Erziehungsanstalt Petrinum

aus GenWiki, dem genealogischen Lexikon zum Mitmachen.
Zur Navigation springen Zur Suche springen

<<<Papstdorf

Bauzeichnung des Börner'schen Hauses 1866
Bauantrag von 1866

Bereits in seinen Anfangsjahren als Lehrer in Thonberg bei Leipzig setzte sich Börner für eine sozialpädagogische Betreuung von Kindern aus einkommensschwachen Arbeiterfamilien ein. Er war ein Befürworter der „Bewahr- und Arbeitsschule“ des Reformers Pestalozzi, fand für seine Ideen auch Unterstützer, so dass 1850 in Thonberg eine Kleinkinder-Bewahranstalt gegründet wurde. 1852 übernahm Börner eine Stelle als Kirchschullehrer in Neckanitz, 1864 wechselte er dann nach Papstdorf. An der Idee eines Erziehungsheimes hielt Börner auch hier fest.

In seiner Schrift „Es soll PETRINUM heißen!“, geschrieben 1871, beschreibt er den mühevollen Weg der Realisierung seines Vorhabens.

„So wenig zu erwarten war, daß die reizende Gegend inmitten der Sächsischen Schweiz einen Stationsort für meine künftige Wirksamkeit bieten solle, so konnte noch weniger daran gedacht werden, daß mir je in den Sinn kommen werde, auf dieser herrlichen Höhe einen Hausbau zu beabsichtigen. Und doch kann ich nicht leugnen, beruhte die tiefste und erste Bewegung zu diesem Unternehmen in der Erinnerung an einen Zeitumstand, der mir, bevor ich hier angestellt wurde, längst nachging. War es nun anders zu erwarten, nachdem wir zu Ende 1864 nach Papstdorf übergesiedelt waren, als daß ich darauf denken würde, den Plan zur Ausführung zu bringen. Hier, dachte ich, soll die Anstalt erstehen.“

Börner versuchte, bei den unterschiedlichsten Stellen Gelder für sein Projekt zu erlangen, so auch bei der Inneren Mission. Erfolg hatte er keinen, selbst „sein vorgesetzter Pfarrer“ (Forbriger) half ihm nicht und befürwortete das Unternehmen nicht.

„Ich legte meine Arbeit ruhig in Verschluß und dachte, die Zeit ist noch nicht da zur Ausführung – oder es soll nicht sein. Es muß entweder der geeignete Zeitpunkt abgewartet oder der Gedanke aufgegeben werden. Ich hatte daher nicht zu fragen, warum der Herr Vorgesetzte nichts geschrieben habe, und er hat mir darüber auch etwas nicht verlauten lassen.

So verging die Zeit vom Februar bis Ende Juni 1866. Da war der Krieg ausgebrochen. Die Arbeiter in der Gemeinde, welche sonst im Steinbruch oder auf der Elbe beschäftigt waren, wurden zum Teil arbeitslos. Bauern, welche nebenbei in Holz- und Steinfuhren Beschäftigung suchten, mußten ihr Fuhrwerk einstellen. Dazu kam, daß mir im Laufe jenes Jahres ein Capital auszuzahlen war, das die Möglichkeit gewährte, den Bau eines Hauses in nicht allzugroßem Maßstabe und doch so, daß es dem Zwecke dienen konnte, zu beginnen. War meine Seele nach Ausbruch des Kriegs überaus bang geworden, so fand ich doch recht bald im Inneren so reichen Trost, daß ich mich entschließen konnte, mit dem Bauunternehmen vorzugehen.

Es konnte nicht fehlen, daß mein Projekt, welches urplötzlich in einer so unsicheren Zeit in Angriff genommen werden sollte, ein Gegenstand der verschiedensten Fragen im Orte und in der Umgegend ward. Welchem Zwecke soll dieser Bau dienen? Fragte man sich gegenseitig. – Ich selbst vermochte auf an mich ergangene Fragen nicht bestimmt zu antworten, da ich ja erst abzuwarten hatte, welcher Bestimmung das Haus dienen werde, indem ich erst zusehen müsste, ob sich der Weg dazu bahnen werde. Es galt jetzt nur, den Bau so praktisch als möglich einzurichten. Ohne besondere Veränderungen anbringen zu müssen, sollte es, wenn ich es nicht zu Erziehungszwecken verwenden dürfe, geeignet sein, zum Aufenthaltsorte für Naturfreunde während der schönen Jahreszeit oder zum Landsitz einer Herrschaft zu dienen, oder sollte wenigstens eine Anzahl kleiner Logis für Bewohner des Ortes bilden.

Es ist eine besondere Gabe, wenn auf unserer Höhe in nicht zu bedeutender Tiefe auf einen Punkt getroffen wird, der eine lebendige Quelle bietet. Aber einen Brunnen in der unmittelbaren Nähe des Hauses zu haben, war mein sehnlichster Wunsch. Eines Morgens begab ich mich wider meine Gewohnheit, ohne etwas gesagt zu haben, gleich nach dem Aufstehen an den Bauplatz. Bald darauf hatte mich die Gattin neben dem ältesten der Arbeiter stehen sehen und geahnt, dass ich ihn angewiesen haben möchte, in Gottes Namen einzuschlagen, um zum Graben des Brunnens zu schreiten. Genau nach Verlauf von 3 Wochen hört sie um die Vesperzeit die frohe Kunde: „Wir haben Wasser gefunden!“ Es war ein Ereignis für Papstdorf. „Der Lehrer hat Wasser gefunden!“ hieß es, „das gibt dem Hause Wert!“ Die Familienfreude hob sich in der Aussicht, dass ein vorzügliches Trinkwasser aus dem Brunnen reichlich fließt. Das baldige Finden der Quelle, das vortreffliche Bauwetter, die friedliche Stille der Arbeiter waren so hoffnungsreich für das Gelingen meiner Unternehmung, daß die Ahnung, es werde bald eine Anfechtung dazwischen treten, ganz in der Ordnung war. Der Jahresschluß sollte sie herbeiführen.

Es mußte sich nämlich Gelegenheit bieten, daß mir in übelwollender Weise brieflich mitgeteilt werden soll, es hätten sich würdige Männer unter meinen Amtsgenossen gegen mein Unternehmen ausgesprochen. Diese Mitteilung ward Veranlassung, ein Vorwort zu schreiben, weil ich der Meinung war, die Berufung auf würdige Männer unter meinen Collegen könne einer guten Sache nur förderlich sein. Ich sollte mich leider getäuscht haben!“

Börner hatte sicher nicht viele Unterstützer bei seinem Projekt. Zwischenzeitlich kam sogar das Gerücht auf, er sei als Irrsinniger auf den Sonnenstein gebracht worden und dort verstorben.

„Was der Mensch im Namen Gottes unternimmt, das hat zum Endzweck Gottes Ehre. Das sollte mein Haus noch vor dem Schlusse des Jahres 1867 erfahren. Hatte ich zur Begründung des Baues auch über ein ehrliches Capital zu verfügen, so mußte ich doch zur vollständigen Ausführung desselben eine nicht unbedeutende Summe aufnehmen. Es hatten sich geneigte Herren gefunden, die mir Geld zu einem billigen Zinsfuß liehen. Ja, einer meiner geehrten Gläubiger war es, der im Glauben daran, daß Gott mit meiner Sache sein werde, daß er, als ich am 19.Dezember 1867 kam, um die bereits aufgelaufenen Zinsen abzutragen, mich mit den Worten zurückwies: „Sie sind keine Zinsen schuldig, sie haben ja noch keine Einnahmen von dem Haus gehabt!“ Weil darauf gedrungen wurde, das Geld wieder zurückzunehmen, so sah ich dieses Geschenk als eine Gabe des Herrn an und bestimmte, es möge zu einer Christbescherung für die zur Schulgemeinde gehörigen schulpflichtigen Steinbrecherswaisen dienen, wobei ein trefflicher Augenblick zur Weihe des Haues geboten sei.

Welch‘ eine Überraschung für mich und die Meinen! Mit stiller Freude eilte die Mutter in die Stadt, um alsbald die Einkäufe zu besorgen, um in der kurzen Frist noch das Nöthigste herzustellen, um die vaterlosen Kleinen auf eine bescheidene Weise zu erfreuen. Niemand wusste von dem, was wir vorhatten. Am allerwenigsten hatte man daran denken könne, in dem neuen Hause eine Christbescherung veranstaltet zu wissen. Am letzten Schultag vor Weihnachten wurden die verwaisten Kinder namhaft aufgerufen und veranlasst, nach dem Schlusse der Schule zurückzubleiben, weil ihnen eine Mitteilung gemacht werden solle. Alle waren gespannt, was das wohl sein möge, und neugierig blieben die andern Kinder auf dem Wege stehen, um zu erfahren, was den zurückgebliebenen gesagt worden sei. Wir sollen am ersten Feiertag, abends 5 Uhr, in die Schule kommen, hieß es. Auch sollen wir ein jedes seine Mutter grüßen und ihr sagen, sie möge auch mitkommen.

Noch ehe die Uhr am heiligen Christtage fünf geschlagen hatte, waren die Kinder, 22 an der Zahl, beisammen. Auch einzelne Mütter waren erschienen. Die Mehrzahl derselben war aber schüchtern zurückgeblieben. „Folget mir, Kinder!“ hieß es nun, und ich schritt zur Schulhaustür hinaus. Es geht in das neue Haus! Dahin ging es, denn dieser Gang war jetzt meines Herzens Bedürfnis. Es war ein seliger Augenblick, die Tränenperlen der Witwen und Waisen als Weiheschmuck des Hauses in fröhlich wehmütigen Augen leuchten zu sehen.

Wem hatten wir diesen still-feierlichen Weihe-Akt aber zu danken? Das sage sich jedes selbst, dem die Erinnerung daran lieblicher wird, wenn er nach Jahren, wo ich vielleicht nicht mehr pilgere, den Fortschritt hier sieht und die Erhöhung des Hauses wahrnimmt. „Das kommt von dem, den ich mit Sehnsucht gefragt : „Meister, wo bist Du zur Herberge?“ – Der Meister will, dass ein Herbergsort hier werden soll für Freunde der Anbahnung lebendigen Glaubenslebens, wie es dem Hause so sehr Bedürfnis ist, damit wir der Gefahr entgehen, dass die Entchristlichung der Familien Ursache werde an der Entchristlichung der Schulen; und die Entchristlichung der Schulen uns dahin führe, wohin wir nimmer wollen, zur Entchristlichung des Volkes.

Nachdem die Königliche Kreisdirection zu Errichtung einer Privat-Erziehungs-Anstalt in Papstdorf mir huldreichst Concession erteilt hatte, lag es in meiner Absicht, Kunde von diesem Unternehmen in die Öffentlichkeit zu bringen. Ich muß es dahin gestellt sein lassen, wie es zugegangen ist, dass die geehrte Redaktion der Sächsischen Schulzeitung sich dahin einigen konnte, meinem Referat die Aufnahme zu versagen, um mich nicht gefürchteten Angriffen auszusetzen, da doch in diesem Blatte öfters Aufsätze erscheinen, die hart angegriffen werden.

Ist es zu verargen, daß mich der Gedanke beschlich, meine Unternehmung habe durch die Nichtaufnahme meines Aufsatzes einen Angriff erlitten?

Anstalten, deren Aufgabe es von dem christlichen Standpunkte aus sein soll, die Erziehung dem praktischen Leben anzuschließen, werden sicher und gewiß eine Zukunft haben, denn es fehlt schon gegenwärtig nicht an Kindern, deren Fürsorger das Bedürfnis fühlen, die Erziehung der ihnen am Herzen liegenden in dergleichen Erziehungshäusern zu suchen.

Die kleine Anzahl, welche mir bis jetzt zugeführt worden ist, die Art und Weise, wie sie mir zugeführt worden sind, die Beweggründe, welche dazu veranlassten, sie hierher zu bringen, die Verbindungen, welche sich durch den Aufenthalt der Pflegebefohlenen mit deren Eltern oder Angehörigen anknüpften, oder das Verhältnis, in welchem diese selbst zu unserm Hause standen, dieses Alles gibt hinreichenden Ausweis, daß auch unser Erziehungsanwesen eine Zukunft haben wird, so lange es seine Aufgabe sein läßt, sich einer ungeheuchelten christlichen Praxis nach allen Beziehungen des Lebens hin zu befleißigen. Es ist in Aussicht genommen, unsere Anstalt als Rettungshaus für Kinder aus gebildeten Ständen zu wählen. Wir haben uns dieser Aussicht nicht verschließen können; und gern wäre ich bereit gewesen, die mir auf diese Empfehlung hin Zugewiesenen aufzunehmen, wäre nicht teils der Kostenpunkt in den Weg getreten, teils das zur Zeit noch fehlende Landgrundstück das Hindernis geworden, warum die Nachfragen nicht befriedigt werden konnten. Aber nichts destoweniger ist die Bahn gebrochen, die Verbindung der häuslichen Erziehung mit dem praktischen Leben zu vermitteln. Der Erschluß, der mancherlei Beschäftigungszweige, wie sie in den Tätigkeitskreis einer erweiterten Familie hereinzuziehen sind, wird zugleich der Weg sein und uns in die Lage bringen, auch Nachfragen um Aufnahme solcher Kinder zu befriedigen, für welche die Mittel zur Unterhaltung von den Angehörigen nicht vollständig beschafft werden können.

Vom Ostermorgen dieses Jahres (Anm.: 1870) sind es nun vier vater- und mutterlose Waisen, die unsere Familie erweitert haben. Wenn nun auch für die letzteren drei vorgesehen ist, daß das Nötigste fast hinreichen beschafft wird, so bin ich doch darauf angewiesen, zuzusehen, wie die erweiterte Familie eine Tätigkeit entwickeln lerne, ihre leibliche Nahrung zu schaffen, ohne auf die Mildtätigkeit der Menschen Anspruch zu machen.

Nun ist es so gekommen, dass ich nach glorreich errungenem Frieden, teils durch Rückblick auf den Beginn des Hausbaues, teils durch Hoffnung auf die Verwirklichung einer erhabenen Erziehungsidee geleitet, den stillen Wunsch in meinem Herzen trug, in der Nähe meines Hauses, auf dem am Schandauer Weg gelegenen Bergrücken des Papststeines eine Friedenshalle errichten zu dürfen, so darf ich wohl aussprechen, der Herr selbst sei es gewesen, der meine Gedanken lenkte, an Seine Königliche Hoheit den gnädigen Kronprinzen die untertänigste Bitte zu richten, der zu erbauenden Halle den Namen Albert’s Hoffnung geben zu dürfen. Obwohl die hohe Gnade mir zu Teil geworden ist, der zu erbauen beabsichtigten Halle die untertänigst erbetene Benennung beilegen zu dürfen, so sollte es sich ereignen, daß die Genehmigung des Baues verweigert worden ist.“

Börner bemühte sich nun um die Erlaubnis, dass sein Haus den Namen Albert’s Hoffnung tragen dürfe. Dieser Wunsch wurde abschlägig beschieden. Letztendlich nannte er es „Petrinum“.

Noch heute steht auf dem Rundbogen in der Diele des ehemaligen Börner'schen Hauses als Hausspruch geschrieben: "Alles ist an Gottes Segen und an seiner Gnad gelegen". Ob dieser Schriftzug aus seiner Zeit stammt oder erst später angebracht wurde, ist nicht bekannt.

Erika Carstens, Juli 2014

  • Quelle: "Es soll Petrinum heißen!", von J.K.G. Börner, 1871 Papstdorf