Piltsch

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PILTSCH: Piltsch (heute poln.: Pilszcz) liegt südöstlich von Breslau, weniges nördlich der tschechischen Grenze. Piltsch liegt bei Katscher, im Kreis Leobschütz (Glubczyce). Die alten Bilder aus Piltsch zeigen eine Art Idyll: Herren, Knechte und Handwerker, und allen geht es gut in diesem Mikrokosmos. Dieser idyllische Mikrokosmos-Eindruck hat seinen Grund evtl. in der zeitweise calvinistischen Geschichte des Ortes. Der Ort hat einen durchgeplanten Grundriß und wurde von einem Lokator angelegt. Der Ort Piltsch war deutsch, bis die Deutschen 1946 großenteils vertrieben wurden. Einige slawische Nachnamen kommen spät hinzu. Der Ort war früher (nach etwa 1640) wohl calvinistisch, später war er katholisch. Das älteste Piltscher Kirchenbuch ist von 1629. Die alttestamentarischen Hofnamen (Samun / Salomon vor 1600, Tadeasses / Thadeus ab 1755, Benemines / Benjamin seit 1714, Danieles, Davidhaadrich / David ab 1725, Zemm / Simon ab 1730) in Piltsch weisen nicht auf Juden, sondern auf die alttestamentarischen Vornamen der Calvinistenkinder hin. Der Ort Piltsch hatte einen überdurchschnittlichen Akademikeranteil. Das Dorf war wohlhabend: "Die Piltscher hatten das Geld für Ahnenbilder." Die Piltscher schickten immer möglichst viele Söhne und Töchter aufs Gymnasium und an die Universität. Piltsch galt als das schönste Dorf der ganzen Gegend. Der heile Piltscher Mikrokosmos erinnert irgendwie an die Gemeinde der Amish People – wir sehen einen durchgeplanten Dorfgrundriß mit einheitlichem Baustil, und Herrenhöfe mit deutschen bzw. alttestamentarischen Namen, und genau abgegrenzte Handwerker- und Fischerviertel (in denen sich die slawischen Namen finden). Und es gab überraschend viele Adoptivkinder in Piltsch, was sich durch das enge Zusammengehörigkeitsgefühl in einer Gemeinde mit calvinistischer Vorgeschichte erklären läßt (vielleicht aber auch durch wiederholte Choleraepidemien). Der Grundriß des Friedhofs ist exakt dem Ortsgrundriß mit seinen vier Vierteln (Roggenviertel, Haferviertel, Weizenviertel, Gerstenviertel) nachempfunden. In Piltsch war Ordnungsliebe eine hohe Tugend: "...erstaunt über die peinliche Ordnung, die hier herrscht. Da hängt und steht alles an der rechten Stelle, aufgereiht wie im Kasernenhof." Es gibt im Johannes-Künzig-Institut Freiburg ein längst vergriffenes Buch aus einem Selbstverlag über das Dorf Piltsch (von Georg Heidrich). Das reich bebilderte Buch ist ansonsten nicht zu bekommen. Der von Familie Unger bei München erstellte Stammbaum einer Piltscher Familie im Internet liefert weitverzweigte Stammbäume aus Piltsch. Die ältesten Erwähnungen von Namen aus Piltsch finden sich im Liechtensteinschen Archiv von etwa 1530. Frühe verbürgte Namen aus Piltsch sind u.a.: Kremser geb. 1590, Krömer geb. 1588, Fuchs geb. 1585, Bauernfeind geb. 1600, Johannes Moritz geb. 1612 (im Liechtenst. Archiv noch als "Morawitzer" geführt), Alker, Heidrich, Strohalm. Insgesamt war Piltsch sicherlich schon sehr früh besiedelt, aber die Menschen, die den Ort bis 1945 prägten, kamen größtenteils aus der Gegend von Zwickau. Familie Andreas Kremser kam ab 1552 aus Grünhain, Zwickau, Sachsen. Familie Johannes Moritz 1512 bis 1535 kommt aus Grünhain, Zwickau, Sachsen. Familie Johanna Heidrich (Vater Johannes) kommt ab 1537 mit Barbara Eva 1566 aus Grünhain, Zwickau, Sachsen; Teile der Familie sind aus Schwarzenberg und Elsterberg, Zwickau, Sachsen. Familie Krömer ist wohl etwas später, ca. 1650, nach Piltsch gekommen. Sie stammen wahrscheinlich aus dem Gebiet Stadthagen, Schaumburg-Lippe. Familie Alker könnten Einheimische sein: Sie lassen sich immer nur um Leobschütz herum nachweisen. Simon Alker, geb 1580 in Piltsch, heiratete 1612 in Piltsch, starb 15.2.1633 Familie Strohalm könnten ebenfalls Einheimische sein: Auch sie lassen sich immer nur um Leobschütz herum nachweisen.


Aus einem privaten Reisebericht von 2004: " ... Das Dorf Piltsch, das ich besuchen wollte, lag etwas unschön in einer Senke. Warum man in diesem weiten, schönen, leicht welligen Land Dörfer ausgerechnet in eine Senke baut, wurde mir klar, als ich zum Fotografieren auf den Höhen aus dem Auto ausstieg. Es weht ununterbrochen ein so kräftiger Wind, daß einem nach kurzer Zeit die Ohren pfeifen. Jeder hätte sein Dorf deshalb in eine Senke gebaut. (Später las ich, daß man schon vor 200 Jahren wußte, daß Oberschlesien eine der windreichsten Gegenden in Deutschland ist, und daß um das Dorf Piltsch herum 50 Windmühlen im Einsatz waren, vergleichbar einem heutigen Windpark.) Die Sache mit der Senke hat einen furchtbaren Nachteil: Es gibt ein Problem mit dem Wasser. Das Wasser fließt nicht richtig ab. Die Dorfteiche stehen still und veralgen, und jedes kleinste Hochwasser drückt die Abwässer zurück in alle Leitungen. Die Abwässergräben riechen ungut und stehen voll Schilf. Irgendwie wird alles nie durchgespült. Daß das Dorf Piltsch im 19. Jahrhundert mehrere vernichtende Cholera-Epidemien durchmachte, ist vor diesem Hintergrund nur natürlich. Auf das Dorf zu führten von mehreren Seiten die gewaltigsten Alleen, die ich je gesehen habe, 10 bis 30 km lang. Am Dorfeingang stand mitten auf der Straße eine Kuh mit einem rührenden Fellkrönchen auf dem Kopf. Aus der kleinen Schule in P. stürzten schmächtige Knaben und Mäuse mit Schleifen im Haar. Die Mädchen grüßten wohlerzogen, aber ein Junge schlug mit einem Stock in die Richtung meines Autos. Ich habe sofort angehalten und ihn auf polnisch gefragt: "Was tust du?" Daraufhin murmelte er "przepraszam (Verzeihung)" und legte in unglaublich altertümlicher Geste die Hand über die Augen, um zu zeigen, daß er sich schämt. Dann betrat ich den einzigen Laden, um ein beliebiges Lebensmittel zu kaufen. Es gab aber ausschließlich Kleidung – in Übergrößen. Meine Verwunderung über einen Übergrößen-Laden in diesem abgelegenen Dorf legte sich, als weitere Kunden kamen. Alle Dorfbewohner waren klein und dick, sie waren die Kunden, und für sie war diese Kleidung bestimmt. Als ich nach einem bestimmten, architektonisch sehenswerten Barockbauernhof fragte und ein Bild zeigte, waren alle sehr hilfsbereit, jeder deutete in eine andere Richtung, und es wurde schnell klar, daß es diesen Hof nicht mehr gibt. Meine Versuche, den geordneten Rückzug anzutreten, wurden ignoriert, vielmehr wurden zwei weitere Bewohner angerufen, die in wenigen Minuten im Laden waren. Auch die Kuh mit dem Fellkrönchen hatte mittlerweile den Laden erreicht und schaute töricht auf den Eingang. Die Herbeigerufenen waren offenbar deutsche und deutschsprechende Oberschlesier. Ich wollte nun den geordneten Rückzug antreten, wurde aber bereits im Nachbarort Wehowitz telefonisch bei der Schwester der Dame angemeldet (die sicherlich noch heute auf mich wartet). Der oberschlesische Herr ließ es sich nicht nehmen, mir die Brennesseln zu zeigen, die an der Stelle des früheren Barockhofes wuchsen. Dann wurde die Bürgermeisterin gerufen. Die Sache fing an, offiziell zu werden. Die Flucht gelang nur, indem ich nach dem Friedhof fragte. Dort lassen sie einen aus Pietätsgründen meist allein hin. Im Rückspiegel sah ich noch, daß die Kuh mit dem Krönchen sich mittlerweile dem Schulgarten zugewendet hatte, wo sie einen Papierkorb beiseitedrängte und ausdruckslos Zweige aus der Hecke zog ..."

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