Nie wieder hält ein Zug in Kruschinehlen
Auszug aus dem „Schloßberger Heimatbrief“ [1] 1992, Nr. 30, Seite 104, von Dr. Gunther Kraft
Der Berliner Arzt und Eisenbahnfreund Dr. Gunther Kraft hat im „Kleinen Untersuchungszimmer" seiner Praxis bereits seit 1989 einen Eisenbahnschaukasten mit Erläuterungen über die Schloßberger/Pillkaller Kleinbahn ausgestellt.
Mit dieser anschaulichen Darstellung soll unsern Lesern die legendäre Pillkaller Kleinbahn wieder in Erinnerung gebracht werden. Berichte über die Kleinbahn und insbesondere der noch heute vorhandenen Kleinbahnlokomotive brachte der Schloßberger Heimatbrief bereits in den Ausgaben 12/1974 und 14/1976.
Eine Geschichte von Dr. Gunther Kraft für Ostpreußen- und Eisenbahnfreunde
Einen Ortsnamen nach Klang einem Landstrich zuzuordnen war ein Ratespiel in meiner Jugend, welches wir unter uns Jungen gern gespielt haben. Jetzt möchte ich auch Sie an dem kleinen Spiel beteiligen und Sie fragen: „Wo würden Sie Kruschinehlen vermuten und suchen?" Ich muß aber zugeben, daß auch ein alter Atlas oder eine entsprechende Deutschlandkarte an dieser Stelle kaum weiterhilft. Aber ich will Ihnen einen Tipp geben. Wie Sie bereits der Überschrift entnommen haben, handelt es sich um eine Bahnstation. Genauer, um eine Kleinbahnstation der Pillkaller Kleinbahn.
Na - nun wissen Sie es: Pillkallen in Ostpreußen. Ostpreußen ist für uns verloren, ein heute russischer Teil, nicht mehr zu erreichen. So müssen wir die Reise nach Kruschinehlen in Gedanken unternehmen. Sicher gäbe es dort auch heute unter deutschen Verhältnissen keine Kleinbahn mehr, denn das Dampf- und Kleinbahnzeitalter ist auch bei uns lange vorbei. Wir müssen daher unsere Phantasie beflügeln, eine Lok anheizen und Richtung Kruschinehlen dampfen.
Wenn Sie in den Schaukasten sehen, dann können Sie einsteigen in das „Zügchen". Diese Lokomotive (von Lehmann's Garteneisenbahn) hat nämlich eine echte Pillkaller Kleinbahnlok zum Vorbild. Das Original fährt bis zum heutigen Tag unter dem Namen „Spreewald" bei der „Ersten Deutschen Museumseisenbahn" in Bruchhausen- Vilsen. Angefangen hat diese Lok 1917 bei der Pillkaller Kleinbahn (PKB) und durchdampfte 27 Jahre die östlichste Provinz Deutschlands. Wie Sie jetzt schon ahnen, ist die Geschichte nicht so schnell erzählt. Ich werde mich aber bemühen und fange daher, wie alle Erzähler, bei Adam und Eva an.
Wie bereits erwähnt, war der Landkreis Pillkallen der östlichste des Deutschen Reiches. Mit dem Baubeginn der PKB (diese Abkürzung kennen Sie ja jetzt) im Jahre 1901 begann das Eisenbahnzeitalter nun auch auf dem Lande. Die Bedeutung der Kleinbahnen erscheint uns vielleicht aus heutiger Sicht gering. Aber vor achtzig Jahren sah das ganz anders aus. Autotransport gab es noch nicht und so war es damals die Kleinbahn, die aus technischen und wirtschaftlichen Gründen prädestiniert war, abgelegene Bezirke zu erschließen und den Anschluß zu den großen Eisenbahnstrecken herzustellen. So auch in unserem Fall. Das östlichste preußische Land, einstmalig die „große Wildnis" genannt, wurde wesentlich durch die PKB verkehrstechnisch erschlossen. War Pillkallen schon vor der Jahrhundertwende an die „große Eisenbahn" Tilsit - Stallupönen angeschlossen, so wurde nun in den Jahren 1901 - 1906 der Landkreis durch die „kleine Bahn" erschlossen. Der Bauherr war übrigens die OEG, die Ostdeutsche Eisenbahn-Gesellschaft aus Königsberg. Knapp zehn Jahre schlängelten sich die ersten Schmalspurzüge durch die Landschaft, bis die PKB durch die Verwüstungen des Ersten Weltkrieges lahmgelegt wurde. Aber wie es so häufig geht, mit der Beseitigung der Kriegsschäden war auch gleich eine Modernisierung verbunden. Die PKB, die mit einer Spurweite von 750 mm angefangen hatte, wurde nun auf 1000 mm, sprich Meterspur, umgerüstet. Aus dieser Zeit stammt unsere Lok „Spreewald". Seit 1917 schnaufte und dampfte unsere Lokomotive durch die ostpreußische Landschaft, vorbei an Weiden, Feldern und Wäldern und verband 27 Jahre lang die abgebildeten Orte miteinander und wurde sicher so manches Mal im ostpreußischen Winter vom fluchenden Bahnpersonal aus dem Schnee geschaufelt.
Heute, wo Kleinbahnen nur noch den Hauch von Nostalgie ausstrahlen, können wir uns kaum vorstellen, was so eine Kleinbahn für eine Bedeutung hatte. Denn die PKB diente ja keineswegs nur dem Personenverkehr. Sie war in einem landwirtschaftlichem Gebiet natürlich Mädchen für alles. So mußte unsere Lok schon ganz schön schnaufen, um die verschiedenen Wagen sommers und winters zu ziehen. Der Wagenbestand von 1939 ist uns bekannt und soll einmal nur auf Grund der verschiedenen Wagen die Vielseitigkeit der Aufgabe ahnen lassen.
Danach hatte die Pillkaller Kleinbahn:
5 | Loks |
12 | Personenwagen |
6 | vierachsige, geschlossene Güterwagen |
28 | zweiachsige, geschlossene Güterwagen |
16 | vierachsige Rungenwagen (für Holztransport) |
45 | zweiachsige, offene Güterwagen und |
4 | Schneepflüge |
111 Wagen!
Ich hoffe, Sie sind schon richtig begierig, mehr von der Pillkaller Kleinbahn und dem Landkreis zu erfahren. Nun, machen wir uns erst einmal auf die Strecke, sonst kommen wir nie nach Kruschinehlen.
Der Name PKB verrät es schon:
Pillkallen war der Ausgangspunkt der Bahn.
Schematisch kurz: sie fuhr von Pillkallen in nördliche Richtung und hatte unterwegs zwei Abzweigungen, jeweils nach Osten.
Der erste Abzweig war in Grumbkowskaiten und führte nach Schirwindt, die zweite Abzweigung war in Kiauschen und ging nach Doristhal. Vom zweiten Abzweig fuhr man weiter nach Nordwesten und kam so nach Lasdehnen. Um nach Kruschinehlen zu gelangen, mußte man in Grumbkowskaiten umsteigen und Richtung Schirwindt weiterfahren. Übrigens waren alle Endpunkte etwa 30 km von Pillkallen entfernt oder anders ausgedrückt, in eineinhalb Stunden von Pillkallen aus zu erreichen.
Ich merke, Sie haben die Bahn im Griff.
Vielleicht noch einige Worte über den fernen ostpreußischen Landkreis. Dreiviertel der Gesamtfläche wurde landwirtschaftlich genutzt. Getreide, Milch- und Forstwirtschaft, also alles harte Arbeit. Mühelos war das Leben auf den zahlreichen Gehöften sicher nicht. Sehen wir noch einmal auf das Streckennetz und verweilen flüchtig an den Endpunkten, indem wir kurz wie ein Reiseführer das Wichtigste und Markanteste erwähnen.
In Pillkallen ist es der „Pillkaller", ein klarer (Machandel) Schnaps[2], auf dem Glas eine Scheibe Leberwurst mit einem Klecks Mostrich - Prost!
In Schirwindt, der östlichsten Stadt des Reiches, grüßte schon von Ferne den Ankommenden eine Kirche[3], deren beide Türme zusammen so hoch waren wie unser Funkturm. Doristhal hieß in unserem Jahrhundert schon immer so und mußte nicht erst germanisiert werden, und Lasdehnen war ein hübscher, im Grünen gelegener Ort, der von einem geschlängelten Fluß, der Scheschuppe, durchflossen wurde, und der hier in Lasdehnen, an einer Mühle, über ein markantes Wehr rauschte.
Ende 1944 begann der Anfang vom Ende. Im Oktober fiel Schirwindt als erste deutsche Stadt im Osten. Das Wappen zeigt im Stadttor unter dem preußischen Adler die aufgehende Sonne, das war 200 Jahre so, jetzt ging sie hier zuerst unter, das war der 16. Oktober. In den folgenden Wochen und Monaten versank dann deutsche Kulturarbeit von 700 Jahren in Schutt und Asche.
In den großen Mahlstrom gerieten natürlich auch Kruschinehlen und die Pillkaller Kleinbahn; bis auf eine Lokomotive, die auf wunderbare Weise 1944 in den Spreewald gelangte, dort das Kriegsende erlebte und bei der Spreewaldbahn noch viele Jahre ihren Dienst tat, bis sie 1969 ausrangiert und nach mühevollen Verhandlungen vom DEV (Deutscher Eisenbahnverein) erworben und restauriert wurde. Nun erhielt sie den Namen „Spreewald".
Falls Sie jetzt Kleinbahnlust verspüren und noch mehr von der PKB erfahren möchten, dann sollten Sie einmal einen Ausflug nach Bruchhausen-Vilsen machen. Den Fahrplan suchen Sie bitte in der hier ausliegenden Zeitung „Die Museumseisenbahn".
Ob Sie allerdings in der Bahnhofsgaststätte einen „Pillkaller" bekommen, kann ich Ihnen nicht versprechen, die Lokomotive „Spreewald" finden Sie aber bestimmt. Übrigens, noch ein anderes schönes Andenken an Pillkallen ist uns geblieben. Eine Glocke der Pillkaller Kirche läutet heute in der Martin-Luther-Kirche in Bad Orb.[4] Wie die Glocke den Krieg überstand und den Weg nach Bad Orb fand, das ist eine andere Geschichte...
Um noch einmal auf die Überschrift zu kommen: Kruschinehlen fiel nicht als Kruschinehlen, sondern als Frankenreuth. Die Nazis hatten in ihrer Germanisierungswut 1939 die meisten ostpreußischen Ortsnamen „eingedeutscht".
So bleibt also nur die Erinnerung an die Kleinbahn, an die Ortsnamen, an die Orte und an die Menschen, die 1945 im Flammenmeer des Krieges untergingen.
Quellenhinweise:
- Siegfried Bufe: Eisenbahnen in Ost- und Westpreußen
- Schloßberger Heimatbriefe
- Zeitschrift des DEV: Die Museuniseisenbahn
- Ortsverzeichnis des Pillkaller Landkreises
- Helmut Peitsch: Wir kommen aus Königsberg
Informationen zur Lokomotive "Spreewald"
Die folgenden Informationen sind den „Web-Seiten des Deutschen Eisenbahn-Vereins e.V. (DEV), Bruchhausen-Vilsen [1] entnommen worden. Unter „Fahrzeuge“ [2] sind zu der ehemaligen Pillkaller Kleinbahn Lokomotive „Spreewald“ folgend Ausführungen zu finden:
Betriebs-Nr./Name | Hersteller | Fabriknr. | Baujahr | Gattung | ehemalige Heimatbahnen |
SPREEWALD | Arnold Jung GmbH, Lokomotivfabrik, Jungenthal b. Kirchen (Sieg) | 2519 | 1917 | 1'C n2t | Pillkaller Kleinbahnen, Schloßberger Kleinbahnen, Spreewaldbahn AG, Deutsche Reichsbahn |
Informationen zu diesem Fahrzeug
1971 konnte nach langen Verhandlungen mit dem Verkehrs- und dem Handelsministerium der DDR die vierte Lok des DEV angekauft werden.
Sie ist von der Lokomotivfabrik Jung in Kirchen an der Sieg gebaut und an die in Ostpreussen gelegene Pillkaller Kleinbahn mit der Betriebsnummer 23 geliefert worden. Pillkallen, dass ab 1938 Schloßberg hieß, liegt in Nordostpreußen bzw. der russischen Enklave Kaliningrad/Königsberg. Nach Ende des zweiten Weltkrieges befand sich die Maschine bei der Spreewaldbahn, wo sie die Nummer 09-27 erhielt. Nach der Verstaatlichung der Spreewaldbahn durch die Deutsche Reichsbahn erhielt die Lok die Nr. 99 5631, welche noch 1952 in 99 5633 geändert wurde.
Nach Stilllegung der Strecke 1970 kam die Lok, hauptuntersucht durch das Betriebswerk Wernigerode, in die Bundesrepublik zur Museumseisenbahn, wo die Lok seit 1971 unter dem Namen SPREEWALD eine weitere Stütze des Museumsbetriebes darstellt.
Fahrzeug-Chronik
- Am 15. Mai 1917 wurde die Lokomtive ausgeliefert an die Ostdeutsche Eisenbahn-Gesellschaft, Königsberg i.Pr., dort Betriebsnummer OEG 23 für Pillkaller Kleinbahnen PKB 23.
- 1938 umgezeichnet in Schloßberger Kleinbahnen Nr. 23.
- 1945 bei Kriegsende in Cottbus auf Regelspur-Transportfahrzeug vorhanden.
- 1947 übernommen durch Landesverkehrsamt Brandenburg als LVA 09-27 für Spreewaldbahn AG Nr. 27.
- 1949 Umzeichnung vorgesehen in Deutsche Reichsbahn DR 99 5621.
- 1950 per 1. Januar umgezeichnet in Deutsche Reichsbahn DR 99 5631, Bw Straupitz.
- 1952 umgezeichnet in Deutsche Reichsbahn DR 99 5633, Bw Straupitz.
- 1969 abgestellt.
- 1971 nach Aufarbeitung durch das Bw Wernigerode-Westerntor der DR und Probefahrt am 25. Juni 1971 auf der Harzquer- und Brockenbahn betriebsfähig an den Deutschen Eisenbahn-Verein e.V., dort Lok "SPREEWALD".
- 1996 am 1. Mai nach Restaurierung und Kesselerneuerung durch Bw Bruchhausen-Vilsen erneut in Dienst gestellt.
- 1998 am 6. und 7. Juni zu Gast im Spreewaldbahnhof Burg zum 100-jährigen Jubiläum der Spreewaldbahn.
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Fußnoten
- ↑ Die Genehmigung für die Veröffentlichung des Artikels in GenWiki im „Portal Pillkallen“ unter der Auflage der ausschließlich nicht-kommerziellen Nutzung liegt mir, Günther Kraemer, von der „Kreisgemeinschaft Schloßberg/Ostpr. e.V. in der Landsmannschaft Ostpreußen e.V., Rote-Kreuz-Straße 6, 21423 Winsen/Luhe“ schriftlich vom 19.03.2011 vor.
- ↑ Pillkaller Machandel: http://de.wikipedia.org/wiki/Pillkaller
- ↑ Immanuelkirche in Schirwindt: http://wiki-de.genealogy.net/Vernichtung_der_Immanuelkirche_in_Schirwindt_%28Sirvinta%29
- ↑ Martin-Luther-Kirche in Bad Orb: http://www.bad-orb.info/erkunden/Sehenswert/Martin-Luther-Kirche