ging 1912 nach Schweidnitz in den Ruhestand und blieb dort bis zu seinem Tode. Sein Nachfolger war Pastor Klämbt in Puschkau bis zu seiner im Jahre 1925 erfolgten Pensionierung. Er lebt heute noch im Ruhestande in Breslau. Am l.5.1925 übernahm Pastor prim. Göhler, Striegau, die Superintendentur.
Folgende neuen Pfarrstellen wurden in den letzten Jahren gegründet: die dritte Pfarrstelle in Striegau 1910, die dritte Pfarrstelle in Freiburg 1912, die zweite Pfarrstelle in der Gemeinde Peterwitz 1925 mit dem Sitz in Saarau, so daß jetzt 15 Pfarrstellen zum Kirchenkreis gehören. Dazu kommen die Leiter der beiden großen Anstalten der Inneren Mission im Kirchenkreis, so daß 17 Pfarrer im Kirchenkreis wirken. Ein Vikariat besteht seit 1925 in Stanowitz, Parochie Striegau. Neue Gotteshäuser entstanden in Saarau und Stanowitz. (Vergleiche dazu die Berichte der Gemeinden.) Das Marienhaus in Saarau ging 1926 als Bethaus in den Besitz der Kirchengemeinde über. Die beiden schon genannten großen Anstalten der Inneren Mission: das Frauenfürsorgeheim des Provinzialvereins für Innere Mission in Freiburg, Leiter Pastor Kilger, und das Martinshaus in Kleinrosen, Parochie Großrosen, Leiter Sup. a. D. Jenetzky, vertreten durch den Vorstand des „Evangelischen Erziehungsvereins zu Großrosen“ (vgl. die Berichte der beiden Anstaltsleiter), sind besonders noch deswegen zu erwähnen, weil von ihnen auch auf den Kirchenkreis viel Anregung und Segen ausgegangen ist, wofür wir nicht dankbar genug sein können. Sie sind uns und unseren Gemeinden das beste Anschauungsmaterial für die aus dem Evangelium geborene Tat der christlichen Liebe.
Der Kirchenkreis Striegau hat nach der Volkszählung von 1925 eine Bevölkerungszahl von 69 820; davon sind 47 335 evangelisch, das Sind 2/3. Er steht somit nach seiner Seelenzahl unter den Kirchen-kreisen des Sprengels Breslau-Oppeln nach Breslau-Stadt, Waldenburg, Schweidnitz-Reichenbach und Brieg an 5. Stelle und in der Kirchenprovinz Schlesien an 11. Stelle. Die Bevölkerungsdichte läßt sich auch daraus erkennen, daß der politische Kreis Striegau in der Provinz Niederschlesien an 4. Stelle, in ganz Schlesien an 5. Stelle steht. Das hat seinen Grund darin, daß neben einer hochentwickelten Landwirtschaft zahlreiche Industriebetriebe vorhanden sind. Die größte Bedeutung nimmt die Steinindustrie ein. Im politischen Kreis Striegau gibt es 28 Granitbrüche und einen Basaltbruch. 4300 Arbeiter verdienten sich früher in diesen Betrieben ihr Brot; jetzt sind sie still und tot.
Zuckerfabriken sind vorhanden in Gräben, Gutschdorf und Puschkau; Tongruben bei Beckern, Järischau und Rauske. In der Stadt Striegau finden wir Holzindustrie (Möbelfabrik), Papierindustrie, Zigarrenfabriken, eine Strumpffabrik, eine Malzfabrik und die Striegauer Mühlenwerke; in Stanowitz eine Porzellanfabrik. Freiburg zeichnete Sich aus durch seine Uhren- und Leinenindustrie. In Saarau ist die Schamotte- und die chemische Industrie zu nennen, sowie ein modernes Mühlenwerk. Infolge der wirtschaftlichen Notlage sind leider viele industrielle Betriebe eingegangen, unter anderen die große Bürstenfabrik in Striegau, eine der größten auf dem Festlande, die zeitweise 1200 Arbeiter beschäftigte; die Koffer- und Peitschenfabrik, eine landwirtschaftliche Maschinenfabrik und andere.
Die Uhren- und Leinenindustrie in Freiburg liegt völlig danieder, In Saarau ist u. a. die große Maschinenfabrik der Firma C. Kulmiz stillgelegt worden. Die Steinbrüche liegen völlig danieder, die Landwirtschaft kämpft trotz der Güte des Bodens um ihre Existenz. Infolgedessen herrscht im Kirchenkreis eine katastrophale Arbeitslosigkeit und dadurch viel Not. Es kamen laut Statistik am l.3.1932 auf 1000 Einwohner an Hauptunterstützungs-, Arbeitslosenunterstützungs-, Krisenunter-stützungs- und Wohlfahrtsunterstützungsempfängern für die Stadt Beuthen O.S. 80,5, für Liegnitz 125,6, für Brieg 126,6, für Grünberg 131,2, für Breslau 133,9, für Striegau sogar 193,4. In Freiburg wird es nicht viel anders sein.
Demgegenüber ist aber ein großer Eifer festzustellen, die Not zu lindern. Auch die evangelischen Gemeinden kämpfen entschlossen gegen diese große Not, besonders die 23 in einem Kreisverband zusammengeschlossenen Frauenhilfen mit ihren etwa 3000 Mitgliedern.
Die kirchliche Wohlfahrtsarbeit ist organisiert: 1. im Evangelischen Kreiswohlfahrtsdienst in Striegau, der eine hauptamtliche Fürsorgerin und eine Hilfskraft beschäftigt, und 2. im Evangelischen Wohlfahrtsdienst in Freiburg (Unterabteilung des Schweidnitzer Kreiswohlfahrtsdienstes); Helfer ist hier der Freiburger Diakon (Johannesstift), der daneben Jugendarbeit treibt.
Aus dem starken Einschlag von Industriebevölkerung in fast allen Gemeinden des Kirchenkreises — nur Ölse und Metschkau, höchstens noch Gäbersdorf, sind als Landgemeinden zu bezeichnen, obwohl auch dort viele Industriearbeiter wohnen — ergibt sich angesichts der heutigen Weltanschauungskämpfe von selbst, daß es in kei-ner Gemeinde an Kampf und Arbeit fehlt. Einzelne Gemeinden sind sogar besonders damit gesegnet. Das weckt aber auch erfreuliches Leben und Glaubenstreue und zwingt zur Besinnung.
In allen größeren Gemeinden ist eine starke Propaganda der Freidenker festzustellen, welche teilweise auch Erfolge zeitigte, besonders u. a. im Jahre 1920; 1/4 bis 1/3 der Ausgetretenen sind jedoch wieder zur Kirche zuückgetreten. An vielen Orten bestehen „Freie Elternvereinigungen“ — besonders in der Kirchengemeinde Striegau — und werben für die Abmeldung vom Religionsunterricht. Weltliche Schulen bestehen in Striegau, Gräben und Häslicht. Die Freiburger „Weltliche Schule“ ist zwar eingegangen, aber nur durch einen Konflikt zwischen Elternschaft und Lehrerschaft, weil die Lehrerschaft den Eltern nicht radikal genug war. Folgende Sekten arbeiten im Kirchenkreis, und zwar besonders in Striegau und Freiburg Ernste Bibelforscher, Adventisten, Weißen-berger, Gesundbeter, Anthroposophen, Loge Tanatra u. a.
Es ist hocherfreulich und überrascht uns immer wieder, daß alle diese Gegenarbeit bisher größere Erfolge nicht erzielte. Sie hat in den Kirchengemeinden das Gegenteil von dem bewirkt, was sie wollte; sie hat die Gemeindeglieder zu treuerer Mitarbeit aufgemuntert. Selbstverständlich ist auch über viel Gleichgültigkeit zu klagen; an ihrer Überwindung wird aber tapfer gearbeitet. In sämtlichen Gemeinden bestehen Diakonissenstationen und Kleinkinderschulen, in manchen sogar mehrere. 89 Schwestern stehen bei uns in der Arbeit. Davon stellt allein das Frankensteiner Mutter-haus 55, Bethesda Grünberg 15. Die übrigen verteilen sich auf die Mutterhäuser Lehmgruben-Breslau (5), Ev. Frauenhilfe (l), Innere Mission Spandau (l), Niesky (5), Mertschütz (2); dazu kommen 5 Johanniterschwestern. Etwa viermal im Jahre finden Schwesterntagungen des Kirchenkreises statt.
Außer in Freiburg arbeitet auch in Striegau ein Diakon (Zoar-Rothenburg), er treibt Gemeinde- und Jugendpflege und ist zugleich Leiter der Posaunensache im Kirchenkreise Striegau. Die Striegauer Jugendpflegerin arbeitet zugleich im Büro der Superintendentur.
Die männliche und weibliche Jugend ist in Kreisverbänden zusammengeschlossen. Für die Gustav-Adolf-Arbeit besteht ein Kreis-verein; außerdem ein besonderer Verein in Freiburg.
Als besonders erfreulich ist noch die Arbeit für die „Äußere Mission“ im Kirchenkreis zu erwähnen. Sie besitzt in unserem Kirchenkreise einige Stätten mit besonders treuen und gebefreudigen Freunden; in allen Gemeinden wird für sie geworben, und zwar mit im ganzen wachsendem Erfolge. In den Jahren nach der Geldentwertung stiegen die Missionsgaben von rund 5700 RM. (12 Pf. auf den Kopf) im Jahre 1924 auf rund 8700 RM. (18 Pf. auf den Kopf) im Jahre 1929. Leider brachten die letzten Jahre einen Rückgang, der aber in dem verhängnisvollen wirtschaftlichen Rückgang in allen Teilen des Kirchenkreises seine traurige Begründung findet.
Wichtig für die Werbung immer neuer Missionsfreunde waren besonders die in mehreren Gemeinden eingeführten jährlichen Missi-onsfeste, die Verteilung von Dankopferbüchsen, die Besuche von Missionaren und anderen Vertretern der Missionsgesellschaften, die Werbung in Kindergottesdiensten, Vereinen und unter den Konfir-manden. Die engsten Beziehungen bestehen zur Berliner Mission, daneben besonders zur Bethelmission und zum Syrischen Waisenhaus. Seit reichlich einem Jahre hat die Berliner Mission die Puntigemeinde Sanwui in Südchina unserem Kirchenkreise als „Patenkind“ übergeben. Es ist zu hoffen, daß sich daraus im Laufe der Zeit enge und lebendige Beziehungen ergeben werden, die mithelfen, die Liebe und den Opfersinn für dieses Werk immer neu zu wecken und zu stärken. Zur Belebung der Gemeinde trägt auch die in den meisten Gemeinden vorhandene starke konfessionelle Mischung viel bei. Die „Katholische Aktion“ ist sehr zu Spüren; sie hat in Striegau im Streit um das städtische „Bürgerheim“ zu einem schweren Konflikt geführt. Durch einen einfachen Gewaltakt wurden 1931 die seit 25 Jahren dort tätigen Frankensteiner Diakonissen verdrängt und durch „Graue Schwestern“ ersetzt, trotzdem von 22 Insassen 18 evangelisch sind. An einzelnen Orten leistet der Evangelische Bund wertvolle Gegenarbeit (z. B. in Saarau, Freiburg und Metschkau).
In Striegau befindet sich seit 1928 im ehemaligen Kloster der Benediktinerinnen (früher Strafanstalt) eine katholische Ordensniederlassung, die Missionsgesellschaft der „Oblaten“. In dem Gebäude, das dem Orden auf 99 Jahre kostenlos überlassen ist, baut er ein humanistisches Gymnasium mit Internat auf. Katholische Pfarrämter befinden sich an folgenden Orten: Beckern, Bertholdsdorf und Peicherwitz (Sämtlich in der Parochie Gäbersdorf), Jngramsdorf (Parochie Konradswaldau), Ossig (Parochie Metschkau), Järischau (Parochie Striegau), Saarau (Parochie Peterwitz) und in den evangelischen Pfarrorten Freiburg, Großrosen, Ölse, Puschkau und Striegau. Das sind im ganzen 12 katholische Pfarrämter! Der zur Verfügung stehende Raum zwingt, den Bericht abzubrechen. Er hat seinen Zweck erfüllt, wenn er einen Eindruck von den allgemeinen und kirchlichen Verhältnissen des Kirchenkreises Striegau gegeben hat, besonders aber von den Schwierigkeiten und Kämpfen, die hart und schwer sind, aber auch von dem hoffnungsvollen Arbeiten und Leben in den Kirchengemeinden. Uns Pfarrern, die wir hier arbeiten, geht es so, daß wir trotz allem, was sich entgegenstellte, immer wieder erquickt und gestärkt werden durch die Erfahrung wunderbarer göttlicher Durchhilfe und hocherfreuliche Äußerungen lebendigen Glaubens.
Wer hier wirklich in der Arbeit steht, der hängt von Jahr zu Jahr immer fester an seiner Gemeinde. Will er hier etwas schaffen, so muß er seine ganze Kraft und sein ganzes Herz hingeben, und das bindet fest zusammen. Möge Gott die schwache Kraft aller treuen Mitarbeiter und Mitstreiter weiter segnen und den Gemeinden des Kirchenkreises Striegau helfen, daß sie nicht nur ihren Bestand erhalten, sondern wachsen und zunehmen, innerlich und äußerlich, nach der Mahnung des Apostels Petrus (2. Petri 3, 18): „Wachset in der Gnade unseres Herrn Jesu Christi! Dem sei Ehre in alle Ewigkeit!“
Göhler.
Quelle: "Kirchenkreis Striegau in Geschichte und Gegenwart. Festschrift zur General-Kirchenvisitation 1932" Herausgegeben von Pastor P. Hechler, Saarau i. Schl.