DNA-Irrtümer

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Über die Nutzung der DNA in der Genealogie sind eine Reihe von Missverständnissen, Irrtümern und falschen Erwartungen in Umlauf. Einige dieser Missverständnisse sollen im Folgenden geklärt werden, um falschen Erwartungen und eventuell daraus resultierenden Enttäuschungen vorzubeugen.

DNA-Genealogie ist keine ernsthafte Genealogie, sondern eine teure Spielerei

DNA-Genealogie ist eine relative neue Teildisziplin der Genealogie, die in Deutschland noch relativ wenig genutzt wird. Insbesondere in den USA und Großbritannien ist die DNA-Genealogie selbstverständlich als eine seriöse Wissenschaft anerkannt. Mit der "International Society of Genetic Genealogy" (ISOGG) gibt es einen eigenen Verein, mit dem "Journal of Genetic Genealogy" (JOGG) eine eigene Fachzeitschrift. Auf genealogischen Fachtagungen werden immer häufiger Vorträge zu Themen der DNA-Genealogie angeboten. Foren und Mailinglisten zur DNA-Genealogie haben tausende Mitglieder. Weitere Informationen bietet der Artikel DNA-Genealogie.

Nur Männer können einen DNA-Test machen

Die ersten DNA-Tests für Genealogen ermöglichten die Bestimmung von STR-Markern der männlichen yDNA. Solche Tests der yDNA sind in der Tat nur für Männer möglich. Seit 2009 sind Tests der atDNA verfügbar, die heute die größte Bedeutung für die DNA-Genealogie haben. Diese Tests sind für Männer und Frauen gleichermaßen möglich. Dasselbe gilt für die Tests der mtDNA.

Mit einem DNA-Test kann man sein "Urvolk" bestimmen

Die Firma Igenea verspricht: "Es werden Ihr Urvolk und Ihre Ursprungsregion bestimmt." Als "Urvölker" bezeichnet iGenea mehrere "Völker aus der Antike", die sich durch ihre genetischen Profile unterscheiden ließen, nämlich die "Juden", "Wikinger", "Kelten", "Germanen" und "Basken". Bereits diese Einteilung ist einigermaßen verwunderlich, lebten die Wikinger doch gar nicht in der Antike, sondern im (frühen) Mittelalter und sind selbst Germanen bzw. ein germanisches Volk. Auch nimmt Igenea offenbar anhand der Haplogruppen der yDNA und der Mitochondrien-DNA eine Zuordnung zu einem dieser "Urvölker" vor und suggeriert damit die Abstammung von einem dieser "Urvölker". Da jeder heutige Mensch viele Millionen Vorfahren hat, die vor 2.000 oder 2.500 Jahren lebten, ist eine solche scheinbar eindeutige Zuordnung unsinnig.

Jeder Europäer hat zwangsläufig germanische und keltische Vorfahren, Wikinger als Vorfahren und auch Basken (insbesondere, wenn man an die völlig unklare Ethnogenese und Herkunft der Basken denkt). Natürlich gibt es bestimmte Haplogruppen, die für bestimmte geschichtliche oder vorgeschichtliche Völker oder Kulturgruppen typisch sind oder dort häufiger auftreten oder mit ihnen assoziiert werden können; nur selten aber tritt eine bestimmte Haplogruppe exklusiv nur in einem Volk oder einer Kulturgruppe auf. Auch wird durch die Bezeichnung "Urvolk" suggeriert, als stehe ein solches gleichsam am Beginn der Geschichte oder der Entwicklung; tatsächlich aber folgten in Teilen Mitteleuropas die Germanen auf die Kelten, wobei sicher Teile von sich ursprünglich als keltisch verstehenden Volksgruppen in späteren germanischen Volksgruppen aufgegangen sind. Germanen und Kelten ihrerseits gehen auf die Indogermanen (Indoeuropäer) zurück, die man heute mit der Yamnaya-Kultur nördlich des Schwarzen Meeres assoziiert. Zu einem "Urvolk" der Germanen gehört zwangsläufig ein "Proto-Urvolk" der Indoeuropäer.

Aus ganz verschiedenen Gründen ist also das Versprechen, ein "Urvolk" zu bestimmen, absurd; wohl aber sind gewisse Aussagen über die Verbreitung bestimmter Haplogruppen in der Vor- und Frühgeschichte und deren Verbindung mit bestimmten Kulturen möglich.

Mit einem DNA-Test erhält man eine Ahnentafel

Die DNA-Genealogie ersetzt nicht die traditionelle Genealogie und Familiengeschichtsforschung, sondern ergänzt sie und kann helfen, bestimmte Fragen zu klären. Die DNA-Genealogie ist allein in keiner Weise dazu geeignet, eine Ahnentafel zu erstellen oder zu bekommen - ausgenommen vielleicht der Fall, dass man durch die Genealogie einen mehr oder weniger weit entfernten Verwandten entdeckt, der selbst schon Familienforschung gemacht hat und von dessen Ergebnissen man dann profitieren kann. Aus europäischer Sicht ist es allerdings häufiger so, dass man durch die DNA-Genealogie entfernte Verwandte in den USA entdeckt, die noch nichts von ihren europäischen Vorfahren wissen. Ein Sonderfall ist die Suche von Adoptierten nach ihren biologischen Eltern, bei der die DNA-Genealogie genutzt werden kann.

Ich brauche keine DNA-Genealogie, weil meine Ahnentafel schon komplett ist

Diese Behauptung beruht auf der falschen Annahme, dass ein DNA-Test die traditionelle genealogische Forschung ersetzen würde. Tatsächlich ist es umgekehrt: Eine möglichst weit erforschte Ahnentafel ist eine wichtige Voraussetzung, um sich erfolgreich mit DNA-Genealogie beschäftigen zu können. Das Matching setzt voraus, dass man die Vorfahren bis zur achten oder zehnten Vorfahrengeneration möglichst vollständig kennt.

DNA-Tests enthalten medizinische Informationen

Die Testanbieter für DNA-Genealogie werten die DNA-Tests nicht unter medizinischen oder diagnostischen Gesichtspunkten aus; dies wäre in Deutschland auch nicht erlaubt. Siehe dazu den Artikel DNA-Genealogie.

DNA-Tests sind in Deutschland verboten

Diese - gerade im englischen Sprachraum verbreitete - Behauptung ist unzutreffend. Das Gendiagnostikgesetz regelt den Umgang mit DNA-Tests zu medizinischen Zwecken, die nur durch einen Arzt durchgeführt werden dürfen. DNA-Tests zu wissenschaftlichen Zwecken (wozu die DNA-Genealogie zu rechnen ist) sind davon nicht betroffen. Siehe den Artikel DNA-Genealogie.

Mit allen Verwandten muss ich gemeinsame DNA haben

Mit nahen Verwandten hat man mehr oder wenige große Anteile gemeinsamer DNA, mindestens bis zum Verwandtschaftsgrad von Cousins zweiten Grades (gemeinsame Urgroßeltern). Je weitläufiger die Verwandtschaft ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, trotz bestehender Verwandtschaft keine gemeinsame DNA mehr zu haben. Der Grund dafür ist die rein zufällige Weitergabe von je 50 % der DNA der Eltern an die Kinder; von Generation zu Generation verringert sich so der Anteil gemeinsamer DNA. Eine Übersicht über die durchschnittlich zu erwartende gemeinsame DNA findet sich im Artikel Centimorgan.

Die DNA enthält Spuren der DNA aller Vorfahren

Eltern geben jeweils 50 % ihrer DNA an ihre Kinder weiter. Dadurch verringert sich von Generation zu Generation der Anteil der DNA eines bestimmten Vorfahren, den ein Nachfahre erbt. Bis etwa zur sechsten Vorfahrengeneration lassen sich (theoretisch) DNA-Segmente aller Vorfahren identifizieren; in den höheren Generationen gibt es immer mehr Vorfahren, von denen man keine DNA mehr geerbt hat. Näheres dazu im Artikel Genetische_Vorfahren.

Wenn es keine gemeinsame DNA gibt, ist man nicht verwandt

So pauschal ist die Behauptung falsch. Nahe Verwandte haben auf jeden Fall auch gemeinsame DNA (Eltern, Kinder, Großeltern, Urgroßeltern, Onkel und Tanten, Cousins, Cousins 2. Grades). Sollte festgestellt werden, dass vermeintlich nahe Verwandte keine gemeinsame DNA haben, liegt in der Tat keine Verwandtschaft vor. Weiter entfernte Verwandte hingegen haben möglicherweise keine gemeinsame DNA mehr, sind aber trotzdem miteinander verwandt. Vgl. auch den Artikel Genetische_Vorfahren.

Eine DNA-Herkunftsanalyse zeigt genau, woher die Vorfahren stammen

Die DNA-Herkunftsanalysen sind unterschiedlich genau in Abhängigkeit von den unterschiedlichen Analyse- und Berechnungsverfahren der einzelnen Anbieter und den tatsächlichen Herkunftsregionen. Die Zuordnung auf die einzelnen Kontinente kann heute mit hoher Sicherheit erfolgen, während beispielsweise die Zuordnung zu einzelnen Regionen in Mitteleuropa oft fehlerhaft ist. Näheres dazu im Artikel DNA-Herkunftsanalyse.

DNA-Herkunftsanalysen sind unseriös

Diese Behauptung wird dann aufgestellt, wenn vorschnell aus der Diskrepanz zwischen einem einzelnen Analyseergebnis und der tatsächlichen Herkunft der Vorfahren auf ein grundsätzliches Versagen der Methode insgesamt geschlossen wird. Dabei wird dann übersehen, dass die Ergebnisse in vielen Fällen eine hohe Zuverlässigkeit haben und dass es große Unterschiede gibt zwischen den unterschiedlichen Analyse- und Berechnungsverfahren der einzelnen Anbieter und den zugrundeliegenden Referenzgruppen. Es kann durchaus sein, dass der eine Proband bei dem Testanbieter A eine gute, beim Testanbieter B eine schlechte Herkunftsanalyse erhält, während Proband B genau entgegengesetzte Erfahrungen macht.

Empfehlenswert ist auch, die verschiedenen Tools zur Herkunftsanalyse von freien Anbietern (etwa bei Gedmatch.com) zu benutzen und genau zu prüfen, auf welche Zeiträume sich die jeweiligen Analysen beziehen und welche Referenzgruppen zugrundeliegen. Näheres dazu im Artikel DNA-Herkunftsanalyse.

Literatur

  • Bettinger, Blaine T.: The Family Tree Guide to DNA Testing and Genetic Genealogy. Cincinnati 2016, S. 20-34.

Anmerkungen


Die Doppelhelix der DNA
Weitere Informationen zur DNA-Genealogie siehe Portal:DNA-Genealogie
1-zu-1-Vergleich zweier DNA-Kits bei Gedmatch.com