Rezepturhandschrift (Westfalen)
Die Lebensumstände im lokalen und regionalen Bereich mit den natürlichen und kulturellen zeitlichen Gegebenheiten geben Hinweise zur Anlage von Biografien unserer Vorfahren in der jeweiligen Generation. Land und Leute in ihrer Zeit, ihre Verwaltungseinbindung, Bildungs- und Wirtschaftswesen, Wohlfahrtspflege und die Vernetzung ihres Lebensraumes. Hierarchie: Regional > HRR > Historische deutsche Staaten > Lebensumstände > Stadtwirtschaft > Rezepturhandschrift eines westfälischen Meterialisten aus der Hausväterzeit
Reihe Lesepauker
Quellenveröffentlichung
Über Rezepturen und Forschung zu Nomenklaturen
Eine Rezeptur ist heute, wie auch schon vor 2000 Jahren, eine schriftliche Anweisung, was und wie viel man von gewissen Dingen nehmen soll, um einen neuen künstlich vermischten Gegenstand oder Körper hervorzubringen, den man selber benötigte oder mit dem man Handel betreiben konnte. Rezeptur und Handel standen immer in enger Beziehung zueinander. Das Wissen über historische Rezepturen, deren Anwendung und Wirkung, die Erschließung hochwertiger Wirkstoffe und Pigmente, bildet über die Arzneimittelherstellung hinaus auch eine wertvolle Grundlage für die Kunst, Malerei und Restaurierung. Beeinflusst wurden die Rezepturen im hohen Maße von der Entdeckung und Erschließung neuer Kontinente und Völker durch die Europäer im 15. und 16. Jahrhundert, da die dabei neu erschlossenen Pflanzenwelten die europäischen Rezepturen um viele Substanzen erweiterten.
Eine solche historische Sammlung handschriftlicher Rezepturen aus Westfalen, der Grafschaft Mark und dem klevischen Niederrhein, aus der Zeit der Konfessionalisierung und der regionalen Entwicklung von Kirche, Staat und Gesellschaft nach der Reformation. wurde im Hauptteil Ende des 18. Jahrhunderts abgeschlossen. Mit der anliegenden Bearbeitung wird diese Quelle nun erschlossen und zugänglich gemacht. Veröffentlicht wird damit eine ziemliche Palette unterschiedlicher historischer Rezepturen für Material-, Drogerie- und Apothekerwaren, darunter auch für Pigmente für unterschiedlichste Farbanwendungen.
In diesem Rezepturbuch schwebte auch der Geist der Gesundheit, der Langlebigkeit und sogar der Unsterblichkeit. Die Leute glaubten daran und die gebildeten und im wahrsten Sinne „gut betuchten“ Eliten der illustren Gesellschaft in den Großstädten konnten dafür zahlen. Zielgruppe war der Landadel, der bürgerlichen Privatmann und eigenständige Bauernstand, wie auch höhere und niedere Landgutaufsitzer.
Der großen Mehrheit des Landvolks und der Bewohner der Kleinstädte blieb der Zugang zu Ärzten und Apothekern in den Residenz- und Großstädten bei mangelhaften Angeboten und mangels finanzieller Möglichkeiten verwehrt. Ihnen verblieben die Hausmittel, der Spiritismus und die Spiritualität, mit den Möglichkeiten des Glaubens an Gott oder den bösen Geistern als besondere Kraft über die üblichen Wirkmittel hinaus bei Krankheiten.
Dies durch empirische Methoden zu hinterfragen und wahrzunehmen und die systematische Erfassung zu erproben und auszuwerten konnte mit einem sogenannten „Naturalienkabinett“ und einer „Wunderkammer“ eines Gymnasiums unterstützt werden. Untersuchbar waren dabei durchaus objektive Gegebenheiten, subjektive Meinungen oder auch individuelle Verhaltensweisen. Praktische Grundlagen für solche Untersuchungen in Offizinen konnten Rezepturbücher bieten.
Spätmittelhochdeutsche Begrifflichkeiten in einzelnen Rezepturen dieser Handschrift lassen deren eigentliche Ursprünge im 16,, 17. und 18.Jahrhundert vermuten. Abschnitte mundartlich eingefärbter Benennungen und Ausdrücke weisen auf westfälische Regionen und den Niederrhein um Rees, Bocholt, Wesel, Kleve hin.
Solche Rezepturen waren sicherlich nützlich für wohlhabende Privathaushelte der Hausväterzeit, deren Blüte etwa zwischen 1660 und 1730 lag. Die Handschrift der Rezeptur umfaßt das Tätigkeitsfeld eines Materialisten und war Anfang des 19. Jahrhunderts in den Besitz des Spezereiwarenhändlers Joseph Bernhard Schild, geboren in Lippramsdorf, gekommen, welcher um 1816 einen Spezereiwarenhandel in Schermbeck eröffnet hatte.
Diese Handschrift ist nun erschlossen und wird für den Herbst zum Druck vorbereitet.
Inhaltsverzeichnis
- Grußwort
- Alte Rezepturhandschrift, Spezereiwarenhändler J. Bernd Schild ... S. 09
- Lehrgegenstände des Gymnasium Petrinum in Dorsten ... S. 13
- „Heidnische“ Mumia, Rezepturgrundlagen im „christlichen“ Abendland ... S. 16
- Wurzeln magischer Rezepturen, Glaube und Hoffnung ... S. 17
- Naturalienkabinett und Wunderkammer mit klösterlichem Gymnasium ... S. 25
- Männer und Frauen waren und blieben krank, weil sie arm waren ... S. 26
- Unterschiedliche Rezepturinteressenten,Materialisten als Rohstofflieferanten.. S. 30
- Bilder vom Materialisten, Spezereiwarenhöndlern, Apothekern, Kraämern ... S. 32
- Apotheken und Apotheker ... S. 34
- Vormetrische Einsatzgewichte ... S. 36
- Themenfelder der Rezepturen, Zeitliche Einordnungsversuch ... S. 38
- Seitenkopien der Handschrift mit gegenüberliegender Umschrift ... S. 40
- Gewichte, eine pfundige Angelehenheit .. S. 272
- Ausgewählte hilfreiche Literatur .. S. 274
- Anhang
- Inventar der Apotheke im Haus Geist 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts .. S. 275
- Unterschiedliche historische Offizinen (Verkaufs und Arbeitsräume) .. S. 312
- Unterschiedliche historische Gerätschaften (Herstellungsverfahren) .. S. 314
- Auch Kötter als Brenner, der Brandewiner .. S. 320
- 1725 Rechnung des Brenners und Kötters Rüter .. S. 321
- 1725 Apotkenrechnung aus Dülmen an den Drost des Amtes Dülmen .. S. 322
- Apothekenpreise, Taxieren von Rezepturen ..S. 324
- 1713 Gründung der Alten Apotheke zu Recklinghausen ..S. 324
- 1719 Arzneiechnung für Christoph Heinrich v. Raesfeld zu Ostendorf ..S. 325
- Wohlfahrtspflege im Fürstbistum Münster ..S. 326
- Zeitgenössisches Glossar ..S. 332
Inhaltliche Ergänzungsmöglichkeit zum Umfeld
- Gewinn- und Versterbbuch der Herrschaft Ostendorf ab 1653 (Darin Familie Schild)
- Lagerbuch des Herrschaft Ostendorf ab 1747 (Darin Familie Schild)
- Die Lebensverhältnisse der Stadt Haltern (1769-1816)