Tiefenfurt
1502 wird Tiefenfurt in einem Görlitzer Zinsregister "Tieffefort", später Tieffenfort, Tieffenfordt und Tiefenfurth genannt. Der Name ist aus der "tief" (d.h. am Unterlaufe der Großen Tschirne) gelegenen Furt zu erklären. Das Dorf zerfällt in zwei selbständige Gemeinden, von denen die eine im Kreise Görlitz liegt. Gemeinde-Bezirk mit Gutsbezirk Charlottenhof (früher Weißvorwerk) 1054 Einwohner.
Flurnamen: Langetreibe (der landwirtschaftliche Teil des Dorfes, in früherer Zeit Weideflächen für gemeinsamen Viehtrieb). Susenberg, Storchberg (beim Weißvorwerk), Steinberg bei Tiefenfurt Kreis Görlitz. Sandsteinhügel am Waldrande mitten in Sand und Moor, dabei Sandsteinbruch mit Material für Straßenbau. Auf dem Berge der Revierförsterei Tiefenfurt ein Feuerturm, Dachsberg (nördlich der Chaussee nach Rauscha), Hindenburgberg (vor dem Weltkriege Reckasch genannt), zwei Sandhügel. Die Kolonie Neusorge (3 Häuser) sowie die Försterei Hosnitzbrand (an den Hosnitzwiesen und dem Hosnitzgraben) liegen bei Tiefenfurt, gehören aber zum Guts-Bezirk Wehrau.
Evangelische Kirche mit Turm, 40 m hoch mit Rundgang an der Außenseite in über 30 m Höhe.
3 Porzellanfabriken (Karl Hans Tuppack, Steinmann und Silesia). Porzellanhandlung und Malerei (Sternporzellan) von E. Leber, Mahlmühle, Sand- steinbruch, Gärtnereibetrieb, Landwirtschaft, Pferdezucht auf Charlottenhof (Warm- und Vollblutzucht).
Quellen: Schöppenbuch von 1564, Chronik des Kirchspiels Tiefenfurt vom Hauptlehrer und Kantor Förster (1912 beendet). Chronik von Tiefenfurt im Kreise Görlitz im Stadtarchiv von Bunzlau.
Der evangelische Pfarrer Martin Böhmelt, geboren in Tiefenfurt, flüchtete im Zweiten Weltkrieg aus seiner Heimat und verfasste mehrere Berichte über Tiefenfurt, darunter auch eine Zusammenfassung zur Entstehung der Porzellanindustrie in Tiefenfurt. (Rechtschreibfehler im Bericht wurden nicht korrigiert.)
"Die Porzellanindustrie in Tiefenfurt
Von Martin Böhmelt
Der bedeutende Industrieort Tiefenfurt lag an der Westgrenze des Kreises, von Wäldern der Niederschlesischen Heide umgeben. Er war vom Verkehr weit entfernt. Zum nächsten Bahnanschluß: Wehrau-Klischdorf, Kohlfurt, Rauscha waren es 12km. Nach Wehrau und Rauscha führten zuletzt feste Straßen.
Trotz der ungünstigen Verkehrslage entstanden im 19. Jahrhundert hier mitten in der Heide drei große Porzellanfabriken. Der Grund dafür war der große Waldreichtum der Gegend. Die Fabriken hatten für die Brennöfen billige Feuerung. Außerdem fand man am Ostrand des Ortsteils „Lange Treibe“ reichliche Mengen Ton, der zunächst zur Anlage von Töpfereien führte. Später wurde er nur noch zur Herstellung von Kapseln verwendet, in denen das Porzellan im Brennofen bei einer Temperatur von 1000 Grad fest wurde.
Am 28.01.1808, in Preußens schwerster Zeit, wagte es Friedrich Nikolaus Matthiessen aus Rendsburg, auf der ehemaligen Töpferei, Hausnummer 57 eine Steingutfabrik zu gründen. Sein Enkelsohn Reinhold Matthiessen erweiterte sie zu einer Porzellanfabrik im Jahre 1865. Eine Aktiengesellschaft „Schlesische Porzellan- und Steingutmanufaktur“ erwarb die Fabrik im Jahre 1872. Paul Donath war der nächste Besitzer der Fabrik.
Im ersten Weltkrieg ging das Unternehmen in die Hände von C.H. Tuppack über. Er erweiterte den Betrieb durch große bauliche Veränderungen und Einrichtungen, der Neuzeit entsprechend. Im Ortsteil Tiefenfurt, Kreis Görlitz erbaute Karl Rädisch im Jahre 1840 eine neue Steinzeugfabrik, später auch Porzellanfabrik, die alsdann von Direktor K. Steinemann übernommen wurde.
Die 1832 von Christian Matthiesen gegründete „Silesia“ wurde von der Fa. K. Steinemann angekauft.
Die Entwicklung der Porzellanfabrikation ging erste nach dem Krieg 1870/71 in den sogenannten Gründerjahren, rasch voran.
Die 3 Betriebe waren voll beschäftigt. Die Vollendung der Niederschlesisch-Märkischen Eisenbahn trug wesentlich dazu bei. Die Rohstoffe, wie Feldspat, Quarz, Kaolin, Porzellanerde, teils aus dem Ausland bezogen, konnten nun vom Bahnhof Rauscha aus angefahren werden. Auch der Transport der Steinkohle vom Waldenburger Revier und aus Oberschlesien lief allmählich an. Die Erschließung der Lausitzer Braunkohlegruben brachte für die Betriebe erhebliche wirtschaftliche Vorteile. Ein mittlerer Brennofen brauchte für einen Brand 200 bis 250 Ztr. Kohle. Die Fertigwaren wurden in großen Kisten auch nach Rauscha gebracht. Täglich waren viele Gespanne unterwegs und jeder Betrieb hatte seinen eigenen Fuhrpark. Nach dem ersten Weltkrieg übernahmen Lastkraftwagen den Transport.
Tiefenfurter Porzellan wurde nach fast allen Ländern versandt, auch nach Amerika und Asien. Die Firma K. Steinemann belieferte ausschließlich ein Warenhaus in New York. Zur Leipziger Buchmesse kauften die Handelsvertreter aus Bulgarien, der Türkei, Schweden, Holland und anderen Ländern große Posten an den Musterständen der Tiefenfurter Porzellanbetriebe.
Die Dekoration der Tee-, Kaffee- und Speiseservice erfuhr ungefähr ab 1900 eine Umwandlung. Die wertvolle Handmalerei wurde durch die Anwendung des Buntdruckes abgelöst. Die Porzellandrukkerinnen verdrängten immermehr die Porzellanmaler. Während vorher bis 40 Maler im größten Betrieb beschäftigt waren, waren es dann nur etwa 10. Ihre Arbeit bestand bloß im Vergolden der Ränder und Henkel. Berühmt und weit verbreitet war das Druckmuster „China blau“ auf dem „dünnen Scherben“ der Porzellanfabrik C.H. Tuppack. Der Gang der Fabrikation in einer Porzellanfabrik gleicht dem in einer großen Töpferei. Die einzelnen Stationen der Fabrikationen waren Massemühle, Schlämmerei, Gießerei oder Dreherei, Verglutofen, Verputzerei, Glasur, Brennofen, Sortiererei, Druckerei, Malerei, Schmelze und Packerei. Die Betriebe beschäftigten insgesamt 500 Arbeitnehmer. Ein Teil kam aus den Nachbardörfern. Erwähnenswert ist auch die am Anfang des Ortes gelegene Glas- und Porzellanmanufaktur E. Leber & Sohn. Hier wurden auch Erzeugnisse der Porzellanfabriken von Malern und Druckerinnen dekoriert. Der Versand erstreckte sich aber besonders auf den deutschen Markt.
Die Porzellanindustrie von Tiefenfurt hatte durch ihre wertvollen Erzeugnisse einen guten Ruf in Deutschland und über seine Grenzen hinaus.
Nach den beiden Berichten von Besuchern des vereinsamten Heimatortes, die in der Bunzlauer Heimatzeitung veröffentlicht wurden, ist die Porzellanfabrik K. Steinemann dem Erdboden gleichgemacht. Die Fabrik C.H. Tuppack wieder in Betrieb zu setzen, ist schon oft geplant gewesen, aber nie zur Ausführung gekommen."
Daten aus dem GOV
<gov>TIEURTJO71PI</gov>