Johanna Ambrosius 1854–1939, Heimatdichterin
Johanna Ambrosius 1854 – 1939
Aus der Vergangenheit
Bericht im „Schloßberger Heimatbrief“[1], 2004, Seite 88 bis 92, von Herbert E. Sebeikat.
Es wurde die alte Rechtschreibung beibehalten.
- „Richtet nicht nach Form und Rhythmen,
- Davon hab' ich nichts gelernt,
- Denkt es sind bescheid'ne Blüten
- Hie und da vom Thau besternt;
- Hie und da vom Sturm zerbissen,
- Wie sie bieten Feld und Flur,
- Meinem Herzen all' entrissen
- Gleich der Mutterbrust Natur."
- Johanna Ambrosius, Gr. Wersmeningken bei Lasdehnen (Ostpr.), 2. Juli 1894
- „Richtet nicht nach Form und Rhythmen,
Professor Karl Weiß-Schrattenthal aus Preßburg, der unsere Heimatdichterin in die Literatur einführte, schrieb im März 1895 in „Johanna Ambrosius, eine deutsche Volksdichterin", vierte Auflage: „Eigentlich Frau Johanna Voigt, geb. Ambrosius[2], erblickte am 03. August 1854 zu Lengwethen, einem kleinen Kirchdorfe im Kreise Ragnit in Ostpreußen, als zweites Kind eines armen Handwerkers das Licht der Welt. Sie durfte natürlich nur die kleine Dorfschule und zwar nur bis zu ihrem elften Lebensjahr besuchen, von da an kannte sie lange Zeit hindurch nichts wie schwere Arbeit. Ihr noch lebender Lehrer, der Präcentor Kerner, gab mir auf eine Anfrage unter dem 30. Oktober 1894 folgenden Aufschluß: „Infolge Ihres freundlichen Schreibens schlage ich mein Schülerverzeichnis nach und finde, daß Johanna Ambrosius meine damals einklassige Volksschule während der Zeit vom 01. Mai 1860 bis September 1865, also von ihrem fünften bis elften Lebensjahr besucht hat und daß ich ihr im Abgangszeugnis die Censur „Führung recht gut; angestrengter Fleiß bei sehr guter Begabung" ertheilt habe. Johanna und Geschwister erhielten vom Vater, einem schlichten, aber für seine Verhältnisse sehr belesener Mann, viel Anregung zum Nachdenken und Fleiß, daher ihr schnelles Auffassen und ihr ausgezeichnetes Streben in der Schule. Überhaupt ist die ganze Familie geistig sehr gut beanlagt."
Johanna blieb mit ihrer älteren Schwester Marta im Elternhause und da die Mutter jahrelang krank war, mußten die kaum dem Kindesalter entwachsenen Mädchen jede, auch die niedrigste und schwerste Arbeit verrichten. So mußten sie denn auch das Nothstandsjahr 1867 durchkämpfen, in welchem die Eltern krank darniederlagen.
Der Vater las viel und erlaubte den Kindern die „Gartenlaube" zu halten, wenn sie -den Kaffee bitter tränken. Und die Mädchen entbehrten freudigen Herzens, um nur auch dem Geiste Nahrung geben zu können. Wenn sie sich die Finger blutig gesponnen und die bestimmte Anzahl Stücke am Nagel hatten, dann langten sie nach ihrer geliebten „Gartenlaube".
Mit zwanzig Jahren vermählte sich Johanna einem Bauernsohn, nachdem sie einige Zeit auf einigen Gütern als Wirtschafterin thätig gewesen war. So lebte sie denn in den elendsten Hütten und mußte mit einem Einkommen von jährlichen 150 Mark haushalten. Sie machte nebstbei Handarbeiten für die Töchter der Bauern und verdiente sich manchen Scheffel Korn zum Brote.
Zwei Kinder, Marie, jetzt neunzehn, und Erich, jetzt 16 Jahre alt, wurden ihr ge-schenkt und mehrten die Sorgen. Durch ihr kleines Erbtheil jedoch ward es den Eheleuten möglich sich ein Häuschen und ein Stück Feld in Groß Wersmeningken (nach 1938 Langenfelde, Krs. Schloßberg) anzukaufen. Aber die junge Frau sah ihre Hoffnungen nicht erfüllt. Körperliche und seelische Leiden stellten sich ein. Der Schmerz brach sich Bahn und Johanna wurde Dichterin. Im Herbste des Jahres 1884 entstand ihr erstes Lied. Ihre Schwester Marta wurde Mitwisserin dieses Geheimnisses und sandte an die Herausgeberin des Blattes „Von Haus zu Haus", Frau Anny Wothe, einige Gedichte ein, die aufgenommen und veröffentlicht wurden. Trotzdem auch einzelne andere Blätter die poetischen Erzeugnisse dieser in so enge Verhältnisse gezwängten Feuerseele aufnahmen, fiel es leider Niemanden ein, der schönen Begabung des armen Weibes auch Gerechtigkeit widerfahren zu lassen und ihre Gedichte auch in weiteren Kreisen bekannt zu machen - und so blieb denn Johanna Ambrosius ungenannt. Und wie gerne hätte sie ihre Geisteskinder in die Welt gesendet, - nicht um eitlen Ruhm zu fröhnen, nein, nur für ihre heißgeliebten Kinder etwas thun zu können. Ihr Sohn Erich sollte Lehrer werden; doch dazu gehört schnödes Geld!
So machte ich denn den Versuch; nach dem glücklichen Ergebnisse meiner ersten Ausgabe der Gedichte, hoffe ich auf einen ebenso günstigen Fortgang. Es war aber auch gerade an der Zeit, denn die Dichterin hat ihren Sohn bereits außer Hause und ist krank und schwach. Die Influenza warf sie zu Neujahr 1890 auf das Krankenlager, eine Lungenentzündung gesellte sich dazu und als sie, ohne ärztliche Hilfe, endlich aufstehen vermochte, wußte sie, daß es mit der Gesundheit auf immerdar aus sei. Ihr Körper ist zerfallen und nur mit Schmerzen und Qualen ist sie im Stande ihren Verpflichtungen als vielgeplagte Landfrau nachzukommen. Und doch entstehen noch immer neue Lieder! Welch mächtige Phantasie muß da ihres Herrscheramtes walten? Hat doch die Dichterin noch nie einen Berg, keinen See, keinen Palast, kurz keine andere Pracht geschaut als die Schöne ihrer Heimat. Aber sie hat das Wenige mit Dichteraugen gesehen. Ich glaube überzeugt sein zu dürfen, daß aus dem Gebotenen jeder vorurtheilsfreie Leser den Schluß auf eine beachtenswerte, zum Theile starke dichterische Begabung machen wird. Ganz besonders staunenswert aber ist es, daß sich die Frau unter so ungünstigen Verhältnissen zu einer solchen geistigen Höhe emporzuschwingen vermochte. Sie selbst freilich findet das alles natürlich und einfach. „Nur auf Commando schreiben kann ich nicht," meint sie originell genug in einem ihrer Briefe, „und wenn es mich nicht zum Dichten drängt, dann beißt die Muse mich in die Finger."
Ich selbst konnte beim Lesen der mir übersandten Gedichte mich oft des Staunens nicht erwehren, da mir doch die Briefe des armen Weibes sagten, daß sie vor Eintritt ihrer Krankheit noch regelrecht den Dreschflegel in der Tenne geschwungen; da ich doch zugleich auch vernehmen mußte, daß sie in Abwesenheit ihres Mannes Haus, Feld und Stall versehe, ja noch vor drei Jahren mit der Sense das Heu mähte und bei der Ernte die Garben band. Jetzt läßt allerdings der kranke Rücken so schwere Arbeit nicht mehr zu. Zeit zum Schreiben läßt nur der freie Sonntag - und wann dichtet sie? Auf dem Felde, im Garten, am Kochherde, im Stalle. Und da kommt ihr ein großes Gedächtnis zu Hilfe. Sie kann all' ihre Gedichte, es dürften fünfhundert sein, auswendig hersagen.
Ihre Lectüre bildete, wie schon erwähnt, jahrelang die „Gartenlaube" und einzelne Bücher, die ihr durch ihre Schwester Marta zugeführt wurden; besonders waren es Karl Stielers und Fritz Reuters Poesien, die sie entzückten.
Als ich den Entschluß faßte, eine Auswahl aus den Gedichten dieser begabten Frau herauszugeben, war es natürlich die „Gartenlaube", an die ich mich wandte. Herr Ad. Kröner war so liebenswürdig ein Gedicht „Laßt sie schlafen" aufzunehmen (1894 Nr 38). Diesem Umstände verdankte ich denn auch einen Brief von einer Dame aus Pillkallen in Ostpreußen, den ich in seinem Wortlaute hier folgen lasse, weil er uns mit den Lebensverhältnissen der Volksdichterin bekannt macht. Er ist vom 09. Oktober 1894 datiert und lautet: Ab hier kursiv „Durch eine der letzten Nummern der „Gartenlaube" wurde ich von Ihnen auf die geist- und talentvolle Dichterin Frau Ambrosius-Voigt aufmerksam gemacht und für dieselbe interessiert. Da ihr von Ihnen benannter Wohnort nur ungefähr drei Meilen von meiner Heimatstadt entfernt liegt, suchte ich sie auf und folge ihrem Wunsche, wenn ich Ihnen schildere, wir und wo ich sie fand.
Unweit eines größeren Kirchdorfes, Lasdehnen, auf weiter einförmiger Ebene zieht sich ein ernster dunkler Tannenwald hin, ab und zu von dem lichten Grün der Laubhölzer unterbrochen. Da ist Einsamkeit, ernste Waldeseinsamkeit zu finden, von der die Dichterin in ihren Liedern spricht und die sie zu deuten vermag. Da kann auch in unserm meist eintönigen Ostpreußen ein dichterisches Gemüth aufjubeln und Nahrung finden für ein glühendes Empfinden. Ich ließ mein Auge trunken über die düsteren Wipfel der Bäume schweifen, dann sah ich plötzlich die Sonne den lichten Saum des Waldes bescheinen und in geringer Entfernung vor mir tauchten die bescheidenen Häuschen eines Dorfes auf; es mußte Gr. Wersmeningken sein. Am Wege waren arbeitende Leute, die ihre Kartoffeln ausnahmen. Diese gaben mir auf meine Frage Bescheid, ob ich hier vor dem vermeintlichen Dorfe wäre und wo Frau Voigt wohne. Ich war nun wirklich nahe dem Ziele meiner Fahrt, und nach kurzer Spanne Zeit lenkte ich in die Dorfstraße ein, jedes Gehöft prüfend, welches wohl würdig wäre, den Geist einer Dichterin zu beherbergen.
Da reihte sich ein einfaches Häuschen fast gleich seinem vorigen Nachbarn an das andere; doch eins war anders, ganz anders, fast bescheidener noch als die übrigen, die Fenster klein, das Dach niedrig, seine einfache Bretterwand ließ sich fast nur ahnen, denn sie war berankt bis zum Dach hinauf mit Wein, der die winzigen Fenster noch winziger erscheinen ließ. Vor dem Hause war ein kleines Gärtchen, in dem noch einige Herbstblumen trotz der vorgerückten Jahreszeit ihr blühendes Dasein behaupteten. Hier mußte sie wohnen! Trotz dieser Überzeugung kehrte ich erst im Wirtshause ein und erfuhr durch die Inhaberin desselben, ebenfalls eine Frau Voigt und Verwandte von ihr, daß ich mich nicht geirrt hatte.
Nun machte ich mich zu Fuß auf den kurzen Weg und gelangte an das rebenumwachsene Häuschen. Ein kleiner Kettenhund schlug an und über die Schwelle trat eine hagere, kränkliche, dürftige Frau gebückten Ganges mir entgegen, war Johanna Ambrosius-Voigt. Nachdem sie mein Begehren kannte, führte sie mich ins Haus. Ich trat durch eine niedrige Thür in ein mehr als einfaches Zimmer, es entbehrte jeglichen Schmuckes und jeder Bequemlichkeit, nur sauber war es und nichts hätte auf das Asyl einer Dichterin schließen lassen können. Auf weißgescheuertem Tische stand ein Tintenfaß mit genügender Tinte darin und ein Federhalter lag daneben, dem man es ansah, daß es sich mit ihm schreiben ließ und daß man mit ihm schrieb (Es war eben großes Räumen im Hause und so fehlte in der Toilette des Zimmers manches, was sonst nicht vermißt würde.) Letzteres mußte jedem Eintretenden auffallen, der weiß, wie schwierig es ist, bei Leuten ihres Standes in unserer Gegend, brauchbare Schreibutensilien zu erlangen.
Frau Voigt selbst war sehr ärmlich gekleidet, ärmlich, wie die ärmste Arbeiterfrau bei uns auf dem Lande. Ein einfacher Rock, eine Jacke, und ein dunkles Tuch um den Kopf gebunden, trugen sicher nicht dazu bei, mehr in ihr zu vermuthen, als bei anderen ähnlichen Erscheinungen. Doch nur wenige Minuten sprach ich mit der eigenartigen Frau, sah ab und zu ihr Auge bei unserer Unterhaltung leuchten und ich wußte, wen ich vor mir hatte.
Fast zwei Stunden verbrachte ich bei ihr und konnte mich kaum losreißen von dem anregenden Gespräch, das wir führten, und als wir schieden, schüttelten wir uns die Hände, als ob wir Jahre lang ein Leid und eine Freude mit einander getheilt hätten. Sie erzählte mir vieles von ihrem unverstandenen Dasein, denn der ganze Kreis ihrer Umgebung ist nicht dazu angethan mit ihr ein gleiches Interesse und gleiche Neigungen zu haben. Sie selbst sagte folgendes:
„Wenn ich einer bekannten Frau eines meiner Gedichte vorlese, so fragt sie: „Schriewe Se dat von wo af, oder wie make Se dat?"
So steht sie allein und unverstanden mit ihrem heiß und tief empfindenden Herzen da und noch dazu in Armut und Dürftigkeit. Ihre beiden Kinder liebt sie zärtlich. Ihr Streben ist, ihrem Sohne einen geistigen Beruf zu verschaffen und doch wird es ihr in ihrer Armut so schwer die Mittel zu finden, um sich die Vorbildung zum Beruf eines Elementarlehrers angedeihen zu lassen." Ende kursiv
Mein bescheidener Appell an das deutsche Volk hatte bisher einen unerwartet schönen Erfolg. Besonders in Ostpreußen wetteiferte man in den einzelnen Städten, durch Wohlthätigkeitsvorstellungen die Mittel herbeizuschaffen, welche der so begabten Poeten hartes Los mildern sollten. In Königsberg, Tilsit und Lasdehnen wurden schöne Ergebnisse erzielt, doch auch in anderen Städten blieb man nicht zurück in Liebeswerke; in Erfurt und in Mitau hatte man gleich günstige Resultate. Auch von einzelnen Wohlthätern liefen namhafte Spenden ein - ich spreche ihnen ein im Namen der Dichterin meinen heißgefühlten Dank aus. Mein Gesuch an die Tiedge-Stiftung wurde mit Gewährung einer großherzigen Unterstützung beantwortet und auch die Schiller-Stiftung stellte ein Gleiches in Aussicht. So ist zu hoffen, daß der Dichterin leider zerrüttete Gesundheit auch durch die nun zu Gebote stehenden Geldmittel, wenn auch nicht vollkommen hergestellt, so doch gefestigt werde, denn sie wird zur Linderung ihrer körperlichen Leiden mit dem kommenden Lenz etwas thun können." - Der 1. Gedichtsband erreichte in kurzer Zeit 40 Auflagen und erreichte einen unverhofften Widerhall in der ganzen Welt. Von der gesamten Kritik wurde Johanna Ambrosius aufs lebhafteste begrüßt, und selbst viele ausländische Zeitschriften u. a. englische, amerikanische, holländische, italienische und französische feierten die Dichterin in längeren Artikeln. Viele ihre Gedichte wurden vertont, so z. B. das Gedicht „Mein Heimatland", das bis in die 30er Jahre des 20. Jh. das 1. Ostpreußenlied war, vertont vom Allensteiner Musikdirektor W. Terlecki, von Dr. Rob. Laser aus Lasdehnen, von Balletdirektor A. Falkenhagen, von Frau Magdalene Charisius und als Marsch von Kapellmeister Ohnesorg aus Königsberg.
Nach dem Tode ihres Ehemannes (1900) zog Johanna Ambrosius 1908 zu ihrem Sohn Erich, der Lehrer wurde, nach Königsberg. Am 27. Februar 1939 verstarb unsere Heimatdichterin Johanna Ambrosius in Königsberg.
Internetlinks
Fußnoten
- ↑ Die Genehmigung für die Veröffentlichung in GenWiki im „Portal Pillkallen“ liegt von der „Kreisgemeinschaft Schloßberg/Ostpr. e.V. in der Landsmannschaft Ostpreußen e.V., Rote-Kreuz-Straße 6, 21423 Winsen/Luhe“ schriftlich vom 19.03.2011 vor.
- ↑ Artikel Johanna Ambrosius . In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. (30.12.2017)