Unvergessliches Erlebnis
Unvergessliches Erlebnis
Von Gerhard Krosien
Ein Nehrungsbesuch wird vorbereitet
Das Wetter am Kurischen Haff war im Sommer meist schön und warm. An Regen oder schlechtes Wetter kann ich mich überhaupt nicht entsinnen, obwohl es so etwas vereinzelt sicherlich wohl gegeben haben mag! Gott sei Dank vergisst der Mensch Schlechtes gern im Lauf der Zeit. So ist es im Leben halt – und hier wohl auch. „Am Sonntag in zwei Wochen fahren wir mit dem Kahn zur Nehrung rüber und baden in der Ostsee“, konnte man in unserer Kinderzeit früher deshalb ruhig ausmachen. Meistens kam es dann wie vorhergesagt. Das lange, breite, schwarz geteerte Fischerboot mit den dicken, rohen Sitz- und Ruderbänken, mit der Vorrichtung für das Senkschwert, dem Bodenrost, unter dem ein Rest Haffwasser - nach Moder riechend - gluckste, wurde ein paar Meter über den steinigen Haffstrand geschleppt und ins in Ufernähe flache Wasser geschoben. Das Boot wurde dann mit der Ankerkette am Ufer befestigt. Und schon ging´s ans Einladen: Taschen, Körbe, Decken, Flaschen - und wer weiß was noch. Danach kamen wir Kinder, dann die mitfahrenden Erwachsenen, Männlein wie Weiblein. Zuletzt wuchtete sich Großvater über den Bootsrand, seine blaue Schirmmütze – sein Markenzeichen - auf dem kurz geschorenen Haupt.
Die Überfahrt
Dann ging die Kahnpartie los! Anker eingezogen, Ruderblätter eingesetzt und ins Wasser. Bald darauf war der „Schweinsrücken“ erreicht, eine lang gestreckte Sandbank mitten im Haff in Höhe von Memel-Schmelz, bewachsen mit Binsen-Inseln, ideales Brutgebiet für Seevögel aller Art. Das Wasser stand dort an manchen Stellen nur etwa knöcheltief, quasi wie kleine Durchlässe. Hierhin wurde der Kahn bugsiert. Alle halfen mit. Das Wasserfahrzeug musste zur Weiterfahrt auf die andere Seite der Sandbank in tieferes Wasser geschoben und gezogen werden. Die gestörten Seevögel stießen dabei mit schrillem Geschrei wütend nach unseren Köpfen – wir waren ja Störenfriede. Dann nur noch eine kurze Ruderstrecke, und die Kurische Nehrung war erreicht. Eine seichte, von Wasserpflanzen eingerahmte Bucht nahm uns auf. Von hier aus führte ein schmaler Pfad über eine grüne Wiese durch die Kujelkiefern Richtung Ostseestrand.
Das Lager
„Ihr bleibt mit den Decken und den Kindern hier am Haff. Wir gehen derweil zur See rüber, um „Besteck“ (Krabben) fürs Fischen zu fangen. Baden können wir später“. Das war die kurze Anordnung der damals noch jungen Familienväter an uns „Schutzbefohlene“ und an Großvater. Der blieb bei uns Kindern und bei den Frauen. Die jungen Väter schnappten sich jeweils zwei große Weidenkörbe und stapften los Richtung Ostsee. Wir Zurückgebliebenen breiteten die Decken aus. Wer Lust hatte, aß und trank etwas vom Mitgebrachten. Wir Kinder wurden rasch müde und schliefen bald in der warmen Luft ein.
Panische Flucht
Komisch! Kurz darauf rissen uns die Frauen hastig aus unserem Schlaf. Hals über Kopf sausten wir alle in unser Boot, das ruhig im seichten Wasser der Bucht dümpelte. Hastig tat Großvater ein paar kräftige Armzüge an den Rudern, und schon schwamm der Kahn samt uns aufgeschreckter Schar etwa 15 bis 20 Meter vom Ufer entfernt in freiem Wasser.
Warum solche Panik? Ganz einfach! Wir – ahnungslos wie wir waren - hatten unseren „Lagerplatz“ genau auf dem gewohnten Wechsel eines – für uns Kinder riesigen! - Elches aufgeschlagen. Und gerade eben dieser Elch trottete auf seinem Weg zur Haffbucht. Dort wuchsen doch seine zarten Lieblingswasserpflanzen! Bis zum Bauch watete er - ohne uns auf seinem Weg auch nur eines einzigen Blickes zu würdigen - ins kühlende Nass und kümmerte sich beim Äsen um niemand.
Ende gut – alles gut
Später stiegen die von der See mit vollen Körben zurückkehrenden Familienväter an anderer Stelle der Nehrung ins Boot, über dessen veränderten Liegeplatz sie sich wunderten. Als wir ihnen den Grund dafür nannten, schüttelten sie sich vor Lachen und betitelten uns als „Angsthasen“. An ein Baden in der Ostsee war für uns alle jetzt jedenfalls nicht mehr zu denken. Rasch ruderten wir wieder nach Schmelz zurück – in Sicherheit auf jeden Fall.
Dem Vernehmen nach hat es sich bei dem Elch um den auf der Nehrung allseits bekannten „Strandelch“ gehandelt. Und der hatte bis dahin niemals irgendjemand etwas zuleide getan. Vielmehr nahm er oftmals sein kühles Bad mitten unter den dort zahlreich am Ostseestrand Badenden. .
Na ja, für uns „Angsthasen“ galt eben: Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste.
(Nach dem Buch „Merkwürdiges im heutigen Gestern – Kurzgeschichten aus dem Memelland“).