Deutsche und französische Kultur im Elsass/063

aus GenWiki, dem genealogischen Lexikon zum Mitmachen.
Zur Navigation springen Zur Suche springen
GenWiki - Digitale Bibliothek
Deutsche und französische Kultur im Elsass
Inhalt
<<<Vorherige Seite
[62]
Nächste Seite>>>
[64]
Datei:Kultur elsass.djvu
Hilfe zur Nutzung von DjVu-Dateien
Texterfassung: unkorrigiert
Dieser Text wurde noch nicht korrekturgelesen und kann somit Fehler enthalten.



Aber nicht nur in diesen herrschenden, sondern auch in den beherrschten Klassen ist das aristokratische Element soweit lebendig, als es nicht durch eine in der Hauptsache von der Sozialdemokratie ausgehende demokratische Gegenströmung unterdrückt worden ist. Gerade die soziale Überlegenheit des Aristokraten, des Beamten, des Offiziers wird willig oft mit grossem Entgegenkommen anerkannt. Andererseits sucht auch der Niedrigstehende mit allen Kräften den bevorzugten Klassen nahe zu kommen, sei es, dass er als Gewerbetreibender den Adel oder einen Titel erwirbt, sei es, dass er seinen Sohn studieren lässt, oder aber, dass er durch besondere Dienstleistungen ihren Gruss auf der Strasse oder gar eine Art herablassenden Verkehrs erwirbt.

Gerade in dieser Hinsicht besteht zwischen den sozialen Anschauungen eines elsässischen Kleinbürgers oder Bauers, Gewerbsgehülfen oder Industriearbeiters und den Begriffen des Altdeutschen aus den gleichen Berufen der denkbar grösste Gegensatz, ja eine völlig unüberbrückbare Kluft. Ein „wiedergewonnener" elsässischer Notabein findet sich „sozial" in der „besten" deutschen Gesellschaft Strassburgs viel leichter zurecht, als ein Elsässer der niederen Volksklasse in den analogen Kreisen der Altdeutschen. Die selbstverständliche Unterordnung und Hochachtung vor den herrschenden Klassen erscheint ihm unwürdig, für die Annäherungsbestrebungen an die herrschenden Klassen hat er gar kein Verständnis, er findet sie absurd und lächerlich. So sehr hat sich die Bevölkerung während ihrer Zugehörigkeit zu Frankreich demokratisiert.

Die in der Hauptsache durch die Monarchie bedingte aristokratische Gliederung und herrschende Stellung der öffentlichen Berufsstände bilden nun eine der wichtigsten Voraussetzungen für die besondere Tüchtigkeit und die allgemein anerkannten Leistungen derselben. Das Dienstverhältnis des Offiziers und der Beamten trägt feudale Züge; wie der mittelalterliche Lehnsmann dem Lehnsherrn, so giebt sich der Beamte oder Offizier dem Landesherrn mit seiner ganzen Person hin und gelobt ihm Dienst, Gehorsam und Treue. Dafür erhält der Beamte wie der Lehnsmann Schutz und Lebensunterhalt. Das besondere Dienstverhältnis erhebt den Beamten und Offizier ebenso wie den Lehnsmann in den Augen der Welt und giebt ihnen ein besonderes Ansehen, die Standesehre. Dieses Treuverhältnis zwischen Landesherr und Beamten (Offizieren) und die Standesehre, d. h. das Bewusstsein, wegen dieses Dienstverhältnisses besonders geachtet zu werden, zwingt den deutschen Beamten und Offizier zur aufopfernden Erfüllung des Dienstes und bewirkt eine relativ hohe moralische Integrität dieser Personen, die sich besonders in ihrer Unbestechlichkeit äussert.

Allerdings ist die materielle Stellung der Beamten und der höheren Offiziere durch Gehalte, Pensionen, Witwen- und Waisenversorgung in hohem Masse gesichert, und wegen des sozialen Ansehens dieser Berufe sind gerade die wohlhabenden und reichen Gewerbetreibenden bemüht, ihre Söhne in diese Berufe eintreten zu lassen oder ihre Töchter an Offiziere oder Beamte zu verheiraten. So machen in Deutschland diese Berufsstände auch den Reichtum der Nation kraft ihres

Bildunterschrift:
P. braunagel : Ladenmädchen.
— 63 —