Herforder Chronik (1910)/256

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Herforder Chronik (1910)
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für humanistische Studien [1], sondern auch für religiös-sittliche Bildung sich hervortaten“. Unter der hochgemuten Schar gelehrter Streiter im Fraterhause ist Jakob Montanus der bedeutendste. Sein Fleiß und sein Wissen übertraf seine Konfratres, seine Schriften sind zahlreich. Doch nicht in der Enge seiner Studierstube blieb er mit seiner Wissenschaft abgeschlossen, er trat mutig hinaus in den Kampf der Geister, legte als Lehrer und Erzieher der Jugend in der Schule am Münster und am Studentenhof den Samen zum frischen Weiterschaffen, und gerade für die studierende Jugend ist eine erhebliche Zahl seiner Schriften berechnet.

Gleich ernst gerichtete Männer fanden sich in den Klöstern der Augustiner und der Franziskaner. Auch hier sehen wir gelehrte Männer sich in alte und neue Schriften vertiefen, sehen sie wirken in gleichem Sinne mit den Herren des Fraterhauses, ihre Ansichten in gegenseitigem Meinungsaustausch klären.

Hier fanden Luthers Lehren den rechten Boden. Wie sie 1517 in ganz Deutschland die sehnenden Gemüter in Begeisterung versetzt hatten, so erregten sie bei den Gelehrten unserer Stadt die größte Freude, stellten sie doch das Endziel ihrer Studien, die Bestätigung ihrer Ansichten dar. Schon im Jahre 1520 bekannte sich Jakob Montanus freimütig zu Luthers Lehre, seine Freunde und Gesinnungsgenossen folgten ihm.

Und die Menge des Volkes mag sich herzugedrängt haben, wenn reisende Kaufleute in den Herbergen die neuerschienenen reformatorischen Schriften hervorholten, um sie den andächtig Lauschenden auszulegen oder ihnen von der wachsenden Bewegung der Geister in fernen Landen zu erzählen. „Da fuhr ein reger Geist in alles Volk.“ Auf den Gassen und in den Werkstätten der Handwerker, im Felde und in den stillen Stuben, wo die Alten saßen, trug einer dem andern die neue Mär zu, und tiefergriffen begannen die erregten Geister unserer Altvorderen wieder zu grübeln, wie zu jenen Zeiten, als Lebuin zuerst das Evangelium predigte.


Wie die Brüder vom gemeinsamen Leben durch ihre wissenschaftliche Betätigung, so gewannen die Augustinermönche in ihrer seelsorgerischen Wirksamkeit große Bedeutung für den Fortgang der Reformation. Was die Geistlichen der alten Kirche bei der weitgehenden Veräußerlichung des Gottesdienstes nicht sonderlich geachtet hatten, nämlich die durch die Predigt vermittelte Heranbringung des Wortes Gottes an die heilsbedürftigen Seelen, dessen nahmen sich die Ordensleute der Augustiner an; sie sind dadurch in ihrer Art Bahnbrecher der Reformation geworden. Der Vorgesetzte des Ordens für Sachsen-Thüringen, Gerhard Hecker, vordem Luthers Gegner, wurde später nicht nur dessen Anhänger, sondern warb auch Schüler für ihn. Hecker war es auch, der den aus Lemgo gebürtigen

  1. Humanistische Studien wollen die rein menschliche Bildung fördern, die sich aus der Beschäftigung mit den Künsten und Wissenschaften, namentlich der altklassischen Sprachen und Literaturen ergibt.