Handbuch der praktischen Genealogie/2/005

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Handbuch der praktischen Genealogie/2
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Band 1
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zu beurteilen, welcher Archivbeamte mit der Erledigung der Sache betraut werden kann, wie sowohl den Bestrebungen des Antragstellers als auch den vielseitigen Bedürfnissen und Anforderungen des archivalischen Dienstes entsprochen werden kann. Wer diesen dringenden Rat nicht befolgt, riskiert, daß die Sache entweder liegen bleibt oder dem damit belästigten Beamten wohl gar in den Urlaub nachgeschickt wird, was nur Ärger und Unliebsamkeiten zur Folge haben kann.

Unerläßliche Vorbedingung für eine Archivbenutzung[1] zur Familienforschung[2] ist, daß ihr die Durchsicht des gesamten gedruckten Materiales vorhergegangen ist. Sodann muß der Antragsteller, wenn er auf allseitige Unterstützung der Archive rechnen will, den Zweck seiner Forschung genau angeben: ob eine Familiengeschichte, eine Biographie, die Aufstellung eines Stammbaumes, einer Geschlechterfolge, einer Ahnentafel oder nur der Nachweis der Abstammung von einer bestimmten Persönlichkeit beabsichtigt wird. Vor dem Beginne der Archivforschung muß eine genealogische Übersicht des bereits dem Forscher bekannten Materiales dem Archive vorgelegt werden, da nur hiernach die Forschung zweckentsprechend geleitet werden kann. Die häufig erstrebten Anknüpfungen an notorisch bereits ausgestorbene Familien haben, wenn nicht genügende Beweise ihrer Möglichkeit erbracht werden, von vornherein keine Aussicht auf Unterstützung durch die Archive. Die genealogische Forschung hat nicht aufs Geratewohl hin hier oder dort einzusetzen, sondern systematisch von den jetzt lebenden oder den zuletzt bekannten Familienmitgliedern nach deren Vorfahren rückwärts fortzuschreiten. Eigenen Vermutungen oder den häufig irrigen Familienüberlieferungen kann seitens der Archive kein ungebührlicher Einfluß gestattet werden.

Um mittelalterliche Urkunden lesen und insbesondere die in ihnen — nicht selten in großer Häufigkeit — auftretenden Abkürzungen[3] richtig


  1. Vgl. Pius Wittmann, Archivbenutzungsordnungen, DGB 1. — M. Bär, Leitfaden für Archivbenutzer. Leipzig 1896.
  2. Vgl. die Thesen von Geh. Archivrat Dr. Grotefend auf dem 5. deutschen Archivtag zu Bamberg vom 25. September 1905 und die diesbezüglichen Verhandlungen, abgedruckt KGV 1905, 456ff. — A. Tille, „Sammlung und Verwertung familiengeschichtlicher Forschungen", KGV 1908, 49ff. — Viel Zeit würde den Archivbeamten erspart, wenn die Anfragenden ihre Briefe nicht mit Belehrungen anfüllen wollten, wo die Archivverwaltungen nachsuchen müßten, um Nachrichten zu finden.
  3. Praktisch sind L. A. Chassant, Dictionnaire des abbréviations latines et francaises. 5. ed. Paris 1884. A. Cappelli, Lexicon abbreviaturarum. Wörterb. Lateinischer u. Italienischer Abkürzungen (Webers illustr. Katechismen 53), Leipzig 1901, u. C. Paoli, Le abbreviature nella paleografia latina del medio evo. Firenze 1891. Deutsche Übersetzung v. K. Lohmeyer, Die Abkürzungen in d. Lateinischen Schrift des MA. Innsbruck 1892. Das bei weitem beste Verzeichnis und Erläuterungswerk betreffend andschriftliche Abkürzungen ist J. L. Walter, Lexicon diplomaticum, Göttingen 1745, später wiederholt aufgelegt. Es gehört zum eisernen Bestand aller Archivbibliotheken, kommt aber nur sehr selten in den Handel und ist sehr teuer.