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Heimat - was ist das?
Von Viktor Kittel
Das Wort "Heimat" hat sich aus dem Wort HEIM entwickelt, dessen indogermanische Sprachwurzel in "kei" soviel wie LIEGEN bezeichnet. Es bedeutete das Gebiet eines Stammes, später das einer Gemeinde. Denken wir nur an die Gemeinden mit der Endung ". . . . heim", vor allem im fränkischen Sprachraum. In dieser Bedeutung ist das Wort wohl im 7. Jh. auch in den Norden gelangt. So ist auch die Abwandlung auf HEIMAT zu verstehen. Das mittelhochdeutsche HEIMOT geht zurück auf das gotische HAIMOTHI, also auf Grundbesitz. HEIMAT ist damit im Ursprung nicht Gegenstand von Gefühl und Poesie, sondern von Recht und Verwaltung, war ein Rechtsgut, das durch Geburt, Erbe oder Heirat erworben wurde. Der älteste Sohn blieb auf der HEIMAT, die übrigen wurden HEIMATLOS. Schauen wir in den Lexika nach, so ist laut BROCKHAUS die HEIMAT allgemein die Umwelt, mit der der Einzelne durch Geburt oder Lebensumstände verwachsen ist. Besonders im Deutschen begreift das Wort eine Gemütsbindung, das Daheimgeborgensein.
Der DUDEN definiert HEIMAT als Land oder Ort, in dem man (geboren und) aufgewachsen ist oder sich durch ständigen Aufenthalt zu Hause fühlt (oft ein gefühlsbetonter Ausdruck enger Verbundenheit gegenüber einer bestimmten Gegend).
Beide Werke messen dem Wort damit über einen objektiven Gehalt der Bindung an einen Raum zwischen Gemeinde und Land durch Geburt oder Lebensumstände zugleich einen auf Gefühle ausgerichteten Aussagewert bei.
Also - forschen wir nach, dann ist HEIMAT in Wirklichkeit nur ein Wort. Ein Wort, das unser deutscher Sprachgeist erfunden hat. In anderen Sprachen ist dieses Wort mit diesem Sinn nicht zu finden.Aber ich weiß auch, jeder von uns definiert deshalb den Begriff HEIMAT anders als der andere. Der eine:"Meine Heimat ist da, wo ich geboren wurde, wo ich aufgewachsen bin", der andere meint:"Meine Heimat ist dort, wo ich erste wichtige Eindrücke gesammelt habe, zu Hause bin ich aber hier, hier, wo z.B. meine Eltern begraben sind."
Der Schriftsteller Horst Bienek sieht es noch anders, wenn er schreibt:"Heimat kann man nicht vererben. Heimat ist im Kopf. Und sie ist in meiner Seele. Dort, wo ich Kindheit und Jugend erlebte und die Welt zum ersten Mal entdeckt habe, wächst heute schon eine dritte Generation heran. Dort werden neue, andere Kindheiten erlebt, wird inzwischen eine andere Sprache gesprochen. Kindheit ist Heimat !
Wenn ich also all die sprachlichen, rechtlichen und literarischen (nicht auch noch die religiösen) Ursprünge des Wortes HEIMAT betrachte, dann merke ich, daß es etwas ist, das zutiefst mit Seele und Gemüt der deutschsprachigen Menschen verknüpft ist. Für mich persönlich habe ich es einmal, um es einem neugierigen Journalisten zu erklären, wie folgt formuliert: "Ostpreußen, bzw. Memel oder das Memelland sehe ich wie meine Mutter. Sylt, wo ich bereits die längste Zeit meines Lebens verbracht habe, sehe ich als meine Frau an. Ich liebe sie, weil ich mich hier wohl und zu Hause fühle. Und seitdem ich auch wieder in der Lage bin so oft ich möchte meine Mutter, meine Heimat, zu besuchen, bin ich mit dieser Zweiteilung sehr zufrieden. Da ich aber aufgrund meines Vertriebenseins von der Heimat aus beruflichen Gründen oft unseren Wohnsitz wechseln mußte, erklären mir meine eigenen Kinder, daß sie bei meiner Auslegung keine Heimat in diesem Sinne besitzen. (meine Kinder und auch die Enkel erkennen aber ihren Ursprung in der Heimat an, die meiner Frau und mir Heimat ist).
Deshalb auch verstehe ich wohl, wenn unsere Nachgeborenen von so etwas wie "alter" und "neuer" HEIMAT sprechen. Ich kann dann nur dagegen halten, daß das Wort HEIMAT nur im Singular existiert, es gibt keine HEIMATEN; oder?
Und noch etwas hat mich zu dieser Gewißheit ermuntert. Deutsche die vor 150, vor 100 oder 60 Jahren nach Amerika, Australien oder Süd Afrika auswanderten, sprachen und sprechen immer von Deutschland als ihrer HEIMAT.
Von Joachim Rebuschat
Obwohl "nur" alle meine Vorfahren aus Ostpreußen stammen, betrachte ich Ostpreußen als meine Heimat, weil unsere ganze Familie - auch die Familie meiner Frau - von dort ist: Memelland, Königsberg, Gumbinnen. Wenn ich unterwegs bin - auch in Ostpreußen, freue ich mich doch trotzdem auf mein "zu Hause", d. h. wo ich heute wohne. Auch Berlin, ich bin dort aufgewachsen und habe dort viele Jahre gelebt und fahre auch jederzeit gern wieder hin, würde ich - aufgrund der Herkunft meiner Eltern und Großeltern - nicht als meine Heimat, sondern eher als mein früheres "zu Hause" ansehen. Vielleicht ist Berlin auch nicht zu meiner Heimat geworden, weil der Begriff "Heimat" durch meine Eltern, aber vielleicht auch durch mich, mit "Ostpreußen" besetzt war.
Die Salzburger Emigranten, die nach Ostpreußen kamen, haben ihre Heimat wegen ihres evangelischen Glaubens verlassen, weil sie an ihm festhielten. Zeitgenössischen und späteren Berichten ist zu entnehmen, daß sie ihre Heimat nicht vergessen oder verleugnet haben. Der evangelische Glaube war ihnen aber wichtiger, obwohl ihnen die Aufgabe der Heimat bestimmt nicht leicht gefallen ist. Im Laufe der Jahrhunderte sind die Salzburger dann - auch durch Heirat mit Nichtsalzburgern - richtige Ostpreußen geworden, und selbstverständlich war Ostpreußen ihre Heimat.
Auch einige meiner Vorfahren gehören zu den Salzburgern. Die Salzburger Herkunft wurde in Ostpreußen - in sehr vielen Familien heute noch - hochgehalten und oft noch bewußt gelebt, vor allem in Bezug auf den evangelischen Glauben. (In die famint-Liste habe ich mehr als 100 anklickbare Verweise zu den Salzburgern eingesetzt.) Viele Grüße aus dem schönen Weserbergland, wo wir heute "zu Hause" sind.
Welche Gefühle gehören zu dem Wort Heimat?
Das ist sicherlich sehr individuell, deshalb hier direkt die Stimmen einiger Memelländer:
Von Helga Zschage
Heimat, ein Wort bestehend aus 6 Buchstaben, und doch ist es ein Wort, dass bei mir so viele Emotionen freisetzt, alleine weil es mich mit Liebe verbindet. Obwohl Liebe auch etwas Großes ist, aber in das Wort Heimat kann ich viel mehr hineininterpretieren. Für mich bedeutet Heimat, in eine Gemeinschaft (Familie) hineingeboren zu sein, in der man willkommen ist, von den Eltern und von allen anderen geliebt wird, behütet wird. Die ersten Schritte an der Hand der größeren macht, Die ersten Wörter hört, in heimatlichem Klang, der nie mehr auszulöschen ist. Wenn ich heute - als älterer Mensch - jemanden in annähernd meiner "Heimatsprache" höre, überkommt mich ein seltsames Gefühl. Für mich persönlich bedeutet Heimat der Ort und der Zeitraum in dem ich die ersten 7 Jahre meines Lebens verbringen durfte in Liebe, Fürsorge und vor allen Dingen in Geborgenheit. Also ist Heimat auch Geborgenheit. Es gibt zahlreiche Menschen - Männer als auch Frauen, - die zu allen Zeiten und in allen Lebenslagen über das Wort "Heimat" geschrieben, gedichtet haben. Die meisten von ihnen konnten sich in erhabenen Worten ausdrücken, viel besser als ich, aber die Emotionen waren bestimmt die selben. Jeder hatte sein ganz eigenes Paradies im Fokus. Ja, man könnte Heimat auch mit Paradies gleichsetzen.
Heimat kann man mit allen Sinnen inhalieren.
Mit den Augen die Blumen am Wegesrand wahrnehmen, den Lindenbaum auf dem Hof vor der Veranda, die vielen kleinen und großen Tiere auf dem elterlichen Hof einschließlich unseres Hofhundes, den Poggenteich, der im Winter zufror. Was mich ganz besonders berührt ist, wenn im Herbst an Gräsern und Saaten die Tautropfen hängen, dann erscheinen vor meinem geistigen Augen die bestellten Felder meiner Eltern, an deren Halmen die Tautropfen wie Diamanten schimmerten. Dann könnte ich eine Hymne schreiben - wenn ich könnte.
Der Geruch, den Geruch der Heimat, ihn habe ich bei meinem ersten Besuch nach über 65 Jahren leider nicht wahrgenommen, er war mir abhanden gekommen, deswegen fahren ich im nächsten Jahr bestimmt wieder hin. Dann die Äpfel auf der Lucht (Speicher), die neben anderen Vorräten hier gelagert wurden. Der Duft von Heu, wenn ich kleiner Gnos mal - ausnahmsweise - mit zum Heuen auf die Wiesen durfte.
Das Gefühl, ja das Gefühl, an die Hand genommen zu werden, um die Einzigartigkeiten der Heimat zu empfinden. An der Hand der "Omite" in die "Pellud" - Torfbruch - zu gehen, die Rinde der Birken zu befühlen, die Blaubeeren zu pflücken. Die Pilzchens in die Hand zu nehmen. Mit dem Papa die Getreidehalme/Ähren zu befühlen. Beim Kartoffelnausbuddeln zu helfen. Nicht zu vergessen, die regelmäßigen Besuche bei den Verwandten im Sommer weniger, aber im Winter mit dem Schlitten mit Geläut. Die wunderbaren Sommer mit Donner, Regen und danach viel Sonnenschein und gaaanz hohem blauen Himmel und im Winter der - für eine Marjell - sehr hohe Schnee.
Das Schmecken, "Omite, das was die Männer essen, schmeckt mir nicht". Und schon zauberte meine Omite mir Glumse mit Schmand und Zucker, Krümelschwarzbrot mit viel Zucker und Milch, Kartoffelflinschens, und was das Größte war, Pellkartoffeln gestampft mit Butter, Gurken und einem Glas kalter Milch. Nicht zu vergessen die roten großen Erdbeeren im Garten, die schon im Nachthemdchen heimgesucht wurden.
Das Hören, die Sprache und vor allen Dingen die Musik , die Lieder. Wenn man nach getaner Arbeit in der "Uhleflucht" beisammensaß, der Kachelofen brannte ,dann wurde gesungen - mehrstimmig - die schönsten Volkslieder, manchmal spielte mein Vater auch noch die Trompete. Die vielen Stimmen der Vögel, die verschiedenen Laute der Tiere.
Das alles zusammengenommen ist für mich Heimat in seiner Komplexität. Das es nirgendwo noch einmal so gibt. Deswegen ist <Heimat> auch nicht irgendwo, wo man sich gerade aufhält. Heimat ist das Fleckchen Erde, wo man geboren wurde, wo die Vorfahren gelebt, gearbeitet haben und gestorben sind. Eben - wo die Wurzeln sind, wie bei einem Baum.
Heimat -.- die ersten sieben Jahre meines Lebens habe ich gefühlsmäßig
im Paradies gelebt - in der >Heimat>. Danach waren es Orte, in denen ich
mehr oder weniger recht und schlecht gelebt habe, oft auch nicht gerade
willkommen.
Von ...
Von ...
Verlust der Heimat
Heimweh
Von Agnes Miegel
- Heimweh
- Ich höre heute morgen
- Am Klippenhang die Stare schon.
- Sie sangen wie daheim,
- Und doch war es ein anderer Ton.
- Und blaue Veilchen blühten
- Auf allen Hügeln bis zur See.
- In meiner Heimat Feldern
- Liegt in den Furchen noch der Schnee.
- In meiner Stadt im Norden
- Stehn sieben Brücken, grau und greis,
- An ihre morsche Pfähle
- Treibt dumpf und schütternd jetzt das Eis.
- Und über grauen Wolken
- Es fein und engelslieblich klingt,
- Und meiner Heimat Kinder
- Verstehen was die erste Lerche singt
- Agnes Miegel
Heimatsehnsucht
Von Theodor
Mir fällt zum Thema "Heimat" immer nur ein, daß Heimat untrennbar mit der Kindheit verbunden ist und Heimatsehnsucht sich dann einstellt, wenn man sie nicht wieder aufsuchen kann oder darf.
Zwischen Heimat und heimatlos
Von Beate Szillis-Kappelhoff
Wenn ich die Kindheit zugrunde lege, dann ist die Lüneburger Heide meine Heimat. Oder Ostfriesland. Aber die beiden Heimaten haben mir meine Eltern vermiest, weil sie mir ständig sagten, dass das eben nicht meine Heimaten wären. Und ich wäre so gerne irgendwo heimisch gewesen! "Die Heimat" kenne ich nicht.
Dann hatte ich mir gesagt, ich habe eben keine Heimat, heimatlos bin ich. Heimat ist was für andere. Meine ist dort, wo ich grade wohne. In Salzbergen fühle ich mich ganz heimisch, besonders in meinem Garten. Das ist sozusagen meine erste Heimat, die ich MEIN nennen kann.
Und dann fuhren wir direkt nach der Wende nach Ostpreußen und ins Memelland. Und da habe ich Sachen erlebt, die eher der surrealistischen oder metaphysischen Art zuzuordnen sind. Darüber spreche ich aber nicht (gern), weil ich eigentlich an sowas nicht glaube.
Seitdem weiß ich, dass meine Vorfahren noch dabei sind und ich dazugehöre.
Von Marieta
Oh Beate, ich bekam gerade eine Gänsehaut beim Lesen! Das Münsterland sollte meine Heimat sein, und hier fühle ich mich auch wirklich heimisch. Aber ich habe habe das Gleiche von meinen Eltern mitgekriegt wie du. Als ich im Juni das erste Mal im Memelland war, habe ich etwas gespürt wie nie vorher und war entspannt wie nie zuvor. Ach - ich denke, man kann auch mehrere Heimaten haben... Die weiter entfernte wird viel mehr Sehnsucht hervorrufen, als die, in der man gerade lebt, weil man nach dieser ja keine Sehnsucht haben muss.
Von Martin
Beate, ich kann Dir nur beipflichten. Ich wohne jetzt hier - in Deiner Nachbarschaft, im ehemaligen Großherzogtum Oldenburg - auch schon seit 1957, aber eine Heimat ist mir das nie geworden. Die Gegend ist schön, die Menschen sind inzwischen auch ganz passabel geworden (war früher etwas anders). Aber Heimat? Doch auch die Zeit davor, im Sozialismus, am schönen Schweriner See, war nie so etwas wie Heimat, da habe ich mich allerdings auch viele Jahre in Kliniken herumgedrückt, nachdem ich befreit worden bin (meine 1936 geborene Schwester hat die Befreiung leider nicht überlebt). Und wenn ich heute nach Ostpreußen fahre, wo unsere Familie mehr als zwei Jahrhunderte lang sich alles aufgebaut und die Altvorderen sich den Buckel krumm gemacht haben, wo wir als Kinder gespielt und eine wunderbare Zeit verlebt haben, dann kommt da etwas in mir hoch, dass ich weinen könnte. Und wenn ich dann noch einen Ziegelstein vom Fundament meiner Taufkirche in Willuhnen, unterm Sitz versteckt, über die Grenze schmuggeln kann, dann weiß ich, dass ich in der Heimat war. Meine Ehefrau Irina, Heimatvertriebene aus Kasachstan (weil Russin von Geburt), danach in Königsberg über Jahre zuhause gewesen, jetzt schon bald zehn Jahre hier, kommt mir nun auch immer häufiger mit der Aussage, dass sie Heimweh nach Almaty habe. Dort ist das Grab ihrer Mutter, ihre Schwester und andere Verwandte leben dort, das ist Rodina, Heimat auf russisch. Ein Glück, dass es das Telefon und Bus und manchmal auch ein Flugzeug in die Rodina gibt. Ein Glück aber auch, dass dort in Russland immer mehr Menschen auch uns verstehen, dass wir unsere Heimat nicht vergessen können. Soviel zum Thema Heimat aus meiner Sicht und meinem täglichen Erleben.
Heimatlos
Von Uwe
Ich habe sie nicht verloren. Ich habe nie eine gehabt. Das wäre ja nicht so schlimm, wenn ich nicht immer wieder feststellen würde, dass mir da offensichtlich etwas fehlt, was auch nicht mehr nachträglich wiederzubringen ist. Um so froher bin ich, dass unsere Kinder dieses „Heimatgefühl“ wieder entwickeln.
Trotzdem könnte ich nicht wirklich zielgenau beschreiben, woran ich das Heimatgefühl festmachen würde. Da gibt es so viel Widersprüchliches.
Beispiel 1: Ein in den 50er Jahren nach Kanada ausgewanderter Onkel kam regelmäßig wieder zurück zu Verwandtenbesuchen in die „alte Heimat“ seiner Eltern, Geschwister und Schulfreunde. Nach ein paar Tagen fuhr er immer wieder erwartungsfroh zurück nach Kanada mit der Aussage: „Ach nein, ich bin doch froh wieder nach Hause zu fahren, hier in Deutschland ist mir doch alles zu eng“. Alte Heimat – neue Heimat?
Beispiel 2: Die Vorfahren einer meiner ostpreußischen Urgroßmütter waren Salzburger Exulanten. Trotzdem: für sie war eindeutig Ostpreußen ihre Heimat. Warum?
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