Herforder Chronik (1910)/171

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Herforder Chronik (1910)
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in ihren Leibesnöten lieber von dem großsprecherischen Medikamentenhändler etwas aufbinden ließen, anstatt einen Arzt zu Rate zu ziehen. Auch die Art der Warenausstellung von damals hat sich sonst ziemlich erhalten: auf offenen Bänken, zum Teil auf der Erde ausgebreitet oder in bedeckten Buden finden wir die Ware ausgelegt. Unter freiem Himmel wurden die vorfallenden Streitigkeiten geschlichtet, an die Stelle des offenen Gerichtsplatzes trat dann das Rathaus[1]. In den nächstliegenden Häusern am Markte fanden sich Wohnungen von Beamten der Stadt; der Ratsapotheker hatte ein eigenes Haus, da, wo noch die Altstädter Apotheke zu finden ist. Unter dem Rathause war der Ratsweinkeller, welchen die Äbtissin, nachher die Stadt, für ihre Rechnung verwalten ließ.

Die ehrsamen Herforder Hausfrauen mußten sich damals reiflich vorher überlegen, was sie für den Wochenbedarf auf dem Markte einkaufen wollten, denn nur einmal war wöchentlich Markt. Und als die Neustadt ausgebaut war, nach 1224, und dieser Stadtteil einen eigenen Markt beanspruchte, da bestimmte der Hochwohlweise Rat, daß an einem Donnerstag der Markt auf der Neustadt, am anderen Donnerstag der Markt auf der Altstadt abzuhalten sei[2].

Außer den Wochenmärkten gab es noch zwei Jahrmärkte, die vornehmlich der Landwirtschaft zugute kommen sollten, denn es waren Viehmärkte, selbstverständlich nicht ohne das unvermeidliche Nebengetriebe. Beide Jahrmärkte haben sich bis auf den heutigen Tag erhalten. Der Sommer-Jahrmarkt, am 18. Juni anfangend, Vision genannt (s. S. 59), wurde und wird auf dem Berge abgehalten. Es muß dort ein reger Pferdchandel stattgefunden haben, da man eine Stelle geradezu als Pagen- (d. i. Pferde-) markt bezeichnete. Von diesem Markte hatte die Äbtissin von Herford eigenartige Gefalle, worüber uns eine Stelle im Lehnsprotokolle von 1517 belehrt. Da schreibt der Protokollist:

„An der Vision ovende vervellen myner gn. frowen up dem Pagenmarkede 2 perde; worden gebracht up de abdie; dat eyne hatte eynen

manne dat beyn to slagende; dat ander flog eyn ander perd bogt; und worden den parten weder gegeven vor eyne geborlike erkenntnis[3] .

D. i.: Am Visionsabend verfielen (als Strafe) meiner gnädigen Frau zwei Pferde; sie wurden auf die Abtei gebracht; das eine hatte einem Manne ein Bein zerschlagen, das andere ein anderes Pferd zu Tode geschlagen; sie wurden den Besitzern gegen eine angemessene Entschädigung zurückgegeben.

Auch war die Abtei berechtigt, am 18. Juni einen Zoll von den marktbesuchenden Juden, desgl. von dem zum Markte getriebenen Vieh und ein

  1. Über den Rechtszug von dem Heyenlo an das Gericht „uppe de wellen vor de renneporten“, von da an die Gerichtsbank (Rathaus) zu Herford und endlich an das Schöffengericht in Dortmund s. Normann, Rechtsbuch S. 41. Was in Dortmund für Recht erkannt wurde, daran mußte man sich in Herford halten.
  2. Normann a. a. O. Kapitel 51.
  3. Darpe a. a. O. S. 318.