Memel, Leben und Arbeit: Unterschied zwischen den Versionen

aus GenWiki, dem genealogischen Lexikon zum Mitmachen.
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Zeile 1: Zeile 1:
==Memel, Leben und Arbeit==
==Memel, Leben und Arbeit==
<br> Autor:''Holger Schimkus''
 
*'''15 Kinder...'''<br>Vorgewarnt durch Erzählungen des Vaters und durch das im Jahre 1959 erstmals erstellte Familienbuch gab es tatsächlich 15 Kinder in dieser Familie. Für heutige Verhältnisse unglaublich viele Kinder. Mein Vater wurde als letztes Kind geboren. Die Daten und Namen der ersten fünf Geschwister (Familienbuch) waren unvollständig, konnten nicht erinnert werden. Das Ergebnis des 2. Weltkriegs verhinderte die Beibringung von Urkunden aus dem ehemaligen Ostpreußen. Fast 50 Jahre lang blieben die ungenauen Angaben im Familienbuch stehen. Ende 2008 gelang eine Korrektur, mit der auch die Vornamen und Daten der ersten Kinder aufgeklärt werden konnten. Aus diesen Angaben entwickelten sich neue Erkenntnisse über das Schicksal und die Lebensumstände der Familie. Wie bedrückend muss das für meine Großeltern gewesen sein? Schwanger die Mutter und für die Sterbeanzeige eines anderen Kindes zum Standesbeamten gehen zu müssen? Ein Kind 1 Monat gelebt, ein anderes Kind 2 Jahre alt und verstorben. So waren es 6 Kinder, die nie zur Schule gehen durften. Die hohe Sterberate findet nicht nur den Grund in der medizinischen Behandlungsmöglichkeit, sondern auch in Ernährung und den Wohnverhältnissen der Zeit vor 1900. Auch der Ernährer der Familie musste Schläge hinnehmen. Wurde er 1889 im Alter von 23 Jahren zur Hochzeit noch als Grobschmied verzeichnet, wurde er zum Bauboten und schließlich 1906 im Alter von 40 Jahren zum Rentenempfänger. Die Einkünfte der Familie waren sehr eingeschränkt und forderten die Mutter zur Mitarbeit auf. Sie nähte Wäsche gegen Bezahlung und konnte so die finanzielle Lage etwas aufbessern. 1914, 8 Tage nach der Geburt meines Vaters verstarb der Ernährer der Familie an den Folgen eines Oberkieferknochenbruches in Städtischen Krankenhaus in Memel. Nun stand die Frau da und hatte noch 9 minderjährige Kinder im Haushalt zu versorgen. Da war der regelmäßige Besuch der Kleiderkammer der Heilsarmee in Memel unumgänglich. 1918 verlor diese schwer geprüfte Frau auch noch einen Sohn im 1. Weltkrieg, der in Frankreich begraben liegt. 1928 verließ sie Ostpreußen mit ihrem jüngsten Kind und siedelte sich in Hamburg bei ihren bereits dort lebenden Kindern an. Doch auch während des Einbürgerungsverfahrens kam der nächste Schlag. 1927 beging eine Tochter mit 18 Jahren Selbstmord. Meine Großmutter verstarb im August 1931. Den Verlust eines weiteren Sohnes im April 1945 musste sie nicht mehr erleben. Er war als Einmann-U-Bootfahrer vor der Küste der Niederlande gefallen.
*'''15 Kinder...'''<br> Autor:''Holger Schimkus''<br>Vorgewarnt durch Erzählungen des Vaters und durch das im Jahre 1959 erstmals erstellte Familienbuch gab es tatsächlich 15 Kinder in dieser Familie. Für heutige Verhältnisse unglaublich viele Kinder. Mein Vater wurde als letztes Kind geboren. Die Daten und Namen der ersten fünf Geschwister (Familienbuch) waren unvollständig, konnten nicht erinnert werden. Das Ergebnis des 2. Weltkriegs verhinderte die Beibringung von Urkunden aus dem ehemaligen Ostpreußen. Fast 50 Jahre lang blieben die ungenauen Angaben im Familienbuch stehen. Ende 2008 gelang eine Korrektur, mit der auch die Vornamen und Daten der ersten Kinder aufgeklärt werden konnten. Aus diesen Angaben entwickelten sich neue Erkenntnisse über das Schicksal und die Lebensumstände der Familie. Wie bedrückend muss das für meine Großeltern gewesen sein? Schwanger die Mutter und für die Sterbeanzeige eines anderen Kindes zum Standesbeamten gehen zu müssen? Ein Kind 1 Monat gelebt, ein anderes Kind 2 Jahre alt und verstorben. So waren es 6 Kinder, die nie zur Schule gehen durften. Die hohe Sterberate findet nicht nur den Grund in der medizinischen Behandlungsmöglichkeit, sondern auch in Ernährung und den Wohnverhältnissen der Zeit vor 1900. Auch der Ernährer der Familie musste Schläge hinnehmen. Wurde er 1889 im Alter von 23 Jahren zur Hochzeit noch als Grobschmied verzeichnet, wurde er zum Bauboten und schließlich 1906 im Alter von 40 Jahren zum Rentenempfänger. Die Einkünfte der Familie waren sehr eingeschränkt und forderten die Mutter zur Mitarbeit auf. Sie nähte Wäsche gegen Bezahlung und konnte so die finanzielle Lage etwas aufbessern. 1914, 8 Tage nach der Geburt meines Vaters verstarb der Ernährer der Familie an den Folgen eines Oberkieferknochenbruches in Städtischen Krankenhaus in Memel. Nun stand die Frau da und hatte noch 9 minderjährige Kinder im Haushalt zu versorgen. Da war der regelmäßige Besuch der Kleiderkammer der Heilsarmee in Memel unumgänglich. 1918 verlor diese schwer geprüfte Frau auch noch einen Sohn im 1. Weltkrieg, der in Frankreich begraben liegt. 1928 verließ sie Ostpreußen mit ihrem jüngsten Kind und siedelte sich in Hamburg bei ihren bereits dort lebenden Kindern an. Doch auch während des Einbürgerungsverfahrens kam der nächste Schlag. 1927 beging eine Tochter mit 18 Jahren Selbstmord. Meine Großmutter verstarb im August 1931. Den Verlust eines weiteren Sohnes im April 1945 musste sie nicht mehr erleben. Er war als Einmann-U-Bootfahrer vor der Küste der Niederlande gefallen.

Version vom 10. Juli 2009, 13:05 Uhr

Memel, Leben und Arbeit

  • 15 Kinder...
    Autor:Holger Schimkus
    Vorgewarnt durch Erzählungen des Vaters und durch das im Jahre 1959 erstmals erstellte Familienbuch gab es tatsächlich 15 Kinder in dieser Familie. Für heutige Verhältnisse unglaublich viele Kinder. Mein Vater wurde als letztes Kind geboren. Die Daten und Namen der ersten fünf Geschwister (Familienbuch) waren unvollständig, konnten nicht erinnert werden. Das Ergebnis des 2. Weltkriegs verhinderte die Beibringung von Urkunden aus dem ehemaligen Ostpreußen. Fast 50 Jahre lang blieben die ungenauen Angaben im Familienbuch stehen. Ende 2008 gelang eine Korrektur, mit der auch die Vornamen und Daten der ersten Kinder aufgeklärt werden konnten. Aus diesen Angaben entwickelten sich neue Erkenntnisse über das Schicksal und die Lebensumstände der Familie. Wie bedrückend muss das für meine Großeltern gewesen sein? Schwanger die Mutter und für die Sterbeanzeige eines anderen Kindes zum Standesbeamten gehen zu müssen? Ein Kind 1 Monat gelebt, ein anderes Kind 2 Jahre alt und verstorben. So waren es 6 Kinder, die nie zur Schule gehen durften. Die hohe Sterberate findet nicht nur den Grund in der medizinischen Behandlungsmöglichkeit, sondern auch in Ernährung und den Wohnverhältnissen der Zeit vor 1900. Auch der Ernährer der Familie musste Schläge hinnehmen. Wurde er 1889 im Alter von 23 Jahren zur Hochzeit noch als Grobschmied verzeichnet, wurde er zum Bauboten und schließlich 1906 im Alter von 40 Jahren zum Rentenempfänger. Die Einkünfte der Familie waren sehr eingeschränkt und forderten die Mutter zur Mitarbeit auf. Sie nähte Wäsche gegen Bezahlung und konnte so die finanzielle Lage etwas aufbessern. 1914, 8 Tage nach der Geburt meines Vaters verstarb der Ernährer der Familie an den Folgen eines Oberkieferknochenbruches in Städtischen Krankenhaus in Memel. Nun stand die Frau da und hatte noch 9 minderjährige Kinder im Haushalt zu versorgen. Da war der regelmäßige Besuch der Kleiderkammer der Heilsarmee in Memel unumgänglich. 1918 verlor diese schwer geprüfte Frau auch noch einen Sohn im 1. Weltkrieg, der in Frankreich begraben liegt. 1928 verließ sie Ostpreußen mit ihrem jüngsten Kind und siedelte sich in Hamburg bei ihren bereits dort lebenden Kindern an. Doch auch während des Einbürgerungsverfahrens kam der nächste Schlag. 1927 beging eine Tochter mit 18 Jahren Selbstmord. Meine Großmutter verstarb im August 1931. Den Verlust eines weiteren Sohnes im April 1945 musste sie nicht mehr erleben. Er war als Einmann-U-Bootfahrer vor der Küste der Niederlande gefallen.