Briefe von Franz Noreikat

aus GenWiki, dem genealogischen Lexikon zum Mitmachen.
Version vom 18. Januar 2015, 17:40 Uhr von GuentherKraemer (Diskussion • Beiträge)
(Unterschied) ← Nächstältere Version • aktuelle Version ansehen (Unterschied) • Nächstjüngere Version → (Unterschied)
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Diese Seite gehört zum Portal Pillkallen und wird betreut von der Familienforschungsgruppe Pillkallen.

Diesen Brief schrieb Franz Noreikat[1] zur wirtschaftlichen Lage an seine Schwestern Luise und Anna nach Berlin (wörtliche Abschrift).


Eggleningken, den 24.10.1911

Liebe Schwestern

Mit der Ernte und mit Pflügen fertig, kann ich mir jetzt auch mal die Zeit nehmen und Euch einen langen Brief schreiben. Denn lang soll er diesmal werden, ob er's wird??? Wenn ich auch mit Obigem fertig bin, so habe ich doch noch viel Kramerei mit Bauen und flicken, denn ich habe mir in diesem Jahr vorgenommen alles was fehlt und nötig ist anzuschaffen.

Ich habe noch einen neuen Brunnen gemacht. Nach dem neuen Stall nach dem Haus und Schweinestall Wasserleitung. Da ich das alles selbst gemacht habe, bin ich verhältnismäßig billig dazu gekommen. Am Haus habe ich außerdem zu beiden Seiten Dachrinnen anbringen lassen. Hoffentlich wird es jetzt nach der Hofseite nicht mehr so feucht sein.

Die Ernte scheint ja auch was Körnerertrag anbetrifft sehr gut zu sein. Verkauft habe ich bis jetzt für

600 Mk Weizen
1400 " Roggen
1680 " Hafer
3680 Mk Summe

für den Anfang bin ich zufrieden. Ich rechne noch für ca. 5000 Mk verkaufen zu können.

Ochsen habe ich in diesem Jahr keine gekauft, denn ich habe selbst schon 62 Stück Vieh im Stall, und die Kleeernte ließ viel zu wünschen übrig. Rübenernte dagegen war gut, es waren viele über 10 Pfd, ja sogar bis 15 Pfd. Was bei der diesjährigen Dürre viel sagen will.

Ich merke schon mein Brief wird nicht sehr lang werden.

Ja doch nun fallt mir noch etwas ein. Eine unserer Geldquellen, das Ferkelgeschäft, versagt in diesem Jahr total. Letzten Sonnabend konnte man in Pillkallen für 5 (fünf) Mark 3 (drei) Ferkel erstehen. Die Folge davon??? Leicht erklärlich - es gibt nur noch Spanferkel!!!!! Traurig aber wahr, wenn`s nicht bald besser wird, dann ist dieser Betrieb in diesem Jahr ein arger Reinfall. Merkt Ihr dort auch schon etwas vom billigen Schweinefleisch????

Rebhühner konnte ich auch keine mehr besorgen. Vielleicht geht es noch später, kann aber nichts versprechen.

(hier bricht der Brief ab)


Den folgenden Brief schrieb Franz Noreikat an seine Schwester Anna. Er beschreibt das Schicksal seiner Ehefrau Anna, die auf der Flucht bei den Kampfhandlungen verletzt und danach vermisst wurde (Abschrift).

z. Zt. Allenstein den 9.9.14

Liebe Anna,

Deine Karte vom 1. d. Mts habe ich gestern erhalten. Du ahnst noch gar nicht wie unglücklich ich und ihr alle seid. Anna (seine junge Ehefrau) und Berta sind nicht mehr von Hause weg gekommen, sondern von den Russen überrascht. Es ist ihnen von diesen auch nichts passiert, sie haben sich sehr anständig betragen. Doch am 20. v. Mts mussten sie das Gehöft verlassen, weil die Russen von unseren angegriffen wurden. Dabei sind sie in die Schusslinie von unserer Artl. gekommen. Anna wurde von einer Granate am Unterschenkel getroffen. Daraufhin nach Mallwischken in ein Feldlazarett gebracht. Von da ab fehlt jede Spur, ich weiß nicht was ich machen soll. Emma ist in Königsberg, Golzallee 22 bei Frau Schindelmeiser.

Vorläufig ist bis Wehlau von den Russen alles besetzt, doch so Gott will wird sich in dieser Woche so manches klären. So wie wir ihnen hier bei Allenstein Ortelsburg ein Ende mit Schrecken bereitet haben wird es uns mit Gottes Hilfe auch dort gelingen. Ich nehme dann sofort Urlaub um Anna in Insterburg oder Gumbinnen zu suchen. Sollte ich dort das Schlimmste was ich noch immer nicht fassen kann, erfahren, so melde ich mich sofort zu einem Linien Rgt. um immer der erste am Feinde zu sein vielleicht wird Gott mir dann helfen.

Lebe wohl liebe Schwester bitte Gott mit mir und für mich dass er mir hilft. Mich kann nur noch Arbeit und Unterhaltung der Kammeraden retten, allein sein kann ich nicht. Lebe wohl Gott schütze Dich, diesen Brief wollte ich schon lange schreiben doch es war mir immer nicht möglich ich wagte mich nicht ran.

Herzlichen Gruß von Deinem Bruder Franz



Über diese Zeit schreibt Ludwig Ernst Friedrich[2]:

Auszug Seite: 58

… Als aber am 28. Juni 1914 die Schüsse in Sarajewo fielen, da …

Meine große Sorge galt in jenen Tagen meinen Angehörigen im Elternhause, und ich hatte guten Grund dazu. Als sie der behördlichen Aufforderung nachkommend, sich anschickten, den Hof zu verlassen und zu flüchten, kam bereits die erste russische Kavallerievorhut auf den Hof gesprengt, und aus war es mit dem Flüchten. Mehrere Tage mussten die Frauen für die zahlreiche Besatzung braten und kochen, denn die Gardekavalleristen wollten gut leben und bezahlten alles in bar. Als die ersten deutschen Granaten auf dem Hofgrundstück einschlugen, suchten die Russen das Weite. Auch die Bewohner flüchteten erst mal ins Feld hinein, weil sie meinten, da sicherer zu sein. Das war aber ein Trugschluss, denn die deutsche Artillerie hielt sie für Feinde und beschoss sie mit Schrapnells. Meine älteste Schwester Margarete wurde durch zwei Sprengstücke am Kopf und die Frau des Nachbarn Franz Noreikat durch einen anderen Granatsplitter an einem Bein schwer verwundet. Von den übrigen etwa 40 Personen wurde nur noch ein Kind leicht an der Hand getroffen. Alles stob auseinander, nur die Schwerverletzten blieben mit einigen wenigen zurück. Meine Mutter bat den siebzigjährigen Freiarbeiter Preuß, zum Hof zu gehen und den kleinen Strohkarren zu holen, um damit die Verletzten nach Hause zu bringen. Preuß kam aber nicht zurück. Was war geschehen? Als er den Hofplatz betrat, trafen da gleichzeitig mit ihm neue russische Kavalleristen ein, die ihre Pferde tränken wollten. Diese stellten den alten Mann zum Pumpen an, und als ihm wenig später die Kräfte versagten, prügelten sie ihn zuerst und brachten ihm dann noch mehrere Lanzenstiche in Brust und Arme bei, so dass er an der Pumpe zusammenbrach. Seine Verletzungen schienen so schwer zu sein, dass er wohl nicht mehr zu retten war. Dagegen schien das Befinden der beiden verwundeten Frauen hoffnungsvoller zu sein, denn sie waren trotz hohen Blutverlustes wenigstens bei voller Besinnung. Meinem Bruder Ewald gelang es in der darauffolgenden Nacht, beide, dazu meine Mutter und eine Base durch die feindlichen Linien hindurch mit einem pferdebespannten Ackerwagen zum deutschen Feldlazarett nach Mallwischken (heute Mallwen) zu bringen . Dort lieferte er sie ab und machte den gefährlichen Weg zurück allein, wobei er die Pferde abspannen musste, um sie am Zügel führend nach Hause zu bringen.

Da angekommen, spannte er sie sofort vor einen anderen Wagen, auf dem die anderen Frauen und Kinder schon saßen, um ebenfalls zu flüchten. Diese beiden Pferde waren die einzigen noch vorhandenen, denn inzwischen hatten die Russen alle anderen Pferde mitgenommen . Da der alte Preuß trotz seiner schweren Verletzungen noch immer Lebenszeichen von sich gab, nahmen sie auch ihn mit. Wiederum gelang es Ewald auch mit diesem Gefährt durch die feindlichen Linien zu kommen und in dreitägiger Fahrt, auf großen Umwegen und verstopften Straßen, nach Königsberg zu gelangen. Dort brachten sie den alten Preuß, der immer noch lebte, in die Universitätsklinik, die er einige Wochen später wieder gesund verlassen konnte.

Derweile war es den anderen Verwundeten nicht so gut ergangen. Als die Russen auch Mallwischken besetzten, retteten sie sich nach Gumbinnen. Von da gab es aber kein Weiterkommen, weil die Eisen-bahnstrecke gesprengt war, und dadurch die Verbindung nach Westen unterbrochen war. Meine Mutter suchte verzweifelt nach einem Arzt, aber es war keiner zu finden, weil wohl alle geflüchtet waren.

Margarethes Kopfwunde verschlimmerte sich, und am 24. August 1914, vier Tage nach der Verwun-dung starb sie. In ihrer Not wandte sich die Mutter an den vom russischen Oberbefehlshaber Rennen-kampf als Gouverneur von Gumbinnen eingesetzten Professor Dr. Müller, der auch für einen Sarg und das Begräbnis auf dem Militärfriedhof in der Reihe der Soldatengräber sorgen ließ. In seinem nach dem Kriege verlegten Buch "Drei Wochen russischer Gouverneur", erschienen im Verlag von Sterzeis Buchhandlung, Gumbinnen, hat er diesen Vorgang auf Seite 25 festgehalten. …


Fußnoten

  1. Genehmigung für die Veröffentlichung in GenWiki im „Portal Pillkallen“ unter der Auflage der ausschließlich nicht-kommerziellen Nutzung liegt von der Rechteinhaberin Frau Dr. Kathrin Boehme vom 24.02.2012 vor.
  2. Auszug aus: „ Mein Leben und meine Zeit“, Die ganz private Lebensgeschichte eines braven Ostpreußen. Als Manuskript im Jahre 1940 niedergeschrieben für meine Söhne von Ludwig Ernst Friedrich, geb. am 22.12.1879 in Eggleningken, gest. 03.12.1952, Regierungs-Vermessungsrat in Königsberg in Preußen



Zurück nach Eggleningken / Kiefernberg