Miss Streichholzbein

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Miss Streichholzbein schlägt zu

Von Gerhard Krosien

Es ist im Jahr 1943. Vorne an der Tafel im Klassenzimmer steht ein junges, blondes, hübsches Mädchen - 17 oder 18 Jahre alt - in BDM-Uniform. Fast alle Lehrer der Schmelzer Pestalozzischule sind zur Front eingezogen worden. Irgendwelche „Hilfspersonen" übernehmen den Schulunterricht. Denn die „Nachwachsenden" müssen ja auch jetzt noch genug über „den großen Führer" lernen!

Die damals achtjährigen Bubenaugen haben „die Neue" von allen Seiten her betrachtet. Urteil: Ganz nett und hübsch. Aber - diese dünnen Beine! Ab sofort hat sie - die Oberschülerin an Lehrers Stelle - ihren Spitznamen weg: Miss Streichholzbein. Einige kennen sie sogar: Es ist die Tochter des Schneidermeisters.

Die junge „Lehrerin" ist ganz gut, finden fast alle. Einige Mutige nehmen sich sogar die Dreistigkeit heraus, sie mit „Miss Streichholzbein" anzureden. Dafür gibt es natürlich Hiebe, und zwar mit dem Deckel des hölzernen Federkastens auf den vorgestreckten Handrücken. Darüber kann man ja nur lachen!

Eines Tages vergeht den Bengeln das Lachen aber ganz gehörig. Das „Miss Streichholzbein" als Anrede und das spöttische Grinsen der Jungen bei der Bestrafung müssen das Mädchen wohl so in Rage gebracht haben, dass es den Griffelkastendeckel hochkant auf den Handrücken eines Schülers niedersausen ließ. Da war es passiert! Geheul erscholl, Tränen flossen! Der Fall kam vor die Schulleitung und wurde untersucht. Bruch eines Fingers, schwere Verletzung anderer Finger der gezüchtigten Hand. Das reichte! Die „Lehrerin" wurde kurzerhand aus dem Verkehr gezogen. Es folgte eine hässliche „Alte". Bei der lernte man zwar weniger, aber sie schlug auch nicht!

„Miss Streichholzbein" wird später - außerhalb der Schule - bestimmt schöne, stramme Beine bekommen haben.