Handbuch der praktischen Genealogie/362

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Handbuch der praktischen Genealogie
Inhalt
Band 2
Tafel: I • II • III • IV • V • VI • VII • VIII • IX • X • XI
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      Die Tatsache der Ebenbürtigkeit wurde Jahrhundertelang, wenigstens soweit es sich um inländische Familien handelte, durch die Genealogie bestimmt Die Familien waren einander je nach ihrer Herkunft gleichgestellt oder nicht. Es ließen sich also durch Unterscheidung ständisch, d. h. staatsrechtlich verschieden gestellter Familiengruppen allgemeine Ebenburtsregeln aufstellen. Nach solchen allgemeinen Regeln hat man das ganze Mittelalter hindurch entschieden. Aber mit Beginn der neuen Zeit traten einige Fürsten mit dem Anspruch auf, selbst zu bestimmen, welche Frau für sie ebenbürtig sei. Diese Tendenz ist zwar in Deutschland wenigstens in vielen Fällen erfolgreich bekämpft worden, so daß sich ein eigenes Institut, die morganatische Ehe, für Fälle vollkommen gesetzmäßiger aber nach allgemeiner Anschauung unebenbürtiger Ehen ausbildete. Aber die „allgemeine Anschauung" darüber, wer als ebenbürtig zu gelten habe, war hinfort trotz aller Ebenburtsdefinitionen und -begriffe, die aufgestellt und verteidigt wurden, nicht einheitlich. Heute hat jedes regierende Haus und mitunter innerhalb eines Gesamthauses jede Linie ihren eigenen besonderen Ebenburtsmaßstab: entweder familiengesetzlich oder gewohnheitsmäßig bestimmt.[1] Das hindert nicht, daß in jedem zweifelhaften Fall leicht verschiedene Auffassungen verteidigt werden können. Der moderne hohe Adel ist eben dem Blute nach heute eine äußerst gemischte Gesellschaft. Wenn der Genealoge feststellen muß, daß eine Frau wegen unadeliger Ahnen nicht einmal in halbwegs strengen niederadeligen Damenstiftern aufnahmefähig wäre, so wird er dem Juristen ungern zugeben, daß diese Dame unter Umständen als formell ebenbürtig die ältesten Throne besteigen kann, während das für die meisten Mädchen mit tadellos „rein" adeligem Blut immer noch ausgeschlossen ist.

      So unerfreulich dieser Zustand für den Historiker und Genealogen ist, so muß doch zugegeben werden, daß auf diesem Wege die tatsächlich rapid zunehmende Vermischung der regierenden Familien mit niederadeligem und bürgerlichem Blute, die jedenfalls zeitgemäß ist, am leichtesten die Reste des mittelalterlichen Ebenburtsrechtes, das längst nur noch ein formales Leben führt, beeinflussen und ändern kann. Allerdings besteht dafür heute die Gefahr, daß einzelne Häuser für sich strengere Geburtsgrundsätze aufstellen, als sich historisch wissenschaftlich rechtfertigen läßt.

      Abgesehen von der Ebenburtsfrage wird die Zugehörigkeit zu einem regierenden Hause immer noch genealogisch bestimmt. Auch gelten Familien, von denen genealogisch nachgewiesen werden kann, daß sie gleichen Mannesstammes sind, als ein Haus, solange nicht eine morganatische Heirat die agnatische Zusammengehörigkeit rechtlich trennt. Aber auch in diesem Falle ist es nicht ausgeschlossen, daß die genealogische Einheit sich stärker erweist als das rechtliche Trennungsprinzip: das heutige regierende Haus Baden stammt von einer morganatischen Seitenlinie; das gleiche wird mit


  1. Daß es einen allgemeinen gleichen fürstenrechtlichen Ebenburtsbegriff längst nicht mehr gibt, ist in meinen „Grenzen des Fürstenrechts" 1906, nachgewiesen. Diese zuerst von Fürstenrechtslehrern zurückgewiesene Feststellung hat sich inzwischen schnell Bahn gebrochen.