Handbuch der praktischen Genealogie/260
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Handbuch der praktischen Genealogie | |
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Band 2 Tafel: I • II • III • IV • V • VI • VII • VIII • IX • X • XI | |
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In den ersten Jahrzehnten des 11. Jahrhunderts beginnt, bei steigender Produktion, der Verfall der künstlerischen Buchillustration. Die fränkischen[GWR 1] Kaiser erscheinen bei ganz schwacher Individualisierung als derbe, leidenschaftliche, aber recht plumpe und ungeschlachte Gestalten, fast ohne eine Spur der alten Imperatorenwürde, und selbst in der Zeit des abermaligen Aufschwunges der Buchmalerei nach der Mitte des 12. Jahrhunderts, der dem neuerwachten geistigen Leben auf dem Fuße folgte, wo die Heldensagen germanischer Vorzeit gesammelt und zu dem mächtigen Sange der Nibelungen vereinigt wurden, wo die Blüte des Volksepos und der höfischen Dichtung sich zu entfalten begannen, schreitet die Entwickelung des Bildnisses nur wenig vorwärts.
Wir sind mit dieser Periode der Buchmalerei bei jener für das gesamte Mittelalter so bedeutungsvollen Zeit angelangt, wo die starre Gebundenheit der Geister einer freieren Gestaltung des Kulturlebens weicht, bei jenem Scheidepunkte, der das Mittelalter in zwei Hälften gliedert, von denen die zweite bei ihren künstlerischen Darstellungen, um mit Karl Lamprecht (Deutsche Geschichte III, S. 6 ff.) zu sprechen, „gleichsam die Mitte hält zwischen der massiven Typik der Vergangenheit und dem ausgeprägten Individualismus des 16. Jahrhunderts“. Und wenn auch das eigentliche Bildnis in dieser Epoche keine wesentliche Förderung erfährt, so wird doch von nun an der Gesamteindruck der Handschriften-Illustration ein ganz anderer, indem in den schlanken Figuren, den jetzt wieder mehr rundlich werdenden, nicht mehr manieriert ovalen Köpfen, dem kleinen Mund mit den vollen Lippen und dem hellblonden, bis auf die Schultern herabwallenden Haupthaar, wenigstens scheinbar, eine ganz entschiedene, bisher unerhörte Zuwendung der Maler zur Naturbeobachtung zum Ausdruck kommt.
Nachdem die Maler einmal begonnen hatten, mit der überlieferten typischen oder konventionellen Darstellung des Menschen bzw. des Heiligen zu brechen und ihn mit Zügen aus dem wirklichen Leben zu begaben, lag der Versuch nahe, auch eine ganz bestimmte Persönlichkeit auf dem Altarbilde erscheinen zu lassen, so wie sie leibt und lebt, mit ihren individuellen Eigenarten und mit all den Zufälligkeiten ihrer äußeren Gestalt: ein folgerechter und ruhiger Schritt in der Entwickelung der Bildnismalerei, der uns heute natürlich und selbstverständlich erscheint und der doch den Menschen des 15. Jahrh. als ein ganz unerhörter Wagesprung in Erstaunen, manche wohl auch geradezu in Erschrecken versetzt haben muß. Welch ein seltsames Gefühl mag der Meister gehabt haben, dem ein solches Porträtexperiment einigermaßen gelungen war, und wie mag der Beschauer überrascht gewesen sein, als er sich selbst oder einen seiner Freunde auf den ersten Blick im Bilde wiedererkannte.
Plastische Menschenbildungen.
Die in Deutschland während des 13. Jahrhunderts entstandenen plastischen Menschenbildungen verdienen in einer Reihe mit den größten künstlerischen Leistungen aller Zeiten und aller Völker genannt zu werden, nicht eben in ihrer Eigenschaft als Abbilder des wirklichen Lebens, wohl aber als freie, ideale Schöpfungen von gewaltigster Kraft und zwingender Wirkung.
Anmerkungen der GenWiki-Redaktion (GWR)
- ↑ Druckfehler in Textvorlage: fränkiscneh