Uszlöknen/Berichte

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Litauen/Memelland 2000

Eine Reise in die Vergangenheit...

27. April 2000 - Sonne 23° C

Der Aufbruch

Nach einem herrlichen Frühstück bei Mausi und schönstem Sonnenschein, ging sie los - unsere Fahrt in die Vergangenheit.... In Moisburg fuhren wir noch schnell beim Friedhof vorbei, und irgendwie hatten wir das Gefühl, als müsste das so sein. Eine kleine Dose mit Erde aus Moisburg für einen symbolischen Brückenschlag hatte ich schon vorher besorgt.

Bei wunderschönem Wetter ging es ohne Stau und Komplikationen durch das blühende Schleswig-Holstein nach Kiel zum Osthafen. Die MS "Greifswald", ein ehemaliger Sea-Carrier (Schweden/Dtschl.) lag schon bereit, und nach Erledigung der Zollformalitäten, dem Einchecken - "Haben Sie denn schon ihr Ticket bezahlt?" (Computerfehler)-wurden wir gegen 14.00h Uhr an Bord gelassen.
Ca. 30 LKW und vier PKW verschwanden auf der Fähre und jedes Fahrzeug hätte seine eigene Fahrspur haben können. Platz ohne Ende. Die Kabinen sind zweckmäßig, sauber und von akzeptabler Größe, sogar das Bullauge lässt sich öffnen. Die Sonne lachte vom blauen Himmel und so hielten wir an Deck erst mal eine kleine Siesta. Heiß und mangels komfortabler Sonnenstühle - auch die netteste Bank wird irgendwann zu hart - gingen wir zurück in die Kabine zum Pennen.
Pünktlich um 16.00h ging es dann los, und nun zieht die grandiose Landschaft von Mecklenburg-Vorpommern im Dunst an uns vorbei. Ob die LKW-Fahrer hinter mir Russen oder Litauer sind, kann ich noch nicht feststellen, aber Wodka, Gurken, Sauerrahm und Brot lassen mich auf östlichere Gefilde tippen. Na dann, Prost Osten....

Die Ostsee gibt sich von ihrer schönsten Seite - ruhig schillernd und majestätisch läuft die Fähre ihren Kurs. Alles ohne nennenswerte horizontale Verschiebungen. Wat'n Glück! Das Abendessen wird in der sog. Cafeteria eingenommen. Ein zweckmäßiges, realsozialistisches Ambiente, mit West-TV, gibt den Rahmen für ein Kotelett mit Sauce, Salat, Kartoffeln und Tee für 17.- DM . Na ganz nett - aber Wucher. Mit ausgiebiger Zeitungslektüre, einem doppelten Wodka und einigen letzten Telefonaten kreuzen wir jetzt vor dem Darß den neuen Tag entgegen.

28. April 2000 - Sonne 18° C-24° C

Die Überfahrt

Nach einer ruhigen und geruhsamen Nacht - wir wussten die Gründe dafür noch nicht - ging es zum Frühstück, wo uns der Bildhauer aus Klaipeda/ Memel (interessierte sich für unsere Reise) eine junge Frau aus Silute/Heydekrug vorstellte. Diese war an einer Kontaktaufnahme jedoch sichtlich nicht interessiert, und so konnten keine weiteren ersten Erkenntnisse gewonnen werden. Alle an Bord wissen, dass wir aus Deutschland kommen, mustern uns zurückhaltend und distanziert und machen den Eindruck, als ob sie nicht recht wüssten, in welche Schublade wir passen würden (Touristen, Geschäftsleute…).
Nach dem Frühstück ging es erst mal in die Koje, und ein nettes Schläfchen bis um 11.00 h schloss sich an. Danach erfuhren wir dann, dass sich das Schiff um bis zu 5 Stunden verspäten würde, Maschinenschaden! Jetzt konnten wir uns auch erklären, warum letzte Nacht so viele Funken aus dem Schornstein geflogen kamen. Na, wollen wir mal hoffen, dass dies der einzigste Schaden bleibt.

Ein sehr merkwürdiges, extrem lebendiges und doch mit der Vergangenheit verwobenes Gefühl beschleicht mich immer wieder, wenn ich so auf das schillernde Meer blicke. Wie viele Menschen sind hier damals auf der Flucht ertrunken? Was für Schicksale haben sich hier abgespielt Wie viele Tränen des Leides und der Freude sind geflossen...?
Obwohl ich all diese Dinge nie selbst erlebt habe, immer nur gehört, gelesen und in den Medien verfolgt habe, fühle ich mich eher befangen und habe immer wieder den Eindruck, als würde ich in ein "besetztes Land" kommen. Sehr merkwürdig und durch nichts Rationales zu erklären. Mir scheint, in dieser Reise reist ganz viel Gefühl mit...!

Den ganzen Nachmittag haben wir nur rumgegammelt, sind auf und ab gegangen, haben Radio Gdansk gehört, gelesen und in der Sonne gepennt. So ist das, wenn man plötzlich so viel Zeit hat.... Vor dem Abendessen haben wir dann noch mit dem netten Bildhauer gesprochen. Er zeigte uns voller Stolz seine Bildermappe mit Ausstellungsstücken an den verschiedensten Punkten der Welt und lud uns ein, sein Zuhause zu besichtigen. Duty-free schloss sich an.
Unglaublich - es ist jetzt schon 21.20 h und plötzlich sehr warm geworden. Vor uns sehen wir die ersten Lichter von Klaipeda/Memel am Bug und einen letzten Sonnenstrahl am Heck.

Mit T-Shirt Laune, sehr schöner Musik aus dem Radio fahren wir am Haff vorbei und mir ist ganz anders. Ich kenne nichts hier, war niemals hier und habe ein irres "Heimkommgefühl". Ganz tief und merkwürdig ergriffen und zugleich fasziniert laufe ich planlos hin und her und muss mich zur Ruhe zwingen. Die Musik ist meine Wurzel zur westlichen Heimat, das was jetzt abläuft, das Gesehene, der andere noch zu entdeckende Teil, die noch verborgene Wurzel. Komisch und bestimmt für Außenstehende kaum nachvollziehbar, habe ich das Gefühl, nun im neuen Jahrtausend wird sich ein ganz wichtiger Teil meines Daseins, unserer Familiengeschichte, schließen.

So oder so, was immer wir auch erleben werden. Gut, dass wir endlich gefahren sind. Das Leben ist schön.

Von der Fähre ging es dann in die Stadt Klaipeda/Memel. Nicht ohne eine dekadente und egozentrische Zöllnerin: "Können Sie nicht lesen?". Wir hatten ein wenig Probleme mit der Beschilderung und waren eigentlich schon fast aus dem Hafen raus. Nach einigen Runden kamen wir dann aber doch auf den richtigen Weg. Was soll's....
Durch die sehr sozialistisch anmutende, nächtliche Neustadt Klaipeda mit 210.000 Einwohnern (Memel 1944: 40.000 Einwohner) ging es dann zügig zum Hotel Klaipeda und ab ins Bett (01.00 h). Herrlich durchgelegene Betten und total überheizter Raum. Nett! Am lustigsten fand ich hier die Etagenfrauen. Sie verkaufen allerlei nützliche Dinge und waren gleichzeitig für den Zimmerservice zuständig. Außerdem sollten sie alles wohl ein wenig überwachen. Das Zimmer verfügten über Satelliten TV - leider gab es aber keinen Satelliten...



Diesen bewegenden Reisebericht hat Peter Krakow aus Stade über seine Erlebnisse in der Zeit vom 27. April 2000 bis zum 06. Mai 2000 aufgeschrieben.