Goethe als Genealog (Kekule von Stradonitz)/E-Book: Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 20. März 2011, 21:34 Uhr
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Goethe als Genealog (Kekule von Stradonitz) | |
Autor(en): | Stephan Kekule von Stradonitz |
Titel: | Goethe als Genealog |
Untertitel: | Vortrag, gehalten in Goethes Jubeljahr, zum dreißigjährigen Stiftungsfest des Vereins „Herold“ am 3. November 1899 |
Verlag: | J. A. Stargardt |
Ort: | Berlin |
Jahr: | 1900 |
Beilage(n): | 2 Tafeln |
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Goethe als Genealog.
Vortrag, gehalten in Goethes Jubeljahr, zum dreißigjährigen Stiftungsfest des Vereins „Herold“ am 3. November 1899
Dr. jur. utr. et. phil.
J. A. Stargardt.
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Goethe als Genealog. Von Stephan Kekule von Stradonitz.
Sonderabdruck aus „Der Deutsche Herold“. 1900. Nr. 2.
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Geschichte wenigstens nicht mehr streitig macht, erscheinen, fände sich nicht bei Goethe hier und da eine Spur, daß er an diesen Dingen nicht achtlos vorübergegangen ist, so fern sie ihm auch gelegen haben mögen. Wer hinsichtlich der Wappenkunde aber mehr als Spuren[1] finden zu können vermeinte, würde sich einer Täuschung hingeben. Man übersehe nicht: die Zeit, in der Goethe lebte, wirkte und dachte, war für die Heraldik die Zeit des größten Verfalls. Daß ihn diese Heraldik nicht anzog, kann nicht wundernehmen. Eine Persönlichkeit von so hervorragend künstlerischem Empfinden konnte von der Heraldik jener Zeit nur abgestoßen werden. Und in der Stadt Italiens, in der er Gelegenheit gehabt hätte, gute, ausgezeichnete heraldische Werke der besten Zeit kennen zu lernen, dem ewig schönen Florenz, hat er nur flüchtig geweilt. Anders liegt es hinsichtlich der Genealogie. Die Genealogie hatte zu Goethes Zeit die Epoche ihres größten Verfalls, die Zeit, in der der Spruch aufkommen konnte „mentir comme un généalogiste“, längst hinter sich. Schon ein Jahrhundert vor Goethe war die Genealogie, immer in ihrer beschränkten Auffassung als Hülfswissenschaft der Geschichte, doch zur Wissenschaft geworden. Schon ein Rittershusius (Nikolaus, gest. 1670) hatte es erkannt, daß es eine Genealogie nur auf Grund unanfechtbarer urkundlicher Beweise giebt, schon besaß die deutsche genealogische Litteratur des großen Huebner (gest. 1731) gewaltiges Werk. In das Jahr 1768 fällt das, wie Lorenz sagt, „lange unentbehrlichste (5 ≡)
und benützteste Hilfsmittel des historischen Unterrichts“: Johann Stephan Pütters „Tabulae genealogicae ad illustrandam historiam imperii“ und in das Jahr 1788 endlich, also in Goethes Mannesalter, das erste, und bis in die letzten Jahre einzige, systematische Lehrbuch der Genealogie in der Weltlitteratur: Gatterers „Abriß“. Die Methode, kurz ausgedrückt, die Staatengeschichte genealogisch zu erläutern, war Goethe somit unzweifelhaft geläufig. Einen interessanten Beleg für diese meine Behauptung bietet die „Stammtafel des Hauses Medicis“, welche sich in den neueren Ausgaben der Werke Goethes im „Anhang zur Lebensbeschreibung des Benvenuto Cellini, bezüglich auf Sitten, Kunst und Technik“ findet. (Vgl. die Tafel.) Ich darf wohl als bekannt voraussetzen, daß der Goethesche „Benvenuto Cellini“ eine Uebersetzung ist. Dieser liegt zu Grunde die „Vita di Benvenuto Cellini orefice e scultore Fiorentino, da lui medessio scritta … dedicata all'Eccellenza di Mylord Riccardo Boyle … In Colonia, Per Pietro Martello“. Goethe sagt von dieser Ausgabe selbst, der Druckort „Cöln“ sei ein „geheuchelter“, wahrscheinlich sei sie in Florenz um 1730 herausgekommen. Das von Goethe benutzte Exemplar dieser Ausgabe ist erhalten. Es befindet sich jetzt im Goethe-National-Museum zu Weimar. Vorn eingeklebt ist die „Stammtafel des Hauses Medicis“, von Goethes Hand, in, dem Wesentlichen nach, derselben Gestalt, in der sie Goethe später seinem Benvenuto Cellini beigab. Es ist daraus ersichtlich, daß Goethe die Stammtafel ursprünglich zu eigenem Gebrauche gefertigt und zum besseren Verständniß der Lebensgeschichte des Benvenuto Cellini in sein italienisches Exemplar dieser Lebensgeschichte eingeklebt hat. (6 ≡)
Die Goethesche Bearbeitung der Cellinischen Selbstbiographie ist zuerst erschienen in den „Horen“, jener von Schiller in den Jahren 1795 bis 1797 herausgegebenen Zeitschrift. Hier ist auch die Stammtafel zum ersten Male veröffentlicht. Goethe gab sie dem siebenten Stück im Jahrgang 1796 bei[GWR 1]. Er schreibt darüber an Schiller:
Goethe kennzeichnet also selbst den von ihm gefertigten Stammbaum als einen Stammtafelauszug, um mich desjenigen Ausdrucks zu bedienen, den ich seiner Zeit für solche Stammtafeln vorgeschlagen habe, die bestimmten Zwecken dienen sollen und auf denen deshalb alle für den betreffenden Zweck unwesentlichen Personen weggelassen worden sind. Goethe hat mit voller Absicht nur diejenigen Glieder des Geschlechtes aufgenommen, welche in der Lebensbeschreibung Cellinis vorkommen. Später gab er dann die Lebensgeschichte Cellinis als selbstständiges Werk heraus. Sie ist erschienen unter dem Titel: „Leben des Benvenuto Cellini, Florentinischen Goldschmieds und Blidhauers, von ihm selbst geschrieben. Uebersetzt und mit einem Anhange herausgegeben von Goethe. Tübingen. Im Verlage der J. G. Cotta‘schen Buchhandlung. 1803.“ Zwei Bände. Hier ist nun auch zum ersten Male der „Anhang“ veröffentlicht, dessen genauen Titel ich bereits oben mitgetheilt habe. Er stellt sich, wie Goethe, im Vorwort dazu, selbst sagt, dar als eine skizzenhafte, aphoristische und fragmentarische Nachschrift, die „den (7 ≡)
Leser zu einem lebhafteren Anschauen der Zeitumstände führen soll“. Hier hinein ist nunmehr durchaus sachgemäß die „Stammtafel des Hauses Medicis“ verwiesen. Sie bildet im Anhang den eilften Abschnitt und schließt sich somit unmittelbar an die „Flüchtige Schilderung florentinischer Zustände“ an.[2] Ueber die Stammtafel selbst ist nicht viel zu sagen. Sie ist angeordnet ganz in derjenigen Weise, in welcher gewöhnlich die Abstammung von einem Stammvater dargestellt zu werden pflegt. Sie beginnt mit Johann (geb. 1360; gest. 1428) und enthält seine sämmtlichen Nachkommen, soweit sie von Cellini erwähnt werden, bis auf die, durch die Pariser Bluthochzeit berüchtigte Katharina und ihren Halbbruder Alexander, den ersten Herzog (geb. 1510; gest. 1537). Bei letzterem ist die Bemerkung Goethes erwähnenswerth, daß es „ungewiß ist, ob er ein Sohn Lorenzens, Herzogs von Urbino, oder Clemens VII. gewesen.“ Dieser Zweifel entspricht dem damaligen Stande der Wissenschaft. Noch in den „Genealogischen Tabellen zur Erläuterung der Europäischen Staatengeschichte“ von Voigtel, Halle 1811, findet sich auf Tafel 256 ein ähnlicher Vermerk, während die heutige Geschichtswissenschaft, so weit ich sehen kann, darüber einig ist, daß Alexander ein natürlicher Sohn Lorenzos und nicht des Papstes Clemens VII. gewesen ist. Man darf daraus schließen, daß Goethe den Stammbaum lediglich aus leicht zugänglichen gedruckten Quellen[3] zusammengeschrieben hat. Trotzdem kann die „Stammtafel (8 ≡)
des Hauses Medicis“ ein weitgehendes Interesse beanspruchen. Ist sie doch ein deutliches Zeichen dafür, daß Goethe sich der Einsicht nicht verschloß, wie nützlich genealogische Tafeln zum Verständniß der Geschichte sind. Dabei ist noch besonders zu beachten, daß es sich bei der Lebensbeschreibung Cellinis keineswegs um Staatengeschichte, sondern um ein lediglich kultur- und kunstgeschichtlich bedeutsames Werk handelt. Diese Einsicht von der Nützlichkeit genealogischer Tafeln ist durchaus nicht so allgemein verbreitet, wie die Genealogen von Fach zu glauben geneigt sein mögen. Lorenz hatte bereits hervorgehoben, daß die bekannte und weit verbreitete, von Wilhelm Oncken[GWR 2] herausgegebene „Allgemeine Geschichte in Einzeldarstellungen“ den Beweis dafür liefert, „daß in einer gewaltigen Zahl von Bänden eine Reihe von Gelehrten sich vereinigen konnte, die mannigfaltigsten künstlerischen Hilfsmittel herbeizuziehen, um das Verständiß geschichtlicher Dinge zu erleichtern, aber nicht eine einzige Stammtafel beizufügen für nöthig fand“. Den Beifall eines Goethe hätte diese Unterlassung sicherlich auch nicht gefunden. Ungleich weniger bekannt als Goethes Benvenuto Cellini ist die Thatsache, daß Goethe eine selbstständige genealogische Abhandlung geschrieben hat. Diese Monographie hat zum Gegenstande die Abstammung des genugsam bekannten Abenteurers Joseph oder richtiger Guiseppe Balsamo, der sich selbst einen Grafen von Cagliostro, gelegentlich auch einen Marchese Pellegrini nannte, auch noch unter allerlei anderen Namen aufgetreten ist, die einzeln aufzuführen hier zwecklos wäre. Goethe erfuhr das Nähere über die Vorfahren des weltbekannten Abenteurers durch Zufall bei seiner (9 ≡)
Anwesenheit in Palermo. Eine interessante Notiz über diesen Gegenstand findet sich in einem Briefe Goethes an Jacobi. d. d. Weimar, den 1. Juni 1791 und lautet
Der Auszug des Prozesses gegen Cagliostro, den Goethe hier im Auge hat, führt den Titel: „Compendio della vita e delle geste di G. Balsamo, denominato il conte Cagliostro, che si e estratto dal prozesso contro di lui formato in Roma l'anno 1790. Roma 1791.“[GWR 3] Noch im Jahre 1791 erschienen von diesem Prozeßbericht eine englische, eine französische und mehrere deutsche Uebersetzungen. Die eine der letzteren rührt von Christian Joseph Jagemann[GWR 4], seit 1775 Bibliothekar der Herzogin Amalie, in Weimar, wo seine Uebersetzung auch erschienen ist. Ob Jagemann diese Uebersetzung etwa auf Goethes Anregung unternommen hat, ist, soviel mir bekannt, noch nicht aufgeklärt. Am 23. März 1792 „überraschte“ Goethe die Freitagsgesellschaft der Herzogin Amalie mit dem Vortrage: „Cagliostros Stammbaum“ (Goethe-Jahrbuch, XIX. Bd. 1898, S. 19). Bald darauf unterbreitete Goethe seine (10 ≡)
genealogische Studie der Oeffentlichkeit. 1792 erschienen in Berlin bei Johann Friedrich Unger[GWR 5]: „Goethes neue Schriften“. Erster Band. Dieser Band enthält den „Groß-Cophta“, „Des Joseph Balsamo, genannt Cagliostro, Stammbaum. Mit einigen Nachrichten von seiner in Palermo noch lebenden Familie“ und den „Römischen Carneval“. Die zweite Ausgabe von „Goethes Werken“ enthält den Aufsatz über die Abstammung Cagliostros, immer noch als selbststständige Abhandlung und mit unverändertem Titel im 12. Bande, Tübingen, in der J. G. Cotta'schen Buchhandlung, 1808. Er findet sich hier auf Seite 131–156 und ist an die „Fragmente eines Reisejournals“, welche unter dem Titel „Ueber Italien“ zusammengefaßt sind, angereiht. In der dritten Ausgabe von „Goethes Werken“ ist dieselbe Anordnung beibehalten. Die Arbeit über den großen Abenteurer findet sich hier im dreizehnten Bande, Stuttgart und Tübingen, in der J. G. Cotta'schen Buchhandlung, 1817, Seite 131–156. Als sich Goethe später daran machte, auf Grund der vorhandenen Aufzeichnungen und Briefe die „Italiänische Reise“ zu schreiben, entschloß er sich, die Schrift über den Stammbaum Cagliostros darin zu verarbeiten. Die Tagebücher melden darüber unter dem 6. Juli 1817:
und:
und endlich unter dem 7. Juli:
Tafel über Abstammung und Verwandtschaft Cagliostros. Der ersten Ausgabe in den „Neuen Schriften“ von Goethe genau nachgebildet.
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Der hier in Betracht kommende Theil der „Italiänischen Reise“ erschien zuerst unter dem Titel: „Aus meinem Leben. Von Goethe. Zweyter Abtheilung zweyter Theil. Stuttgard und Tübingen, in der Cotta’schen Buchhandlung, 1817.“ Hier steht die früher selbstständige Abhandlung mit der Ueberschrift: „Palermo, den 13. und 14. April 1817“ am Schlusse der Beschreibung des sicilianischen Aufenthaltes. Sie ist im Wesentlichen unverändert. Geringe Abänderungen und einige Kürzungen sind vorgenommen. An diese Ausgabe schloß sich dann auch die sogenannte Ausgabe „letzter Hand“ an. (Goethes Werke. Vollständige Ausgabe letzter Hand. Achtundzwanzigster Band. Stuttgart und Tübingen, in der J. G. Cotta'schen Buchhandlung 1829). Bei dieser Verwebung in die „Italiänische Reise“ ist es dann auch geblieben und hier ist seitdem der Aufsatz in allen späteren Ausgaben zu finden. Seitdem ist auch die genealogische Tafel über Abstammung und Verwandtschaft Cagliostros[4] in Fortfall gekommen, sehr zum Schaden für das leichtere Verständniß der im Texte gegebenen genealogischen Auseinandersetzungen. Zunächst daher einige Worte über diese Tafel. Wie ich schon andeutete, ist es eine Verwandtschaftstafel, d. h. sie hat den Zweck, nicht bloß die Abstammung einer Person bis zu einem, ihr durch den Mannesstamm mit anderen Personen gemeinsamen Stammvater darzuthun, sondern sie soll auch die durch Verschwägerung verwandten Personen erkennen lassen, (12 ≡)
ja sie legt darauf sogar besonderes Gewicht. Dabei steckt in dem Ganzen auch eine kleine Ahnentafel Cagliostros zu vier Ahnen, also bis zu den zwei väterlichen und den zwei mütterlichen Großeltern. Diese Umstände bedingen eine eigenthümliche Anordnung der Tafel. Die Namen der einzelnen Personen sind in Kreise eingeschrieben. Der Kreis, in dem Cagliostros Name steht, ist durch eine doppelte Kreislinie kenntlich gemacht. Da, wo es sich um Geschwister handelt, hat der Zeichner zwischen den Kreisen einen Zwischenraum gelassen; da, wo es sich um ein Ehepaar handelt, sind die Kreise dicht aneinander gerückt und durch einen kleinen Bogen verbunden. Die Abstammung der Kinder von den Eltern wird durch eine punktirte Linie verdeutlicht, welche von dem Kreise, der den Namen des Kindes einschließt, nach dem kleinen Bogen gezogen ist, der die beiden Kreise, welche die Namen der Eltern enthalten, untereinander verbindet. Es sind im Ganzen 23 Kreise, welche sich auf 5 Generationen derart vertheilen, daß in der obersten Reihe zwei, in der zweiten, dritten und vierten Reihe je sechs und in der fünften Reihe drei Personen oder Kreise vorhanden sind. Dabei ist die Anordnung derart, daß die älteren Generationen unten, die jüngeren Generationen oben stehen. Aus der vorstehenden Beschreibung ist unschwer zu entnehmen, daß Cagliostros Stammbaum, den man also richtiger: Cagliostros Verwandschaftstafel nennen muß, recht unübersichtlich angeordnet ist. Vielleicht ist an dieser Anordnung der Wunsch schuld, diese 23 Personen, unter Verdeutlichung des Verwandschaftsverhältnisses, auf möglichst kleinen Raum über- und nebeneinander schreiben zu können. Jedenfalls ist Goethe für die Form der Verwandtschaftstafel nicht verantwortlich zu machen. Man höre ihn darüber selbst: (13 ≡)
Aus diesem Berichte geht ganz unzweideutig hervor, daß Goethe sich eine möglichst getreue Kopie des Stammbaumes mitgenommen, und diese, wiederum in (14 ≡)
getreuer Nachbildung, seinem Aufsatze beigegeben hat. Die Schlußworte Goethes lassen auch deutlich genug erkennen, daß er sich der mangelnden Uebersichtlichkeit der, von seinem palermitanischen Gewährsmann aufgezeichneten Tafel bewußt war. Allein es schien Goethe wichtiger, seine Quelle in der ursprünglichen[GWR 6] Gestalt vorzulegen, als ihr durch eigene Umarbeitung eine verständlichere Gestalt zu geben, wie das z. B. von Heinrich Düntzer[GWR 7] in seiner Ausgabe von Goethes Werken (24. Theil, S. 597) geschehen ist. Die Erläuterung, welche Goethe zu der Tafel giebt, lautet folgendermaßen:
Bemerkenswerth ist noch, daß Goethe es für nothwendig hält, besonders hinzu zu fügen, daß das Memoire des Rechtsgelehrten „auf Taufscheine, Ehekontrakte und Instrumente gegründet war, die mit Sorgfalt gesammelt waren.“ Er hatte ein sehr richtiges Gefühl dafür, daß man sich auf die eigenen Angaben von Personen, über ihre Verwandtschafts- und Abstammungsverhältnisse nicht unbedingt verlassen kann. Mit denjenigen Personen der Tafel, welche noch lebten, trat ja Goethe in persönliche Berührung und mancher andere, kann man wohl sagen, hätte sich mit den mündlichen, die Stammtafel bestätigenden Angaben dieser Personen begnügt, ohne die urkundlichen Beilagen der Tafel zu prüfen. Am Schlusse seiner Erzählung berichtet dann Goethe in anmuthiger Weise, wie er zunächst Cagliostros betagte Mutter sowie seine Schwester, verehelichte Capitummino, dann den Sohn und die eine Tochter Capitummino, arme und ehrbare Leute, kennen lernte. In einem schönen Zeugniß für den Edelsinn des großen Dichters und Menschen klingt die kleine Schrift aus. Cagliostro hatte seine armen Verwandten kurz vor seinem Verschwinden aus Palermo um eine, für die ärmlichen Verhältnisse dieser Leute ansehnliche Summe beschwindelt. Goethe, dessen Mitleid erregt war, hatte sofort nach dem (16 ≡)
Besuche den Entschluß gefaßt, der Familie diese Summe wieder zu erstatten. Seine Reisebaarschaft erlaubte ihm jedoch nicht, es gleich zu thun. Es mußte die Ausführung seines Vorhabens bis zu seiner Rückkehr nach Weimar aufschieben, hat aber die Familie nicht vergessen. Ende 1788 gelangte sie in Besitz der von Goethe geschenkten Summe. Goethe hatte die Angelegenheit aber in so zarter Weise erledigt, daß die Familie glaubte, das Geld stamme von Joseph Balsamo, alias Cagliostro, dem großen Abenteurer! Goethe bekennt auch in seiner Schrift über Cagliostro die Absicht, die Familie noch weiter unterstützen zu wollen, und bittet seine Freunde und edelgesinnte Landsleute, ihm dabei behülflich zu sein. Aus den Briefen Goethes ist, nebenbei bemerkt, bekannt, daß ihm der Herzog Ernst von Gotha einen ansehnlichen Beitrag für diesen Zweck überwies. Ich glaube, man wird nicht fehlgehen, wenn man annimmt, daß der Wunsch, die unglückliche Familie, mehr als ihm seine eigenen Mittel erlaubten, zu unterstützen, mit eine Triebfeder für Goethe gewesen ist, die Darstellung der Verwandtschaft Cagliostros zu einer Zeit zu veröffentlichen, als Alles dasjenige, was Goethe mittheilen konnte, durch die Veröffentlichung der römischen Prozeßakten, wie er wohl wußte, schon weltbekannt war. Zwar giebt Goethe in seinem, vorhin mitgetheilten Briefe an Fritz Jacobi als Grund der Veröffentlichung an: „damit über diesen Nichtswürdigen gar kein Zweifel übrig bleibe“, allein Goethe liebte es nicht, seine meist ganz im Stillen, in hochherziger Weise geübte Mildthätigkeit irgendwie in den Vordergrund zu rücken. Wenn ich mir nun erlauben darf, in aller Bescheidenheit, mein Urtheil über den genealogischen Werth der Schrift: „Des Joseph Balsamo, genannt (17 ≡)
Cagliostro, Stammbaum“ zusammen zu fassen, so ist es folgendes. Einen besonderen genealogischen Werth kann die Schrift nicht beanspruchen. Was Goethe mittheilt, ist einerseits zur Zeit der Veröffentlichung nicht mehr neu, es gründet sich andererseits nicht auf eigene Forschungen. Auch hat Goethe dem Stammbaume durchaus nicht etwa vom Standpunkte des Genealogen aus neue Seiten abgewonnen, wozu die Abstammung eines Mannes, wie Cagliostro, Gelegenheit genug bietet. Was Goethe mittheilt, ist das nackte, von ihm zufällig und mühelos erfahrene Thatsachenmaterial. Interessant ist die Schrift nur deshalb, weil sie von einem Goethe herrührt, weil sie ein persönliches Erlebniß Goethes schildert. Das hat Niemand genauer erkannt, wie Goethe selbst. Von dieser Erkenntniß durchdrungen, hat er in den späteren Ausgaben seiner Werke der Schrift den Charakter einer selbstständigen Abhandlung genommen und sie in die „Italiänische Reise“ aufgenommen. Ihre Bedeutung für die Genealogie wird aber dadurch in keiner Weise geschmälert. Sie liegt darin, daß die Schrift beweist, daß einer der erleuchtetsten Geister, die Deutschland besessen hat, daß ein Goethe klar erkannte, was bis heute noch immer nicht Gemeingut aller Gebildeten geworden ist, daß nämlich die genealogischen Verhältnisse eines Menschen, zum Mindesten die eines irgendwie merkwürdigen Menschen, von Interesse sind. Das Studium der genealogischen Verhältnisse der Menschen nach allen Richtungen hin ist die Aufgabe der wissenschaftlichen Genealogie. Muß sie nicht stolz sein, einen Goethe unter den Gewährsmännern ihrer Bedeutung zu sehen! (18 ≡)
Goethe erkannte die Bedeutung der Genealogie als Wissenschaft. Das beweist die Schrift über Cagliostro. Goethe erkannte die Nützlichkeit genealogischer Tafeln für das geschichtliche Verständniß. Das beweist die „Stammtafel des Hauses Medicis“. Daß ein Goethe beides erkannte, das ist das Werthvolle für die genealogische Wissenschaft. Sie hat somit allen Grund, auch ihrerseits ein Lorbeerreis huldigend in den Ruhmeskranz des Unsterblichen zu winden.
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