Tilsit - Memeler - Eisenbahn
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Bearbeiter: Holger Schimkus
Vorwort
In den Jahren nach der Erfindung des Eisenbahn - Verkehrssystems wurden immer mehr Strecken geplant und gebaut.
Die Eisenbahn war für den Transport von Mensch und Gut unverzichtbar geworden. Der Transport über das damalige Straßennetz war kein Vergnügen. Viele Straßen in Ostpreußen waren einfache Wege und bestanden zumeist aus festgefahrenem Sand. Fuhrwerke beherrschten das Bild. Die Unterhaltung dieser Straßen war nur mit erheblichem Aufwand verbunden. Bei Regen verwandelte sich mancher Weg in eine unpassierbare Schlammpiste. Zur Winterzeit kamen dann Schlittengespanne zum Einsatz, die sich auch durch Schneeverwehungen kämpfen mussten. Um Fahrspuren zu vermeiden, schrieb man sogar die Radbreiten vor. Für die Nutzung der Straßen wurde Chausseegeld verlangt. Das Geld floss dann in die Instandhaltung der Wege. Pferde brauchen Pausen und sind nicht schnell. Die Transportzeiten waren entsprechend lang.
Grunderwerb
Die Eisenbahnverwaltung hatte mit vielen Schwierigkeiten zu kämpfen. Zur Verlegung des Schienenstranges brauchte sie die Grundstücke. So musste die Verwaltung einem Eigentümer einen Streifen seines Eigentums abkaufen und bot dafür 2000 Thlr. Der Streifen lag vor dem Wohnhaus und hatte eine Fläche von ungefähr 30 Quadratruthen. Der Eigentümer war mit dem Angebot zum Kauf nicht zufrieden. So ging die Verwaltung vor das Gericht und verlangte die Enteignung (Expropriations-Verfahren). Bei dieser Gelegenheit wurden die Grundakten geprüft. Heraus kam, dass der angebliche Eigentümer gar keinen Besitztitel am Platz hatte und der Grund vielmehr dem Magistrat [als Eigentümer) gehörte. Der Vorbesitzer des Wohnhauses hatte das vor langen Jahren unbenutzt gelassen. Irgendwann zäunte er es dann widerrechtlich ein, versah es mit Hecken und legte eine grüne Wiese an. Der ihm nachfolgende Besitzer ging dann beim Erwerb davon aus, dass auch dieser Teil zum Haus gehören würde. Das Gericht entschied und der Besitzer musste diesen Teil - ohne Entschädigung - abgeben. Für ihn hätte fast die Verjährung des Besitzrechtes gegolten. Nach 30 Jahren Nichtnutzung durch den Magistrat hätte diese das Besitzrecht verloren und der Besitz wäre in seine Hände gefallen. Wäre der Mann doch gleich auf die 2000 Thaler Entschädigung eingegangen. So heißt es im damaligen Kommentar, hätte danach kein Hahn weiter gekräht.
Bauplanung und Durchführung
Im Dezember 1873 wird Kritik laut. So soll die geplante Strecke nach Briesen aufgegeben worden sein. Dagegen soll die Strecke Moscheiken - Memel die volle Zustimmung der russischen Regierung bekommen haben. Man wirft der Stadt Tilsit vor, sich nur noch an dieser Strecke festzuhalten. Das Engagement war so groß, dass man in Petersburg an die Gründung einer Baugesellschaft dachte. Die russische Regierung erwartete einen alsbaldigen Baubeginn und von der preußischen Regierung eine Zusage für die Fertigstellung der Strecke von Memel bis zur russischen Grenze. Der preußische Handelsminister hatte sich mit einer Festlegung zurückgehalten, weil es an allen Vorarbeiten fehlte. Der Druck der Abgeordneten zu einer Entscheidung für Festlegung der Trasse, den Kosten und dem Bau der Strecke wurde größer. Die zwei Nachbarstädte Memel und Tilsit wollten sich durch Eingaben für den Bau stark machen.
Das Abtheilungs-Bau-Bureau befand sich in Memel in der Hospitalstraße 1a. Am Verfahren der Ausschreibung hat sich bis Heute nichts geändert. Damals schon mussten die Angebote im versiegelten Umschlag abgegeben werden. Geöffnet wurden alle Angebote erst am Stichtag. Den Zuschlag bekam, wer das wenigste Geld für die Aufträge verlangte. Verantwortlich war Herr Massalsky, Abtheilungs-Baumeister.
Am 17.02.1874 berichtete die Zeitung Memeler Dampfboot über den Baufortschritt
Die unter der Oberleitung der Ostbahn auszuführende Strecke Tilsit – Memel hat eine Länge von 12,5 Meilen (93,8 km). Der Unterbau wird für ein Gleis hergestellt. Der Grunderwerb für die Trasse bezieht aber den Streifen für ein zweites Gleis mit ein. Dies soll dann später gebaut werden. Das früher auf 5.800.000 Thaler veranschlagte Baukapital ist wegen Erhöhung aller Material- und Arbeitspreise auf 7.250.000 Thaler gestiegen.
Stadtentwicklung, Einfluss der Bahn
In einer ohne Eisenbahn gewachsenen Stadt, so wie es hier Memel ist, ergeben sich notwendige Planungen in der Anbindung des Bahnhofes. Mit der Bahn war im Jahre 1874 auch eine Stadterweiterung in der Diskussion. Die Durchlegung neuer Straßen wurden nötig. So ist die Anlegung einer, die ganze Länge der Dange verfolgende Uferstraße vorrangig. Die damaligen Planer sahen die Herstellung dieser Straße als nicht besonders schwierig an, sieht man sich die Karte von Memel an. Man durchbreche die Schlachthofstraße von der Werftstraße trennenden zwei Gärten und eine gerade Verbindung von der Norderhuk bis zur Eisenbahnbrücke ist hergestellt. Die Kosten sollen gering sein, so schrieb man. Der eine Garten gehörte einem liberalen Mann, dem Herrn Kaufmann Graff, der abgesehen von den ihm dadurch erwachsenden Vorteilen, ein solches Opfer der Stadt bringen würde. Der andere Garten gehörte zum Postamt, also staatliches Eigentum und würde vom Herrn Ressortminister für diesen Zweck gerne hergegeben werden. Gasleitungen liegen in beiden Straßen, die nur verbunden werden müssten. Eine Pflasterung sollte aus Kostengründen nicht vorgenommen werden. Eine Chaussierung (Befestigung des Fahrweges mit groben Material) sollte vorerst genügen. Man könne mit dieser Uferstraße auch die unangenehmen Verhandlungen wegen des so genannten Hollatz´schen Katzensteiges an der Dange beseitigen. Was ihre Anlage unbedingt erfordert, ist die Passage zum Bahnhof hin. Bisher wurde nicht beachtet, dass die Börsenstraße nach der Eröffnung der Eisenbahn vielleicht garnicht mehr den ganzen Verkehr zwischen dem linken Dangeufer aufnehmen kann und es zu Staus führen könnte. Zur Untermauerung dieser Engstelle wurde die regelmäßige Ansammlung von Personen und Fuhrwerken beim Schließen der Börsenbrücke Abends 6 Uhr angeführt. So ungefähr dürfte der Verkehr zum Bahnhof sein. Weiter wurde aufgeführt, dass zu der Zeit ein Eisenbahnzug abfahren will und ein Leichenzug über die Börsenbrücke fährt. Wo bleibt Publikum, Hotelwagen und Transportfuhrwerke, wo biegen sie aus, um den Zug nicht zu verspäten? Schließlich verdienen wohl auch die Bewohner der mangelhaften Werftstraße eine Berücksichtigung, schreibt ein Zeitgenosse im Memeler Dampfboot.
Weitere Inserate/Beiträge aus dem Memeler Dampfboot:
- 09.12.1874
Die Anlegung der zum Bahnhof von der Lindenallee ab führende Straße ist vor einigen Tagen von der dazu zusammengetretenen Kommission beschlossen worden. Frühere Planungen wurden verworfen. Die Straße wird durch den Park und die hinter ihm liegenden Gärten, in gerader Linie Richtung Bahnhof gebaut. Die Breite der Straße soll großzügig sein. Die neue Straße wird nicht allein ihren Zweck erfüllen, sie soll auch eine Aufwertung des dortigen Stadtteils bringen. Die Beseitigung des Parks hätte noch einen günstigen Nebeneffekt. Der Aufenthaltsort des Gesindels, das am Abend und in der Nacht im Park sein unsauberes Wesen treibt, fiele weg.
Ein kritischer Beitrag eines Memeler Bürgers:
Die neue Straße von der Lindenallee nach dem Bahnhof schließt sich dem nach dem großen Brand erfundenen System der schiefen Straßen an und bereichert Memel, welches die schöne breite in Schlangenlinien erbaute Holzstraße hat, ungemein. Durch die schiefe Lage erhalten die zukünftigen Besitzer die beste Gelegenheit für einen phantasiereichen Baustil und dreieckige, fünfeckige und sechseckige Häuser werden die monotone Viereckigkeit zur freudigen Überraschung jedes ankommenden Fremden unterbrechen.
Diese Straße, die auch jedenfalls nur für den wohlhabenden Rentier und Beamten bewohnbar sein wird, der Geschäftsmann und Gewerbetreibende wird sich schwer zur Auswanderung entschließen; - wird dadurch eine gewisse Exklusivität erreichen umso mehr, als der angenehme und gut gepflegte Kirchhof ganz nahe, die etwa aus dem Kirchhof im Sommer sich entwickelnden ungesunden Gase, werden durch die Memeler Gasanstalt paralysiert – und nur schönes Grün und Nachtigallenklang wird die Anwohner erfreuen. – Sollten übrigens bei oder auch ohne Epidemien Todesfälle eintreten, so haben die Hinterbliebenen nicht weit zur Begräbnisstätte und das wird wiederum zur besseren Ordnung und Pflege und zu größerer Entfaltung des Luxus auf dem Kirchhof angenehm beitragen.
Diese Vorteile sind gewiss von großer Entscheidung gewesen und kann man nur dankbar anerkennen, dass die sonst so sparsame Verwaltung (Krankenhaus, Schule, Steinpflaster, Gaseinrichtung, Stadthaus etc.) sich hierzu entschlossen hat und die bedeutende Ausgabe für diese gewiss in 100 Jahren komfortabelste Straße Memels jetzt schon herzugeben.
Es würde nun vor allen Dingen auch an der Zeit sein, einen schönen wohlklingenden und der Nachwelt bezeichnenden Namen festzustellen. Ob hierbei nicht eine Konkurrenz für Erfindung des Namens angewendet und ausgeboten werden könnte? Die Exped. des Memeler Dampfboots könnte schon jetzt eine Spalte für Namensvorschläge gewähren.
- 13.11.1874
In Nr. 288 d. Blattes (Anm.: Siehe vorgehenden Artikel vom 09.12.) lesen wir, es wäre bereits definitiv festgestellt, dass eine neue Straße von der Lindenallee, durch Abrasierung der schönen Bäume des Parks (alter Turnplatz, weitere Durchführung durch die Privatgrundstücke der Herren Halliger, Döring, Michaelsen, Kremp früher Kaufmann) Stadtrat Fünfstück und noch mehrere andere, welche alle gewiss nicht billig käuflich sein werden, nach dem Eisenbahnhof angelegt werden soll; während neben dieser projektierten Straße parallel die alte nicht ungeräumige Park-Straße bereits existiert, die sich dem neuen Projekt gegenüber für ein Geringes durch Erwerbung eines Teils des Hafenmeister Freund´schen Grundstücks bis zum Wohnhause an diesem Ende und Abbruch der Nothäuser am anderen Ende in eine schöne rechtwinklige, für den Zweck nutzbare und nicht schönheitswidrige Straße umwandeln ließe.
Das obige Projekt ein nicht geringes Sümmchen kosten und Memel an Straßenbau noch sehr viel höchst Notwendiges zu tun hat, das wäre in erster Reihe die vollständige Pflasterung der Norder – Huck, die mit eine Lebensader für unseren Handel und doch noch sehr im Argen liegt, wird gewiss Jeder beipflichten, ebenso hat gewiss jeder Steuerzahler zur Genüge empfunden, welche Lasten und Abgaben Memel bereits obliegenden und es dürfte gewiss gerechtfertigt erscheinen, wenn bei Veranlagung eines so bedeutenden Projekts, wie das Obige, um die eingehendste öffentliche Motivierung dafür gebeten wird.
Verfasser: t
- 16.12.1874
Dank den Vätern der Stadt Memel für die Anlage einer breiten Straße (Bahnhofstraße) von der Lindenstraße aus über den früheren Turnplatz in gerader Richtung nach dem Bahnhofsempfangsgebäude. Diese praktische Straße wird unstreitig die schönste Memels werden, wenn selbige (was unausbleiblich) später in südlicher Richtung bis zur Dange verlängert über eine Brücke (und eine östliche Brücke wird bald dringendes Bedürfnis werden) am Aschhof in die schöne Markt Straße mündet, wobei nur das Ebel´sche Haus zu beseitigen und neben dem Habrucker´schen wieder aufzusetzen wäre; durch diese Brücke würde uns außerdem eine bequeme Verbindung mit der Werftstraße und den dahinter liegenden Etablissements geschaffen und die Differenzen mit Herrn Hollatz für immer beseitigt sein.
Bei Anlage einer für den öffentlichen Verkehr so bedeutenden Straße, welche wie hier den Mittelpunkt der Stadt mit dem Bahnhof direkt zu verbinden berufen ist, darf nicht gegeizt werden; freuen wir uns, dass wir die so heiß ersehnte Eisenbahn doch endlich bekommen haben, welche unseren Handel recht bald sicherlich neue Verkehrsstraßen eröffnen wird und was endlich die städtischen Finanzen Memels betrifft, so werden solche in wenigen Jahren unbedingt viel günstiger stehen, auch wenn wir noch drei solcher Straßen anlegen, wie die zu erbauende neue Bahnhofstraße, um deren richtigen Namen man von einer Seite sehr besorgt zu sein scheint.
Verfasser: W.
- 17.12.1874
Herr W. verkauft im gestrigen Blatte schon das Fell des Bären, ehe er es hat. Der heutige Nachmittag wird´s wohl zeigen, ob die neue Straße so sehr viele Enthusiasten findet. Außer den einzigen Anwohnern werden sich Viele nicht dafür interessieren.
Verfasser: st.
- 22.12.1874
Der Magistrat bringt einen Antrag auf Anlegung einer neuen Straße vom Bahnhofsgebäude über das sogenannte Dreiblatt in gerader Richtung bis zum kleinen Park am Ende der Lindenallee ein. Nachdem durch 5 Motive die Zweckmäßigkeit der neuen Straße erläutert ist, wird erwähnt, dass der Schlewiesfonds für diese Straße die Kosten der Erdarbeiten, des Pflasterungsmaterials und der Expropriationskosten (Anm.: Expropriation von franz.: Enteignung) erstatten will. Darauf wird der Magistrat ersucht, sobald als möglich Kosten-Anschläge anfertigen zu lassen, sowohl für die proponierte (Anm.: vorgeschlagene) Straße, als für eine in Vorschlag gebrachte Verbindung des Bahnhofs mit der Alexanderstraße durch die Parkstraße, in beiden Fällen auch die Verbreiterung und Verbindung der Lazarethstraße mit beiden projektierten Linien in Anschlag zu bringen. -
Zeittafel
- 1. Juli 1872 Der Baubeginn der Strecke.
- 20.September 1873 Baumeister Otto veranlasste von Heydekrug aus, eine öffentliche Ausschreibung für das Bauvorhaben der Strecke Tilsit - Memel. Er brauchte für die Eisenbahntrasse 32 Stück Drahtzugbarrieren mit selbsttätigem Läutewerk (Anm.: Bahnschranken), 8 Paar Drehbarrieren mit einfacher Drehstange und 18 Paar Drehbarrieren mit doppelter Drehstange. Alles sollte für den Abschnitt Heydekrug, Kilometer 27,86 bis 58,64 vorgesehen werden.
- 1. Oktober 1873 wird die Ausschreibung für die Ausführung und Materiallieferung zur Errichtung von 45 Bahnwärterhäusern nebst Brunnen der zweiten Bau-Abtheilung der Tilsit-Memeler-Eisenbahn veröffentlicht. Die Ausschreibung ist in 9 einzelnen Losen unterteilt.
- 3. Januar 1874 Für den Brückenbau im Memelthal bei Tisit. Ausschreibung für die Lieferung von 12.000 Tonnen Zement.
- 2. Februar 1874 Ausschreibung - Steinkohle für die im Brückenbau im Memelthal stehende Dampfmaschine (Anzeige rechts)
Die Tilsit – Memeler – Bahn wird den zur Zeit dem Binnenverkehr fast abgeschlossenen Hafenplatz Memel an die durchgehende Ostbahnroute anschließen und im Zusammenhang mit der Aussicht genommenen Eisenbahn von Insterburg nach Prostken und dem anschließenden Russischen Bahnnetz den Hafen Memel mit Odessa in Verbindung setzen.
- 10. Januar 1874 Die Ausschreibung für die Herstellung der Fahrbahn beim Bahnhof Carlsberg (Km 84) wird veröffentlicht. Für eine verlegte Chausee werden ca. 200 m³ Feldsteine benötigt.
Eine zweite Ausschreibung befasst sich mit der Lieferung von „Abtheilungszeichen, Warnungstafelpfähle, Neigungsweiser, Curventafeln, Revisionstafeln, Halte- und Distanzpfähle“
- 10. Januar 1874 Für den Belag der drei Brücken im Memelthale erforderlichen 205 Kubikmeter Kiefernholz, 74 Kubikmeter Eichenholz und 623 Kubikmeter in 10,647 Quadratmetern kiefernen und eichenen Bohlen macht der Königliche Baurath Suche in Tilsit eine Ausschreibung.
- 5. Mai 1874 Nun werden auch die Beamten-Wohnhäuser und Stallungen auf den Bahnhöfen Memel, Carlsberg, Prökuls, Kukoreiten, Heydekrug und Jugnaten der Tilsit-Memeler-Eisenbahn in Angriff genommen. Es geht um die Maurer-Arbeiten excl. Materialien), Zimmer-, Dachdecker, Tischler-, Schmiede- und Schlosser-, Töpfer-, Glaser- und Anstreicher-Arbeiten (incl. Materialien).
- 6. Mai 1874 Erfolgte dann die Ausschreibung für die Lieferung von 41 Kbm. (Anm.: Kubikmeter) gesprengter Feldsteine, 377,000 Mauerziegel, 1455,32 Kbm. gelöschten Kalks u. 3908 Kbm. Mauersands. Sie waren für die geplanten Bahnhofsbauten in den Kreisen Heydekurg und Memel vorgesehen.
- 24. Juni 1874 Ende der Ausschreibung für die Herstellung von Empfangsgebäuden, Lokomotivschuppen, Güterschuppen, Wasserstationsgebäuden, Wagenschuppen, Weichenstellerbuden Viehrampen und Eiskellern.
- 23. Juli 1874 berichtet das Blatt Memeler Dampfboot aus Heydekrug:
Gestern Abend wurde hier der letzte Bogen der Eisenbahnbrücke über die Szieße fertig. Nach Einfügung des Schlußziegels sprach der Baumeister den Maurern seinen Dank aus für schnelle und gute Arbeit, worauf der Unternehmer mit einem Hoch auf die Baubeamten dankte. Ein vom Unternehmer gegebenes kleines Fest hielt dann Beamte und Arbeiter noch einige Stunden beisammen. Wenn nun auch bis zur Fertigstellung der Brücke noch viel zu thun übrig bleibt, so dürfte doch der Tag, an dem die Memel-Pogegener Eisenbahn eröffnet wird nicht mehr ferne liegen denn Meister und Gesellen wirken jetzt tüchtig.
- 11. August 1874 377.700 Maurersteine werden für die Erstellung von Bahnhofshochbauten benötigt. Die Anlieferung soll am rechten Dangeufer oberhalb Memel oder Bahnhof Memel erfolgen.
- 11. August 1874 Nicht ohne "Reibung" verlief der Bau der Eisenbahnstrecken im Land. Es waren oft "wilde Gesellen" bei den Bauten zu finden. Eisenbahn - Streckenbau war zu der Zeit körperlich sehr zehrend. So manch unglückliche Seele mit dunkler Vergangenheit verdingte sich beim Bahnbau, da andere Arbeitgeber ihn nicht eingestellt hätten. Fernab der Heimatorte entwickelt sich einiges zum Ärger der hiesigen Einwohner. Im Memeler Dampfboot vom 12.08.1874 wird dann aus Heydekrug folgendes berichtet:
Maurergesellen, die beim Bau der Eisenbahnbrücke über die Szieße hierselbst beschäftigt sind, hatten sich am vergangenen Sonntag nach empfangener Löhnung etwas angeheitert und belästigten Abends in Szibben die Straße passirende Leute und zwar so lange, bis die Hilfe des dort stationirten Gendarmen in Anspruch genommen werden mußte. Letzterer vermochter die Aufgeregten nicht zu beruhigen, wurde sogar genöthigt von seinem Seitengewehr [1] Gebrauch zu machen. Während dieser Zeit passirte der hiesige Landrath den Ort der That, trat hinzu, erkundigte sich nach der Ursache und gebot als Landrath Ruhe, erlangte aber nicht nur das Gegentheil, sondern wurde sogar selbst noch thätlich belästigt. Aus dem anliegenden Gasthause herbeigerufene Hilfe vermochte erst die Übelthäter zu ergreifen und dingfest zu machen. - Wie wir hören hat der betreffende Amtsvorsteher diese Heldenthat der Maurergesellen mit 1 Thlr. Ordnungsstrafe pro Mann gerügt. - Werden - so erlauben wie uns zu fragen - diese wüsten Gesellen, wenn sie so billig davon kommen, nicht nächstens ärgere Excesse verüben.
- 19. August 1874 Empfangs- und Stallgebäude, sowie die Erstellung des Güterschuppens auf der Halterstelle Carlsberg der Tilsit-Memeler-Eisenbahn werden öffentlich ausgeschrieben.
- 20. August 1874 Nun sind Pflasterarbeiten durchzuführen. Die dazu erforderlichen Kopf-, Rechteck-, Bord- und Rundsteine auf den Bahnhöfen und Haltestellen werden in 12 Losen ausgeschrieben.
- 28. August 1874 Aus den Schiffsnachrichten des Memeler Dampfboot - Holländisches Dampfschiff "Rotterdam", Capt. Balker, von Amsterdam 1414 Stück Eisenbahnschienen, an Memeler Eisenbahn.
- 8. September 1874 Die Anfertigung der auf Km 27,86 bis 58,64 der Tilsit-Memer-Eisenbahn innerhalb des Kreises Heydekrug, erforderlichen Zäune zum Schutz gegen Schneeverwehungen, soll ausgeschrieben werden. Der gebildete Begriff: Schneeschutzzäune.
- 9. September 1874 Ein weiterer Schritt zur Vollendung des Neubaus. Es sollen Fundament- und Kellermauerwerk für die Empfangsgebäude der Bahnhöfe Heydekrug, Prökuls und Memel hergestellt werden.
- 14. September 1874 Auf der Baustrecke Memel werden 9000 lfd. Meter Schneeschutzzäune benötigt.
- 16. September 1874 Jetzt wird wichtiges Beiwerk für die Eisenbahnstrecke bestellt. Baumeister Massalski braucht bearbeitete Nummernsteine für die Strecke. 63 Stück größere und 585 Stück kleinere (Heute: Kilometrierung). Die neu entstandenen Eigentumsverhältnisse ergaben somit auch neue Grundstücksgrenzen. Diese sollen mit der Beschaffung von 2000 Stück Grenzsteinen festgelegt werden.
- 18. Oktober 1874 Nachdem gestern die Legung der Schienen zu unserer Eisenbahn auch im Heydekruger Kreise vollendet, fand Nachm. unter angemessener Feierlichkeit der Zusammenschluß der Schienen mittelst vier vergoldeter Nägel am betr. Orte statt. Zu diesem Zwecke begab sich gestern Nachm. 2 Uhr ein Zug mit dem Beamten nach Heydekrug. Die ganze Linie kann nunmehr von Memel bis Pogegen bei Tilsit befahren werden. Dem öffentlichen Verkehre kann die Bahn, wie wir schön früher berichteten, in diesem Jahre nicht mehr übergeben werden. (Memeler Dampfboot)
- 17. November 1874 In letzter Zeit sind hier (Anm.: Memel) eine Anzahl Eisenbahn-Waggons eingetroffen. Es ist dieses zu folge einer Verfügung des Herrn Handels-Ministers geschehen, nach welcher noch vor Eintritt des Frostes das rollende Material über den Memelstom geschafft werden sollte, um dasselbe für alle Fälle bei der Hand zu haben. Über den Zeitpunkt der Eröffnung der Bahn verlautet in den maßgebenden Kreisen nchts bestimmtes, soviel können wir jedoch versichern, daß die Bahn zum nächsten Neujahr dem öffentlichen Verkehr noch nicht übergeben werden kann. Auch die Bauten auf dem hiesigen Bahnhofsplanum stellen sich, veranlaßt durch Witterungsverhältnisse so manche Hindernisse entgegen. <br<
- 1. Januar 1875 Die Eröffnung des Betriebes zwischen der Station Pogegen am rechten Memelufer und der Endstation Memel ist für den 1. Januar 1875 geplant.
- 1. Januar 1876.Die durchgehende Eröffnung des Verkehrs im Anschluss an Bahnhof Tilsit der Tilsit – Insterburger Bahn nach Fertigstellung der Brücken über das Memeltal
- 11.03.1875 wurde die Ausschreibung für die Ausführung eines 2,5m weiten und massiven Wasserstationsbrunnens auf dem Bahnhof ’’’Prökuls’’’ veröffentlicht. Die Anlieferung war aber nicht Inhalt der Ausschreibung.
Vermischtes
Eine kleine Statistik
Am 1. Juli 1874 findet sich eine Statistik im Memeler Dampfboot:
Land | Streckenlänge (in km) |
---|---|
Deutsches Reich | ......... 24.789 |
Österreich | ......... 16.521 |
Großbritannien | ......... 25.900 |
Vereinigte Staaten | ......... 115.146 |
Land | Eisenbahnstrecke auf 1000 Quadratkilometer |
Deutschland | ......... 46 |
Frankreich | ......... 38 |
Österreich | ......... 26 |
England | ......... 82 |
Vereinigte Staaten | ......... 12,3 |
Land | Eisenbahnlänge pro 1 Mio. Einwohner (in km) |
Deutschland | ......... 604 |
Frankreich | ......... 550 |
Österreich | ......... 460 |
Großbritannien | ......... 814 |
Vereinigte Staaten | ......... 2986 |
Kontinent | Eisenbahnkilometer (total) |
Europa | ......... 130.585 |
Asien | ......... 9741 |
Afrika | ......... 1802 |
Amerika | ......... 126.343 |
Australien | ......... 2287 |
Für die ganze Erde ergibt sich eine Schienenlänge von 270.758 km oder 36.490 geogr. Meilen. Unter Berücksichtigung der noch nicht bekannt gewordenen neuen Bahneröffnungen, namentlich einiger außereuropäischer Länder kann man für die Mitte des Jahres 1874 als Länge des gesamten Schienennetzes der Erde die Summe von etwa 275.000 km annehmen. Das erforderliche Anlagenkapital lag wohl geschätzt bei 20 Milliarden Thaler.
Unglücke und Skandale
- 07.11.1874 - Unglücksfall, abgedruckt im Memeler Dampfboot
- ↑ Seitengewehr: Ein um die 40 cm langes Messer mit Griff und Scheide. Es war mit beidseitig schneidende Klinge ausgestattet. Man trug es am Koppel. Das Seitengewehr war kurz und konnte auf engstem Raum zur Durchsetzung von polizeilicher Gewalt und zur Verteidigung eingesetzt werden. Im täglichen Polizeidienst war das Seitengewehr gut brauchbar. Es ist nicht mit einem Bajonett zu verwechseln, das auf Gewehre "aufgepflanzt" werden konnte. Polizeioffiziere trugen Säbel. Das Seitengewehr wurde wegen seiner Kürze später auch "Brieföffner" genannt (Wehrmacht).