Computergenealogie/2006/02
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Findmittel - die CG-Archivrecherche
Archivstelle Boppard – Zentrales Kirchenbucharchiv der Evangelischen Kirche im Rheinland
Waren Sie schon einmal in Boppard? Nein? Dann gibt es einige Gründe dies zu ändern. Boppard ist eine hübsche kleine Stadt am Rhein, ca. 20 km südlich von Koblenz gelegen. Sie liegt im oberen Mittelrheintal, dem Rheinabschnitt, der 2002 von der Unesco zum Welterbe ernannt wurde. Auf einem relativ kurzen Abschnitt von 65 km ist ein einzigartiges Ensemble von 40 Burgen und Schlössern zu bewundern, denen die steilen Hänge des rheinischen Schiefergebirges und die großen Schleifen des Rheins eine beeindruckende Naturkulisse geben. Nebenbei bemerkt ist Boppard berühmt für seine Weinlage, den Bopparder Hamm, und den dort erzeugten vorzüglichen Riesling.
Aber nicht nur die landschaftlichen Schönheiten sind Anziehungspunkte, sondern für Familienforscher ist es ein Spezialarchiv für Kirchenbücher. In den Räumen des ehemaligen Klosters St. Martin ist dort seit 1996 die Archivstelle Boppard beheimatet. Sie ist ein Filialarchiv des Archivs der Evangelischen Kirche im Rheinland, das seinen Hauptsitz in Düsseldorf hat. Die Aktenbestände und Kirchenbücher, die dort verwahrt werden, umfassen das Gebiet der ehemaligen preußischen Rheinprovinz, deren Territorium mit dem heutigen Gebiet der Evangelische Kirche im Rheinland deckungsgleich ist. Der Einzugsbereich der archivalischen Tätigkeiten reicht also von Bingen bis Kleve und schließt auch eine Exklave rings um Wetzlar ein; diese gut 40 Pfarreien liegen heute politisch in Hessen, gehören aber immer noch zur rheinischen Landeskirche.
Neben den archivpflegerischen Aufgaben und der Koordination von Kirchenbuchverfilmungen spielt die Beratung und Betreuung von Familienforschern und Regionalhistorikern eine zentrale Rolle im Tätigkeitsspektrum des Bopparder Archivs. Forscher sind hier gern gesehene Gäste und können bei ihren Recherchen auf ca. 5000 Kirchenbücher zurückgreifen. Die Menge der Kirchenbücher ist so stattlich, da hier Kirchenbücher aus dem gesamten Geltungsbereich der Landeskirche zentralisiert verwahrt werden. Ein interessanter Sonderbestand sind ca. 250 Militärkirchenbücher der rheinischen Garnisonen von Wesel über Ehrenbreitstein bis Saarbrücken.
Einen Überblick über die Bestände gibt die Broschüre "Verzeichnis der Kirchenbücher der Archivstelle Boppard" von 1997, die zum Preis von 13,29 € bei der Archivstelle erhältlich ist. Allerdings sind die Bestände seitdem weiter angewachsen. Neuzugänge finden Sich im Internet unter http://www.archiv-ekir.de/kirbue2.htm
Natürlich hat der Zahn der Zeit und der häufigen Benutzung auch an den Bopparder Beständen genagt und so fordert auch hier das Gebot des Bestandserhalts seinen Beitrag. Daher werden dem Forscher i.d.R. nicht die Originalbücher vorgelegt, sondern er kann auf Mikrofiches zurückgreifen. Ist das Filmmaterial nicht aussagekräftig, hilft dann ein Blick in das Originalbuch weiter. Für die nahe Zukunft ist eine schrittweise technische Modernisierung der Archivausstattung geplant und so werden in Zukunft auch nach und nach digitale Kirchenbuchreproduktion über einen Computerarbeitsplatz im Archiv einsehbar sein.
Die Forschungsarbeit vor Ort sieht eigentlich nicht anders aus als in anderen Archiven. Wenn man sich angemeldet und seine Sachen ausgepackt hat, beginnt man mit der Suche nach der Zuständigkeit. In welcher Pfarrei wurde das gesuchte Ereignis aufgezeichnet? Welches Material liegt von dieser Pfarrei vor? Gibt es neben den Originalen vielleicht eine Quellen-Bearbeitung?
Dann reserviert man sich ein Lesegerät im Benutzerraum. Die Mikrofiches bekommt man sofort vorgelegt, es gibt hierfür keine festen Aushebezeiten. Arbeitskopien und Original-Kirchenbücher liegen eine Etage tiefer im Magazin und werden nach Bedarf ausgehoben. Falls weiterführende Quellen (Kirchenrechnungen, Lagerbücher, Nachlässe, Sammlungen) vorhanden sind, muss man ebenfalls ein wenig warten. Es gibt aber kein umständliches Bestellverfahren.
Kopien von Mikrofiche-Seiten müssen in Auftrag gegeben werden, da im Benutzersaal kein Readerprinter steht. Dagegen ist es möglich, einzelne KB-Seiten zu fotografieren. Wenn man aus KB-Arbeitskopien Ablichtungen haben möchte, steht ein A3/A4-fähiges Kopiergerät zur Verfügung.
Erste Hilfsmittel findet man in der Präsenzbibliothek, die trotz knappen Budgets eine gute Ausstattung für den Familienforscher bietet. Der "Rosenkranz" darf da genauso wenig fehlen wie ein vielbändiges Lexikon, Fremdsprachen-Wörterbücher und spezielle Nachschlagewerke. Landkarten und Atlanten sowie einige Literatur über die rheinische Kirchen- und Pfarreigeschichte sind ebenfalls vorhanden. Abgerundet wird der Bibliotheksbestand durch Ortschroniken und Ortsfamilienbücher. Von letzteren findet man einen reichen Vorrat, der vor allem den Hunsrück betrifft und sowohl evangelische wie katholische Gemeinden umfasst. Die Sammlung ist bewusst so angelegt worden und trägt einer regionalen Besonderheit Rechnung: in Westerwald und Hunsrück sind selbst kleinste Dörfer konfessionell geteilt, manchmal gibt es Lutheraner, Reformierte und Katholiken nebeneinander. So findet man im luth. Kirchenbuch von Pfalzfeld einige Minderheits-Katholiken, und im kath. Kirchenbuch der Nachbargemeinde Bickenbach sind einige Protestanten verzeichnet.
Auch bei der Zeitrechnung wirkt sich diese Trennung auf die Forschung aus: Während die Katholiken bereits 1583/85 den Gregorianischen Kalender einführten, behielten die Protestanten den Julianischen Kalender bis um 1700 bei. Dies führt bisweilen zur Doppeldatierung (z.B. "11./21. Februar 1689"). Der Streit um die Verwendung des "richtigen" Kalenders dauerte mancherorts noch bis ins 18. Jahrhundert.
Eine weitere Besonderheit ist die Streusiedlung, die man besonders auf dem Westerwald antrifft. Die luth. Pfarrei Hamm/Sieg (Kreis Altenkirchen) umfasst z.B. rund 70 Wohnplätze, wovon einige nur in 1-3 Häusern bestehen. Infolgedessen haben sich viele erbliche Familiennamen erst nach 1700 gefestigt. Hier muss man sich an den Wohnplatznamen orientieren und noch stärker auf die Identifizierung der Einzelpersonen achten.
Natürlich bieten auch die Bopparder Archivalien einige Kuriosa, die die Pfarrer in den vergangenen Jahrhunderten produziert haben:
- den Sterbefall eines gewissen Julius Cäsar um 1870 in Neuwied (Sohn einer
alten Pastoren- und Kaufmanns-Familie im Westerwald)
- eine "Trauerordnung" von 1745, wonach eine Witwe doppelt so lange ihren
Mann beweinen muss wie ein Witwer seine verstorbene Frau (KB Achtelsbach)
- das Titelblatt des Rheinböllener Heiratsbuches von 1660 mit dem Motto
"es ist besser freyen, denn Brunst leiden"
Last but not least ist die Kompetenz und Hilfsbereitschaft der Mitarbeiter lobenswert zu erwähnen. Dr. Andreas Metzing und Barbara Bissantz geben den Besuchern fachkundig Rat und Auskunft. Die geringe Bürokratie ist ein Mangel, den man gerne hinnimmt. Hiervon könnten sich andere Institutionen eine Scheibe abschneiden. Für die Familienforscher, aber auch für das wissenschaftliche Publikum bleibt zu hoffen, dass diese Einrichtung in Boppard erhalten bleibt, gedeiht und sich zunehmender Beliebtheit erfreut. Wer keine Möglichkeit zur persönlichen Anreise hat, erhält natürlich auch eine sorgfältige Antwort auf eine schriftliche Anfrage.
Übrigens, im Bopparder Archiv sind auch Tauf-, Konfirmations- und Heiratseintrag eines Mannes einsehbar, dessen Gedanken die Weltgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert sehr stark beeinflusst haben – von einem gewissen Karl Marx aus Trier. (Markus Weidenbach und Astrid Großgarten)