Deutsche und französische Kultur im Elsass/036

GenWiki - Digitale Bibliothek
Deutsche und französische Kultur im Elsass
Inhalt
<<<Vorherige Seite [035]	Nächste Seite>>> [037]
Datei:Kultur elsass.djvu
Hilfe zur Nutzung von DjVu-Dateien
Texterfassung: korrigiert
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Bevor dieser Text als fertig markiert werden kann, ist jedoch noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.

kann man aus diesen Zahlen schon deshalb nicht ziehen, weil die Kriminalstatistik des Elsasses von der Lothringens nicht geschieden ist.

Während so die eigentliche Moralstatistik des Elsasses sehr günstige Ziffern aufweist, und die Masse der Bevölkerung besonders in ihrem Verhalten zur bestehenden Eigentumsordnung einen durchaus gesetzlichen Sinn zeigt, ist der Stand der Moral des politischen Lebens wieder verhältnismässig sehr niedrig. Dieser Tiefstand der Moral des öffentlichen Lebens kommt in mancherlei Thatsachen zum Ausdruck. So ist die Klage allgemein, dass der Elsässer seinen politischen Einfluss ungescheut dazu verwendet, um seinen materiellen und sonstigen persönlichen Vorteil wahrzunehmen. Das Protektionsunwesen der Notabeln, die naive Interessenpolitik des Landesausschusses und der oberelsässer Fabrikanten bei allen Fragen, die ihren Geldbeutel berühren, und viele andere Erscheinungen legen davon Zeugnis ab. Auch Bestechungsversuche sollen namentlich in früherer Zeit sehr häufig gewesen sein. So ist der strenge Ehrbegriff, den der Elsässer im Privatleben besitzt, gerade im öffentlichen Leben wenig entwickelt. Man sucht nur sich selbst, nicht der Allgemeinheit zu dienen.

Die Ursachen des unbestreitbaren Tiefstandes der politischen Moral sind sehr verschiedenartig und verwickelt. Zunächst ist wohl schuld die politische Indifferenz des Volkes, die ja selbst wieder eine Frucht der politischen Schicksale des Landes ist. Abgesehen von einer allgemeinen demokratisch-liberalen Grundstimmung hat der Elsässer keine lebhaften politischen Interessen. Bei dem niederen Stand der Geisteskultur und der vorherrschend materiellen Anschauungsweise lag es nahe, den vorhandenen politischen Einfluss einfach in den Dienst materieller und sonstiger persönlicher Interessen zu stellen. Auch ein unmittelbarer Einfluss der politischen Moral Frankreichs auf diejenige der Elsässer lässt sich nicht verkennen. Allerdings stand die politische Moral Frankreichs vor dem Jahre 1870 niemals so tief wie in der dritten französischen Republik. Aber sicher war die Korruption des politischen Lebens in Frankreich schon vor dieser Zeit relativ sehr bedeutend, wie ja die bedeutendsten Kenner des Landes die militärische Niederlage selbst und ihre unmittelbaren Ursachen auf den eigenartigen Tiefstand der Moral des öffentlichen Lebens zurückgeführt haben. Es lässt sich wohl nicht leugnen, dass auch in dieser Beziehung die französischen Sitten die der Elsässer direkt beeinflusst haben. Am stärksten aber haben auf die Beschaffenheit dieser Sitten die neueren politischen Schicksale der Bevölkerung gewirkt.

Durch die Annexion des Elsasses von seiten des deutschen Reiches war die Bevölkerung unter eine Staatsgewalt gekommen, der sie innerlich feindlich gegenüberstand. Von einer Beteiligung des Volkes an den öffentlichen Angelegenheiten um ihrer selbst willen war keine Rede. Die eingeborene Bevölkerung trat aus ihrer Zurückhaltung nur heraus, wenn ihre persönlichen oder materiellen Interessen es unbedingt erforderten. Andererseits war die deutsche Regierung

Bildunterschrift:

Villa Alfred Hummel, Kaiser Friedrichstrasse 19, Strassburg.

(Arch. Berger in Paris.)