Herforder Chronik (1910)/048
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Von Mathilde, der Witwe eines sächsischen Edlen aus Widukinds Stamm, haben wir gehört, daß sie sich aus den Wirrnissen des Weltlebens in das Kloster zu Herford zurückzog, dort in Segen wirkte und Äbtissin wurde. Ihr vertraute ihr Sohn Thiadrich sein Töchterlein Mathilde zur Ausbildung und Erziehung an, und keiner Würdigeren konnte er sie übergeben, als seiner Mutter, die nun ihre ganze großmütterliche Zuneigung dem Grafenkinde, ihrer Enkelin, widmete.
Die Vita Mathildis[1] erzählt uns von Mathildes Leben in Herford: „So weilte da im Kloster Herevord mit ihres Vaters Mutter nicht zur Aufnahme in die Zahl der Schwestern, sondern um durch Buch und Werk zu allem Nützlichen erzogen zu werden, jene Jungfrau, an welcher edle Herkunft lind innern Wertes Anmut gleichen Anteil hatten, denn von der Ahnen und Eltern Würde strahlte das Abbild in ihr. Schön war sie von Angesicht, lieblich in ihrer Kindlichkeit, werktätig, sittsam, freigebig und, zumal bei solcher Jugend, durch Gunst der himmlischen Gnade so hoher Lobsprüche wert, daß nichts darüber ging.“ Was diese Lebensbeschreibung nicht erzählt, sehen wir mit unseren geistigen Augen vor sich gehen. Unter der Großmutter Augen nimmt das Grafenkind zu an Weisheit und Verstand. Wir sehen sie lustwandeln unter den Blumen und Bäumen des Gartens innerhalb der Binnenborg, des durch eine Mauer abgeschlossenen abteilichen Gebiets, sehen sie in Begleitung älterer Ordensschwestern die waldigen Hügel der Herforder Umgebung, den Luttenberg, die Otterheide u. a., besteigen, um von da den Blick ins schöne Werretal schweifen zu lassen, sehen sie aber auch über die heiligen Bücher sowohl wie über den Stickrahmen gebeugt.
Der Ruf von all den herrlichen Vorzügen des Körpers und Geistes, die ihr Lebensbeschreiber erzählt, durchdrang bald die Gaue des Sachsenlandes.
Bevor wir aber die Schicksale des Stifts und das Leben der jungen Mathilde weiter verfolgen, sei es uns vergönnt, einen Blick auf die damalige recht trübe politische Lage in Deutschland zu werfen.
Nach dem Tode Ludwigs des Deutschen war des Reiches Frieden auf längere Zeit gestört; seine Nachfolger vermochten nicht, das königliche Ansehen aufrecht zu erhalten. Das stattliche Gebäude, welches Karl der Große mit der ganzen Kraft seines Geistes und Armes aufgerichtet hatte, die Einheit der deutschen Stamme, die Unterordnung ihrer Herzöge unter ein gemeinsames Oberhaupt, begann unter den letzten Karolingern zu wanken. Während von außen her die wiederholten Einfalle von Normannen und Magyaren den Wohlstand des Landes schädigten, gelang es infolge der inneren Wirren tatkräftigen Fürsten, die alte herzogliche Würde und Macht wieder zur Selbständigkeit zu erheben und damit den starken Baum deutscher Einheit zu entkräften.
- ↑ Vita Mathildis, a. a. O.