Australische Auswandererbriefe (1934)/1

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Der Heimat Bild“ - Australischen Auswandererbriefen nacherzählt von Walter Fläming
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Der Unruhestifter

      Anno 1848 ist's. In Tucheim, in Ziesar, in Paplitz, in Karow, in Dretzel, in Altenplathow, in Genthin, in Theeßen, in Krüssau und sonst in dem weiten Rund rings im Jerichower Lande scheint der Teufel los zu sein. Allerdings - die Wellen der tagespolitischen Ereignisse schlagen hoch auf. Ein in dem bisher absolut nicht rebellischen Deutschland unerhörter Sturm braust durch Süddeutschland, fegt durch Wien, rüttelt Berlin zusammen. Wie ein wildes, orkangepeitschtes Meer wogt und kocht die Volksseele. Aber nur die allerletzten und schwächsten Spritzer fallen ins Jerichowsche. Sie können unmöglich so weite heimische Räume in Bewegung setzen. Der einfache Mann ist es, der sonst so still und friedlich und fleißig seinem Tagewerk nachgeht. Der Tagelöhner, der Häusler, ein Teil der kleinsten Kossaten, der Knecht, der kleine Dorfhandwerker, der Besenbinder, der Torfgräber, der Pantinenmacher, der Bürstenbinder, der Leineweber: jetzt führt er das große Wort.

      Aber es geht ihm gar nicht um das, was in den Metropolen der damaligen deutschen Welt entschieden werden soll. So weit reicht sein Blick nicht; dazu ist sein Horizont denn doch zu eng. Um sein Stückchen Brot ist's ihm zu tun; um die bessere Entlohnung für sein mühsames Tagewerk. Aber auch das nicht einmal hat er aus sich selbst heraus. Mit großen Worten hat hierzulande noch nie einer seinen Tageslohn aufgebessert erhalten; und Unverschämtheit ist im Jerichowschen durchaus nicht gang und gäbe.

      Aber da sitzt einer in Tucheim, ein Landfremder, der hat sie samt und sonders verdreht gemacht: der schmächtige Schuster Wagner, ein Schlesier. Ihn hat die Not der schlesischen Brüder aus seiner Heimat getrieben. Er meint, in Tucheim goldene Berge zu finden; und da ihm die blanken Taler ohne sein Zutun nicht von selber zum Hausdach hineinprasseln, geht er grollend daher, mit sich selbst und dem Vaterlande zerfallen.

      Jedem, der es hören will, malt er sein und der andern Dasein grau in grau. Und wer ihn nicht hören will, leiht ihm doch zwangsläufig sein Ohr; denn der Kerl versteht sich aufs Schwadronieren. Aus seiner alten Heimat erzählt er, wie es den 50.000 Weberfamilien längs der schlesischen Gebirge erging. Wie die englische Konkurrenz mit ihren Teufelsmaschinen so viele Handwebstühle stillegte. Wie so kurzsichtig die Staatsleitung den billigen englischen Fabrikaten den deutschen Markt offenhielte. Und während die Fabrikherren jenseits des Kanals immer dickere Bäuche kriegen, schnurren die Leiber der brotlos gewordenen deutschen Weber immer mehr zusammen. Ueberhaupt - ein schnurrputziges Land, diese Perle einst in der Krone Maria Theresias! Dem Bauern geht's nicht anders als dem Weber. Der Grundbesitz ist zumeist in den Händen der Großmagnaten. Einen bäuerlichen Mittelstand kennt man kaum. Und die andern, alles kleine „Püsinger“, haben nur eine Handvoll kümmerlichsten Sandackers unter dem Pflug, der ihnen knapp die Aussaat einbringt. Und dem Großgrundbesitzer ist sein Ackerplan auch bloß lästiges Anhängsel; sein Herz gehört dem Wald und seinen Gruben. Will also der kleine Bauer satt werden, geht er zu den großen Herren in Fron als Holzhauer oder in dessen Bergwerke und Hütten. Dann fällt er mit der Zeit als Bauer auf die Nase und entwurzelt. „Nur gutt“, meint der Schuster Wagner, „daß wir daheim einen Tröster für soviel Leid und Elend haben - den Schnaps; und der stammt auch noch aus den Brennereien der großen Herren.“

      Hat er damit seine Hörer an sich gefesselt - und die finden sich immer bei ihm in der Schusterstube oder wenn er Sonntags am Abend in den Krug geht - so legt er erst richtig los! Ob es denn hier viel anders stünde? Dorf bei Dorf und Haus bei Haus klappert doch auch hier der Webstuhl; und den Tucheimer und Paplitzer Leinwebern, denen in Krüssau und Theeßen und sonst auch überall im Jerichowschen wächst von Monat zu Monat der Adamsapfel