Erziehung à la Schmelz

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Erziehung à la Schmelz

Von Gerhard Krosien


Der Schulunterricht ist beendet. Wir etwa Achtjährigen verlassen den Schulhof der Pestalozzischule und schlendern in unterschiedliche Richtungen heimwärts – ich Richtung 5. Querstraße. Und so bummele ich mit mehreren Klassenkameraden, die auch auf diesem Ende von Schmelz wohnen, die Mühlenstraße hinunter. Dabei muss ich an Könies Kneipe vorbei. Es ist ein schöner Frühlingstag.

An einem offenen Fenster der Kneipe sitzt Großvater, ein halbvolles Glas Bier vor sich auf dem Tisch. „Hallo, mein Jungchen, hast nich Lust auf 'ne Partie Billard?", ruft er mir, seinem Enkel, mit schelmischer Miene zu. Natürlich habe ich Lust, und das gerade mit dem geliebten Großvater! Schnurstracks stapfe ich zu ihm in die Gaststube, der Ranzen fliegt in eine Ecke. Meine Klassenkameraden ziehen plappernd weiter.

Am Billardtisch wartet Großvater schon auf mich. Er hat mir eine Limonade hingestellt. Und schon geht's los! So interessant ist das Spielen, dass wir beide dabei die Zeit ganz vergessen.

Irgendwann geht die Tür des Lokals auf. Mutter kommt ganz ruhig und freundlich grüßend hereinstolziert. „Also hier ist mein Junge und spielt Billard mit seinem Großvater“, höre ich bloß noch. Im selben Augenblick saust ein derber Lederriemen, den sie hinter ihrem Rücken gehalten hat, auf meinen jungen Körper herab - mehrmals. Großvater, der sich offenbar als Anstifter fühlt, versucht, mich in Schutz zu nehmen und Mutter zu besänftigen - aber vergeblich. Die hat mich fest im Griff: „Ich werde dir krätschem Bengel nachhelfen, in der Kneipe Billard zu spielen und zu Hause das Mittagessen kalt werden zu lassen!“, stößt sie nur - ganz außer Puste - hervor.

Noch nie habe ich meine Mutter so erlebt. Junge, Junge, hatte die damals aber eine Handschrift! Fortan machte ich um Könies Kneipe immer einen großen Bogen, sodass das Mittagessen ja genügend warm verzehrt wurde. Erziehung auf Schmelzer Art! Heute nicht auszudenken. Da würde bestimmt gleich der „Kinderbeauftragte“ oder wer auch immer einschreiten!

( Nach dem Buch „Trautes Memelland, glückliche Kinderzeit – Kindheitserinnerungen eines Memeler Bowkes, Titel: 'Billard-Prügel' „“)