Dorfwirtschaft
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Einleitung
Nach Beendigung der großen Völkerzüge waren die europäischen Völker (westlich der russischen Grenze) seßhaft geworden. Die Germanen wohnten seit den ersten Jahr¬hunderten unserer Zeitrechnung in festen Ansiedlungen und trieben Ackerbau, die Slawen hatten ebenfalls seit ihren Wanderungen in die frei gewordenen deutschen Gaue den Übergang zur Se߬haftigkeit vollzogen und zuletzt (um 600) waren die Kelten in Irland aus Nomaden zu Ackerbauer geworden. Das Agrarwesen Europas hatte angefangen, sich zu stabilisieren; in den festen Formen sich zu entwickeln, die es bei der endgültigen Siedlung der Bebauer des Landes erhalten hatte. Die lokalen Formen der Organisation Seßhaftwerdung waren zunächst sehr willkürlich und uneinheitlich. Nur kleinere Landschaften waren von einem einzigen Volksstamm besiedelt gewesen:
- als als einziges rein-deutsches Land: Niederdeutsch¬land zwischen Elbe, Weser, Mittelgebirge und Nordsee
- als als einziges rein-keltische Land: Irland
- alle anderen Gebiete sind multikulturelle Länder in denen verschiedene Völker ihre Kultur ablagerten wie geologische Schichten.
Besiedlung
Das Bestreben der Genossen eines Nomadenstammes war, angesichts des knapper werdenden Landes und der zunehmenden Übergriffe reicherer Herden¬besitzer, sich eine gesicherte Existenz durch dauerhafte Ansiedlung zu verschaffen, welche der planvollen Deckung des menschlichen Bedarfs diente. Dabei stand zunächst auch bei der festen Ansiedlung die „Nahrungssicherung" im Vordergrund,
Bei der Seßhaft¬werdung in Europa hat es sich im wesentlichen um verschiedenen nationalen Siedlungsweisen gehandelt
- Römer
- Kelten
- Germanen
- Slawen
Unter sie ist das europäische Land im ersten Jahrtausend aufgeteilt und zwar so, daß Deutschland bis zur Elbe slawisch, im übrigen teils deutsch, teils keltisch besiedelt ist, daß ebenso Frankreich und Großbritannien eine Mischung keltischer und germanischer Siedlungsformen aufweisen, während südlich der Alpen, soweit nicht Reste ursprünglicher Ansiedlung noch erhalten sind, die römische Centuriataufteilung des Landes sich neben der deutschen Dorfsiedlung vorfindet.
Siedlungsort
Die Ansiedlung wird gerodet (auch Bransrodung) und eingerichtet und auf einem Gebiet, das ge¬meinsamer Besitz einer Gruppe blutsverwandter, nomadisierender Familien gewesen und von den Ansiedlern bis dahin gemein¬schaftlich genutzt worden war.
Slawische Siedlung
Diese Siedlungsweise geht von der Sippenverfassung Geschlechtsgenossenschaft der Hauskommunion (zadruga ) aus. Man kannte ursprünglich keine Stände keine erbliche Fürstenwürde. Das Band der Sippeneinheit hielt alle umschlungen und der Starosta (Älteste) war nur Verwalter des Gesamtvermögens der Sippe. Die Einheit der Sippe schloss die Erbfolge aus. Die Bauern wohnen in Runddörfern, an deren Peripherie die einzelnen Gehöfte liegen. Von diesen gehen strahlenförmig die zum einzelnen Bauernhof gehörigen Ländereien aus; jeder Hof hat seinen Besitz in einem Stück.
Keltische Siedlung
Diese Siedlungsweise geht von der Clanverfassung aus. Danach hatte Niemand erblichen Grundbesitz, aber jedem Clanmitglied stand das Recht auf genügende Ausstattung mit Grund und Boden zu. Die Benutzung der überwiesenen Besitzung stand jedem wenigstens dem Grundsatze nach lebenslänglich zu. Nach dem Tode aber fiel das Land an den Clan zurück und wurde durch die Hand des Tanaist, als des dazu beauftragten und sachkundigen Vertreters des Clanhauptes, neu vergeben. Die Siedlung erfolgte in Einzelhöfen, um die herum das gesamte Areal, das dem Bauern gehört, in einer abgerundeten Masse gelegen ist.
Germanische Siedlung
Diese Siedlungsweise ruht auf genossenschaftlicher Basis, erkennbar noch an den jüngeren Markenordnungen. Die Bauerngemeinde wohnt in unregelmäßigen Haufen¬dörfern. Das Ackerland jeder Bauernfamilie liegt zerstreut an verschiedenen Stellen der Flur in den sogenannten Gewannen. Daher Gewannendorf.
Romanische Siedlung
Diese Siedlungsweise erfolgte in städteartigen Dörfern, in denen die steinernen Häuser Mauer an Mauer stehen. Speziell die Zenturiatansiedlung der Kolonien: in regelmäßigen Rechtecken von je 200 jugera.
Vorkarolingische Ressourcen
- das Land : zwar zu knapp für Nomadenwirtschaft, aber reichlich genug für extensiven Ackerbau;
- die Technik : ganz primitiv sowohl als Ackerbau wie Viehzucht, wie als gewerbliche, wie als Transporttechnik ;
- die Bevölkerung: verschwindend gering, in ihren einzelnen Gruppen noch wesentlich durch Blutsverwandtschaft verbunden
Wirtschaftsschwerpunkt
Der Schwerpunkt der Wirt¬schaft wird aus der Viehzucht des Nomadentums in den Ackerbau der Seßhaftigkeit verlegt. Zu diesem Zweck erhält jede Familie ein Stück Land zu ausschließlicher Benutzung -zeiweilig oder dauernd vorübergehend- zugewiesen groß genug, um den traditionellen Unterhalt seinen Bebauern zu gewähren und deren Arbeitskräfte, die durch ein Pfluggespann unterstützt werden, zu beschäftigen. Die Ackerlose sollen nach Möglichkeit gleich groß und gleich gut sein. Das Besitztum heißt selbst vielerorts „Pflug", aratrum, plough-land oder auch possessio familiae, terra familia oder schlechthin familia.
Grundausstattung
Bei der Besiedlung erhält jede Bauernfamilie eine ihrem Bedarf und ihrer Arbeitskraft angepaßte Grundfläche von ungleicher Größe, jedoch von gleichgedachter, für die Ernährung einer Bauernfamilie ausreichender Leistungsfähigkeit. Diese variierende Grundfläche, Hube, Hufe oder Lahn gnannt, war ein vom 9. bis 18. Jahrhundert verwendetes Flächenmaß.
Almende
Von dem Gesamtareal der Flur bleibt bei allen Siedlungs¬formen oft ein erheblicher Teil von der Vergabe an die Einzel¬familien ausgeschlossen in gemeinsamem Besitze der gesamten Gemeinde zurück : die Almende oder auch Mark. Dieser Teil der Dorfflur dient dann zur Unterlage einer gemeinsamen Wirtschaftsführung meist der Viehzucht als Weideland. Die kollektiv betriebene Viehzucht bestand noch bis zum 18. Jahrhundert.
Ackerbau
Wir dürfen annehmen, daß die ersten Feldsysteme, welche nach der Seßhaftwerdung zur Anwendung gelangten, eine ziemlich rohe Feldgraswirtschaft oder aber eine ganz primitive Einfelder¬wirtschaft waren. Die innere Zusammengehörigkeit der Mitglieder einer Bauern¬gemeinde findet ökonomisch ihren Ausdruck in dem Aufsichselbstgestelltsein der ganzen Gemeinde und dem Aufeinanderangewiesensein der einzelnen Bauern¬familien.
Außenkontakte
Nach außen fand zunächst so gut wie kein Verkehr statt. Die ursprünglichen Dorfanlagen kennen keine Wege zwischen den einzelnen Dörfern. Das gesamte Dasein ist ein¬geschlossen in den engen Kreis der Dorfflur. Da jede einzelne Familie auf ihrer Scholle selbständig sein will, so folgt aus dieser Sachlage von selbst als das die Produktion regelnde Prinzip, nämlich die Deckung des eigenen naturalen Bedarfs.
Bedarfsdeckungsprinzip
- Das Bedarfsdeckungsprinzip regelt die Anteilnahme des einzelnen an den Gemeindenutzungen: jeder soll so viel davon nehmen als er braucht (so wenigstens ursprünglich), nur verkaufen darf er nichts.
- Das Bedarfsdeckungsprinzip bestimmt den Kreis der zu gewinnenden Produkte: das sind die volkstümlichen Nahrungsfrüchte Ge¬spinnststofte usw.
Notnachbarschaft
Das Bedarfsdeckungsprinzip gibt die Veranlassung zu den in aller früheren Zeit selbstverständlichen gegenseitigen Hilfeleistungen der Bauern untereinander.
Bäuerlichen Eigenwirtschaft
Das Bedarfsdeckungsprinzip nötigt jeder Familie außer der landwirt¬schaftlichen auch die gewerbliche Produktion auf.
- Daß diese zum größten Teil in jeder Bauernwirtschaft mitbesorgt wurde, versteht sich von selbst. Hat sich ja die hausgewerb¬liche Tätigkeit der Bauernwirtschaften bis in das 20. Jahrhundert erhalten.
- Der Hausbau, die Herstellung der Kleidung, der Werkzeuge und des Schmuckes, das Backen des Brotes waren sicher von jeher Zweige der bäuerlichen Eigenwirtschaft.
- Was der Bauer an Eisengeräten nötig hatte, Nägel, Hufeisen usw., erzeugte er sich selbst, vom Eisenerz an, das er in der Gemarkung fand und in den einfachen Schmelzöfen, den Rennfeuern, zu Eisen ausschmolz
Gemeinschaftseinrichtungen
Wo größere Anlagen benötigt wurden, sorgte die Gemeinde als solche für ihre Errichtung. So z.B.
- (Wasser-)Mühle
- Schmiede
Ländliches Handwerk
Frühzeitig wird es in den Dörfern bereits einzelne Spezialarbeiter gegeben haben, die für die andern die notwendigen gewerblichen Arbeiten ausführten: in erster Linie einen Schmied und einen Stellmacher als Urtypen des ländlichen Handwerks. Nur daß sie ursprünglich nicht selbständige Handwerker auf eigene Rechnung waren, sondern von der Gemeinheit verpflichtet und unterhalten wurden, gegen die Verpflichtung, alle vorkommende Schmiede- oder Stellmacherarbeit kostenlos auszuführen. Wir kennen sie später im Haupt- oder Nebengewerbe als Guts- oder Dorfhandwerker
Genossenschafts Recht
Grundlage dieses Gemeinheitsleben war das Gemeinheitsrecht. Nur langsam öffnet sich die Gemeinde der blutsverwandten Dorfgenossen fremden Zuzüglingen ; nur langsam gewinnt die einzelne Bauern¬familie die freie Verfügungsgewalt über ihr Ackerlos. Und wo, wie in den deutschen Gewanndörfern, der Acker des einzelnen Bauern "im Gemenge" mit den anderen liegt, übt die Gemeinde strenge Ordnung in der gesamten Wirtschaftsführung aus, deren Gestaltung der Verfügungsgewalt des einzelnen Bauern ganz und gar entzogen ist. (Flurzwang!)
Diese ursprüngliche Form der bäuerlichen Wirtschaft, wie hatte sich in ihren Grundzügen durch alle die Jahrhunderte bis in die Karolingerzeit erhalten. Was sich geändert hatte, war wohl wesentlich folgendes: Die Verwandschaftsbeziehungen der Gründungszeiten hatte mehr und mehr den Nachbarschaftsbeziehungen in den Dorfgemeinschaften weichen müssen: die ehemals bluts¬verwandten Dörfler waren mit fremdblütigen Elementen durch¬setzt. Vor allem hatte eine schon ziemlich starke Differen¬zierung in den Besitzverhältnissen Platz gegriffen. Die alten Hüfnerder Gründerzeit waren zum Teil verschwunden; ihre Plätze wurden von größeren Bauern oder Teilhüfnern eingenommen. Und neben dem Hüfner erscheint schon (selten) der Kötter, der Kothsasse , der cottarius, croftmann, cotsettle der englischen Quellen.
Wirtschaftsführung
Bis zur Karolingerzeit hatte die Wirtschaftsführung in der Dorfwirtschaft keine wesent¬lichen Veränderungen erfahren. Heute können wir nachweisen, daß selbst die Dreifelderwirtschaft, die dann das ganze Mittelalter hindurch bis in das 19. Jahrhunder hinein die bäuerliche Wirtschaftsführung be¬einflussen sollte, nicht vor Ende des 8. Jahrhunderts sich erst aus¬zubreiten beginnt. Nach Meitzen, Siedelungen, 2, 592 f., wird die Dreifelder¬wirtschaft erstmalig 771 im räthisch-gallischen Gebiete erwähnt.
Quelle
Meitzen, August: Siedelung und Agrarwesen der Westgermanen und Ostgermanen, der Kelten, Römer, Finnen uud Slaven. 3 Bde. und Atlasband. 1895
Literatur
- Radulowits, M. W. Die hauskommunion der Südslaven ... (Verlag A. Siebert, 1891)
- "Markovic, M., Die serbische Hauskommunion (Zadruga) und ihre Bedeutung in der Vergangenheit und Gegenwart." Notes critiques-sciences sociales 4e année,para ...
- Conrady, Alexander Hubert Alphons: Geschichte der clanverfassung in den schottischen Hochlanden (Verlag Duncker & Humblot, 1898)
- Hanssen, G. Agrarhistorische Abhandlungen, 2 Bde. 1880.
- Tönnies, F. Gemeinschaft und Gesellschaft usw. 1887. 2. Aufl. 1912.
- Anton, Karl Gottlob: Geschichte der teutschen Landwirtschaft von den ältesten Zeiten bis zum Ende des 15. Jahrhunderts. 3 Bde. 1799.