Handbuch der praktischen Genealogie/302

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Handbuch der praktischen Genealogie
Inhalt
Band 2
Tafel: I • II • III • IV • V • VI • VII • VIII • IX • X • XI
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Vornamen erhielten, und zwar gab man einem Sohne nicht bloß den Vornamen eines bereits gestorbenen Bruders, sondern auch den eines noch lebenden. Man unterschied solche Geschwister durch Zusätze, wie der alte und der junge, der erste und der andere voneinander. So kommen z. B. in der Familie der Herren von Kronberg um 1400 zwei Brüder Hartmuth vor. Andere Beispiele, aus der Frankfurter Patriziergeschichte entnommen, sind folgende: Der Stadtschultheiß Sifried zum Paradies hatte einen gleichnamigen jüngeren Bruder, der fast ebensolange lebte, als er; Jakob Knoblauch, der Freund der Kaiser Ludwig IV. und Karl IV., hatte unter seinen Söhnen zwei, die wie er Jakob hießen, und beide ihn um mehrere Jahrzehnte überlebten; in der Familie Schwarzenberg kommen im 15. Jahrhundert zwei Brüder Walther vor; in der Familie Rorbach gab es 1471 zwei Schwestern, die Anna die Erste und Anna die Andere hießen; sogar noch im 18. Jahrhundert hießen drei Brüder Orth, welche die letzten Sprößlinge dieser Familie und alle drei Rechtsgelehrte waren, Johann Philipp.

Der im deutschen Mittelalter bei Leuten aller Stände am häufigsten vorkommende Vorname war Johann. Bei ihm war deshalb auch oft die Hinzufügung eines Vorworts üblich, nicht bloß um Brüder, sondern auch um Nichtverwandte, die diesen Namen trugen, voneinander zu unterscheiden. Man bediente sich hierzu meistens der vorgesetzten Wörter „groß" und „klein", und aus diesem Gebrauche sind dann die Familiennamen Groß-johann, Großhenne und Kleinhenne entstanden.

Die Vornamen hatten im Mittelalter eine größere Wichtigkeit als heutzutage, weil es damals in den Städten ebenso wie noch unlängst in vielen Dörfern üblich war, daß die Leute einander nicht mit den Familien-, sondern mit den Vornamen anredeten, ja sogar, wenn sie vor einer dritten Person jemand erwähnten, sich des letzteren bedienten. Beides war nicht bloß in den unteren und mittleren, sondern auch in den höheren Ständen gebräuchlich. Sogar in amtlichen Schriften und in den Korrespondenzen städtischer Regierungsbehörden findet sich diese Sitte. In den Frankfurter Bürgerbüchern des 14. Jahrhunderts z. B. werden die regierenden Bürgermeister zuerst bloß mit ihren Vornamen angeführt. Noch im 16. Jahrhundert, findet sich in den Frankfurter Ratsprotokollen der Syndikus Doktor Adolf Knoblauch stets nur als Doktor Adolf angeführt. In seinen Briefen redete der Frankfurter Rat bis zum Schlusse des Mittelalters die Adressaten, wenn diese nicht etwa Fürsten, Grafen oder Edelleute waren, stets mit ihrem Taufnamen und dem vorgesetzten Worte „Lieber" an. Noch auffallender zeigt sich die damalige Bedeutung des Vornamens darin, daß man auch die alphabetischen Namensverzeichnisse, die zum Nachschlagen amtlicher Bücher angefertigt wurden, nicht nach den Familiennamen, sondern nach den Vornamen (natürlich mit Beifügung von jenen) machte. In den alphabetischen Registern der Frankfurter Beedbücher von 1600-1608 sind die Leute nach ihren Vornamen eingetragen. Ja noch im 18. Jahrhundert findet sich alphabetische Anordnung nach den Vornamen in amtlichen Büchern, z. B. in den Stettiner Kirchenbüchern.