Glück und Unglück

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Von Gerhard Krosien


"Glück muss der Mensch haben!", sagt man oft so leicht hin, wenn irgendwas gut gegangen ist, was auch hätte ins Auge gehen können. Diese Redewendung lernten wir Schmelzer Bowkes schon früh kennen. Und wir taten auch viel, um ja bloß immer nur Glück zu haben!

Da kam zum Beispiel ein Pferdefuhrwerk die Straße entlang gepoltert. Ein Schimmel war mit davorgespannt. Für uns Bowkes gab's dann nur eins: Um das Glück anzulocken, sofort ein sichtbares Kreuz machen, wo sich das machen ließ. Es musste ja zu sehen sein, um als Glücksbotschaft zu wirken! Auf dem gepflasterten Bürgersteig ging das nicht oder nur mit Kreide, die man meistens jedoch nicht bei sich hatte. Aber auf dem Sandweg ging's! Zogen mal zwei Schimmel einen Wagen, dann war das ein ganz besonderer Glücksfall für uns. Dann wurden rasch zwei Kreuze in den Erdboden geritzt! Doppeltes Glück!

Ein Kreuz auf dem Erdboden wurde auch gemacht, wenn wir einen Schornsteinfeger sahen. Damals sah man noch viele Schornsteinfeger. Es wurde ja meistens mit Holz, Torf oder Kohle geheizt. Deshalb hatte ein Kreuz für einen Schornsteinfeger auch nicht den Stellenwert eines Schimmelkreuzes! Aber auf jeden Fall musste das Kreuz gemacht werden. Schließlich gab es ja auch großes und kleines Glück! Und für jeden Fall musste vorgesorgt werden!

Auch vergaßen wir nie, jemand dreimal über die Schultern zu spucken, wenn wir ihm Glück wünschten. Und wer mit dem rechten Fuß stolperte, ging zurück und ab der Stolperstelle den Weg noch einmal. Denn es bedeutete: Rechts - wat Schlecht's. Stolpern mit dem linken Fuß war andererseits fürs Glück gut! Das wurde hingenommen!

Schlimm war es für uns, wenn eine schwarze Katze vor uns von Links nach Rechts über die Straße lief. Wenn wir das Tier gesehen hatten, war's im Grunde schon zu spät. Man konnte gegen das Unglück – meinten wir - nichts mehr tun! Es traf einen unweigerlich! Da half nichts mehr, außer man ging überhaupt nicht aus dem Haus. Aber wen hielt es da schon?

Die Bettlerin, die von Zeit zu Zeit die Häuser in Schmelz abklapperte, bekam eigentlich überall etwas. Wer nichts gab, dem prophezeite sie Unglück - bald großes Unglück! Wer ihr aber etwas gab, beispielsweise eine Tasse Wasser, ein Ei, ein Stück Brot oder sonst etwas, dem prophezeite sie Glück, viel Glück in der Zukunft. Darum waren die meisten Schmelzer sehr darauf bedacht, ihr etwas zu geben. Am Ende jedes Tages konnte diese Frau deshalb auch so einiges aus ihrem Bettelkorb hervorkramen. Sie jedenfalls hatte eigentlich immer Glück! Das hatten viele Schmelzer aber ebenso. Später! Denn ihnen gelang die Flucht vor den Sowjets aus der angestammten Heimat. Sie fanden ein neues Zuhause - ein neues Glück. Man hatte ja gut vorgesorgt


Mit freundlicher Genehmigung von Gerhard Krosien