Handbuch der praktischen Genealogie/380

aus GenWiki, dem genealogischen Lexikon zum Mitmachen.
< Handbuch der praktischen Genealogie
Version vom 29. September 2012, 12:37 Uhr von Laubrock (Diskussion • Beiträge)
(Unterschied) ← Nächstältere Version • aktuelle Version ansehen (Unterschied) • Nächstjüngere Version → (Unterschied)
Zur Navigation springen Zur Suche springen
GenWiki - Digitale Bibliothek
Handbuch der praktischen Genealogie
Inhalt
Band 2
Tafel: I • II • III • IV • V • VI • VII • VIII • IX • X • XI
<<<Vorherige Seite
[379]
Nächste Seite>>>
[381]
Datei:Handbuch der praktischen Genealogie.djvu
Hilfe zur Nutzung von DjVu-Dateien
Texterfassung: korrigiert
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Bevor dieser Text als fertig markiert werden kann, ist jedoch noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.



getrennt, wie es hingestellt zu werden pflegt. Sobald man zwei bis drei Generationen überschaut, finden sich überall Übergänge von einer Schicht in die andere, und zwar von unten geradeso wie nach oben — oft verbunden mit einer Übersiedlung aus einer Stadt in die andere. Ebensowenig waren Stadt- und Landbewohner ihrer Blutsverwandtschaft nach grundsätzlich geschieden; sie vermischten sich vielmehr fortwährend, wenn auch das Land in bei weitem höherem Maße gebender Teil war als die Stadt; besonders die Erneuerung der bürgerlichen Stadtbevölkerung nach dem 30 jährigen Kriege brachte so viele neue Elemente in die Bürgerschaft, daß diese selbst in den meisten Städten einen ganz anderen Charakter annahm.

      Die Familiengeschichten bieten schon heute viele einwandfrei festgestellte Tatsachen dieser Art, aber es fehlt noch an einer Benutzung dieses Wissensstoffes, weil er sich in einer Literatur findet, die von den wenigsten beachtet, ja meist geradezu verachtet und als nicht vorhanden betrachtet wird. Aber auch die Verfasser von Familiengeschichten trifft insofern eine Schuld, als sie auf allgemeinere Betrachtungen nicht einzugehen pflegen; ja sie merken offenbar oft gar nicht, welche allgemein lehrreichen Dinge sie in ihrer vom Familiensinn geborenen Arbeit darbieten. Wenn die ständische Gliederung unseres Volkes vom 16. bis zum 18. Jahrh. wirklich geschichtlich klargelegt werden soll — und das ist die Voraussetzung für eine systematische Zusammenfassung dieser Dinge durch den Soziologen —, dann muß planmäßig mit der genealogischen Methode gearbeitet werden. Es darf nicht dem Zufall überlassen bleiben, ob die Vorfahren der oder jener einflußreichen Person zufällig in einer Familiengeschichte nachgewiesen sind, sondern für ganze Gruppen gilt es den Nachweis zu führen, wer ihre Ahnen durch drei bis vier Generationen waren. So wäre es z. B. eine geradezu dringende Aufgabe, daß man zunächst einmal in irgendeiner Stadt die mindestens seit 1500 ihrer Persönlichkeit nach genau bekannten Ratsherren ihrer Herkunft nach untersuchte. So gewiß die Verwandtschaft unter den gleichzeitig lebenden Personen eine recht erhebliche ist, so stark muß doch hervorgehoben werden, daß durch Vermittlung der weiblichen Glieder und durch Zuwanderung von außen immer viel neues Blut eingedrungen ist; in manchen Städten fand sich vermutlich um 1700 unter den ratsfähigen Personen kein einziger direkter Nachkomme der vor 100 Jahren der gleichen Vorzugsstellung teilhaftigen Männer.

      Welche Ergebnisse sich aus einer die Bevölkerung einer ganzen Stadt umfassen den genealogischen Untersuchung gewinnen lassen, das beweist das viel besprochene Buch von Otto Konrad Roller: Die Einwohnerschaft der Stadt Durlach im 18.Jahrh. in ihren wirtschaftlichen und kulturgeschichtlichen Verhältnissen, dargestellt aus ihren Stammtafeln (Karlsruhe 1907, 424 u. 272 S. 8°). Hier ist einmal die genealogische und historisch-statistische Methode organisch verbunden, die Genealogie in den Dienst der Sozialwissenschaft gestellt, und zwar durch eine Weiterbildung der Statistik oder wenigstens durch ihre Anwendung auf bisher unberücksichtigt gelassene Gebiete. Während die moderne Statistik immer nur Summen von Einzelpersonen vorführt, erscheint bei Roller jede Person innerhalb ihrer Familie, und den Gegenstand der statistischen Gruppierung bilden viel mehr die Familien, als ihre einzelnen Glieder. Wenn Žižek in seiner kleinen Schrift Soziologie und Statistik (München und Leipzig 1912) mit Recht