Friedrich August Kludt/Mein Notizbuch
Mein Notizbuch oder der, in der Folge der Zeit von 1840 an, mir vorgekommenen angemerkten merkwürdigen Aufsätze und Notizen allerlei Inhalts.
Vorbemerkungen zu diesem Artikel und dem Notizbuch
Am 17. Juli 1965 erhielt ich dieses Notizbuch des Großvaters August Kludt schön remontiert zurück. Herr Welms hat es umsonst getan. Wir bekamen es von Onkel Woldemar Kludt zum Abschreiben, kamen aber auseinander und er starb. Das Haus vom Onkel verbrannte mit seinem Sohn Schenje (Eugen), so ist das Buch den Nachkommen erhalten.
- Elsa Kludt, Simons Frau.
- Es war mir alles Bibel, Gesangbuch und Trost.
August Kludt ist mein UrUrGroßvater Friedrich August Kludt (1811-1897). Er war 43 Jahre Lehrer in der Gemeinde Teplitz in Bessarabien. Er ist im Jahr 1879 im Streit mit der Gemeinde Teplitz aus dem Dienst als Küster und Lehrer ausgeschieden. Auch darüber hat er einen Bericht erstellt, der als nächster Beitrag aus dem Notizbuch im GenWiki veröffentlicht wird. Das Notizbuch ist in der altdeutschen Sütterlinschrift geschrieben worden. Der letzte Eintrag im Notizbuch stammt aus dem Jahr 1895. Die Überschrift stammt von August Kludt, er nannte sein ganzes Notizbuch (Tagebuch) so.
Elsa Kludt ist meine Großmutter Elsa Paulina Kludt, geb. Kärcher (1886-1974), geboren in Esslingen Württemberg, gestorben in Woltschansk, Uralgebiet. Ich habe sie nie kennen gelernt. Als ich in Deutschland geboren wurde, durfte sie und ihre Familie Rußland nicht mehr verlassen. Ihr Ehemann mein Großvater Simon Kludt war evgl. luth. Pastor in Rußland. Er wurde 1935, wie viele andere auch, von den Sowjets erschossen.
Die Originalhandschrift befindet sich im Besitz meiner Tante Erika Artes, geb. Kludt, der jüngsten Schwester meiner verst. Mutter. Meine Tante hat mit Unterstützung ihrer Töchter das Notizbuch und die Tagebücher ihrer Mutter (Elsa Kludt) mit dem Computer abgeschrieben. Die Korrekturen an der ersten Abschrift wurden von ihren Brüdern (meinen Onkeln) durchgeführt. Ein gedrucktes Exemplar wurde im Copyshop mehrfach vervielfältigt und gebunden. Die so hergestellten Exemplare wurden in der Verwandtschaft und an gute Freunde verschenkt. Damit wurde ein Vermächtnis der Autoren der Originalhandschriften erfüllt. Die Originale bleiben vorläufig im Besitz von Erika Artes, was später damit geschieht steht noch nicht fest.
Der Reisebericht ist nur ein kleiner Teil des ganzen Notizbuches. In Kürze kommen noch seine Erlebnisse als Lehrer in Teplitz, Bessarabien dazu. Die anderen Berichte im Notizbuch enthalten Abschriften aus Büchern, Zeitschriften, und anderen zeitgenössischen Publikationen, die er zum Lesen in die Hand bekam aber nicht behalten durfte. Er hat diese Berichte wahrscheinlich in seinem Unterricht verwendet. Ein weiterer Teil enthält die 1856 bekannten Überlieferungen über die Kludt-Sippe ab der Zeit des 30jährigen Krieges.
In der Kludt-Familie gibt es noch viele weitere Berichte, die Vorfahren von mir und meine Tanten und Onkeln in Rußland erlebt haben. Es sind meistens sehr persönliche Erlebnisse, die wie die Tagebücher nur im Verwandtenkreis verbreitet wurden.
- Jörg Brauer
- Schwedenstr. 5
- 13357 Berlin
- Tel. 030 4925287
Reiseübersicht nach Datum und Ort
Diese Übersicht ist erst in Deutschland entstanden, sie ist nicht in der Originalhandschrift enthalten.
Nach eine groben Schätzung des zurückgelegten Weges (mit dem Stechzirkel auf einem Europa-Atlas) hat er in den 10 Monaten seiner Reisewanderung ca. 1400-1600 km zurückgelegt.
Die in diesem Reisebericht genannten Orte hat er offenbar alle aus der Erinnerung und nach Gehör aufgeschrieben. Viele Orte konnte ich bisher nicht eindeutig identifizieren, ich hoffe hier auf die Hilfe der interessierten Leser.
Lassen sie sich bitte nicht vom Anfang des Reiseberichtes abschrecken, es wird für Familienforscher In Polen und Sachsen (auf dem Weg nach Herrnhut) immer interessanter. Es werden viele Namen genannt, die auch in der Gegenwart noch einen gewissen Bekanntheitsgrad haben.
- Datum - - - Ort, Stadt, Dorf
- 06.08.1834 - Kolonie Katzbach
- 08.08.1834 - Stadt Odessa
- 11.08.1834 - Stadt Tiraspol
- 13.08.1834 - Stadt Kischinew - Kisinow
- 18.08.1834 - Stadt Orche - Orchei
- 18.08.1834 - Stadt Belz - Belzy
- 19.08.1834 - Dorf Rescha
- 22.08.1834 - Grenzstadt Nova-Seliz
- 23.08.1834 - Gunowitz
- 13.09.1834 - Stadt Lemberg - Lwow
- 18.09.1834 - Stadt Jaroslan - Jaroslaw
- 28.09.1834 - Stadt Krakau - Krakow
- 05.10.1834 - Stadt Peterkau - Piotrkow Trybunalski
- 06.10.1834 - Dorf Geske - Gaski
- 31.10.1834 - Stadt Leuschitz - Lask ?
- 02.11.1834 - Dorf Katarzinow
- 03.11.1834 - Kolonie Sulzfeld
- 05.11.1834 - Stadt Konstantin - Konstanynow
- 06.11.1834 - Stadt Pabianiz - Pabianice
- 11.11.1834 - Stadt Leuschitz - Lask ?
- 12.11.1834 - Dombie Holand - Eine Siedlung bei Dabie
- 13.11.1834 - Holand Willanoff
- 13.11.1834 - Holand Zepanof
- 16.11.1834 - Dorf Rochenne
- 19.11.1834 - Holand Schenschalof (Zenzalof ?)
- 19.11.1834 - Dorf Groß-Neudorf
- 20.11.1834 - Dorf Psaren
- 21.11.1834 - Holand Cholome
- 21.11.1834 - Stadt Kowol - Kowal
- 23.11.1834 - Holand Murski - Mursk
- 24.11.1834 - Holand Ladna
- 02.12.1834 - Holand Cholome
- 03.12.1834 - Holand Schenschalof (Zenzalof ?)
- 09.12.1834 - Stadt Colo - Kolo
- 09.12.1834 - Grenzstadt Kalisch - Kalisz
- 11.12.1834 - Stadt Oels - Oelsnica
- 11.12.1834 - Stadt Breslau - Wroclaw
- 14.12.1834 - Stadt Liegnitz - Legnica
- 15.12.1834 - Brüdergemeinde Gnadenberg
- 24.02.1835 - Stadt Bunzlau - Boleslawiec
- 24.02.1835 - Stadt Görlitz
- 25.02.1835 - Brüdergemeinde Niske - Niesky
- 02.03.1835 - Gemeinde Kleinwelke
- 05.03.1835 - Stadt Bautzen
- 05.03.1835 - Brüdergemeinde Herrnhut
- 10.03.1835 - Friedrichsdorf
- 11.03.1835 - Niederodewitz
- 12.03.1835 - Gersdorf
- 15.03.1835 - Dorf Reichenau
- 17.03.1835 - Stadt Zittau
- 18.03.1835 - Brüdergemeinde Herrnhut
- 19.03.1835 - Stadt Görlitz
- 22.03.1835 - Brüdergemeinde Gnadenberg
- 24.03.1835 - Stadt Liegnitz - Legnica
- 26.03.1835 - Stadt Breslau - Wroclaw
- 30.03.1835 - Stadt Kalisch - Kalisz
- 04.04.1835 - Domjer Holand
- 07.04.1835 - Dorf Lippin
- 09.04.1835 - Dorf Murski - Mursk
- 11.04.1835 - Janschmin + Tscherniberg bei Gumbin
- 13.04.1835 - Dorf Neu-Sulzfld, Stadt Lodz, Stadt Pabianiz - Pabianice
- 26.04.1835 - Dorf Geske
- 01.05.1835 - Stadt Pabianiz - Pabianice
- 07.05.1835 - Stadt Rawa - Masowiecka
- 10.05.1835 - Radum - Radom
- 13.05.1835 - Stadt Lublin
- 19.05.1835 - Fluß Bug - Oußtschiluk
- 22.05.1835 - Stadt Kischinew - Kisinow
- 24.05.1835 - Kolonie Tarutino
- 24.05.1835 - Kolonie Katzbach
Besuchsreise nach Deutschland in den Jahren 1834-1835
Gottes Gnade und Barmherzigkeit, die den Sündern nachgeht, ihn selig zu machen, hatte auch an meine lieben Eltern gedacht, schon im Jahre 1823 wo sie durch Bekanntschaft, des ehrwürdigen theuren Pfarrer Ignatz Lindl erweckt wurden zu einem neuen Leben, - und die Gottlob! nicht nur auf sie, sondern auch auf uns zwei Kindern, meinen Bruder und mich, einen Eindruck machte, so daß wir von dieser Zeit an, nicht nur von der Welt zurückgehalten, sondern auch mit Wort Gottes bekannt, und Kinder Gottes kennen lernten. Ja nicht nur daß, wir fühlten auch selbsten ein Bedürfniß zum Heiland in uns, sein Eigentum zu werden und nur ihm zu dienen. Und so kam es denn, daß mein Bruder der einige Monate im Unterrichte in Sarata bei Lindl war, um zu irgend einem Dienste im Reiche Gottes ausgebildet zu werden, uns mit christlichen Schriften die dort erhalten hatte, versah, - und später, wie er mit den Odessern Brüdern bekannt wurde, auch von dort aus mit Schriften aus der Brüdergemeine.
Und so wurde der Gedanke in mir und meiner Mutter auch, wenigsten einmal eine solche Gemeinde zu sehen und näher kennen zu lernen, erweckt und da meine Mutter keine Aussicht hatte, je eines solchen Glückes zu theil zu werden, so meinte sie, bei mir, als einem zwanzigjährigen Jüngling zu dem sie eine besondere Vorliebe hatte, da ließe es sich noch machen, und dann könnte ich zugleich bei dieser Gelegenheit, ihre Verwandten in Polen, an die sie auch in zärtlicher Liebe hing, mit besuchen. Dieser Gedanke kam endlich zur reife, es wurden Anstalten gemacht zur Reise, die auch schon am 6. August 1834 verwirklicht wurde.
Am 6. August 1834 nahm ich mit sehr bewegtem Herzen in Katzbach von Eltern und Freunden abschied. Der Vater fuhr mich mit seinem Wägelchen bis an den Dnesterfluß, wo ich in der Rohrplafna am 7. August mich auch von ihm verabschiedete.
Am 8. August kam ich in Odessa an, hielte mich fast einen halben Tag im Seehafen auf, denn alle diese Dinge waren mir ja neu: Daß ankommen eines englisches Schiffes, und daß absegeln eines Dampfschiffes nach der Krim, waren mir sehr merkwürdig.
Am 9. August erhielte ich einen Reisepaß Seiner Exelenz General von Insov im Comiläte, war sehr freundlich gegen mich und hieß mich besonders viel Samen von Deutschland nach Rußland mitbringen.
Am 10. August reiste ich von Odessa wieder ab, und kam in dunkelster Nacht, etwa um 10 Uhr in einer katholischen Kolonie an, ganz ermattet und erschöpft vom gehen, und nächtigte in einem unfreundlichen Wirtshaus.
Am 11. August erreichte ich Tiraspol, und nächtigte bei einem Deutschen, und wäre gerne den ganzen Tag dageblieben, weil es Sonntag am 12. August war, - aber der Tumult weil es Markt war, war mir zu groß, und ging daher gegen Mittag weiter mit einem Schmidwanderburschen. Und da ich auch an diesem gewahr wurde, daß er ein eigenes Abenteuer war, - so entfernte ich mich auch von demselben, und die Katzbacher Sonntagstille und Feier, erregte mein Herz mit Wehmut.
Am 13. August erreichte ich Kischinew, hielte mich bei einem gewesenen Schullehrer, Hofmann auf, der anfangs sehr freundlich war, dann aber sehr ungehalten wurde, weil ich ihm seine Bücher nicht abkaufen wollte. Von hier aus schrieb ich durch Scherzinger aus Sarata dem Vater meinen ersten Brief.
Am 15. August gings nach Orche, durch einen über zwei Stunden langen sehr dichten Wald der für sehr unsicher wegen Räuber gehalten wurde. Von hier gings zwischen großen Gebirgen nach Belz daß ich am 18. August erreichte. Schon von Kischinew an hatte ich Heimweh empfunden, daß sich aber jetzt immer verstärkte, sodaß ich manchen Tag fast nichts aß, mich aber desto mehr im Gehen antrieb . Alles war mir verleidet, und oft mochte ich lieber sterben als leben.
Den 19. August erreichte ich ein moldawisches Dorf Rescha, und weil es Sonntag war ließ ich mir ein Quartier vom Schulzen geben um dort zu bleiben. Meine Wirtsleute waren recht freundlich und machten mir hinter ihrem Hause ein Lager. Was ich aber freilich hernach bitter büßen mußte. Denn ich, als unerfahrener Jüngling, hatte von ihren Teppichen und Kissen gebrauch gemacht und war so voll Läuse geworden die mich fortpeinigten, bis nach Polen, wo ich erst wieder davon befreit wurde. Ich beschäftigte mich in meiner Einsamkeit, mit beten, lesen im Testament und einer Predigt von Lindl, dabei war ich im Geiste sehr mit Katzbach beschäftigt und der dortigen Sonntagfeier. Zuletzt legte ich mich schlafen und hatte einen Traum der mir unvergeßlich ist. Mir deuchte, ich wäre am Berge Sinai und hörte jemand sprechen: „Wenn aber der Herr wieder redet." Mir fiel sogleich die Geschichte in der Gesetzgebung in Mose II ein, wo Israel flohe - und ich wollte fliehen, und indem ich flohe, redete der Herr, verstand es aber nicht, als nur: „Ich der Herr, dein Gott." Die Stimme aber war so stark, daß sie meinen ganzen Leib durchdrang wie ein Blitz und glaubte, ich müßte sterben und werde wie ein Rauch vergehen. Im Schrecken wachte ich auf und war am ganzen Körper wie gelähmt.
Den 22. August erreichte ich die Grenzstadt Nova Seliz.
Am 23. August Cunowitz über der Östreichschen Grenze und nächtigte daselbst .
Den 8. September wurde ich bei der Stadt Oberthin von einem Juden um zwei Silberrubel betrogen.
Den 10. September nächtigte ich in einem Walde in einem dicken Gebüsche ganz allein, dem Schutze Gottes mich anempfehlend.
Am 11. September kehrte ich in einem Judentraktär ein, und während ich mein Brod aß, wurde mir meine Mütze gestohlen, und ich mußte froh sein, das die Juden für meine neue Strümpfe mir eine alte, abgelegte gaben, den verkaufen wollten sie sie nicht.
Am 13. September erreichte ich Lemberg eine ziemliche Stadt in der sich auch eine kleine Evangelische Kirche befindet, ich ging aber den anderen Tag gleich weiter.
Am 18. September kam ich an ein Städtchen Jaroslan, und da ich nicht weit war von der Polnischen Grenze, und suchte über dieselbe hinüber zu kommen, aber man ließ mich nicht hinüber, und hatte so an zehn Meilen um sonst gegangen; dazu übertrat ich in einem tiefen Sande, von dem es hier große Flächen gab, - einen Fuß, so daß mir das Gehen recht schmerzhaft wurde, und meine Reise recht beschwerlich - doch war ich nur froh daß Gott von einem Tage zum anderen half.
Am 21. September war Sonntag , ich sang einen Psalm las ein Kapitel aus Matthäus, eine Predigt von Lindl, was ich alles mit Gebet beschloß, für mich, und alle meine Lieben, und ging dann weiter am Nachmittage. Jetzt ging ich meist die ganze Woche in der Nähe der Weichsel und sah verschiedene Fahrzeuge mit Salz beladen auf derselben fahren, was mich an die Brüder in Grönland, erinnerte und deren ihre Lebensweise.
Am 28. September wurde ich ohneweit Krakau über die Grenze nach Polen gelassen.
Am 5. October war Sonntag und ich befand mich in der Nähe von Peterkau, da ich aber keinen geeigneten Aufenthaltsort fand, begab ich mich des Morgens mit Gebet und Gesang auf den Weg. Nachdem ich etwa drei Stunden gegangen war traf ich auf eine Wassermühle. Ich ging in dieselbe hinein und fand eine freundliche Aufnahme. Man gab mir etwas zu essen, und fragte nach meiner Reise. Und nachdem ich ihnen sagte, ich wolle nach Peterkau und von da nach einem Dorfe Geske, so entgegnete sie mir, um nach Geske zu kommen brauche ich nicht nach Peterkau gehen, sondern von hier nur in gerader Richtung durch einen kleinen Wald, den sie mir zeigten. Ich ging nun diesen Weg durch ein Gebüsche, und ohne zu vermuten war ich schon in Geske.
Nachdem ich mich etwas erkundigt hatte nach meinen Vettern, wollte ich Vetter Martin aufsuchen. Und wie ich da ging, begegnete mir Vetter Michael, den ich dem Gesichte nach für einen Kludt erkannte. Ich grüßte ihn daher freundlich und fragte, ob er nicht ein Kludt wäre, er antwortete, ja. Wie sein Vorname sei? er Michael. Ob nicht auch hier ein Martin Kludt sey? Er antwortete ja, hier mein Nachbar. Ob er ein Bruder von ihm sey ? Antwort, Ja. Nun konnte ich mich nicht länger enthalten und grüßte ihn noch einmal mit einem Kuß als seines Bruders Sohn. Er fragte nun, wer bist du den? Ich antwortete: „Ein Sohn von eurem Bruder Johann Kludt, in Rußland in Bessarabien, der eine Besuchsreise nach Deutschland macht, und bei dieser Gelegenheit auch seines Vaters Brüder und die übrigen Freunde aufsuchen möchte. Er führte mich nun in sein Haus und Vetter Martin wurde auch gerufen. Nach allseitiger Begrüßung, übergab ich ihm nun den Brief vom Vater und Lindl fünf Predigten dem Vetter Martin. Man beschaute nun auch meinen Paß und war mit allem nicht wenig überrascht. Vor allem galt es nun ein wenig auszuruhen und dann meinen verrenkten Fuß wieder in Ordnung zu bringen, was auch in ein paar Tagen mit Gottes Hilfe gelang. Der Aufenthalt bei meinen lieben Vettern und nahestehenden Verwandten, wo mir von allen Seiten, alle Liebe und Freundschaft bewiesen wurde, hatte auch wirklich sein gutes für mich als unwissender und unerfahrener Jüngling, dem die Welt ihre Art, Treiben und Wesen ganz unbekannt war. Vetter Martin, der älteste von seinen Geschwistern, ist ein alter, dabei noch ziemlich rüstiger, eingezogener, ehrbarer, eigennütziger und sehr launischer Mann. Er ist hiesiger Schullehrer, ist ziemlich vermögend und hatte noch nie ein Kind, und wie ich hörte, hatte er in früheren Jahren auch keine Kinder gewünscht. Jetzt ist er alt und seine Frau betagt und kann seine gekaufte Wirtschaft nicht mehr gut fortsetzen. Er hatte daher schon einige von seinen Geschwister Kinder zu sich genommen, und ihnen seine Nachlassenschaft versprochen, als Erben, (aber nicht verschrieben,) und wenn sie eine Zeitlang bei ihm waren, schickte er sie wieder fort oder sie gingen selber - so daß er jetzt wieder ganz allein dastand; und es wäre ihm gar erwünscht gewesen, wenn ich jetzt bei ihm geblieben wäre, zu dem ich mich begreiflich nicht verstehen konnte.
Er war früher preußischer Soldat gewesen, und war so leider mit dem sogenannte Vernunftschristenthum und dieser Lehre bekannt geworden, und lebte noch jetzt darin. Nach demselben braucht man keinen Heiland als einen Erlöser von Sünden, sondern durch Tugend und Pflichten wird man selig, und drüber erwartet einem ein herrliches frohes Wiedersehen, weil Gott ein Allvater ist.
Am nächstkommenden Sonntag wohnte ich dem hiesigen Gottesdienste bei, der am Vormittag ist und sonst weiter nichts den ganzen Tag. Obgleich Geske ein großes Dorf ist, so waren wir im Ganzem doch nur an 8 oder 10 Seelen. Er wurde in Vetter Martins Haus, in seiner großen Stube gehalten. Nach dem absingen eines Liedes, lesen der Sonntags Epistel, singen und lesen des Evangeliums, las Vetter Martin eine Predigt von Zerenner und Hohnzug. Ob der Name Jesus darinnen vorkam, kann ich mich nicht erinnern, aber von Buße und lebendigen Glauben kein Wort, dagegen aber von Tugend und Pflichten sehr viel. Die Zuhörer schliefen die meisten während dieser Zeit. Nach einem Gebete und Gesang, war der Gottesdienst beendet. Nachmittags sagten Vetter Michaels Söhne und die Base (bei ihnen hatte ich eigentlich mein Quartier) zu mir: „Jetzt gehen wir ins Propernaters das heißt Pächters, der auch eine Brennerey habe, und sehr reich sei, und alle Leute des Dorfes kommen dort hin. Wir gingen, und richtig, so wars. Zu einem großen Gasthause, bei dem sich auch eine Branntweinbrennerey befand, hatte sich der größte Theil der Gemeinde eingefunden. Männer und Frauen Kinder und Greise. Die älteren Männer und Frauen saßen im Saal in Gruppen um die, an den Seiten stehenden Tischen und unterhielt sich meist mit lachen und scherzen, dabei das Branntwein und Biertrinken gehörig gehandhabt wird. In der Ecke befanden sich ein paar Fiedler, die aufspielten und den übrigen Theil des Saals nahm ein Kreis von Tänzern ein, ganz junge, aber auch alte Männer und Frauen. Die übrigen Gäste und Kinder, standen umher , und so war das Haus von Innen und Außen voll. Nach einiger Zeit fiel aufmal ein Tanzpaar und die nächstfolgenden oben darauf, die übrigen aber, als ob daß so sein müßte, tanzten um diesen Knauel ruhig herum, bis das Stück zu Ende war. Nach einer Weile gabs wieder eine Pause. Ein ziemlich ältliches Ehepaar, was begreiflich nicht nüchtern war, und auch schon mit anderen Personen die Runde gemacht hatte, prüchelte sich, der Mann die Frau, die Frau den Mann. Die Frau erlag, ward auf den Boden geworfen und ihr Mann trat sie mit Füßen auf den Leib, daß sie in der Ohnmacht da lag und so hinaus geschaft wurde. Endlich da meine Verwandte sahen, wie ich mich hier in Beklemmung fühle, brachen sie auf und wir gingen nach Hause. Einen Sonntag hatte ich in Geske erlebt wie sonst keinen, soviel ich mich erinnern kann. Vetter Michael ein gesetzter mehr zurückhaltender , aber freundlicher Mann, dabei recht imsig in seiner Wirtschaft, seines Handwerks ein Stellmacher, was aber nur sein ältester Sohn Christian umtrieb. Sein jüngerer Sohn Johann sollte das Schmidhandwerk lernen. Die übrigen Kinder waren gestorben. Die guten Vetter sind, was das Irdische anbelangt, glücklich aber nur eins fehlte ihnen, der Heiland und sein lebendigmachendes Wort. Und wenn ich davon mit ihnen sprach, so war daß ihnen eben so fremd, als wenn ich moldowanisch sprach.
Geske ist mit vielen Waldungen umgeben, die noch Theile von den polnischen Urwäldern sind, die aber den umherwohnenden Edelleute angehören, die sie den Deutschen zum ausrotten, als eigen, gegen gehörigen Zins, Stückweis verkaufen. Und so gibt es hier ganze Waldungen voll Deutsche, der eine hat einen halben Morgen Wald, der Andere drei, vier fünf Morgen und so weiter. Jeder hat sich auf seinem Stück ein Häuschen oder Hütte gebaut, ganz einsam, bis zu seinem Nachbar, oft ein bis anderthalb Werst entfernt mit lauter Wald umgeben. Zum Gottesdienst kommen sie nicht zusammen, lernen einander auch nicht kennen, als Sonntags in den Schenken oder in den Städten auf den Märkten. Wird ein Kind geboren, so wird es zum nächsten katholischen Geistlichen gebracht, ebenso die Trauungen werden von denselben vollzogen. Der Evangelische Geistliche kommt im Jahr ein oder zwei mal, wo er dann Abendmahl ertheilt, oder auch confirmirt. Das aller traurigste aber ist, daß diese guten Leute kein schriftliches Wort Gottes nicht haben, nicht kennen und auch nicht erhalten können. Eine Bibel oder Testament ist nur selten anzutreffen und andere christliche Bücher ebenso, ausgenommen ein paar alte Gesangbücher, die auch zugleich das Gebetbuch vertreten. In diesen neu angelegten Wald Holendereien, wohnte die Base Maria Kludt verehelichte Rapp. Man brachte mich zu ihr hin. Es ging durch ganze Waldstrecken, endlich kamen wir zu einem ganz allein im Walde stehenden Hause umgeben mit gewaltigen Fichten. Nicht weit davon waren kleine Stellen ausgerottete Landstückchen mit Kartoffeln und Gemüse bepflanzt. Die Freunde waren nicht wenig erstaunt und erfreut über meinen Besuch, und konnten nicht genug hören von den Mittheilungen aus Rußland, und wenn ich ihnen dann auch schilderte, wie man in Rußland einen christlichen religiösen Sinn habe , bete und singe, - so hieß es dann, ach, da müssen wir es doch nicht am Besten haben, wenn man so eingezogen lebe. Vetter Rapp spricht nur ein gebrochenes Deutsch, sonst nur polnisch. Er hat auch ein Evangelisches Gesangbuch in polnischer Sprache. Er hatte eine verheiratete Tochter und einen noch ledigen Sohn Gottlieb.
Den 31. October reiste ich von Geske wieder ab, der Stadt Leuschitz zu.
Am 2. November kam ich in ein deutsches Dorf Katarzinov ohnweit der Stadt Rawa, und wurde dort mit einem Schullehrer, einem lieben Bruder Johannes Lempke bekannt. Er war durch die Herrnhuter Brüder erweckt worden, und machte mich mit ihren Arbeiten in Polen, zu meiner nicht geringen unerwarteten Freude, bekannt. Auch theilte er mir mit, daß Johann Friedrich , mein ehemaliger Schulkamerath, auf den mir der Vater aufmerksam gemacht hatte, auch ein Bruder sei und sein naher Mitkollege. Ich suchte nun gleich eine der Hauptniederlassungen der Brüdergemeine auf, Sulzfeld, eine sehr große deutsche, noch von der preußischen Regierung angelegte Kolonie. In der ein Diaspora Arbeiter, Karl Domke, seinen Wohnsitz hatte.
Am 3. November kam ich dort an, und nächtigte bei Bruder Klebsattler, und die folgende Nacht bei Bruder Christoph Bauer bei dem auch das Versammlungshaus ist. Bruder Domke war auf Reisen nach Pabianiz, ich reiste daher demselben nach.
Am 5. November kam ich in der Stadt Konstantin an, wo ich Bruder Ludwig Braun besuchte, der seines Handwerks ein Gerber ist.
Am 6. November ging ich dann nach Pabianiz den lieben theuren Bruder Carl Friedrich Martin Domke, Diaspora - Arbeiter der Herrnhuter Brüdergemeine, der in Sulzfeld angestellt war, und die ganze hiesige Gegend bedienen mußte, und sich gegenwärtig hier aufhielte, zu besuchen. Ich kehrte bei dem lieben Bruder Christian Gottlieb Neumann an, an den ich Empfehlung von den Brüdern hatte. Er ist hier Stadt - Schullehrer, noch ledig und seine ebensfalls noch ledige Schwester, auch eine liebe freundliche Person, führt ihm die Haushaltung. Ich wurde mit aller Freundlichkeit und Liebe aufgenommen und als ich mich bekannt gemacht hatte und mit dem Zweck meiner Reise, so war die Freude groß und alle Schüchternheit ferne. Er machte mich mit den anderen Brüdern in Pabianiz nun bekannt, die mich alle recht brüderlich begrüßten und aufnahmen. Ich mußte nun mein Quartier, bei Bruder Christlieb Krusche einem wohlhabenden Baumwollfabrikanten nehmen, bei dem sich auch Bruder Domke aufhielte. Er hatte zur Frau die Schwester des bekannten Missionars Leupold in Bernares in Ostindien, auch eine ehrwürdige christliche Frau. Auch hatte er noch einen ledigen Bruder August Krusche, der ebenfalls so einen liebevollen christlichen Sinn zeigte. Domke grüßte mich aufs herzlichste, und sagte, nachdem ich ihm meine Papiere und das Empfehlungsschreiben meines Vaters an die Vorsteher und Aeltesten der Herrnhuter Gemeinde gezeigt hatte - nun werde er mir Empfehlungschreiben mitgeben von hier bis nach Herrnhut, sodaß ich überall Aufnahme finden werde. Ich hielte mich hier fünf Tage auf, die mir recht zum Segen wurden.
Am 11. November reiste ich nach der Stadt Leuschitz, um die Verwandte der Mutter aufzusuchen.
Am 12. November kam ich in Dombier Holand an bei Vetter Martin Will, ältester Bruder meiner Mutter. Ein gesetzter, freundlicher lieber Mann so viel ich ihn kennen lernte und dem kirchlichen Sinne nicht abgeneigt. Ebenso seine Frau ist eine recht freundliche, dabei gelassene Person, aber seit Jahren immer kränklich. Sie leidet auch an den in Polen sehr bekannten Wechselzöpfen.
Am 13. November besuchte ich den Vetter Lobstätt in dem Holand Willanoff, der die Muttersschwester Anna Elisabeth zur Frau hat. Nachmittags den Vetter Christoph Will in Holand Zepanof, seines Handwerks ein Schuhmacher.
Am 16. November als am Sonntag, besuchte ich mit Vetter Martin Will einen alten Verwandten Martin Martin in einem Deutschen Dorfe Rochenne.
Am 18. November nahm ich Abschied von Vetter Martin Will und kam am 19.-ten in das Holand Schenschalof zu Vetter Martin Wolleberg, der die Mutterschwester Eva Aegerd, geborene Will, zur Frau hat.
Von hier ging ich über Groß - Neudorf, wo unser Vater mehrere Jahre Schullehrer war. Ich besah mir das alte ziemlich große Bet = und Schulhaus, wo ich einen Theil meiner Kinderjahre verlebt hatte, und kam dann durch einen Wald in ein deutsches Dorf Psaren und von da in ein Holand Cholome;
Am 21. November zur Vatersschwester Wittwe Katharine Gränke geborene Kludt. Sie war Hebamme und hielte sich bei ihrem verheirateten Sohne, der ein Windmüller ist, auf. Von hier gings in die Stadt Kowol, und von hier durch einen ziemlichen großen Fichtenwald und kam so Abends am 23. November in einen Holand Murksi bei Vetter Christoph Kludt an. Er war in seinen ledigen Jahren einige Zeit in Preußen gewesen, und daher ein ziemlich wissenschaftlicher Mann auf dem Lande, seines Handwerks ein Schneider, dabei ein aufgelegter und beredter Mann zur Unterhaltung, und so ziemlich beliebt bei den Leuten. Er war Schullehrer, doch gegenwärtig ohne Dienst. Er befand sich mit seiner Frau gerade auf einer Kindertaufe, bei einem Mann im Walde und nur seine Kinder waren zu Hause. Ein Knabe lief gleich fort um es dem Vater anzuzeigen, daß ein Gast dasei. Nach einiger Zeit kamen ein paar junge Männer die mich nun auch in jenes Haus brachten, wo ich eine ziemliche Gesellschaft Männer und Frauen bei einem fröhlichen und lustigen Mahle antraf, und meinen Vetter in ihrer Mitte. Alles war stille, wie ich eintrat. Ich grüßte sie alle freundlich und fragte, ob nicht ein Christoph Kludt hier sey. Man zeigte auf meinen Vetter, der mir nun entgegen kam und sagte, ich heiße nicht Kludt sondern Grudschensky. Ich entgegnete, dann gehen wir einander nichts an und ich suche nur einen Christoph Kludt, und bin dann fehlgegangen. Er führte mich näher an Licht und schaute mich recht ins Gesicht, und sagte, ich kenne Sie nicht. Ich sagte, daß sey unmöglich, ich kenne Sie auch nicht, denn wo Sie mich etwa gesehen haben, war ich ein kleines Kind, und ich kann mich gar nicht erinnern daß ich Sie gesehen hätte. Meine ganze Kenntniß in diesem Theil ist nur von meinem Vater in Rußland in Bessarabien, der mir aufgetragen hat seinen Bruder Christoph Kludt, in hiesiger Gegend aufzusuchen. Nun küßte und grüßte er mich, ich wurde an einen Tisch gebracht neben ihn, wo er nun mir Verwechslung seines Names erzählte, daß ein polnischer Geistlicher, der ihn getauft habe, die Leichtsinnigkeit seiner Pathen benützt und so seinen Geschlechtsnamen veränderte, er sey aber wirklich Christoph Kludt. Ich richtete nun die Grüße von Rußland und Polen von unseren Verwandten an ihn aus. Essen und Trinken wurde gebracht und das fröhliche Mahl dauerte bis Mitternacht. Dann gingen wir durch den dunklen Wald wieder nach Hause.
Am 24. November ging ich mit Vetter Christoph ins Holand, dicht an den Weitzel Fluß, Ladna wo des Vaters Verwandte wohnen die Dreher Familie.
Am 30. November wohnte ich des Sonntags einem Gottesdienst auf einer Weitzel Insel bei; den Vetter Christoph hielte.
Am 2. Dezember reiste ich wieder ab und nächtigte bei der Base Katharina Gränke in Cholome.
Am 3. Dezember ging ich durch Klodawa und nächtigte in Schenschalof bei Vetter Wollenberg.
Am 9. Dezember ging ich durch die Stadt Colo, wo ich einen Brief auf die Post gab an meine Eltern in Bessarabien und von hier dann nach der Grenzstadt Kalisch.
Am 11. Dezember ging ich über die preußische Grenze. Vor der Stadt Oels ist ein schöngebauter ziemlich großer Wald. In demselben weidete eine ganze Gesellschaft Rehe, unweit der Schlossee (?) wie ganz zahm, was mir nicht wenig wichtig und neu war. An diesem Tage erreichte ich noch die große Stadt Breslau, ich ging hindurch und nächtigte hinter der Stadt in einem Gasthause. Von hier gings nun über Liegnitz, eine ziemlich große Stadt, und über Heynau der Brüdergemeine Gnadenberg zu.
Am 14. Dezember, es war Sonntag, aber des Getümmel der Stadt war mir zu groß, brach ich frühe in Liegnitz auf und am Abend war ich ohne mein vermuthen schon in der Nähe von Gnadenberg, und um 8 Uhr war ich im Orte. Ich fragte nach dem Brüderhause, und wie ich in dasselbe eintrat, begegnete mir Bruder Schulz im Eingange. Ich fragte ihn, wo Herr Münzer wohne, ich hätte ein Schreiben an ihn. Mit Freuden führte er mich zur anderen Ettage hinauf, und fragte mich im Gehen: Ob ich ein Bruder wäre? Ich antwortete: Ich wünsche es sehr. Er führte mich nun in die Schneiderwerkstatt, wohin Bruder Münzer sogleich kam. Ich überreichte ihm den Brief von Bruder Domke und suchte auch die anderen Briefe an die anderen Geschwister hervor. Bruder Schulz erkannte sogleich den seinen und sprach: „Der ist an mich." Mein Felleisen wurde mir gleich abgenommen und ich mußte mich setzen. Ich richtete nun die Grüße von Domke und den anderen Brüdern, in Polen aus. Sie waren ganz erstaunt über einen solchen unerwarteten Besuch aus solcher Ferne. Ich machte sie nun bekannt mit dem Zweck meiner Reise und gab ihnen den Brief von meinem Vater zum lesen. Bruder Münzer lief mit demselben sogleich zum Bruderpfleger, kam aber bald wieder zurück. Jetzt mußte ich mit Bruder Pfeifer in den Speisesaal, wo mir Suppe und Butterbrod aufgetragen wurde. Führte dann mich bald auf das obere Stockwerk, in den Schlafsaal der Auswärtigen Brüder und zeigte mir ein Bett zum schlafen.
Am 15. Dezember des Morgens war mein Ankommen schon im ganzen Hause bekannt, und wo ich hinkam mußte ich von Bessarabien erzählen. Ich besuchte aber außer dem Bruderpfleger Belwitz nur wenige. Des Abends nach der Versammlung nahm mich Bruder Schulz ins Schwesternhaus, wo wir die Schwester Dorothea Wilhelmine Beinbrecht besuchten, die einige Jahre auf einem Missionsposten in Süd-Afrika gewesen war, und nun als Wittwe mit zwei Töchtern, ihren Aufenthalt hier hatte. Sie freute sich über uns und erzählte uns mehreres von den bekehrten Hotentoten und den dortigen Verhältnissen.
Am 16. Dezember Vormittags kam eine alte Schwester die Wittwe Noken im Auftrage der Schwestervorsteherin und holte mich ins Schwesternhaus. Hier mußte ich nun fast alle Schwestern besuchen. Eine Schwester führte mich im ganzen Gebäude herum, in den Betsaal in die Küche in den Speisesaal u.s.w. Alle Merkwürdigkeiten, die damit verbunden waren, wurden mir mitgeteilt. Sie waren alle außerordentlich neugierig von dem Zweck meiner Reise und dem Land Bessarabien zu hören.
Am 17. Dezember wurde ich wieder ins Schwesternhaus gerufen. Man wollte gerne den Brief von meinem Vater lesen; und führte mich zum Gemeinde Prediger Steingard. Er freute sich sehr über meinen Entschluß und wünschte mir viel Segen zu meinem Vorhaben.
Am 18. Dezember des Morgens als ich schon Abschied nehmen wollte und zum Theil schon genommen hatte um nach Herrnhut zu gehen, kam die Schwester Noken ins Brüderhaus in die Bäckerei und machte mir den Vorschlag doch in Gnadenberg zu bleiben für jetzt, und später dann nach Herrnhut zu gehen, sie habe sich schon etwas erkundigt, um einen Aufenthaltsplatz für mich, bei Bruder Hayder. Die Brüder rieten auch dafür, daß man nicht wissen könne ob sich's in Herrnhut so machen ließe,-- ich überlegte und willigte ein, wenn sichs machen lasse. Ich mußte die Sache dem Bruderpfleger anzeigen, der auch sogleich zu Herrn Hayder hinging, der eine Galentarie und Papierdruckerey besitzt, sich auch dieser Sache erkundigte, und bald die Nachricht brachte, ich könne bis zum Frühling bei ihm bleiben. Bruder Lebwitz, war so freundlich führte mich selbsten zu Bruder Hayder, und stellte mich ihm und seiner Gattin vor, die mich aller Freundlichkeit begrüßten , und mich für Kost und alle Bequemlichkeit, für etwaige Dienste die ich in seinem Geschäfte leisten könne, zu sichern. Ich nahm mit aller Dankbarkeit dieses freundliche Anerbieten an, und fühlte mich bald recht heimatlich. Des Nachts aber hatte ich meinen Aufenthalt im Brüderhause. Ich übergab nun alle Briefe nach Herrnhut und der dortigen Umgegend, so wie meinen Paß dem Bruderpfleger, der alle Papiere besorgte. Ich war nicht wenig erfreut und dankbar, daß der Herr, so ohne mein Suchen und Zuthun für mich gesorgt hatte und mich in dem Brüderkreis als ein Fremdling versetzt. Nur die Frau Hayder kümmerte mich, den sie war schon seit geraumer Zeit schwermütig und war bei allem Reichtum nicht ihres Lebens froh und konnte sich der Gnade Christi nicht getrösten. Sie ließ sich öfters mit mir in ein Gespräch ein, und ich wies sie jedesmal dann auf die freie Gnade in Christi hin, was sie auch allemal mit einem freundlichen „Glauben Sie daß es so ist auch für mich"-- hinnahm. Meine Beschäftigung war nun meist in der Papierdruckerey, der übrige Aufenthalt im Brüderhause. Ein junger lediger Bruder, Namens Gottlieb Pfeifer, wurde mir zur Seite gegeben, für mich und meine Bedürfnisse zu sorgen. Die übrigen Brüder mit denen ich meisten Verkehr hatte, war zunächst Schneidermeister Münzer, Traugott Schulz, Buchbinder, Beckergeselle Küttner, Schuhmachermeister Küster, Bruderpfleger Belwitz und die alte Schwester Noken, die oft zu thun hatte im Bruderhause.
Am 24. Dezember feierten wir die Christnacht. Um 7 Uhr Abends begann der Abendgottesdienst, und die Kirche war mit mehr als 30 Lichtern erleuchtet. Prediger Steingard sprach die Worte: „Ehre sey Gott in der Höhe und Friede auf Erde und den Menschen ein Wohlgefallen," als einen Auftritt zum Beging der Feier, und im Sänger -- Chor, begleitet mit einer schönen Instrumental -- Musik, wiederholte zu verschiedenen Malen diese Worte, dann folgte eine Rede, Gebet und Gesang.
Am 25. Dezember. Die heutige Predigt war recht wichtig, dazu der Gottesdienst wieder mit Musik begleitet. Am Abend nach der Versammlung, besuchte ich das Schwesternhaus mit einigen Brüdern. Die Schwestern hatten für die Anstalltskinder -- es ist da eine Mädchenanstallt -- eine Vorstellung von der Geburt Christe gemacht. Da stand nun der Stall zu Bethlehem mit der Krippe, und die Hirten mit ihren Schäflein und ein schöner Springbrunnen dabei. Der ganze Saal war voll Menschen. Jung und Alt und alles voll bescheidener Freude.
Am 31. Dezember. Heute wurde der Jahresschluß gefeiert, und um 5 Uhr Nachmittags war Gottesdienst. Der Gemeinde Aelteste, hielte den Vortrag. Nach einem Gesange las er das Diurium, das heißt Jahresbericht vom ganzen Jahr vor, in welchem alle Begebenheiten in hiesiger Gemeinde, so wie alle Geborenen und Verstorbenen Namentlich vorkommen.
Um 7 Uhr war wieder Versammlung, die eine Art Buß und Bet -- Betrachtung war. Sehr viele Gäste hatten sich von nah und fern heute eingefunden, und in allen Häusern blieb alles auf und munter, in ganzen Gruppen geschart. Um halb 11 Uhr war wieder Gottesdienst, den ich nicht vergessen werde. Der Kirchensaal war ganz angefüllt mit Menschen, Jung und Alt. Das Chor sang mit Musik begleitet den Vers, mit vielen Wiederholungen: „Lobe den Herrn meine Seele und vergiß nicht was er dir Gutes getan hat." Nach Beendigung desselben, hielte Prediger Steingard eine sehr bewegliche Rede. Er stellte die treue Gnadenführung, des Heilandes, in dem nun zurückgelegten Jahre so lebhaft dar, als ob sie erst geschehen wären.-- Ja wie Er ungeachtet unserer vielen Untreuen und Verschuldigungen, sich doch stets als der Treue und Wahrhaftige gegen uns, dieses ganze Jahre erwiesen hätte, und wir also uns seiner Führung im neuen Jahre desto getroster könnten überlassen, -- und zum Schluße ermunterte er alle recht dringend auf zu herzlicher Dankbarkeit dem Heiland für Seiner Liebe Tod, dem wir alleine nur Alles Leben und Segen zu verdanken hätten. In diesem Augenblicke schlug die Turmglocke 12 und zugleich fiel das starke Musik - Chor und der Orgel mit Begleitung des Sängerchors, welches öfters mit Psalmworten in die Musik einfiel. -- Prediger Steingard kniete gleich nieder und die ganze Gemeinde mit ihm, und hörten im Stillen dem Lobgesang zu, bis er beendet war. Jetzt hielte er noch ein sehr herzliches Gebet und nach dem folgte ein Schlußvers. Kaum war die Gemeinde entlassen, so ertönten einige Liederverse, von der Altane des Brüderhauses mit Posaunen geblasen -- und so war damit die Feier geschlossen.-
Da die Mitglieder der Gemeinde fast alle dem, mehrgebildeten Stande angehören, so ist den auch ihre Kleidertracht eine Städtische. Wenn ich dann mit meiner bessarabischen Landtracht, in der Kirche in ihrer Mitte saß, so stach das freilich so ab, daß es schien, nicht nur daß ich von Bessarabien, sondern wirklich aus Arabien stamme. Ich kehrte mich zwar nicht daran, aber den Schwestern im Schwesternhause, war es schmerzlich, einen so abstechenden Mitbruder immer zu sehen. An einem Sonnabend kommt daher der Bruderpfleger zu mir, und bringt mir einen neuen Rock, Hosen und Stiefel, die mir diese im Brüderhause hatten machen lassen heimlich ohne mein Wissen. Ich war nicht wenig in Verlegenheit, ob ich dieses Geschenk annehmen sollte oder nicht, und sagte daher: Ich hätte auch andere Kleider und auch einen Rock zu Hause und sey es daher nicht so bedürftig. Er sagte daß könne seyn, aber hier hätte ich sie nicht, und sie seien es schon so gewöhnt, daß sie auch im Aeußern sich alle gleichen. Ich sollte es daher als einen Beweiß aufrichtiger und theilnehmender Liebe ansehen. Und so nahm ich es dan an, und ließ meinen Wohltätern herzlichen Dank sagen.
Am 17. Januar 1835 feierte ich mit der Gemeinde das heilige Abendmahl. Ich hatte einige Tage vorher um die Erlaubnis darum gebeten, was man mir auch gewährt hatte. Um 5 Uhr Nachmittags war Liebesmahl. Die Kirchenbänke waren zu dieser Feier soweit von einander gestellt, daß man zwischen denselben gehen konnte, und an der Hinterseite der Kirche war ein großer Tisch mit ganz weißen Tassen besetzt und daneben Körbe mit Backwerk. Man begann mit dem absingen einiger Verse von der Bruderliebe, und in einem kam die Zeile vor: „Wir geben einander den Bruderkuß," und während dem absingen derselben standen alle auf und ein jeder gab an beider Seiten neben ihm stehenden Bruder, einen Kuß, sowohl die Brüder, und Gemeinde Vorsteher, wie die Schwestern und Vorsteherinnen unter sich. Zwei Kirchendiener brachten nun in einem schönen weißem Korbe genug kleine aber schön gebackene Brödchen, und reichten davon zuerst dem Prediger, und den übrigen Aeltesten jedem eins, und so dann der ganzen Gemeinde, Bank für Bank. Zwei andere Kirchendiener, brachten nun auf Presentier- Teller Thee, der dort am Tisch hinten von Schwestern zugerichtet wurde. Er wurde ebenso dargereicht wie die Leibchen Brod. Nur die Schwestern, wurden wieder von Schwestern, bedient. Die ganze Gemeine aß und trank jetzt miteinander, während der Gesang ohne Unterbrech in Begleitung der Orgel fort dauerte. Merkwürdig war, wie bei dieser ganzen Handlung kein klirren der Tassen, noch ein poltern der Diener durch ihr Laufen, zu hören war. Man gab sich nach dem Trinken auch einen Kuß und schloß dann die Feier, mit einem schönem Vers. Um 7 Uhr spielte das Musikchor statt dem gewöhnlichen Läuten zum Gottesdienst zum Zeichen, daß nur die Communicanten kommen sollten . Wie die Gemeinde versammelt war, kamen aus den Sakristeien der Prediger Steingard, Vorsteher Rieger, eben so Pfarrerin und Vorsteherin mit langen weißen Talaren und einem Bande als Gürtel in den Saal und setzten sich auf ihre Sitze hinter dem Altar, auf dem mehrere geschliffenen große starke Gläßer, mit Handhebenen standen gefüllt mit Wein, und eine Art silberne Vase mit Großen viereckigen Oblatten, die in der Mitte ein Risschen hatten, wo sie im Austheilen durchbrachen. Der Altar war auch ganz weiß bekleidet mit einem breiten seidenen Bande umgeben von blutroter Farbe, daß alles nebst der großen Beleuchtung der Kirche machte einen recht feierlichen Eindruck. Statt der Beichte hatte jeder Communiont, den Tag vorher sich schon entweder beim Pfarrer, Vorsteher oder Bruderältesten einzeln melden müssen, zu einer kurzen Besprechung. -- Nach absingung eines Verses, sprach der Pfarrer die Einsegnungsworte des Heilands vom Abendmahl und Vater unser. Dann nahm Pfarrer Oblatte und gab dem Gemeinde Vorstande und Vorsteherinen zuerst das Abendmahl, indem er die Oblatte immer inzweibrach, und Zweien gab. Nach diesem stiegen sie von den Altarstuffen herunter zur Gemeinde, der Bruderpfleger und ein Aeltester zu den Brüdern, der Pfarrer und eine Aelteste, die ihm in einem silbern Tellerchen die Oblatte darreichte, so wie der Aelteste dem Bruderpfleger und gaben so stehend, Bank für Bank und zwischen welche sie hindurchgingen das Brod oder Oblatte derselben. Nachdem nahm der Pfarrer Ein Glas mit dem Wein und trank zuerst und reichte es dann dem Aeltesten und der den übrigen Vorstehern. Ebenso reichte ein Glas der Vorsteherin, die wieder eine der anderen es gab. Nachdem wurde ein solches Glas dem Ersten in der Bank gebracht, und der gab es dann dem neben ihm stehenden Bruder und so weiter, und wenn es am Ende der Bank war, so nahm es der neben stehende Aelteste ab und gab es in die folgende Bank und wenn Wein fehlte so füllte er es aus einer silbernen Kanne wieder. So geschahe ebenso auch bei den Schwestern, nur daß sie von den Vorsteherinen bedient wurden. Nach dem man fertig war, brachte man die Gläßer wieder auf den Altar. Ein Dankgebet wurde noch gehalten und ein Schlußvers gesungen und die Feier war beendet. Während der Austheilung des Abendmahls wurde fortwährend Abendmahlverse gesungen.--
Am 24. Februar trat ich meine weitere Reise an, die Gemeinde Herrnhut zu besuchen. Der Bruderpfleger Belwitz war so freundlich und gab mir ein Empfehlungsschreiben an die anderen Brüdergemeinen mit und als ich mich von den Brüdern verabschiedet hatte, ging ich über Bunzlau, daß nur eine halbe Stunde von Gnadenberg ist, nach Görlitz und kam am 25. Februar in der Brudergemeine Niske am Nachmittag an. Dieser Gemeindeort, hat eine sehr niedrige ebene Gegend, ganz mit Wald Plantagen und schönen Gärten umgeben. Die Brüder führten mich sogleich auf die Dienerstube, zur Versorgung eines lieben Bruders Gottlieb Martin, der zugleich auch Krankenwärter war. Nachdem ich mich näher bekannt gemacht hatte und auch mit dem Zweck meiner Reise, führte er mich in der Umgegend und auf den Gottesacker (Friedhof) umher. Auf den Abend wurde ich von Bruder Vetter zum Kaffe eingeladen. Es versammelten sich daselbst mehrere Brüder, unter anderen Bruderpfleger Schwarz und Baron von Stahl. Dem Ersteren überreichte ich meine Empfehlung von Bruder Belwiz. Sie erkundigten sich nun nach verschiedenen Angelegenheiten in Bessarabien, und hatten eine schöne Unterhaltung.
Am 26. Februar wurde ich des Morgens zum Kaffe eingeladen von Bruder Beyer. Er ist ein recht liebender Bruder und zeigte mir mehrere Briefe die er von den Missionsgeschwistern aus Grönland erhalten hatte. Da ich den Wunsch äußerte gern das dortige Naturalkabinett zu sehen, so führte mich Bruder Martin in das Pädagoim zu Bruder König an den ich einen Gruß von seiner Schwester in Gnadenberg auszurichten hatte. Nach dem die Unterrichts Stunde vorüber waren meldete er uns an und ein Bruder ging sodann mit uns dahin. Ich war sehr erstaunt über die großen Krokodille, Seehunde, einfarbige und gefleckte, Wallfisch -- Horn, Strauße, Kollibris, Insekten und verschiedene rohe Mineralien. Um 1 Uhr Nachmittage wurde ich von einem Bruder wieder ins Pädagoim geholt und mußte mit Bruder König Kaffe trinken. Es war den Brüdern alles recht interessant, was sie von Rußland und Bessarabien hörten. Sie führten mich dann zu dem alten aber lieben Bruder Hasting, der viele Jahre Missionar in Labrador gewesen war, und nun mit seiner betagten Frau sich hier im Ruhestand befand. Er hatte schon von Bruder Domke von mir erfahren, und war ihm daher recht lieb mich persönlich kennen zu lernen. Er zeigte mir mehrere Gegenstände von den Arbeiten und Sachen der Eskimo und Grönländer, und brachte mich dann zu Herrn von Biloh, sodann zum Gemeindevorsteher des Orts. Dieser rieht uns dann -- auch die Schwesterpflegerin des Schwesternhauses zu besuchen. Da wir hier ankamen, mußten wir noch mehr Schwestern besuchen und zuletzt eine wo sich Missionar Eberle, der gerade im Begriffe war mit seiner Frau die Reise nach Grönland zu machen befand. Merkwürdig war mir der Schwestermantel der Schwester Eberle, der ganz mit Grönländischen Vogelbälgen wie ein guter Pelz ausgefüttert war, so wie überhaupt die so sorgfältige Bekleidung dieser lieben Geschwistrige von der Gemeinde. Er sagte mir, wann er in Grönland ankomme, so wolle er auch von mir, als einem Bessaraber Bruder, einen Gruß ausrichten. Die Schwestern bewirteten uns mit prächtigen Pflaumenkuchen und Schokolade.
Den 27. Februar hatte ich mich entschlossen die Gemeinde Kleinwelke zu besuchen, doch durch zureden der Brüder blieb ich noch länger da. Um 9 Uhr brachte man mich zu Herrn Klaß. Anstalltsvorsteher des Pädagoim. Er fragte mich nach Verschiedenen in Bessarabien und auch von Sarata. Und da ich ihm erzählte, daß Sarata sich nicht mehr in dem Zustande wie zu Lindls Zeiten befinde, äußerte er sich: Daß er schon öfters nachgedacht habe, wie die Brüdergemeine schon seit so vielen Jahren erhalten worden wäre im Segen des Herrn, und Lindl so wirkend er auch sei, seine Gemeinde doch nicht recht bestand hätte.---
Den 28. Februar war ich bei Herrn von Biloh mit Baron von Stahl, der mehrere Jahre im Dienste der russischen Armee gewesen war und jetzt als Bruderpfleger den Brüdern diente, Gemeindeältester Schwarz und ein Lehrer des Pädagoim, zum Mittagessen eingeladen. Man erkundigte sich nach manchem aus Rußland und ich hörte und sahe auf Manches was mir fremd war.
Am 1. März war Sonntag, und Bruder Kleinschmid hielte eine vortreffliche Predigt; „Von den lautern und unlautern Absichten , die man bei der Nachfolge Christi haben könne.“
Am Abend wohnte ich einer rührenden Aufnahme von fünf Geschwistern in die Gemeinde Nisky, bei. Es waren 4 Brüder und 1 Schwester. Zwei Brüder waren studierende aus dem Pädagoim. Zuerst wurden einige Verse gesungen (Die Aufnehmende saßen alleine vor der Gemeinde). Dann hielte der Prediger des Orts, Pfarrer Lonzer, eine sehr dringende wichtige Rede, worin er sich noch besonders an die zwei Brüder aus dem Pädagoim wandte, die als zukünftige Helfer im Reiche Gottes gebildet werden sollten. Zum Schluße befahl er diese neuaufgenommene Geschwister dem Heiland in einem sehr eindringlichen Gebete. Dann sangen die Brüder vom Chor dreistimmig aus dem Brüder - Liturgen - Buch:
- Im Namen Jesu Christ,
- Der Seiner Kirche König ist,
- Nimmt Seines Bruders - Volks Verein
- Euch jetzt in seine Mitte ein.
- * * *
- Mit uns in einem Land zu stehen,
- ihm unverrücklich nachzugehen,
- In glücklicher Theilhaftigkeit,
- an Seiner Schmach und Kreuzesfreud.
- * * *
- Er gab auch Seinen Friedenskuß
- zu Seines ganzen Heils - Genuß.
- Der auch ein Signal Seiner Treu,
- und unserer Gemeindschaft sey.
Bei diesen Worten wurde diesen aufgenommenen Geschwister, ein Kuß von den Gemeindevorstehern, der Schwester von der Chorpflegerin gegeben. Darauf Stimmte die ganze Gemeinde mit folgenden Worten an:
- Wir reichen euch dazu die Hand
- der Herr, dem unser Herz bekannt,
- laß euren gang in der Gemein
- euch Seligkeit, Ihm Freude sein.
- * * *
- Der Gott des Friedens euch!
- Seid Sein, dient Ihm in Seinem Reich!
- Sorgt, daß Ihm Geist und Seel und Leib,
- auf Seinen Tag unsträflich bleib!
Hiemit war diese Aufnahmfeier geschlossen.
Am 2. März besuchte ich Gemeinde Kleinwelke. Ich überreichte meine Empfehlung dem Bruderpfleger des Orts, und war bald mit meisten Geschwistern des Bruderhauses bekannt. In Kleinwelke ist eine große Kinderanstallt, von den Kindern verschiedenen Missionaren, und Missionsarbeiter der Brüdergemeine aus allen Weltgegenden, die hier erzogen werden. Ein Bruder führte mich am 3. März in dieselbe. Die Vorsteher und Aufseher nahmen mich freundlich auf und zeigten mir alles, und ich war nicht wenig erstaunt über die vielen Kinder, von Grönland, Ost und West Indien Afrika und Australien, Große und Kleine, lauter Knaben, denn die Mädchen sind eben auch in solchen, aber andern Anstallt. Es war recht erfreulich zu sehen, wie die Kleinen wie die Großen an ihre Aufseher sich angewöhnt hatten, und sich recht heimatlich fühlten, begreiflich ist hier für alle Bedürfniße der Kinder reichlich gesorgt . Nachmittags mußte ich einen ehrwürdigen alten Greis, der seinen Lebenszeit im Schuldienste verlebt hatte, besuchen. Nachdem führte man mich ins Wittwenhaus, und wurde hier mit einer Schwester bekannt, Wittwe Juliane Mack verehelicht gewesene Frau des Missionars Schulz in Süd - Afrika. Wie ich diesen Namen Mack hörte, entgegnete ich, ich kenne auch Mack's bei uns in der Kolonie Sarata. Sie fragte gleich wie angeregt, wie heißen wohl ihre Vornamen? Ich sagte, der eine heißt Salomo und der andere Johannes. Ach, rief sie aus, das sind meine Brüder, schon viele Jahre sind wir aus unserer Heimat Württemberg von einander gekommen - ich nach Süd - Afrika, und wo sie hingekommen sind wußte ich nicht, bis ich jetzt höre. Sie konnte sich nicht mehr der Tränen enthalten , und fragte weiter: „Was machen sie den, und kennen und lieben sie den auch den Heiland ?" Es war mir hier wohlthuend mit Freudigkeit Ihr sagen zu können: „Ja, so viel ich weiß, und ich sie kenne, lieben sie den Heiland von Herzen." Der eine Salomo seines Handwerks Kürschner, ein altes liebes höckrigtes Männchen, seine Frau und einzige Tochter Purge sind gleichfalls recht liebe Seelen. Der Bruder Johannes war einige Jahre Schullehrer in einer hiesigen Kolonie, kannte ich aber weniger, als Salomo. Sie zeigte mir nun verschiedene Merkwürdigkeiten aus Afrika und gab mir zum Andenken ein ganz kleines Binsenkörbchen aus Gnadenthal in Süd - Afrika, was eine schwarze Kaffer - Schwester geflochten hat. Begreiflich machte sie sich nun gleich ans Briefschreiben an ihre Brüder, die ich dann mitnehme bei meiner Abreise.
Am 4. März wurde mit dem Anstallts - Bruder Kschischan in das Schwesternhaus zu Schokolade eingeladen. Die Schwestern waren recht neugierig etwas von Bessarabien zu hören, und verwechselten öfters Bessarabien mit Arabien, und fragten ob dort auch Wilde wären. Ich sagte ja , aber nicht solche wie in Afrika und Australien, sondern wie es auch hier welche gebe. Beim fortgehen reichte mir die Vorsteherin an 4 Thaler als Reisegeld, die die Schwestern zusammengelegt hatten, was ich mit Dank annahm.
Am 5. März trat ich den Weg nach Herrnhut an. Bruder Kschischan und Bruder Diermann begleiteten mich bis zur Stadt Bautzen, alte Hauptstadt der Wenden. Am Nachmittage kam ich hier an. Herrnhut liegt dicht am Riesegebirge, in Sachsen, unweit der Böhmischen Grenze, in der sogenannten Lausitz, in einer schönen fruchtbaren, ziemlich bewaldeten Gegend, und etwas Gebirgigt. Es ist eine Stadt, und schön nobel und massiv gebaut, mit 3 und 4 - Stöckigen Gebäuden, mitten auf dem Marktplatz befindet sich die Kirche, umgeben mit einem schönen Heckenzaun und Springbrunnen versehen. Besonders ist der Gottesacker (so wie auch in andern Brüdergemeinen) sehr bemerkenswerth, der zu einem öffentlichen schönen Spaziergarten hergerichtet ist, mit vortrefflichen Wegen, Alleen und Sitzen versehen, die das Ganze in mehrere Quartale einteilen. Auf jedem Grab liegt, in etwas schräger Stellung, ein weißer Grabstein mit schöner schwarzer Fakturschrift, bei Einzelnen auch mit Goldschrift, eingegraben alle bis auf Einzelne in gleicher Größe. Gegen die Mitte desselben ist das Grab des seligen Grafen Zinzendorf und seiner Familie Wattewille. Dicht am Gottesacker ist ein ziemlicher Hügel (die höchste Stelle bei Herrnhut), der Hutberg genannt wird. Er ist mit Waldung und Tannen bewachsen und oben mit einem Thurm versehen , von dem man eine weite Aussicht auf die ganze Umgegend hat. Die Herrnhuter Gemeinde ist eine sehr wohlhabende und treibt nicht nur mancherlei Fabrik, sondern ziemlich Handel in die Ferne. Alle ihre Arbeiten sind vorzüglich gut, aber etwas theurer als die andere. In der Nähe des Orts, an der Straße nach Zittau, in einem schönen Wäldchen, steht ein großer errichteter Denkstein, an der Stelle, wo der erste Baum zur Gründung Herrnhuts gefällt wurde. Den 17. Juni 1772 hatte Christian David seine Zimmeraxt mit den Worten in den Baum geschlagen:
"Hier hat der Vogel sein Haus gefunden, und die Schwalbe ihr Nest, nämlich deine Altäre, Herr Zebaot. " Psalm 84. 4 was alles dieser Denkstein anzeigt.
Bei meiner Ankunft im Bruderhause, überreichte ich meine Empfehlungen Bruder Anton, ein alter, aber dabei noch ziemlich rüstiger ehrwürdiger lieber Mann , der das Amt hat, für die fremden Brüdern die Herrnhut besuchen zu sorgen, dabei auch die in den umliegenden Dörfer vielen Geschwistrige zu besuchen, und ihre Angelegenheiten so viel wie er kann ordnen. Er nahm mich mit aller Liebe auf, und sagte, er habe schon lange auf meine Ankunft gewartet, auf die Empfehlung des Bruders Domkes hin. Er suchte nun meinen Aufenthalt in Herrnhut auch recht angenehm zu machen, und sorgte daß ich während dieser Zeit immer im Bruderhause logieren konnte.
Der 8. März war Sonntag. Um halb 9 Uhr Morgens war Litani gebetet und gesungen, welche von der Parkirche aus die ledigen Schwestern mit verschiedenen Saiteninstrumente, mit prächtiger Musik öfters begleiten. Um 10 Uhr war Hauptgottesdienst. Bruderpfleger Kranz, dem ich mich schon am 6. vorgestellt hatte, hielte eine schöne Predigt, in welche er die Martertadt Jesu, als die alleinige Ursache unserer Seligkeit darstellte, und wie unglücklich wir ohne derselben gewesen wären. Um 3 Uhr Nachmittags, nach dem ich Mittag gegessen bei Bruder Täuber, der mich auf den ganzen Tag zum Essen eingeladen hatte, ging ich mit ihm und Bruder Pfeil in die Umgegend des Ortes spazieren. Am Abend hielte der Gemeindepfarrer Gregor eine sehr anziehende eindringliche Passions - Rede.
Am 10. März besuchte ich dem Bruder Domke seine Mutter in Friedrichsdorf. Sie freute sich etwas mündliches von ihrem Sohn zu hören. Am Abend besuchten mich zwei andere Söhne und ein Förster, der auch eine Art Bruder sein wollte, aber an eine Wiederbringung aller Dinge glaubte, - und sich darüber in ein ziemliches Gespräch einließ.
Am 11. März ging ich mit Brüder nach Niederodewitz. Am Abende versammelten sich einige Brüder und unterhielten sich recht schön über verschiedene Gegenstände.
Am 12. März kam ich mit einigen Brüdern nach Gerdsdorf, wo man mir verschiedene Schriften, besonders Baseler Missions Magazin zum Geschenk machte. Wir kehrten bei einem Bruder Michael ein, der ein vermögender Mann ist und ein neues schönes Haus hat, in dem er auch zugleich einen kleinen Saal zum Versammlung halten, hatte errichtet. Davon hier nur einige 100 Schritte, die österreichische Grenze ist, so werden von hier aus 1000 - de von Bibeln heimlich, denn so sehr danach verlangenden Böhmen zugesandt, zu biligen Preisen und zum Theil geschenkt. Einige Brüder haben sich ein eigenes Geschäft gemacht. Bibel und Testamente, oftmals mit großer Gefahr hinüber zuschmuklen. Und wie sie mir erzählten, könnten sie nicht genug bringen, und werden dringend gebeten doch bald wieder zu kommen. Ich sahe große Kisten von Bibeln hier von verschiedenen Gesellschaften niedergelegt. Am Abend waren wir wieder in Herrnhut. Das Mittagsmahl hatten wir in Walddorf bei Bruder Mehlhose gehabt.
Ordination des Bischofs Kölbing
Am 13. März 7 Uhr Abends, bei reichversammelter Gemeinde und vielen Auswärtigen, wurde die Feier eröffnet. Eine Anzahl Geistliche sangen miteinander ein paar Verse auf diesen Gegenstand passend sehr schön vierstimmig. Während dem traten vier alte Männer mit großen ganz weißen Talaren und röthlichen Gürteln in die Kirche herein, und setzten sich auf Stühle um den Altar. Es waren 3 Bischöfe und der jetzt zu Ordinierende. Der Anblick war ein überwältigender. Alle drei ganz alt, mit schneeweißen Haaren, besonders der älteste, konnte sein Haupt nicht mehr stille halten. Mir wars als kämen Abraham, Isaak und Jakob herein, und ich konnte wahrnehmen wie die ganze Gemeinde sie nur mit Ehrerbietung anschaute. Nach Beendigung dieser Worte, sagte gerade der älteste, Bischof Höfel mit zitternder Stimme ein paar Liederverse vor, die dann die Gemeinde sang. Dann wurde ein Stück aus der Litanei der Brüdergemeine abwechselnd gebetet und gesungen, der diesem Gegenstande entspricht. Dann wurde die Losung des Tages Psalm 45, 5 „Es müsse dir gelingen in deinem Schmuck. Ziehe einher der Wahrheit zu gut - und die Elenden bei Kraft zu behalten; so wird deine rechte Hand Wunder beweisen." Lehrtext Matthäus 9, 23- 24 - gelesen. Und nun folgte eine Rede an die Gemeinde, in welcher eine Rückerinnerung geschahe, der ersten Bischofe der Brüderkirche, und wie es eben jetzt hundert Jahre herseyen, daß, der erste Bischof der erneuerten Brüderkirche geweihet wurde u.s.w. Dann wurden wieder einige Verse gesungen, worauf alle drei Bischofe aufstanden und vor den Altar traten und vor ihnen Bruder Kölbing der auf den Knien saß, alle drei legten ihm nun die Hände aufs Haupt und sprachen ungefähr folgende Worte: Da der treue Heiland, dich lieber Bruder, seit deiner Kindheit an zu sich gezogen und berufen hat in Seinem Reiche zu arbeiten, und darin schon viele Gnade wiederfahren lassen, so legen wir, im Vertrauen auf Ihn, Er werde auch ferner Dir helfen und mit Dir sein, Dir die Hände auf, und weihen und segnen Dich hiemit, zum Bischof der Evangelischen Brüderkirche, im Namen Gottes des Vaters des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Er stand jetzt auf, und jeder der drei Bischöfe gaben ihm einen Kuß und kehrten dann auf ihre Stühle zurück --er aber legte sich kniend auf sein Angesicht, still betend, hin so wie die ganze Gemeinde, während dem kniete und sang das Chor einen feierlichen Lobpsalm absang. Nach Beendigung desselben, sang dann die ganze Gemeinde noch ein paar Verse, zum Schluß der Feier.
Am 14. März bat ich um die Erlaubniß zum Abendmahl, die mir auch gewährt wurde. Um 5 Uhr Nachmittags war Liebesmahl, so wie in Gnadenberg, und um 7 Uhr Communion. Ganz unerwartet hörte ich heute ein prächtiges Posaunenblasen von der Höhe des Kirchthurms. Man spielte vierstimmig die schweizer Melodie: Jesu, Jesu komm zu mir oder Eins geht da, das Andere dort, in die ewige Heimathort. Die nächsten Töne wiederholten oder wälzten sich zwischen den hohen Gebäuden, in allen Gassen. Ich fragte nach der Ursache des Spielens, und man sagte mir, eine Schwester ist heimgegangen, das heißt gestorben, und wird hiemit angezeigt.
Am 15. März war Sonntag und Gemeindeprediger Gregor hielte eine eindringliche Rede, über die Sonntags - Epistel, von den Lüsten des Fleisches. Am Nachmittag ging ich auf Zureden des Bruders Anton, mit einem Bruder Clemens genannt, in das große Dorf Reichenau das an 5 Stunden von Herrnhut entfernt ist. Hier hatte ich meinen Aufenthalt bei Bruder Gottfried Hildebrand und am anderen Tage ging ich mit demselben und noch zwei anderen Brüdern in einige Brüderhäuser, wurde aber bald gewahr, daß die Brüder unter sich nicht einig waren sondern Zwischst (Zwist) hatten.
Am 17. März ging ich mit Bruder Hildebrand begleitet nach Zittau. Als wir beim Thor eingingen, begegnete uns eine ledige Schwester aus Eubau und ein lediger Bruder, der seit einiger Zeit aus einem Kloster bei Belgrad entsprungen war, um seiner evangelischen Ansichtwillen,- und sich nun in der Nähe von Herrnhut aufhielte. Sie wollten mich nach Eubau abholen. Wir kehrten nun bei einem Klempermeister Karl August Krüger ein. Aus den Gesprächen der Brüder konnte man deutlich wahrnehmen, daß auch in hiesiger Gemeinschaft große Zwistigkeiten seien. Die Geschwistrige hatten einen Fuhrmann gedungen mit einem verdeckten Wagen, weil es regnete, und da wir eine Strecke gefahren waren verloren wir eine Achsenmutter und der Wagen fiel mit uns um, man mußte ihn mit Mühe zurück in die Stadt bringen und eine neue Mutter machen lassen, und so kamen wir um Mitternacht dann endlich in Eubau an. Ich war ganz verwettert, und nächtigte in dem Hause dieser ledigen Schwester.--
Den 18. März besuchte ich einige Brüder, und einen Goldschmied Liebcher, der sich jetzt aber mit Fuhrwerken nach Polen beschäftigte. Er versprach mir ein Paket Bücher von Görlitz aus mitzunehmen . Nachmittags ging ich alleine nach Herrnhut zurück, und ruhte mich in einem Walde am Koppernberge aus. Nachdem ich nun mich mit einigen mir bekanntgewordenen Brüder verabschiedet hatte, ging ich noch nach dem nahegelegenen Flecken Betelsdorf, wo sich die Brüder - Unität befindet, und ein Schloß des Grafen Zinzendorf. Ein dort wohnender Diaspora - Arbeiter Suell, beauftragte mich, herzliche Grüße an Weygel, und seiner Frau und Frau Holzschurer, in Sarata zu überbringen. Am Abend nach der Versammlung verabschiedete ich mich von Gemeinde - Prediger Gregor. Er sagte, daß der Brief von meinem Vater in der Aeltesten - Conferenz gelesen worden sei, da er aber nicht an Jemand ins besondere geschrieben sei, so habe man Bruder Domke in Polen beauftragt darauf zu antworten.
Am 19. März trat ich meine Rückreise an, nach einem herzlichen Abschied von den Brüdern und Bruder Anton und kam zur Nacht nach Görlitz. Am 20. März besuchte ich hier das sogenannte heilige Grab Christi. Ich fand aber wenig Vergnügen daran, indem es so recht altkatholisch aussieht. Aber der alte große, prächtige mit Kupfer gedeckte Dom, die Peterskirche, die jetzt den Evangelischen gehört ist merkwürdig.
Am 22. März feierte ich den letzten Sonntag in der Brüdergemeine Gnadenberg. Am 24. März reiste ich nach vielen Glückwünschen von hier ab und kam zur Nacht nach Liegnitz und nächtigte bei Bruder Ehrenberg.
Am 26. März kam ich in Breslau an und ein Bruder hatte bisher von Liegnitz, der mit Grünzeug handelte, mich mitgenommen.
Am 30. März gings nicht weit von Kalisch bei Werdischau über die Grenze nach Polen. Dies war ein sehr wichtiger Tag für mich - den ich hatte verbotene Büchlein, die mir Lindl geschickt hatte für die Brüder in Bessarabien und die ich mir um den Leib gebunden hatte. Der Herr erhörte mein Flehen und half glücklich hinüber, Hallelujah!
Am 31. März kam ich in Pabianiz an und hielte mich bei den Brüdern auf.
Am 4. April kam ich im Dombjer Holand an bei Vetter Martin Will, ältester Bruder der Mutter.
Am 5. April ging ich mit Vetter Will und besuchte eine nachgebliebene Waise des verstorbenen Vetter Friedrich Will.
Am 7. April kam ich nach Lippin wo mein Vater an drei Jahre Schullehrer gewesen war, und von dort aus nach Rußland ausgewandert ist.
Am 9. April kam ich nach Murske zu Vetter Christoph Kludt.
Am 11. April zu den Mennoniten in der Weizelniederung Jenschmin und Tscherniberg bei Gumbin. Sie waren recht freundlich gegen mich, ihr Prediger heißt Ratzlaf, ihr Vorsteher Bankrath, bei Unruh nächtigte ich, der mich am andere Tage noch eine Strecke begleitete, und dann mit Thränen von mir Abschied nahm, er war ein alter lieber Mann.
Am 13. April kam ich in Neu - Sulzfeld bei Bruder Domke wieder an, er freute sich nicht wenig mit den anderen Geschwistern über meine Rückkunft und so Manches was ich ihnen aus den Brüdergemeinen mittheilen konnte, und auf ihr zureden blieb ich die Osterfeiertage bei ihnen. Die ganze Charwoche hindurch, wurde Leidensgeschichte gelesen - besonders war Charfreitag recht feierlich, wo bei den Worten: „Jesus neigte das Haupt und verschied ." alles auf die Knien fiel und ein herzliches Dankgebet gehalten wurde. Am Ostermorgen ganz frühe wurde die Oster Litanei gebetet, um 10 Uhr dann der Gemeindegottesdienst besucht. Am 2 Ostertage wurde von Bruder Domke eine herzliche Rede gehalten, und dann verabschiedete ich mich von den dortigen Geschwistern. Am anderen Morgen ging ich mit Bruder Domke nach dem Stockhofer Holand, wo er eine Rede wieder hielte. Von hier führte uns der Weg nach Lodz, wo auch Brüder sind, die recht munter waren. Hier nahm ich von Domke und den anderen Geschwister herzlichen Abschied und kam dann nach Pabianiz zurück. Die Brüder hatten aus herzlicher Theilnahme für uns Bessaraber, L. Hofackers Predigten während meiner Abwesenheit, von Warschau kommen lassen, welches mir Bruder Neumann übergab. Ich hatte nun ein ganzes Kästchen voll mit Büchern - aber wie ohne Reisegelegenheit nach Rußland fortbringen? Um eine Gelegenheit zu finden, hatte mich veranlaßt, die Mennoniten in der Weichselniederung zu besuchen, hatte aber keine gefunden. Die Brüder riethen nun, ich sollte dieselben noch bei ihnen lassen, bis ich die Freunde bei Peterkau besucht hätte, vielleicht könnten sie bis dahin eine Gelegenheit auskundschaften, wozu ich mich endlich entschloß.
Am 26. April kam ich in Geske, der deutschen Kolonie, wo unsere Vetter wohnen an. Vetter Martin war einige Wochen krank gewesen, so daß man schon an seinem Aufkommen gezweifelt . Beide Martin und Michael freuten sich sehr, da ich ihnen so manches aus Deutschland und den Brüdergemeinen erzählte und auch Hoffackerspredigtbuch zeigte. Dem Vetter Michael sein Christian hatte unterdessen geheiratet, sowie auch der Base Maria Rapp ihr Sohn Gottlieb. Dem Vetter Martin sein Prozes, um einige Hundert polnische Gulden, die er einem Edelmann entlehnt hätte, war noch nicht beendet. Zu der Base oder Mume Katharina Rapp kam ich nicht mehr. Ihr Tochtermann Joseph Samper, der dem Vetter Martin seine Wirtschaft übernommen hatte, war von derselben gegangen weil Vetter sie ihm nicht gleich verschrieben hatte. Vetter Martin hatte dann seine Wirtschaft, dem Vetter Michael seinem jüngsten Sohn Johann der ein Schmidt wurde - übergeben und der starb wieder, und so war der alte gegen 80 jährige Mann, mit seiner nicht viel weniger jüngere Frau, ganz allein auf seinem Landgut, - doch hatte er sich auf seinem Lande, eine Grabstätte für sich und seine Frau, bei einem Tannen und Wachholderbusch ausgesucht, und meinte: dort im Grabe ist Ruh! aber leider von der Ruhe in Christo wußte und glaubte er nichts. ---
Am 1. Mai nahm ich mit einem bewegten Herzen Abschied von unseren Vettern und trat an meine Reise wieder nach Pabianiz an, um meine Bücher dort abzuholen. Man hatte leider keine Gelegenheit zum Reisen nach Rußland auskundschafften können, und so reiste ich dann.
Am 5. Mai unter vielen herzlichen Segenswünsche der Brüder von Pabianiz ab, mit meinem kleinen zwei Räderischen Wägelchen, auf dem mein Bücherkästchen drauf lag und ich so vor mich her schieben konnte, was die Brüder in der Stadt für mich besorgt hatten. Sie begleiteten mich noch bis in den Wald, wo sie dann zu Abschied noch folgende Verse sangen und zum Andenken mitgaben:
- Nun Bruder gehe deinen Gang --
- Mit gottergebnem Sinn,
- Der Heiland bleibe Lebenslage,
- Dein Leitstern und Gewinn!
- ----------- - -----------
- Dein Führer auf dem Lebenspfad,
- In dieser Pilgrimzeit
- Er lasse Seine Lieb und Gnad,
- Mit dir sein jederzeit!
- ------------- - --------------
- Droht manches hier in dieser Zeit
- Dich von ihm abzuziehen!
- So rufe Jesus ist nicht weit,
- Und bald muß alles fliehn!
- ------------- - -------------
- Denk an Seinen Tod und bitteres Leid,
- An Seine Angst und Pein --
- Wie Er verließ die Herrlichkeit,
- Ein Heiland uns zu sein!
- Er ist werth, daß unser Sinn,
- Auf Ihm gehefftet bleibt.
- Und unser Wandel und Beginn,
- Ihm stehts zur Ehre treibt. --
- ----------- - -------------
- Halt Bruder! halt fest die Kron,
- Die dir der Heiland reicht --
- Bis daß uns vor Seinem Thron,
- Sein Wunder --- Licht umleucht!
- ----------- - -------------
- Reise glücklich deine Straße
- Traue Jesum, der dein Freund.
- Wandle fröhlich deine Pfade,
- Denke, doch wie gut ers meint!
- ----------- - -------------
- Er achtet auch auf deine Wege,
- Weiß auch stets was dir ist noth,---
- Engel stellt er an die Stege,
- Rettet auch, durch sie vom Tod. --
- Großer Heiland Deine Gnade
- Die den jungen Tobias,
- Du geschenkt zum Reisepfade --
- Gieb auch ihm, als Führer, laß,
- ----------- - -------------
- Daß sie ihn auf seinen Wegen
- Führe schütz, in aller Noth --
- Hülf, und Segen wie ein Regen,
- Ihn erhalt, zum sel'gen Tod! --
- So wollst Du den, lieben Bruder,
- Theurer Heiland ! führen auch,--
- Du sitzt ja am Weltenrunde,
- Engel steh'n zu seinen Gebrauch.---
- Schütze ihn auf seinen Wegen,
- Hilf ihm, wo er dein bedarf
- Und Erhalt'e uns all' im Segen,
- Bis zur frohen Sieges Harf!---
Deine verbundene Brüder: | ||
Pabianz | Christian Gottlieb Neumann | |
den 4. Mai 1835 | August Krusche. |
Meiner seligen Mutter Anna Maria Kludt geborene Will
ihre Verwandte 1835 bei der Stadt Dombje in Polen
Segen und Angedenk = Zettel
Segen und Angedenk = Zettel
die man mir in Deutschland, bei meiner Rückreise nach Hause, von verschiedenen Geschwistern mit gab.
- 1.
- Der Gott des Friedens wird mit Dir sein!
- Ich liege und schlafe ganz mit Frieden, denn
- alleine Du Herr hilfst mir daß ich sicher wohne.
- -
- Gott segne Dich und wolle Dich behüten,
- Sein Angesicht bleib stets auf Dich gericht
- Und leuchte Dir auf allen Schritt und Tritten
- Sein Friede weich von Deinem Herzen nicht.
- So fehlt Dirs nie an Gnade Trost und Segen
- Und Du gehst mit Jesu Christ,
- Nur Fried und Freud entgegen.
- -
- Die kostbare schönen Plätze,
- Wo unser Freund und alle Schätze,
- Für Laib und Seel so sauer erwarb --
- Wo er Thränen hat vergossen
- Und blut'ger Schweiß von Ihm geflossen
- Wo Er als Bürge für uns starb:
- Die wünsch ich Dir und mir --
- Zur Weide für und für.
- Zum Genusse zu aller Zeit,
- in Fried und Leid, --
- So lange als man Thränen streut. ---
- -
- So lebe den in Jesu Näh; --
- Auch ferner hin recht wohl,
- Und bleib aufs aller seligste
- Von Lieb und Beugung voll.
- Mit uns, unter Jesu Kreuz --
- Er gebe daß uns hier,
- Nichs auf der Welt so mächtig reitz
- Als Seine Liebsbegier!
- -
- Zum Andenken von Deiner im Herrn bekannt gewordene Mitschwester Louse Pilger.
- Kleinwelke den 5. März 1835.
- -
- -
- 2.
- Die wahre Freundschaft dieser Zeit, die sich auf Jesum gründet,
- Währt fort bis in die Ewigkeit, wo Freund und Freund sich wiederfindet.
- Nichts trenne unser Freundschaftsband; kein Trübsal kein Land,
- Wir wollen nicht beim Abschied weinen,
- Gott führt uns selig als die Seinen.
- Und bleiben wir an Seiner Hand, so seh'n wir uns dereinst im Vaterland.
- Beim durchsehen dieser Zeilen erinnere Dich
- Deines lieben Mitbruders, verbunden durch
- Das innige Li: ebesband Jesu Christo das unzertrennlich
- Ist und behalte lieb und im Andenken
- Deiner Dich liebenden Freund und Brüder.
- -
- Gottlieb Martin, geb. den 8. Mai 1807 in Toga
- Nisky, den 1. März 1835.
- -
- -
- 3.
- Heiliger Herr und Gott! Heliger starker Gott!
- Heiliger barmherziger Heiland, Du ewiger Gott !
- Laß uns nie entfallen, unsern Trost aus Deinem Tod.
- Kyrie eleison.
- -
- August Krüger.
- Nisky den 1. März 1835.
- -
- -
- 4.
- Ich wünsche Dir, geliebter Freund,
- Viel Gnade Friede Segen
- Der Herr, ders immer gutgemeint, ---
- Auf Deinen Lebenswegen,
- Der sey bei Dir und leite Dich
- Bis Er zum Auserwähten sich
- Dich, aus der Welt erhoben.
- -
- Dieses wünscht von Herzen Dir Deine durch
- Gottes Gnade verbundene Mitschwester
- -
- Johanna Christina Israel.
- in Eubau geboren den 24. Februar 1811.
- -
- -
- 5.
- Sie gingen hin zu ihren Hütten, fröhlich und guten Muthes,
- über alle dem Guten das der Herr an ihnen gethan hatte.
- Und nun Kindlein, bleibet bei Ihm!
- Bei dir Jesu will ich bleiben,
- halte selbst Dein schwaches Kind.
- -
- Zum Andenken an Deinen Freund und Bruder
- Gnadenberg, den 23. März 1835 G. Münzer
- -
- -
- 6.
- Sey getreu bis an den Tod, so will ich dir die
- Krone des Lebens geben. Offenb. 2; 10.
Halte dich fest an Deinem Erlöser, und verlaß Ihn nie aus Deinen Augen, wenn Dir daß Gefühl der Segens = Empfindungen der Gnade verschwunden, wenn der Glaube anfängt zu wanken und das vertrauen welches Du zum lieben Heiland hattest, hinsinken will, dann halte Dich fest an Seine Verheißungen: „Es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade nicht." so wird Dir bald das Licht der Gnade wieder aufgehen und ein Schein Seiner Gnade wird Dir dann um so erquikenden Segen bringen.
- -
- Von deinem Armen Bruder Küster
- geboren 1801 den 30. May in Oberrangse ohnweit Elberfeld.
- Gnadenberg, den 23. März 1835.
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- -
- 7.
- "Jakob zog seinen Weg, und es begegneten ihm die Engel Gottes"
- 1. Mose 32.1
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- Wir wollen ziehen, Herr Jesu zeuch voran!
- Wir wollen uns bemühen, beim Werk in Gott getan.
- Soll aber unser Fuß, nicht gleiten,
- Muß uns der Blick, Deiner Augen leiten.
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- zum Andenken von Deinem dich liebenden Bruder
- Friedrich Gottlob Pfeifer
- geboren, 31. Januar 1810 in Lomotsch im Königreich Sachsen
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- Gnadenberg, den 23. März 1835
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- 8.
- In Sulzfeld in Polen im April 1835 von einem Bruder der in dortiger Nähe wohnt.
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- Ein Scherflein zu deiner Reise nach Hause
- Lieber Bruder in Christo
- Wir Freuen uns herzich über Dich, Wir werden Dich hier in dieser Welt wohl nicht kennen
- lernen, aber -- vor dem Throne Gottes -- wird es geschehen.
- Ohne Unterschrift.