Handbuch der praktischen Genealogie/350

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Handbuch der praktischen Genealogie
Inhalt
Band 2
Tafel: I • II • III • IV • V • VI • VII • VIII • IX • X • XI
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Deutschland verschmelzen müßte, kann noch nicht geschrieben werden, weil die genealogischen Einzelforschungen, die zu Grunde gelegt werden müßten, vielfach nicht kritisch genug durchgeführt worden sind oder ganz fehlen oder gar, weil überhaupt die erforderlichen kritischen Veröffentlichungen des Urkundenmaterials bisher nicht zustande gekommen sind.

Problematisch ist einmal die Entstehung eines ganz Deutschland erfüllenden, überall merkwürdig gleichgestellten niederen Ritteradels als neue Einrichtung im Verfassungsleben, als neuer Stand während der staufischen Periode; außerdem der Ursprung der einzelnen Ritter und damit der durch sie begründeten niederadeligen heute teilweise noch blühenden Familien ihrer Herkunft nach: aus welchen Volksschichten sind sie hervorgegangen? Problematisch ist aber auch bis heute die Art der Abgrenzung der besonderen Rechte, die alsbald dem neuen Stand überall verfassungsrechtlich zugemessen wurden; man nennt das gewöhnlich: den Abschluß des neuen Adelsstandes. Auch da muß wieder unterschieden werden zwischen einem institutionellen Abschluß: wann und wie bildeten sich die Regeln aus, die in Zukunft nichtadelig geborene hindern sollten und wirklich hinderten, in die adelige Stellung den Befugnissen nach einzutreten; und weiter: entstanden diese Regeln überall gleichzeitig oder wurden sie etwa nicht überall in Deutschland gleichmäßig befolgt?

Die Entstehung des niederen Adels als neue öffentlichrechtliche Einrichtung ist auf ein neues kulturelles Bedürfnis zurückzuführen. Die großen Herren (weltliche und geistliche) brauchten für ihre kriegerischen Unternehmungen geschulte schwerbewaffnete Reiter. Der Kaiser vor allem konnte seine Kriege nicht mehr mit dem Aufgebot führen, das ihm die lehnrechtliche Verpflichtung seiner Magnaten einerseits, die landrechtliche Militärdienstpflicht der kleinen freien Grundbesitzer andererseits zur Verfügung stellte. Die Zahl dieser kleinen Gutsherren war zu gering, auch waren sie nicht reich genug, um die Last der immer kostspieligeren Kampfart zu tragen, waren auch nicht willens, immer wieder ihre bäuerlichen Gutsbesitzerpflichten zu vernachlässigen. Schon im 12. Jahrhundert spielen sie in der Heereszusammensetzung keine Rolle mehr. Und die großen Lehnsherren waren unzuverlässig. Das Lehnrecht hat sich in Deutschland nicht wie etwa in England und in anderen Ländern während des 10. und 11. Jahrhunderts so fortgebildet, daß es neue den modernen Bedürfnissen angepaßte Regeln entwickelt hätte. Die Verpflichtung des Lehnsmannes, die dort mehr oder weniger genau für jeden einzelnen bestimmt war[1], blieb in Deutschland bis in das spätere Mittelalter eine diskretionäre, oder blieb besonderen Abmachungen vorbehalten. Das Lehnrecht bewahrte seinen ursprünglichen Charakter als Recht ehrenvollen Dienstes; die Dienstpflicht machte den Verpflichteten nicht zum ordentlichen Diener, sondern blieb gewissermaßen eine Anstandspflicht, die man freiwillig auf sich genommen und nach besten


  1. Mitunter war bis ins Kleinste geregelt, wieviel Tage im Jahr Lehnsfolge zu leisten war; ob für Kriege und Fehden jeder Art; mit wieviel Rittern, wieviel Pferden, Knappen und Knechten; in welcherlei Bewaffnung.