Fragmente aus den Kladden von Arnold Bruns senior aus Platjenwerbe
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Aufzeichnungen von Arnold Bruns (1875-1952)
Arnold Bruns hat nach der Überlieferung Niederschriften von Hand mit Bleistift in zwei Kladdden gefertigt. Diese Hefte sind mehrfach verliehen und in Teilen abgeschrieben worden. Bis heute sind die Originale verschollen.
Es soll versucht werden aus den verschiedenen Teil-Abschriften Fragmente zu sammeln, um den Gesamtinhalt so weit wie möglich zu rekonstruieren.
Die 39 Köthnerhöfe in Platjenwerbe - Größe der Bauten und ihre Besitzer - nach dem Stand von 1945
01. 1/3 Hof - Hinr. Dierksen, jetziger Besitzer Müller-Pearse u. Voller (Holthorst)
- Der Nachkomme Martin Dierksen hat sich auf der Platjenwerber Heide wieder angebaut. Jetziger Besitzer Aug. Holz
02. 1/3 Hof - Joh. Brummerhop, jetziger Besitzer Hinr. Brummerhop
03. 1/3 Hof - Joh. Horstmann, später Rehbein, Hedeler, Köster, jetzt W. Dodt
04. 1/3 Hof - Cord Hashagen, Joh. Hinr. Hashagen, jetzt Wwe. Hashagen, Chr. Wolf jun.
05. 1/3 Hof - Martin Hashagen, Lühr Hashagen, jetzt Friedr. Töbe
06. 1/5 Hof - Dierk Ehlers, Carsten Köster, jetzt Carl Buse
07. 1/5 Hof - Gevert Köster, jetzt Herm. Köster
08. 1/5 Hof - Joh. Friedr. Jachens, Wwe. Jachens, Diedr. Hashagen, jetzt Martin Hashagen
09. 1/5 Hof - Hinr. Hagens, jetzt Hinr. Buse
10. 1/5 Hof - Claus Kühlken, jetzt Wwe. Kühlken
11. 1/5 Hof - Hinr. Eckhoff, Cord Wehrs
- Eckhoffs Hof „Im Holze“ hat Cord Wehrs gekauft, aber im Tausch mit Cl. Lamken ...
12. 1/5 Hof - Dierk Fechtmann, Hermann Fechtmann, jetzt Joh. Meyer
13. 1/5 Hof - Anton Brand, jetzt Joh. Siemer
14. 3/16 Hof - Cord Christoffers, jetzt Joh. Bruns
15. 8/45 Hof - Joh. Seedorf, Hinr. Kruse, Hinr. Seedorf, jetzt D. Oelschläger
16. 8/45 Hof - Dierk Brummerhop, jetzt Ed. Langrehr
17. 8/45 Hof - Martin Fechtmann, Joh. Hedeler, Hinr. Hasselmann, Kuhlenkampf-Pauli
18. 8/45 Hof - Hinr. Fechtmann, Marten Beckmann, Joh. Meyer, jetzt Richter Smidt Erben
19. 1/6 Hof - Joh. Berend Bruns, Arend Bruns, Joh. Bruns, jetzt Arnold Bruns
20. 8/45 Hof - Hinr. Ehlers, Joh. Hinr. Ehlers, jetzt angekauft von Joh. Meyer
21. 1/5 Hof - Berend Kühlken, früher Mangels Kühlken, jetzt B. Thalmann
22. 8/45 Hof - Hinr. Meyer, Carsten Meyer, jetzt Aug. Buschhorn
23. 1/6 Hof - Johann Hashagen Wwe., Lüer Hashagen, jetzt Hinr. Hashagen
24. 1/6 Hof - Friedr. Seiden, jetzt Hinr. Seiden
25. 1/6 Hof - Cord Schade, Hinr. Melchers, jetzt Hinr. Jacobs
26. 1/6 Hof - Marten Bellmer, Claus Bellmer, jetzt Bernh. Bellmer
27. 1/6 Hof - Joh. Hinr. Harenborg, jetzt Hinr. Harenborg
28. 1/6 Hof - Albert Sägelke, jetzt Chr. Wolf
29. 1/6 Hof - Lüer Brummerhop Wwe., Diedr. Brummerhop, derselbe hat an Claus Kühlken vertauscht, jetzt Gerh. Lottmann
30. 1/6 Hof - Claus Dierksen, jetzt Hinr. Brackmann
31. 1/6 Hof - Berend Eckhoff Wwe., Joh. Eckhoff, jetzt Diedr. Banehr
32. 1/6 Hof - Berend Warkmester, Joh. Katenkamp, Dirk Kühlken, jetzt Diedr. Janssen
33. 8/45 Hof - Johann Hinr. Bruns, Herm. Kropp, jetzt Schrader-Koch
34. 1/6 Hof - Frerk Fardelmann, jetzt W. Rödenbeck
35. 1/6 Hof - Johann Dirk Budelmann, Joh. Busch, jetzt Wüdemann
36. 1/6 Hof - Johann Friedr. Schrader, jetzt Friedr. Schrader
37. 1/6 Hof - Berend Seedorf, jetzt Diedr. Seedorf
38. 1/6 Hof - Borchert Braue, Gerd Hashagen, Joh. Tietjen, jetzt Joh. Murken
39. 1/6 Hof - Joh. Hinr. Werkmeister, Siegmeier, Hillmann, jetzt W. Kropp
Der zweite Weltkrieg
(Zitierter Text von Arnold Bruns in der Schrift von Jürgen Krummpeter – 1985)
Am 1. September brach der Krieg gegen Polen los. Kurz vorher wurden schon die Reservisten, hier wie allenthalben, eingezogen. Auch 8 Männer aus unserem Dorf, 40-45jährige (Weltkriegsteilnehmer) wurden schon Ende August zu einem Arbeitskommando nach Husum in Schleswig-Holstein eingezogen. Immer mehr wurden eingezogen. Bei Jung und Alt nahm das Abschiednehmen kein Ende mehr. Doch wurden auch viele wehrpflichtige Männer U.K. gestellt (d.h. unabkömmlich in ihrem Beruf), teil mit Berechtigung teil auch unberechtigt.
Am 11.5.40 setzte der Luftkrieg auf Bremen, besonders stark in den Nächten ein. Nach vielen kleineren Angriffen waren 2 Großangriffe in den Nächten vom 1. zum 2. Januar und auch auf den 3. Januar 41. Bis auf einige Flakgranaten-Bodenkrepierer blieb unser Dorf verschont.
Mit Beginn des Russenkrieges am 22.6.41 wurde es wieder lebhafter. Am 21.10.41 fielen 3 schwere und 3 leichte Bomben im Holze auf Krudops großen Raum und auf den Schlägen Langrehr, Joh. Meyer und Chr. Wolf. In Aumund wurden durch eine Luftmine viele Häuser zerstört. 19 Tote waren zu beklagen.
Nachts, den 5.6.42, starker Angriff auf Bremen. Viele Spreng- und Brandbomben wurden geworfen. Glühend rot war der Himmel von den hunderten Leuchtbomben. Ein schaurig-schöner Anblick, aber furchtbares Verderben bringend. Im Dorf sind einige Aufschlaggranaten von unserer Flakabwehr gefallen. So ist oftmals unsere eigene Flak uns zum Verhängnis geworden, besonders durch den unheimlichen Granatsplitterregen. In dieser Nacht ist im Dorf ein Unheil nicht geschehen. Starke Luftangriffe auf Bremen am 25.6.42, 27.6., 30.6. und 2.7. So geht es weiter Tag und Nacht. Alarmstörflüge und Angriffe. Unsere Flak kommt aus der Alarmbereitschaft kaum heraus.
Vom 4. zum 5.9.42 erleben wir den bisher stärksten Terrorangriff auf Bremen. Taghell ist die Nacht gelichtet. Luftminen, Sprengbomben, Brandbomben aller Art mit Füllungen von Phosphor, Kautschuk, Benzin und Teufel mag wissen, was da alles zum Verderben der Menschheit zusammengbraut ist. Fallschirmbomben mit einem Gemisch von Paraffin, Sägemehl usw. torkeln vom Himmel, um allenthalben schwer zu löschende Brände zu verursachen. Lufttorpedos krachen auseinander, dazwischen Maschinengewehrangriffe auf unsere Flakstellungen und die Brände bekämpfende Feuerwehr. Wohnhäuser, Kirchen, Krankenhäuser, Schulen sind zerstört. Wenn unser Dorf bis jetzt auch nicht viel in Mitleidenschaft gezogen ist, so müssen doch stündlich in Bereitschaft sein.
Vom 13. zum 14.9.42 und 9.11.42 starke Angriffe auf Bremen. Wenn auch Fliegeralarm Tag und Nacht an der Tagesordnung ist, so sind wir doch von größeren Angriffen verschont geblieben bis zum 1. Pfingstvormittag, am 13. Juni 43. Trotz Einnebelung der Stadt Bremen mit Umgebung war das Zerstörungswerk unbeschreiblich und die Verluste an Menschenleben groß. – Wenn Alarme auch nicht abreißen, so fliegen die feindlichen Verbände doch mehr landeinwärts. Vom 27. bis 30. Juli war Hamburg das Ziel, wo fürchterlich gewütet wurde. Hellen Feuerschein konnten wir hier des nachts von Hamburg wahrnehmen. Die Nacht vom 2.-3. August 43 war unsere nächste Umgebung das Angriffsziel. Brände ringsum. Doch unser Dorf blieb bis auf Kleinigkeiten verschont. Es scheint, daß unser Dorf durch die rund um uns stehenden Flakbatterien in einem geschützten Winkel liegt.
Menschen, die alles verloren haben, selbst ihre nächsten Angehörigen, kommen aufs Land, um eine Unterkunft zu finden. Ein trostloses Elend. Allenthalben, so auch hier im Dorf, sind Vorbereitungen getroffen und Auffangstationen eingerichtet, um die plötzlich, wie es in Hamburg gewesen, Hunderttausende von Obdachlosen unterzubringen, zu verpflegen und Quartiere anzuweisen. Denn was in Hamburg passiert ist, kann im nächsten Augenblick auch in Bremen kommen.
Lebensmittel müssen immer bereitstehen, z.B. muß ich in meinem Bäckereibetrieb stets 800 kg Brot greifbar auf Lager halten.
Luftangriff vom 8.10.43 nachmittags 3 Uhr: Die Hölle war los. Flakgeschosse heulten durch die Luft, Bomben platzten, Flugzeuge stürzten teilweise brennend ab, aussteigende Piloten torkelten mit Fallschirmen im Luftraum umher und dazwischen das Sausen und Summen der Granatsplitter. Auch über unserem Dorf bekam ein viermotoriger Bomber einen Volltreffer und löste sich vollständig in der Luft auf. Alle möglichen Flugzeugteile, Bordmunition usw. sausten auf die Dächer und den Boden herunter. Ein Pilot war noch rechtzeitig ausgestiegen und landete in Holthorst. Die Reste des Flugzeugs stürzten an der Grenze unseres Dorfes dieserhalb der Aue in Holthorst ab.
Die folgende Nacht wieder Angriff auf Bremen und besonders Hannover. Den folgenden Tag war die Sonne verfinstert von Rauch, alles roch nach Gummi, wohl herrührend von den großen Continental-Gummiwerken in Hannover.
Die Angriffe wurden immer heftiger. Selten kann man eine Nacht durchschlafen. Weiter Angriffe, wodurch Eisenbahn, Straßenbahn, Gas- und Wasserwerke außer Betrieb gesetzt werden. Leute, die von hier in Bremen beschäftigt sind, können nicht von und zu ihrer Arbeitsstätte kommen. Beim Angriff am 20.12.43 fielen auch im westlichen Teil unseres Dorfes 33 großkalibrige mit Kautschuk, Phosphor usw. gefüllte Brandbomben. Glücklicherweise wurde nur ein Haus, das von Joh. Bruns (früher Christoffer) getroffen. Die Bombe durchschlug das Strohdach, landete in der Küche in einem Waschkessel, demolierte alles, zündete aber nicht. Alle anderen Bomben, obwohl dicht bei den Häusern niedergefallen, konnten durch energisches Eingreifen der Dorfbewohner abgelöscht und unschädlich gemacht werden. Unser Dorf kam wieder mal mit einem Schrecken davon.
Das Schrecklichste aber, was alles Vorhergehende weit in den Schatten stellte, war die Nacht vom 18. zum 19. August 44. Die ganze westliche Vorstadt bis zur Mitte Bremens, die großen Industrieanlagen wie Hafen, Lager- und Packhäuser, Verkehrsanlagen, dazu die vielen kleinen Wohnhäuser, alles ruiniert. Alles nur, von hier aus gesehen eine lang andauernde, fürchterliche Feuersbrunst, durchsetzt mit dem Krachen der Bomben und den unheimlich sehr vielen Platzen unserer Flakgeschosse. Unbeschreiblich! Unsere Keller und Häuser zitterten von dem fürchtelichen Getöse.
Große Hochbunker, heiß von der umbrandenden Feuersglut, daß drinnen kaum noch Luft zum Leben war. Die Feuerglut hatte Orkangewalt, so daß die Menschen, die in letzter Minute den Bunker aufsuchen wollten, bei lebendigem Leibe verbrannten und am anderen Tage verkohlt als unbekannt gefunden wurden. Wie es heißt, sollen 87 000 Menschen in Bremen durch diesen Terrorangriff obdachlos sein.
Am darauffolgenden Tage wanderten Tausende und Abertausende in die Auffangläger Ritterhude und Osterholz-Scharmbeck usw. Von hier wurden die traurigen Menschen, die körperlich und seelich so furchtbar gelitten hatten, in alle Ortschaften des Kreises verteilt und vorläufig untergebracht. In unserem Dorf wurden rund 170 Personen aufgenommen und durchweg liebevoll betreut.
Am 18./19.9.44 ein schrecklicher Überfall auf Wesermünde. Heller Feuerschein war hier zu sehen. Die Stadt von 110000 Einwohnern in 15 Minuten fast vollständig ruiniert. Die Verpflegung stockte, und so mußten auch wir alles verfügbare Brot schnellstens nach Ritterhude schaffen, um die nötigen Butterbrote in großer Anzahl von dort nach Wesermünde zu liefern.
Ganz Bremen ist, soweit das Auge reicht, ein großer Trümmerhaufen. Eine außerordentliche Verknappung vieler Lebensmittel und sonstiger Bedarfsartikel tritt ein. Die Transportmöglichkeiten werden von Tag zu Tag schlechter. Das Notwendigste für die Menschen, die alles verloren haben, ist nicht heranzuschaffen.
Wir schreiben heute den 30.1.45, und der Russe steht bereits in unseren Ostprovinzen. Millionen von deutschen Menschen fliehen in das Reichsinnere. Alle möglichen Transportgelegenheiten wurde ausgenutzt. Selbst Trecks, wo die Bauern mit Pferd und Wagen und Familie und der allernotwendigsten Habe sich auf den Weg gemacht haben und nach 2 ½ Monaten (Januar bis März) hier total erschöpft ankommen. Ein trauriges Elend schaut einem aus diesen Trecks entgegen.
Bei uns im Dorf ist alles vorbereitet, und so machte es nicht zu große Schwierigkeiten, die rund 400 Flüchtlinge und 55 Treckpferde, zusätzlich zu den 200 Ausgebombten unterzubringen. Unsere normale Einwohnerzahl beträgt 820 Personen, dazu jetzt 400 Flüchtlinge und 200 Ausgebombte = 1420 Personen.
Heute, am 30 März 45 (Karfreitag) ist wieder ein fürchterlicher Angriff auf Bremen.
Die Engländer und Amerikaner stehen am 18.4.45 südlich vor den Toren Bremens. Bremen soll nicht zur freien Stadt erklärt werden, sondern soll verteidigt werden bis zum Letzten. Welch ein Wahnsinn! Gegen eine solche gewaltige technische Macht, und wo schon ¾ von Deutschland besetzt ist, noch mit unseren primitiven Kampfmitteln weiter zu kämpfen und noch viel Gut und Blut weiter zu opfern, ist weiter nichts , als uns alle restlos in den Abgrund zu stürzen.
Alle Brücken über die Lesum sind in letzter Minute noch gesprengt worden, dazu noch vieles andere. Alles nutzlose Vernichtung! Man weiß nicht, wer solche hirnverbrannten Befehle gegeben hat. Auch unser Dorf wird mehr und mehr in Mitleidenschaft gezogen. Unsere zurückflutenden Soldaten belegen unser ganzes Dorf. Alles, jedes Haus, Scheune, Stall liegt knüppeldick voll von versprengten Soldaten. Alle Waffengattungen sind bunt zusammengestellt, um wieder eine Kampfgruppe zu bilden.
Es lag hier ein Infanterie-Regiment Heidenreich, welches aus 17- bis 60jährigen Männern bestand. Der Regimentsstab lag bei mir in der Gaststube. Außerdem lag hier eine Batterie leichter Artillerie, eine Granatwerferbatterie und eine größere Polizeiformation. Alles war in Gefechtsstellung gebracht. Die hier liegende Artillerie beschoß unter fortwährendem Stellungswechsel am 24. bis 26.4.45 Bremen jenseits der Burger Brücke. Durch diese Kampfhandlungen kamen wir mehrmals unter kurzes, aber schweres Artilleriefeuer von Bremen her. Dies hatte zur Folge, daß rund 20 Häuser mehr oder weniger beschädigt wurden. Viel Vieh auf den Weiden ging kaputt, und leider mußten auch zwei Menschen ihr Leben lassen. Der Stellmacher Hermann Köster, 75 Jahre alt, wurde auf der Straße vor der Turnhalle am 26.4.45 buchstäblich von einem Volltreffer in Atome zerrissen. Ebenfalls ein unbekannter deutscher Soldat, der vor Oehlschlägers Haus zu Tode kam.
Das Kriegsende
Heute, am 10. Mai 1945, leben wir schon seit drei Tagen unter englisch-amerikanischer Besetzung. Es ist für uns ein bedrückendes und niedergeschlagenes Gefühl. Wenn unser Dorf im allgemeinen nach anderen Dörfern und Städten doch nicht sehr stark gelitten hat, so wissen wir doch nicht, was uns und damit unserem ganzen vollständig geschlagenen und zerschlagenen Volk noch bevorsteht. Bald wurden wir zur amerikanischen Besatzungszone gelegt und bekamen amerikanische Besatzungstruppen, darunter auch Neger. Die Besatzungstruppen wurden in der bisherigen Flakkaserne untergebracht. Die Flakkaserne wurde später zum amerikanischen Hospital umgebaut.
Unser großes Vergnügungslokal (Dodts Sommergarten) wurde beschlagnahmt und anfangs als Unterkunftsraum einer amerikanischen Polizeitruppe benutzt, dann aber als Club- und Vergnügungslokal der Amerikaner. Dadurch kam in unser so stumm gewordenes Dorf reges Leben und Treiben. Unsere jungen Mädchen und Frauen waren gern gesehene Gäste in solchen Vergnügungsstätten, zum Leidwesen unserer jungen Männer, besonders der Kriegsteilnehmer. Die Folge war, daß daß der Krieg sich in einzelne Familien verlagerte und zu bösen Unzuträglichkeiten führte. Die Arbeitslosigkeit nahm immer mehr zu, und viele nahmen deshalb eine Beschäftigung bei den Amerikanern an.
Unter den vielen Millionen ausländischer Arbeitskräfte waren es die Polen, die nach dem Zusammenbruch hier bei uns wie allenthalben in brutalster Weise alles verlangten, was ihnen gelüstete. Vieh wurde von den Weiden und aus den Ställen gestohlen und abgeschlachtet. Fahrräder wurden auf der Straße den Leuten abgenommen. Alleinstehende Häuser und Gehöfte wurden in der Dunkelheit umstellt und ausgeräuchert. Die Bewohner wurden unter Drohung des Erschießens in die Keller getrieben und eingesperrt, Wer sich widersetzte wurde niedergeschossen.
Unsere Polizei hatte keine Waffen mehr und war somit schutz- und machtlos, wogegen die Polen sich alle Handfeuerwaffen angeeignet hatten. Jeder mußte zur Selbsthilfe greifen. Wenn Zusammenrottungen von Polen laut wurden, ob bei Tag oder Nacht, wurde im Dorf Feueralarm gegeben, und alle Männer, mit einem Knüppel bewaffnet, standen zur Abwehr bereit. Es ging kaum ein Tag hin, wo nicht ein Geplänkel mit den Polen vorkam. Schließlich griff die amerikanische Militärpolizei mit aller Forsch ein und verwies die Polen in ihre Schranken. Nach und nach wurden dann die Polen abtransportiert.
Die Auswirkungen eines verlorenen Krieges in einem nie dagewesenen Ausmaß wird uns täglich vor Augen geführt. Unsere Soldaten, 17- bis nahezu 50jährige, kommen nach und nach zurück, zerlumpt, zerknirscht und abgemagert, nachdem sie sich monatelang umhergetrieben haben, um ein Zuhause wiederzufinden. Wohl dem, der sein eigen Haus und Herd und Familie einigermaßen unversehrt wiederfindet. Viele aber sind noch nicht zurück und haben noch kein Lebenszeichen von sich gegeben, besonders von Rußland.
Die Ernährungslage wird immer schwieriger. Die Zuteilungen sind zum Sattessen nicht genug und zum Verhungern noch reichlich. Hier ein Beispiel:
Der Normalverbraucher, dies sind wohl die meisten Volksgenossen, bekommt die Woche:
- Brot - 2500 Gramm
- Nährmittel - 375 Gramm
- Kaffee-Ersatz - 30,5 Gramm
- Kartoffeln - 2500 Gramm
- Fleisch - 112,5 Gramm
- Fisch - 150 Gramm
- Fett - 50 Gramm
- Käse - 15,5 Gramm
- Magermilch - 500 Gramm
- Zucker und Marmelade - 185,5 Gramm
- Gemüse - 500 Gramm
Eier und sonstige Lebensmittel kommen soviel wie gar nicht zur Verteilung. Die vorgenannten Mengen sind schon bedeutend weniger gewesen. Manchmal können die zur Verteilung stehenden Mengen nicht abgegeben werden, weil verschiedene Waren nicht beschafft werden können. Obwohl die Ablieferungsplicht an Korn, Kartoffeln, Schlachtvieh sehr hart ist, langt es doch nicht hin und nicht her.
Die Widerstandskraft der Menschen wird durch die viel zu wenigen Lebensmittel immer schwächer. Der Tod hält somit reiche Ernte. Massenquatiere, enge und feuchte Wohnräume, mangelnde Hygiene, keine ausreichende Ernährung, keine genügende Feuerung für ein warmes Zimmer, nichts im Topf, nichts unterm Topf, dies alles sind die treibenden Kräfte zum Volksuntergang.
Wenn ich sagte „keine Feuerung“, so hat sich dieses, weil viel zu wenig Kohlen herankommen, auf unsere Waldbestände fürchterlich ausgewirkt. Ganze Wälder ringsum sind vollständig kahlgehauen. Ohne den Besitzer zu fragen wird die Axt an jeden für sie passenden Baum gelegt.
Wie es mit dem Holz ist, so ist es auch mit allen Gebrauchsartikeln. Gestohlen wird alles, ob bei Tage oder bei Nacht, mit einer herausfordernden Dreistigkeit. Selbst in der Eisenbahn, die kein Licht, keine heilen Fensterscheiben, kein dichtes Dach mehr hat, darf man sein Handgepäck usw. nicht aus der Hand legen, sonst ist es bestimmt gestohlen.
Das Jahr 1947 hat begonnen. Wie wird es enden? Selten hat der Winter mit solcher Harnäckigkeit so lange angehalten wie der jetzige. Von Anfang Dezember 46 bis Ende Februar 47 hatten wir keine Niederschläge, nur trockenen harten Frost bis zu 19 Grad unter Null. Seit Anfang März starke Schneefälle, die den Verkehr sehr hindern. Keine Kohlen, kein Mehl und keine Nahrungsmittel können befördert werden. Alle möglichen Kornarten wie Roggen, Weizen, Gerste, Mais, Hafer werden zur Brotbereitung verwendet.
Am 16.3.47 setzte Tauwetter ein. Den 18.3. stürzten, verursacht durch den starken Eisgang, in Bremen alle Brücken über die Weser in einem Zeitraum von morgens 10 Uhr bis abends 7.30 Uhr ein, die Fußgängerbrücke über das Weserwehr, die Weserbrücke, die von den Amerikanern erbaute Trumanbrücke, die im Aufbau befindliche Kaisenbrücke und die wiederhergestellte Eisenbahnbrücke. In den nächsten Tagen verursachen die anbrausenden Schmelzwassermassen große Überschwemmungen. Eine Katastrophe jagt die andere.