Der falsche Rappe
Der falsche Rappe
Dieses originelle Erlebnis erzählt der jetzige Forstamtmann i. R., Landsmann Heinrich Kietzmann[1], jetzt in Bad Driburg wohnhaft, aus seiner Tätigkeit als junger Staatl.-Preußischer Revierförster in den Jahren 1934/39 in Karunischken/Königsfeld, einem ca. 1130 ha großen Forstrevier:
Ein richtiger Jagdtag war angebrochen! Bei mittlerem Frost lag der Schnee im Forstamt Memelwalde nicht zu hoch, und durch den Wald verliefen schon fahrbare Schlittenwege. Also auf zur Treibjagd nach Revierförsterei Grenzwald! Ich fuhr mit meinem Rappen „Felix" und leichtem Schlitten zu meinem Nachbarn Wiemer zum Gutshof Lubinehlen, dort wurde Felix bis zu meiner Rückkehr im Stall untergestellt, und ich wurde vom jungen Kollegen Reuter mit seinem PKW zur Hasenjagd mitgenommen.
So eine einfache Treibjagd[2] [3] bietet den geschärften Sinnen eines richtigen Jägers wohl mehr Freude, als eine Oper oder ein Konzert dem Großstädter! Gerne hat er die Wohlgerüche von Pulver, Tabak und Sprit um sich herum; das Ohr freut sich über den vertrauten Klang der Waldhörner, das zunächst entfernte, aber näher kommende Klappern der Treiber, ein Knacken in der Dickung, das von einem Sprung Rehwild herrühren könnte, und mit dem scharfen Auge will er stets sein ganzes Schußfeld beherrschen, es darf ihm weder ein Hase auf 80 Schritt, noch ein gerissener, schleichender Fuchs, der sich drücken will, entgehen!
Sollte es einem Jäger bei längerem Treiben doch etwas kalt werden, dann bringt ihm ein gut hingeworfener Schuß mit Erfolg die nötige Wärme wieder! Sollte Diana ihn ganz vergessen haben, hilft der Jäger sich selbst nach mit einem guten Schluck von medizinisch bewährten Heilmitteln.
So verlief auch hier der erste Teil der Jagd nach Wunsch der Jäger! Ebenfalls der zweite Teil, bestehend aus einem guten „Schüsseltreiben[4]" und anschließender Geselligkeit nach Jägerart bei Kollege Crewell und Frau, auf Revierförsterei Grenzwald, bei der ein guter Grog die Stimmung, und überhaupt viele kleine Geister in Bewegung brachte.
Doch es gab auch hier ein „Jagd vorbei"[5] und nach herzlichem Abschied fuhren Kollege Reuter und ich mit seinem Auto heimwärts und erreichten musterhaft den Gutshof Lubinehlen. Was sollte auch unsere Fahrt behindern? Sicher waren unsere Groggeister noch keineswegs ermüdet, aber es war weit nach Mitternacht, jeder Verkehr fehlte in nächtlicher Stille. In Lubinehlen haben wir „Felix" reibungslos an meinen Schlitten angespannt, ich fuhr los und wollte bald meine Liegestatt erreichen. Zunächst machte mein „Felix" auf dem Gutshof eine eigenwillige Kurve zur Küche hin, dort wollte er wieder anhalten. Seltsam, aber etwas „langer Hafer" brachte ihn bald auf den richtigen Weg, es ging flott weiter. Ich stellte noch fest, daß „Felix" sich heute als besonders guter Traber zeigte, doch war mir dies nichts Neues: Felix hat sich immer so verhalten, wenn ich mit ihm spät nach Hause kam,- er wußte genau, daß auch dann eine gute Ration Häcksel/Hafer für ihn bereit war. Bei dieser letzten schnellen Fahrt dachte ich nicht mehr angestrengt nach; es fiel mir höchstens noch auf, daß mir Felix heute besonders hoch erschien, die Kruppe war doch kaum zu erblicken? Oder sollte der Schlitten tiefer im Schnee liegen, als zum Beispiel gestern? Doch waren solche Beobachtungen weniger fesselnd, die Gedanken waren immer noch beim ersten und zweiten Teil der fröhlichen Hasenjagd! Zu Hause angekommen, habe ich niemand geweckt, Felix fand sein gut verdientes Futter vor, wie üblich; daß er sich beim Hereinführen in den Stall etwas störrisch benahm, und auch sein Futter mit geblähten Nüstern kritisierte, habe ich übersehen, da ich nur noch an wohlverdienten nächtlichen Schlaf dachte.
Das menschliche Dasein ist doch sehr wechselreich, „nach Regen folgt Sonnenschein, oder umgekehrt".
Am nächsten Morgen hat nur mein eigenes Schicksal über mein Tagesprogramm entschieden, es folgte viel Regen!
Die Groggeister waren immer noch da, brachten aber nichts Angenehmes, Heiteres mehr, sie hatten sich in häßliche Quälgeister verwandelt! Zunächst brachte das Mädchen Grete Bericht aus dem Pferdestall: „Dem Felix haben sie den Schwanz abgeschnitten!" „H. — A. und Z.", dachte ich, „dieser Tag fängt gut an"! Tatsächlich war in dieser Zeit zu hören, daß das Roßhaar gut bezahlt wurde und bisweilen Pferde ihrer schönen Schweife beraubt wurden. Nun sprang ich aber doch aus den Federn, und hatte nur das Bestreben, die Groggeister endlich zu vertreiben, jedem Ärger auszuweichen und die alte Lebensfrische wieder zu erreichen! Aber da kommt schon wieder Grete und berichtet: „Dem Felix hat einer am Widerrist was durchgescheuert und er will sich gar nicht putzen lassen, er keilt ja beinah aus!" Nun aber Schluß, dachte ich, jetzt erst mal raus ins Revier, in die Schläge, vielleicht kann ich auch zufällig Rotwild, oder sogar Sauen ansprechen, bald wäre die alte Stimmung wieder da! Aber da befällt mich doch so 'ne düstere Ahnung nach den Berichten von Grete über „Felix", denn ein ostpreußisches Mädchen kann nicht über Pferde so schwindeln, wie z. B. ein „Kupscheller[6]"! Schnell mußte Grete „Felix" anspannen, ich musterte ihn kurz, übersah mit scheelem Auge seine Schandmale, gab einmal „langen Hafer" und war sofort vom Hof verschwunden!
Nach flotter Gangart war ich bald mitten in meinem Revier, hier hatte ich Muße, allein in aller Ruhe „Felix" anzusprechen. Ein Blick vom Schlitten genügte schon zu meiner Diagnose: Das ist gar nicht mein „Felix", aber, wer ist dieser Rappe? Wo habe ich ihn mir erworben? Wo ist Felix geblieben? Natürlich sieht dieser Rappe Felix ähnlich, aber er ist höher, mager, und zeigt die schon von Grete berichteten schändlichen Fehler!
Durch scharfe Gedankenarbeit ließ ich nun die Ereignisse der letzten 24 Stunden nochmals vor mir abrollen, das war anstrengend, aber ich kam doch der Wirklichkeit näher. Der Tatbestand war folgender: „Felix" wurde auf dem Gut Lubinehlen im Pferdestall so eingestellt, daß er links die Wand und rechts ein Pferd zur Seite hatte. Da er sich aber mit dem Nachbarn nicht vertrug, erhielt er abends einen gesonderten Stand, und auf seinem bisherigen wurde der nun schon bekannte „falsche Rappe" eingestellt, den ich nachts nach der Jagd „entführte" und an meinen Schlitten anspannte!
Es standen hier fünf Pferde nebeneinander. Ich holte „Felix" (jetzt den „Falschen Rappen"), aus seinem Stand von morgens, leider ohne die fünf Pferde zu mustern! Hätte „mein Felix" sich doch gemeldet!
Alle Überraschungen klärten sich auf: Der „falsche Rappe" hatte einen kurzen Schweif, Fehler am Widerrist, war ein guter Traber und etwas höher als Felix: Auch seine erste Kurve über den Hof zur Küche, wo er unbedingt halten wollte, fand bald seine Begründung: Der Rappe mußte jeden Morgen zur Küche hin, dort wurde die Milch aufgeladen, die er zur Molkerei bringen mußte! Jetzt hatte ich nur noch das eine Ziel, den „falschen Rappen" gegen Felix zurückzutauschen, weitgehend unbemerkt, denn man bedenke die Folgen, wenn dieser Pferdetausch den nachbarlichen Pferdekennern zu Ohren käme!
Trotz Zunahme motorisierter Verkehrsmittel und Maschinen waren für uns Ostpreußen immer noch die Pferde an führender Stelle (an erster Stelle natürlich die Trakehner!). Begegnete man einem Pferdegespann, so wurden fast immer erst mal die Pferde angesprochen, beurteilt, kritisiert, dann der Fahrer bzw. Besitzer!
Ich mußte nun entsprechend handeln und fuhr sofort weiter zum Gut Lubinehlen. Aber im Revier mußte ich doch noch einem gutbekannten Landwirt (Pferdekenner) begegnen, der sofort fragte: „Nanu, Herr Kietzmann, haben Sie Ihren „Felix" verkauft und diesen Rappen zugekauft, oder haben Sie jetzt womöglich zwei Rappen?" Mir fiel beim Ende dieser Nachfrage ein witziges, humorvolles Lächeln meines Bekannten auf, und so dachte ich nur „Nix als weg!".
So gab ich meinem „falschen Rappen" einen ausreichenden Hieb von rechter Seite, also unsichtbar für meinen Bekannten! Ich hatte noch etwas gemurmelt, aber nicht verständlich, und sofort hatte ich auch einen Abstand von 100 m zu ihm gewonnen! Bald erreichte ich den Hof Gut Lubinehlen, unentdeckt, kriegsmäßig, von hinten angefahren, und mußte nur noch den Rücktausch der Pferde schnell und verschwiegen erledigen. Aber nein! Auf dem Hof begrüßten mich Familie Wiemer, Kutscher, Mädchen und viele andere, und alles lachte und lachte! Ich nun auch, aber meine Fröhlichkeit kann nur pantomimisch ausgesehen haben!
Trotzdem war ich nun doch froh, „mein Felix" wurde an meinen Schlitten angespannt!
Aber trotz meiner tragischen Niederlage hatte ich hier doch noch einen Grund, richtig zu lachen: „Felix" mußte in Lubinehlen am Tage der Jagd den „falschen Rappen" vertreten, und zwar sollte er eine Schleife, mit Jauchefässern beladen, auf den Acker ziehen. Genau solche außergewöhnlichen Arbeiten hat „Felix" bisher nie vertragen können. Hierzu hatte ich schon genügend Erfahrungen gesammelt, aber niemand in Lubinehlen! So hat nun „Felix", entrüstet über seinen Auftrag, mit den Jauchefässern einen Zaun angelaufen, der Erfolg war Bruch an den Fässern und am Zaun!
Es ist wohl klar, daß mein Pferdetausch „Felix" gegen den „falschen Rappen" doch nicht immer ein Geheimnis blieb, und oft mußte ich ein freundliches Lächeln mitnehmen, wenn ich mit meinem „Felix" erschien!
Liebe Nachbarn und Jagdfreunde, könnt Ihr Euch noch erinnern?
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Fußnoten
- ↑ Die Genehmigung für die Veröffentlichung des Artikels in GenWiki im „Portal Pillkallen“ unter der Auflage der ausschließlich nicht-kommerziellen Nutzung liegt von der „Kreisgemeinschaft Schloßberg/Ostpr. e.V. in der Landsmannschaft Ostpreußen e.V., Rote-Kreuz-Straße 6, 21423 Winsen/Luhe“ schriftlich vom 19.03.2011 vor.
- ↑ Treibjagd in Niedersachsen(04.02.2015)
- ↑ Treibjagd in Puchheim (04.02.2015)
- ↑ Schlittenfahrten und Schüsseltreiben, von Maria Boehme, aus Kiefernberg, 1974
- ↑ Jagd vorbei & Halali Jagdhornbläsercorps des Hegerings Bad Driburg, Musikalische Leitung: Udo Schlüter (04.02.2015)
- ↑ Kupscheller = Pferdehändler
Ein großartiges Jagdergebnis, Ansitz-Drückjagd in Niedersachsen (04.02.2015)
Jagdschloss Rominten (04.02.2015)
Jagd in Trakehnen (04.02.2015)
Endlich Mai! Bockjagd im Frühling (04.02.2015)