Herforder Chronik (1910)/270

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Herforder Chronik (1910)
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leicht zu Ausschreitungen geneigte große Menge die Verhaßten auf der Straße beschimpfte oder ihnen die Fenster einwarf.

Entrüstet beschwerte sich die Äbtissin aufs neue, und wiederum erließ der Kurfürst daraufhin verschärfte Drohungen, - es wurde damit zwar eine gewisse Ruhe geschaffen, doch blieb in den Herzen der Herforder die feindselige Stimmung zurück. Geschützt von der Hand des Kurfürsten benutzten jetzt die Labadisten die Schonzeit, ihre Gemeinschaft nach innen und außen zu befestigen. Labadie und seine Gehilfen predigten jeden Sonntag und Mittwoch in der abteilichen Hofkapelle, der Wolderuskirche, und täglich zweimal versammelte sich die kleine Gemeinde im alten Münzhof, der heutigen Kreissparkasse, zu Erbauungsstunden. Dort ermahnte Labadie zu Geduld und Ergebung, zur Abkehr von der Welt und völliger Hingabe an Gott. „Diese Übungen waren,“ nach den Worten der Anna Maria von Schurmann, „so himmlisch, daß sie uns von der Welt und uns selbst ganz entrückten und uns zu Gott und unserm Seligmacher so entführten, daß wir uns selbst und all das Unsrige durch eine sehr feurige Liebe Ihm als unwiderrufliches Opfer übergaben, und daß wir uns Seiner göttlichen Leitung durch Sein Wort und Seinen Geist und durch Seinen heiligen Dienst, durch den er sich geoffenbaret und in Christo sich uns zu eigen gemacht hat, ganz weihten. Daher erschien es uns nicht unangemessen, die Geburtszeit der Kirche von dieser Zeit an zu rechnen, und darum wollten wir auch, daß dieses durch die Feier des heiligen Abendmahles der Welt bekannt würde.“

Um die Nachahmung des Vorbildes der ersten Christengemeinde zu Jerusalem zu vollenden, wurde die Gütergemeinschaft durchgeführt, so daß aller Besitz des einzelnen in dem Ganzen aufging. Die Gemeindeämter sollten nicht um Lohn verwaltet, sondern aus Liebe und Gehorsam übernommen werden. Als Schlußstein der allgemeinen Verbrüderung sah man die Feier des heiligen Abendmahles an. Diese Feier aber gerade erregte in Herford den größten Anstoß; denn hierbei gerieten die ohnehin hochgespannten Gemüter der Gläubigen, nachdem unter Gebeten Brot und Wein ausgeteilt war, in einen rauschartigen Zustand der Verzückung; die Teilnehmer sprangen auf von ihren Sitzen und begannen, wie die erste Christengemeinde, „als der Tag der Pfingsten erfüllet war“ ... „zu predigen mit anderen Jungen, nachdem der Geist ihnen gab auszusprechen“.

Alle, auch Labadie und das schon recht ältliche Fräulein Anna Maria von Schurmann, liefen hin und her, umhalsten und küßten sich. Sobald die Herforder von diesen Überspanntheiten erfuhren, und das geschah bald und wurde im Munde der Leute auch noch übertrieben, regnete es Hohn und Spott auf die Auserwählten, die genug zu tun hatten, in Wort und Schrift sich zu verteidigen. Es half ihnen wenig. Interessant ist es hierbei, zu erfahren, daß eine Anzahl dieser Verteidigungsschriften nicht in der zu Herford vorhandenen, sondern in einer eigenen, von ihnen mitgebrachten Druckerei hergestellt ist.

Noch ein anderer Umstand trug dazu bei, den Unwillen der Herforder zu vermehren, das war Labadies geringschätzige Auffassung von dem sittlichen Wert