Eigenklau

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<<<Erzählungen aus Schmelz


Eigenklau

Von Gerhard Krosien

Es war so weit: Spätsommer und Herbst waren wieder mal da! Überall prangten zuerst rote und später gelbe Früchte durch die Zwischenräume so manches Gartenzaunes. Den Schmelzer Bowkes lief bei solchem Anblick jedes Mal das Wasser im Mund zusammen, und unwiderstehlicher Tatendrang ergriff sie. Schon bald stand für sie fest: An dieser Ernte müssen wir uns beteiligen! Aber wie? Immerhin versperrte ihnen überall am Ort ihrer Begierde ein zweieinhalb Meter hoher Bretterzaun den Weg zum Ziel. Auch bei unserem Garten. Und meistens hielt dort ein Erwachsener oder ein scharfer Hund Wache. Das war auch bei uns in unserem Kirschgarten so. Und der sollte nach einhelligem Beschluss der Schmelzer Bowkes als Erster dran sein. Denn die Kirschen dort prangten jetzt im Juni/Juli in solch verlockendem Rot aus den Bäumen – einfach herausfordernd! Die Apfel- und Birnenbäume hatten noch etwas Schonzeit – aber ran kamen auch sie! Und wer von uns Bowkes wollte dann nicht dabei sein?!

Also, zunächst war unser eigener Kirschgarten dran. Dort schlurfte unser alter, etwas gehbehinderte Großvater oder irgendein „Beauftragter“ tagtäglich durch den Mittelweg, um einfallende Vögel zu verjagen - oder anderes „lichtscheues Gesindel“ an einem Raubzug durch die Kirschbäume zu hindern – ließ man uns wissen.

Unter den Bowkes, denen der Sinn nach den verlockenden Kirschen steht, sind auch mein älterer Bruder und ich. Wir wollen mitklauen – im eigenen Garten! -; denn erstens schmecken geklaute Kirschen immer noch am besten, und zweitens wollen wir beide bei den Äpfeln und Birnen doch auch mitmachen dürfen!

Der etwa 80 Meter lange Kirschgarten endet an „unserer Kiesgrube“, unserem Lieblingsaufenthalt. Von dort aus kann man auch, ohne den Gartenzaun zu beschädigen, am leichtesten unbemerkt in den Garten gelangen. Das wissen wir natürlich. Rasch und geschickt - wie Hunderüden das können, wenn sie irgendwo eine läufige Hündin erschnüffelt haben - scharren wir uns genügend breite und hohe Löcher unterhalb des Bretterzauns durch. Jetzt braucht nur noch der alte Opa beobachtet oder abgelenkt zu werden, der - auf seinen Krückstock gestützt – immer wieder den Mittelgang des Gartens abschlurft - immer rauf und runter.

Nachdem dessen Wache-Rhythmus ausbaldowert ist und Großvater fast das andere Ende des Gartenwegs erreicht hat, dringt unsere Meute durch die Löcher hindurch in das „Sperrgebiet“ ein. Rasch sind einige Bäume erklommen, und schon werden wunderbar saftige Kirschen in mitgebrachte Behälter gepflückt.

Dabei müssen einige Bowkes mehr Geräusche - als bei solch einem Raubzug geboten - gemacht haben. Denn unvermittelt wendet Großvater seine Schlurfrichtung, da er etwas vernommen zu haben scheint. So schnell er kann - und das ist nicht gerade sehr schnell -, seinen Krückstock schwingend, laut schimpfend „Wacht, ju Kräte woar ek helpe, mine Kersche to klaue“ humpelt er Richtung Gartenende. Schon längst haben wir Bowkes angesichts der uns drohenden Gefahr das Weite gesucht - wieder durch die Löcher hindurch - und uns im nahen Gebüsch verkrochen. Haben dort die Kirschen geschmeckt!