Selbstversorgung ist Trumpf

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Von Gerhard Krosien


In ganz Schmelz schien jeder auf wirtschaftliche Unabhängigkeit bedacht zu sein! In fast jeder Küche gab es eine Tür in einen Nebenraum ohne Fenster, aber mit einem Loch in der Außenwand. Und zwar nach Osten oder Norden hin. Oder gar mit innen zinkblechbeschlagener Kiste für Eisstangen: die Speisekammer. Aber es gab meistens auch im Dielen-Fußboden eine Klapptür, die mit einem versenkbaren metallenen Griff zu öffnen war und in geöffnetem Zustand, von Ketten gehalten, hochstand: den darunter gelegenen Keller. Wo das aber wegen des Grundwasserspiegels nicht nach unten ging, gab es meist neben dem Haus einen Vorratsraum oberhalb der Erdoberfläche, erdbedeckt, oft baum- oder buschbewachsen, innen gemauert, verschließbar mit einer massiven Tür und großem Vorhängeschloss, meist seitlich mit einer Sitzbank davor.

Was alles in die Speisekammer kam! Und wie es darin roch! Da standen braune Steintöpfe unterschiedlicher Größe, gefüllt mit Dill-, Senf- und Salzgurken, eingepökelten oder in Beize eingelegten Heringen, roh oder gebraten. Da stapelten sich in den Regalen entlang den Wänden - fein säuberlich mit Namen und Datum beschriftet - Weckgläser mit Obst, Gemüse, Wurst und Fleisch. Da hingen Würste, geräucherte Gänseschinken und -brüste, geschlachtete und gerupfte Hühner, Gänse und Enten. Da stand ein Eimer mit duftendem Bienenhonig. Auch ein Fässchen Rotwein und einige Flaschen - meist süßer - Alkoholika durften nicht fehlen. Dann die weißen Emailleschüsseln mit blauem Rand, in denen sich die Hühnereier stapelten. Und die vielen zugedeckelten irdenen Töpfe mit Gewürzen auf einem Bord. Dazu schwere Säcke mit irgendetwas, Mehl oder Zucker, darin und zahlreiche Blech- und Porzellankannen mit weiterem nahrhaften Inhalt.

Im Keller dagegen lagerten eigentlich nur die Kartoffeln und das Gemüse. Und manchmal wurden wir Bowkes da hineingesteckt, wenn wir etwas ausgefressen hatten. Dunkel, sehr dunkel!, war's darin!

Milch und Butter hingen in einem verzinkten Drahtkorb im kühlen Zieh- oder Drehbrunnen. Der Brotlaib und das Käsestück hatten - jeweils im dafür vorgesehenen Behältnis - ihren Platz auf dem Küchenschrank.

Einen Kühlschrank hatte seinerzeit kaum jemand. Den brauchte man auch nicht! Die Vorräte blieben an ihren Aufbewahrungsorten auch so immer gleichmäßig frisch. Vor allem büßten sie nicht ihr Aroma ein, wie das heute bei gekühlten - besonders tiefgekühlten - Nahrungsmitteln oft der Fall ist. Der Tilsiter Käse roch zum Beispiel nicht nur kräftig. Er schmeckte auch so! Und jede Hausfrau kannte noch ein paar Kniffe das Eine oder das Andere immer frisch zu halten. Alles ein Anzeichen dafür, dass man die Familie stets versorgt wissen wollte, besonders in möglichen Notzeiten!

Auf jeden Fall gab es bis zuletzt - das heißt bis zur Evakuierung im Jahre 1944 - in Schmelz immer genug zu essen, soweit ich mich erinnern kann. Besondere Leckerbissen, wie geräucherten Aal, brachten Oma und Opa hin und wieder mit, die Tante "aus der Stadt" (gemeint war Memel!) auch wohl mal ein Stück besonders gut schmeckende Torte aus einer Konditorei. Eigentlich mangelte es uns damals an nichts. Doch! An Geld! Darum wohl auch dieses Streben nach Autarkie aus eigener Kraft und Produktion. Mit dem Fassungsvermögen eines Kühlschrankes wäre man bestimmt nicht weit gekommen. Außerdem haben die Menschen jetzt ganz allgemein viel mehr Geld als früher, um sich solche Delikatessen und "Luxusgüter" leisten zu können. Und die Läden sind heute ja voll von all den Dingen, die man fürs Leben braucht - oder eigentlich nicht braucht. Die werden dann bei Bedarf mal eben schnell gekauft. Das war aber nicht immer so!


Mit freundlicher Genehmigung von Gerhard Krosien