Abtritt

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Einrichtung, Unterhalt und Pflege von Abtritten vielfältiger Art fällt unter der Kategorie und den Begriff der Wohlfahrtspflege. Ihre Unterwerfung unter hygienischen Regeln diente dem allgemeinen Wohl und hatte im Einzelfall Einfluß auf das Wohlergehen und die Lebensumstände unserer Vorfahren.

Römischer Lokus mit Sitzreihen, darunter fließendes Wasser, in Ephesus zur Zeit des hlg. Paulus

Einleitung

Notdurft unter dem Baum, 16. Jhdt. (Kupferstich v. D.Hopfer)

Synonyme

Abtritt (Abort, Toilette, Klo, Lokus, Pissoir, Appartement, Kommodität, Klosett, Retirade, Privé, Häuschen)

Mundartlich

“Hüüsken“ (ndd., westfälisch) = Plumpsklosett

Westfälisch

  • „Ik mott es naot`t Hüüsken!“ (= Ich muß `mal zur Toilette!)
  • Good dat dien Gatt fastesitt, süss möchs dat alltied sööken, wenn`t nao`t Hüsken wöss. (= Sprichwort: vergessliche Person)
  • Gau nich nao`t Hüüsken, büs datt wees, an ne nije Maoltied te kommen! (= Sprichwort: Sicheres soll man nicht aufgeben)
  • Wen dat Hüüsken stinkt, gifft Reägen!
Haus Vischering mit Abtritterkern über der Gräfte.

Bedeutung

Der zur Unterbringung von Vorrichtungen für Aufnahme oder Weiterleitung der menschlichen Exkremente bestimmte (abgetretene) Raum oder diese Vorrichtung selbst.

Vorgeschichte

In den alten Römerstädten hatten die Römer mit ihrer weitverzweigten Verwaltungskunst und ihrer hochentwickelten Tradition hygienischer Maßnahmen vorgearbeitet, aber ihre hygienisch-technischen Einrichtungen (Toiletten, Wasserleitungen u.a.) verfielen oder wurden durch Kriegshandlungen zerstört, und die hygienischen Bestimmungen wurden im Drange der Stadtentwicklung im deutschen Raum vergessen. Alle Einrichtungen der mittelalterlichen Stadtverwaltungen für die Gesundheit ihrer Bürger, für eine hygienische Lebensbasis, mußten damit erst neu geschaffen werden

Einfachste Vorrichtung

In der deutschen Historie war für Körperhygiene nicht viel Zeit, man entleerte sich dort, wo es gerade nötig war. Der Abtritt in einfachsten Verhältnissen auf dem platten Lande (ärmlichste Kotten oder Katen) bestand nur aus einem abseits liegendem Ort im Freien und war meistens oben offen, als "Hockgrube", bei denen Männer wie Frauen in die Hockstellung gehen müssen. Ein davor öfters angebrachter Holzstock diente zum Festhalten mit einer Hand und Abstützen, falls es mal "etwas schwerer abgeht". Später wurden die in die Erde gegrabenen Löcher mit Sitzgelegenheiten (Sitzbalken, -stange) versehen (landläufig „Donnerbalken genannt).

Afterreinigung

An Stelle des heute eingesetzten Toilettenpapiers banden die Römer einen Schwamm an einen Stock und tränkten diesen in einem Eimer mit Salzwasser. In Deutschland benutzte man Stroh, Laub und unter anderem auch Moos, die Reichen gönnten sich eingeweichte Lappen und Schafswolle.

Burgen: Abtritterker

Abtritt über Wasser 1625. (Kupferstich, Dorflandschaft v. Merian)

In den Burgen gab es (innenliegende oder außen angebaute) Abtrittswinkel, wo man sich hinhockte und sein Innerstes per Fallrohr in den Burggraben oder über die Felsen platschen ließ.

Abtrittswinkel

In den Wirtschaftsgebäuden der Rittergüter und in den Stallungen größerer Bauerngehöfte gab es von außen oder innen zugängliche Abtrittswinkel welche Sitze enthielten und im Rücken des Sitzenden ein schräg gestelltes Brett aufwiesen, welches das Besteigen der Sitze hindert. Später wurde die Jauchegruben durch komplette Brettersitze mit einem runden Sitzloch abgedeckt.

Entleerung einer Jauchegrube 1955, Toilettentür (mit Karo), daneben Schweineställe, etwa 15 m weiter Hauspumpe mit Brunnen.

Häuschen

In den Städten und auf dem Lande noch vielfach kleine Häuschen “Hüüsken“ (ndd., westfälisch) mit Sitzbrett über einer Grube.

Im ländlichen Bereich verbreitet waren Abtritte, bei denen die Exkremente mit Erde, Asche oder Torfmull gemischt wurden. Diese Vorgehensweise bezweckete neben der Geruchdämpfung auch die zusätzliche Düngergewinnung für Landwirtschaft und Garten, denn natürlicher Dünger war noch im 19. Jahrhundert in der Landwirtschaft und Garten Mangelware..

Gruben

19. Jahrhundert: Die Gruben(Jauchegruben) sollten im 19. Jahrhundert nicht zu groß angelegt sein und waren wasserdicht auszuführen, unter keinen Umständen unter dem Wohnhause (oder Wohntrakt) selbst und möglichst weit entfernt von einem Brunnen. Als bewegliche Behälter zur Aufnahme der Exkremente waren entweder gewöhnliche Kübel, Eimer u. dergleichen oder den Abfallrohren dicht angeschlossene Tonnen und Metallbehälter eingesetzt.

Verbot von Urin auf Straßen

Der Stadtarzt von Frankfurt a.M., Joachim Struppius (1530 bis 1606) verlangte 1573 (!) energisch, daß das Ausgießen von Urin auf die Straßen verboten werden müsse. In den Städten nahm zuweilen der Straßenschmutz derart überhand, daß die Priester die Ratsherren nicht zu ihren Sitzungen erscheinen konnten und in manchen Städten ein Paar kurze Stelzen zur Frühlingszeit zur notwendigen Ausrüstung eines jeden Bürgers gehörte. Diese Gewohnheiten standen mit den hygienischen Anforderungen, die das immer dichter werdende Nebeneinanderleben mit sich brachte, in krassem Widerspruch.

Siedlungshygiene

In den Wohnhäusern der Städte und in Wohnsiedlungen der Industriearbeiter sollte Ende des 19. Jahrhunderts der Abtritt für die Bewohner leicht erreichbar sein. Der Raum sollte genügend hell und luftig, aber nicht zugig sein, der Fußboden soll aus undurchlässigem Material bestehen. Bis dahin bestand das Toilettensystem aus einem Fass im Flur des Erdgeschosses, in das die Bewohner mehrstöckiger Mietskasernen den Inhalt ihrer Nachttöpfe verfrachteten.