Ostern im Memelland
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Ostern im Memelland
Von Gerhard Krosien
Weiße Ostern? Grüne Weihnachten? Nie gekannt als Kind von Memel-Schmelz! Zu Weihnachten gab's immer Schnee, und zwar viel Schnee! Und kalt war's auch immer. Wie sollten wir sonst wohl Schlitten fahren, rodeln, Schlittschuh laufen oder bloß „schorren“ können? Und der Weihnachtsmann? Der braucht den Schnee doch auch! Wie sollte er sonst wohl mit seinem Schlittengespann zu uns Marjellchens und Bowkes kommen, um uns die bestellten Geschenke zu bringen, manchen Lausebengel aber auch mit seiner großen Rute zu verprügeln?
Und Ostern? Schnee zu Ostern? Weiße Ostern? Gab's überhaupt nicht , na ja, manchmal - selten - doch! Ich jedenfalls kann mich nicht daran erinnern. Auf jeden Fall war Ostern eine ruhige Zeit. Diesem Fest ging natürlich der Karfreitag voraus, bei dem es in unserer Familie Usus war, „Peluschkenbrei“ (aus getrockneten grauen Erbsen) mit süßsaurer Soße zu servieren. Und diesen „Fraß“ hassten wir Kinder wie die Pest, machten uns gleich nach dem Frühstück „dünne“ und kamen erst gegen Abend heim. Dann war die „Gefahr“ meistens vorbei. Aber nicht immer! Manchmal bekamen wir den „Fraß“ dann entweder aufgewärmt oder gebraten vorgesetzt. Der Hunger trieb`s dann hinein. Na, wir haben diese „Quälerei“ glücklicherweise überlebt!
Heute leben wir – leider - nicht mehr in Memel-Schmelz oder in der Stadt direkt oder sonst wo im Memelland. Und in der neuen Heimat habe ich schon viele grüne Weihnachten erlebt. An weiße Ostern hier kann ich mich allerdings auch nicht erinnern. Die gibt's hier offensichtlich überhaupt nicht. Aber der Spezies Osterhase ist dies offensichtlich nicht gut bekommen! Es gibt ihn hier zwar auch, jedoch nicht in so großer Anzahl wie in der früheren Heimat! Man hört und liest ja immer wieder, dass es hier bei uns heute viel weniger Hasen gibt als früher. Gründe dafür werden in dem Ausbringen von Herbiziden und Insektiziden, in der Verringerung natürlicher Rückzugsgebiete (Hecken, Rainen usw.) und in der Verwendung schwerer Maschinen gesehen. Der Osterhase muss durch all diese Maßnahmen ernsthaft um seinen Nachwuchs bangen. Früher war das nicht so! Auch das, was der Osterhase üblicherweise bringt, hat sich gewandelt: Fand jedes artige Kind damals bunt gefärbte Ostereier und die eine oder andere süße Nascherei im schlichten Nest, so sind es heute oft grüne Kunststoffbehälter, in denen sich neben bunt gefärbten Ostereiern fabrikmäßig gefertigte „Ostersortiments“ und andere Süßigkeiten, manchmal auch elektronisches Spielzeug befinden. Andere Zeiten, andere Sitten! Auch Kinder mit anderen Ostervorstellungen?
Auf Schmelz war zu Ostern immer unbändige Aufregung bei uns Marjellens und Bowkes. Schon am Abend vorher steckten uns die „Großen“ früher als sonst ins Bett. Sie drehten sogar den Schlüssel unserer Schlafzimmertür von außen rum. Durch das Rumoren auf der anderen Seite der Tür bekamen wir aber mit, dass sie selbst noch lange nicht zu Bett gingen. Denn aus Küche und Stube drangen sowohl Lichtschein als auch geschäftige Geräusche in unser Schlafzimmer. Zu so ungewohnt früher Stunde konnten wir sowieso nicht schlafen. Daher spukten wir Kinder noch lange in unseren Betten herum. Denn natürlich waren wir auch unbeschreiblich gespannt darauf, was da „draußen“ so vor sich ging!
Am anderen Morgen lagen wir schon lange vor Tagesanbruch auf der Lauer, und zwar hinter der Gardine unseres Schlafzimmerfensters. Wir wollten doch miterleben, ob und vor allem wo der Osterhase draußen die Ostereier und die süßen Sachen versteckte. Aber nirgendwo konnten wir ihn erspähen, wie angestrengt wir auch schauten! Nur einmal schlurfte Tante Elsa im Halbdunkel mit geraffter Schürze und mit was Schwerem darin über den Hof in den angrenzenden Garten. In den konnten wir leider nicht blicken, weil er vom Stallgebäude verdeckt war. Kurze Zeit später sahen wir sie mit heruntergelassener Schürze und freien Händen wieder ins Haus kommen. „Was mag Tante Elsa zu so früher Stunde wohl weggebracht haben? Hoffentlich hat sie nicht den Osterhasen beim Verstecken der Ostereier gestört“, dachten wir uns damals wohl. Ganz rote Ohren hatten wir seinerzeit vor Aufregung jedenfalls bekommen.
Bald darauf ließen uns die „Großen“ aus unserem „Gefängnis“ raus. Sie wuschen uns und zogen uns „sonntagsmäßig“ an. Alles ging uns viel zu langsam! Denn wir wollten doch möglichst rasch nachsehen, was uns der Osterhase gebracht hatte. Dass er uns was bringen würde, war doch klar! Wie von der Kette losgelassene Hunde stürmten wir schließlich in Hof und Garten, gefolgt von den „Großen“. Im Hof war nichts zu finden. Da gab's ja auch keine geeigneten Verstecke! Aber im Garten! Hier ein Freudenschrei, da ein Freudenschrei! Jeder Johannisbeer- und Stachelbeerstrauch wurde von uns Kindern untersucht, hinter jeden Kirschbaumstamm wurde geschaut. Es lohnte sich! Irgendwann meinten die „Großen“, dass es genug sei mit der Ostereiersucherei - und Zeit fürs Frühstück.
Hocherfreut saßen Alt und Jung bald um den inzwischen von Mutter gedeckten Frühstückstisch. Der bot - wie konnte es zu Ostern anders sein! - außer dem duftenden Sonntagskuchen und Kaffee ein ganzes Tablett bunter Ostereier an. Sie waren alle hart gekocht. Bei einigen war die Eierfarbe durch die Schale gedrungen. Ihr Eiweiß war nun lustig bunt. Dadurch schmeckten diese Ostereier auch viel besser als die anderen, fanden wir damals.
Nach dem Frühstück zogen wir alle uns warm an. Nun war der Osterspaziergang dran! Für die ganze Familie! Für alle, die mitgefrühstückt hatten! In den Götzhöfener Wald ging's. Voran Tante Elsa, Onkel Heinz, die Großeltern und Papa. Wir Kinder mit Mutter, die Jüngste in der Sportkarre, hinterher. Und plötzlich von einem der „Großen“ der Ausruf: „Kinder, schaut mal her, was der Osterhase hier verloren hat“. Wir Jungs preschten sofort hin. Und tatsächlich: Im Laub lagen Bonboneier, schön bunt in Stanniolpapier eingewickelt, mal groß, mal klein, mal hart, mal weich, mal mit Füllung, mal ohne. „Dieser Osterhase, er muss wohl vom Gut Götzhöfen her genau diesen Weg gehoppelt sein; welch ein glücklicher Zufall!“, meinten wir. Immer wieder mussten wir „untersuchen“. Immer lag dann da, was der Osterhase verloren hatte. Verwunderlich, dass der die „Verluste“ nicht irgendwann bemerkt hatte! Gut, dass wir heute gerade hier entlanggingen und all die verlorenen Ostersachen gefunden haben! Welch einen Verlust hätten wir sonst wohl gehabt! Verloren, all die sicherlich für uns bestimmten schönen, süßen Ostereierbonbons!
Die „Großen“ waren die reinsten Detektive im Finden der süßen Sachen, staunten wir damals! Bestimmt hätten wir Kinder selbst nicht einmal die Hälfte davon gefunden, wenn wir hier ohne sie entlanggestromert wären!
Ostern für uns Kinder von Schmelz seinerzeit immer etwas Wunderbares, das keiner jemals vergisst.